11. Modalität und Konditionalsätze 11.1 Modalität 11.1.1 Was ist Modalität? Neben der Abhängigkeit von temporalen Parametern gibt es auch die Abhängigkeit von faktischen Parametern. Diese haben wir durch die Einführung von möglichen Welten erfasst. Tempusoperatoren verschieben die temporale Komponente des Auswertungspunktes eines Satzes. Frage: Gibt es auch Verschiebungen der Weltkomponente? Es gibt sie tatsächlich: Dies ist die Aufgabe von modalen Operatoren. Beispiele: (1) a. Es ist neun Uhr. Lola muss jetzt im Büro sein. b. Es ist neun Uhr. Lola könnte jetzt im Büro sein. In (1.a) wird nicht einfach ausgedrückt, dass Lola jetzt im Büro ist, sondern es wird gesagt, dass es zwingende Gründe für die Annahme gibt, dass sie jetzt im Büro ist. Ein solcher Grund könnte sein, dass Lolas vertragliche Arbeitszeit im Büro um 8:30 Uhr beginnt, und dass der Äußerungszeitpunkt an einem Arbeitstag liegt. Folgt aus einem Satz, der mit muss markiert ist, der Satz ohne muss? Dies ist sicher nicht der Fall; die folgenden Sätze sind nicht kontradiktorisch: (2) a. Lola muss jetzt im Büro sein, aber sie ist zuhause und schläft. b. Lola könnte jetzt im Büro sein, aber sie ist zuhause und schläft. Zwar drückt (2) einen Gegensatz aus, aber keine Kontradiktion – anders als in dem folgenden Fall: (3) *Lola ist jetzt im Büro, aber sie ist zuhause und schläft. Bei muss und könnte handelt es sich um sogenannte Modalverben. Die hier skizzierten Bedeutungskomponenten können auch durch andere Mittel ausgedrückt werden, zum Beispiel durch Adverbien, durch Partikeln oder durch übergeordete Sätze: (4) a. Es ist neun Uhr. Lola ist jetzt sicher im Büro. b. Es ist neun Uhr. Lola ist jetzt wahrscheinlich im Büro. c. Es ist neun Uhr. Lola ist jetzt möglicherweise im Büro. d. Es ist neun Uhr. Es ist möglich, dass Lola jetzt im Büro ist. Allgemein gesprochen handelt es sich bei Ausdrücken wie muss, sicher oder möglich um modale Operatoren. Es ist bereits deutlich geworden, dass man einen Satz mit einem modalen Operator nicht einfach in seinem Wahrheitswert beurteilen kann, wenn man die Verhältnisse in der “wirklichen” Welt kennt, d.h. der Welt, in der der Satz geäußert wurde. Wir müssen offensichtlich die Wahrheitswerte des Satzes in bestimmten anderen möglichen Welten kennen. Für (1.a) zum Beispiel ist es nötig, den Wahrheitswert des Satzes Lola ist jetzt im Büro in den Welten zu kennen, in denen sich Lola den Bedingungen ihres Arbeitsvertrages gemäss verhält. Die semantischen Beziehungen von Ausdrücken mit modalen Operatoren werden in der sogenannten Modallogik untersucht, einem sehr wichtigen Zweig der Logik, der bis auf Aristoteles zurückgeht. © Manfred Krifka, Semantik, Institut für deutsche Sprache und Linguistik, HU Berlin Modalität 2 11.1.2 Modallogik Die moderne Modallogik wurde von dem amerikanischen Logiker C. I. Lewis initiiert. Sie verwendet zusätzlich zu den aussagenlogischen Symbolen den Boxoperator ⃞ für Notwendigkeit und den Diamantoperator ⃟ für Möglichkeit: (5) a. b. ⃞Φ: Es ist notwendig dass Φ ⃟Φ: Es ist möglich dass Φ Notwendigkeit und Möglichkeit stehen in logischer Beziehung zueinander: Ein Satz kann nicht möglicherweise wahr sein, wenn er notwendigerweise falsch ist, und umgekehrt: (6) ¬⃟Φ ⇔ ⃞¬Φ. Wie die beiden modallogischen Symbole zu verstehen sind wurde in der Frühzeit der Modallogik durch Axiome zu erfassen versucht, und es wurden die Konsequenzen aus diesen Axiomen erforscht. Dies änderte sich dramatisch durch die Arbeiten von Saul Kripke von 1958. Die Grundidee, die bereits auf Leibniz zurückgeht, ist die folgende: Um einem Satz mit Modaloperator einen Wahrheitswert in der aktuellen Welt zuzuweisen, muss man sich die Wahrheitswerte dieses Satzes in einer bestimmten Menge von möglichen Welten ansehen. Um beispielsweise die Wahrheit unserer Beispielsätze (1) und (4) zu bestimmen, muss man sich den Wahrheitswert des Satzes Lola ist jetzt im Büro in den Welten ansehen, in denen sich Lola ihrem Arbeitsvertrag gemäss verhält. Diese Menge wird die Menge der zugänglichen möglichen Welten genannt (“accessible possible worlds”) Die Vorstellung, die diesem Begriff zugrundeliegt, ist diejenige, dass es von den faktischen Gegebenheiten in einer Welt w abhängt, wie die Welten beschaffen sein müssen, die für die Auswertung von modalen Sätzen eine Rolle spielen. Wenn beispielsweise in der Welt w1 Lola einen Arbeitsvertrag geschlossen hat, der sie verpflichtet, werktags um 8:30 in ihrem Büro zu erscheinen, dann sind in i all diejenigen Welten zugänglich, in denen Lola werktags um 8:30 Uhr in ihrem Büro ist, und die anderen nicht. Wenn sie in der Welt w2 einen anderen oder gar keinen Arbeitsvertrag geschlossen hat, dann sind möglicherweise andere Welten zugänglich. Bei der Zugänglichkeit handelt es sich also um eine Relation zwischen möglichen Welten. Für sie wird oft der Buchstabe R verwendet; wir schreiben R(w)(w′), um auszudrücken, dass die Welt w′ von der Welt w aus zugänglich ist, und wir schreiben R(w) für die Menge der möglichen Welten, die von w aus zugänglich sind. (7) a. R(w): Die Menge der von w aus zugänglichen Welten, in Bezug auf die Relation R. b. R(w)(w′), oder i′∈R(w): Die Welt w´ ist von w aus zugänglich, in Bezug auf die Relation R. In den beiden letzten Kapiteln zu Tempus und Aspekt haben wir einen zusammengesetzten Index eingeführt, der aus einer Weltkomponente und einer Zeitkomponente besteht. Indizes i hatten die Form von Paaren 〈w,t〉. Wir werden diese Darstellung in diesem Abschnitt der Einheitlichkeit halber weiter beibehalten und R(i) als die Menge der von dem Index i aus zugänglichen Indizes sprechen. Wir sollten dabei in Erinnerung behalten, dass modale Operatoren vor allem die Weltkomponente von Indizes betreffen, und nicht die Zeitkomponente (wobei wir allerdings bei der Diskussion des Futur-Paradoxes bereits gesehen haben, dass sich diese beiden Komponenten oft nicht gut trennen lassen). Es gibt viele verschiedene Zugänglickeitsrelationen; wir werden später etwas näher darauf eingehen. © Manfred Krifka, Semantik, Institut für deutsche Sprache und Linguistik, HU Berlin 3 Modalität und Konditionalsätze 11.1.3 Notwendigkeit und Möglichkeit Es gibt zwar in der natürlichen Sprache eine grosse Vielfalt von modalen Ausdrücken, man kann aber dafür argumentieren, dass zwei davon besonders elementar sind. Es handelt sich um den Ausdruck der Notwendigkeit und der Möglichkeit: (8) a. Es ist notwendig, dass Lola jetzt im Büro ist. b. Es ist möglich, dass Lola jetzt nicht im Büro ist. (8.a) drückt aus, dass Lola in allen zugänglichen möglichen Welten jetzt im Büro ist. Wenn die zugänglichen Welten die sind, in denen sich Lola ihrem Arbeitsvertrag gemäß verhält, dann sagt dieser Satz, dass Lola verpflichtet ist, jetzt im Büro zu sein. Wenn sie jetzt nicht im Büro ist, dann verstößt sie gegen eine Verpflichtung. (8.b) drückt hingegen aus, dass Lola in mindestens einer der zugänglichen möglichen Welten jetzt nicht im Büro ist. Wenn es sich dabei um die Menge der Welten ist, in denen sich Lola ihrem Arbeitsvertrag gemäß verhält, dann sagt dieser Satz, dass aus ihrem Vertrag nichts dagegen spricht, dass sie sich jetzt nicht im Büro aufhält. Es gibt also keine Verpflichtung, im Büro zu sein. Man kann die Bedeutung von Sätzen wie (8.a,b) mithilfe eines Venndiagramms der möglichen Indizes wie folgt visualisieren: (9) Es ist notwendig, dass Lola jetzt im Büro ist. Menge aller Indizes Index i Menge der zugänglichen Indizes R(i) Proposition ‘Lola ist jetzt im Büro’ (10) Es ist möglich, dass Lola jetzt im Büro ist. Menge aller Indizes Index i Menge der zugänglichen Indizes R(i) Proposition ‘Lola ist jetzt im Büro’ © Manfred Krifka, Semantik, Institut für deutsche Sprache und Linguistik, HU Berlin Modalität 4 (11) Es ist nicht möglich, dass Lola jetzt im Büro ist. Menge aller Indizes Index i Menge der zugänglichen Indizes R(i) Proposition ‘Lola ist jetzt im Büro’ In (9) sind die zugänglichen Indizes R(i) in den Indizes, zu denen die Proposition wahr ist, enthalten. Das heißt, die Proposition ist für alle zugänglichen Indizes wahr. In (10) gibt es mindestens einen Index in der Menge R(i), der auch ein Index ist, zu dem die Proposition wahr ist. In (11) schließlich ist dies nicht der Fall, die Menge der zugänglichen Indizes und die Indizes, zu denen die Proposition wahr ist, sind disjunkt. Es wird an diesen Beispielen deutlich, dass man die beiden Modalitäten Notwendigkeit und Möglichkeit durch den Allquantor ∀ und den Existenzquantor ∃ ausdrücken kann. Der Allquantor drückt ja aus, dass eine Menge, die Restriktormenge, eine Teilmenge einer anderen ist, und der Existenzquantor drückt aus, dass zwei Mengen keinen leeren Durchschnitt miteinander haben. Wenn wir der Einfachheit halber von allen syntaktischen Feinheiten abstrahieren und Notwendigkeit und Möglichkeit als Satzoperatoren darstellen, wenn R die relevante Zugänglichkeitsrelation ist, und wenn wir die temporale Komponente außer acht lassen, dann können wir die folgenden Bedeutungsregeln angeben: (12) a. 〚NOTWENDIG(R) Φ〛 b. 〚MÖGLICH(R) Φ〛 = λi[R(w) ⊆ 〚Φ 〛] = λi[R(w) ∩ 〚Φ〛 ≠ ∅] Da die Bedeutung des modalen Operators von der Zugänglichkeitsrelation R abhängt, haben wir diese als einen Parameter des Operators angenommen. Für unsere Beispielsätze haben wir demnach die folgenden Bedeutungen: (13) 〚NOTWENDIG(R) [Lola ist um 9 Uhr werktags im Büro]〛 = λi[R(i) ⊆ 〚Lola ist um 9 Uhr werktags im Büro〛] = λi[R(i) ⊆ λi′[Lola ist um 9 Uhr werktags im Büro in i′]] (14) 〚MÖGLICH(R) [Lola ist um 9 Uhr werktags nicht im Büro]〛 = λi[R(i) ∩ 〚Lola ist um 9 Uhr werktags nicht im Büro]] ≠ ∅] = λi[R(i) ∩ λi′¬[Lola ist um 9 Uhr werktags im Büro in i′] ≠ ∅] Demnach ist (13) eine Funktion von Indizes in Wahrheitswerte, wobei der Index i auf den Wahrheitswert 1 abgebildet wird, wenn zu allen Indizes in R(i), d.h. in allen Welten, in denen Lola ihre Verpflichtungen erfüllt, auch gilt, dass Lola um 9 Uhr werktags im Büro ist. Und (14) ist eine Funktion von Indizes in Wahrheitswerte, wobei der Index i auf den Wahrheitswert 1 abgebildet wird, wenn mindestens zu einem Index in R(i), d.h. in mindestens einer der Welten, in denen Lola ihre Verpflichtungen erfüllt, auch gilt, dass Lola um 9 Uhr werktags nicht im Büro ist. Man beachte, dass der Satz Lola ist um 9 Uhr werktags im Büro gar nicht zu der Auswertungswelt i ausgewertet wird, sondern zu allen Welten, die von i aus zugänglich sind. Dies haben Modusoperatoren mit Tempusoperatoren gemeinsam: So wie etwa ein Präteritums-Operator den Auswertungszeitpunkt verschiebt, so verschieben Modaloperatoren die Auswertungswelt. Dies sieht man insbesondere beim Möglichkeitsoperator, den man ganz ähnlich interpretieren kann: © Manfred Krifka, Semantik, Institut für deutsche Sprache und Linguistik, HU Berlin 5 Modalität und Konditionalsätze (15) a. 〚Lola war im Büro.〛 b. 〚Lola kann im Büro sein.〛 = λi∃i′[i′ < i ∧ [Lola ist im Büro bei i′]] = λ〈w,t〉∃t′[t′ < t ∧ [Lola ist im Büro bei 〈w, t′〉]〛 = λi∃i′[R(i′)(i) ∧ [Lola ist im Büro bei i′]] = λ〈w,t〉∃w′[R(w)(w′) ∧ [Lola ist im Büro bei 〈w′, t〉] Man kann übrigens den Möglichkeitsoperator auf den Notwendigkeitsoperator zurückführen oder umgekehrt, und zwar mithilfe der Negation. Es gilt nämlich, dass ein Satz Φ notwendig gilt, wenn es nicht möglich ist, dass er nicht gilt. Und es gilt auch: Φ ist möglich, wenn es nicht notwendig ist, dass er nicht gilt. Wir haben die folgenden Äquivalenzen, wobei wir NICHT als Propositions-Negation λpλi[¬p(i)] verstehen. (16) a. 〚NOTWENDIG(R) Φ 〛 = 〚NICHT [MÖGLICH(R) [NICHT Φ]]〛 b. 〚MÖGLICH(R) Φ〛 = 〚NICHT [NOTWENDIG(R) [NICHT Φ]]〛 Dies folgt aus mengentheoretischen Überlegungen aus unseren Bedeutungsregeln in (12.a,b) und der Bedeutung von NICHT. Ein Beispiel: (17) 〚NOTWENDIG(R) Φ 〛 = λi[R(i) ⊆ 〚Φ 〛] = λi[R(i) ∩ 〚Φ〛 ′ = ∅] = λi[R(i) ∩ 〚NICHT Φ〛 = ∅] = [λi[R(i) ∩ 〚NICHT Φ〛 ≠ ∅]]′ = 〚 [MÖGLICH(R) [ NICHT Φ]〛]′ = 〚NICHT [MÖGLICH(R) [NICHT Φ]]〛 (Bedeutungsregeln von NOTWENDIG) (Mengentheoretisches Gesetz: A⊆B gdw. A∩B′ = ∅ (Bedeutungsregel von NICHT) (logische Gesetzmäßigkeit) (Bedeutungsregel von MÖGLICH) (Bedeutungsregel von NICHT) Man kann also auf einen der beiden Modaloperatoren vom streng logischen Standpunkt aus verzichten. Neben NOTWENDIG und MÖGLICH gibt es jedoch noch weitere Operatoren gibt. Ein Beispiel ist derjenige, der durch wahrscheinlich ausgedrückt wird. Er drückt eine stärkere Modalität als MÖGLICH aus, aber eine schwächere als NOTWENDIG. Es liegt nahe, solche modalen Operatoren mit anderen Quantoren zu beschreiben, wahrscheinlich etwa mit dem Quantor ‘die meisten’: Der Satz Lola ist wahrscheinlich im Büro ist dann wahr, wenn in den meisten der zugänglichen möglichen Welten gilt, dass Lola im Büro ist. 11.1.4 Modalitätsarten Bisher sind wir einfach von einer bestimmten Zugänglichkeitsrelation R ausgegangen, welche gesetzliche Verpflichtungen wie z.B. Arbeitsverträge erfasst. Diese Art der Modalität nennt man auch “deontisch”, nach griech. δέον ‘das Nötige, die Pflicht’. Deontische Modalität (18) Deontische Modalität: R ⊆ I × I, wobei R(i, i′) gdw. i′ ein Index ist, in der es nach den Gesetzen von i zugeht. Wir haben bereits Beispiele für deontische Modalität kennengelernt; hier einige weitere: (19) a. b. In Kenia muss man auf der linken Straßenseite fahren. In Texas darf man am Sonntag vor 12 Uhr kein Bier kaufen. Das Gesetz ⃞Φ → Φ gilt für deontische Modalität natürlich nicht, da Gesetze gebrochen werden können. © Manfred Krifka, Semantik, Institut für deutsche Sprache und Linguistik, HU Berlin Modalität 6 Alethische Modalität Ein Anwendungsbereich, für den die Modallogik entwickelt wurde, ist die Darstellung der Beziehung der logischen Folgerung. Diese Art der Modalität wird alethisch genannt, nach griech. ἀλήϑεια ‘Wahrheit’. Für die alethische Modalität ist R einfach die Relation, die zwischen allen möglichen Welten besteht: Ein Satz ist logisch notwendig (eine Tautologie) gdw. der Satz in allen möglichen Welten wahr ist, und er ist logisch möglich (ein kontingenter Satz) gdw. er in mindestens einer möglichen Welt wahr ist. (20) Alethische Modalität: R = I × I, 〚⃞Φ〛(i) = 1 gdw. für alle i′ sodass R(i, i′) gilt: 〚Φ]] (i′) = 1 gdw. für alle i′, 〚Φ〛 (i′) = 1 Zwei Beispiele für alethische Modalität; es handelt sich um einen logischen bzw. um einen mathematischen Satz, und solche Sätze haben die Eigenschaft, entweder in allen Welten wahr oder in allen Welten falsch zu sein. (21) a. Wenn es regnet und schneit, dann muss auch gelten: Es schneit oder regnet. b. Die Lösung der Gleichung y = 2 – x muss positiv sein. Für die alethische Modalität gilt natürlich: ⃞Φ → Φ, d.h. wenn Φ notwendig der Fall ist, dann gilt auch, dass Φ der Fall ist. Epistemische Modalität Ein weiterer Fall, für den die Modallogik angewendet wurde, bezieht sich auf die Erwartungen, die Sprecher aufgrund ihres Hintergrundwissens haben. Diese Art der Modalität nennt man epistemische Modalität, nach griech. ἐπιστήμη ‘Wissen’. Beispiele hierfür: (22) a. b. Die Straßen sind nass, es muss geregnet haben. Wolken ziehen auf, es könnte bald regnen. Der epistemischen Modalität liegt folgende Relation zugrunde: (23) Epistemische Modalität: R ⊆ I × I, wobei R(i)(i′) gdw. gilt: i′ ist ein Index, der kompatibel ist mit dem, was in i bekannt ist. Es ist vielleicht nicht sofort einsichtig, dass es eine Eigenschaft eines Index i sein kann, festzulegen, was in i bekannt ist. Aber stellen wir uns vor, dass die Menschen in der Welt von i lernen, aus heraufziehenden Wolken Regen vorherzusagen. In dieser Welt kann man dann einen Satz wie (23) äußern. (24) Die Strassen sind nass, es muß geregnet haben. Nein – ein Hydrant hatte ein Leck, und es ist viel Wasser ausgelaufen. Die epistemische Modalität bezieht sich häufig auf das Wissen von bestimmten Personen, ähnlich wie sich die deontische Modalität auf bestimmte Gesetze bezieht. Es gibt in der Sprache Möglichkeiten, zwischen verschiedenen epistemischen Wissensquellen zu unterscheiden; solche Unterscheidungen fasst man häufig in der Kategorie des Evidentialis zusammen. Im Deutschen gibt es eine ganze Reihe von Evidentialis-Formen: (25) a. b. c. d. Hans berief sich auf Notwehr. Man {habe (KONJUNKTIV I) / hat (INDIKATIV)} ihn angegriffen. Peter will angegriffen worden sein. Maria soll angegriffen worden sein. Laut Hans ist Maria angegriffen word. © Manfred Krifka, Semantik, Institut für deutsche Sprache und Linguistik, HU Berlin 7 Modalität und Konditionalsätze In (25.a) drückt der Konjunktiv I aus, dass der Sprecher die Meinung eines anderen wiedergibt, ohne diese positiv oder negativ zu bewerten. In (b) drückt die Wahl des Auxiliars wollen aus, dass der Satz die Meinung des Subjekts (Peter) wiedergibt. In (c) deutet das Auxiliar sollen aus, dass der Inhalt des Satzes von der Sprachgemeinschaft allgemein, oder doch zu wesentlichen Teilen, geglaubt wird. Und in (d) kann man explizit die Quelle der Erkenntnis angeben. Physische Modalität (Dynamische Modalität) Eine weitere Art der Modalität bezieht sich auf die physische Fähigkeit – auf das, was jemand tun kann oder muss, aus inneren Beweggründen heraus. Beispiele: (26) Maria kann Klavier spielen.. Im Unterschied zur deontischen Modalität bezieht sich die physische Modalität auf die einer Person inhärenten Gesetze und Möglichkeiten. (27) Physische Modalität: R ⊆ I × I wobei R(i)(i´) gdw. i´ eine Welt ist, in denen Handlungen vollzogen werden, die mit den Fähigkeiten der Personen usw. in i übereinstimmen. Bulethische Modalität Diese Modalität hat mit Wünschen zu tun, die ebenfalls als modale Aussagen verstanden werden können (griech. βούλευμα ‘Wunsch’). (28) Bulethische Modalität: R ⊆ I, wobei R(i)(i′) gdw. i′ eine Welt ist, die mit dem übereinstimmt, was in i gewollt wird. (29) Maria will einen Porsche haben. Um welche Art von Modalität es sich bei einem Satz handelt, bleibt nicht selten dem Kontext überlassen. Es gibt jedoch bei verschiedenen modalen Ausdrücken auch eindeutige Präferenzen: (30) a. b. Lola muss jetzt im Büro sein. (deontisch oder epistemisch). Lola müsste jetzt im Büro sein. (epistemisch). (31) a. b. c. Lola kann jetzt zu Hause sein. (deontisch oder epistemisch) Lola könnte jetzt zu Hause sein. (epistemisch) Lola darf jetzt zu Hause sein. (deontisch) Der Typ der Modalität kann auch explizit gemacht werden: (32) a. b. Nach allem, was ich weiss, muss Lola jetzt im Büro sein. Nach ihrem Arbeitsvertrag darf Lola jetzt nach Hause gehen. 11.2 Gradierte Modalität 11.2.1 Ordnungsquellen Nach dem Konzept der Modalität, wie es bis zu diesem Punkt entwickelt wurde, bilden die von einer Welt zugänglichen Welten eine unstrukturierte Menge. Dies ist für die Beschreibung von bestimmten Phänomenen unzureichend. Wir wollen beispielsweise bei der deontischen Modalität unterscheiden, ob eine Welt optimal den Gesetzen entspricht, oder von ihnen nur ein wenig abweicht, oder ob sie den Gesetzen ganz zuwiderläuft. Bei der epistemischen Modalität wollen wir unterscheiden, ob eine Welt ganz mit unseren Annahmen übereinstimmt, ob sie von ihnen © Manfred Krifka, Semantik, Institut für deutsche Sprache und Linguistik, HU Berlin Gradierte Modalität 8 nur in unbedeutender Weise entgegensteht, oder ob sie völlig anders ist, als wir es erwartet haben. Das heißt, wir können Welten nicht einfach in den zwei Klassen zugänglich/nicht zugänglich zuweisen, sondern müssen feinere Unterscheidungen treffen. Der Sprachphilosoph David Lewis hat in seinem Buch Counterfactuals (1973) genau dies vorgeschlagen, dort vor allem für die adäquate Behandlung von Konditionalsätzen (siehe unten), und die Sprachwissenschaftlerin Angelika Kratzer (1977, 1981) hat ähnliche Vorstellungen für Modale im allgemeinen entwickelt. Nehmen wir als Beispiel die epistemische Modalität. Wir müssen ausdrücken, dass hinsichtlich einer bestimmten Art der epistemischen Modalität R, z.B. nach dem allgemeinen Wissen in einer bestimmten Welt w, die Welt w´ mindestens so gut mit den Annahmen übereinstimmt wie die Welt w″. Für diese ziemlich komplexe Relation schreiben wir w´ ≤R,w w″. Diese Relation drücken wir wie sonst auch über Welt-Zeit-Indizes aus: (33) i´ ≲R,i w″ gdw. gilt: Hinsichtlich einer Modalität R gilt zu dem Welt-Zeit-Index i: Der Index i´ stimmt mindestens so gut mit den R-Regeln in i überein wie der Index i″. Ein Beispiel: Es sei i ein Index der tatsächliche Welt und R das Allgemeinwissen, wie es in der tatsächlichen Welt vorliegt. Es sei i´ eine Welt, die so beschaffen ist wie die tatsächliche Welt i´, außer dass Manne 5000 Euro im Lotto gewonnen hat, und i ist eine Welt, die so beschaffen ist wie i, außer dass Manne 500000 Euro im Lotto gewonnen hat. Im allgemeinen wird dann i´ ≤R,i w″ gelten, da wir es als wahrscheinlicher ansehen, dass eine Person 5000 Euro im Lotto gewonnen hat, als dass eine Person 500000 Euro im Lotto gewonnen hat. Kratzer nennt eine gradierte Zugänglichkeitrelation ≲R eine Ordnungsquelle (ordering source), weil sie die Indizes nach ihrer Normalität bezüglich eines bestimmten Kriteriums, wie etwa dem allgemeinen Wissen, anordnet. Wir reden auch weiter von der Menge R(i); das ist die Menge der Indizes, die überhaupt von der Ordnungsquelle erfasst werden: (34) R(i) = {i′ | ∃i″[i′ ≲R,i i″ ∨ i″ ≲R,i i′]} 11.2.2 Weltensphären Es ist wichtig zu sehen, dass Ordnungsquellen keine linearen Ordnungen sind und auch keine sogenannten Halbordnungen. Insbesondere können wir bei zwei beliebigen Indizes i´, i″ im allgemeinen nicht davon ausgehen, dass entweder i′ normaler ist als i″, oder umgekehrt i″ normaler als i′. Die Ordnungsquelle kann vielmehr i′ und i″ als gleich in ihrer Normalität einstufen. Es handelt sich bei ≲R,i um eine sogenannte Quasiordnung. Quasiordnungen haben die Eigenschaften der Reflexivität und der Transitivität: (35) a. b. Reflexivität: Für alle w, w´: w′ ≲R,w w´ Transitivität: Für alle w, w´, w″, w″′: Wenn w′ ≲R,w w″ und w″ ≲R,w w″′, dann gilt: w′ ≲R,w w″′ Ein interessantes Veranschaulichungsmittel für diese Struktur hat David Lewis vorgeschlagen. Danach werden die Punkte in einem Venndiagramm so angeordnet, dass sie konzentrische Kreise oder “Sphären” bilden. Die Welten in einer Sphäre unterscheiden sich nach der Relation ≤R,w nicht, sind aber nach der Relation ≤R,w “normaler” als die Welten der weiter nach außen gelegenen Sphären. © Manfred Krifka, Semantik, Institut für deutsche Sprache und Linguistik, HU Berlin 9 Modalität und Konditionalsätze (36) I, die Menge aller Indizes die Welt i die normalsten Indizes, nach der Ordnunsquelle ≲R,i i1 i2 i0 sukzessive weniger normale Indizes, nach ≲R,i Es gilt beispielsweise: i0 ≲R,i i1 und i1 ≲R,i i0, i0 ≲R,i i2, aber nicht i2 ≲R,i i0 i1 ≲R,i i2, aber nicht i2 ≲R,i i1 Wie können wir nun diese reichere Struktur einsetzen? Die zugrundeliegende Idee ist, dass ein Satz des Typs Es ist notwendig, dass Φ, geäußert zu einem Index i und einer Modalität R, folgendes besagt: Die “normalsten” Indizes bezüglich ≲R,i sind solche, zu denen die Proposition Φ wahr ist. Und ein Satz des Typs Es ist möglich, dass Φ besagt, dass es unter den “normalsten” Indizes solche gibt, für die Φ wahr ist. (37) Es ist notwendig, dass Φ Es ist möglich, dass Φ Φ Φ Die Bedingung für die Notwendigkeit kann wie folgt definiert werden: (38) 〚⃞RΦ〛(i) = gdw. Es gibt ein i´ mit i´∈R(i) und für alle i″ ≲R,i i´ gilt: 〚Φ〛(i″) = Dies besagt: Es gibt einen Schwellenindex i´, sodass für jeden Index i″, der mindestens so mormal ist wie i′, gilt, dass die Proposition Φ zu i″ wahr ist. – Die Bedingung für die Möglichkeit ist entsprechend so zu formulieren: (39) 〚⃟RΦ〛(i) = gdw. Es gibt ein i´ mit i´∈R(i) und für alle i″ ≲R,i i´ gilt: Es gibt ein i″′ sodass i″′ ≲R,i i″ und i″ ≲R,i i″′, sodass gilt: 〚Φ〛(i″′) = Dies besagt: Für Indizes i″ , die mindestens so normal sind wie der Schwellenindex i´ gibt es stets einen äquivalenten Index i″′, zu dem die Proposition Φ wahr ist. © Manfred Krifka, Semantik, Institut für deutsche Sprache und Linguistik, HU Berlin Gradierte Modalität 10 11.2.3 Einschränkungen der Ordnungsquelle Der eben gemachte Vorschlag scheint zunächst nichts wirklich Neues zu bieten. Wir können nämlich die normalsten Indizes (die innerste Sphäre) einfach als die Menge der zugänglichen Indizes im Sinne der nicht-gradierten Modalität von Abschnitt 11.1.3 deuten. Alle Sphären außerhalb der innersten erscheinen eigentlich als überflüssig. Die gradierten Modalität kann allerdings Fälle erklären, in denen die “normalsten” Indizes durch faktische Information ausgeschlossen wird. Dies soll das folgende Beispiel veranschaulichen: (40) A: Hast du schon gehört? Die Bundeskanzlerin war um 9 Uhr in Berlin, und um 10 Uhr in Rostock. B: Sie muss mit einem Hubschrauber geflogen sein. Sprecher A drückt hier eine Proposition aus, die durchaus unerwartet ist. Es gehört nicht zu den normalen, erwarteten Weltverläufen, um 9 Uhr noch in Berlin und um 10 Uhr in Rostock zu sein. Diese Proposition enthält also keine maximal normalen Indizes. Trotzdem drückt der zweite Satz etwas aus, was über maximal normale Indizes erfasst wird. Doch nun sind die maximal normalen Indizes diejenigen, die innerhalb der Propositon, die A ausdrückt, maximal normal sind. Dies sollen die folgenden Schaubild erläutern: (41) Die Bundeskanzlerin war um 9 Uhr in Berlin und um 10 Uhr in Rostock. ‘Die Bundeskanzlerin war um 9 Uhr in Berlin und im 10 Uhr in Rostock.’ Neue maximal normale Indizes Sie muss mit einem Hubschrauber geflogen sein. ‘Sie ist mit einem Hubschrauber geflogen.’ Im ersten Schritt wird die für die Folgensätze relevante Menge der Indizes eingeschränkt auf die, für welche die Proposition ‘Die Bundeskanzlerin war um 9 Uhr in Berlin und um 10 Uhr in Rostock’ wahr ist. Hierbei entsteht eine neue Menge von maximal normalen Indizes aus der Kombination der Ordnungsquelle und der ausgedrückten Proposition. Die zweite Proposition wird vor diesem Hintergrund evaluiert. Hier genügt es, dass die normalsten Indizes innerhalb der Propositon ‘Die Bundeskanlzerin war um 9 Uhr in Berlin und um 10 Uhr in Rostock’ betrachtet werden; alle diese Indizes müssen die Bedingung erfüllen, dass die Kanzlerin den Hubschrauber genommen hat. Alternativen wie z.B. die Verwendung eines regulären Flugzeugs, eines Rennwagens auf der abgesperrten Autobahn, einer eigens dafür eingerichteten Magnetschwebebahn oder gar einer Rakete werden als weniger normal eingestuft und sind für die Beurteilung des Satzes nicht relevant. © Manfred Krifka, Semantik, Institut für deutsche Sprache und Linguistik, HU Berlin 11 Modalität und Konditionalsätze Der Satz von B enthält ein modales Element, muss. Es wird offensichtlich epistemisch interpretiert. Nach der klassischen Modallogik drückt der Satz aus: In allen Welten, die kompatibel mit dem Wissen von B sind, ist die Bundeskanzlerin mit dem Hubschrauber geflogen, um von Berlin nach Rostock zu gelangen. In dieses Wissen gehen Fakten ein wie: die Entfernung zwischen Berlin und Rostock, die Geschwindigkeit von alternativen Transportmitteln wie Auto, Eisenbahn und Flugzeug, die Existenz oder Nichtexistenz von Flughäfen in Berlin und Rostock, die Verfügbarkeit von Hubschraubern für die Bundeskanzlerin usw. Aber ist das die richtige Analyse? Vielleicht hat die Bundeskanzlerin doch ein Flugzeug genommen und ist auf einem kleinen Flugplatz in Rostock gelandet. Oder die Autobahn wurde für ihn gesperrt und er konnte mit Höchstgeschwindgkeit chauffiert werden. Oder es wurde eine sehr schnelle Zugverbindung für ihn eingerichtet. Oder es wurde eigens über Nacht eine Magnetschwebebahn errichtet. Oder er hat einen Zaubertrank genommen und ist durch die Lüfte geflogen. Zumindest die ersten Möglichkeiten will Sprecher B vielleicht nicht unbedingt ganz ausschließen. Mit seinem Satz will er jedoch ausdrücken, dass er es am wahrscheinlichsten hält, dass der Bundeskanzler einen Hubschrauber genommen hat. Alle anderen Möglichkeiten sind weniger wahrscheinlich, einige vielleicht gänzlich unwahrscheinlich. Mit dieser Implementation sind wir sehr nahe bei den Konditionalsätze, für die Lewis und Kratzer ihre Theorie eigentlich entwickelt haben und der wir uns jetzt zuwenden. 11.2.4 Grundsätzliche Beobachtungen Modalität kann auf recht unterschiedliche Weise ausgedrückt werden. Einige Beispiele: (42) a. b. c. d. e. f. Lola muss das Geld finden. Lola weiß wahrscheinlich, wo das Geld ist. Lola hat das Geld zurückzugeben. Lola ist verpflichtet, das Geld zurückzugeben. Das Wasser ist trinkbar. Der angebliche Dieb war schließlich doch unschuldig. In (42.a) wird die Modalität durch ein Modalverb muss angezeigt. Es handelt sich hierbei um das flektierte Verb des Satzes; das unflektierte steht im Infinitiv. Die Konstruktion ist damit ähnlich wie beim Futur, Hans wird seine Steuererklärung abgeben. Weitere Modalverben des Deutschen neben müssen sind können und dürfen. Modalverben bilden auch in ihren Formeigenschaften eine bemerkenswerte Klasse im Deutschen: In ihnen lautet die 1. Person und die 3. Person im Präsens gleich (Ich muss kommen, Lola muss kommen), anders als bei anderen Verben (Ich komm-e, Lola komm-t). Es handelt sich historisch um Vergangenheitsformen, sogenannten Präterito-Präsentien, und im Präteritum wird zwischen der 1. und 3. Person ja ebenfalls nicht unterschieden. In (42.b) dient ein Adverbial zum Ausdruck der Modalität. Andere Fälle dieser Klasse sind notwendigerweise oder möglicherweise. Adverbiale dieser Art dienen typischerweise zum Ausdruck von nicht-deontischer Modalität. (42.c) ist eine komplexe Konstruktion, bestehend aus dem Verb haben und einem zu-Infinitiv, und (42.d) eine Konstruktion, in der ein Hauptverb verpflichtet eine Infinitiv-Konstruktion regiert. In beiden Fällen erhalten wir eine deontische Bedeutung. (42.d,e) sind zwei Fälle, in denen sich die Modalität nicht über den gesamten Satz erstreckt. Satz (e) ist zu interpretieren als: Es ist möglich (nicht gegen die Gesundheit gerichtet), das Wasser zu trinken. Die Modalität drückt hier die Fähigkeit aus, etwas zu tun, ohne Gesundheitsschäden zu erleiden – eine recht spezifische Art der Modalität. In Satz (f) hat der durch ein Adjektiv ausge- © Manfred Krifka, Semantik, Institut für deutsche Sprache und Linguistik, HU Berlin Konditionalsätze 12 drückte Modaloperator Skopus über die Nominalphrase; es handelt sich um einen epistemischen Operator, der sich auf das kollektive Wissen oder Meinen einer Sprechergemeinschaft bezieht. 11.2.5 Integration in die Grammatik Bisher haben wir in unserer semantischen Analyse der Modalität nicht weiter beachtet, wie Modalität ausgedrückt wird. Wir wollen hier nun in unser Fragment eine Behandlung von Modalverben und Modaladverbien einführen. Wie bereits erläutert, müssen wir hierzu annehmen, dass der Kontext, in dem der Satz geäußert wird, eine Modalbasis R und eine Ordnungsquelle ≤ bereitstellt. Es sei c eine Variable für Kontexte, dann schreiben wir wc für die Welt des Kontexts, tc für die Zeit, Rc für die Zugänglichkeitsrelation und daher ≲Rc für die Ordnungsquelle. Beginnen wir mit Modaladverbien wie notwendigerweise, möglicherweise und wahrscheinlich. Eine naheliegende Analyse ist, dass diese Adverbien eine Proposition modifizieren. Syntaktisch gesehen modifizieren sie eine VP. (43) 〚notwendigerweise〛 = λcλiλp[für alle i′∈Rc gibt es ein i″ ≲Rc,i i′ und für alle i″′ ≲Rc,i i″ gilt: p(i″′)] Es folgt eine Analyse eines einfachen Beispiels (46), der VP notwendigerweise Lola renn-, die beispielsweise dem Satz (45) zugrundeliegt, der hier in Standardnotation wiedergegeben wird. (44) [CP Lola2 [C′ [Co renn1-t]3 [IP [ I′ e2 [VP notwendigerweise [VP e2 e1]][e1 -t]3]]] (45) 〚 [VP notwendigerweise [Lola renn-]〛 = λcλi〚 [notwendigerweise〛(c)(i)(〚Lola renn-〛 (c))] = λcλi[λp[für alle i′∈Rc gibt es ein i″ ≤Rc,i i′ und für alle i″′ ≤Rc,i i″ gilt: p(i″′)] (λi[Lola rennt bei i])] = λcλi[ für alle i′∈Rc gibt es ein i″ ≤c i′ und für alle i″′ ≤c i″ gilt: Lola rennt bei i″′] Modalverben haben einen ähnlichen Bedeutungsbeitrag; ihre Syntax ist jedoch wesentlich anders: (46) weil [IP Lola [I′ λ1 [I′ [VP e1 rennen] [I0 muss]]]] Dies legt die folgende Bedeutung für muss nahe: (47) 〚muss〛 = λcλiλPλx.x∈A[ für alle i′∈Rc〚 gibt es ein i″ ≤Rc,i i′ und für alle i″′ ≤Rc,i i″ gilt: P(i″′)(x)] Die Arbeitsweise dieser Definition illustriert das folgende Beispiel: (48) 〚 [VP Lola [I´ λ1 [I′ [VP e1 rennen] [I0 muss]]]]〛 ### 11.3 Konditionalsätze 11.3.1 DieAnalyse von Konditionalsätzen als materiale Implikation Konditionalsätze werden im Deutschen typischerweise durch das Satzmuster wenn Φ dann Ψ ausgedrückt. Der wenn-Satz wird auch das Antezedens oder die Protasis genannt, der dannSatz das Konsequens oder die Apodosis. © Manfred Krifka, Semantik, Institut für deutsche Sprache und Linguistik, HU Berlin 13 Modalität und Konditionalsätze Konditionalsätze sind nicht nur wichtige Konstruktionen der natürlichen Sprache, sondern auch von essentieller Bedeutung für die Philosophie und die Wissenschaftstheorie. Der Grund hierfür ist, dass gesetzmäßige Beziehungen häufig in Konditinalsätzen ausgedrückt werden: (49) Wenn dieser Stein losgelassen wird, dann fällt er zu Boden. Was Konditionalsätze bedeuten, blieb der Logik und Sprachphilosophie jedoch lange Zeit rätselhaft. Eine allererste Annäherung versuchte, sie ganz ähnlich wie die Koordination ∧ und die Disjunktion ∨ extensional zu deuten. Das hierfür verwendete Symbol ist →, die sogenannte materiale Implikation. Sie ist wie folgt definiert: (50) Φ → Ψ ist wahr gdw. gilt: Wenn Φ wahr ist, dann ist auch Ψ wahr. Dies entspricht der folgenden Funktion von Wahrheitswertpaaren auf Wahrheitswerte: (51) 〈, 〉 → , 〈, 〉 → , 〈, 〉 → 〈, 〉 → Das heißt, es wird ausgeschlossen, dass das Antenzendens wahr ist und das Konsequens falsch; unter allen anderen Umständen ist der Konditionalsatz wahr. Insbesondere auch immer, wenn das Antenzedens falsch ist – für diesen Fall macht der Konditionalsatz gewissermaßen keine Aussage. Man kann die materiale Implikation auch durch eine Kombination von Negation und Disjunktion ausdrücken: (52) Φ → Ψ ⇔ ¬Φ ∨ Ψ Wenn wir Sätze als Propositionen, d.h. als Mengen von Indizes, repräsentieren, kann man die Bedeutung von Konditionalsätzen durch die Teilmengenbeziehung repräsentieren: (53) 〚Wenn Φ dann Ψ〛 = , da 〚Φ〛 ⊆ 〚Ψ〛 Ψ Φ 〚Wenn Φ dann Ψ〛 = , da 〚Φ〛 ⊈ 〚Ψ〛 Ψ Φ In dieser Darstellung ist die Bedeutung des Konditionalsatzes selbst ein Wahrheitswert ist und nicht eine Menge von Indizes. Wir erfassen damit also höchstens die Extension von Konditionalsätzen, nicht deren Intension. Ein Vorschlag, wie letzteres zu machen sei, ist der folgende: Ein Satz der Gestalt Wenn Φ dann Ψ schließt diejenigen Indizes aus, in denen Φ wahr, aber Ψ falsch ist: © Manfred Krifka, Semantik, Institut für deutsche Sprache und Linguistik, HU Berlin Konditionalsätze 14 (54) 〚Wenn Φ dann Ψ〛 Ψ Ψ = λi[〚Φ〛(i) → 〚Ψ〛(i)] = λi[¬〚Φ〛(i) ∨ 〚Ψ〛(i)] Φ Φ Die materiale Implikation mag zwar die beste Annäherung an die Konditionalsätze in einer extensionalen Semantik sein. Sie stellt diese jedoch nur sehr unvollkommen dar. Beispielsweise folgt aus einem falschen Antezedens jeder beliebige Satz. Das macht die folgende Formel zu einer Tautologie ist d.h. sie ist immer wahr. Dies ist bei den entsprechenden Konditionalsätzen sicher nicht der Fall. (55) Φ → [¬Φ → Ψ] ‘Wenn die Sonne scheint, dann gilt: Wenn die Sonne nicht scheint, ist 2+2 = 5’ Dies sieht man daran, wenn man alle Wahrheitswertkombinationen von Φ und Ψ durchspielt: (56) Φ Ψ ¬Φ ¬Φ → Ψ Φ → [¬Φ → Ψ] Auch die folgende Formel ist eine Tautologie, entgegen unserem Verständnis von Konditionalsätzen. (57) [Φ → Ψ] ∨ [Ψ → Φ] ‘Wenn die Sonne scheint, ist 2+2 = 5, oder wenn 2+2 = 5 ist, scheint die Sonne.’ Φ Ψ Φ→Ψ Ψ→Φ [Φ → Ψ] ∨ [Ψ → Φ] 11.3.2 Die Analyse von Konditionalsätzen als modalisierte materiale Implikation Was ein Konditionalsatz wie wenn Φ dann Ψ über die materiale Implikation hinaus sagt, ist, dass zwischen Φ und Ψ ein gesetzmäßiger, d.h. ein notwendiger Zusammenhang besteht. Die Modallogik erlaubt es, solche notwendigen Zusammenhänge darzustellen. C. I. Lewis hat hierzu den folgenden Vorschlag gemacht: (58) ⃞[Φ → Ψ] Dies besagt: Es gilt in allen zugänglichen Welten: Wenn Φ der Fall ist, dann ist auch Ψ der Fall. Unter dieser Analyse stören Fälle, in denen Φ zufällig der Fall ist, nicht mehr weiter. In einem Venn-Diagramm können wir eine Situation, in der ⃞[Φ → Ψ] gilt, wie folgt illustrieren: © Manfred Krifka, Semantik, Institut für deutsche Sprache und Linguistik, HU Berlin 15 Modalität und Konditionalsätze (59) Φ-Indizes i R(i), von i zugängliche Indizes von i Ψ-Indizes Es kommt also im Gegensatz zu der Analyse in (53) nur darauf an, dass innerhalb der zugänglichen Indizes die Indizes von Φ eine Teilmenge der Indizes von Ψ bilden. Wir können nun auch erstmals einen Vorschlag für die Intension eines Konditionalsatzes machen. (60) 〚Wenn Φ dann Ψ〛 = λi[〚Φ〛∩R(i) ⊆ 〚Ψ〛] Das heißt, der Konditionalsatz Wenn Φ dann Ψ ist für alle Indizes wahr, für die gilt, dass innerhalb der zugänglichen Indizes R(i) die Φ-Indizes eine Teilmenge der Ψ-Indizes bilden. Damit macht ein Konditionalsatz eigentlich eine Aussage über die zugänglichen Welten der Indizes. Er sagt: Der Satz ist wahr zu solchen Indizes i, bei denen die Regel besteht, dass Φ-Indizes auch ΨIndizes sind, und falsch bei Indizes i, bei denen dies nicht der Fall ist. Ein Konditionalsatz kommuniziert also ein bestimmtes Verständnis über regelhafte Zusammenhänge. Die folgenden Formeln stellen nach dieser Analyse keine Tautologien mehr dar: (61) a. b. ⃞[Φ → Ψ] ∨ ⃞[Ψ → Φ] Φ → ⃞[¬Φ → Ψ] Zum Beispiel falsifiziert das Diagramm (62) die Formel (61.a): Es stellt eine Situation dar, in der weder ⃞[Φ → Ψ] noch ⃞[Ψ → Φ] für den Index i gilt. (62) Φ-Indizes i R(i), von i zugängliche Indizes von i Ψ-Indizes 11.3.3 Konditionalsätze im Sphärenmodell Es gibt dennoch einige Probleme, wenn wir einen Konditionalsatz der Art wenn Φ dann Ψ durch ⃞[Φ → Ψ] darstellen wollen. Erstens: Die vorgeschlagene Analyse ist in Ordnung, wenn mindestens einige der normalsten Welten Φ-Welten sind. Aber sie gibt uns das falsche Resultat, wenn dies nicht der Fall ist, wie in dem folgenden Beispiel: (63) Wenn die Bundeskanzlerin um 9 Uhr in Berlin und um 10 Uhr in Rostock war, dann hat sie einen Helikopter benutzt. Wenn wir von einer nicht-gradierten Zugänglichkeitsrelation ausgehen, dann liegt die von der Protasis vorgestellte Sachlage möglicherweise außerhalb der Zugänglichkeitsrelation. Man kann der Meinung sein, dass es ungewöhnlich ist, um 9 Uhr in Berlin und um 10 Uhr in Rostock zu © Manfred Krifka, Semantik, Institut für deutsche Sprache und Linguistik, HU Berlin Konditionalsätze 16 sein, die Städte sind schließlich 250 km voneinander entfernt. Wir haben dann die folgende Situation vorliegen, in welcher der Satz Wenn Φ dann Ψ wahr ist, und zwar aus dem einfachen Grund, wel es gar keine Φ-Indizes gibt, die mit den zugänglichen Indizes R(i) überlappen. (64) 〚Wenn Φ dann Ψ〛(i) = , da 〚Φ〛∩R(i) ⊆ 〚Ψ〛 Φ-Indizes i R(i), von i zugängliche Indizes von i Ψ-Indizes Die Lösung des Problems besteht darin, statt einer einfachen Zugänglichkeitsrelation eine gradierte Zugänglichkeitsrelation zugrundezulegen, wie in dem folgenden Schaubild dargestellt: (65) Φ-Indizes i ≲R,i, von i zugängliche Ordnungsquelle Ψ-Indizes In diesem Schaubild gilt: Die normalsten Indizes, die auch Φ-Indizes sind, sind Ψ-Indizes. Dies entspricht dem, was der Satz (63) ausdrückt: Zwar ist es nicht völlig normal und erwartbar, um 9 Uhr in Berlin und schon um 10 Uhr in Rostock zu sein. Aber für die Indizes, für die das zutrifft, sind die normalsten diejenigen, in denen ein Helikopter verwendet wurde. Das Diagramm (65) ist mit den folgenden beiden Diagrammen zu kontrastieren: (66) Φ Φ i i Ψ Ψ Links sind nur einige der normalsten Φ-Indizes auch Ψ-Indizes, und rechts ist keiner der normalsten Φ-Indizes auch ein Ψ-Index. Der entsprechende Konditionalsatz gilt daher nicht. 11.3.4 Modalisierte Konditionalsätze Betrachten wir nunmehr Konditionalsätze, in denen wiederum modale Ausdrücke auftreten, wie in den folgenden Beispielen: © Manfred Krifka, Semantik, Institut für deutsche Sprache und Linguistik, HU Berlin 17 Modalität und Konditionalsätze (67) a. b. Wenn die Bundeskanzlerin um 9 Uhr in Berlin und um 10 Uhr in Rostock war, dann muss sie einen Helikopter genommen haben. Wenn die Bundeskanzlerin um 9 Uhr in Berlin und um 10 Uhr in Rostock war, dann hat sie möglicherweise einen Helikopter genommen. Die Wahrheitsbedingungen des ersten Satzes sind wohl mit dem einfachen Konditionalsatz (63) identisch. Die Wahrheitsbedingungen des zweiten Satzes hingegen scheinen mit dem linken Diagramm von (71) gut wiedergegeben zu sein: Es ist nicht nötig, dass alle normalsten Indizes, in denen die Bundeskanzlerin um 8 Uhr in Berlin und um 9 Uhr in Rostock war, so beschaffen sind, dass sie einen Helikopter verwendet hat. Es genügt vielmehr, dass einige Indizes so beschaffen sind. Das rechte Diagramm von (71) falsifiziert diesen Satz klarerweise, denn da sind die Welten, in denen die Bundeskanzlerin einen Helikopter genommen hat, allesamt nicht die normalsten Welten, in denen die Protasis des Satzes gilt. Diese Sichtweise erlaubt es uns nun, die Interpretationsregeln für modale Operatoren, die wir in (38) und (39) entwickelt hatten, für die Beschreibung der Bedeutung von Konditionalsätzen zu verwenden. Die grundlegende Idee ist, dass der wenn-Satz die Menge R(i) der zugänglichen Indizes weiter einschränkt. Wir können dann zwei Arten von Konditionalen definieren, einen für die Notwendigkeit, den wir mit ⃞→ ausdrücken, und einen für die Möglichkeit, für den wir ⃟→ schreiben. (68) 〚Φ ⃞→RΨ〛(i) = gdw. Es gibt ein i´ mit i´∈R(i) ∩ 〚Φ〛 und für alle i″ ≲R,i i´ und i″ ∈ 〚Φ〛 gilt: 〚Ψ〛(i″) = Dies besagt: Es gibt einen Schwellenindex i´ unter den zugänglichen Indizes R(i), für welche die Protasis Φ wahr sit, sodass gilt: Jeder Index i″ innerhalb der Φ-Indizes, die mindestens so normal ist wie i′, hat die Eigenschaft, die Apodosis Ψ wahr zu machen. Die Bedingung für den Konditionalsatz, der auf Möglichkeit beruht, ist entsprechend so zu formulieren: (69) 〚Φ ⃟→RΨ〛(i) = gdw. Es gibt ein i´ mit i´∈R(i) ∩ 〚Φ〛 und für alle i″ ≲R,i i´ und i″ ∈ 〚Φ〛 gilt: Es gibt ein i″′ ∈ 〚Φ〛 sodass i″′ ≲R,i i″, i″ ≲R,i i″′, sodass gilt: 〚Ψ〛(i″′) = Dies besagt: Für Indizes i″ , die mindestens so normal sind wie der Schwellenindex i´ sind und für welche die Protasis Φ wahr ist, gibt es stets einen äquivalenten Index i″′, zu dem die Proasis Φ wahr ist, für den auch die Apodosis Φ wahr ist. 11.3.5 Implementation der Konditionalsatzbedeutung Die Interaktion zwischen expliziten modalen Ausdrücken und Konditionalsatzbedeutung lässt sich am besten so darstellen, dass die Protasis die Menge der möglichen Welten für die Interpretation eines modalen Satzes, der Apodosis, einschränkt. Diese Einschränkung kann man elegant im Rahmen der dynamischen Semantik (siehe Kapitel #) ausdrücken. ## 11.4 Modalbasis und Ordnungsquelle Kratzer; Modalbasis und Ordnungsquelle können verschiedene Natur haben; z.B. realistische/unrealisische Wünsche; Interaktion deontische Modalität / epistemische Modalität © Manfred Krifka, Semantik, Institut für deutsche Sprache und Linguistik, HU Berlin Interaktion von Modalitäten 18 11.5 Interaktion von Modalitäten Modalsätze können Skopus über andere Modalsätze haben. Beispiel: Lola muss jetzt möglicherwise im Büro sein. Die Arten der Modalität sind dabei verschieden. Die epistemische Modalität hat dabei weiten Skopus über andere Modalitäten. © Manfred Krifka, Semantik, Institut für deutsche Sprache und Linguistik, HU Berlin