Zusammenhangsbeurteilung bei zentral bedingten Dystonien V. Tronnier Neurochirurgische Universitätsklinik Lübeck 18. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Neurowissenschaftliche Begutachtung e.V. Nürnberg, 06.05.-07.05. 2016 1 Zusammenhangsfrage: Nach peripherem Trauma Posttraumatische Dystonien Nach zentralem Trauma 0.5% aller Schlaganfallpatienten; 1% der Kinder nach perinatalem hypoxischen Hirnschaden; 4-5% aller Dystoniepatienten 2 Dystonie nach zentralem Trauma Zusammenhang (Kausalität) einfach bzw. klar: • Bei schwerem Schädelhirntrauma • Hemidystonie, fokaler Dsytonie und kontralateral nachweisbarer Läsion in den Basalganglien • oft posthemiplegisch(-paretisch) Krauss u. Jankovic Neurosurgery 2002: Häufigkeit 4.1% nach SHT mit GCS 3-8; 0.6% nach SHT mit GCS 9-15 3 Dystonie nach zentralem Trauma Zusammenhang (Kausalität) wahrscheinlich: • Bei Blutungen (epiduralem, subduralem Hämatom) • Hemidystonie (oft posthemiparetisch), fokale Dystonie Lee et. al. Neurology 1994, 1 Fall mit bilateralen SDH Eaton Neurology 1988 (1 Fall) Nobbe u. Krauss Clin Neurol Neurosurg 1997 Soundappan et al. Ped Emerg Care 2005: Torticollis nach spinalem EDH (?) Schonhaltung durch Schmerz Marchione et al. BMC Neurology: Reversibles PISA Syndrom durch SDH Dressler u. Schönle Eur Neurol 1990 bilaterale Extremitätendystonie (1 Fall) durch chron. SDH Usmani et al. J Neurol 2011: Cerebelläre Blutung und Torticollis Itsayek et al. J Trauma 2006; epidurales Clivushämatom Torticollis 4 Dystonie nach zentralem Trauma Zusammenhang (Kausalität) wahrscheinlich: • Bei schwerem SHT mit generalisierten initialen Veränderungen im CT oder MRT • Hemidystonie oder generalisierte (axiale) Dystonie Jabbari et al. Mov Disord 1992; Sturz aus 20 Metern, Hypodensität Nuc. Caudatus, axiale Dystonie nach 6 Monaten 5 Dystonie nach zentralem Trauma Zusammenhang (Kausalität) wahrscheinlich: • Nach cerebellären Läsionen • Cervicale oder fokale Dystonie Grey Ann Surg 1916 23 von 58 Patienten mit Tumoren der hinteren Schädelgrube abnorme Kopfhaltung Le Doux und Brady Mov Disord 2003: 4 Fälle mit Hirnstammblutung, Kleinhirnblutung oder Infarkt, Arachnoidalzyste und sek. Torticollis Boisen E. Br J Psychiatry 1979; 3 infratentorielle Tumoren und Torticolls Tranchant et al. Rev Neurol. 1991; Cerebelläres Cavernom Krauss et al. Mov Disord 1997; Cervicale Dystonie assoziiert mit Tumoren der hinteren Schädelgrube, reversibel Caress et al. Mov Disord 1996, cerebelläres Gangliozytom Turgut et al. Childs Nerve Syst 1995; reversibel nach Tumorentfernung Kivak et al. Neurology 1983; 3 Kinder mit Syringomyelie und Rückenmarktumor 6 AVM der hinteren Schädelgrube (Usmani et al. J Neurol. 2011) Hirnstammkavernom (Agrawal et al. Ped Neurosurg 2009) 7 Dystonie nach zentralem Trauma Zusammenhang (Kausalität) schwierig: • Bei mildem SHT Brett JNNP 1981; mildes SHT ohne Bewußtlosigkeit aber Läsion im Putamen Maki et al. Childs Brain 1980 3 Kinder aber immer mit BG Läsionen 8 Dystonie nach zentralem Trauma Zusammenhang (Kausalität) bislang nicht nachgewiesen: • 9 Bei chronischer traumatischer Enzephalopathie (hier eher parkinsonoide Symptomatik u. Demenz) Dystonie nach zentralem Trauma Zusammenhangsfaktoren: • Schwere des Traumas • Latenz zwischen Trauma und Auftreten der Dystonie • Alter bei Trauma • Lokalisation der Schädigung • Genetische Prädisposition 10 Dystonie nach zentralem Trauma Zusammenhangsfaktoren: • Schwere des Traumas King et al. 2001; initiale Bewußtlosigkeit, Koma für < 1 Woche; Strecksynergismen Tränkle und Krauss 1997; GCS 3; Einklemmung bei ICP > 65mmHg Krauss et al. Neurology 1996: Korrelation zwischen Schwere des Traumas und Entwicklung einer Dystonie Krauss et al. Mov Disord 1997; 10% Bewegungsstörungen nach leichtem bis moderaten SHT; Keiner mit Dystonie, die meisten mit leichtem transienten oder permanenten Tremor 11 Dystonie nach zentralem Trauma Zusammenhangsfaktoren: • Alter bei Trauma Lee et al. Neurology 1994; 22/29 unter 20 Jahre; Marsden et al. Brain 1985 Burke et al. JNNP 1980 (1-14 Jahre; im Gegensatz dazu 92% der Fälle mit CP innerhalb der ersten 3 Jahre) Krauss et al. Mov Disord 1992 12 Dystonie nach zentralem Trauma Zusammenhangsfaktoren: • Latenz zwischen Trauma und Auftreten der Dystonie Lee et al. Neurology 1994: Intervall bei schwerem SHT 18 Monate, Intervall bei leichtem SHT 14 Tage (insgesamt 14 Tage bis 9 Jahre) Pettigrew u. Jankovic JNNP 1985: Krystkowiak et al. JNNP 1998: 4 Wochen bis 7 Monate Lehericy et al. Arch Neurol 1996: Auftreten 3 Monate bis 16 Jahre nach Auftreten der Läsion (Infarkt oder Trauma) unabhängig vom Alter Senel et al. Turk J Cerebrovasc Dis 2015: 3 Wochen bis 12 Jahre nach Schlaganfall 13 Dystonie nach zentralem Trauma Zusammenhangsfaktoren: • Lokalisation der Schädigung Lee u. Marsden 1984; 18 von 33 mit isolierter Thalamusläsion Lee et al. Neurology 1994: 23/29 Fälle nachweisbare Läsionen in den Basalganglien und im Thalamus Tränkle u. Krauss 1997: bei Läsionen im posterioren, lateralen Thalamus Bogousslavski et al. 1988: Läsionen im paramedianen Thalamus Burton et al. 1984; überwiegend Läsion im Putamen Hedreen et al. 1988; Obeso u. Gimenez-Roldan 1988 Bhatia u. Marsden 1994 15/20 mit isolierter Läsion im Putamen; 6 von 43 im Nucl. caudatus Bhatia u. Marsden 17 Fälle mit isolierter (uni-)oder bilateraler GPI Läsion King et al. 2001: überwiegend Läsion im GPI Pettigrew u. Jankovic JNNP 1985 1 Fall mit initial fokaler Dystonie, die sich zu Hemidystonie entwickelte Münchau et al. JNNP 2000 4 Fälle unilateraler GPI Läsion 14 Lee et al. Neurology 1994 15 Tränkle u. Krauss, Nervenarzt 1997 16 Lehericy et al. Arch Neurol 1996 17 King et al. J Neurosurg 2001 18 Münchau et al. JNNP 2000 19 Neychev et al. Neurobiol Disord 2011 20 Andere zentrale Ursachen • Tumoren • Vaskuläre Malformationen (insbesondere Kavernome) • Schlaganfall • Hypoxischem Hirnschaden • Z. n. stereotakt. (Sub-)Thalamotomie (Poewe et al. Mov Disord 1988; Narbona et al. JNNP 1984; Kostic et al. Can J Neurol Sci. 1995) (Lorenzana et al. 1992; Akbostanci et al. 1998, Marsden et al. Brain 1985 [AVM]) (Dooling u. Adams, Brain 1975; Marsden et al. Brain 1985; Pettigrew u. Jankovic JNNP 1985) Disord 2007) Lee u. Marsden Mov Disord 1994) 21 (Bhatt et al. Neurology 1993; Cerovac et al. Mov Pettigrew u. Jancovic JNNP 1985, Posttraumatische Dystonie (Z.n. Verkehrsunfall mit bilateralem Pneumothorax und hypoxischem Hirnschaden (Video: PD. Dr. Brüggemann, Neurol. Univ. Klinik Lübeck) 22 Was tun, wenn keine Läsion im CT oder MRT zu sehen ist ? • FDG-PET • FMRT • VBM • DTI Bislang nur bei primären Dystonien untersucht Problem: In der Regel keine Unterscheidung zwischen Ursache und Effekt! 23 Seltene zentrale Ursachen • Non-ketotische Hyperglykämie, einhergehend mit MR-Hyperdensität (T1) im Putamen/Pallidum (D´Angelo et al. BMJ Case Rep 2013) • Alagille´s Syndrom mit Mangan Neurotoxizität • Hepatische Enzephalopathie (z.B. M. Wilson) • MEGDEL (3-methylglutaconic aciduria with deafness, encephalopathy and Leigh-like) Syndrom u. Mamourian Gastroenterology 1994) (Kozic et al. Neural Regen Res. 2014) (Wortmann et al. Gene Reviews 2014) 24 (Devenyi Zusammenfassung 25 • Posttraumatische Dystonie können sich auch noch Jahre nach einem Trauma entwickeln • Posttraumatische Dystonien weiten sich oft nach dem Trauma aus, überwiegend kontralateral, aber auch bilateral • Der kausale Zusammenhang bei schwerem SHT, initial pathologischer Bildgebung ist einfach, insbesondere bei Läsionen im Thalamus, Pallidum und anderen Basalganglienstrukturen • Bei den meisten beschriebenen Einzelfällen mit traumatischen epiduralen und subduralen Blutungen sind die Dystonien reversibel. • Eine Kausalität nach mildem oder nicht substantiellem SHT herzustellen gelingt nur bei nachweisbarer Läsion in der Bildgebung Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit ! 26