Suffizienz und Zufriedenheit Buddhistische Anregungen für eine Kultur des Genug. Vortrag am 15.1.02016 um 19.00 Uhr im Haus der Religionen in Hannover Manfred Folkers (Dharma-Lehrer, seit 01995 Vorsitzender des Vereins "Achtsamkeit in Oldenburg" und seit 2009 Mitglied des Rates der Deutschen Buddhistischen Union) stellt Anregungen vor, um die heutige von Wachstum und Wettbewerb bestimmte Ökonomie in eine Kultur des Genug zu verwandeln. Ausgehend von einer säkularen Interpretation der Lehre des Buddha werden die Ursachen menschlichen Leids in der gegenwärtigen Wirtschaftsform identifiziert, um ihnen heilsamere Antriebskräfte entgegenzustellen. Mein Vortrag hat den Titel „Suffizienz und Zufriedenheit“. In beiden Begriffen verbirgt sich die Dimension „genug“. Suffizienz bedeutet „materiell genug“; „Zufriedenheit“ bedeutet „geistig-spirituell genug“. Deshalb wären auch Titel möglich gewesen wie: „Genügsamkeit und Resilienz“. Oder „Subsistenz und innerer Friede“. Oder „Zusammenarbeit und Verbundenheit“. In ihrer praktischen Umsetzung führen sie zu „Postwachstum und Samtusta“ bzw. zu einer achtsamen Lebensgestaltung und deren Begründung bzw. Motivation. Deshalb könnte der Untertitel „Buddhistische Anregungen für eine Kultur des Genug“ auch lauten: „Geistig-spirituelle Unterfütterung für eine Suffizienzbzw. Subsistenz-Kultur“. „Geistig-spirituell“ wird dabei „säkular“ aufgefasst. Eine „Kultur des Genug“ lässt sich bodenständig und weltzugewandt, also ohne übernatürliche und jenseitige Vorstellungen begründen. Eine „Ethik des Genug“ benötigt keine religiöse Unterfütterung. Gleichwohl ist es für viele Menschen selbstverständlich und ergiebig, himmlische Kräfte oder ideologische Vorgaben für die Festigung ihrer ethischen Haltung heranzuziehen. Der Dalai Lama hat diese Haltungen so beschrieben: „Es sollte zwei Arten von Spiritualität geben: Eine Spiritualität mit religiösem Glauben und eine Spiritualität ohne religiösen Glauben“. Obwohl wir uns hier im „Haus der Religionen“ befinden, konzentriere ich mich heute auf säkulare Überlegungen. Dieses Vorgehen hat auch der Buddha empfohlen, als er in seiner Rede an das Volk der Kalamer dazu aufforderte, „nicht nach Überlieferungen, … nicht nach erdachten Theorien, … nicht nach der Autorität eines Meisters“ zu gehen. Und er fügte hinzu: „Wenn ihr aber, o Kalamer, selber erkennt: ‘Diese Dinge sind heilsam und untadelig … und, wenn ausgeführt und angenommen, führen sie zu Segen und Wohl‘, dann, o Kalamer, möget ihr sie euch zu eigen machen“. Die Lehre des Buddha (der oder das Dharma) ist nicht an Glaubensvorstellungen orientiert, sondern bevorzugt ein ständiges Hinterfragen und Überprüfen. Diese Handlungsweise hat die buddhistische Nonne Ayya Khema auf die Kurzformel gebracht: „Nicht glauben, sondern erkennen“. Eine 1 ähnliche kurze Aussage lautet: „Das Heilsame tun - das Unheilsame lassen: Das ist die Lehre des Buddha“. Das Dharma ist letztlich nichts anderes als eine Anwendung des gesunden Menschenverstands auf das ganze Leben und das Leben als Ganzes. Dieses Ansinnen mag profan klingen, enthält aber den Versuch, jederzeit und überall das gesamte Dasein des Menschen in dieser Welt bzw. auf dieser Erde umfassend zu betrachten und zu verstehen. Angesichts der vielen Probleme, in der die Menschheit gegenwärtig steckt, scheint eine solche Untersuchung nötiger denn je zu sein. Gerade die Vielzahl dieser Probleme führt eher zu Verwirrung und unkoordiniertem Aktionismus als zu nachhaltigen Lösungen. Gleichzeitig wird die Lage täglich brisanter. Wer genau hinschaut, kann diese Tatsache immer weniger leugnen. Die Anlage 1 siehe unten enthält eine Liste von Bedrohungen und Grenzen, die hochgerechnet jede für sich das gesamte System des gegenwärtigen Zusammenlebens in Frage stellen. Jede dieser Krisen könnte mit einem abendfüllenden Vortrag behandelt werden. Drei von ihnen sollen hervorgehoben werden: 1. Während vor einigen Jahren noch von einem Peak-Öl und einem Peak-Gas die Rede war, wird angesichts der vehementen Plünderung der Vorräte erinnert sei an Ölschiefer, Fracking und Tiefsee-Bohrungen - mittlerweile klar, dass es viel zu viel Öl, Gas, Kohle, Torf usw. gibt. Wenn all diese Ressourcen verbrannt werden, wird sich die Atmosphäre um mehr als 10° C erwärmen. Die meisten dieser Ressourcen dürfen nie gefördert und genutzt werden. Dieses Ziel scheint unter den heutzutage herrschenden Bedingungen unerreichbar zu sein. 2. Stichwort „Bienensterben“. Wer sich anschaut, welcher Aufwand mittlerweile nötig ist, um Bienenvölker gegen die Varroa-Milbe zu schützen, oder wie viel Arbeit - z. B. in China - aufgewendet wird, um Bienen beim Blütenstäuben zu ersetzen, bangt nicht nur um die Bienen, sondern auch um viele Früchte. 3. Durch die Digitalisierung der Arbeitswelt (Stichworte „Arbeit 4.0“ und „Industrie 4.0“) sind offenbar allein in Deutschland in den kommenden Jahren Millionen Arbeitsplätze gefährdet (die Rede ist von bis zu 18 Millionen). Gleichzeitig stellt sich die Frage, wie die erdweit 2 - 3 Milliarden unterbeschäftigten und arbeitslosen Menschen jemals einen Job finden sollen. Immer mehr Menschen wagen eine offene Kritik dieser Zustände. Besonders drastisch hat der Philosoph Peter Sloterdijk sein Ergebnis formuliert: Wir rasen mit Höchstgeschwindigkeit frontal auf eine Betonmauer zu, doch weil der Moment des Aufpralls eine Weile entfernt ist, bleibt man auf dem Gaspedal. Die ethische Dimension hat die ehemalige Bundestagsvizepräsidentin Antje 2 Vollmer auf den Punkt gebracht: Die Art, wie wir leben, ist von jedem nur denkbaren moralisch-ethischen Standpunkt aus gesehen unverantwortlich. Mit diesen Perspektiven konstruktiv umzugehen ist wahrlich nicht leicht. Die häufig entstehende Lähmung hat die amerikanische Systemwissenschaftlerin und Buddhistin Joanna Macy sehr einfühlsam in Worte gefasst: Heute haben wir die Sicherheit verloren, dass wir eine Zukunft haben werden. Und ich glaube, der Verlust dieser Gewissheit ist die zentrale psychologische Realität unserer Zeit. Eine ganze Gesellschaft hängt fest zwischen dem Gefühl von drohender Katastrophe und der Unfähigkeit, sich dieses Gefühl einzugestehen. Wer diese Einsichten annimmt, erlebt sie oft wie eine Art Hammer. Deshalb ist es kein Wunder, wenn viele Menschen nach Ausweichmöglichkeiten suchen. Schließlich trifft die Aussage des Schriftstellers Kurt Tucholsky immer noch zu: Nichts ist schwerer und nichts erfordert mehr Charakter, als sich im offenen Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein! Und so stellt sich die Frage, wieso es so leicht gelingt, die vielen Bedrohungen zu verdrängen. Sind wir denn alle verrückt, wie es Albert Einstein konstatierte: Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu lassen und gleichzeitig zu hoffen, dass sich etwas ändert. Eine Antwort hat der Soziologe Stanley Cohen unter dem Titel „Wissen zwei Fleiß mangelhaft“ gegeben: In einer mit Informationen überfütterten Gesellschaft ist es der Normalzustand, bestimmte Wahrnehmungsebenen zu leugnen … Um ein Problem verdrängen zu können, ist es nötig, seine Existenz und seine moralischen Implikationen bis zu einem gewissen Grad anzuerkennen. Mit dem Widerspruch zwischen Wissen und Handeln wird der Kern des Dilemmas beschrieben, in dem sich die Menschen heutzutage befinden. Dazu ist es nicht nur notwendig, sich dieser Ambivalenz bewusst zu sein, sondern sich über ihre Hintergründe klar zu werden. Diese Ursachenforschung möchte ich nun in einem exemplarischen Durchgang probieren. Die Kriterien dafür liefert mir die Lehre des Buddha. Der Buddha hat seiner Lehre eine klare Richtung gegeben: „Gleichwie das Weltmeer von einem einzigen Geschmacke durchdrungen ist, dem Geschmacke des Salzes: ebenso … ist diese Lehre … von einem einzigen Geschmacke durchdrungen, dem Geschmack der Freiheit.“ Mit dieser Freiheit ist die Befreiung von Leid gemeint. Eine der bekanntesten Aussagen des Dharma besteht aus den sogenannten „Vier Edlen Wahrheiten“. Sie lauten in der derzeitigen Fassung der Deutschen Buddhistischen Union (DBU): 1. Das Leben im Daseinskreislauf ist leidvoll. 3 2. Ursachen des Leidens sind Gier, Hass und Verblendung. 3. Erlöschen die Ursachen, erlischt das Leiden. 4. Zum Erlöschen des Leidens führt der Edle Achtfache Pfad. Insofern hat der Buddha seine Analyse auf Einzelmenschen bezogen. Interessant ist nun, sein Vorgehen auf die Gesellschaft anzuwenden. Dabei zeigt sich zunächst, dass Buddhas Lehre kein Weg in die Innerlichkeit ist und deren Praxis keineswegs im „stillen Kämmerlein“ stattfindet. Dementsprechend hat Erich Fromm in seinem 01976 erschienenen Buch „Haben oder Sein“ betont: „Die Vier Edlen Wahrheiten bilden den Kern der Lehre Buddhas über die allgemeinen menschlichen Existenzbedingungen“. Auch der Ökonom Ernst Friedrich Schumacher beschrieb schon 01973 eine „Buddhistische Wirtschaftslehre“. Und der sozial engagierte Buddhist Sulak Sivaraksa aus Thailand hat im Oktober 02015 in einer Rede vor den Vereinten Nationen darauf hingewiesen, wenn wir interessiert seien, Gier, Hass und Verblendung in uns aufzulösen, sollten wir untersuchen, wie wir aktiv oder passiv dazu beitragen, dass diese drei Gifte in der Gesellschaft aufrechterhalten werden. Um Leiden auf gesellschaftlicher Ebene überwinden zu können, ist eine Analyse notwendig, die bis zum Kern, bis zu den Hintergründen und den oft verborgenen bzw. unterschwelligen Zielen und Absichten vordringt. Wer die Beweggründe, wer die Motive von Problemen nicht kennt, wird keine nachhaltigen Lösungen finden. Der Buddha hat diese Methode in der „Zweiten Wahrheit“ vollzogen und sich dabei auf das Leiden der Menschen konzentriert. Auf gesellschaftliche Krisen übertragen bietet sich ein vierschichtiges Vorgehen an, das von den Erscheinungen zu deren Ursachen voranschreitet: 4. Folgen 3. Handlungen 2. Antriebskräfte 1. Motive In der äußeren Schicht 4 (Folgen) zeigen sich die sichtbaren Ergebnisse. Dazu gehören die vielen Facetten der Umweltschäden, aber auch die Auswirkungen des Klimawandels, der Süßwassermangel, das Artensterben usw. - im Grunde alle eigentlich nicht gewollten Ergebnisse der menschlichen Eingriffe in den Naturhaushalt. Scheinbar gute und sinnvolle Handlungen entpuppen sich - vor allem durch ihre massenhafte Anwendung - als überaus schädlich. Drei Beispiele: 1. Antibiotika schützen Leben, führen aber auf Dauer zu einer Resistenz mit der Gefahr, dass kein Schutz mehr möglich ist. 2. Atomkraft scheint eine vorzügliche Energiequelle zu sein, produziert jedoch hochgiftigen radioaktiven Müll, der nicht sicher entsorgt werden kann. Und wenn Plutonium in bösartige Hände gerät, droht ein Desaster. 4 3. Die an Besitz und Äußerlichkeiten orientierte Konsumgesellschaft führt nicht nur zu sozialen Unterschieden, sondern fördert auch die Vereinzelung. Da die meisten dieser Phänomene das Leben konkret belasten, gilt ihnen oft der Hauptteil der Aufmerksamkeit. Dennoch sind diese Probleme nur Resultate. Ihre Reparatur ist deshalb Makulatur und keine nachhaltig wirksame Lösung. Die Schicht 3 besteht aus den direkten menschlichen Handlungen. Dazu gehören die Verbrennung von Öl und Gas und die Nutzung von Land und Wasser ebenso wie die Anwendung von technischen Errungenschaften. In gewissen Mengen sind menschliche Eingriffe in die Natur sicherlich vertretbar, aber in der heute üblichen Dimension sind sie eine auf Dauer unhaltbare Überlastung. Auch hier gibt es zwar mittlerweile Reparaturversuche durch Energiesparen, Recycling, Renaturierung usw. Diese Maßnahmen führen jedoch ebenfalls zu keinen grundsätzlichen Veränderungen, denn sie werden meistens von Rebound-Effekten, Outsourcing und Selbstbetrug aufgehoben. Verantwortlich für die Beibehaltung der gewohnten Ausrichtung ist die nächste Schicht (2), die sich mit „Antriebskräfte“ überschreiben lässt. Damit sind in erster Linie ökonomische Zielsetzungen gemeint. Auf ihrer Grundlage ist eine Wirtschaftsform entstanden, die sich als „Marktwirtschaft“ oder „industrielle Wachstumsökonomie“ bezeichnet. Sie hat sich im Wechselspiel aus Angebot und Nachfrage gebildet, indem sie die materiellen Wünsche der Menschen aufgreift, anregt und befriedigt. Um dieses Modell zu erhalten, sind ihr mittlerweile alle Mittel recht. Die gegenwärtige Form der Ökonomie ist gefangen in den Zwängen, die sich aus ihren eigenen Antriebskräften ergeben. Neben der ungebremsten Ausbeutung der Natur hat sich auf diese Weise - vor allem in den letzten drei Jahrzehnten - eine hemmungslose Verpfändung der Zukunft ergeben, die sich in einem gigantischen Schuldenberg und in einer exorbitanten Aufblähung der Geldmenge zeigt. Schon länger erzwingt ein System aus Zins und Zinseszins die Notwendigkeit, die Produktion von Waren und die Zirkulation von Geld ständig zu erhöhen. Als eine Mischung aus Wettbewerb, Spekulation und gegenseitigem Übertrumpfen wirkt dieser Bereich der Wirtschaft als Motor, der sich erdweit als Stress, Verdichtung und Fehlleitung bemerkbar macht und zudem die Fahrt in den Abgrund beschleunigt. Die Antriebskräfte der heutigen Lebensweise zeigen sich in ihrer kommerziellen Ausrichtung. Eine Begrenzung oder gar einen Austausch der durch Konkurrenz und Machtstreben beflügelten Antriebskraft „Wachstum“ kann sich dieses ökonomische Modell weder vorstellen noch leisten, weil sie seine Abschaffung beinhaltet. Das Steigerungsspiel sieht sich ohne Alternative. Es kann ohne den Zwang zur Mehrung nicht funktionieren. Das Wachstum darf niemals enden. 5 Es ist aber ein Trugschluss, dass Prinzipien wie Expansion, Wettbewerb und Fehlleitung schon das Zentrum des Dilemmas ausmachen. Hinter ihnen verbergen sich Motive (1), die die innerste Schicht, also den Ausgangspunkt der Probleme bilden. Es gilt, diesen Zusammenhang genauer zu untersuchen. Spätestens hier kommt der Geist des einzelnen Menschen ins Spiel. Schließlich sind Privatbesitz, Marktwirtschaft und Kreditwesen keine Naturgesetze, sondern von Menschen erarbeitete und geregelte Standards. Das Wachstums- und Wettbewerbssystem ist eine mit viel Fantasie entstandene Konstruktion menschlichen Willens. In dieser Art des Wirtschaftens haben sich menschliche Motive, Absichten und Ziele manifestiert. Diesen Kern gilt es zu identifizieren. Dies hat der Buddha getan siehe Anlage 2 , als er auf der Suche nach den Ursachen von Sorgen und Ängsten mit Gier, Hass und Verblendung drei menschliche Eigenschaften entdeckte. Während das Wort „Gier“ prägnant und eingängig ist, lässt sich „Hass“ vielleicht besser als „Gegeneinander“ bezeichnen und mit der Vorstellung eines „Abgetrenntseins“ bzw. „letztlichen Alleinseins“ verstehen. Und der Begriff „Verblendung“ entspricht einer Mischung aus Täuschung und Unwissenheit. „Gier“ lässt sich veranschaulichen mit Phänomenen wie Selbstbezogenheit, Eigensinn, haben bzw. mehr haben wollen, Sehnsucht nach Ruhm und Prestige, Ansprüche, Verlangen, Besitzdenken usw. - „Gegeneinander“ zeigt sich als Freund-Feind-Denken, Wett-Streit, Neid, Stolz, Ablehnung, Arroganz, Abgrenzung usw. und als Gefühl der Vereinzelung und des Wunsches, „mehr haben zu wollen als andere“. - „Täuschung“ schließlich offenbart sich als Polemik, Gleichgültigkeit, Verdrängung, Ablenkung, Halbwissen oder in engstirnigen Einstellungen wie „nicht wahr haben wollen“ bzw. „Haben statt Sein“, „Streben statt Sein“ und „Scheinen statt Sein“. Eine Übertragung der drei Kriterien „Gier, Gegeneinander und Täuschung“ auf die Gesellschaft führt zu ähnlichen Ergebnissen. Sie lassen sich im kulturellen, vor allem aber im ökonomischen Bereich entdecken siehe Anlage 3 . Das Besitzstreben des Einzelnen hat sich zum Gier-Prinzip entwickelt, das sich als Gewinndenken, Profitstreben, Mehrungssucht, Steigerungsspiel, Renditeerwartung, Zinseszins-System, Maximierungswahn, Wachstumszwang usw. zeigt. Als Nebeneffekt entsteht ein permanentes Gefühl des Mangels. Dieses Mangelgefühl unterstützt das Gegeneinander, aus dem sich das Konkurrenz-Prinzip speist, das zu Wettbewerbsdruck, Kampf um Marktanteile, Machtspielen, Hierarchisierung usw. führt. - Täuschung und Unwissenheit schließlich haben sich als Folgenleugnungs-Prinzip verfestigt. Die Erde wird geplündert und die Zukunft verpfändet, aber die Schäden werden bagatellisiert oder gar geleugnet und die Menschen als Waren behandelt. Ins Blickfeld 6 geraten nur extrem kurze Zeiträume und die Oberfläche von Problemen. An den Ursachen wird nicht gerüttelt. Sie gelten als unantastbar. Von einem Endpunkt ist nie die Rede. Und die Kategorie „Genug“ taucht gar nicht erst auf. Historisch gesehen hat sich die Herstellung von Gütern zwar schon immer an der Erfüllung menschlicher Bedürfnisse und Wünsche ausgerichtet. Das wird auch nach einer Wende nicht aufhören. Aber spätestens seit dem 2. Weltkrieg hat sich die Waren-Produktion rasant erhöht und global ausgedehnt. Heutzutage haben sich Mehrung und Gegeneinander weitgehend vom Menschen abgekoppelt und als Antriebskräfte des ökonomischen Bereichs verselbständigt. Durch die Kommerzialisierung von immer mehr Lebensbereichen und einen gigantischen Anstieg des Handels und des Geldkreislaufs haben sie sich zu Gesetzmäßigkeiten verfestigt. Mehr noch: Sie sind zu Dogmen entartet. Diesem Druck können einzelne Menschen nur schwer widerstehen. Auf das Wachstums-Mantra der Wirtschaft (Motto: „Sonst geht’s bergab!“) reagieren sie mit Anpassung („Machen ja alle so!“). Sie werden gezwungen, gierig zu sein, sich konkurrierend zu verhalten und sich um die Folgen nicht selbst zu kümmern, sondern diese einer anonymen Allgemeinheit anzulasten. Auf diese Weise können beide Seiten ihr Eigen-Interesse verbergen und sich als Opfer bzw. Erfüllungsgehilfen des jeweils Anderen sehen. Die Menschen können behaupten: „Gierig? Neidisch? Ich doch nicht! Das System nötigt mich!“ Die Ökonomie entgegnet: „Uns trifft keine Schuld! Die Wirtschaft greift nur die Sehnsucht der Menschen auf, reich und glücklich zu werden!“ Dieses Geschäftsmodell ist kein mittlerer Weg, sondern eine Extrem-Variante. Wer es als „Kapitalismus“ bezeichnet, reduziert Menschen zu Funktionen und Figuren eines Effizienz- und Steigerungsspiels, das sich verselbständigt hat, also der menschlichen Kontrolle weitgehend entglitten ist. Mit dem Begriff „Gier-Wirtschaft“ werden die letztlich von Menschen ausgehenden Energien, die dieses Spiel beflügeln, weitaus präziser benannt. Das exzessive Überschreiten von Grenzen durch diese Lebensweise hat bereits Mahatma Gandhi angeprangert: „Die Welt hat genug für jedermanns Bedürfnisse, aber nicht genug, um die Gier eines Einzelnen zu befriedigen!“ Kein Wunder, dass ein Superreicher auf die Frage, „wie viel genug sei“, ohne Hemmungen antwortet: „Eine Milliarde Dollar muss es schon sein, um die Extras zu finanzieren, das Flugzeug, das Boot … Ich meine, das ist meine Ziffer für das Minimum, auf das ich heruntergehen will --- wenn ich heruntergehe“. Diese Gegebenheiten lassen eine Schlussfolgerung zu: Von sich aus wird sich die Gier-Wirtschaft nicht ändern. Diese Einsicht ergibt sich nicht nur aus den vielen Zwängen, in die sie sich hineinmanövriert hat, sondern auch aus der Tatsache, dass jede Gesellschaft letztlich aus Individuen besteht. Sie sind die 7 eigentlichen Antriebskräfte. Von ihnen gehen die Motive aus. Nur sie sind handlungsfähig. Nur sie sind in der Lage, einen Umschwung herbeizuführen. Der Kulturphilosoph Jean Gebser hat diesen Aspekt präzise ausgedrückt: „Alles, was von irgendwelcher Reichweite sein soll, muss im Einzelnen beginnen und durch den Einzelnen verwirklicht werden. Es gibt keinen anderen Weg der Verwirklichung, es gibt keine Änderung der Institutionen oder der herrschenden Mentalität, es gibt keine wie auch immer geartete Besserung auf welchem auch immer in Betracht gezogenen Gebiete, wenn der Ansatzpunkt zu einer Klärung und zu einer allgemeinen Wandlung nicht in den Einzelnen verlegt wird“. Dieses Phänomen kann gar nicht oft genug hervorgehoben werden. Alle gesellschaftlichen Widersprüche gehen mitten durch jede/n Einzelne/n hindurch. Jede/r ist mitverantwortlich. Jede/r hat einen eigenen Weg zu beschreiten. Und zwar einen Weg, der hilft, einen Weg zu finden, den alle beschreiten können. Ein Weg, der in diesem Falle ein Ausweg ist. Denn wir befinden uns alle in der gleichen Sackgasse. Das liegt daran, dass wir alle gemeinsam auf dem gleichen Planeten leben und diese Erde unser einziges Zuhause ist. Wenn wir auf dem bisherigen Weg bleiben, nähern wir uns einem Crash. Es gilt, vorher die Kurve zu kriegen und eine Wende zu vollziehen. Zumindest dann, wenn dieser Umschwung freiwillig und selbstbestimmt erfolgen soll. Denn kommen wird er auf jeden Fall. Wenn wir so weitermachen wie bisher, wird uns diese Wende aufgezwungen. Wenn wir uns nicht ändern, werden wir geändert. Dieses Überstülpen können wir eigentlich nicht wollen. Ebenso wie wir auf der individuellen Ebene Phänomene wie Leid, Angst und Unglück nicht bewusst und willentlich anstreben, kann der Zusammenbruch der Zivilisation nicht unser Ziel sein. Dennoch deutet zur Zeit vieles darauf hin, dass fast alle Menschen mit Elan und Geisteskraft dabei mithelfen, dieses Ziel zu erreichen, indem sie die simple Tatsache ignorieren, dass auf einem begrenzten Planeten kein unbegrenztes Wachstum möglich ist. Der Menschheit fehlt ein Verständnis dafür, was „genug“ ist und wo die Grenzen des Wachstums liegen. Allerdings bleibt festzuhalten, dass die Angst vor dem Kollaps ein schlechter Ratgeber ist. Angst führt in der Regel nur zum Bestreben, etwas abzuwehren oder zu verhindern. Stattdessen kommt es darauf an, konstruktiv wirkende Beweggründe zu finden. Viel wichtiger als Angst ist eine gute, eine echte, eine auf Dauer wirksame Motivation. Die Suche nach behutsameren Formen des sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Miteinanders sollte nicht aus Furcht vor dem Crash, sondern aus der Attraktivität der neuen Perspektive entstehen. 8 Benötigt wird Resilienz, also eine umfassende psychische und spirituelle Stärke. Eine intellektuell redliche Geisteskraft, die sich aus erkennbaren Motiven speist. Eine innere Einstellung, die keine Beweggründe enthält, die vorgeschrieben sind oder einfach nur geglaubt werden sollen. Eine Lebenshaltung, die dem gesunden Menschenverstand jederzeit zugänglich ist. Eine Weltsicht, die nicht oberflächlich und wankelmütig, sondern tiefgründig ist und jeglicher Überprüfung standhält. Eine nachhaltige Überzeugung, die zeitgemäß ist und einem aufgeklärten, wachen und freien Menschen entspricht. An dieser Stelle kommt wieder das Dharma ins Spiel - zumindest sein säkularer Kern. Denn in seiner weltzugewandten Perspektive zeigt sich die Lehre des Buddha als eine Methode, die eigene Anwesenheit als Mensch umfassend und grundsätzlich zu betrachten, zu verstehen und wertzuschätzen. Eine erfolgreiche Meditationspraxis führt nämlich zur Frage, womit sich der Geist des Menschen beschäftigt, wenn er sich von Ablenkungen befreit hat. Was entdeckt er, wenn zur Besinnung kommt? Schließlich enthält Meditation zwei parallele Aufgaben. Einerseits „Samatha“: Sich entschleunigen, anhalten, stoppen, Körper und Geist beruhigen. Andererseits „Vipassana“: Genau hinschauen, tief betrachten, durchleuchten, analysieren, verstehen. Traditionell empfiehlt das Dharma den Blick nach innen, allerdings mit dem Hinweis, dass gerade auf diese Weise die gesamte Welt betrachtet und verstanden werden kann. Der Buddha hat dieses Phänomen folgendermaßen ausgedrückt: „Ich verkündige, Freund, dass in diesem eine Armspanne großen Körper mit seinem Wahrnehmen und Denken die Welt liegt, die Entstehung der Welt, die Aufhebung der Welt und der Weg zur Aufhebung der Welt“. Bei der Erforschung des Körpers, der Gefühle, Wahrnehmungen, Geistesformationen und des Bewusstseins ist der Buddha auf drei universelle Merkmale des Daseins gestoßen. Das erste Merkmal - Anitya - ist unmittelbar einsichtig, denn es bedeutet Unbeständigkeit. Der Kosmos ist nicht statisch, sondern ein Prozess. Bewegung ist die Grundlage des Weltgeschehens. Ohne Wandel ist Leben nicht möglich; aus einem Kirschkern könnte kein Baum, aus einem Baby keine schöne Frau werden. Und der Urknall wäre im Ansatz stecken geblieben. Das zweite Merkmal - Anatman - (in der Regel mit „Nicht-Selbst“ übersetzt) soll ausdrücken, dass alles ohne eigenständiges Selbst ist. Kein Ding oder Wesen kann aus sich selbst heraus bzw. allein für sich existieren. Dank seiner individuellen Einmaligkeit und der sich daraus ergebenden Perspektive ist der Mensch zwar versucht, sich ein „Selbst“ einzubilden, doch bei genauem Hinsehen wird klar, dass seine Existenz abhängig ist vom Vorhandensein des gesamten Universums. Begriffe wie „wechselseitiges Bedingtsein“ und 9 „gegenseitiges Durchdrungensein“ veranschaulichen dieses Kennzeichen, das als „Verbundenheit“ verstanden werden kann und selbstverständlich Raum und Zeit umfasst. Die moderne Neuro-Wissenschaft bestätigt diese Auffassung. Ein unabhängig existierendes eigenständiges „Ego-Ich-Selbst“ ist nicht auffindbar. Insofern ist Anatman gleichbedeutend mit nicht-getrennt. Das dritte Merkmal - Nirvana - ist sprachlich nicht zu erfassen. Entsprechend vielfältig sind derartige Versuche. Zwei Richtungen lassen sich hervorheben. Zunächst ist Nirvana weder Objekt noch Subjekt. Um seine grundsätzliche Neutralität und Zeichen- und Substanzlosigkeit anzudeuten, eignen sich Hinweise auf Ruhe, Stille, Leere und Nicht-Angst. Obwohl eigentlich ohne Eigenschaften gilt Nirvana als Glückseligkeit und Ziel der Dharma-Praxis. Die Deutsche Buddhistische Union verwendet die Formel „Nirvana ist Frieden“. Von hier aus lässt sich „Nirvana“ auch als „Grund des Seins“ bezeichnen, um zu verdeutlichen, dass Menschen sich zwar oft als Wellen sehen, aber immerzu auch Wasser sind. Dementsprechend kann „Nirvana“ auch als „Erlöschen aller Vorstellungen“ verstanden werden. „Nirvana“ bedeutet dann auch das Ende allen Leids. Im Dharma wird davon ausgegangen, dass der Buddha „Nirvana“ erreicht und aus dieser Erfahrung seine Lehre entwickelt hat. Im Umkehrschluss bedeutet dies: Wer das Buddha-Dharma verwirklicht, wird selbst ein Buddha, erreicht „Nirvana“ und befreit sich vom Leiden. Meine Lieblingsdefinition für Nirvana lautet „Offene Weite - nichts von heilig“. Wer sich dem Nirvana statt meditativ lieber intellektuell oder wissenschaftlich nähern möchte, sollte sich mit Quantenphysik und der Heisenbergschen Unschärfe-Relation beschäftigen. Auf Grundlage dieser Merkmale, die den weltanschaulichen Kern des Dharma ausmachen, hat sich der Buddha den leidhaften Aspekten des Lebens gewidmet, die durch ihre unmittelbare Erfahrbarkeit ständig ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken. Für ihre Überwindung hat er einen “Achtfachen Pfad“ vorgeschlagen: Vollkommene Ansicht, Absicht, Rede, Tat, Lebensweise, Bemühung, Achtsamkeit und Sammlung. Oder in Verben ausgedrückt: Denken, mögen, sprechen, handeln, wirken, üben, achten und sein. Da diese Pfade weder eine Reihen- noch eine Rangfolge enthalten, sondern immer als Gesamtaufgabe verstanden werden, ist eine zusammenfassende Veranschaulichung erlaubt. Wenn es um Alternativen zu Gier, Gegeneinander und Täuschung geht, stehen viele menschliche Begabungen als Antriebskräfte und Motive zur Verfügung. Hier eine kleine Auswahl Anlage 4 links : Wer Eigennutz und Besitzdenken überwinden möchte, sollte Fähigkeiten wie Wohlwollen, Behutsamkeit, Entschleunigung, Großzügigkeit, Selbstlosigkeit, Genügsamkeit, Natürlichkeit usw. praktizieren, also einen „Mittleren Weg“ einschlagen, der angesichts des heutigen Mainstreams wie eine Nebenstrecke 10 aussieht, aber mit Suffizienz überschrieben und mit den Worten: „Genug! Es reicht! Ich befreie mich vom Überfluss!“ erläutert werden kann. Als Alternative zum ständigen Wettstreit und zur Vereinzelung kann auf Eigenschaften wie Fürsorge, Freundlichkeit, Wohlwollen, Anteilnahme, Versöhnung usw. zurückgegriffen werden. Derartige Antriebskräfte ergeben sich vor allem aus der Einsicht in die Verbundenheit mit allen und allem. Als Alternativen für Haltungen wie Gleichgültigkeit und Ablenkung stehen Qualitäten wie Anwesenheit, intellektuelle Redlichkeit, Verständnis, Vertrauen, Resilienz usw. zur Verfügung. Diese Kräfte können mit Achtsamkeit überschrieben werden, also dem bewussten gelassenen Annehmen aller gegenwärtigen Erfahrungen. Auf Dauer im Alltag angewendet führen diese Fähigkeiten zur Entwicklung von Integrität und Zufriedenheit. Das Auffinden und Benennen dieser Antriebskräfte und Fähigkeiten mag ziemlich leicht erscheinen - derartige Qualitäten und Motive konsequent und umfassend umzusetzen ist es jedoch nicht. Eine entscheidende Rolle spielt dabei das gesellschaftliche Umfeld. Bevor auf diese Rahmenbedingungen eingegangen werden kann, sind allerdings einige Vorbemerkungen nötig. Das wechselseitige Durchdrungensein und die unbedingte Verbundenheit mit allem bestätigt, dass Menschen soziale Wesen sind. Jede Innenschau ist gleichzeitig ein Blick in die Mitwelt. Unter meditativen, also von Konzentration, Aufrichtigkeit und Anteilnahme bestimmten Bedingungen gerät deshalb unweigerlich auch das Drama der heutigen Lebensweise ins Blickfeld. Ob mit oder ohne Meditation, ob mit oder ohne Hilfe des Dharma: Immer mehr Menschen erkennen die Sackgasse, in der die Menschheit steckt. Sie spüren den nahenden Kollaps und leiden darunter. Manche nutzen dieses Gefühl als Kraftquelle für die Suche nach einem Ausweg. Diese Motivation ist jedoch zwiespältig, da ein „Nein“ zum Bestehenden immer noch dessen Vorgaben enthält. Hauptmotiv sollte deshalb nicht die Abwehrhaltung gegenüber dem Wachstumssystem, sondern die Anziehungskraft der Postwachstumskultur sein. Die Gegenüberstellung von „Desaster“ und „Design“, von „Ende“ oder „Wende“, von „Katastrophe“ oder „Weltrettung“ durchstößt zwar die allzu bunte Oberfläche des Konsumismus und dringt zum Antriebszentrum des Steigerungsspiels vor. Die Identifizierung der unheilsamen Spielregeln sollte es eigentlich schwieriger machen, mit voller Kraft im gewohnten Trott weiter zu agieren, denn wer jetzt nicht stoppt, beteiligt sich ganz bewusst an der Herbeiführung eines Kollapses. Mit anderen Worten: Diese Einsicht sollte eigentlich dazu führen, sich ab sofort und ständig für eine Wende einzusetzen. Seltsamerweise wird diese Drehung selten vollzogen. Trotz klarer Fakten entscheiden sich nur wenige Menschen für eine Umkehr. Warum machen so 11 viele im alten Trott weiter? Als Antwort kann nur wiederholt werden: Weil die Widersprüche mitten durch jeden einzelnen Menschen hindurchgehen. Der Schriftsteller Bernward Vesper hat sich an diesem Dilemma schon vor über 40 Jahren abgearbeitet: „Die Sache ist, dass sie es von Geburt an mit Dir machen, Du aber dreißig werden musst, bis Du merkst, dass sie es mir Dir gemacht haben. Good Night!“. - Schon rund ein halbes Jahrhundert vorher hat Ödön von Horvàth diese Ambivalenz präzise ausgedrückt: Eigentlich bin ich ganz anders, nur komme ich so selten dazu. - In seinem 02014 erschienenen Buch „Gesellschaft der Angst“ hat der Soziologe Heinz Bude diesen Zwiespalt als Frage formuliert: „Wovor haben Sie mehr Angst: Nicht mehr mitspielen zu dürfen oder immer weiter mitspielen zu müssen?“ Unter diesen Rahmenbedingungen ist es nicht leicht, ehrlich in den Spiegel zu schauen. Wer weiß, dass der Weg falsch bzw. eine Sackgasse ist, hat eigentlich sofort umzukehren oder abzubiegen. Dennoch ist trotz dieser Widersprüche und Unsicherheiten eines klar: Individuen sind in der Lage, sich von Antriebskräften wie Gier, Gegeneinander und Täuschung zu befreien - das ökonomische System jedoch nicht. Die Kategorie „Genug“ ist der Gier-Wirtschaft wesensfremd, denn dieses System wird von Vorgaben beherrscht wie „Expansion“, „Wachstum“ und „T.I.N.A. - There Is No Alternative“. Auf diesem Hintergrund wird deutlich, dass es zwar richtig ist, auf „das System“ zu schimpfen, aber letztlich kommt es auf jeden einzelnen Menschen an. Es nützt nichts: Alle haben sich an die eigene Nase zu fassen. So ist der Titel des Hauptwerks von Peter Sloterdijk zu verstehen: „Du musst dein Leben ändern“. Dass es letztlich Menschen sind, die die gegenwärtige und auch die zukünftige Ökonomie verwirklichen, enthält mindestens zwei optimistische Ausblicke: 1. Die Behauptung „T.I.N.A.“ („Es gibt keine Alternative“) lässt sich als Lüge entlarven. Weil die Marktwirtschaft eine kulturelle Übereinkunft ist, kann sie auch wieder geändert werden - mit menschlicher Energie und Tatkraft. 2. Würde und Integrität, also die Fähigkeit, ohne Scheu aufrichtig in den Spiegel zu schauen, sind in den von Geschäftsinteressen bestimmten wirtschaftlichen (und dementsprechend auch in vielen menschlichen) Beziehungen verloren gegangen. Sie können bei einer Umgestaltung der ökonomischen Verhältnisse zurück gewonnen werden, wenn sich das Motto durchgesetzt hat: „Eigentlich bin ich ganz anders - endlich komme ich wieder dazu!“ Auf dem Hintergrund dieser Vorbemerkungen und Einschränkungen ist es erlaubt, einige Ergebnisse der Suche nach „alternativen gesellschaftlichen Antriebskräften und Motiven“ vorzustellen Anlage 5 rechts . 12 Im gesellschaftlichen Bereich ist die Benennung von Wende-Motiven vor allem deshalb so schwierig, weil es neben der subjektiven Interpretation des Lebens und der Weltlage auch vielfältige regionale und historisch gewachsene Unterschiede gibt. Schließlich ist es nicht das Gleiche, ob ein Mensch in Norwegen oder im Kongo geboren ist, in einem Slum oder einem Reichenghetto lebt, eine akademische Ausbildung hat oder Analphabet ist usw. Einige Tendenzen lassen sich jedoch aufzeigen - gerade auch auf Grundlage des Dharma. Statt Gewinnmaximierung, Wachstumsdogma und kommerzieller Verwurstung aller Lebensbereiche sollten Nachhaltigkeit, Ausgewogenheit, Genügsamkeit, das Einhalten von Grenzen, ein Mittlerer Weg usw. angestrebt werden. Auf Dauer angewendet werden sie in eine von Verantwortung und Toleranz geprägte Kultur des Genug bzw. eine Suffizienz-Kultur führen. Mit Hilfe von Kontakt, Kooperation, Wertschätzung usw. und der Beherzigung der Formel „global denken - lokal handeln“ kann ein Ende des KonkurrenzPrinzips und des Macht- und Monopolstrebens eingeläutet und eine Ethik begründet werden, die von Nähe und einer unbedingten Verbundenheit ausgeht. Während zur Zeit Schäden verharmlost werden und schon die mittelfristige Zukunft kaum eine Rolle spielt, sollte eine Wende auf der Grundlage einer achtsamen Zufriedenheit agieren und mit Hilfe von Vernunft, Transparenz, Wissenschaft, Unvoreingenommenheit, Ganzheitlichkeit, Gerechtigkeit usw. versuchen, der Erde und den kommenden Generationen eine Stimme zu geben. Wer es etwas anschaulicher haben möchte, sollte sich mit Captain Picard im Raumschiff „Enterprise“ ins 25. Jahrhundert begeben. In 400 Jahren wird nach Meinung des Captains folgende Motivlage vorherrschend sein: „Der Erwerb von Reichtum ist nicht mehr die treibende Kraft in unserem Leben. Wir arbeiten, um uns selbst zu verbessern und den Rest der Menschheit“. Dieser Ausblick führt zu einer Bitte an die Volks- und Betriebswirtschaft der Gegenwart. Heutzutage sind es das Mehrungs-Dogma, das Konkurrenz-Prinzip und die Missachtung der Folgewirkungen, die das ökonomische System zusammenhalten und anfeuern. Hintergrund aller Forschungen im Bereich Ökonomie sollte deshalb die Frage sein, welche Motive, Kräfte und Handlungsgründe die Unternehmen der Zukunft, also die PostwachstumsÖkonomie erfolgreich antreiben sollen - und zwar auf Dauer und global. Es scheint so, dass immer mehr Menschen auf eine Antwort auf diese Frage warten … wahrscheinlich sogar einige Leute in Frankfurt oder an der Wall Street. Wenn auf der individuellen und auf der gesellschaftlichen Ebene die gleichen Beweggründe (Kurzformel: Gier, Gegeneinander und Täuschung) als Ursachen der Probleme identifiziert werden, ergibt auch die Suche nach Alternativen gleichartige Lösungen. Die Anlagen 4 und 5 können nebeneinandergelegt als 13 Zylinder gesehen werden. Suffizienz, Verbundenheit und Zufriedenheit sind die Orientierungen, in denen sich Individuen und die Gesellschaft treffen und übereinstimmen. Sie sind die Kern-Motive und Antriebskräfte für eine Wende. Mit Hilfe von Mäßigung, Zusammengehörigkeit und Achtsamkeit lässt sich eine Lebensweise gestalten, die nicht nur von der Einsicht ausgeht, dass alle Menschen in einem Boot sitzen und die Erde ihr einziges Zuhause ist. Dieser kleine blaue Planet bietet zwar beste Voraussetzungen für ein glückliches Leben. Aber nur wenn sorgsam und genügsam mit diesem Angebot umgegangen wird, lässt sich dauerhaft eine Zufriedenheit erreichen, die auch in materieller Hinsicht ohne Gefühle wie Verzicht und Enthaltsamkeit auskommt. Ein tiefgehend begründetes, ein bewusst gemachtes Gefühl für „genug“ ist die zentrale Voraussetzung, um „zufrieden“ zu sein. Auf diese Weise kann „Verzicht“ als ein von der Gier-Wirtschaft gepuschtes Konzept entlarvt werden, das das Ergebnis einer durch Vergleichen und Bewerten gepuschten Fehlleitung ist. Zufriedenheit stellt sich durch die praktische Beantwortung der Frage nach dem menschlichen Maß und dem Beschreiten eines mittleren Weges ein. Ein derartiger Umgang mit der Welt führt zu einer Ethik des Genug. Der individuelle Anteil an ihr ist eine universelle Verantwortung, die den „kategorischen Imperativ“ umsetzt, den der Philosoph Hans Jonas ausformuliert hat Folie 11 : „Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlungen verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden“. Der gesellschaftliche Anteil an einer derart begründeten Kultur des Genug ist das Bestreben, Freiheit, Gleichheit und Geschwisterlichkeit auf eine Weise zu verwirklichen, die es allen Menschen ermöglicht, ein von liebender Güte, Mitgefühl, Freude und Gleichmut durchdrungenes Leben zu führen. Diese vier Geisteszustände werden im Dharma als „Brahmaviharas“ bezeichnet. Suffizienz, Verbundenheit und achtsame Zufriedenheit sind mehr als ein „Nein“ zu den Ursachen des bevorstehenden Desasters. Sie beinhalten tief verankerte Energiequellen, die enorm viel Kreativität und Produktivität freisetzen. Sie führen zu einer konstruktiven Perspektive, weil sie Unaufrichtigkeiten entlarven und Lähmungen überwinden. Sie fördern eine Kultur des Genug, weil sie Erwartungen und Erfahrungen, Geist und Engagement, Theorie und Praxis auf eine jederzeit überprüfbare Art und Weise miteinander verknüpfen. Die im Schema bereits genannten Motive für den Aufbau von Alternativen lassen sich durch zahlreiche Beispiele und Leitlinien konkretisieren. Besonders erfreulich sind dabei die vielen konkreten Projekte und Konzepte, mit denen bereits experimentiert wird. Ob in Agenda-21- oder Transition-TownGruppen, ob in der Occupy- oder der Genossenschafts-Bewegung, ob in RepairCafés oder auf Degrowth-Kongressen, ob unter dem Leitgedanken „Commons“ 14 oder als solidarische, ökologische, subsistenzorientierte, Postwachstums- oder Gemeinwohl-Ökonomie - immer mehr Menschen möchten dazu beitragen, einen Wandel in Richtung einer Kultur des Genug zu initiieren bzw. zu verwirklichen. Obwohl sie ein Nischendasein führen, verdienen derlei Initiativen allein schon deshalb Beachtung und Unterstützung, weil sie auf Alternativen hinweisen. Mit der Vogel-Strauß-Haltung T.I.N.A. stellt sich die Gier-Ökonomie nämlich ein Armutszeugnis aus, denn es ist eine unfassbare Schande, einen Plan B nicht einmal zu erwägen. Trunken vor Freude über die mit dem Ende des Sozialismus erfolgte globale Expansion und eingelullt von der Buntheit ihrer ÜberflussProduktion unterwirft sich die sogenannte freie Marktwirtschaft dem Diktat der Wachstums-Maschinerie. Ohne Rücksicht auf die Auswirkungen auf die Biosphäre und auf nachfolgende Generationen jubiliert sie siegestrunken in einer Art Parallelwelt, während sie gleichzeitig jovial und tolldreist mit voller Kraft an den Ästen sägt, auf denen sie sitzt. Es wird Zeit, dass weltweit alle Volks- und Betriebswirtschafts-Studiengänge sich vorrangig mit den Konsequenzen einer Abschaffung des Mehrungsdogmas beschäftigen. Aber auch die Alternativ-Modelle stehen auf tönernen Füßen, denn sie agieren noch innerhalb der Steigerungsspiels. Die Wende wird von Menschen probiert, die im Wachstums-Umfeld erzogen wurden. Sie sind anfällig für die Effizienz und Funktionsfähigkeit des Mehrungswesens. Häufig gibt es große Unterschiede zwischen Anspruch und Wirklichkeit, die sich vor allem im privaten Umgang in einem drastisch überhöhten ökologischen Fußabdruck (Flugreisen, PKW, große Wohnung, Hobbies usw.) zeigen. Schon jede/r Durchschnitts-Deutsche übertrifft den zulässigen ökologischen Fußabdruck um das Vier- bis Fünffache. Hinzu kommen Etikettenschwindel (z. B. in Bezug auf die Umsetzung des Anspruchs „Nachhaltigkeit“ oder der Ausfüllung des Konzepts eines „Green New Deal“) oder die Nutzung der Kreativität der Alternativ-Szene für eine persönliche Karriere. Eine objektive oder allgemeingültige Definition, was oder wie viel „genug“ ist, gibt es nicht. Möglich und sinnvoll ist ein individueller Katalog auf der Basis einer achtsamen Zufriedenheit. Hier eine Auswahl meiner persönlichen Liste: Ich brauche keine Reizüberflutung, kein digitales Dauer-Bombardement, keine Verschleiß-Produktion, keine Kreuzfahrtschiffe, keine Wegwerf-Mentalität, keinen Freizeitstress, keine Atomkraftwerke, keine soziale Ungleichheit, keine beheizbare Klobrille usw. Und ich weiß genau, wo ich mehr und wo ich weniger inkonsequent bin und wo mir Hilfe willkommen ist und wo nicht. Schwierig ist es, anderen Menschen etwas vorzuschlagen oder sogar vorzuschreiben. Schließlich ist jede/r auf einem individuellen Weg. Deshalb möchte ich mich auf einige auf den ersten Blick etwas provokativ erscheinende Hinweise beschränken, die jedoch alle das Element „Freiwilligkeit“ enthalten. 15 1. Es ist ein Unding, dass es im Zeitalter der Globalisierung keine Erdregierung gibt. Die UNO ist schwach wie selten, das Vorbild Europa bröckelt zur Zeit nur die multinationale Konzernokratie gedeiht und die internationale FinanzMafia treibt die Nationalstaaten und damit letztlich auch die Menschheit vor sich her - immer hurtiger in Richtung Untergang. Alle Menschen sind Bürger/innen dieser einen Erde, die eine von allen gewählte Regierung benötigt. 2. Eine der ersten Taten dieser Erdregierung sollte die Verabschiedung einer Formel sein, die überall bei jeder Hochzeit zeitgleich mit dem Ja-Wort als Appell an das Hochzeitspaar verlesen wird: „Im Namen der Menschheit bitten wir Euch, Euren Kinderwunsch auf ein Kind zu begrenzen“. 3. Global denken? Na klar! Lokal handeln? Ja bitte! Um diese Einstellungen zusammenzuführen, genügen zwei einfache Maßnahmen: Es sollte erdweit auf jeden Liter Öl, auf jeden cm3 Gas und auf jedes Kilo Kohle ein Cent Steuer erhoben werden sowie eine Abgabe von ein pro Mille auf jede FinanzTransaktion. Mit diesen Einnahmen wäre die Erdregierung sofort mit genügend Mitteln ausgestattet, um Hunger und Elend zu besiegen und den Aufbau einer Postwachstums-Gesellschaft vorzubereiten und deren Ausbau zu organisieren. 4. Statt einer Uhr sollte jeder Mensch ein Gerät am Handgelenk tragen, das den eigenen ökologischen Fußabdruck ständig misst. Bei vielen Deutschen wird dieses Instrument schon auf der Fahrt zur Arbeit eine Übertretung anzeigen. 5. Ebenfalls erdweit sollte ein Rentenjahr in die Jugend- und Ausbildungszeit vorgezogen werden, um vor dem Start ins Berufsleben eine arbeits- und stressfreie Phase für eine innere und äußere Orientierung nutzen zu können. Es ist klar, dass eine Suffizienz-Kultur keine Askese beinhaltet. Im Gegenteil. Wer für eine Überwindung der Gier-Wirtschaft plädiert, möchte das Verschwinden der vielen Errungenschaften verhindern, die die Menschheit vor allem in den vergangenen 150 Jahren entwickelt hat. Zweifellos befinden wir uns in einer Art „Goldenem Zeitalter“ - vor allem, was die Entwicklung der geistigen und schöpferischen Fähigkeiten angeht. Hinsichtlich des Verbrauchs von materiellen Mitteln hat dies zu erheblichen Übertreibungen geführt. Sie sind auf ein zukunftsfähiges Maß zurückzuführen. Die Erfolge in den Bereichen Wissenschaft, Technik, Bewusstsein, Kommunikation, soziale Fürsorge usw. sollten jedoch unbedingt erhalten bleiben. Denn sie - und nicht die Zirkulation von Waren und Ressourcen - sind das Spielfeld für ein gutes Leben. Eigentlich dürfte es keinerlei Absichten und Taten geben, die bewirken, diese Errungenschaften wieder zu verlieren. Das hat auch Schumacher in seinem Buch „Small is beautiful“ so gemeint, als er „Klugheit“ als „die Umformung wahrer Erkenntnisse in wirklichkeitsgerechte Entscheidungen“ bezeichnete und ergänzte, dass sich 16 „Klugheit nur vervollkommnen lässt durch eine Haltung ‘stiller Betrachtung‘ der Wirklichkeit, in deren Verlauf die ichbezogenen Interessen des Menschen zumindest zeitweilig verstummen. Nur auf der Grundlage dieser großzügigen Art von Klugheit können wir Gerechtigkeit, Tapferkeit und temperantia erreichen, was bedeutet, dass man weiß, wann es genug ist“. „Temperantia“ ist die vierte der vier platonischen Kardinaltugenden im Sinne von „Maß“ und „Mäßigung“. Im Dharma gibt es dafür den Begriff „Samtusta“, das Nicht-nach-etwasVerlangen. Der aus Vietnam stammende Dharma-Lehrer Thich Nhat Hanh beschreibt diese Haltung so: „… dass wir mit unseren Lebensbedingungen, so wie sie sind, zufrieden sind. Wir haben bereits genügend Bedingungen, um glücklich zu sein. Wenn Sie achtsam sind, brauchen Sie auch nicht mehr. Dann fühlen Sie sich sicher und wissen … dass Sie nicht der Zukunft entgegeneilen müssen, um dort noch ein paar Bedingungen mehr zu ergattern.“ Der bereits erwähnte und durch sein Buch „Das Prinzip Verantwortung“ bekannt gewordene Philosoph Hans Jonas war 1992 kurz vor seinem Tod der Auffassung, dass die Philosophie „eine neue Seinslehre erarbeiten muss. In der sollte die Stellung des Menschen im Kosmos und sein Verhältnis zur Natur im Zentrum der Meditation stehen“. Dieser Wunsch drückt aus, dass die Erde und die Zukunft sich nicht selbst gegen die Vorgehensweise der Menschheit wehren können. Mein Vortrag ist deshalb auch als ein kleiner Versuch zu verstehen, der Erde und der Zukunft eine Stimme zu geben. Dieses Ansinnen führt mich zu einer persönlichen Schlussbemerkung. Meines Erachtens ist eine Trennung von Spiritualität und Engagement nicht möglich weder im sozialen noch im ökologischen, weder im ökonomischen noch im politischen Bereich. Alle Kulturen enthalten auf allen Ebenen eine spirituelle Dimension. Diese hat sich gegenwärtig ideologisch verfestigt als eine Mischung aus Konsumismus, Rivalität und der stillschweigenden Übereinkunft, die Folgen zu leugnen und die Natur und die Zukunft auszubeuten. Eine zentrale Aufgabe der bevorstehenden Wende bzw. der Kultur des Genug besteht darin, diese gefährliche Einstellung durch unvoreingenommene und gleichzeitig alle heilsamen Kräfte integrierende Geisteshaltungen zu ersetzen. Gerade in diesem Bereich kann die Lehre des Buddha ohne religiöse Vorgaben in einer säkularen Welt für eine geistige Unterfütterung sorgen. Deshalb ist das Dharma besonders auch für atheistisch oder agnostisch eingestellte Menschen gut geeignet, das es ohne Konstrukte wie Gott und Seele auskommt. Für Christen, Muslime usw. können buddhistische Praktiken und Einsichten zu einer gegenwartsbezogenen Vertiefung und Stärkung ihres Glaubens führen. Indem das Dharma als Kraftquelle für ein soziales und ökologisches Engagement angewendet wird, kann sie Ausgangspunkt der Diskussion über 17 „Resilienz“ sein. Resilienz im Sinne einer geistig-psychischen Widerstandskraft ist für den bevorstehenden Übergang in eine Postwachstums-Kultur unerlässlich. Darüber hinaus schlägt das Dharma etliche praktische Methoden vor, um ganz und wach jetzt hier zu sein und integer zu leben, z. B. Entschleunigung, Meditation, Achtsamkeit und Geistesschulung. Auf diese Weise bietet das Dharma für eine zukünftige Wirtschaftsform zahlreiche attraktive ethische Orientierungen und kann sie tiefgehend begründen und stabilisieren. Als eine von Ruhe und genauem Hinschauen geprägte Anwendung des gesunden Menschenverstands auf das ganze Leben und das Leben als Ganzes ist die Lehre des Buddha ein fruchtbarer Boden für eine Kultur des Genug, die Suffizienz mit Zufriedenheit verbindet und beide in die Gegenwart holt. Dass diese Verbundenheit von Tiefe und Verständnis geprägt ist, möchte ich nun mit einer kleinen geführten Meditation aufzeigen. Sie wird in der Sangha des buddhistischen Mönchs Thich Nhat Hanh praktiziert und kombiniert Mitgefühl und Weisheit, indem ein ganz bewusster Kontakt mit der Erde hergestellt wird. Diese „Berührung der Erde“ kann z. B. in drei Stufen erfolgen. 18 Hier der Text der dritten Erdberührung. Ich berühre die Erde und lasse die Vorstellung los, dass ich dieser Körper bin und meine Lebenszeit begrenzt ist. Ich erkenne, dass dieser Körper, der aus den vier Elementen besteht, nicht wirklich ich ist, und dass ich nicht durch diesen Körper begrenzt bin. Ich bin Teil eines Lebensstroms von spirituellen und leiblichen Vorfahren, die seit Tausenden von Jahren in die Gegenwart fließt und für Tausende von Jahren in die Zukunft fließen wird. Ich bin eins mit meinen Vorfahren, ich bin eins mit allen Menschen und allen Wesen, ob sie nun friedlich und furchtlos oder voller Leid und Angst sind. In diesem Augenblick bin ich überall auf diesem Planeten gegenwärtig; ich bin auch in der Vergangenheit und in der Zukunft gegenwärtig. Die Auflösung dieses Körpers berührt mich nicht, genau so, wie das Herabfallen einer Pflaumenblüte nicht das Ende des Pflaumenbaums bedeutet. Ich sehe mich als Welle auf der Oberfläche des Meeres. Meine Natur ist das Wasser des Meeres. Ich erkenne mich in allen anderen Wellen und ich sehe alle anderen Wellen in mir. Das Erscheinen und Verschwinden der Form der Welle beeinflusst das Meer nicht. Mein Dharmakörper und mein Weisheitsleben sind nicht Geburt und Tod unterworfen. Ich erkenne, dass ich bereits gegenwärtig war, bevor mein Körper sich manifestierte, und dass ich gegenwärtig sein werde, nachdem sich mein Körper aufgelöst hat. Ich erkenne, dass ich selbst in diesem Augenblick woanders existiere als nur in diesem Körper. Siebzig oder achtzig Jahre sind nicht meine Lebenszeit. Meine Lebenszeit, wie auch die Lebenszeit eines Blattes oder eines Buddha, ist unbegrenzt. Ich habe die Vorstellung hinter mir gelassen, dass ich ein Körper bin, der in Raum und Zeit von allen anderen Formen des Lebens getrennt ist. Es gibt keinen Weg zum Genug - genug ist der Weg. Es gibt keinen Weg zur Zufriedenheit - Zufriedenheit ist der Weg. Es gibt keinen Weg zur Suffizienz - Suffizienz ist der Weg Mögen alle Wesen zufrieden sein. Manfred Folkers, Oldenburg 15. Januar 02016 19 Weiterführende Literatur und Links (Auswahl): Niko Paech: Befreiung vom Überfluss - Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie; München 02012 Robert & Edward Skidelsky: Wie viel ist genug? München 02013 Serge Latouche: Es reicht! Abrechnung mit dem Wachstumswahn; München 2015 Ernst Friedrich Schumacher: Small is beautiful - Die Rückkehr zum menschlichen Maß; Reinbek 01976 Harald Welzer / Klaus Wiegandt: Wege aus der Wachstumsgesellschaft; Frankfurt 02013 Manfred Folkers: Achtsamkeit und Entschleunigung - Für einen heilsamen Umgang mit Mensch und Welt; Berlin 02003 Manfred Folkers: Gib deiner Zeit mehr Leben - Entschleunigung als Weg zum Glück; Freiburg 02005 Thich Nhat Hanh: Das Herz von Buddhas Lehre; Freiburg 01999 Thich Nhat Hanh: Mit dem Herzen verstehen; Zürich 01989 David R. Loy: Erleuchtung Evolution Ethik - Ein neuer buddhistischer Pfad; Berlin 02015 Stephen Batchelor: Bekenntnisse eines ungläubigen Buddhisten - Eine spirituelle Suche; München 02010 www.achtsamkeit-in-ol.de www.postwachstumsoekonomie.org www.buddhismus-deutschland.de 20 Anlage 1 Bedrohungen - Grenzen - Krisen Klimawandel (globale Erwärmung durch zu viel CO2, Methan etc.) - Es gibt zu viel Öl, Gas, Kohle, Torf usw. - Methan-Freisetzung durch - auftauende Permafrostböden - industrielle Landwirtschaft - Methan-Hydrate am Meeresboden usw. - Meeresversauerung, Meeresspiegelanstieg usw. Engpässe - Seltene Metalle, Sand usw. - landwirtschaftliche Nutzflächen - Süßwasser Artensterben (Bienen, Wirbeltiere, Pflanzenvielfalt etc.) Humusrückgang Überbevölkerung Waldzerstörung Flüchtlinge Menschliche Eingriffe in Naturprozesse - Bodenversiegelung - Pestizid-Abhängigkeit - Antibiotika-Resistenz - Gen-Manipulation - Radioaktivität (Bomben, AKWs, Plutonium …) - Massentierhaltung - Automatisierung, Digitalisierung (Roboter, Überwachung etc.) Ökonomische Zwänge etc. - Wachstum, Konkurrenz, Folgenleugnung - Zukunftsverpfändung - Zins und Zinseszins - Geldmenge Soziale Ungleichheit und Ungerechtigkeiten Stress - Verdichtung - Fehlleitung Vereinzelung Überfütterung mit Daten und Meinungen ………… 21 Anlage 2 Individueller Bereich andere Worte für diese Antriebskräfte und Motive Ursachen von individ. Leid (Angst, Sorgen) ------------------------------------------------------------------Selbstbezogenheit Eigennutz; -sinn Wünsche; Sehnsucht Besitzdenken Haben wollen und Gier mehr haben wollen Ruhm / Prestige Ansprüche; Verlangen --------------------------------------------------------------------Mehr als andere haben wollen; (Wett-) Streiten Freund-Feind-Denken Siegen wollen; Neid Vereinzelung; Stolz Ablehnung; Abneigung Gegeneinander Trennung („Hass“) ---------------------------------------------------------------------Polemik; Apathie Gleichgültigkeit Halbwissen; Ablenkung Oberflächlichkeit Engstirnigkeit Nicht wahr haben wollen Täuschung Unwissenheit („Verblendung“) 22 Anlage 3 Gesellschaftlicher Bereich Ursachen gesellschaftl. „Leids“ (Krisen etc.) andere Worte für diese Antriebskräfte und Motive --------------------------------------------------------------------- GierPrinzip Profitstreben, Mehrung Gewinn-Maximierung Rendite-Erwartungen Zinseszins-System Steigerungsspiel Wachstumsdogma kommerzielle Verwurstung ---------------------------------------------------------------------- Konkurrenz -Prinzip Wettbewerbsdruck Übertrumpfen Monopolstreben Verdrängung Kampf um Marktanteile Hierarchie / Macht ------------------------------------------------------------------------ FolgenleugnungsPrinzip Fehlleitung Erde plündern Zukunft verpfänden Schäden bagatellisieren Menschen als Ware Ungleichheit nur kurze Zeit im Blick 23 Anlage 4 Individueller Bereich Kurzwort alternative Antriebskräfte und Motive andere Worte für diese Antriebskräfte und Motive Ursachen von individ. Leid (Angst, Sorgen) -------------------------------------------------------------------------------------Genug = Suffizienz Loslassen Wohlwollen Mitgefühl Natürlichkeit Behutsamkeit Zufriedenheit Großzügigkeit Entschleunigung Selbstbezogenheit Eigennutz; -sinn Wünsche; Sehnsucht Besitzdenken Haben wollen und mehr haben wollen Ruhm / Prestige Ansprüche; Verlangen Gier ---------------------------------------------------------------------------------Verbundenheit Miteinander Versöhnung Fürsorge Hilfsbereitschaft Gleichmut Freundlichkeit Mehr als andere haben wollen; (Wett-) Streiten Freund-Feind-Denken Siegen wollen; Neid Vereinzelung; Stolz Ablehnung; Abneigung Gegeneinander Trennung („Hass“) -----------------------------------------------------------------------------------------achtsame Zufriedenheit Präsenz Integrität intellektuelle Redlichkeit Verständnis Vertrauen Resilienz Polemik; Apathie Gleichgültigkeit Halbwissen; Ablenkung Oberflächlichkeit Engstirnigkeit Nicht wahr haben wollen Täuschung Unwissenheit („Verblendung“) 24 Anlage 5 Gesellschaftlicher Bereich Ursachen gesell- andere Worte für diese schaftl. „Leids“ Antriebskräfte (Krisen etc.) und Motive alternative Antriebskräfte und Motive Kurzwort ----------------------------------------------------------------------------------------------- GierPrinzip Profitstreben, Mehrung Gewinn-Maximierung Rendite-Erwartungen Zinseszins-System Steigerungsspiel Wachstumsdogma kommerz. Verwurstung Genügsamkeit Mittlerer Weg Nachhaltigkeit Ausgewogenheit Verantwortung Grenzen einhalten Vielfalt; Toleranz Genug = Suffi zienz ---------------------------------------------------------------------------------------------- Konkurrenz -Prinzip Wettbewerbsdruck Übertrumpfen Monopolstreben Verdrängung Kampf um Marktanteile Hierarchie / Macht gemeinsam Kooperation „global denken - lokal handeln“ Wertschätzung Nähe; Kontakt Verbundenheit ---------------------------------------------------------------------------------------------- FolgenleugnungsPrinzip Fehlleitung Erde plündern Zukunft verpfänden Schäden bagatellisieren Menschen als Ware Ungleichheit nur kurze Zeit im Blick Gerechtigkeit achtWissenschaft same Ganzheitlichkeit Vernunft; unvor- Zufrieeingenommen denheit zukunftsfähig Transparenz 25