Bambus – ein Ha Bambus ist das grösste Gras der Welt, hart wie Stein, zäh wie Stahl und leicht wie eine Feder. Vielfältig sind seine Verwendungsmöglichkeiten: als Baustoff, für Möbel, als Geräte oder Nahrungsmittel. Sogar als Arznei erfüllt er seinen Zweck. Text und Fotos: Bruno Vonarburg D er Dichter Aimé Humbert schreibt: «Es gibt nichts, das malerischer wäre in der Landschaft als diese hohen Stängel, grün, blank, golden schimmernd, mit buschigen Wipfeln; und rund um die Hauptstämme diese schlanken und geschmeidigen Schösslinge mit ihren geschmückten Häuptern; und diese Vielzahl langer Blätter, die dem Wind preisgegeben flattern, wie Tausende von wehenden Spruchbändern.» In der Tat: Das zur botanischen Familie der Gräser zählende exotische Riesenrohr hat etwas Faszinierendes und es wirkt sehr elegant. Die einheimischen Gewächse Mais, Weizen, Hafer, Gerste und Roggen zählen botanisch gesehen zur selben Familie wie der Bambus. Man kennt rund 1000 Sorten der Bambusoideae (Bambusgewächse), die wild in den tropischen und subtropischen Ländern vorkommen. Das Hauptverbreitungsgebiet liegt in Ostasien: China, Japan, Burma, Indien, Nepal, auf dem Malaiischen Archipel und im Himalaja bis auf 3000 Meter Höhe. Aber auch in Afrika, Nordaustralien und Chrüteregge GESUNDHEIT uch Exotik im Garten Südamerika sind wild wachsende Bambusarten vertreten. Zu den bekanntesten Gattungen gehören: Dendrocalamus, Arundinaria, Bambusa, Melocanna und Phyllostachys. Fossilienfunde aus der Braunkohlezeit zeigen, dass die Riesengräser auch bei uns heimisch waren, jedoch in einer massiven Trockenzeit des Tertiärs ausstarben. Deshalb finden wir heute in Europa keinen wild wachsenden Bambus mehr. Bis 45 Meter hoch Die Zwerg- oder Riesensprosse des Bambus besitzt infolge der Kieselsäurespeicherung die Eigenschaft, zu verholzen, steinhart zu werden und trotzdem elastisch zu bleiben. Der einzelne Trieb besteht aus einer regelmässigen Aufeinanderfolge von Internodien und Nodien (Knoten). Das Mark ist nur in den Nodien vorhanden, während die Internodien hohl sind. Unterirdisch besitzen die meisten Bambusse ein dicht verzweigtes Wurzelnetz, mit dem sich die Pflanze ausbreitet und durch Ausläufer vermehrt. Manche Arten sind nur wenige Zentimeter hoch (z.B. Pleioblastus pygmaeus), andere wiederum (z.B. Phyllostachys viridiglaucescens) überschreiten selbst in unseren Breitengraden eine Höhe von 10 Metern. An Naturstandorten erreichen einige Bambusarten Höhen bis zu 45 Meter mit einem Halmdurchmesser von gegen 35 Zentimetern. Der Schildkrötenbambus z. B. besitzt ein kreuzgefächertes Muster auf dem Stamm, womit jedes Segment einem Schildkrötenpanzer ähnelt. Der Goldene Bambus ist eine der kostbarsten Formen mit reizenden Goldtönen an den Stämmen. Der Sesambambus dagegen ist mit einem Muster wie von schwarz verstreuten Sesamsamen verziert; der Schwarze Bambus kennzeichnet sich durch einen schwarzen Stamm, welcher mit zunehmendem Alter gelb wird. Den Grossblättrigen Bambus erkennt man an seinen grossen, bis 60 cm langen und 12 cm breiten, lanzettlichen Blättern. Im vorletzten Jahrhundert schuf der Botaniker Eugène Mazel einen Bambuspark in Frankreich (siehe Kasten auf Seite 44). Er weilte in Asien, um Maulbeerbäume für die Seidenraupenzucht zu studieren. Dabei begegnete er dem Bambus. Begeistert von dem exotischen, in Europa praktisch unbekannten Gewächs, brachte er bei seiner Rückkehr nach Frankreich einige Exemplare mit. Sie gediehen gut und dank weiterer Reisen hatte er schon bald einen prächtigen Park mit über 100 Bambussorten. Bis zum heutigen Tag werden sie gehegt und gepflegt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Zierholz im Garten Seit Mazel vor über 200 Jahren den Bambus von Asien nach Frankreich importierte, hat das fremdartige Riesengras in der europäischen Bevölkerung zahlreiche Bewunderer gefunden. Die so genannten «Gräser der Superlative» wurden immer mehr als Kulturpflanzen angebaut, so dass der Bambus heutzutage in unseren Parks und Zieranlagen keine Seltenheit mehr ist. Die Differenzierung der häufig sehr ähnlich aussehenden Anbauarten ist oft nicht leicht, zumal ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal, die Blüte, praktisch nicht zur Verfügung steht. Bei manchen Sorten sind sich die Botaniker sogar uneinig, zu welcher Gattung sie eingestuft werden können. So kommt es vor, dass einige Bambusse unter zwei oder mehreren Namen bekannt sind. Für den Anbau in Haus- und Ziergarten eignen sich in unseren Breitengraden nur winterharte Sorten, welche in Baumschulen und Gartenzentren erhältlich sind. Diesbezüglich gibt es hohe Arten wie Phyllostachys viridiglaucescens (6–9 Meter hoch), mittelhohe (3–5 Meter hoch mit pechschwarzen Halmen) als Phyllostachys nigra var. punctata, kleinwüchsige (1,5–3,5 Meter hoch – in Horst wachsende) als Fargesia murielae, niedrige (0,5–1 Meter hoch mit quirlig stehen- dem Blattwerk) als Shibataea kumasasa sowie als Bodendecker (0,8 Meter hoch) als Pleioblastus pummilus. Unbändige Lebenskraft Der Bambus besitzt viele Facetten: Furchterregend und beängstigend ist das Knattern seiner Stämme, wenn sie der Wind aneinander schlägt. Sanft ist das Flüstern seiner Blätter – eine Geräuschkulisse seltenster Art. Explosiv verhält er sich im Feuer. Im Winter, wenn der Bambus unter der Schwere des Schnees sich bogenförmig zu Boden neigt, erscheint er als ein geduldiger Lastenträger. Doch das interes- Horstbildende Bambusart: Anbau im Ziergarten Natürlich | 6-2004 43 Bambusflor: Blüht nach genetisch vorprogrammiertem Zeitplan die einheimische Industrie auf einen Schlag 400 000 Stück Bau- und Nutzholz. Ganze Bambuswälder können nach der Blütezeit in einem wilden Chaos der abgestorbenen Rohre in sich zusammenbrechen und es dauert oft Jahrzehnte, bis wieder neue Triebe aus der verkümmerten Erde hervorbrechen. Als 1996 der Schirmbambus (Sinarundinaria murielae) sein Blütenfest feierte, sind im Tessin ganze Horste in sich zerfallen. santeste Gesicht enthüllt uns das Riesengras mit seinem schnellen Wachstum. Im Frühling, wenn die Pflanze nach den Regentagen zu spriessen beginnt, schiessen die Triebe mit atemberaubender Geschwindigkeit aus dem Boden, als würden sie an einem Wettlauf teilnehmen. Ihr Wachstum ist geradezu verblüffend, fast so schnell wie sich der Zeiger einer Kirchenuhr bewegt. Auf der Brissago-Insel im Tessin, wo die Boden- und Klimaverhältnisse für den Bambus äusserst günstig sind, können die Sprosse im Tag 30 Zentimeter und mehr emporwachsen. Der absolute Weltrekord wurde in Japan beim Madake-Bambus in der Bambusstadt Kyoto gemessen, wo das tägliche Wachstum 121 Zentimeter betrug. Möglich wird diese phänomenale Schubleistung durch eine spezielle Entfaltungstechnik, die der einer automatischen Teleskopantenne ähnelt. Aus einem verzweigten Wurzelstock (Rhizom) brechen kurze spitze Triebe ans Licht. Wenn man diese der Länge nach aufschneidet, kann man erkennen, wie in jedem Spross die typische Bambusstruktur mit der Bambus-Park in Frankreich Ein einmaliges Erlebnis ist ein Besuch des Bambus-Parks «La Bambouseraie-Prafrance» bei Anduze in der französischen Provence. Neben mehr als 200 verschiedenen Bambusarten wachsen in diesem 34 Hektar grossen und über 150 Jahre alten Park auch Orchideen, Azaleen, Magnolien oder Kamelien. Geöffnet ist der Park vom ersten März bis zum 15. November, täglich ab 9.30 Uhr. Der Eintritt kostet für Erwachsene 6.50 Euro und für Kinder 4 Euro. Weitere Infos auch in Deutsch unter: www.bambouseraie.fr 44 Natürlich | 6-2004 endgültigen Zahl der Zwischenwände (Diaphragmen), Knoten (Nodien) und Rohrglieder (Internodien) vollständig angelegt ist. Um seine endgültige Höhe zu erreichen, braucht er etwa 2 Monate. Später bilden sich dann an den Nodienwülsten buschige Seitenzweige mit hellgrünen, spitzlanzettlichen Grasblättern aus. Bambus-Blütenfest Wer einmal den Bambus im blühenden Zustand zu sehen bekommt, darf sich wirklich glücklich schätzen. Das Blühen ist ein seltenes Ereignis, welches sich kaum vorausberechnen lässt. Jede Bambusart hat für seinen Blütentermin einen eigenen, möglicherweise genetisch vorprogrammierten Zeitplan. Manche Spezies blühen alle 20, 50, 100 oder 120 Jahre, andere wiederum alle 60 oder 80 Jahre und zwar kollektiv, das heisst Bambusse einer Art blühen gleichzeitig auf der ganzen Welt, egal ob die Art in Asien, Europa oder Afrika wächst. Wenn der Bambus blüht, erschafft er keine farbenprächtige Welt von pflanzlicher Schönheit, sondern er bleibt bescheiden. Oft unbemerkt spriessen grünliche Reisähren, an denen die Staubfäden hängen. Jedes Ährchen besitzt mehrere Blüten mit drei oder sechs Staubblättern. Während der Blütezeit, die etwa 2 Jahre dauert, verliert der Bambus zusehends an Grün, da sich die Photosynthese reduziert. Die in den Rhizomen (meist unterirdisch oder dicht über dem Boden wachsendes Sprossachsensystem) eingelagerten Reservestoffe werden gänzlich aufgebraucht, die ganze Kraft wird auf die Samenbildung konzentriert. Der Bambus verausgabt sich während der Blüte dermassen, dass die Halme danach gewöhnlich absterben. Dies bedeutet in asiatischen Ländern oft eine grosse Einbusse. Als 1970 der Madake-Bambus in Japan blühte, verlor Besonderes Rohr In der gesamten asiatischen Kultur spielt der Bambus eine bedeutende Rolle. Was würde ein Chinese oder Japaner ohne Bambus tun. Er benutzt ihn, um das Dach zu decken, das Bett zu bauen, als Trinkbecher und Esslöffel; er bewässert die Äcker mit seinen Rohren, erntet die Felder mit Hilfe von Bambuswerkzeugen oder siebt das Korn mit seinem Rohrgeflecht. Man kann sogar aus dem Holz Musikinstrumente, Teesiebe oder Picknickkörbe herstellen. Die Pflanze ist ausserdem reich an Zellulose, was in der Papierherstellung genutzt wird. Bambus statt Plastik heisst die Devise des Asiaten, wobei das ganze Leben von der Wiege bis zur Bahre von diesem exklusiven Riesengras begleitet wird. Ein engagierter Chinese hat einmal ausgerechnet, dass es mehr als 1300 Verwendungsmöglichkeiten gibt. Das Wunderrohr ist hart wie Stein, zäh wie Stahl und doch so leicht wie eine Feder. Beim Trocknen verliert es 40 bis 70 Prozent seines Gewichts und eignet sich deshalb als Nodie: Knoten des Bambusrohrs Haus aus Bambusrohren: la Bambouseraie-Profrance in Anduze Baumaterial mit hoher Biegefestigkeit. Die asiatischen Baumeister haben schon früh die Vorteile der pflanzlichen Leichtbauweise erkannt und spezielle Bau- und Brückenkonstruktionen entwickelt. In der Volksrepublik China hängen Bambusbrücken schon seit Jahrtausenden an gedrehten Seilen. Ein historisches Werk stellt die Seilbrücke über den Min-Fluss in Setschun dar, die schon seit 1000 Jahren den 70 Meter breiten Fluss überspannt. Auch in der Tierwelt wird der Bambus geschätzt. Insbesondere der Riesenpanda, der in den Wäldern Westchinas lebt, ernährt sich ausschliesslich von seinen Blättern und Sprossen. Selbst für den Berggorilla aus den Mischwäldern von Ostzaire ist der Spross eine Leibspeise. Heilwert des Bambus Doch nicht nur der Panda geniesst die Bambussprossen. Vor allem in der chinesischen Küche finden sie reichlich Verwendung. So sind sie zum Beispiel Bestandteil des leckeren Gemüse-Eintopfs Chop Suey. Die spargelartigen Triebe mit einer Höhe von nicht mehr als 20 Zentimeter besitzen ein zartes Gewebe, das man in Salzwasser weich kocht. Doch nicht jeder Bambus schmeckt: Während bestimmte Arten ganz schmackhafte Sprossen hervorbringen, sind sie bei anderen ungeniessbar bitter. Der Bambus findet auch als Heilmittel Verwendung. Die Pflanze bringt Halt und Stütze, was bereits seine Signatur verspricht. Der zarte Spross, welcher im Frühling aus dem Boden entspringt, verhärtet sich zu einem unzerbrechlichen, meterhohen Stab. In seiner Festigkeit ist er das Sinnbild der senkrechten Statik. Als Arznei bringt er dem Menschen Rückhalt und Flexibilität, was sich beim Einsatz bei Rückenschmerzen und Bandscheibenschäden bestätigt. Der Bambusstängel ist reich an Kieselsäure – immerhin bis zu 77 Prozent Anteil. Das wirkt sich wiederum auf die Gelenke positiv aus. Kieselsäuren sind die Sauerstoffsäuren des Siliziums. Das so genannte Stützmineral ist ein wichtiger Baustoff für Knochen und Haut und regt die Kollagensynthese im Knochenund Bindegewebe an. Das wiederum fördert die Beweglichkeit und Elastizität des ganzen Bewegungsapparates. Silizium (Kieselsäure) ist ein Spurenelement, das in der Natur zwar oft vorkommt, aber an dem es durch die denaturierte Nahrung der heutigen Zeit trotzdem immer mehr mangelt. Es empfiehlt sich deshalb mehrmals im Jahr eine Nahrungsergänzungskur mit Bambusextrakt (Drogerie/Apotheke, zu bestellen bei Würzenbach-Drogerie, Luzern, Tel. 041 370 12 66) durchzuführen, was insbesondere bei Disposition zu Rheuma, Arthrose, Arthritis, Rückenschmerzen, Bandscheibenschäden, Hexenschuss, Ischias, Haarwuchsstörungen, Haarwurzelkrankheiten, brüchigen Fingernägeln, Eiterungen, Furunkeln und schlecht heilenden Wunden von Nutzen ist. Chrüteregge GESUNDHEIT Ein verkanntes Gras In Indien werden Extrakte der Bambusblätter (Bambusa arundinacea) zur Blutstillung, bei Asthma und Lepra eingesetzt, während der ausgepresste Saft des Blattwerks die Menstruation stimuliert. Der Einsatz der Sprossen dagegen wird bei respiratorischen Krankheiten, zur Unterstützung der Verdauung und zur Magenstärkung empfohlen. Auszüge aus den Nodien werden als Salbe gegen entzündliche Gelenke verarbeitet. In China heisst Bambusextrakt Tabaschir, auch Bambuszucker oder Bambuskampfer. Er hilft gegen Nervosität, Blutungen, Fieber, Bronchitis und Schwäche der Wirbelsäule. Aufgrund dieser zahlreiche traditionellen Empfehlungen ist es ratsam, dem Bambus in der modernen Pflanzenheilkunde vermehrt Beachtung zu schenken und seine medizinischen Eigenschaften näher zu untersuchen. Es ist zu erwarten, dass mit den Forschungen dieses exklusiven Riesengrases noch viele überraschende Heiltugenden nachgewiesen werden können. ■ Informationen: – www.bambus-schweiz.ch – www.bambus.de Bambus in der Küche Der Bambus hat im Westen als Nahrungsmittel keine Tradition und in Europa wird er kaum angebaut. Er ist meist nur in Dosen erhältlich. Er verliert jedoch wie alle Gemüse durch die Konservierung viel an Geschmack. Frische Ware aus dem Osten zu importieren ist schwierig. Denn die Sprossen sollten schon kurz nach der Ernte verzehrt werden und dafür sind die Herstellerländer viel zu weit entfernt. Doch: Jeder Gartenliebhaber kann den Bambusanbau für eine eigene Sprossenproduktion betreiben. Dafür muss man nicht unbedingt den Bambus im Gemüsegarten einsetzen. Ein Bambus, der als Hecke oder Busch verwendet wird, kann sowohl Dekorations- als auch Ernährungszwecken dienen. Kaum aus der Erde, sollten die jungen 10 bis 20 Zentimeter hohen Sprossen geerntet werden. Sie werden mit Spaten oder Kreuzhacke unter der Erdoberfläche vom nährenden Wurzelstock getrennt. Der Vormittag ist angeblich am besten zur Ernte geeignet, denn zu dieser Tageszeit sind sie am geschmackvollsten. Falls die Sprossen nicht am gleichen Tag zubereitet werden, kann man sie im Kühlschrank (2–5 ° C) aufbewahren, wo sie noch einige Tage halten. thv Natürlich | 6-2004 45