NANOBIOTECH Nanopumpen für das Chiplabor Achim Wixforth, Jürgen Scriba Wir stellen eine neuartige Technologie vor, die es erlaubt, Pumpen ohne bewegliche Teile auf Chips zu integrieren und so biochemische Reaktionen im Sub-Nanoliter-Bereich durch elektrische Signale zu kontrollieren. Immer detaillierter wird das Wissen um die biochemischen Vorgänge im Zellinnern, immer weiter stößt die pharmakologische Forschung auf die molekularbiologische Ebene vor. Impulse für die Suche nach neuen Targets und Wirkmechanismen erhoffen sich die Forscher nicht zuletzt von der Entschlüsselung des menschlichen Genoms. Genexpressionsanalyse und Zell-Assays gehören inzwischen zu den Standardverfahren des Wirkstoff-Screenings. Der Einsatz solcher Methoden treibt die Miniaturierung der Analyseprozesse voran, denn das parallele Hochdurchsatzscreeing erfordert einen sparsamen Umgang mit rarem Probenmaterial und teuren Reagenzien. Als Fortsetzung der Evolution der Mikrotiterplattentechnik erscheint der Trend zu Biochips geradezu zwangsläufig. Doch beim Übergang von der Mikro- in die Nanoliterwelt sieht sich die Analytik mit physikalischen Problemen konfrontiert. Je mehr die Probenvolumina schrumpfen, desto dominanter werden die Kräfte an ihrer Oberfläche. Flüssigkeiten gegen Adhäsionkraft und Oberflächenspannung etwa durch die mikrometerfeinen Kanäle eines “Lab-on-a-chip” zu pressen, gleicht dem Versuch, Honig durch einen Strohhalm zu saugen. Dementsprechend aufwändig ist die Konstruktion von Pumpsystemen und Flüssigkeitshandling auf dieser Größenskala. Advalytix verfolgt einen neuen Ansatz in der Fluidik, der sich den im Nanoliterbereich relevanten Kräften nicht entgegenstellt sondern eben jene Effekte nutzt, um Reagenzien mit Methoden der Selbstorganisation auf der Oberfläche von Chips zu handhaben. Auf dem Chip integrierte Pumpen ermöglichen dabei den Transport von Proben ohne Totvolumina - eine Technologie zur Realisierung komplexer Nanoessays - in der Forschung, wie auch in zukünftigen miniaturisierten Systemen der Point-of-Care-Diagnostik. Die Relevanz der Oberflächenspannung lässt sich zum Beispiel in der Autowaschanlage beobachten: Bei der abschließenden Warmlufttrocknung dünnt der gerade noch benetzende Wasserfilm aus und formiert sich spontan zu Tropfen, die so stabil sind,dass sie der Luftstrom von der Motor- Abb 1: Benetzungsmodulation a) Wassertropfen auf hydrophiler (links) und hydrophober (rechts) Oberfläche. b) Lithographisch definierte fluidische Leiterbahn: der dunkel erscheinende Flüssigkeitsring ist durch die angrenzenden hydrophoben Bereiche begrenzt. haube bis zum Kofferraumdeckel über den frisch gepflegten Autolack treiben kann. Die Tröpfchenbildung wird einerseits von der Oberflächenspannung der Flüssigkeit und andererseits von den Benetzungseigenschaften der jeweiligen Unterlage bestimmt. Diese Benetzungseigenschaften lassen sich durch physikalische oder chemische Modifikationen in weiten Grenzen modulieren [1]. Durch das Aufbringen monomolekularer Schichten mit geeigneten Kopfgruppen kann ein Substrat zum Beispiel hydrophob oder hydrophil funktionalisiert werden. Photolithographische Verfahren, wie sie aus der Halbleiterfertigung bekannt sind, erlauben es zudem, die Benetzung einer Oberfläche räumlich zu strukturieren und damit Bereiche zu definieren, auf denen die Flüssigkeit geradezu eingesperrt ist. Auf dieser Basis haben wir fluidische “Leiterbahnen” entwickelt, die Reagenzien auf Chipoberflächen führen, ohne dass dafür eine mechanische Strukturierung des Substrats notwendig wäre. Abbildung 1 zeigt eine solche Leiterbahn. nem solchen offenen System natürlich nicht einsetzen. Wir lösen das Problem durch die Integration von Nanopumpen auf dem Chip selbst: Verwendet man ein piezoelektrisches Substrat, können auf dem Chip sogenannte akustische Oberflächenwellen (SAW - Surface Acoustic Wave) angeregt werden, die Reagenzien entlang der fluidischen Leiterbahnen fortbewegen. Die SAW-Technik wird seit langem in der Elektronik eingesetzt, so finden sich zum Beispiel in Handies gleich mehrere Oberflächenwellenfilter. Die Anregung der Wellen geschieht durch metallische Elektroden auf dem Chip, sogenannte Transducer, die ein hochfrequentes elektrisches Signal in eine mechanische Vibration transformieren. Mit einer Amplitude im Nanometerbereich und Wellenlängen von einigen Mikrometern breiten sich die Wellen wie Erdbeben im Nanoformat über den Chip aus [2]. Dabei ZWEIDIMENSIONALE FLUIDIK Solche zweidimensionalen Benetzungsstrukturen (“flat fluidics”) sind im Vergleich zu dreidimensionalen mechanischen Mikrofluidik sehr einfach und preiswert herzustellen. Jeder Reagenzientropfen bildet gleichsam sein eigenes Reagenzglas. Konventionelle Pumpen lassen sich in ei- Abb 2: Pumpen ohne bewegliche Teile - an die Transducer-Elektroden (links) angelegte hochfrequente Wechselspannungen erzeugen auf dem piezoelektrischen Substrat eine mechanische Nanowelle, die Flüssigkeiten in Ausbreitungsrichtung transportiert. Abb. 3: Berührungsloser Transport von Reagenzien - Ein Tropfen von ca. 50nl wird durch akustische Oberflächenwellen entlang einer fluidischen Leiterbahn bewegt. P re p r i n t , Ve r ö ff e n t l i c h u n g i n “ G I T L a b o r- F a c h z e i t s c h r i f t ” 5 / 2 0 0 2 1 NANOBIOTECH Abb.5: Ultraminiatur-Dispenser Eine Reagenz wird über eine lithographisch definierte Schachbrett-Benetzungsstruktur transportiert und hinterlässt ein präzises Muster von 20pl-Volumina Abb 4: Nanoliter-Mischer Homogene Durchmischung von Fluoreszenzfarbstoff in einem Wassertropfen durch schallinduzierte Strömungen übertragen sie einen Teil ihrer Energie auf die Flüssigkeit an der Chipoberfläche. Die Stärke der Wechselwirkung zwischen Welle und Flüssigkeit und die Amplitude der SAW bestimmen dabei, ob eine Strömung innerhalb des Flüssigkeitsvolumens angeregt wird, oder der Tropfen sich als Ganzes bewegt. ZWECKENTFREMDETE HANDY-TECHNIK Unsere auf SAW-Technik basierenden Pumpen haben keinerlei bewegliche Teile und sind mit den gleichen photolithographischen Prozessen herzustellen, mit denen auch die Benetzungsstrukturen auf den Chip gebracht werden. Abbildung 2 zeigt das Funktionsprinzip, Abbildung 3 den Transport eines Tropfens von etwa 50nl Volumen. Die schallinduzierte Strömung innerhalb eines geschlossenen Volumens führt zu einer effizienten Durchmischung der Flüssigkeit - insbesondere dann, wenn die Frequenz oder die Amplitude der SAW über die Zeit geändert wird. Auf diese Weise lassen sich auch kleinste Flüssigkeitsvolumina quasi-chaotisch durchmischen. Eine solche Durchmischung ist bei vielen biologischen Anwendungen im Umgang mit kleinen Volumina nur schwer zu erreichen [3], da die Fluiddynamik im Mikro- oder Nanoliterbereich im allgemeinen nur laminare Strömungen zulässt und die Durchmischung allein durch die vergleichsweise langsame thermische Diffusion getrieben wird. Abbildung 4 zeigt, wie mit Hilfe SAW-induzierter Strömungen die homogene Verteilung in einem Tropfen innerhalb von Sekunden gelingt, und damit mehrere Größenordnungen schneller als durch Diffusion. Die SAW-Nanopumpe findet im “ArrayBooster” Anwendung, den Advalytix gemeinsam mit Grohmann Biotech Automation entwickelt hat. Das Gerät zur Inkubation von DNA- und Protein-Microarrays bringt konventionelle Arrays im Objektträger-Format in Kontakt mit einem SAW-Chip, der während der Inkubation für die Durchmischung der Hybridisierungslösung mit Volumina bis hinunter zu 10 Mikrolitern sorgt. Die Durchmischung senkt die Inkubationszeit und erhöht die Nachweisempfindlichkeit bei schwachen Fluoreszenzsignalen. Die Kombination aus Benetzungsstrukturierung und SAW-Nanopumpe stellt eine Technologieplattform dar, die eine Vielzahl neuer Anwendungen in der Biologie und Chemie ermöglicht. Abbildung 5 zeigt einen Ultraminiaturdispenser, der durch die schachbrettartige Strukturierung der fluidischen Leiterbahn ein präzises Muster von 20pl-Volumina aus einem Reagenzientropfen abtrennt und für weitere Reaktionen auf dem Chip deponiert. Die Funktionseinheiten des zweidimensionalen fluidischen Netzwerks lassen sich wie in einem Baukastensystem zu komplexen fluidischen Prozessoren verschalten. Verschiedene Reagenzien werden auf dem P re p r i n t , Ve r ö ff e n t l i c h u n g i n “ G I T L a b o r- F a c h z e i t s c h r i f t ” 5 / 2 0 0 2 Chip gemischt, zur Reaktion gebracht oder separiert. Im Vergleich zu einer Mikrotiterplatte sind die relevanten Volumina dabei um mindestens einen Faktor 1000 reduziert. In diesem Größenmaßstab können dank der elektronischen Ansteuerung der Nanopumpen zum Beispiel auch einzelne Zellen computergesteuert manipuliert werden. Als Beispiel für einen fluidischen Prozessor ist in Abbildung 6 ein Nanotitrations-Chip illustriert, auf dem von einem Titranten unbekannter Wirkstoffkonzentration (grün) ein kleines Teilvolumen abgespalten und in den Analyten (rot) transportiert wird. Bei Erreichen der kritischen Konzentration wird sich diese etwa durch einen Farbumschlag oder die charakteristische Änderung der Leitfähigkeit des Analyten äußern. Dieses könnte mit durch integrierte Sensorik auf dem Chip in situ nachgewiesen werden. ■ Abb. 6: Illustration eines Nanotitrations-Chips - Auf der Benetzungsstruktur werden vom Titranten (grün) Teilvolumina abgetrennt und über eine fluidische Leiterbahn zum Analyten (rot) am Reaktionspunkt transportiert. Am Chiprand liegen die Transducer-Elektroden, mit den die zum Pumpen benutzten Oberflächenwellen erzeugt werden. LITERATUR [1] “Strukturbildung in dünnen Filmen”, K. Jacobs und S. Herminghaus, Physikalische Blätter 55, 35 (1999) [2] “Nano-Beben auf dem Chip” Achim Wixforth, Physikalische Blätter 54, 649 (1998) [3] “Mixing Nanoliters in Microseconds” James B. Knight, Ashvin Vishwanath, James P. Brody, and Robert H. Austin, Phys. Rev. Lett. 80, 3863 (1998) 2