492 Forschung Foto: privat Adenosin: körpereigener Schutz vor Hypoxie Prof. Dr. med. Holger K. Eltzschig ist Leitender Oberarzt an der Klinik für Anaesthesiologie und Intensivmedizin, Universitätsklinikum Tübingen. Für seine wissenschaftlichen Arbeiten über körpereigene Schutzmechanismen bei Hypoxie wurde er am 5. Mai 2007 im Rahmen des Deutschen Anästhesiecongresses (DAC) mit dem Karl-Thomas-Preis ausgezeichnet. Sobald eine Hypoxie eintritt, wird eine Kaskade von körpereigenen Schutz- und Anpassungsmechanismen in Gang gesetzt, die die Resistenz von Zellen und Organen erhöhen sollen. Professor Eltzschig vom Universitätsklinikum Tübingen erforscht diese Schutzmechanismen und will damit Ansatzpunkte für die Therapie der Hypoxie finden. Warum fokussierten Sie Ihre Forschung auf die Hypoxie? Ich halte den Themenkomplex „Hypoxie“ für ein besonders interessantes Forschungegebiet. Hypoxie stellt eine gemeinsame Endstrecke für eine Vielzahl von Erkrankungen dar, die eine ganz zentrale Stellung in der Anästhesie und Intensivmedizin einnehmen, beispielsweise beim ARDS oder der Sepsis. Perioperativ erleben wir eine hohe Morbidität und Letalität bei Hypoxien von Organen wie Niere, Leber, Herz und Gehirn. ? Was wollen Sie mit Ihrer ­Forschung erreichen? Unsere Hoffnung ist, über die Identifizierung körpereigener Schutzmechanismen neue pharmakologische Zielgrößen zu definieren, die genutzt werden können, um die Resistenz von Zellen und Organen gegenüber einer Hypoxie zu erhöhen. Wenn uns das gelingt, könnten wir in vielen Bereichen der perioperativen Medizin therapeutische Fortschritte machen. ? Wie wirkt der Transkriptions­ faktor HIF-1? Der Transkriptionsfaktor setzt sich aus zwei Untereinheiten zusammen: HIF-1α und HIF1β. HIF-1α ist unter normoxischen Bedingungen instabil. Im Gegensatz dazu führt die zelluläre Hypoxie zu einer Stabilisierung von HIF-1α. Jetzt kann die alpha-Untereinheit mit der beta-Untereinheit einen Heterodimer ausbilden, der in den Zellkern transloziert und an eine Vielzahl von Promotoren bindet. Dies induziert die Transkription von Genen, die darauf ausgerichtet sind, die Folgen der Hypoxie abzuwenden [2]. Beispielsweise führt HIF unter hypoxischen Bedingungen zur Induktion von Erythropoetin, welches die Erytrhopoese aktiviert, um die Sauerstoff­ transportkapazität zu erhöhen. ? ? Aktiviert HIF noch weitere Gene? Die sogenannte Ecto-5‘-Nukleotidase (CD73) wird ebenfalls während zellulärer Hypoxie durch HIF-1 induziert [3, 4]. Dies ist ein Enzym, das die extrazelluläre Umwandlung von ATP in Adenosin katalysiert (q Abb. 1). Was hat Adenosin mit Hypoxie zu tun? Wir haben anhand von Untersuchungen an hypoxischen Endothelzellen festgestellt, dass unter Hypoxie extrazelluläres Adenosin vermehrt gebildet wird [3]. Basierend auf diesen Beobachtungen haben wir eine CD73Knockout-Maus gezüchtet. Diese Maus kann aufgrund eines CD73-Defektes kein extrazelluläres Adenosin bilden [5]. So fanden wir ? heraus, dass CD73-Knockout-Mäuse bei myokardialer Hypoxie größere Herzinfarkte zeigen und durch Präkonditionierung nicht geschützt sind [6]. Aus diesen Befunden haben wir abgeleitet, dass das extrazelluläre Adenosin die endotheliale Barrierefunktion der Zelle aufrechterhält und dem Adenosin in verschiedenen Krankheitsmodellen eine protektive Rolle zukommt, zum Beispiel bei Ganzkörperhypoxie, Mykardischämie, renale Ischämie, akutes Lungenversagen [3, 5–12]. Wie hält Adenosin die Barrierefunktion der Zelle aufrecht? Diese Frage hat uns sehr beschäftigt. Adenosin kann über 4 Rezeptoren seine Signalwirkung entfalten. Dies sind die A1-, A2A-, A2Bund A3-Adenosinrezeptoren (AR). Wir kennen aus der Klinik die bradykardisierende Wirkung von Adenosin. Bei Patienten mit supraventrikulärer Tachykardie führt die Gabe eines intravenösen Adenosinbolus zu einem vorübergehenden kompletten AV-Block. Dies machen wir uns therapeutisch und diagnostisch zu Nutze. Wie wir heute aus Versuchen mit Knockout-Mäusen wissen, wird dieser vorübergehende AV-Block durch A1-AR vermittelt. Bezüglich der vaskulären Barrierefunktion haben wir In-vitro-Versuche durchgeführt, die darauf hinweisen, dass A2B-AR hierbei eine entscheidende Rolle spielen [3]. Auch kürzlich durchgeführte Invivo-Versuche mit AR-Knockout-Mäusen bestätigen die Vermutung, dass der Adenosinrezeptor A2B für die vaskuläre Barrierefunktion von Bedeutung ist (Daten noch nicht publiziert). ? Abb. 2 Unter hypoxischen Bedingungen kommt es zur Induktion der adenosinbildenden Enzyme CD39 (Ecto-Apyrase) und CD73 (5‘-Ectonucleotidase) sowie des A2B-Adenosinrezeptors (A2BR). Während der Hypoxie und Inflammation setzen verschiedene Zellen vermehrt ATP frei – dies ist hier beispielhaft mit einem polymorphkernigen neutrophilen Granulozyten (PMN) dargestellt. ATP wird nun via CD39 zu AMP umgewandelt, welches wiederum durch CD73 zu Adenosine umgesetzt wird. Die Aktivierung des A2B-Adenosinrezeptors führt dann zu biologischen Effekten wie z. B. der Verbesserung der vaskulären Barrierefunktion oder einer erhöhten Resistenz gegenüber Ischämie am Herzen. Extrazelluläre Adenosinbildung während Hypoxie Welche Folgen hat eine Hypoxie auf den Zellstoffwechsel? Der Körper reagiert auf eine Hypoxie, indem er verschiedenen Transkriptionsfaktoren aktiviert, zum Beispiel den sogenannten hypoxia inducible factor (HIF)-1 [1]. Und dieser wiederum setzt eine ganze Kaskade von Anpassungsvorgängen in Gang. ? Forschung. Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2007; 11–12 : xxx Abb.: Reproduced from The Journal of Experimental Medicine, 2003, 198: 783–796. Copyright 2003 The Rockefeller University Press Nachgehakt Forschung 493 Wie konnten Sie die protektive Wirkung von Adenosin zeigen? Wir konnten zeigen, dass Knockout-Mäuse, bei denen die Adenosinbildung gestört ist, keinen kardialen [6, 15] oder renalen [11, 12] Schutz durch Präkonditionierung erfahren. Am Herzen werden diese protektiven Effekte vor allem über den A2B-AR vermittelt. Jedoch ist es zurzeit noch unklar, ob dabei Entzündungszellen oder Myokardzellen eine Rolle spielen. Dr. Eckle, Dr. Grenz und Dr. Rosenberger aus unserer Abteilung stellen zurzeit knochenmarkchimere A2B-AR-Mäuse her. Diese besitzen den A2B-AR nur auf Entzündungszellen oder nur auf dem Gewebe. Wir hoffen, mit dieser Strategie weitere Einblicke in diese Schutzmechanismen zu erhalten. ? Wie und wann wird Adenosin wieder abgebaut? Die Adenosindeaminase baut Adenosin zu Inosin ab. Wir konnten kürzlich zeigen, dass die Adenosindeaminase durch Hypoxie induziert wird [9]. Über diesen Befund waren wir sehr überrascht, weil unsere bisherigen Studien darauf hinwiesen, dass unter Hypoxie Adenosin vermehrt gebildet und nicht abgebaut wird. ? ? Gibt es hierfür eine Erklärung? Während adenosinbildende Enzyme wie CD73 durch Hypoxie sehr rasch induziert werden (innerhalb von Stunden oder Minuten) [3, 6], wird die Adenosindeaminase später induziert (> 24 h) [9]. Wir denken, dass es zunächst unter akuter Hypoxie/Ischämie zur vermehrten Adenosinbildung kommt, wohingegen eine längerdauernde Hypoxie auch adenosinkatabole Stoffwechselwege aktiviert. Welche Rolle spielt Adenosin beim akuten Lungenversagen? Wir haben in einem Tiermodell für akutes Lungenversagen die extrazelluläre Adenosinbildung untersucht. Zu diesem Zweck haben wir einen humanen Ventilator (Servo 900C) mit einer druckkontrollierten Beatmungsform eingesetzt und anhand von Überdruckbeatmung ein akutes Lungenversagen induziert. Nach ca. 1–2 h Beatmungszeit entwickelten diese Tiere ein nicht kardiogenes Lungenödem. Durch den Einsatz von Knockout-Mäusen mit geschädigter Adenosinbildung konnten wir zeigen, dass diese Tiere einen weitaus stärkeren Schaden aufwiesen als Kontrolltiere. Als wir den Knockout-Tieren Enzyme verabreichten, die die Adenosinbildung förderten (lösliche Apyrase oder Nukleotidase), verlängerte sich die Überlebenszeit ? der Tiere [7]. Prof. Thiel aus München hat ähnliche Befunde an einem inflammatorischen Modell des akuten Lungenversagens erhoben. Er konnte dabei eine besondere Rolle für den A2A-AR zeigen [16, 17]. Welche Bedeutung hat Adenosin bei der Sepsis? Wir fanden erste Hinweise anhand einer Microarray-Analyse von Sepsispatienten, dass es unabhängig von Hypoxie während einer Sepsis zur Aktivierung von HIF-getriggerten Genen kommt. Diese Befunde sind noch nicht publiziert und müssen auch noch weiter überprüft werden. Ob die Induktion von HIF-Genen bei Sepsis protektiv oder antiprotektiv ist, ist ebenfalls unklar. ? Inwiefern sind Ihre Ergebnisse für die Diagnostik und Therapie der Hypoxie relevant? Beispielsweise könnten Patienten mit Defek­ ten in der extrazellulären Adenosinbildung oder Signalübertragung besonders anfällig gegenüber Hypoxie sein. Es wäre denkbar, dass solche Patienten besonders geneigt sind, bei Höhenexposition ein Lungenödem zu entwickeln. Das ist zurzeit allerdings nur spekulativ, und wir haben solche Studien bislang noch nicht durchgeführt. Außerdem könnte ich mir vorstellen, dass Ade­nosinrezeptor-Agonisten bei akutem Herz­infarkt oder bei kardiopulmonaler Reani­ mation zum Einsatz kommen. Allerdings ist es bis dahin noch ein weiter Weg. ? Was ist Ihr größter Wunsch hinsichtlich Ihrer Forschung? Es wäre für mich ein Traum, wenn sich tatsächlich von uns beschriebene therapeutische Zielgrößen langfristig in der perioperativen Patientbehandlung etablieren und durchsetzen könnten. $ ? Das Interview führte Dr. med. Holger Baust, Halle/Saale. Kontakt Prof. Dr. med. Holger K. Eltzschig Universitätsklinik für Anaesthesiologie und Intensivmedizin Literaturverzeichnis 1. S emenza GL. HIF-1, O(2), and the 3 PHDs: how animal cells signal hypoxia to the nucleus. Cell 2001;107:1–3. 2. Semenza GL. Surviving ischemia: adaptive responses mediated by hypoxia-inducible factor 1. J Clin Invest. 2000;106:809–812. 3. Eltzschig HK et al. Coordinated adenine nucleotide phosphohydrolysis and nucleoside signaling in posthypoxic endothelium: role of ectonucleotidases and adenosine A2B receptors. J Exp Med 2003;198:783–796. 4. Synnestvedt K et al. Ecto-5‘-nucleotidase (CD73) regulation by hypoxia-inducible factor-1 mediates permeability changes in intestinal epithelia. J Clin Invest 2002; 110:993–1002. 5. Thompson LF et al. Crucial Role for Ecto-5‘-Nucleotidase (CD73) in Vascular Leakage during Hypoxia. J Exp Med 2004;200:1395–1405. 6. Eckle T et al. Cardioprotection by ecto-5‘-nucleotidase (CD73) and A2B adenosine receptors. Circulation 2007;115:1581–1590. 7. Eckle T et al. 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Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2007; 11–12 : xxx