Suffizienz und Zufriedenheit

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Suffizienz und Zufriedenheit
Buddhistische Anregungen für eine Kultur des Genug.
Vortrag am 15.1.02016 um 19.00 Uhr im Haus der Religionen in Hannover
Manfred Folkers (Dharma-Lehrer, seit 01995 Vorsitzender des Vereins
"Achtsamkeit in Oldenburg" und seit 2009 Mitglied des Rates der Deutschen
Buddhistischen Union) stellt Anregungen vor, um die heutige von Wachstum
und Wettbewerb bestimmte Ökonomie in eine Kultur des Genug zu verwandeln.
Ausgehend von einer säkularen Interpretation der Lehre des Buddha werden
die Ursachen menschlichen Leids in der gegenwärtigen Wirtschaftsform
identifiziert, um ihnen heilsamere Antriebskräfte entgegenzustellen.
Mein Vortrag hat den Titel „Suffizienz und Zufriedenheit“. In beiden Begriffen
verbirgt sich die Dimension „genug“. Suffizienz bedeutet „materiell genug“;
„Zufriedenheit“ bedeutet „geistig-spirituell genug“. Deshalb wären auch Titel
möglich gewesen wie: „Genügsamkeit und Resilienz“. Oder „Subsistenz und
innerer Friede“. Oder „Zusammenarbeit und Verbundenheit“. In ihrer
praktischen Umsetzung führen sie zu „Postwachstum und Samtusta“ bzw. zu
einer achtsamen Lebensgestaltung und deren Begründung bzw. Motivation.
Deshalb könnte der Untertitel „Buddhistische Anregungen für eine Kultur des
Genug“ auch lauten: „Geistig-spirituelle Unterfütterung für eine Suffizienzbzw. Subsistenz-Kultur“. „Geistig-spirituell“ wird dabei „säkular“ aufgefasst.
Eine „Kultur des Genug“ lässt sich bodenständig und weltzugewandt, also ohne
übernatürliche und jenseitige Vorstellungen begründen. Eine „Ethik des Genug“
benötigt keine religiöse Unterfütterung. Gleichwohl ist es für viele Menschen
selbstverständlich und ergiebig, himmlische Kräfte oder ideologische Vorgaben
für die Festigung ihrer ethischen Haltung heranzuziehen.
Der Dalai Lama hat diese Haltungen so beschrieben: „Es sollte zwei Arten von
Spiritualität geben: Eine Spiritualität mit religiösem Glauben und eine
Spiritualität ohne religiösen Glauben“. Obwohl wir uns hier im „Haus der
Religionen“ befinden, konzentriere ich mich heute auf säkulare Überlegungen.
Dieses Vorgehen hat auch der Buddha empfohlen, als er in seiner Rede an das
Volk der Kalamer dazu aufforderte, „nicht nach Überlieferungen, … nicht nach
erdachten Theorien, … nicht nach der Autorität eines Meisters“ zu gehen. Und
er fügte hinzu: „Wenn ihr aber, o Kalamer, selber erkennt: ‘Diese Dinge sind
heilsam und untadelig … und, wenn ausgeführt und angenommen, führen sie zu
Segen und Wohl‘, dann, o Kalamer, möget ihr sie euch zu eigen machen“.
Die Lehre des Buddha (der oder das Dharma) ist nicht an
Glaubensvorstellungen orientiert, sondern bevorzugt ein ständiges Hinterfragen
und Überprüfen. Diese Handlungsweise hat die buddhistische Nonne Ayya
Khema auf die Kurzformel gebracht: „Nicht glauben, sondern erkennen“. Eine
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ähnliche kurze Aussage lautet: „Das Heilsame tun - das Unheilsame lassen:
Das ist die Lehre des Buddha“. Das Dharma ist letztlich nichts anderes als eine
Anwendung des gesunden Menschenverstands auf das ganze Leben und das
Leben als Ganzes.
Dieses Ansinnen mag profan klingen, enthält aber den Versuch, jederzeit und
überall das gesamte Dasein des Menschen in dieser Welt bzw. auf dieser Erde
umfassend zu betrachten und zu verstehen. Angesichts der vielen Probleme, in
der die Menschheit gegenwärtig steckt, scheint eine solche Untersuchung
nötiger denn je zu sein. Gerade die Vielzahl dieser Probleme führt eher zu
Verwirrung und unkoordiniertem Aktionismus als zu nachhaltigen Lösungen.
Gleichzeitig wird die Lage täglich brisanter. Wer genau hinschaut, kann diese
Tatsache immer weniger leugnen. Die Anlage 1 siehe unten enthält eine Liste
von Bedrohungen und Grenzen, die hochgerechnet jede für sich das gesamte
System des gegenwärtigen Zusammenlebens in Frage stellen.
Jede dieser Krisen könnte mit einem abendfüllenden Vortrag behandelt werden.
Drei von ihnen sollen hervorgehoben werden:
1. Während vor einigen Jahren noch von einem Peak-Öl und einem Peak-Gas
die Rede war, wird angesichts der vehementen Plünderung der Vorräte erinnert sei an Ölschiefer, Fracking und Tiefsee-Bohrungen - mittlerweile klar,
dass es viel zu viel Öl, Gas, Kohle, Torf usw. gibt. Wenn all diese Ressourcen
verbrannt werden, wird sich die Atmosphäre um mehr als 10° C erwärmen. Die
meisten dieser Ressourcen dürfen nie gefördert und genutzt werden. Dieses Ziel
scheint unter den heutzutage herrschenden Bedingungen unerreichbar zu sein.
2. Stichwort „Bienensterben“. Wer sich anschaut, welcher Aufwand
mittlerweile nötig ist, um Bienenvölker gegen die Varroa-Milbe zu schützen,
oder wie viel Arbeit - z. B. in China - aufgewendet wird, um Bienen beim
Blütenstäuben zu ersetzen, bangt nicht nur um die Bienen, sondern auch um
viele Früchte.
3. Durch die Digitalisierung der Arbeitswelt (Stichworte „Arbeit 4.0“ und
„Industrie 4.0“) sind offenbar allein in Deutschland in den kommenden Jahren
Millionen Arbeitsplätze gefährdet (die Rede ist von bis zu 18 Millionen).
Gleichzeitig stellt sich die Frage, wie die erdweit 2 - 3 Milliarden
unterbeschäftigten und arbeitslosen Menschen jemals einen Job finden sollen.
Immer mehr Menschen wagen eine offene Kritik dieser Zustände. Besonders
drastisch hat der Philosoph Peter Sloterdijk sein Ergebnis formuliert: Wir rasen
mit Höchstgeschwindigkeit frontal auf eine Betonmauer zu, doch weil der
Moment des Aufpralls eine Weile entfernt ist, bleibt man auf dem Gaspedal. Die
ethische Dimension hat die ehemalige Bundestagsvizepräsidentin Antje
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Vollmer auf den Punkt gebracht: Die Art, wie wir leben, ist von jedem nur
denkbaren moralisch-ethischen Standpunkt aus gesehen unverantwortlich.
Mit diesen Perspektiven konstruktiv umzugehen ist wahrlich nicht leicht. Die
häufig entstehende Lähmung hat die amerikanische Systemwissenschaftlerin
und Buddhistin Joanna Macy sehr einfühlsam in Worte gefasst: Heute haben
wir die Sicherheit verloren, dass wir eine Zukunft haben werden. Und ich
glaube, der Verlust dieser Gewissheit ist die zentrale psychologische Realität
unserer Zeit. Eine ganze Gesellschaft hängt fest zwischen dem Gefühl von
drohender Katastrophe und der Unfähigkeit, sich dieses Gefühl einzugestehen.
Wer diese Einsichten annimmt, erlebt sie oft wie eine Art Hammer. Deshalb ist
es kein Wunder, wenn viele Menschen nach Ausweichmöglichkeiten suchen.
Schließlich trifft die Aussage des Schriftstellers Kurt Tucholsky immer noch zu:
Nichts ist schwerer und nichts erfordert mehr Charakter, als sich im offenen
Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein!
Und so stellt sich die Frage, wieso es so leicht gelingt, die vielen Bedrohungen
zu verdrängen. Sind wir denn alle verrückt, wie es Albert Einstein konstatierte:
Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu lassen und
gleichzeitig zu hoffen, dass sich etwas ändert.
Eine Antwort hat der Soziologe Stanley Cohen unter dem Titel „Wissen zwei Fleiß mangelhaft“ gegeben: In einer mit Informationen überfütterten
Gesellschaft ist es der Normalzustand, bestimmte Wahrnehmungsebenen zu
leugnen … Um ein Problem verdrängen zu können, ist es nötig, seine Existenz
und seine moralischen Implikationen bis zu einem gewissen Grad
anzuerkennen.
Mit dem Widerspruch zwischen Wissen und Handeln wird der Kern des
Dilemmas beschrieben, in dem sich die Menschen heutzutage befinden. Dazu ist
es nicht nur notwendig, sich dieser Ambivalenz bewusst zu sein, sondern sich
über ihre Hintergründe klar zu werden. Diese Ursachenforschung möchte ich
nun in einem exemplarischen Durchgang probieren. Die Kriterien dafür liefert
mir die Lehre des Buddha.
Der Buddha hat seiner Lehre eine klare Richtung gegeben: „Gleichwie das
Weltmeer von einem einzigen Geschmacke durchdrungen ist, dem Geschmacke
des Salzes: ebenso … ist diese Lehre … von einem einzigen Geschmacke
durchdrungen, dem Geschmack der Freiheit.“ Mit dieser Freiheit ist die
Befreiung von Leid gemeint.
Eine der bekanntesten Aussagen des Dharma besteht aus den sogenannten „Vier
Edlen Wahrheiten“. Sie lauten in der derzeitigen Fassung der Deutschen
Buddhistischen Union (DBU):
1. Das Leben im Daseinskreislauf ist leidvoll.
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2. Ursachen des Leidens sind Gier, Hass und Verblendung.
3. Erlöschen die Ursachen, erlischt das Leiden.
4. Zum Erlöschen des Leidens führt der Edle Achtfache Pfad.
Insofern hat der Buddha seine Analyse auf Einzelmenschen bezogen.
Interessant ist nun, sein Vorgehen auf die Gesellschaft anzuwenden. Dabei zeigt
sich zunächst, dass Buddhas Lehre kein Weg in die Innerlichkeit ist und deren
Praxis keineswegs im „stillen Kämmerlein“ stattfindet. Dementsprechend hat
Erich Fromm in seinem 01976 erschienenen Buch „Haben oder Sein“ betont:
„Die Vier Edlen Wahrheiten bilden den Kern der Lehre Buddhas über die
allgemeinen menschlichen Existenzbedingungen“. Auch der Ökonom Ernst
Friedrich Schumacher beschrieb schon 01973 eine „Buddhistische
Wirtschaftslehre“. Und der sozial engagierte Buddhist Sulak Sivaraksa aus
Thailand hat im Oktober 02015 in einer Rede vor den Vereinten Nationen
darauf hingewiesen, wenn wir interessiert seien, Gier, Hass und Verblendung in
uns aufzulösen, sollten wir untersuchen, wie wir aktiv oder passiv dazu
beitragen, dass diese drei Gifte in der Gesellschaft aufrechterhalten werden.
Um Leiden auf gesellschaftlicher Ebene überwinden zu können, ist eine
Analyse notwendig, die bis zum Kern, bis zu den Hintergründen und den oft
verborgenen bzw. unterschwelligen Zielen und Absichten vordringt. Wer die
Beweggründe, wer die Motive von Problemen nicht kennt, wird keine
nachhaltigen Lösungen finden. Der Buddha hat diese Methode in der „Zweiten
Wahrheit“ vollzogen und sich dabei auf das Leiden der Menschen konzentriert.
Auf gesellschaftliche Krisen übertragen bietet sich ein vierschichtiges Vorgehen
an, das von den Erscheinungen zu deren Ursachen voranschreitet:
4. Folgen
3. Handlungen
2. Antriebskräfte
1. Motive
In der äußeren Schicht 4 (Folgen) zeigen sich die sichtbaren Ergebnisse. Dazu
gehören die vielen Facetten der Umweltschäden, aber auch die Auswirkungen
des Klimawandels, der Süßwassermangel, das Artensterben usw. - im Grunde
alle eigentlich nicht gewollten Ergebnisse der menschlichen Eingriffe in den
Naturhaushalt. Scheinbar gute und sinnvolle Handlungen entpuppen sich - vor
allem durch ihre massenhafte Anwendung - als überaus schädlich.
Drei Beispiele: 1. Antibiotika schützen Leben, führen aber auf Dauer zu einer
Resistenz mit der Gefahr, dass kein Schutz mehr möglich ist.
2. Atomkraft scheint eine vorzügliche Energiequelle zu sein, produziert jedoch
hochgiftigen radioaktiven Müll, der nicht sicher entsorgt werden kann. Und
wenn Plutonium in bösartige Hände gerät, droht ein Desaster.
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3. Die an Besitz und Äußerlichkeiten orientierte Konsumgesellschaft führt nicht
nur zu sozialen Unterschieden, sondern fördert auch die Vereinzelung.
Da die meisten dieser Phänomene das Leben konkret belasten, gilt ihnen oft der
Hauptteil der Aufmerksamkeit. Dennoch sind diese Probleme nur Resultate.
Ihre Reparatur ist deshalb Makulatur und keine nachhaltig wirksame Lösung.
Die Schicht 3 besteht aus den direkten menschlichen Handlungen. Dazu
gehören die Verbrennung von Öl und Gas und die Nutzung von Land und
Wasser ebenso wie die Anwendung von technischen Errungenschaften. In
gewissen Mengen sind menschliche Eingriffe in die Natur sicherlich vertretbar,
aber in der heute üblichen Dimension sind sie eine auf Dauer unhaltbare
Überlastung. Auch hier gibt es zwar mittlerweile Reparaturversuche durch
Energiesparen, Recycling, Renaturierung usw. Diese Maßnahmen führen jedoch
ebenfalls zu keinen grundsätzlichen Veränderungen, denn sie werden meistens
von Rebound-Effekten, Outsourcing und Selbstbetrug aufgehoben.
Verantwortlich für die Beibehaltung der gewohnten Ausrichtung ist die nächste
Schicht (2), die sich mit „Antriebskräfte“ überschreiben lässt. Damit sind in
erster Linie ökonomische Zielsetzungen gemeint. Auf ihrer Grundlage ist eine
Wirtschaftsform entstanden, die sich als „Marktwirtschaft“ oder „industrielle
Wachstumsökonomie“ bezeichnet. Sie hat sich im Wechselspiel aus Angebot
und Nachfrage gebildet, indem sie die materiellen Wünsche der Menschen
aufgreift, anregt und befriedigt. Um dieses Modell zu erhalten, sind ihr
mittlerweile alle Mittel recht. Die gegenwärtige Form der Ökonomie ist
gefangen in den Zwängen, die sich aus ihren eigenen Antriebskräften ergeben.
Neben der ungebremsten Ausbeutung der Natur hat sich auf diese Weise - vor
allem in den letzten drei Jahrzehnten - eine hemmungslose Verpfändung der
Zukunft ergeben, die sich in einem gigantischen Schuldenberg und in einer
exorbitanten Aufblähung der Geldmenge zeigt. Schon länger erzwingt ein
System aus Zins und Zinseszins die Notwendigkeit, die Produktion von Waren
und die Zirkulation von Geld ständig zu erhöhen. Als eine Mischung aus
Wettbewerb, Spekulation und gegenseitigem Übertrumpfen wirkt dieser Bereich
der Wirtschaft als Motor, der sich erdweit als Stress, Verdichtung und
Fehlleitung bemerkbar macht und zudem die Fahrt in den Abgrund
beschleunigt.
Die Antriebskräfte der heutigen Lebensweise zeigen sich in ihrer
kommerziellen Ausrichtung. Eine Begrenzung oder gar einen Austausch der
durch Konkurrenz und Machtstreben beflügelten Antriebskraft „Wachstum“
kann sich dieses ökonomische Modell weder vorstellen noch leisten, weil sie
seine Abschaffung beinhaltet. Das Steigerungsspiel sieht sich ohne Alternative.
Es kann ohne den Zwang zur Mehrung nicht funktionieren. Das Wachstum darf
niemals enden.
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Es ist aber ein Trugschluss, dass Prinzipien wie Expansion, Wettbewerb und
Fehlleitung schon das Zentrum des Dilemmas ausmachen. Hinter ihnen
verbergen sich Motive (1), die die innerste Schicht, also den Ausgangspunkt der
Probleme bilden. Es gilt, diesen Zusammenhang genauer zu untersuchen.
Spätestens hier kommt der Geist des einzelnen Menschen ins Spiel. Schließlich
sind Privatbesitz, Marktwirtschaft und Kreditwesen keine Naturgesetze, sondern
von Menschen erarbeitete und geregelte Standards. Das Wachstums- und
Wettbewerbssystem ist eine mit viel Fantasie entstandene Konstruktion
menschlichen Willens. In dieser Art des Wirtschaftens haben sich menschliche
Motive, Absichten und Ziele manifestiert. Diesen Kern gilt es zu identifizieren.
Dies hat der Buddha getan siehe Anlage 2 , als er auf der Suche nach den
Ursachen von Sorgen und Ängsten mit Gier, Hass und Verblendung drei
menschliche Eigenschaften entdeckte. Während das Wort „Gier“ prägnant und
eingängig ist, lässt sich „Hass“ vielleicht besser als „Gegeneinander“
bezeichnen und mit der Vorstellung eines „Abgetrenntseins“ bzw. „letztlichen
Alleinseins“ verstehen. Und der Begriff „Verblendung“ entspricht einer
Mischung aus Täuschung und Unwissenheit.
„Gier“ lässt sich veranschaulichen mit Phänomenen wie Selbstbezogenheit,
Eigensinn, haben bzw. mehr haben wollen, Sehnsucht nach Ruhm und Prestige,
Ansprüche, Verlangen, Besitzdenken usw. - „Gegeneinander“ zeigt sich als
Freund-Feind-Denken, Wett-Streit, Neid, Stolz, Ablehnung, Arroganz,
Abgrenzung usw. und als Gefühl der Vereinzelung und des Wunsches, „mehr
haben zu wollen als andere“. - „Täuschung“ schließlich offenbart sich als
Polemik, Gleichgültigkeit, Verdrängung, Ablenkung, Halbwissen oder in
engstirnigen Einstellungen wie „nicht wahr haben wollen“ bzw. „Haben statt
Sein“, „Streben statt Sein“ und „Scheinen statt Sein“.
Eine Übertragung der drei Kriterien „Gier, Gegeneinander und Täuschung“ auf
die Gesellschaft führt zu ähnlichen Ergebnissen. Sie lassen sich im kulturellen,
vor allem aber im ökonomischen Bereich entdecken siehe Anlage 3 .
Das Besitzstreben des Einzelnen hat sich zum Gier-Prinzip entwickelt, das sich
als
Gewinndenken,
Profitstreben,
Mehrungssucht,
Steigerungsspiel,
Renditeerwartung, Zinseszins-System, Maximierungswahn, Wachstumszwang
usw. zeigt. Als Nebeneffekt entsteht ein permanentes Gefühl des Mangels. Dieses Mangelgefühl unterstützt das Gegeneinander, aus dem sich das
Konkurrenz-Prinzip speist, das zu Wettbewerbsdruck, Kampf um Marktanteile,
Machtspielen, Hierarchisierung usw. führt. - Täuschung und Unwissenheit
schließlich haben sich als Folgenleugnungs-Prinzip verfestigt. Die Erde wird
geplündert und die Zukunft verpfändet, aber die Schäden werden bagatellisiert
oder gar geleugnet und die Menschen als Waren behandelt. Ins Blickfeld
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geraten nur extrem kurze Zeiträume und die Oberfläche von Problemen. An den
Ursachen wird nicht gerüttelt. Sie gelten als unantastbar. Von einem Endpunkt
ist nie die Rede. Und die Kategorie „Genug“ taucht gar nicht erst auf.
Historisch gesehen hat sich die Herstellung von Gütern zwar schon immer an
der Erfüllung menschlicher Bedürfnisse und Wünsche ausgerichtet. Das wird
auch nach einer Wende nicht aufhören. Aber spätestens seit dem 2. Weltkrieg
hat sich die Waren-Produktion rasant erhöht und global ausgedehnt. Heutzutage
haben sich Mehrung und Gegeneinander weitgehend vom Menschen
abgekoppelt und als Antriebskräfte des ökonomischen Bereichs verselbständigt.
Durch die Kommerzialisierung von immer mehr Lebensbereichen und einen
gigantischen Anstieg des Handels und des Geldkreislaufs haben sie sich zu
Gesetzmäßigkeiten verfestigt. Mehr noch: Sie sind zu Dogmen entartet.
Diesem Druck können einzelne Menschen nur schwer widerstehen. Auf das
Wachstums-Mantra der Wirtschaft (Motto: „Sonst geht’s bergab!“) reagieren sie
mit Anpassung („Machen ja alle so!“). Sie werden gezwungen, gierig zu sein,
sich konkurrierend zu verhalten und sich um die Folgen nicht selbst zu
kümmern, sondern diese einer anonymen Allgemeinheit anzulasten.
Auf diese Weise können beide Seiten ihr Eigen-Interesse verbergen und sich als
Opfer bzw. Erfüllungsgehilfen des jeweils Anderen sehen. Die Menschen
können behaupten: „Gierig? Neidisch? Ich doch nicht! Das System nötigt
mich!“ Die Ökonomie entgegnet: „Uns trifft keine Schuld! Die Wirtschaft greift
nur die Sehnsucht der Menschen auf, reich und glücklich zu werden!“
Dieses Geschäftsmodell ist kein mittlerer Weg, sondern eine Extrem-Variante.
Wer es als „Kapitalismus“ bezeichnet, reduziert Menschen zu Funktionen und
Figuren eines Effizienz- und Steigerungsspiels, das sich verselbständigt hat,
also der menschlichen Kontrolle weitgehend entglitten ist.
Mit dem Begriff „Gier-Wirtschaft“ werden die letztlich von Menschen
ausgehenden Energien, die dieses Spiel beflügeln, weitaus präziser benannt. Das
exzessive Überschreiten von Grenzen durch diese Lebensweise hat bereits
Mahatma Gandhi angeprangert: „Die Welt hat genug für jedermanns
Bedürfnisse, aber nicht genug, um die Gier eines Einzelnen zu befriedigen!“
Kein Wunder, dass ein Superreicher auf die Frage, „wie viel genug sei“, ohne
Hemmungen antwortet: „Eine Milliarde Dollar muss es schon sein, um die
Extras zu finanzieren, das Flugzeug, das Boot … Ich meine, das ist meine Ziffer
für das Minimum, auf das ich heruntergehen will --- wenn ich heruntergehe“.
Diese Gegebenheiten lassen eine Schlussfolgerung zu: Von sich aus wird sich
die Gier-Wirtschaft nicht ändern. Diese Einsicht ergibt sich nicht nur aus den
vielen Zwängen, in die sie sich hineinmanövriert hat, sondern auch aus der
Tatsache, dass jede Gesellschaft letztlich aus Individuen besteht. Sie sind die
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eigentlichen Antriebskräfte. Von ihnen gehen die Motive aus. Nur sie sind
handlungsfähig. Nur sie sind in der Lage, einen Umschwung herbeizuführen.
Der Kulturphilosoph Jean Gebser hat diesen Aspekt präzise ausgedrückt:
„Alles, was von irgendwelcher Reichweite sein soll, muss im Einzelnen
beginnen und durch den Einzelnen verwirklicht werden. Es gibt keinen anderen
Weg der Verwirklichung, es gibt keine Änderung der Institutionen oder der
herrschenden Mentalität, es gibt keine wie auch immer geartete Besserung auf
welchem auch immer in Betracht gezogenen Gebiete, wenn der Ansatzpunkt zu
einer Klärung und zu einer allgemeinen Wandlung nicht in den Einzelnen
verlegt wird“.
Dieses Phänomen kann gar nicht oft genug hervorgehoben werden. Alle
gesellschaftlichen Widersprüche gehen mitten durch jede/n Einzelne/n
hindurch. Jede/r ist mitverantwortlich. Jede/r hat einen eigenen Weg zu
beschreiten. Und zwar einen Weg, der hilft, einen Weg zu finden, den alle
beschreiten können. Ein Weg, der in diesem Falle ein Ausweg ist.
Denn wir befinden uns alle in der gleichen Sackgasse. Das liegt daran, dass wir
alle gemeinsam auf dem gleichen Planeten leben und diese Erde unser einziges
Zuhause ist. Wenn wir auf dem bisherigen Weg bleiben, nähern wir uns einem
Crash. Es gilt, vorher die Kurve zu kriegen und eine Wende zu vollziehen.
Zumindest dann, wenn dieser Umschwung freiwillig und selbstbestimmt
erfolgen soll. Denn kommen wird er auf jeden Fall. Wenn wir so weitermachen
wie bisher, wird uns diese Wende aufgezwungen. Wenn wir uns nicht ändern,
werden wir geändert. Dieses Überstülpen können wir eigentlich nicht wollen.
Ebenso wie wir auf der individuellen Ebene Phänomene wie Leid, Angst und
Unglück nicht bewusst und willentlich anstreben, kann der Zusammenbruch der
Zivilisation nicht unser Ziel sein. Dennoch deutet zur Zeit vieles darauf hin,
dass fast alle Menschen mit Elan und Geisteskraft dabei mithelfen, dieses Ziel
zu erreichen, indem sie die simple Tatsache ignorieren, dass auf einem
begrenzten Planeten kein unbegrenztes Wachstum möglich ist. Der Menschheit
fehlt ein Verständnis dafür, was „genug“ ist und wo die Grenzen des
Wachstums liegen.
Allerdings bleibt festzuhalten, dass die Angst vor dem Kollaps ein schlechter
Ratgeber ist. Angst führt in der Regel nur zum Bestreben, etwas abzuwehren
oder zu verhindern. Stattdessen kommt es darauf an, konstruktiv wirkende
Beweggründe zu finden. Viel wichtiger als Angst ist eine gute, eine echte, eine
auf Dauer wirksame Motivation. Die Suche nach behutsameren Formen des
sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Miteinanders sollte nicht aus Furcht
vor dem Crash, sondern aus der Attraktivität der neuen Perspektive entstehen.
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Benötigt wird Resilienz, also eine umfassende psychische und spirituelle Stärke.
Eine intellektuell redliche Geisteskraft, die sich aus erkennbaren Motiven speist.
Eine innere Einstellung, die keine Beweggründe enthält, die vorgeschrieben
sind oder einfach nur geglaubt werden sollen. Eine Lebenshaltung, die dem
gesunden Menschenverstand jederzeit zugänglich ist. Eine Weltsicht, die nicht
oberflächlich und wankelmütig, sondern tiefgründig ist und jeglicher
Überprüfung standhält. Eine nachhaltige Überzeugung, die zeitgemäß ist und
einem aufgeklärten, wachen und freien Menschen entspricht.
An dieser Stelle kommt wieder das Dharma ins Spiel - zumindest sein säkularer
Kern. Denn in seiner weltzugewandten Perspektive zeigt sich die Lehre des
Buddha als eine Methode, die eigene Anwesenheit als Mensch umfassend und
grundsätzlich zu betrachten, zu verstehen und wertzuschätzen.
Eine erfolgreiche Meditationspraxis führt nämlich zur Frage, womit sich der
Geist des Menschen beschäftigt, wenn er sich von Ablenkungen befreit hat.
Was entdeckt er, wenn zur Besinnung kommt? Schließlich enthält Meditation
zwei parallele Aufgaben. Einerseits „Samatha“: Sich entschleunigen, anhalten,
stoppen, Körper und Geist beruhigen. Andererseits „Vipassana“: Genau
hinschauen, tief betrachten, durchleuchten, analysieren, verstehen.
Traditionell empfiehlt das Dharma den Blick nach innen, allerdings mit dem
Hinweis, dass gerade auf diese Weise die gesamte Welt betrachtet und
verstanden werden kann. Der Buddha hat dieses Phänomen folgendermaßen
ausgedrückt: „Ich verkündige, Freund, dass in diesem eine Armspanne großen
Körper mit seinem Wahrnehmen und Denken die Welt liegt, die Entstehung der
Welt, die Aufhebung der Welt und der Weg zur Aufhebung der Welt“.
Bei der Erforschung des Körpers, der Gefühle, Wahrnehmungen,
Geistesformationen und des Bewusstseins ist der Buddha auf drei universelle
Merkmale des Daseins gestoßen.
Das erste Merkmal - Anitya - ist unmittelbar einsichtig, denn es bedeutet
Unbeständigkeit. Der Kosmos ist nicht statisch, sondern ein Prozess. Bewegung
ist die Grundlage des Weltgeschehens. Ohne Wandel ist Leben nicht möglich;
aus einem Kirschkern könnte kein Baum, aus einem Baby keine schöne Frau
werden. Und der Urknall wäre im Ansatz stecken geblieben.
Das zweite Merkmal - Anatman - (in der Regel mit „Nicht-Selbst“ übersetzt)
soll ausdrücken, dass alles ohne eigenständiges Selbst ist. Kein Ding oder
Wesen kann aus sich selbst heraus bzw. allein für sich existieren. Dank seiner
individuellen Einmaligkeit und der sich daraus ergebenden Perspektive ist der
Mensch zwar versucht, sich ein „Selbst“ einzubilden, doch bei genauem
Hinsehen wird klar, dass seine Existenz abhängig ist vom Vorhandensein des
gesamten Universums. Begriffe wie „wechselseitiges Bedingtsein“ und
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„gegenseitiges Durchdrungensein“ veranschaulichen dieses Kennzeichen, das
als „Verbundenheit“ verstanden werden kann und selbstverständlich Raum und
Zeit umfasst. Die moderne Neuro-Wissenschaft bestätigt diese Auffassung. Ein
unabhängig existierendes eigenständiges „Ego-Ich-Selbst“ ist nicht auffindbar.
Insofern ist Anatman gleichbedeutend mit nicht-getrennt.
Das dritte Merkmal - Nirvana - ist sprachlich nicht zu erfassen. Entsprechend
vielfältig sind derartige Versuche. Zwei Richtungen lassen sich hervorheben.
Zunächst ist Nirvana weder Objekt noch Subjekt. Um seine grundsätzliche
Neutralität und Zeichen- und Substanzlosigkeit anzudeuten, eignen sich
Hinweise auf Ruhe, Stille, Leere und Nicht-Angst. Obwohl eigentlich ohne
Eigenschaften gilt Nirvana als Glückseligkeit und Ziel der Dharma-Praxis. Die
Deutsche Buddhistische Union verwendet die Formel „Nirvana ist Frieden“.
Von hier aus lässt sich „Nirvana“ auch als „Grund des Seins“ bezeichnen, um
zu verdeutlichen, dass Menschen sich zwar oft als Wellen sehen, aber immerzu
auch Wasser sind. Dementsprechend kann „Nirvana“ auch als „Erlöschen aller
Vorstellungen“ verstanden werden. „Nirvana“ bedeutet dann auch das Ende
allen Leids. Im Dharma wird davon ausgegangen, dass der Buddha „Nirvana“
erreicht und aus dieser Erfahrung seine Lehre entwickelt hat. Im Umkehrschluss
bedeutet dies: Wer das Buddha-Dharma verwirklicht, wird selbst ein Buddha,
erreicht „Nirvana“ und befreit sich vom Leiden. Meine Lieblingsdefinition für
Nirvana lautet „Offene Weite - nichts von heilig“. Wer sich dem Nirvana statt
meditativ lieber intellektuell oder wissenschaftlich nähern möchte, sollte sich
mit Quantenphysik und der Heisenbergschen Unschärfe-Relation beschäftigen.
Auf Grundlage dieser Merkmale, die den weltanschaulichen Kern des Dharma
ausmachen, hat sich der Buddha den leidhaften Aspekten des Lebens gewidmet,
die durch ihre unmittelbare Erfahrbarkeit ständig ins Zentrum der
Aufmerksamkeit rücken. Für ihre Überwindung hat er einen “Achtfachen Pfad“
vorgeschlagen: Vollkommene Ansicht, Absicht, Rede, Tat, Lebensweise,
Bemühung, Achtsamkeit und Sammlung. Oder in Verben ausgedrückt: Denken,
mögen, sprechen, handeln, wirken, üben, achten und sein.
Da diese Pfade weder eine Reihen- noch eine Rangfolge enthalten, sondern
immer als Gesamtaufgabe verstanden werden, ist eine zusammenfassende
Veranschaulichung erlaubt. Wenn es um Alternativen zu Gier, Gegeneinander
und Täuschung geht, stehen viele menschliche Begabungen als Antriebskräfte
und Motive zur Verfügung. Hier eine kleine Auswahl Anlage 4 links :
Wer Eigennutz und Besitzdenken überwinden möchte, sollte Fähigkeiten wie
Wohlwollen, Behutsamkeit, Entschleunigung, Großzügigkeit, Selbstlosigkeit,
Genügsamkeit, Natürlichkeit usw. praktizieren, also einen „Mittleren Weg“
einschlagen, der angesichts des heutigen Mainstreams wie eine Nebenstrecke
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aussieht, aber mit Suffizienz überschrieben und mit den Worten: „Genug! Es
reicht! Ich befreie mich vom Überfluss!“ erläutert werden kann.
Als Alternative zum ständigen Wettstreit und zur Vereinzelung kann auf
Eigenschaften wie Fürsorge, Freundlichkeit, Wohlwollen, Anteilnahme,
Versöhnung usw. zurückgegriffen werden. Derartige Antriebskräfte ergeben
sich vor allem aus der Einsicht in die Verbundenheit mit allen und allem.
Als Alternativen für Haltungen wie Gleichgültigkeit und Ablenkung stehen
Qualitäten wie Anwesenheit, intellektuelle Redlichkeit, Verständnis, Vertrauen,
Resilienz usw. zur Verfügung. Diese Kräfte können mit Achtsamkeit
überschrieben werden, also dem bewussten gelassenen Annehmen aller
gegenwärtigen Erfahrungen. Auf Dauer im Alltag angewendet führen diese
Fähigkeiten zur Entwicklung von Integrität und Zufriedenheit.
Das Auffinden und Benennen dieser Antriebskräfte und Fähigkeiten mag
ziemlich leicht erscheinen - derartige Qualitäten und Motive konsequent und
umfassend umzusetzen ist es jedoch nicht. Eine entscheidende Rolle spielt dabei
das gesellschaftliche Umfeld. Bevor auf diese Rahmenbedingungen
eingegangen werden kann, sind allerdings einige Vorbemerkungen nötig.
Das wechselseitige Durchdrungensein und die unbedingte Verbundenheit mit
allem bestätigt, dass Menschen soziale Wesen sind. Jede Innenschau ist
gleichzeitig ein Blick in die Mitwelt. Unter meditativen, also von
Konzentration, Aufrichtigkeit und Anteilnahme bestimmten Bedingungen gerät
deshalb unweigerlich auch das Drama der heutigen Lebensweise ins Blickfeld.
Ob mit oder ohne Meditation, ob mit oder ohne Hilfe des Dharma: Immer mehr
Menschen erkennen die Sackgasse, in der die Menschheit steckt. Sie spüren den
nahenden Kollaps und leiden darunter. Manche nutzen dieses Gefühl als
Kraftquelle für die Suche nach einem Ausweg. Diese Motivation ist jedoch
zwiespältig, da ein „Nein“ zum Bestehenden immer noch dessen Vorgaben
enthält. Hauptmotiv sollte deshalb nicht die Abwehrhaltung gegenüber dem
Wachstumssystem, sondern die Anziehungskraft der Postwachstumskultur sein.
Die Gegenüberstellung von „Desaster“ und „Design“, von „Ende“ oder
„Wende“, von „Katastrophe“ oder „Weltrettung“ durchstößt zwar die allzu
bunte Oberfläche des Konsumismus und dringt zum Antriebszentrum des
Steigerungsspiels vor. Die Identifizierung der unheilsamen Spielregeln sollte es
eigentlich schwieriger machen, mit voller Kraft im gewohnten Trott weiter zu
agieren, denn wer jetzt nicht stoppt, beteiligt sich ganz bewusst an der
Herbeiführung eines Kollapses. Mit anderen Worten: Diese Einsicht sollte
eigentlich dazu führen, sich ab sofort und ständig für eine Wende einzusetzen.
Seltsamerweise wird diese Drehung selten vollzogen. Trotz klarer Fakten
entscheiden sich nur wenige Menschen für eine Umkehr. Warum machen so
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viele im alten Trott weiter? Als Antwort kann nur wiederholt werden: Weil die
Widersprüche mitten durch jeden einzelnen Menschen hindurchgehen.
Der Schriftsteller Bernward Vesper hat sich an diesem Dilemma schon vor über
40 Jahren abgearbeitet: „Die Sache ist, dass sie es von Geburt an mit Dir
machen, Du aber dreißig werden musst, bis Du merkst, dass sie es mir Dir
gemacht haben. Good Night!“. - Schon rund ein halbes Jahrhundert vorher hat
Ödön von Horvàth diese Ambivalenz präzise ausgedrückt: Eigentlich bin ich
ganz anders, nur komme ich so selten dazu. - In seinem 02014 erschienenen
Buch „Gesellschaft der Angst“ hat der Soziologe Heinz Bude diesen Zwiespalt
als Frage formuliert: „Wovor haben Sie mehr Angst: Nicht mehr mitspielen zu
dürfen oder immer weiter mitspielen zu müssen?“
Unter diesen Rahmenbedingungen ist es nicht leicht, ehrlich in den Spiegel zu
schauen. Wer weiß, dass der Weg falsch bzw. eine Sackgasse ist, hat eigentlich
sofort umzukehren oder abzubiegen. Dennoch ist trotz dieser Widersprüche und
Unsicherheiten eines klar: Individuen sind in der Lage, sich von Antriebskräften
wie Gier, Gegeneinander und Täuschung zu befreien - das ökonomische System
jedoch nicht. Die Kategorie „Genug“ ist der Gier-Wirtschaft wesensfremd, denn
dieses System wird von Vorgaben beherrscht wie „Expansion“, „Wachstum“
und „T.I.N.A. - There Is No Alternative“.
Auf diesem Hintergrund wird deutlich, dass es zwar richtig ist, auf „das
System“ zu schimpfen, aber letztlich kommt es auf jeden einzelnen Menschen
an. Es nützt nichts: Alle haben sich an die eigene Nase zu fassen. So ist der Titel
des Hauptwerks von Peter Sloterdijk zu verstehen: „Du musst dein Leben
ändern“.
Dass es letztlich Menschen sind, die die gegenwärtige und auch die zukünftige
Ökonomie verwirklichen, enthält mindestens zwei optimistische Ausblicke:
1. Die Behauptung „T.I.N.A.“ („Es gibt keine Alternative“) lässt sich als Lüge
entlarven. Weil die Marktwirtschaft eine kulturelle Übereinkunft ist, kann sie
auch wieder geändert werden - mit menschlicher Energie und Tatkraft.
2. Würde und Integrität, also die Fähigkeit, ohne Scheu aufrichtig in den
Spiegel zu schauen, sind in den von Geschäftsinteressen bestimmten
wirtschaftlichen (und dementsprechend auch in vielen menschlichen)
Beziehungen verloren gegangen. Sie können bei einer Umgestaltung der
ökonomischen Verhältnisse zurück gewonnen werden, wenn sich das Motto
durchgesetzt hat: „Eigentlich bin ich ganz anders - endlich komme ich wieder
dazu!“
Auf dem Hintergrund dieser Vorbemerkungen und Einschränkungen ist es
erlaubt, einige Ergebnisse der Suche nach „alternativen gesellschaftlichen
Antriebskräften und Motiven“ vorzustellen Anlage 5 rechts .
12
Im gesellschaftlichen Bereich ist die Benennung von Wende-Motiven vor allem
deshalb so schwierig, weil es neben der subjektiven Interpretation des Lebens
und der Weltlage auch vielfältige regionale und historisch gewachsene
Unterschiede gibt. Schließlich ist es nicht das Gleiche, ob ein Mensch in
Norwegen oder im Kongo geboren ist, in einem Slum oder einem Reichenghetto
lebt, eine akademische Ausbildung hat oder Analphabet ist usw.
Einige Tendenzen lassen sich jedoch aufzeigen - gerade auch auf Grundlage des
Dharma. Statt Gewinnmaximierung, Wachstumsdogma und kommerzieller
Verwurstung aller Lebensbereiche sollten Nachhaltigkeit, Ausgewogenheit,
Genügsamkeit, das Einhalten von Grenzen, ein Mittlerer Weg usw. angestrebt
werden. Auf Dauer angewendet werden sie in eine von Verantwortung und
Toleranz geprägte Kultur des Genug bzw. eine Suffizienz-Kultur führen.
Mit Hilfe von Kontakt, Kooperation, Wertschätzung usw. und der Beherzigung
der Formel „global denken - lokal handeln“ kann ein Ende des KonkurrenzPrinzips und des Macht- und Monopolstrebens eingeläutet und eine Ethik
begründet werden, die von Nähe und einer unbedingten Verbundenheit ausgeht.
Während zur Zeit Schäden verharmlost werden und schon die mittelfristige
Zukunft kaum eine Rolle spielt, sollte eine Wende auf der Grundlage einer
achtsamen Zufriedenheit agieren und mit Hilfe von Vernunft, Transparenz,
Wissenschaft, Unvoreingenommenheit, Ganzheitlichkeit, Gerechtigkeit usw.
versuchen, der Erde und den kommenden Generationen eine Stimme zu geben.
Wer es etwas anschaulicher haben möchte, sollte sich mit Captain Picard im
Raumschiff „Enterprise“ ins 25. Jahrhundert begeben. In 400 Jahren wird nach
Meinung des Captains folgende Motivlage vorherrschend sein: „Der Erwerb
von Reichtum ist nicht mehr die treibende Kraft in unserem Leben. Wir
arbeiten, um uns selbst zu verbessern und den Rest der Menschheit“.
Dieser Ausblick führt zu einer Bitte an die Volks- und Betriebswirtschaft der
Gegenwart. Heutzutage sind es das Mehrungs-Dogma, das Konkurrenz-Prinzip
und die Missachtung der Folgewirkungen, die das ökonomische System
zusammenhalten und anfeuern. Hintergrund aller Forschungen im Bereich
Ökonomie sollte deshalb die Frage sein, welche Motive, Kräfte und
Handlungsgründe die Unternehmen der Zukunft, also die PostwachstumsÖkonomie erfolgreich antreiben sollen - und zwar auf Dauer und global. Es
scheint so, dass immer mehr Menschen auf eine Antwort auf diese Frage warten
… wahrscheinlich sogar einige Leute in Frankfurt oder an der Wall Street.
Wenn auf der individuellen und auf der gesellschaftlichen Ebene die gleichen
Beweggründe (Kurzformel: Gier, Gegeneinander und Täuschung) als Ursachen
der Probleme identifiziert werden, ergibt auch die Suche nach Alternativen
gleichartige Lösungen. Die Anlagen 4 und 5 können nebeneinandergelegt als
13
Zylinder gesehen werden. Suffizienz, Verbundenheit und Zufriedenheit sind
die Orientierungen, in denen sich Individuen und die Gesellschaft treffen und
übereinstimmen. Sie sind die Kern-Motive und Antriebskräfte für eine Wende.
Mit Hilfe von Mäßigung, Zusammengehörigkeit und Achtsamkeit lässt sich eine
Lebensweise gestalten, die nicht nur von der Einsicht ausgeht, dass alle
Menschen in einem Boot sitzen und die Erde ihr einziges Zuhause ist. Dieser
kleine blaue Planet bietet zwar beste Voraussetzungen für ein glückliches
Leben. Aber nur wenn sorgsam und genügsam mit diesem Angebot
umgegangen wird, lässt sich dauerhaft eine Zufriedenheit erreichen, die auch in
materieller Hinsicht ohne Gefühle wie Verzicht und Enthaltsamkeit auskommt.
Ein tiefgehend begründetes, ein bewusst gemachtes Gefühl für „genug“ ist die
zentrale Voraussetzung, um „zufrieden“ zu sein. Auf diese Weise kann
„Verzicht“ als ein von der Gier-Wirtschaft gepuschtes Konzept entlarvt werden,
das das Ergebnis einer durch Vergleichen und Bewerten gepuschten Fehlleitung
ist. Zufriedenheit stellt sich durch die praktische Beantwortung der Frage nach
dem menschlichen Maß und dem Beschreiten eines mittleren Weges ein.
Ein derartiger Umgang mit der Welt führt zu einer Ethik des Genug. Der
individuelle Anteil an ihr ist eine universelle Verantwortung, die den
„kategorischen Imperativ“ umsetzt, den der Philosoph Hans Jonas ausformuliert
hat Folie 11 : „Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlungen verträglich
sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden“.
Der gesellschaftliche Anteil an einer derart begründeten Kultur des Genug ist
das Bestreben, Freiheit, Gleichheit und Geschwisterlichkeit auf eine Weise zu
verwirklichen, die es allen Menschen ermöglicht, ein von liebender Güte,
Mitgefühl, Freude und Gleichmut durchdrungenes Leben zu führen. Diese vier
Geisteszustände werden im Dharma als „Brahmaviharas“ bezeichnet.
Suffizienz, Verbundenheit und achtsame Zufriedenheit sind mehr als ein „Nein“
zu den Ursachen des bevorstehenden Desasters. Sie beinhalten tief verankerte
Energiequellen, die enorm viel Kreativität und Produktivität freisetzen. Sie
führen zu einer konstruktiven Perspektive, weil sie Unaufrichtigkeiten entlarven
und Lähmungen überwinden. Sie fördern eine Kultur des Genug, weil sie
Erwartungen und Erfahrungen, Geist und Engagement, Theorie und Praxis auf
eine jederzeit überprüfbare Art und Weise miteinander verknüpfen.
Die im Schema bereits genannten Motive für den Aufbau von Alternativen
lassen sich durch zahlreiche Beispiele und Leitlinien konkretisieren.
Besonders erfreulich sind dabei die vielen konkreten Projekte und Konzepte,
mit denen bereits experimentiert wird. Ob in Agenda-21- oder Transition-TownGruppen, ob in der Occupy- oder der Genossenschafts-Bewegung, ob in RepairCafés oder auf Degrowth-Kongressen, ob unter dem Leitgedanken „Commons“
14
oder als solidarische, ökologische, subsistenzorientierte, Postwachstums- oder
Gemeinwohl-Ökonomie - immer mehr Menschen möchten dazu beitragen,
einen Wandel in Richtung einer Kultur des Genug zu initiieren bzw. zu
verwirklichen.
Obwohl sie ein Nischendasein führen, verdienen derlei Initiativen allein schon
deshalb Beachtung und Unterstützung, weil sie auf Alternativen hinweisen. Mit
der Vogel-Strauß-Haltung T.I.N.A. stellt sich die Gier-Ökonomie nämlich ein
Armutszeugnis aus, denn es ist eine unfassbare Schande, einen Plan B nicht
einmal zu erwägen. Trunken vor Freude über die mit dem Ende des Sozialismus
erfolgte globale Expansion und eingelullt von der Buntheit ihrer ÜberflussProduktion unterwirft sich die sogenannte freie Marktwirtschaft dem Diktat der
Wachstums-Maschinerie. Ohne Rücksicht auf die Auswirkungen auf die
Biosphäre und auf nachfolgende Generationen jubiliert sie siegestrunken in
einer Art Parallelwelt, während sie gleichzeitig jovial und tolldreist mit voller
Kraft an den Ästen sägt, auf denen sie sitzt. Es wird Zeit, dass weltweit alle
Volks- und Betriebswirtschafts-Studiengänge sich vorrangig mit den
Konsequenzen einer Abschaffung des Mehrungsdogmas beschäftigen.
Aber auch die Alternativ-Modelle stehen auf tönernen Füßen, denn sie agieren
noch innerhalb der Steigerungsspiels. Die Wende wird von Menschen probiert,
die im Wachstums-Umfeld erzogen wurden. Sie sind anfällig für die Effizienz
und Funktionsfähigkeit des Mehrungswesens. Häufig gibt es große
Unterschiede zwischen Anspruch und Wirklichkeit, die sich vor allem im
privaten Umgang in einem drastisch überhöhten ökologischen Fußabdruck
(Flugreisen, PKW, große Wohnung, Hobbies usw.) zeigen.
Schon jede/r Durchschnitts-Deutsche übertrifft den zulässigen ökologischen
Fußabdruck um das Vier- bis Fünffache. Hinzu kommen Etikettenschwindel (z.
B. in Bezug auf die Umsetzung des Anspruchs „Nachhaltigkeit“ oder der
Ausfüllung des Konzepts eines „Green New Deal“) oder die Nutzung der
Kreativität der Alternativ-Szene für eine persönliche Karriere.
Eine objektive oder allgemeingültige Definition, was oder wie viel „genug“ ist,
gibt es nicht. Möglich und sinnvoll ist ein individueller Katalog auf der Basis
einer achtsamen Zufriedenheit. Hier eine Auswahl meiner persönlichen Liste:
Ich brauche keine Reizüberflutung, kein digitales Dauer-Bombardement, keine
Verschleiß-Produktion, keine Kreuzfahrtschiffe, keine Wegwerf-Mentalität,
keinen Freizeitstress, keine Atomkraftwerke, keine soziale Ungleichheit, keine
beheizbare Klobrille usw. Und ich weiß genau, wo ich mehr und wo ich
weniger inkonsequent bin und wo mir Hilfe willkommen ist und wo nicht.
Schwierig ist es, anderen Menschen etwas vorzuschlagen oder sogar
vorzuschreiben. Schließlich ist jede/r auf einem individuellen Weg. Deshalb
möchte ich mich auf einige auf den ersten Blick etwas provokativ erscheinende
Hinweise beschränken, die jedoch alle das Element „Freiwilligkeit“ enthalten.
15
1. Es ist ein Unding, dass es im Zeitalter der Globalisierung keine Erdregierung
gibt. Die UNO ist schwach wie selten, das Vorbild Europa bröckelt zur Zeit nur die multinationale Konzernokratie gedeiht und die internationale FinanzMafia treibt die Nationalstaaten und damit letztlich auch die Menschheit vor
sich her - immer hurtiger in Richtung Untergang. Alle Menschen sind
Bürger/innen dieser einen Erde, die eine von allen gewählte Regierung benötigt.
2. Eine der ersten Taten dieser Erdregierung sollte die Verabschiedung einer
Formel sein, die überall bei jeder Hochzeit zeitgleich mit dem Ja-Wort als
Appell an das Hochzeitspaar verlesen wird: „Im Namen der Menschheit bitten
wir Euch, Euren Kinderwunsch auf ein Kind zu begrenzen“.
3. Global denken? Na klar! Lokal handeln? Ja bitte! Um diese Einstellungen
zusammenzuführen, genügen zwei einfache Maßnahmen: Es sollte erdweit auf
jeden Liter Öl, auf jeden cm3 Gas und auf jedes Kilo Kohle ein Cent Steuer
erhoben werden sowie eine Abgabe von ein pro Mille auf jede FinanzTransaktion. Mit diesen Einnahmen wäre die Erdregierung sofort mit genügend
Mitteln ausgestattet, um Hunger und Elend zu besiegen und den Aufbau einer
Postwachstums-Gesellschaft vorzubereiten und deren Ausbau zu organisieren.
4. Statt einer Uhr sollte jeder Mensch ein Gerät am Handgelenk tragen, das den
eigenen ökologischen Fußabdruck ständig misst. Bei vielen Deutschen wird
dieses Instrument schon auf der Fahrt zur Arbeit eine Übertretung anzeigen.
5. Ebenfalls erdweit sollte ein Rentenjahr in die Jugend- und Ausbildungszeit
vorgezogen werden, um vor dem Start ins Berufsleben eine arbeits- und
stressfreie Phase für eine innere und äußere Orientierung nutzen zu können.
Es ist klar, dass eine Suffizienz-Kultur keine Askese beinhaltet. Im Gegenteil.
Wer für eine Überwindung der Gier-Wirtschaft plädiert, möchte das
Verschwinden der vielen Errungenschaften verhindern, die die Menschheit vor
allem in den vergangenen 150 Jahren entwickelt hat. Zweifellos befinden wir
uns in einer Art „Goldenem Zeitalter“ - vor allem, was die Entwicklung der
geistigen und schöpferischen Fähigkeiten angeht.
Hinsichtlich des Verbrauchs von materiellen Mitteln hat dies zu erheblichen
Übertreibungen geführt. Sie sind auf ein zukunftsfähiges Maß zurückzuführen.
Die Erfolge in den Bereichen Wissenschaft, Technik, Bewusstsein,
Kommunikation, soziale Fürsorge usw. sollten jedoch unbedingt erhalten
bleiben. Denn sie - und nicht die Zirkulation von Waren und Ressourcen - sind
das Spielfeld für ein gutes Leben. Eigentlich dürfte es keinerlei Absichten und
Taten geben, die bewirken, diese Errungenschaften wieder zu verlieren.
Das hat auch Schumacher in seinem Buch „Small is beautiful“ so gemeint, als
er
„Klugheit“
als
„die
Umformung
wahrer
Erkenntnisse
in
wirklichkeitsgerechte Entscheidungen“ bezeichnete und ergänzte, dass sich
16
„Klugheit nur vervollkommnen lässt durch eine Haltung ‘stiller Betrachtung‘
der Wirklichkeit, in deren Verlauf die ichbezogenen Interessen des Menschen
zumindest zeitweilig verstummen. Nur auf der Grundlage dieser großzügigen
Art von Klugheit können wir Gerechtigkeit, Tapferkeit und temperantia
erreichen, was bedeutet, dass man weiß, wann es genug ist“. „Temperantia“ ist
die vierte der vier platonischen Kardinaltugenden im Sinne von „Maß“ und
„Mäßigung“.
Im Dharma gibt es dafür den Begriff „Samtusta“, das Nicht-nach-etwasVerlangen. Der aus Vietnam stammende Dharma-Lehrer Thich Nhat Hanh
beschreibt diese Haltung so: „… dass wir mit unseren Lebensbedingungen, so
wie sie sind, zufrieden sind. Wir haben bereits genügend Bedingungen, um
glücklich zu sein. Wenn Sie achtsam sind, brauchen Sie auch nicht mehr. Dann
fühlen Sie sich sicher und wissen … dass Sie nicht der Zukunft entgegeneilen
müssen, um dort noch ein paar Bedingungen mehr zu ergattern.“
Der bereits erwähnte und durch sein Buch „Das Prinzip Verantwortung“
bekannt gewordene Philosoph Hans Jonas war 1992 kurz vor seinem Tod der
Auffassung, dass die Philosophie „eine neue Seinslehre erarbeiten muss. In der
sollte die Stellung des Menschen im Kosmos und sein Verhältnis zur Natur im
Zentrum der Meditation stehen“. Dieser Wunsch drückt aus, dass die Erde und
die Zukunft sich nicht selbst gegen die Vorgehensweise der Menschheit wehren
können. Mein Vortrag ist deshalb auch als ein kleiner Versuch zu verstehen, der
Erde und der Zukunft eine Stimme zu geben.
Dieses Ansinnen führt mich zu einer persönlichen Schlussbemerkung. Meines
Erachtens ist eine Trennung von Spiritualität und Engagement nicht möglich weder im sozialen noch im ökologischen, weder im ökonomischen noch im
politischen Bereich. Alle Kulturen enthalten auf allen Ebenen eine spirituelle
Dimension. Diese hat sich gegenwärtig ideologisch verfestigt als eine Mischung
aus Konsumismus, Rivalität und der stillschweigenden Übereinkunft, die
Folgen zu leugnen und die Natur und die Zukunft auszubeuten. Eine zentrale
Aufgabe der bevorstehenden Wende bzw. der Kultur des Genug besteht darin,
diese gefährliche Einstellung durch unvoreingenommene und gleichzeitig alle
heilsamen Kräfte integrierende Geisteshaltungen zu ersetzen.
Gerade in diesem Bereich kann die Lehre des Buddha ohne religiöse Vorgaben
in einer säkularen Welt für eine geistige Unterfütterung sorgen. Deshalb ist das
Dharma besonders auch für atheistisch oder agnostisch eingestellte Menschen
gut geeignet, das es ohne Konstrukte wie Gott und Seele auskommt. Für
Christen, Muslime usw. können buddhistische Praktiken und Einsichten zu
einer gegenwartsbezogenen Vertiefung und Stärkung ihres Glaubens führen.
Indem das Dharma als Kraftquelle für ein soziales und ökologisches
Engagement angewendet wird, kann sie Ausgangspunkt der Diskussion über
17
„Resilienz“ sein. Resilienz im Sinne einer geistig-psychischen Widerstandskraft
ist für den bevorstehenden Übergang in eine Postwachstums-Kultur
unerlässlich.
Darüber hinaus schlägt das Dharma etliche praktische Methoden vor, um ganz
und wach jetzt hier zu sein und integer zu leben, z. B. Entschleunigung,
Meditation, Achtsamkeit und Geistesschulung. Auf diese Weise bietet das
Dharma für eine zukünftige Wirtschaftsform zahlreiche attraktive ethische
Orientierungen und kann sie tiefgehend begründen und stabilisieren.
Als eine von Ruhe und genauem Hinschauen geprägte Anwendung des
gesunden Menschenverstands auf das ganze Leben und das Leben als Ganzes ist
die Lehre des Buddha ein fruchtbarer Boden für eine Kultur des Genug, die
Suffizienz mit Zufriedenheit verbindet und beide in die Gegenwart holt.
Dass diese Verbundenheit von Tiefe und Verständnis geprägt ist, möchte ich
nun mit einer kleinen geführten Meditation aufzeigen. Sie wird in der Sangha
des buddhistischen Mönchs Thich Nhat Hanh praktiziert und kombiniert
Mitgefühl und Weisheit, indem ein ganz bewusster Kontakt mit der Erde
hergestellt wird. Diese „Berührung der Erde“ kann z. B. in drei Stufen erfolgen.
18
Hier der Text der dritten Erdberührung.
Ich berühre die Erde und lasse die Vorstellung los, dass ich dieser Körper
bin und meine Lebenszeit begrenzt ist.
Ich erkenne, dass dieser Körper, der aus den vier Elementen besteht, nicht
wirklich ich ist, und dass ich nicht durch diesen Körper begrenzt bin. Ich bin
Teil eines Lebensstroms von spirituellen und leiblichen Vorfahren, die seit
Tausenden von Jahren in die Gegenwart fließt und für Tausende von Jahren in
die Zukunft fließen wird. Ich bin eins mit meinen Vorfahren, ich bin eins mit
allen Menschen und allen Wesen, ob sie nun friedlich und furchtlos oder voller
Leid und Angst sind. In diesem Augenblick bin ich überall auf diesem Planeten
gegenwärtig; ich bin auch in der Vergangenheit und in der Zukunft
gegenwärtig. Die Auflösung dieses Körpers berührt mich nicht, genau so, wie
das Herabfallen einer Pflaumenblüte nicht das Ende des Pflaumenbaums
bedeutet. Ich sehe mich als Welle auf der Oberfläche des Meeres. Meine Natur
ist das Wasser des Meeres. Ich erkenne mich in allen anderen Wellen und ich
sehe alle anderen Wellen in mir. Das Erscheinen und Verschwinden der Form
der Welle beeinflusst das Meer nicht. Mein Dharmakörper und mein
Weisheitsleben sind nicht Geburt und Tod unterworfen. Ich erkenne, dass ich
bereits gegenwärtig war, bevor mein Körper sich manifestierte, und dass ich
gegenwärtig sein werde, nachdem sich mein Körper aufgelöst hat. Ich erkenne,
dass ich selbst in diesem Augenblick woanders existiere als nur in diesem
Körper. Siebzig oder achtzig Jahre sind nicht meine Lebenszeit. Meine
Lebenszeit, wie auch die Lebenszeit eines Blattes oder eines Buddha, ist
unbegrenzt. Ich habe die Vorstellung hinter mir gelassen, dass ich ein Körper
bin, der in Raum und Zeit von allen anderen Formen des Lebens getrennt ist.
Es gibt keinen Weg zum Genug - genug ist der Weg.
Es gibt keinen Weg zur Zufriedenheit - Zufriedenheit ist der Weg.
Es gibt keinen Weg zur Suffizienz - Suffizienz ist der Weg
Mögen alle Wesen zufrieden sein.
Manfred Folkers, Oldenburg
15. Januar 02016
19
Weiterführende Literatur und Links (Auswahl):
Niko Paech: Befreiung vom Überfluss - Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie; München 02012
Robert & Edward Skidelsky: Wie viel ist genug? München 02013
Serge Latouche: Es reicht! Abrechnung mit dem Wachstumswahn; München 2015
Ernst Friedrich Schumacher: Small is beautiful - Die Rückkehr zum menschlichen Maß; Reinbek 01976
Harald Welzer / Klaus Wiegandt: Wege aus der Wachstumsgesellschaft; Frankfurt 02013
Manfred Folkers: Achtsamkeit und Entschleunigung - Für einen heilsamen Umgang mit Mensch und Welt;
Berlin 02003
Manfred Folkers: Gib deiner Zeit mehr Leben - Entschleunigung als Weg zum Glück; Freiburg 02005
Thich Nhat Hanh: Das Herz von Buddhas Lehre; Freiburg 01999
Thich Nhat Hanh: Mit dem Herzen verstehen; Zürich 01989
David R. Loy: Erleuchtung Evolution Ethik - Ein neuer buddhistischer Pfad; Berlin 02015
Stephen Batchelor: Bekenntnisse eines ungläubigen Buddhisten - Eine spirituelle Suche; München 02010
www.achtsamkeit-in-ol.de
www.postwachstumsoekonomie.org
www.buddhismus-deutschland.de
20
Anlage 1
Bedrohungen - Grenzen - Krisen
Klimawandel (globale Erwärmung durch zu viel CO2, Methan etc.)
- Es gibt zu viel Öl, Gas, Kohle, Torf usw.
- Methan-Freisetzung durch
- auftauende Permafrostböden
- industrielle Landwirtschaft
- Methan-Hydrate am Meeresboden usw.
- Meeresversauerung, Meeresspiegelanstieg usw.
Engpässe
- Seltene Metalle, Sand usw.
- landwirtschaftliche Nutzflächen
- Süßwasser
Artensterben (Bienen, Wirbeltiere, Pflanzenvielfalt etc.)
Humusrückgang
Überbevölkerung
Waldzerstörung
Flüchtlinge
Menschliche Eingriffe in Naturprozesse
- Bodenversiegelung
- Pestizid-Abhängigkeit
- Antibiotika-Resistenz
- Gen-Manipulation
- Radioaktivität (Bomben, AKWs, Plutonium …)
- Massentierhaltung
- Automatisierung, Digitalisierung (Roboter, Überwachung
etc.)
Ökonomische Zwänge etc.
- Wachstum, Konkurrenz, Folgenleugnung
- Zukunftsverpfändung
- Zins und Zinseszins
- Geldmenge
Soziale Ungleichheit und Ungerechtigkeiten
Stress - Verdichtung - Fehlleitung
Vereinzelung
Überfütterung mit Daten und Meinungen
…………
21
Anlage 2
Individueller Bereich
andere Worte für diese
Antriebskräfte und
Motive
Ursachen von
individ. Leid
(Angst, Sorgen)
------------------------------------------------------------------Selbstbezogenheit
Eigennutz; -sinn
Wünsche; Sehnsucht
Besitzdenken
Haben wollen und
Gier
mehr haben wollen
Ruhm / Prestige
Ansprüche; Verlangen
--------------------------------------------------------------------Mehr als andere haben
wollen; (Wett-) Streiten
Freund-Feind-Denken
Siegen wollen; Neid
Vereinzelung; Stolz
Ablehnung; Abneigung
Gegeneinander
Trennung
(„Hass“)
---------------------------------------------------------------------Polemik; Apathie
Gleichgültigkeit
Halbwissen; Ablenkung
Oberflächlichkeit
Engstirnigkeit
Nicht wahr haben
wollen
Täuschung
Unwissenheit
(„Verblendung“)
22
Anlage 3
Gesellschaftlicher Bereich
Ursachen gesellschaftl. „Leids“
(Krisen etc.)
andere Worte für diese
Antriebskräfte
und Motive
---------------------------------------------------------------------
GierPrinzip
Profitstreben, Mehrung
Gewinn-Maximierung
Rendite-Erwartungen
Zinseszins-System
Steigerungsspiel
Wachstumsdogma
kommerzielle Verwurstung
----------------------------------------------------------------------
Konkurrenz
-Prinzip
Wettbewerbsdruck
Übertrumpfen
Monopolstreben
Verdrängung
Kampf um Marktanteile
Hierarchie / Macht
------------------------------------------------------------------------
FolgenleugnungsPrinzip
Fehlleitung
Erde plündern
Zukunft verpfänden
Schäden bagatellisieren
Menschen als Ware
Ungleichheit
nur kurze Zeit im Blick
23
Anlage 4
Individueller Bereich
Kurzwort
alternative
Antriebskräfte
und Motive
andere Worte für diese
Antriebskräfte und
Motive
Ursachen von
individ. Leid
(Angst, Sorgen)
-------------------------------------------------------------------------------------Genug
=
Suffizienz
Loslassen
Wohlwollen
Mitgefühl
Natürlichkeit
Behutsamkeit
Zufriedenheit
Großzügigkeit
Entschleunigung
Selbstbezogenheit
Eigennutz; -sinn
Wünsche; Sehnsucht
Besitzdenken
Haben wollen und
mehr haben wollen
Ruhm / Prestige
Ansprüche; Verlangen
Gier
---------------------------------------------------------------------------------Verbundenheit
Miteinander
Versöhnung
Fürsorge
Hilfsbereitschaft
Gleichmut
Freundlichkeit
Mehr als andere haben
wollen; (Wett-) Streiten
Freund-Feind-Denken
Siegen wollen; Neid
Vereinzelung; Stolz
Ablehnung; Abneigung
Gegeneinander
Trennung
(„Hass“)
-----------------------------------------------------------------------------------------achtsame
Zufriedenheit
Präsenz
Integrität
intellektuelle
Redlichkeit
Verständnis
Vertrauen
Resilienz
Polemik; Apathie
Gleichgültigkeit
Halbwissen; Ablenkung
Oberflächlichkeit
Engstirnigkeit
Nicht wahr haben
wollen
Täuschung
Unwissenheit
(„Verblendung“)
24
Anlage 5
Gesellschaftlicher Bereich
Ursachen gesell- andere Worte für diese
schaftl. „Leids“ Antriebskräfte
(Krisen etc.)
und Motive
alternative
Antriebskräfte
und Motive
Kurzwort
-----------------------------------------------------------------------------------------------
GierPrinzip
Profitstreben, Mehrung
Gewinn-Maximierung
Rendite-Erwartungen
Zinseszins-System
Steigerungsspiel
Wachstumsdogma
kommerz. Verwurstung
Genügsamkeit
Mittlerer Weg
Nachhaltigkeit
Ausgewogenheit
Verantwortung
Grenzen einhalten
Vielfalt; Toleranz
Genug
=
Suffi
zienz
----------------------------------------------------------------------------------------------
Konkurrenz
-Prinzip
Wettbewerbsdruck
Übertrumpfen
Monopolstreben
Verdrängung
Kampf um Marktanteile
Hierarchie / Macht
gemeinsam
Kooperation
„global denken - lokal handeln“
Wertschätzung
Nähe; Kontakt
Verbundenheit
----------------------------------------------------------------------------------------------
FolgenleugnungsPrinzip
Fehlleitung
Erde plündern
Zukunft verpfänden
Schäden bagatellisieren
Menschen als Ware
Ungleichheit
nur kurze Zeit im Blick
Gerechtigkeit
achtWissenschaft
same
Ganzheitlichkeit
Vernunft; unvor- Zufrieeingenommen
denheit
zukunftsfähig
Transparenz
25
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