ZAHNGESUNDHEIT 35 34 ZAHNGESUNDHEIT Bei solchen Anzeichen gilt es, im Team der Pflegenden eine Fallbesprechung vorzunehmen und die unterschiedlichen Beobachtungen zusammen zu bringen. So kann die Frage nach den Ursachen gestellt werden und wenn nötig, eine zahnärztliche Überprüfung und Behandlung für den Bewohner eingeleitet werden. Wichtige Gründe für die Mundpflege Zahngesundheit in der Einrichtung: Gesunder Mund – gesunder Appetit! Bei der Zahngesundheit pflegebedürftiger Menschen liegt einiges im argen – so ein Ergebnis des jüngsten Barmer GEKPflegereports. Demnach sind vor allem Menschen in stationären Pflegeeinrichtungen zahnmedizinisch unterversorgt. Wir haben unsere Autorinnen befragt, wie man im Alltag die Zahngesundheit der Bewohner am besten erhält – am praktischen Beispiel der Arbeit in ihrer Pflegeeinrichtung Von Dagmar Hennings und Gabriele Henger VERPFLEGEN 2/2015 P flegende in Einrichtungen kennen das Problem: Die Bewohner, die zu uns kommen, sind in stärkerem Maße multimorbid als noch vor zehn oder 20 Jahren. Sie sind im Schnitt älter und leiden häufig unter mehreren teils schweren Erkrankungen. Dazu gehört natürlich auch das Problem bei Menschen mit vorangeschrittener Demenz. Viele Bewohner sind schlicht nicht mehr in der Lage, sich bei Problemen mit Zähnen und Zahnfleisch von sich aus gegenüber den Pflegenden zu artikulieren. Am Beginn einer Behandlung steht also in einer Einrichtung die stete teilnehmende Beobachtung durch die Mitarbeiter der Pflege. Genaues Hinschauen ist wichtig! Es sind unterschiedliche Anzeichen, die im täglichen Umgang mit den Bewohnern auffallen können: • Ein Bewohner lehnt plötzlich die Mahlzeiten ab, die er sonst immer sehr gerne isst. • Ein Betroffener lehnt mit einem Male ab, dass man ihm morgens seine Prothese einsetzt, oder er nimmt sie selbst tagsüber immer wieder aus dem Mund. • Ein Bewohner zeigt deutliche Anzeichen von Unwohlsein beim Kauen und lehnt Mahzeiten sogar komplett ab. Mit Hilfe moderner Vorbeugungs- und Pflegemethoden gelingt es immer häufiger, die Zähne – zumindest zum Teil – bis ins hohe Alter zu erhalten. Dies ist positiv, weil die eigenen Zähne auch die Kaufähigkeit erhalten und unterstützen. Doch hat der Erhalt der eigenen Zähne durchaus auch eine Kehrseite: Sie müssen nämlich intensiv gepflegt werden, sonst können sie sich als Magnet für Probleme erweisen. Die Gründe dafür sind: • Der Mund als offenes System ist stets ein wichtiges Einfallstor für Bakterien und andere Organismen in den Körper. • Mittlerweile hat die Medizin gesichert festgestellt, dass Bakterien, die auf Zähnen oder Prothesen siedeln, einen Zusammenhang mit anderen Krankheitsbildern haben können – wie etwa Lungenerkrankungen oder dem Risiko für Schlaganfälle und Herzerkrankungen. D • ie Nahrungsaufnahme hat für pflegebedürftige Menschen neben der körperlichen auch eine besonders wichtige psychische Seite. Essen und Trinken beeinflussen maßgeblich die Lebensqualität der Betroffenen. Diese wichtige Funktion wird jedoch durch Schmerzen und Probleme beim Kauen behindert. • Eine vorbeugende Mundpflege fördert also nicht nur das Wohlbefinden des Bewohners – sie trägt auch dazu bei, die Pflege für alle Seiten attraktiver zu gestalten, weil der Bewohner die Nahrungsaufnahme mehr genießen und durch das Kauen mit seinen eigenen Zähnen selbstbestimmter gestalten kann. Die gute Zusammenarbeit zählt! Was aber, wenn nun ein Mundproblem festgestellt worden ist? Wenn unsere Kolleginnen und Kollegen in der Pflege im Mundraum irgend etwas feststellen, das behandlungsbedürftig zu sein scheint, informieren sie den Zahnarzt. Wichtig dazu ist die regelmäßige Schulung unserer Mitarbeiter. Denn sie sind die ersten 2/2015 VERPFLEGEN ZAHNGESUNDHEIT Die Autorinnen Gabriele Henger ist Haus- und Pflegedienstleiterin im Martinshaus in Kirchentellinsfurt Ansprechpartner unserer Bewohner. Deshalb werden sie regelmäßig darin fortgebildet, wie man Erkrankungen im Mundraum erkennen kann, etwa bei solchen Fragen wie: An welchen Anzeichen erkennt man einen Soor? Dazu bietet unsere Einrichtung mindestens einmal im Jahr eine Fortbildung, wenn möglich, mit dem Zahnarzt an, der unsere Bewohner behandelt. Eine solche gute Zusammenarbeit mit dem Zahnarzt vor Ort ist der Dreh- und Angelpunkt aller Bemühungen um die Zahngesundheit für die Bewohner. Im Falle der Zieglerschen Altenhilfe kommt der Zahnarzt regelmäßig ins Haus, um seine Diagnosen und auch Teile der Behandlungen in der Einrichtung durchzuführen. Dabei fällt uns als Pflegenden immer wieder ein bedauerlicher Missstand auf: Bis heute gibt es keine verfügbaren mobilen Behandlungseinrichtungen für Zahnärzte, die ihnen ermöglichen würden, zumindest einen Teil ihrer Behandlungen am Bett des Bewohners oder zumindest in der Einrichtung vorzunehmen. Es wäre eine große Erleichterung für Betroffene und Pflegende, wie sicherlich auch für die Zahnärzte, wenn es zukünftig eine solche technische Möglichkeit geben könnte. Eine weitere gute Möglichkeit wäre auch dadurch gegeben, wenn sich die Praxis des Zahnarztes im gleichen Haus oder in unmittelbarer Nachbarschaft befinden würde. Die Behandlung in der Zahnarzt-Praxis Je älter, multimorbider und stärker von Demenz die Bewohner betroffen sind, desto schwieriger wird es, sie allein schon in der Einrichtung zu einer Zahnbehandlung zu motivieren. Viele Menschen mit demenziellen Erscheinungen begreifen nämlich ab einem gewissen Stadium nicht, warum sie eine Behandlung machen. Dieses Problem potenziert sich noch, sobald der Bewohner sein vertrautes Umfeld verlassen muss, um eine Zahnarztpraxis aufzusuchen – die Betroffenen fühlen sich zusätzlich verunsichert. Innerhalb der Praxis und auf dem Behandlungsstuhl kann das zu großen Problemen führen. In unserer Einrichtung in Bad Waldsee haben wir zum Beispiel das Glück, dass unser betreuender Zahnarzt nur fünf Minuten zu Fuß entfernt seine Praxis hat. In einem solchen Fall muss die Einrichtung nicht extra einen Krankentransport organisieren, sondern kann Men- VERPFLEGEN 37 36 2/2015 schen mit eingeschränkter Mobilität einfach im Rahmen eines gemütlichen Spaziergangs im Rollstuhl zur Behandlung begleiten. Doch auch für Menschen im Pflegeheim gilt die freie Arztwahl. Wer von einem anderen Zahnarzt behandelt werden möchte als dem, der halbjährlich in die Einrichtung kommt, muss dorthin gebracht werden. Hier kommt ein weiteres Problem hinzu: Die Personalschlüssel in Pflegeheimen sind leider so knapp bemessen, dass es den Mitarbeitern außerordentlich schwer fällt, solche Arztbesuche zu begleiten. Viele Einrichtungen hoffen in solchen Fällen auf die Unterstützung von Angehörigen oder Ehrenamtlichen. Doch solche Begleitungen sind nicht immer einfach: Egal ob in einer stationären Einrichtung oder in der Zahnarztpraxis: Viele Menschen mit Demenz verstehen einfach nicht mehr, was bei einer zahnärztlichen Untersuchung mit ihnen passiert, und machen daher oft den Mund gar nicht mehr auf. Der Umgang mit diesen Bewohnern erfordert daher viel Fingerspitzengefühl, Ruhe und Fachwissen. Die Zahnklinik als Behandlungsort Bei Bewohnern mit einer fortgeschrittenen Demenzerkrankung besteht oft keine Möglichkeit mehr, die Behandlung ambulant in einer Praxis durchzuführen. In solchen Fällen kann dann die Einweisung in die Zahnklinik die erfolgreichste Alternative sein, um eine Behandlung doch noch zu ermöglichen. In der Zahnklinik entscheidet dann der behandelnde Zahnarzt im Zusammenspiel mit dem Hausarzt, ob eine Behandlung in Vollnarkose in Betracht gezogen werden sollte. Bei der zahnärztlichen Behandlung von Menschen mit Demenz ist es wichtig, ganz viel Einfühlungsvermögen aufzubringen. Denn nur durch einen persönlichen Kontakt und Vertrauen in den Pflegenden können Betroffene überhaupt dazu bewegt werden, den nötigen Anweisungen des Zahnarztes Folge zu leisten. Die Anwesenheit einer solchen Vertrauensperson ist in solchen Fällen immer hilfreich, weil sie es ist, die einen Betroffenen beruhigen kann. Überhaupt gilt bei der Pflege wie bei der Behandlung gerade solch sensibler Bereiche wie der Mundhöhle ein Grundsatz im Umgang mit dementen Menschen: Die Pflegenden brauchen Ruhe und Geduld. Auch die Kon- trolle der Zähne und erst recht die Durchführung von Zahnprophylaxe selber zeigen, dass Einfühlungsvermögen der Schlüssel zum Erfolg ist. Doch sollten wir nicht vergessen: Ein solches Vorgehen erfordert von den Mitarbeitern eine hohe Kompetenz. Eines der bewährten Mittel ist es, trotz der schwierigen Situation, die der Zeitdruck in vielen Fällen im Pflegealltag mit sich bringt, dem Bewohner bei solchen Behandlungen die Chance zu geben, ein Verhalten nachzumachen, wenn es die Pflegenden sozusagen vormachen. In der Einrichtung wiederum gibt es auch die Strategie, bei einer Verweigerungshaltung lieber nachzugeben, abzuwarten und erst nach einer Viertelstunde zum Bewohner wieder zu kommen – denn gegen Widerstand lässt sich keine erfolgreiche Arbeit leisten. In der Praxis heißt das zum Beispiel für die Zahnprophylaxe: Man muss Mundspülungen nicht einfach gleich uneingeschränkt verwenden, wenn man Widerstände spürt. Besser ist es, sich als Pflegekraft individuell auf jeden Bewohner einzustellen und so dem Bewohner auch die Möglichkeit zu geben: „Nun mach es ruhig mal selber!“ Dazu gehört, ihn zu aktivieren: Erst einmal selbst machen lassen, eigene Kompetenzen ausprobieren lassen. Und erst, wenn es nicht funktioniert, macht das die Pflegekraft selbst – eventuell fünf Minuten später. Deshalb gilt hier die Erfahrung: Man kommt dann einfach später wieder und versucht es um eine andere Uhrzeit. Denn bei Menschen mit Demenzerkrankung müssen Pflegende und Angehörige raus aus ihrem normalen Denken: Man muss in solchen Fällen flexibel reagieren. Doch sollte man auch hier die Situation eines Mitarbeiters nicht aus den Augen verlieren, der ja auch eine Tagesform hat, und der sich auf eine solch spezielle Betreuungssituation einlassen können muss. Um dies zu organisieren, empfiehlt es sich Kooperationsverträge zwischen Einrichtung und Zahnarztpraxis einzurichten. Darin werden Rechte und Pflichten gegenseitig genau festgehalten: Was stellen wir als Einrichtung zur Verfügung, was muss der Zahnarzt leisten? Grundsätzlich gilt: Der Austausch zwischen Einrichtung und Zahnarzt vor Ort sollte gut und vertrauensvoll sein. So geben in unseren Einrichtungen die behandelnden Zahnärzte auch regelmäßige Schulungen für unsere Pflegenden – das kommt außerordentlich gut an. Themen wie die professionelle Prothesenpflege, Zahnhygiene oder die Vorbeugung von Munderkrankungen werden vom gesamten Pflegeteam gut und kompetent mit dem Zahnarzt zusammen erörtert. ZAHNGESUNDHEIT Die Autorinnen Neue gesetzliche Chancen für die Kooperation Daneben bleibt die Forderung, dass mehr Zahnärzte zu Kooperationen mit Pflegeheimen bereit sein müssten, als aktuell bestehen. Nach § 119b SGB V können Pflegeheime und Zahnärzte mittlerweile einen Kooperationsvertrag abschließen. Für die in diesem Rahmen erbrachten Leistungen kann der Kooperationszahnarzt sogar eine zusätzliche Vergütung abrechnen. Diese Regelung hatten die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung und der GKV-Spitzenverband im April 2014 mit einer Rahmenvereinbarung auf den Weg gebracht. Wir haben aber bisher nur zwei Einrichtungen, die mit einem Zahnarzt einen solchen Kooperationsvertrag geschlossen haben. Wahrscheinlich ist diese neue gesetzliche Möglichkeit unter den Zahnärzten auch noch zu wenig bekannt. Möglicherweise tragen die Ergebnisse des Pflegereports aber jetzt auch zu einer Verbreitung dieses Modells bei und helfen so, die zahnärztliche Versorgung für Pflegebedürftige in Einrichtungen nachhaltig zu verbessern. Dagmar Hennings ist Regionalleiterin der Zieglerschen Altenhilfe und verantwortlich für die pflegefachliche Weiterentwicklung Die Organisation der Zusammenarbeit mit dem Zahnarzt In den meisten Einrichtungen gibt es keine regelmäßigen Untersuchungen aller Patienten wie das etwa beim Schularzt in Grundschulen die Regel ist. Deshalb sind in den Einrichtungen die Pflegekräfte als Schnittstelle wichtig. Es gibt allerdings – wie in unserem Hause – Einrichtungen, da kommt der Zahnarzt regelmäßig jedes halbe Jahr. Das ist allerdings von Einrichtung zu Einrichtung unterschiedlich geregelt. Weiterführende Information Die Zieglerschen betreiben 20 Pflegeheime und drei Diakonie-Sozialstationen in Baden-Württemberg mit über 1.000 Mitarbeitenden, die rund 2.600 pflegebedürftige Personen betreuen. Weitere Informationen: Die Zieglerschen, Sarah Benkißer, Leiterin Unternehmenskommunikation, Saalplatz 4, 88271 Wilhelmsdorf, Tel.: 07503/929-257, E-Mail: [email protected] 2/2015 VERPFLEGEN