Wechselwirkung ionisierender Strahlung mit Materie Z 2 · e+ dz e− p ~ b ~⊥ F ~ F ~ r Die Wechelwirkung ionisierender Strahlung mit Materie geschieht im Wesentlichen mit den Elektronen und ist links zusammengefasst. Ein Teilchen mit Ladung Z1 · e verübt auf ein Elektron die Coulombkraft 2 Z e ~r 1 F~ = . 2 2 4πε0(z + b ) r z=0 Z1 · e Der dabei ausgeübte Kraftstoß ∆p ist gerade ∆p = Z +∞ F dt = −∞ Z +∞ −∞ 1 F⊥dt = v Z +∞ −∞ e F⊥dz = v Z +∞ E⊥dz. −∞ Physik IV - V4, Seite 1 Das Integral kann mit einem Trick berechnet werden. Der Satz von Gauß lautet ja Z Z ~ · dA ~ = 2πb E⊥dz = Q/ε0 = Z1e/ε0. E A Wir setzen dies oben ein und erhalten ∆p = ∆p2 ∆ǫ = 2me = 1 Z1 e2 · , bzw. 2πε0 vb 2 2 1 Z1 e . · 8π 2ε20me vb Der zweite Ausdruck gibt die durch das Projektil-Teilchen an das untersuchte Target-Elektron übertragene Energie an. Nun müssen wir nur noch über alle möglichen Stoßparameter b integrieren um die Wechselwirkung mit allen Elektronen zu berücksichtigen. Wegen der Abschirmung der Ladung integrieren wir Physik IV - V4, Seite 2 von einem minimalen sinnvollen Stoßparameter bmin bis zu einem maximalen sinnvollen Stoßparameter bmax und erhalten dE = − Z bmax bmin 2 ! dE ∆p ne2π · b · db ·dx, bzw. = 2me dx Z12e4ne − ·ln 4π · ε20v 2me bmax , bmin wo ne die Elektronendichte entlang des Weges dx sei. Der spezifische Energieverlust dE/dx ist proportional zur Elektronendichte im Targetmaterial, steigt quadratisch mit der Kernladung des Projektils und nimmt umgekehrt proportional zum Quadrat der Geschwindigkeit des Projektils ab. Die Bestimmung von bmax und bmin ist nun wesentlich komplizierter. Sie hängen von der Geschwindigkeit v des Projektils und von der Bindungsenergie EB oder Ionisationsenergie der Elektronen im Targetmaterial ab. Bethe, Bloch, Lindhard, Scharf und Schiøt haben die genaue quantenmechanische Rechnung durchgeführt, Physik IV - V4, Seite 3 das Resultat gilt auch für relativistische Teilchen: Z12e4ne 2mev 2 dE 2 2 , wo β = v/c. =− − ln(1 − β ) − β · ln dx 4π · ε20v 2me hEB i Dieser Ausdruck heißt oft Bethe-Bloch-Formel. Für β ≪ 1 und bmax/bmin = (2mev 2)/hEB i stimmt unser Ausdruck mit diesem überein. dE/dx [MeV/cm] 0.1 0.01 0.001 minimal ionisierend 0 Der Energieverlust von Protonen in Luft ist links gezeigt. Der Energieverlust nimmt mit zunehmender Energie ab, erreicht ein flaches Minimum und steigt langsam (ungefähr logarithmisch) wieder an. Im Gebiet des minimalen Energieverlustes heißen Projektile minimal ionisierend. Dazu muss ihre kinetische Energie etwa das Doppelte der Ruheenergie sein. 500 1000 1500 2000 2500 3000 3500 4000 4500 5000 Energie [MeV] Physik IV - V4, Seite 4 Oft ist es einfacher, die Elektronendichte im Targetmaterial durch die Dichte ρ selber auszudrücken. Dazu verwenden wir ne = Z t · na ≈ ρ Zt ρ ≈ (0.4 − 0.5) · , · A mp mp wo na die Dichte der Atome im Target und mp die Protonenmasse ist. Wir haben dann 2 dE Z12 Z1 · e . ∝ρ· ∝ρ dx v Ekin Deshalb schreibt man oft das Bremsvermögen von Materie in Einheiten eV/(g/cm2). (1/ρ) · (dE/dx) hängt nur noch schwach von der Target-Substanz ab. Physik IV - V4, Seite 5 Die entscheidende Rolle spielt die Ionisationsenergie (bzw. die mittlere Bindungsenergie) der Air 1000 Targeteletronen. Ist sie größer, verkleinert sich (1/ρ) · (dE/dx) und es braucht etwas mehr 100 Lead “Gramm pro Quadratzentimeter” um gegen Strahlung abzuschirmen. Im Beispiel nebenan 10 ist die sog. stopping power, wie der spezifische Energieverlust englisch heißt, für Luft und Blei 1 0.001 0.01 0.1 1 10 100 1000 Energy [MeV] gezeigt. Wegen der größeren Bindungsenergie EB in Blei ist der spezifische Energieverlust von Blei bei gleicher Kolonnendichte (g/cm2 oder kg/m2)) etwas kleiner als der von Luft. Natürlich schirmt ein Zentimeter Blei besser ab, als ein Zentimeter Luft, aber eben nicht ein g/cm2. Tabellen von spezifischen Energieverlusten können am NIST berechnet werden: http://physics.nist.gov/PhysRefData/Star/Text/intro.html Stopping Power [MeV/(g/cm2 )] 10000 Physik IV - V4, Seite 6 Der Bragg-Peak Weil ein Projektil bei kleineren Energien mehr Energie verliert, als bei größeren, bedeutet dies, 3.5 dass es beim Durchgang durch Materie gegen 3 das Ende seiner Bahn besonders viel Energie 2.5 2 verliert. Links ist dieser Sachverhalt für ein 5 1.5 MeV α-Teilchen in Luft bei Normdruck dar1 gestellt. Die Reichweite beträgt offensichtlich 0.5 etwa drei Zentimeter, gegen Ende seiner Bahn 0 0 0.5 1 1.5 2 2.5 3 3.5 4 deponiert das α-Teilchen fast 3.5 mal soviel Strecke in Luft bei Normdruck [cm] Energie pro cm als am Anfang. Dieser Peak am Ende der Bahn heißt Bragg- Peak und wird z.B. in der Strahlentherapie gegen Krebs zielgerichtet eingesetzt. Die Kurve links wurde mit der Bethe-Bloch-Formel berechnet. Energiedeposition [MeV/cm] 4 Physik IV - V4, Seite 7 Reichweite ionisierender Strahlung N (x)/N0 E1 E2 > E1 Die mittlere Reichweite hRi von Teilchen wird aus ihrer Anfangsenergie E0 und ihrem mittleren Energieverlust pro Längeneinheit berechnet, Z 0 dE hRi = − . E0 dE/dx Die mittlere Reichweite ist ist links dargestellt. Weil der jeweilige Energieverlust eines Teilx hR1 i hR2 i chens statistisch streut, wird die Reichweite an jener Stelle definiert, bis zu der die Hälfte aller Teilchen in das Material eindringen. Die Reichweite ist natürlich sowohl vom Material, wie auch von Teilchensorte und -energie abhängig. Physik IV - V4, Seite 8 Die Energieabhängigkeit der Reichweiten von protons Elektronen, Protonen und α-Teilchen in Luft 100 ist nebenan dargestellt. Offensichtlich muss bei 10 electrons 1 Elektronen noch ein weiterer Prozess eine Rol0.1 le spielen. In der Tat müssen bei relativisti0.01 0.001 schen Elektronen (E > mec2) Strahlungsverα-particles 0.0001 luste berücksichtigt werden. Die Streuung der 1e−05 Elektronen an anderen Elektronen führt zu ei1e−06 0.001 0.01 0.1 1 10 100 1000 10000 Energy [MeV] ner Beschleunigung (Abbremsung) und die beschleunigten Ladungen strahlen (Bremsstrahlung). Dies führt zu einer langsameren Zunahme der Reichweite mit steigender Energie. Strahlungsverluste spielen auch bei anderen Teilchen eine Rolle, aber eben nicht im hier abgebildeten Energiebereich. Für Protonen kann der Ansatz erahnt werden. 10000 Range [g/cm2 ] 1000 Physik IV - V4, Seite 9 Energieverlust von Elektronen Stopping Power [MeV/(g/cm2 )] 100 10 1 0.1 Spezifischer Energieverlust von Elektronen in Luft Total Bethe− Bloch Strahlungs− korrektur Die beiden Komponenten des Energieverlustes von Elektronen sind links für Luft dargestellt. Man sieht, dass die Strahlungskorrektur etwa bei E ≈ mec2 einsetzt aber erst bei einem Mehrfachen dieser Energie zu dominieren beginnt. 0.01 Weil energiereiche Elektronen mit den gleich schweren Elektronen im Medium wechselwir0.001 0.01 0.1 1 10 100 1000 Energy [MeV] ken, können sie diesen im Maximum ihre ganze kinetische Energie abgeben. Elektronen streuen deshalb wesentlich mehr als schwere Projektile, ein einfallender paralleler Elektronenstrahl wird daher viel schneller diffus und seine Reichweite ist weniger klar definiert als die schwerer Projektile. Physik IV - V4, Seite 10 Erzeugzung von Röntgenstrahlung – Die Bremsstrahlung + − Röntgenquellen nutzen die Abbremsung von Elektronen Röntgen– die Bremsstrahlung – aus, links ist eine schematisch strahl dargestellt. Elektronen werden thermisch an der Katho− de erzeugt und durch eine Potentialdifferenz ∆U von + mehreren kV nach rechts zur Anode hin beschleunigt. K A Beim Auftreffen auf die Anode werden sie stark abgebremst und emittieren Bremsstrahlung im Röntgen∆U bereich. Die statistische Verteilung der Energieverluste der Elektronen definieren das Röntgenspektrum der Quelle. Die maximale Frequenz entsteht durch die Elektronen, die mit nur einer Wechselwirkung vollständig gestoppt werden, also νmax = e · ∆U/h. Physik IV - V4, Seite 11 Wechselwirkung von γ-Strahlung mit Materie γ-Strahlung ist elektrisch neutral und trotzdem ionisierend. Sie kann nicht über Coulomb-Kräfte wechselwirken sondern tut dies via elastische Streuung (sog. Rayleigh-, resonante oder Thompson-Streuung) inelastische Streuung (sog. Compton-Streuung) Absorption in einer Elektronenhülle (sog. Photoeffekt) Absorption in einem Atomkern (sog. Kern-Photoeffekt) Paarbildung (in der Teilchenpaare erzeugt werden) Physik IV - V4, Seite 12 Photonen können also über verschiedene Prozesse mit Materie wechselwirken, deren Bedeutung sich mit der Energie der Photonen allerdings stark ändert. Wir diskutieren die Prozesse nun mit aufsteigender Energie. Wirkungsquerschnitte für die einzelnen Prozesse können am US-National Institute of Standards and Technology (NIST) gefunden werden. Das Programm XCOM beinhaltet die neusten Messungen von Wirkungsquerschnitten. http://physics.nist.gov/PhysRefData/Xcom/Text/XCOM.html Physik IV - V4, Seite 13 Die Thomson-Streuung Als einfachsten Fall untersuchen wir die Streuung von Licht an freien Elektronen. Die Abbildung links zeigt eine Kompositaufnahme der solaren Korona, in der freie Elektronen das Licht von der Photosphäre zum Beobachter hin streuen. Der Prozess heißt Thomson-Streuung und ändert die Frequenz des gestreuten Lichtes nicht (elastische Streuung). Wenn wir Licht als ebene Welle anset~ ~ 0 · sin(ωt), und auf ein Elektron die entsprechende Kraft F~ = q · E ~ zen, E(t) =E wirken lassen, so können wir seine Bewegungsgleichung durch die eines harmoniPhysik IV - V4, Seite 14 schen Oszillators nähern. ∂ 2z me 2 = −eE0 sin(ωt) ∂t −→ eE0 p0 z= sin(ωt) = sin(ωt). me ω 2 e Das Elektron wird dabei zu kohärenten Schwingungen angeregt und strahlt, wie in Physik II behandelt, ab (Dipolstrahlung mit Dipolmomet p0). Der Wirkungsquerschnitt für die Thomson-Streuung beträgt 8π σT = 3 2 e 4πε0mec2 2 8π 2 = re = 6,65 × 10−29m2 = 0,665barn, 3 wo re der klassische Elektronenradius ist. Übung: Wie lange braucht ein Photon um aus dem Innern der Sonne “ans Freie” zu kommen? Bestimmen Sie hierzu die mittlere freie Weglänge λ = 1/(neσT ) des Photons, wo ne die Elektronendichte im Sonneninnern ist. Physik IV - V4, Seite 15 Herleitung von σT Wir können das Dipolmoment des Elektrons schreiben als p~ = −ez~zˆ = −p0 sin(ωt)~zˆ, e 2 E0 wo p0 = . me ω 2 Wir setzen p0 in den aus der Physik II bekannten Ausdruck für die abgestrahlte Leistung eines oszillierenden Dipols ein: ω 4p20 dP 2 = sin θ, dΩ 32π 2ε0c3 −→ dP e4E02 2 = sin θ dΩ 32π 2ε0c3m2e Der mittlere Energiefluss einer einfallenden Welle ist cε0E02 . |hΦi| = 2 Physik IV - V4, Seite 16 Der Streuquerschnitt ist auch definiert als der Anteil der gestreuten Strahlung, dP/dΩ e4E02 2 dσ . gestreute Strahlung 2 = = = sin θ · . 2 2 3 2 dΩ einfallende Strahlung |hΦi| 32π ε0c me cε0E0 Wir finden also, dass der Streuquerschnitt durch den klassischen Elektronenradius re gegeben ist: 2 2 dσ e 2 2 2 = sin θ = r sin θ. e 2 dΩ 4πε0mec Der totale Streuquerschnitt ergibt sich dann als Integral1 über dΩ, σT = re2 1R Z sin2 θdΩ = 2πre2 Z sin3 θdθ = 8π 2 re = 6,65 · 10−29m2. 3 sin3 θdθ = (1/3) cos3 θ − cos θ + C Physik IV - V4, Seite 17 Der klassische Elektronenradius re Wir kennen bereits zwei Längenskalen in der mikroskopischen (Quanten-) Physik, den Bohrschen Atomradius und die Compton-Wellenlänge des Elektrons: a0 = h̄ = 5,292 · 10−11m, mecα λC = h = 2,426 · 10−12m. me c Beide Längen unterscheiden sich um 2πα, wo α die Feinstrukturkonstante ist. Die nächst kleinere Länge ist der klassische Elektronenradius, der sich durch Vergleich der Energie des elektrischen Feldes des Elektrons mit seiner Ruheenergie ergibt. e2 1 e2 2 −15 W (re) = e · U (re) = = mec −→ re = = 2,8 · 10 m. 2 4πε0re 4πε0 mec Spätestens ab dieser Skala muss die Energie im Feld berücksichtigt werden2. 2 Man spricht dann von der sogenannten “Renormierung”. Physik IV - V4, Seite 18 Die Rayleigh-Streuung Rayleigh-Streuung tritt immer dann auf, wenn die streuenden Partikel gebundene Elektronen beinhalten und kleiner sind als die Wellenlänge des gestreuten Lichtes. Der Streuquerschnitt ist dann proportional zu ω 4. Prominentestes Beispiel der Rayleigh-Streuung ist der blaue Himmel (Bild: Wikipedia). Wegen der Frequenzabhängigkeit ist die Intensität des gestreuten blauen Lichtes höher als die des roten Lichtes, σblau = σrot ωblau ωrot 4 = λrot λblau 4 ≈ 16, Blaues Licht wird etwa 16 mal stärker gestreut wird, als rotes. Physik IV - V4, Seite 19 Herleitung der Abhängigkeit von σ ∝ 1/λ4 Lord Rayleigh (J. W. Strutt, Philos. Mag., 41, 107, 274 (1871)) hat für den Streuquerschnitt im langwelligen Be~ E i reich eine elegante Herleitung mittels Dimensionsanalyse gefunden. Ist ein streuendes Partikel wesentlich kleiner als die Wellenlänge des Lichtes, so oszillieren dessen Kompor≪λ nenten alle in Phase mit dem äußeren Feld Ei. Deshalb ist das gestreute Feld, Es proportional zum Volumen V des Partikels und zum äußeren Feld Ei. Wegen Energieerhaltung gilt auch Es2 ∝ 1/r2. Aus Dimensionsgründen muss dann gelten: Es ∝ ErλiV2 , weil nur noch das Quadrat der Wellenlänge λ die richtige Einheit hat, um die Proportionalität zu gewährleisten. Deshalb gilt Es Es2 Ei2V 2 ∝ 2 4, r λ also σ ∝ λ−4 ∝ ω 4. Physik IV - V4, Seite 20 Der Photoeffekt Beim Photoeffekt wird ein γ-Quant durch ein Hüllenelektron absorbiert, welches seinen Ort wiederum mit einer Energie Schalenelektron en str ah l Kern Kern Phot o aus d elektron er K S ch a le K α Röntgenstrahl Ekin = h · ν − EB Rö n tg verlässt. Das absorbierende Atom oder Ion (das absorbierende Material) erfährt wegen der Absorption des γ-Quants einen Rückstoß (Das γ-Quant ist ja dann verschwunden!). Der Wirkungsquerschnitt für den Photoeffekt ist 5 σph ∼ σT · Z · me c Eγ 2 7/2 , Physik IV - V4, Seite 21 wo σT = (8/3)π · re2 der Thomson-Streuquerschnitt und re = e2/(4πε0mec2) der klassische Elektronenradius ist. Deshalb ist für schwere Elemente (Z 5 !) der Photoeffekt für kleine Eγ der überwiegende Absorptionsmechanismus. Links ist der Massenschwächungskoeffizient für Eisen gezeigt. Die Kante bei ca. 8,8 keV ist die Ionisationsenergie des He-ähnlichem Fe24+ (Fe XXV), also die K-Schale. Bei Blei sieht man wesentlich mehr Schalen, wie auf Seiten 27 und 29 gezeigt ist. Bei Al ist eine bei ca. 2 keV zu sehen. Ionisationsenergien finden Sie bei http://physics.nist.gov/cgi-bin/ASD/ie.pl, die Abb. stammt von http://physics.nist.gov/PhysRefData/XrayMassCoef/ElemTab/z26.html Physik IV - V4, Seite 22 Der Compton-Effekt Photon, E0, p0, λ0 p ~0 = h̄~ k0 Elektron Photon E1 , p1 , λ1 p ~1 = h̄~ k1 In P4 V1 haben wir bereits die Comptonsche Streuformel hergeleitet, λ1 − λ0 = λc (1 − cos φ) , (1) φ θ p ~e wo λc = h/(mec) die ComptonWellenlänge ist. Sie ist die Längenskala, ab der sich klar zeigt, dass Photonen auch als Teilchen aufge- fasst werden müssen. Der Wirkungsquerschnitt für die Compton-Streuung wurde 1929 von O. Klein und Physik IV - V4, Seite 23 Y. Nishina berechnet, für Eγ ≫ mec2 gilt σc = πre2 · Z me c Eγ 2 1 2Eγ + ln 2 me c 2 . Die Comptonsche Streuformel kann auch geschrieben werden als 1 1 − E1 E0 = E1 = 1 (1 − cos φ) , bzw. 2 me c E0 . E0 (1−cos φ) 1+ m e c2 Physik IV - V4, Seite 24 Photopeak counts per bin Compton-Kante Compton-Spektrum Energie Weil das gestreute Elektron rasch seine Energie an das umliegende Medium abgibt, ist die durch Compton-Streuung an das Medium übertragene Energie 1 . ∆E = E0 − E1 = E0 · 1 − φ) 1 + E0(1−cos 2 me c Der maximale Energieübertrag ergibt sich für φ = π, also eine Streuung um 180 Grad. Einsetzen ergibt 2E02 ∆Emax = . 2 mec + 2E0 Das bedeutet, dass ein Detektor, in dem γ-Quanten via Compton-Effekt gemessen werden, bei dieser höchsten Energie eine “Kante” aufweisen wird, die sog. Compton-Kante. Physik IV - V4, Seite 25 Die Paarbildung 51 γ - 1 keV S tr ah l El ek tr o n Bei der Paarproduktion wird im starken Feld der Atomhülle oder des Kerns ein Elektronen-Positronen1,2 MeV Paar erzeugt. Das Positron anniγ -Strahl hiliert rasch mit einem umgebenKern den Elektron unter Aussendung von Po zwei Photonen der Energie Eγ ≥ si t ron 511 keV. Das Elektron verliert seine Energie nach Bethe-Bloch, die entstandenen γ-Quanten verlieren sie durch Compton-Streuung (für die leichten Elemente) oder über den Photoeffekt. 51 1 γ - keV S tr ah l α Physik IV - V4, Seite 26 Zusammenfassung Der gesamte Wirkungsquerschnitt für γPhotoeffekt Quanten setzt sich also aus den verschiedenen 100 Nukleare Paarproduktion 1 eingangs genannten Prozessen zusammen. Die0.01 se sind sowohl von der Energie des Projektils Compton-Effekt 0.0001 wie auch von der Kernladungszahl des Targets 1e−06 abhängig. Links ist der totale Wirkungsquer1e−08 schnitt für Blei dargestellt, einige behandelte 1e−10 1e−12 Prozesse sind farbig hervorgehoben. Für ein 1e−14 0.001 0.01 0.1 1 10 100 1000 10000 100000 leichteres Element wird der Compton-Effekt an Eγ [MeV] Prominenz gewinnen. Die durchgezogene schwarze Kurve zeigt die kohärente (elastische oder Rayleigh) Streuung, die gestrichelte die Paarbildung im Feld der Elektronen. σ [cm2 /g] 10000 Physik IV - V4, Seite 27 Abschirmung/Schwächungskoeffizienten Beim Durchgang durch Materie werden Absorber Röntgen- oder γ-strahlen gestreut. In der links skizzierten Konfiguration sind die geI0 I streuten Photonen rot und gestrichelt darQuelle Detektor gestellt, die transmittierten schwarz. Beim Detektor kommen nicht alle ausgesandten Photonen an. Die Schwächung des Strahls ist proportional zur Intensität des Strahls, dI = −µI und damit I(x) = I0 · exp (−µ · x) im Medium. dx Die Proportionalitätskonstante µ heißt Schwächungskoeffizient. Weil die Abschirmung auch proportional zur Dichte des Materials ist, ist es sinnvoll, den sog. Massenschwächungskoeffizienten µ/ρ einzuführen. Physik IV - V4, Seite 28 Abschirmung/Schwächungskoeffizienten 10000 1000 µ/ρ [cm2 /g] 100 10 1 Pb Die γ-Strahlung wird durch Materie abgeschirmt. Die Abschirmung läßt sich durch den sog. Massenschwächungskoeffizienten (µ/ρ)i beschreiben. Die Massenschwächungskoeffizienten (µ/ρ)i der Elemente können im Netz gefunden werden3. 0.1 Die Massenschwächungskoeffizienten für ¯ = 0.01 zusammengesetzte Materialien µ/ρ 0.001 0.01 0.1 1 10 P Eγ [MeV] wi (µ/ρ)i können aus der prozentualen Gewichtsverteilung der Elemente berechnet oder im Netz gefunden werden4. 3 http://physics.nist.gov/PhysRefData/XrayMassCoef/tab3.html 4 http://physics.nist.gov/PhysRefData/XrayMassCoef/tab4.html Physik IV - V4, Seite 29 Wechselwirkung von Neutronen mit Materie En , p ~n Ep , p ~p p n ′ En ,p ~′n P Ep′ , p ~p ′ p ~i = P ′ p ~i Neutronen sind ungeladene Teilchen und können elektromagnetisch mit den Elektronen im Medium höchstens über ihr magnetisches Moment wechselwirken. Viel stärker ist aber ihre Wechselwirkung mit den Atomkernen, die man für niedrige Energien oft durch elastische Stöße harter Kugeln nähern kann. Dabei gelten sowohl Energie- wie auch Impulserhaltung. Treten Kernreaktionen auf, so müssen die Stöße inelastisch behandelt werden. p~n + p~K p2n p2K + 2mn 2mK = p~′n + p~′K , = ′2 p′2 p n + K + Q. 2mn 2mK Physik IV - V4, Seite 30 Elastische Stöße im Schwerpunktsystem II Oft wird der eine Stoßpartner vor dem Stoß in Ruhe sein, etwa wenn ein Teilchen der Masse m1 in einem Beschleuniger auf ein Targetteilchen der Masse m2 trifft. Dann gilt also ~v2 = ~0. Wir wollen diesen wichtigen Spezialfall untersuchen. Der Einfachheit halber berücksichtigen wir nur elastische Stöße und untersuchen, wie der Streuwinkel θ die Streuresultate beeinflusst. Die Schwerpunktgeschwindigkeit vor (~vS ) und nach (~uS ) dem Stoß ist m1~v1 + m2~0 ~v1 ~vS = ~uS = = , m1 + m2 1+X wo X = m2 . m1 Wir rechnen ~v1 und ~v2 in das Schwerpunktsystem SS um: ~v1,S X = ~v1 − ~vS = ~v1, 1+X Physik IV - V4, Seite 31 ~v1 = ~v2 − ~vS = −~vS = − , 1+X = ~u1 − ~vS ~v2,S ~u1,S weil ~v2 = 0 Wir lösen die letzte Gleichung nach ~u1 auf und quadrieren das Resultat. u21 = u21,S v12 v1 + 2u1,S cos θ + 2 (1 + X) 1+X Das Resultat bringen wir auf einen Nenner 2 u21 = (1 + X) u21,S + v12 + 2 (1 + X) u1,S v1 cos θ (1 + X) 2 . Wegen der Energieerhaltung im Schwerpunktsystem für elastische Stöße 2 2 2 p′2 1,S /(2µ) = p1,S /(2µ) gilt auch (sofern m1 und m2 gleich bleiben!) u1,S = v1,S Physik IV - V4, Seite 32 und mit v1,S = v1X/(1 + X) gilt folglich u21 = X v12 2 + 2X cos θ + 1 (1 + X) 2 . Der Energieübertrag in einem elastischen Stoß ist (bei unveränderter Masse): ′ ∆Ekin Ekin,1 − Ekin,1 X 2 + 2X cos θ + 1 . = =1− 2 Ekin Ekin,1 (1 + X) Die drei folgenden Bilder zeigen den maximalen Energieübertrag, eine Rose im Bleicontainer im Neutronenlicht der GKSS und eine Röntgenaufnahme (links) und eine Neutronenradiographie (rechts) eines Wasserhahns (GKSS, M. Müller). Physik IV - V4, Seite 33 1 |∆Ekin / Ekin| θ=π θ = 3/4 π 0,1 Physik IV - V4, Seite 34 0,01 0,01 0,1 1 m2/m1 10 100 Physik IV - V4, Seite 35 Physik IV - V4, Seite 36 Biologische Effekte von Strahlung Passiert ionisierende Strahlung Gewebe, können molekulare Bindungen zerstört oder Atome ionisiert werden oder freie Radikale entstehen (“Knacken” von H2O). Wesentlich schädlicher sind Strahlenschäden in der DNS5 im Erbgut. Man unterscheidet nach ICRP (International Commission on Radiological Protection): Deterministische Strahlenwirkungen sind Wirkungen, bei denen der Schweregrad des Strahlenschadens eine Funktion der Dosis ist. Bei vielen deterministischen Wirkungen besteht eine Dosisschwelle, unterhalb derer keine klinischen Symptome auftreten. Stochastische Strahlenwirkungen sind solche, bei denen die Eintrittswahrscheinlichkeit für einen Strahleneffekt, nicht aber dessen Schweregrad, von der Energiedosis abhängt. 5 Desoxyribonukleinsäure (DNS, engl. Deoxyribonucleic acid (DNA)) Physik IV - V4, Seite 37 1 W’keit 0.5 Dosis DS D50 Beispiele für deterministische Strahlenschäden sind Strahlenkrankheit, Strahlentod, Absterben von Gewebe bei lokaler Wirkung. Dieses wird bei der Tumorbekämpfung gezielt ausgenutzt. Dabei wird die Abhängigkeit von der Dosisschwelle ausgenutzt. Dmax Beispiele für stochastische Strahlenschäden sind Tumor oder vererbbare Schäden. Stochastischen Schäden wird keine Dosisschwelle unterstellt (Linear Non-Threshold-Model), was aber durch neuere Forschung nicht gestützt wird. Physik IV - V4, Seite 38 Wiederholung: Einheiten der Aktivität Heute wird Aktivität in Einheiten von Becquerel gemessen, 1Becquerel = 1Bq = 1Zerfall pro Sekunde. Die Wirkung radioaktiver Strahlung wird in zwei (drei) Einheiten gemessen. Die Ionisation wird gemessen in Röntgen, wobei ein Röntgen diejenige Strahlungsmenge an γ-Strahlung ist, die 2 · 109 Ionenpaare pro Mililiter Luft erzeugt, oder, in anderen Worten, 1Röntgen = 1R = 2.58 · 10−4 C (Luft). kg Oft ist die abgegebene Energiemenge pro Masse, die sog. Dosis, interessanter, sie Physik IV - V4, Seite 39 wird in Gray gemessen, J 1Gray = 1Gy = 1 . kg Ist die biologische Wirksamkeit gefragt, wird die Dosis mit einem Qualitätsfaktor Q multipliziert, die sog. Äquivaläntdosis wird in Sievert gemessen, 1Sievert = 1Sv = Q · Gy. Die Qualitätsfaktoren werden durch die “International Commission on Radiological Protection” (ICRP) definiert. Überlegung: Was ist 1 J/kg? Um wieviel erwärmt sich 1 kg Wasser bei einer Energiezufuhr von 1J? Die Wärmemenge = ∆T m cH2O ist also 1 J, die Masse m = 1kg und folglich ∆T = 1/cH2O in Einheiten von J, K, kg. Mit cH2O = 4.1813 · 103 J/kg/K ist ∆T = 1/4.1813 · 103 = 0.24 · 10−3 K. Das ist sehr klein, aber... Physik IV - V4, Seite 40 Auswirkungen auf den Menschen Dosis (Ganzkörper) < 0.25 Sv 0.25 Sv 0.5 Sv 1 Sv 2 Sv 5 Sv 10 Sv Auswirkungen keine klinisch nachweisbaren Schäden Abnahme von weißen Blutkörpern Zunehmende Zerstörung von Leukozyten-bildenden Organen, was zu einer Abnahme der Infektionsresistenz führt Deutliche Veränderungen im Blutbild, besonders Abnahme der Leukozyten und Neutrophilen (“Fresszellen”). Übelkeit und andere Symptome Schäden am Gastrointestinaltrakt, die zu Blutungen führen. Etwa 50%-ige Todeswahrscheinlichkeit Zerstörung des neurologischen Systems und etwa 100%-ige Todeswahrscheinlichkeit innerhalb von 24 Stunden. Physik IV - V4, Seite 41 Maximum Permissable Dose (MPD) Die ICRP und der NCRP haben die folgenden Werte für die maximal zuläßige Dosis (Maximum permissable Dose (MPD)) für Bevölkerung und beruflich exponierte Personen herausgegeben. Dabei gilt für alle Expositionen das ALARA-Prinzip (As Low As Reasonably Achievable). Bevölkerung beruflich strahlenexponierte Personen Jährliche MPD Jährliche MPD kumulative MPD Schwangerschaft NCRP 1 mSv 50 mSv 10 mSv × Alter 5 mSv ICRP 1 mSv 20 mSv 2 mSv Zum Vergleich: Wegen der Höhenstrahlung trägt ein Langstreckenflug in 10km Höhe 6 µSv/h zur Dosis bei. Kabinenpersonal bleibt jährlich ca. 1000 Stunden in dieser Höhe, erfährt also etwa 6 mSv/a und muss als beruflich strahlenexponiertes Personal eingestuft werden. (Astronauten auf der ISS erfahren bis zu 35µSv/h.) Physik IV - V4, Seite 42 Art der Strahlenquelle Natürliche Strahlenquellen Kosmische Strahlung (auf Meeresniveau) Terrestrische Strahlung Äußerliche Bestrahlung Einatmen von Radon sonstige innere Strahlung Summe natürliche Strahlenquellen Künstliche Strahlenquellen Medizinische Anwendungen Kernkraftwerke (Normalbetrieb) Folgen des Tschernobyl-Unfalls Atombombenversuche Sonstige künstliche Strahlung Summe künstliche Strahlenquellen Summe nat. u. künstl. Strahlenquellen Effektive Dosis im Jahr 0,3 mSv 0.4mSv 1.1 mSv 0.3 mSv ∼ 2 mSv 1,9 < 0,01 < 0,016 < 0,01 < 0,02 ∼2 ∼4 mSv mSv mSv mSv mSv mSv mSv Physik IV - V4, Seite 43 Die natürliche Hintergrundstrahlung Während man versuchen kann Land Bq/m empf. Grenzwert (und soll), zusätzliche BelastunWelt 39 gen durch “künstliche Strahlung” Island 10 100 zu minimieren (ALARA-Prinzip), Deutschland 49 200 ist dies bei der natürlichen Hinter∗ Schweiz 78 400/1000/3000 grundstrahlung nur in begrenztem Schweden 108 100 Maße möglich. So schwankt die Mexiko 140 mittlere Radonkonzentration in ∗ Neubau/Wohnraum/Arbeitsraum Innenräumen erheblich, wie links ersichtlich (Quelle: WHO). In der Schweiz kann man für jede Gemeinde den Radonstatus erfragen6. 222-Radon entsteht in der 238U Zerfallskette und zerfällt mit einer Halbwertszeit von 3.8 Tagen unter Aussendung eines α-Teilchens. 3 6 http://www.bag.admin.ch/themen/strahlung/00046/11952/index.html?lang=de Physik IV - V4, Seite 44 Quelle:http://www.bag.admin.ch/themen/strahlung/00046/11952/7 Das Risiko an Lungenkrebs zu sterben nimmt pro 100 Bq/m3 um ca. 10% zu. Schätzungen ergeben ca. 230 Radon-Tote/Jahr in der Schweiz, ca. 1900 in Deutschland (WHO, 2009) 7 Physik IV - V4, Seite 45 Hohe natürliche Hintergrundstrahlung Ort/Land Guarapari/Brasilien Ramsar/Iran Kerala/Indien Yangjiang/China Denver/USA Dosisrate bis zu 440 mSv/a bis zu 260 mSv/a bis zu 70 mGy/a 6,4 mSv/a 10,4 mSv/a Die Tabelle zeigt Gegenden Quelle in denen die Hintergrund1 strahlung vorallem aufgrund von Thorium in einer be1 stimmten Sandsorte (Mona2 zit) und Radon sehr hoch 3 ist. 4 Quellen: 1 http://www.sciencemag.org/content/309/5736/883.1.full 2 http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/19066487 3 http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/11142210 4 http://isis-online.org/risk/tab7 Eine Vergleichsmöglichkeit für verschiedene Belastungen gibt http://en.wikipedia.org/wiki/Orders_of_magnitude_%28radiation%29 Physik IV - V4, Seite 46