Schünke / Schulte / Schumacher / Voll / Wesker PROMETHEUS

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Schünke / Schulte / Schumacher / Voll / Wesker
PROMETHEUS Kopf, Hals und Neuroanatomie
Leseprobe
PROMETHEUS Kopf, Hals und Neuroanatomie
von Schünke / Schulte / Schumacher / Voll / Wesker
Herausgeber: MVS Medizinverlage Stuttgart
http://www.narayana-verlag.de/b13565
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Kopf und Hals
2.20
2. Knochen, Bänder und Gelenke
Zahnhalteapparat (Parodontium)
A Bestandteile und Funktionen des
Zahnhalteapparates ­(Parodontium)
Die Befestigung der Zähne im Kiefer erfolgt
nicht knöchern, sondern durch eine Sonderform der Syndesmose, einer sog. Gomphosis (Syndesmosis dentoalveolaris). Als funktionelle Einheit werden zum Zahnhalteapparat
alle Strukturen gerechnet, die den Zahn in der
Alveole des Kieferknochens befestigen:
• das Zahnfleisch (Gingiva),
• das Wurzelzement (Cementum),
• die Wurzelhaut (Desmodontium) und
• der Aveolarknochen.
Schmelz
interdentale
Papille
Pulpahöhle
befestigte Gingiva
s. b
Saumepithel
Gingivafurche
Alveolarknochenkamm
mukogingivale
Grenzlinie
Desmodont
Zement
Wesentliche Funktionen des Parodontiums
sind:
• Verankerung des Zahns in der Alveole und
Umwandlung des Kaudruckes in Zugkräfte,
• Vermittlung von Schmerzempfinden und
Kaudruckregulierung über Nervenfasern
und sensible Endigungen,
• Abwehr von Infektionen durch effiziente
Trennung von Mundhöhlen- und Zahnwurzelmilieu und große Zahl von Abwehrzellen,
• rascher Stoffwechsel und hohe Regenerationsfähigkeit (Anpassung an funktionelle
und topografische Veränderungen, z. B.
Stellungsänderungen von Zähnen durch kieferorthopädische Maßnahmen) durch sehr
gute Blutgefäßversorgung.
freie Gingiva
Margo gingivalis
Alveolarschleimhaut
Dentin
Fibrae dentogingivales
Wurzelkanal
Lamina cribiformis
Spongiosa
Kompakta
a
Sulcus gingivalis
Schmelz
orales
Sulkusepithel
Dentin
orales
Gingivaepithel
Saumepithel
Bindegewebspapillen
Zement
gingivales
Bindegewebe
Schmelz
B Zahnfleisch (Gingiva)
a Zahnfleisch im Überblick; b Saumepithel.
a Das Zahnfleisch (marginales Parodontium)
gehört zur Mundschleimhaut und dehnt sich
vom Zahnfleischsaum (Margo gingivales)
bis zur mukogingivalen Grenzlinie aus. Dort
geht das blassrosane, meist glänzende Gingivaepithel (mehrschichtiges, meist parakeratinisiertes Plattenepithel) in das deutlich
roter gefärbte Alveolarepithel (mehrschichtiges nicht keratinisiertes Plattenepithel) über.
Man unterscheidet klinisch zwei Abschnitte:
• freie Gingiva (Pars libera, 1–2 mm breit)
= Zahnfleischsaum, umgibt den Zahnhals
wie eine Manschette und ist über das
Saumepithel (b) am zervikalen Schmelz
befestigt. Die etwa 0,5–1 mm tiefe Rinne,
die um den Zahn herum verläuft (Sulcus
gingivalis), bildet mit ihrem Boden den
Abschluss des Saumepithels (s. b);
• befestigte Gingiva (Pars fixa, 3–7 mm
breit): beginnt auf Höhe der Gingivafurche und reicht bis zur mukogingivalen
Grenzlinie. Da sie über horizontal verlaufende Kollagenfaserbündel (Fibrae dentogingivales und alveologingivales) unverschiebbar sowohl am Zahnhals als auch
am Alveolarknochenkamm befestigt ist,
erscheint die Gingiva in diesem Bereich
oft getüpfelt.
Fibrae alveogingivales
Hemidesmosomen
neutrophile
Granulozyten
Lamina rara
Stratum basale
Lamina densa
äußere
Basallamina
innere Basallamina
mit Lamina densa
und Lamina rara
b
Stratum suprabasale
b Das Saumepithel haftet mit seiner inneren (oberflächlichen) Basallamina über Hemidesmosomen am Schmelz und sorgt so
für einen lückenlosen Anschluss der Mundschleimhaut an die Zahnoberfläche. Von apikal nach koronal wird es immer breiter. Die
äußere (tiefe) Basallamina bildet die Grenze
zum gingivalen Bindegewebe und setzt sich
in die Basallamina des oralen Sulkuseptihels
fort. Das Saumepithel unterscheidet sich in
mehrfacher Hinsicht von den übrigen Epithelien der Mundhöhle:
• es besteht nur aus zwei Schichten: Stratum basale und Stratum supra­basale,
• an seiner Basis fehlen Bindegewebspapillen,
• sein Zellumsatz ist hoch (Erneuerung alle
4–6 Tage): Während die kubischen Basalzellen für den Zellnachschub zuständig sind, differenzieren sich die Tochter-
zellen zu abgeplatteten Zellen, die parallel zur Zahnoberfläche angeordnet sind.
Auf ihrem Weg zum Sulcus gingivalis, wo
sie schließlich abgestoßen werden, bilden diese dem Schmelz anliegenden Zellschichten ständig neue Hemidesmosomen, während alte aufgelöst werden;
• es verfügt über eine spezielle Immunabwehr (neutrophile Granulozyten durchwandern das Saumepithel ständig).
Beachte: Die Unversehrtheit des Saumepithels
ist Voraussetzung für die Gesundheit des gesamten Zahnhalteapparates. Kommt es infolge einer bakteriellen Besiedlung zu einer
Entzündungsreaktion am Zahnhals (typische
Plaquebildung durch schlechte Mundhygiene),
verliert das Saum­epithel seine Anheftung am
Zahn, und es bilden sich sog. Zahnfleisch­
taschen im Bereich des Sulcus gingivalis (Paro­
dontose-Erkrankung).
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aus: Schünke u. a., Prometheus: Kopf, Hals und Neuroanatomie (ISBN 9783131395436) © 2012 Georg Thieme Verlag KG
Kopf und Hals
zervikal
2. Knochen, Bänder und Gelenke
zementoalveoläre
Fasern
(= Sharpey-Fasern)
Gingiva
Dentin mit
Dentinkanälchen
Alveolarknochen
Blutgefäße
Fibrae dentoalveolares
azelluläresfibrilläres
Zement
desmodentaler
Spalt
apikal
Alveolenwand
Schnittebene
von b
Wurzelhaut
Cementum
a
C Wurzelhaut (Desmodontium)
Die Wurzelhaut (kurz Desmodont) ist ein gut vaskularisiertes, zell- und
faserreiches Bindegewebe, das den etwa 200 µm breiten Spalt zwischen
Wurzelzement und Innenseite des Alveolarknochens füllt. Es verfügt
über ein kompliziertes System von Kollagenfasern (zementoalveoläre
bzw. dentoalveoläre Faserbündel), über die der Zahn federnd in der Alveole aufgehängt ist. Diese auch als Sharpey-Fasern bezeichneten kollagenen Fasern sind sowohl im Zement als auch im Alveolarknochen verankert. Sie verlaufen in unterschiedlichen Richtungen (s. D), so dass sie allen Bewegungen des Zahnes (z. B. axialer Druck, seitliche Kipp- und Torsionsbewegungen) entgegenwirken und die Faserbündel stets auf Zug
beanspruchen können. Diese Zugbeanspruchung, die beim Kauen permanent vorhanden ist, übt einen Reiz auf Knochen und Kollagenfasern
aus, der zu ihrer permanenten Regeneration führt. Verantwortlich für
den hohen Umsatz von kollagenen Fasern im Desmodont sind zudem
hochaktive Fibroblasten, deren Vitamin-C-abhängige Kollagensynthese
etwa 4-mal schneller als z. B. in der Haut abläuft (daher z. B. bei Vitamin
C-Mangel deutlicher Faserverlust innerhalb weniger Monate). Die Bedeutung dieser kaufunktionellen Beanspruchung für den Knochen wird
auch daraus ersichtlich, dass in einem zahnlosen Kiefer der Alveolarfortsatz nach und nach völlig atrophiert. (Färbung: H. E., Vergr. 75 fach)
mesiale
Wurzel
von M2
bukkal
distale
Wurzel
von M2
Lamina
cribiformis
Alveoli
dentales
b
Fibrae
interdentales
decussatae
Interdentalpapille
Fibrae
circulares
c
D Verlauf von Kollagenfasern in der Wurzelhaut und im Zahnfleisch
a u. b Längs- und Querschnitt durch den Zahn; c schematischer Verlauf
der Fasern im Zahnfleisch
Während die zementoalveolären Faserbündel (Fibrae dentoalveolares)
im Desmodont größtenteils schräg abwärts laufen (a), besteht der supraalveoläre Faserapparat (Fibrae interdentales decussatae und Fibrae
circulares) überwiegend aus zirkulär verlaufenden Bündeln (c).
Caput
mandibulae
Proc.
coronoideus
Fovea
pterygoidea
b
desmodontaler Spalt
Wurzelkanäle
mesial
c
Septum
interradiculare
distal
lingual
Lingula
mandibulae
M3
I1
I2
C
P1
P2
M1
M2
Foramen
mandibulae
Schnittebene
von b u. c
Angulus
mandibulae
Spongiosatrabekel
Kompakta
a
Zahnwurzel
Canalis
mandibulae
E Aufbau des Alveolarknochens
a rechte Hälfte eines menschlichen Unterkiefers, Ansicht von oral (die Kompakta ist
auf beiden Seiten entfernt); b u. c Horizontalschnitte durch einen menschlichen Unterkiefer
auf Höhe der Alveoli dentales mit ( b) und ohne
Zahnwurzeln (c), Ansicht von kranial (nach Präparaten der Anatomischen Sammlung der Universität Kiel).
Die Alveolarfortsätze von Ober- und Unterkiefer
sind von der Struktur her Lamellenknochen mit
einer inneren (lingualen/palatinalen) und einer
äußeren (vestibulären/bukkalen) Kompakta sowie einer dazwischen liegenden Spongiosa. Zusätzlich enthalten sie den zum Zahnhalteapparat zählenden Alveolarknochen, der am Aufbau
der Zahnfächer (Alveoli dentalis) beteiligt ist.
Die Alveoli dentalis gleichen Bechern, deren
knöcherne Wände eine Vielzahl von Löchern
aufweisen (Lamina cribiformis) und in die von
außen Spongiosatrabekel einstrahlen. Durch
die Löcher dringen Blut- und Lymphgefäße in
den desmodontalen Spalt und bilden ein dichtes Korbgeflecht um die Zahnwurzeln.
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aus: Schünke u. a., Prometheus: Kopf, Hals und Neuroanatomie (ISBN 9783131395436) © 2012 Georg Thieme Verlag KG
Kopf und Hals
2.21
2. Knochen, Bänder und Gelenke
Milchzähne (Dentes decidui)
Neugeborenes
6 Monate
1 Jahr
a
b
c
d
e
2 ½ Jahre
A Milchzähne des linken Ober- und Unterkiefers
Das Milchgebiss besteht aus nur 20 Zähnen. Man unterscheidet:
a
b
c
d
e
medialer Schneidezahn (Dens incisivus I),
lateraler Schneidezahn (Dens incisivus II),
Eckzahn (Dens caninus),
1. Backenzahn (Dens molaris I) und
2. Backenzahn (Dens molaris II).
4 Jahre
Zur Unterscheidung von den permanenten Zähnen beginnt die Nummerierung der Milchzähne in der Zahnformel (s. D) mit der Ziffer 5 anstelle
der Ziffer 1, d. h. die rechte Oberkieferhälfte erhält die Ziffer 5 usw.
B Mittelwerte der Zahndurchbruchszeiten (nach Rauber/Kopsch)
Den Durchbruch der Milchzähne bezeichnet man als 1. Dentition, den
der dauerhaften Zähne als 2. Dentition. In der letzten Spalte wird die
Reihenfolge in Bezug auf den Zahndurchbruch angegeben. Als Beispiel:
Bei der 2. Dentition bricht der vordere Molar (Zahn 6) als erster durch
(„Sechsjahrmolar“).
Beachte: Die Milchzähne werden mit römischen Ziffern nummeriert, die
bleibenen Zähne mit arabischen.
1. Dentition
Zahn
I
2. Dentition
Zahndurchbruch
6.– 8. Monat
1
II
8.–12. Monat
2
15.–20. Monat
4
IV
12.–16. Monat
3 „1. Milchmolar“
V
20.–40. Monat
5 „2. Milchmolar“
Zahndurchbruch
8 Jahre
Reihenfolge
III
Zahn
6 Jahre
Reihenfolge
1
6.– 9. Jahr
2
2
7.–10. Jahr
3
3
9.–14. Jahr
5
4
9.–13. Jahr
4
5
11.–14. Jahr
6
6
6.–8. Jahr
1  „Sechsjahrmolar“
7
10.–14. Jahr
7  „Zwölfjahrmolar“
8
16.–30. Jahr
8  „Weisheitszahn“
10 Jahre
12 Jahre
C Durchbruch von Milchzähnen und bleibenden Zähnen (nach Meyer)
Der Zahndurchbruch ist am Beispiel des linken Oberkiefers dargestellt
(Milchzähne schwarz, bleibende Zähne rot). Die Kenntnis der Durchbruchszeiten der Zähne ist klinisch wichtig, da anhand dieser Daten
Wachstumsverzögerungen bei Kindern diagnostiziert werden können.
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Kopf und Hals
55 54
53 52
85 84 83
51
82 81
61
Foramen
infraorbitale
63 64 65
62
71 72
2. Knochen, Bänder und Gelenke
75
73 74
Spina
nasalis
anterior
D Zahnformel des Milchgebisses
E Milchzähne (Dentes decidui) und
­Anlagen der bleibenden Zähne im Oberund Unterkiefer eines sechsjährigen
­Kindes
a u. b Ansicht von frontal; c u. d Ansicht von
links. Die vordere Knochenlamelle über den
Wurzeln der Milchzähne wurde entfernt, die
darunter liegenden Anlagen der bleibenden
Zähne (Dentes permanentes, bläulich) werden
sichtbar.
Dieses Alter wurde gewählt, weil zu diesem
Zeitpunkt alle Milchzähne (Dentes decidui*),
durchgebrochen und noch vollständig vorhanden sind; gleichzeitig beginnt aber der vordere
Mahlzahn als erster bleibender Zahn durchzubrechen (s. C).
Dens
premolaris 2
Sutura
intermaxillaris
Dens
premolaris 1
Dens
molaris II
Dens
caninus
Dens
molaris I
Dens
incisivus 2
a
Dens
incisivus 1
Dens
incisivus II
Dens
caninus
Dens
caninus
Dens
incisivus I
Dens
incisivus II
Dens
molaris I
Dens
molaris II
Dens
molaris 1
* decidui = hinfällig
Dens
molaris 2
Dens
premolaris 2
b
Dens
premolaris 1
Foramen
mentale
Dens
incisivus 1
Dens
incisivus 2
Dens
caninus
Dens
caninus
Dens
molaris 2
Dens
incisivus 2
Dens
premolaris 1
Dens
molaris 1
Dens
incisivus I
c
Dens
molaris II
Dens
premolaris 2
Dens
incisivus II
Dens
caninus
Dens
molaris I
Dens
molaris II
Dens
molaris I
Dens
molaris 1
Dens
caninus
Dens
incisivus II
Dens
incisivus 1
Dens
molaris 2
Dens
incisivus 2
d
Dens
premolaris 2
Dens
caninus
Dens
premolaris 1
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aus: Schünke u. a., Prometheus: Kopf, Hals und Neuroanatomie (ISBN 9783131395436) © 2012 Georg Thieme Verlag KG
Kopf und Hals
2.22
2. Knochen, Bänder und Gelenke
Zahnentwicklung (Odontogenese)
A Frühe Zahnanlage im Unterkiefer eines menschlichen Embryos
(nach Schumacher und Schmidt)
Sicht auf einen Unterkiefer am Beginn der 7. Embryonalwoche (der koronare Schnitt liegt auf Höhe der Schmelzkappen der 2. Milchmolaren).
Das erste morphologisch nachweisbare Anzeichen für den Beginn der
Zahnentwicklung sind örtlich begrenzte Epithelverdickungen. Sie verlaufen hufeisenförmig parallel zu den Lippenrändern (sog. odontogene
Zahnleisten) und wachsen bei 5 Wochen alten menschlichen Embryonen in das Mesenchym der Ober- und Unterkieferanlage ein (vgl. Ba).
Hierbei verdickt sich der freie Rand dieser sog. generellen Zahnleisten auf
beiden Seiten von mesial nach distal fortschreitend zu je 5 Epithel- bzw.
Zahnknospen, entsprechend der 10 Milchzähne in jedem Kiefer. Jede
dieser Epithelknospen wächst im weiteren Verlauf zunächst zu kappenförmigen und später zu glockenförmigen Schmelzorganen (Schmelzkappe und Schmelzglocke) heran (vgl. Bb u. c).
Lippenwall
Lippenfurche
Zahnanlagen
odontogene
Zahnleiste
Zungenanlage
Mundhöhlenepithel
Anlage des Unterkieferknochens
Meckel-Knorpel
Zahnanlage
(s. Bb)
Zungenmuskulatur
Mundhöhlenepithel
odontogenes
Epithel
determiniertes
Mesenchym
Basallamina
generelle Zahnleiste
Kapillaren
frühes
Kappenstadium
Stratum reticulare
der Schmelzpulpa
a
Stratum intermedium
der Schmelzpulpa
generelle
Zahnleiste
Basallamina
Schmelzknoten
Bildung der
Zahnpapille
b
Ersatzzahnleiste
äußeres
Schmelzepithel
Schmelzpulpa
inneres
Schmelzepithel
inneres Schmelzepithel
(Vorläuferzellen der
Präameloblasten)
Schmelzorgan
B Frühentwicklung der Zähne und Bildung des Zahnkeims
a frühes Kappenstadium; b spätes Kappenstadium; c Glockenstadium
(nach Weiss).
Die Frühentwicklung der Milchzähne beginnt beim Menschen in der
5. Embryonalwoche und dauert bis zur Bildung der Zahnhartsubstanzen
etwa 3 Monate (15.–19. Embryonalwoche).
Zahnpapille
c
Basalmembran
Reste der generellen Zahnleiste
(Serres-Körper)
äußeres
Schmelzepithel
Präodontoblasten
Membrana
preformativa
Blutgefäße
und Nerven
zervikale
Schlinge
Spätes Kappenstadium:
• Am Schmelzorgan sind äußeres und inneres Schmelzepithel und die
dazwischen liegende Schmelzpulpa zu unterscheiden. Die Zellen des
inneren Schmelzepithels werden im Bereich der basalen Eindellung,
v. a. im Bereich des Schmelzknotens, zunehmend säulenförmig, im
Bereich des äußeren Schmelzepithels immer flacher. In der Schmelzpulpa weichen die Zellen durch die zunehmende Produktion von
extra­zellulärer Matrix immer weiter auseinander.
• Vom palatinalen (Oberkiefer) bzw. lingualen (Unterkiefer) freien Rand
der generellen Zahnleiste aus entwickelt sich die sog. Ersatzzahnleiste, von der später die Bildung der bleibenden Zähne der 2. Dentition (sog. „Ersatzzähne“) ausgeht.
Glockenstadium:
• Die Schmelzpulpa wird immer voluminöser und teilt sich in eine lockeres Stratum reticulare und ein dichtes, dem inneren Schmelzepithel
anliegendes Stratum intermedium.
• Das vom Schmelzorgan umgebene mesenchymale Gewebe verdichtet sich zur Zahnpapille. In die Zahnpapille wachsen Blutgefäße und
Nervenfasern ein, hier bildet sich die spätere Zahnpulpa.
• Induziert durch die Zahnpapille entwickeln sich die Zellen des inneren Schmelzepithels zu Vorläuferzellen der Schmelzbildner (= Prä­
ameloblasten). Unter ihrem Einfluss ordnen sich die direkt benachbarten Mesenchymzellen zu einem epithelartigen Verband, den zukünftigen Dentinbildnern (Präodontoblasten) an.
• Die Basalmembran zwischen Präameloblasten und Präodontoblasten
verdickt sich zur Membrana prefomativa. Im Bereich der zervikalen
Schlinge geht die Basalmembran des inneren Schmelzepithels kontinuierlich in die Basalmembran des äußeren Schmelzepithels über
und bedeckt so die gesamte Oberfläche des Schmelzorgans. Seine Ernährung sichern die Kapillaren außen an der Basalmembran.
• Die Verbindung zur generellen Zahnleiste wird zunehmend löchrig
und löst sich bis auf einige Reste (Serres-Körper) vollständig auf.
• Schmelzglocke und Zahnpapille werden von einem lockeren mesenchymalen Gewebe umgeben, das sich unter der Expansion des wachsenden Zahnkeims zu einem Zahnsäckchen verdichtet, aus dem sich
der spätere Zahnhalteapparat entwickelt (s. E).
Beachte: Die distal vom Milchgebiss gelegenen späteren Zuwachszähne
(Mahlzähne des bleibenden Gebisses) entstehen dadurch, dass die generelle Zahnleiste nach distal verlängert wird.
Kurz bevor die Bildung der Zahnhartsubstanzen beginnt (vgl. D), besteht
der Zahnkeim also aus dem glockenförmigen Schmelzorgan, der Zahnpapille und dem Zahnsäckchen.
Frühes Kappenstadium: Durch intensive Zellproliferation im odontogenen Epithel entstehen an umschrieben Stellen knospen- bzw. kappenförmige Zellansammlungen. Sie vertiefen sich an der dem Epithel abgewandten Seite zunehmend konkav und umwachsen so, vom Rand ausgehend, das determinierte Mesenchym (s. C).
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aus: Schünke u. a., Prometheus: Kopf, Hals und Neuroanatomie (ISBN 9783131395436) © 2012 Georg Thieme Verlag KG
Kopf und Hals
C Epithel-Mesenchym-Interaktionen (nach Schroeder)
Die Entwicklung der Milchzähne ist das Resultat einer Interaktion von
Oberflächenektoderm (Epithel der primitiven Mundhöhle = Stomodeum)
und darunter liegendem Mesenchym (aus der kranialen Neuralleiste).
Sie führt zu hoch spezialisierten Zellverbänden, den Odonto- und Ameloblasten. Diese wiederum leiten über parakrin sezernierte Wachstumsund Differenzierungsfaktoren (z. B. BMPs = bone morphogenetic proteins, FGFs = fibroblast growth factors, SHh = Sonic hedgehog) die Sekretion der Zahnhartsubstanzen Prädentin und Schmelzmatrix ein (s. D).
Beachte: Die Wachstums- und Differenzierungsfaktoren konzentrieren
sich in den sog. Schmelzknoten (s. Bb), den punktuellen Verdickungen der Zahnleiste, die jeweils die Anlage eines Milchzahns darstellen.
Schmelzknoten haben damit eine signalgebende Funktion für die individuelle Zahnentwicklung (z. B. für Kronenform und Anzahl der Kronenhöcker) und ähneln so z. B. den ektodermalen Randleisten, die das Auswachsen der Extremitätenknopsen steuern.
Ameloblasten
Mesenchym
≙ kraniale Neuralleiste
2. Knochen, Bänder und Gelenke
wechselseitige
Induktion
determiniertes
Zahnmesenchym
odontogenes Epithel
Zahnleiste
Zahnknospe/Zahnkappe
Zahnpapille
Zahnglocke mit
innerem und äußerem
Schmelzepithel
Präodontoblasten
inneres Schmelzepithel
Odontoblasten
Präameloblasten
Prädentin
Ameloblasten
Schmelz
Prädentin
Odontoblasten
mineralisiertes
Dentin
Schmelzpulpa
Odontoblastenfortsatz
(Tomes-Faser)
Zahnpulpa
äußeres
Schmelzepithel
Epithel
≙ Mundhöhlenepithel
mineralisiertes Dentin
Schmelzmatrix
Schmelz
Basis der
Zelle
Dentin
Apex
Prädentin
Ameloblasten
zervikale
Schlinge
Odontoblasten
Zahnpapille
Odontoblastendifferenzierung
Zahnsäckchen
D Bildung der Zahnhartsubstanzen im Bereich der Zahnkrone
Die Bildung der Zahnhartsubstanzen im Bereich der Zahnkrone ist – ähnlich wie die Frühentwicklung – das Ergebnis einer Kette von wechselseitigen Induktionsvorgängen (s. Ba– c). Unter dem Einfluss einer sich verdickenden Basalmembran (Membrana preformativa, s. Bc) differenzieren
sich Präodontoblasten zu Odontoblasten und beginnen mit der Synthese
von organischer Dentinmatrix (Prädentin), die in Richtung Basalmembran abgelagert wird. Dies induziert wiederum die Differenzierung der
Präameloblasten zu sekretorischen Ameloblasten. Sie beginnen, sobald
die 1. Lage Prädentin mineralisiert ist, mit der Ausschüttung von organischer Schmelzmatrix. Durch den Zerfall der Basalmembran liegen nun
Schmelz und Dentin direkt aneinander, wobei die Ablagerung immer
inzisal bzw. okklusal beginnt und sich allmählich in Richtung Zahnhals
ausbreitet. Mit fortschreitender Bildung der beiden Zahnhartsubstanzen entfernen sich die Odontoblasten und Ameloblasten in entgegengesetzter Richtung voneinander. Hierbei sezernieren die Ameloblasten
säulenförmige Schmelzprismen, die später mineralisieren und appositionell von der Dentin-Schmelz-Grenze gegen die Oberfläche wachsen.
Auf diese Weise werden die Ameloblasten zunehmend nach außen verlagert und gehen später beim Durchtritt des Zahnes zugrunde. Dadurch
ist der Schmelz zellfrei und kann nicht nachgebildet werden. Auch die
Odontoblasten weichen mit zunehmender Dentinbildung zurück, belassen jedoch einen dünnen Fortsatz (Odontoblastenfortsatz oder „TomesFaser“ in einem Dentinkanälchen, das die gesamte Dentinschicht durchzieht. Die postmitotischen Odontoblasten liegen mit ihrem Zellkörper
an der Pulpa-Dentin-Grenze und können zeitlebends neues Dentin (Sekundär- bzw. Tertiärdentin) bilden.
Beachte: Während die Kronenbildung bei den Milchzähnen zwischen
dem 2. und 6. Lebensmonat abgeschlossen ist, endet innerhalb der
1. Dentition die Bildung der Zahnwurzel etwa 2–3 Jahre nach deren
Durchbruch.
Bildung von
Zement
Wurzeldentin
differenzierte
Mesenchymzellen
(Zementoblasten)
epitheliale
Wurzelscheide
(= HertwigScheide)
Lamina
osteoblastica
Lamina
periodontoblastica
Lamina
cementoblastica
Zahnsäckchen
E Bildung der Zahnwurzel und Differenzierung des Zahnsäckchens
Die Bildung der Zahnwurzel beginnt, wenn Schmelz und Dentin im Kronenbereich im Wesentlichen entwickelt sind. Sie organisiert sich entlang der epithelialen Wurzelscheide (Hertwig-Scheide). Diese wächst als
zweischichtiges Epithel (inneres und äußeres Schmelzepithel liegen direkt aufeinander, die Schmelzpulpa fehlt) von der zervikalen Schlinge im
Bereich des späteren Zahnhalses ausgehend nach apikal. Bei mehrwurzeligen Zähnen bilden sich durch Aufzweigungen epitheliale Röhren (Vagina epithelialis radicalis). Die Wurzelscheide induziert in der benachbarten Zahnpapille die Differenzierung von Odontoblasten, die im Weiteren mit der Synthese von Wurzeldentin beginnen. Die dabei entstehende Pulpahöhle wird apikal immer mehr eingeengt und es entstehen
ein oder mehrere Wurzelkanäle (Canalis radicis dentis) für den Ein- und
Austritt von Gefäßen und Nerven. Durch fortschreitende Auflösung der
epithelialen Wurzelscheide (von zervikal nach apikal) kommen die Mesenchymzellen des Zahnsäckchens in Kontakt mit dem Wurzeldentin und
beginnen mit der Bildung von Zement (Lamina cementoblastica). Weiter
peripher induziert das Wurzeldentin im angrenzenden Mesenchym des
Zahnsäckchens die Lamina periodontoblastica (spätere Wurzelhaut = Desmodont) sowie die Lamina osteoblastica (künftiger Alveolarknochen).
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aus: Schünke u. a., Prometheus: Kopf, Hals und Neuroanatomie (ISBN 9783131395436) © 2012 Georg Thieme Verlag KG
Kopf und Hals
2.23
2. Knochen, Bänder und Gelenke
Röntgendiagnostik der Zähne
Sinus
maxillaris
Septum
nasi
Orbita
Tuberculum
articulare
Fossa
mandibularis
Proc.
condylaris
18
28
38
48
(Dens molaris 3,
Weisheitszahn)
Angulus
mandibulae
47
46
45
44
43
42
41
A Panoramaschichtaufnahme (PSA)/Orthopantomogramm (OPG)
Die Panoramaschichtaufnahme (PSA) ist eine Übersichtsaufnahme, die
einen ersten Überblick über Kiefergelenke, -höhlen und -knochen sowie
den Zahnstatus (kariöse Läsionen, Lage der Weisheitszähne) verschafft.
Sie arbeitet nach dem Prinzip der Schichtuntersuchung, d. h. während
der Aufnahme bewegen sich Strahler und Film um die darzustellende
Ebenen, wobei die außerhalb dieser Schichtebene liegenden Strukturen
verwischt werden. Entsprechend der Form der Kiefer ist die Ebene bei
der PSA parabelförmig. Bei dem hier dargestellten Gebiss ist eine Entfernung aller vier Weisheitszähne angezeigt, da diese entweder nicht vollständig durchgebrochen (18, 28 und 38) oder querverlagert sind (48)
und deshalb nicht durchbrechen können. Kommt es aufgrund der PSA
zum Verdacht einer Karies oder eines Prozesses an der Zahnwurzel, werden Einzelzahnaufnahmen der betroffenen Regionen angefertigt, um
Aufbisshalter des
Aufnahmegerätes
Canalis
mandibulae
durch die höhere Auflösung dieser Aufnahmen eine verfeinerte Diagnostik zu ermöglichen (s. C–H).
Neben der konventionellen (analogen) Technik, die als Bildempfänger
den Röntgenfilm verwendet, wird heute zunehmend die digitale Röntgentechnik eingesetzt, bei der ein Sensor die absorbierten Röntgenstrahlen in digitale Signale umwandelt und am Computerbildschirm
sichtbar macht. Ein wesentlicher Vorteil dieser Technik ist die Reduktion
der Strahlenbelastung durch kürzere Belichtungszeiten und die leichtere Datenübermittlung.
(Wir danken Herrn Prof. Dr. med. dent. U. J. Rother, Direktor der Poliklinik
für Röntgendiagnostik des Zentrums für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde des UKEs für die Überlassung des Röntgenbildes.)
Beachte: Die oberen Schneidezähne sind breiter als die unteren. Dies
führt zur Höcker-Fissuren-Verzahnung (s. S. 47).
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aus: Schünke u. a., Prometheus: Kopf, Hals und Neuroanatomie (ISBN 9783131395436) © 2012 Georg Thieme Verlag KG
Kopf und Hals
B Einzelzahnaufnahmen
Einzelzahnaufnahmen sind detaillierte Röntgenbilder von einzelnen
Zähnen und ihren Nachbarzähnen. In der Regel werden orthoradiale Aufnahmen angefertigt, bei denen der Röntgenstrahl senkrecht auf die Tangente des Zahnbogens auftrifft, also, stark vereinfacht, geradlinig von
außen auf den Zahn. Auf dem Röntgenbild sind folglich alle Strukturen,
die im Strahlengang hintereinander liegen, auch hintereinander zu sehen,
so dass sie sich überlagern. Bei mehrwurzeligen Zähnen sind dann z. B.
einzelne Wurzelkanäle nicht sicher zu beurteilen (s. C). Dies lässt sich nur
durch sog. exzentrische Aufnahmen erreichen, bei denen der Röntgenstrahl in einem bestimmten Winkel auf die Tangente des Zahnbogens
2. Knochen, Bänder und Gelenke
auftrifft, so dass hintereinander liegende Strukturen deutlich voneinander zu unterscheiden sind. Eine spezielle Form der Einzelzahnaufnahme
ist die sog. Bissflügelaufnahme (s. H), bei der nicht der gesamte Zahn,
sondern nur der Kronenbereich aufgenommen wird. Da der Röntgenfilm mit einem Flügel versehen ist, auf den der Patient beißt, sind Oberund Unterkieferzähne gleichzeitig zu sehen, so dass auch versteckte Karies, z. B. unter Zahnfüllungen oder auf den Kontaktflächen zu diagnostizieren sind.
(Wir danken Herrn Dr. med. dent. Christian Friedrichs, Praxis für Zahnerhaltung und Endodontie, Kiel, für die Überlassung der Röntgenbilder auf
dieser Seite.)
metalldichte
Verschattung
C Unterkiefer Front, Zähne 32–42
Auch einwurzelige Zähne, wie die hier dargestellten Schneidezähne, haben in ⅓ der Fälle
zwei Wurzelkanäle. Dies äußert sich bei der orthoradialen Aufnahme in Form eines brillenförmigen Querschnitts der Zahnwurzel und
einer doppelten Parodontalspalte (s. Pfeile)
Ob tatsächlich zwei Wurzelkanäle vorhanden
sind, lässt sich aber durch die orthoradiale Aufnahme nicht sicher feststellen (s. B).
Kavität
D Oberkiefer Front, Zähne 12–22
Aufhellungen, wie hier an Zahn 21 distal, können Karies, offene Kavitäten oder – wie in diesem Fall – ein altes, nicht röntgenopakes Füllungsmaterial darstellen. Das Unterfüllungsmaterial ist schwach röntgenopak.
Wurzelfüllstift
Jochbogen
F Oberkiefer Seitenzähne, Zähne 14–17
Im Oberkiefer-Seitenzahnbereich kommt es
häufig zu einer Überlagerung von Zähnen und
Jochbogen, hier am oberen linken Rand zu erkennen. Die Wurzeln der Molaren sind in diesem Bereich weniger deutlich dargestellt.
periapikale
Aufhellung
G Oberkiefer Seitenzähne mit pathologischem Befund, Zähne 24–27
Nach einer Infektion des Wurzelkanalsystems
und einem Übergreifen auf den periapikalen
Knochen kann es zur Ausprägung einer Fistel
kommen. Um den genauen Ort des entzündlichen Prozesses festzustellen, wurde hier ein
Wurzelfüllstift aus Guttapercha von außen
in die Fistel eingebracht und die Röntgenaufnahme erstellt. Rund um die distobukkale Wurzel des Zahns 26 ist eine Aufhellung als Zeichen der ausgeprägten Entzündung zu erkennen. Der Zahn 27 ist mit einer Krone versorgt.
E Unterkiefer Seitenzähne, Zähne 44–47
Metalldichte Verschattungen wie im Kronenbereich der Zähne 46 und 47 können durch
Metallinlays, Kronen, Amalgamfüllungen oder
moderne Zinkoxidkeramiken hervorgerufen
werden.
Dentikel
Dentinkaries
tiefe Karies
Schmelzkaries
H Bissflügelaufnahme zur Kariesdiagnostik
Massiver Kariesbefall am Zahn 46 distal,
Schmelzkaries und teilweise beginnende Dentinkaries an den Kontaktpunkten fast aller
Zähne. Die Kontaktpunkte stellen neben den
Okklusalflächen (Kauflächen) typische Karies­
prädilektionsstellen dar. In den Lumina der Pulpakammern sind teilweise Dentikel zu erkennen.
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aus: Schünke u. a., Prometheus: Kopf, Hals und Neuroanatomie (ISBN 9783131395436) © 2012 Georg Thieme Verlag KG
Kopf und Hals
2.24
2. Knochen, Bänder und Gelenke
Lokalanästhesie der Zähne
A Anatomische Grundlagen und Technik der Lokalanästhesie
Für die Lokalanästhesie bei zahnärztlichen Behandlungen sind detaillierte Kenntnisse der topografischen Anatomie der Kopf- und Halsregion
essenziell. Besondere Bedeutung hat in diesem Zusammenhang der Verlauf des N. trigeminus. Er versorgt als größter und überwiegend sensorischer Hirnnerv u. a. die zahntragenden Teile des Ober- und Unterkiefers
(Alveolarknochen, Zähne und Zahnfleisch). Daneben sind v. a. topografische Kenntnisse der knöchernen Leitstrukturen unerlässlich, da sie insbesondere für die Orientierung eine wesentlich größere Rolle spielen als
die Weichteile. Im Rahmen der zahnärztlichen Lokalanästhesie werden
v. a. die Infiltrations- und die Leitungsanästhesie eingesetzt (s. u.). Die Lokalanästhesielösungen enthalten zusätzlich einen Vasokonstriktor (z. B. Adrenalin), der die Wirkdauer des Lokalanästhetikums verlängert, toxische
Plasmaspiegel verhindert und die lokale Blutungsneigung reduziert.
Um eine akzidentelle intravasale Injektion auszuschließen, muss bei jeder Infiltrations- und Leitungsanästhesie aspiriert werden. Schwerwiegendste Nebenwirkungen bei der versehentlichen Punktion eines Gefäßes sind v. a. kardiovaskuläre und anaphylaktische Reaktionen.
C Praktisches Vorgehen bei einer Infiltrationsanästhesie
(nach Daubländer in van Aken u. Wulf)
• Darstellung des Injektionsortes durch Abhalten und Straffen der
Weichteile
• Penetration der Schleimhaut im Bereich der Umschlagsfalte in
Apexnähe
• Kanüle zum Knochen ausrichten
• Vorschieben der Kanüle bis zum Knochenkontakt, parallel zur Zahnachse in einem Winkel von etwa 30° zur Knochenoberfläche
• Aspiration
• langsame Injektion der Lokalanästhesielösung (1 ml/30 s) unter Knochenkontakt
• Entfernen der Spritze aus der Mundhöhle
• Abwarten der Anflutung unter Beobachtung des Patienten
D Häufig eingesetzte Leitungsanästhesien in der Zahn-, Mundund Kieferheilkunde (Versorgungsgebiete einzelner Nerven
und Darstellung der zugehörigen Injektionsorte)
(Aus Daubländer M. Lokalanästhesie in der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde. In van Aken H, Wulf H. Lokalanästhesie, Regionalanästhesie, Regionale Schmerztherapie. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2010)
Ziel der Leitungsanästhesie ist die reversible Ausschaltung eines kompletten sensiblen peripheren Nervs. Entscheidend hierbei ist die exakte
Platzierung eines ausreichenden Volumens in Form eines Depots in enger topografischer Beziehung zu dem entsprechenden Nerv, z. B. vor
dessen Eintritt in bzw. nach seinem Austritt aus dem Knochenkanal.
Nerv
Innervationsgebiet
Injektionsort
Volumen
N. infra­
orbitalis
Alveolarfortsatz,
vesti­buläre Schleimhaut und Zähne im
Oberkieferfrontzahn­
bereich, Oberlippe, seitliche Nase und vordere
Wange
Foramen
infroaorbitale
1–1,5 ml
N. naso­
palatinus
Gaumenschleimhaut
im Bereich der Schneidezähne
Foramen
incisivum
0,1–0,2 ml
N. palatinus
major
Gaumenschleimhaut
bis zur Eckzahnregion
der betreffenden Seite
Foramen
palatinum
majus
0,3–0,5 ml
Nn. alveolares
maxillares
posteriores
Alveolarfortsatz,
­vesti­buläre Schleimhaut
und Zähne im Molarenbereich
Tuber
maxillae
1–1,8 ml
N. alveolaris
inferior
Alveolarfortsatz, linguale Schleimhaut und
Zähne der entsprechenden Unterkieferhälfte,
vestibuläre Schleimhaut
im Frontzahngebiet
Foramen
mandibulae
1,5–2 ml
N. buccalis
vestibuläre Schleimhaut
im Molaren­bereich
Vorderkante
des aufsteigenden Unterkieferastes
0,5 ml
N. mentalis
vestibuläre Schleimhaut
im Frontzahn­gebiet
Foramen
mentale
0,5 –1 ml
Oberkiefer
a
Rr. alveolares
superiores
(vom N. maxillaris)
b
B Prinzip einer Infiltrationsanästhesie
a Injektionstechnik am Patienten; b schematische Darstellung mit Sensibilitätsausfall.
Die am häufigsten verwendete Anästhesie in der Zahnheilkunde ist die
Infiltrationsanästhesie (zum praktischen Vorgehen, s. C). Sie eignet sich
v. a. für Behandlungen im Oberkiefer, da die überwiegend spongiöse
Knochenstruktur der Maxilla mit ihrer äußerst dünnen Kompakta eine
Diffusion des Wirkstoffs durch den Knochen zum Apex der Zähne ermöglicht. Bei der Infiltrationsanästhesie werden die terminalen Nervenendigungen, die das zu behandelnde Areal sensibel versorgen, mit Lokalanästhesielösung umspült und somit blockiert. Die Applikation erfolgt in der
Regel supraperiostal im apikalen Bereich des zu behandelnden Zahnes.
Beachte: Aufgrund der deutlich dichteren kortikalen Knochenstruktur
am Unterkiefer ist die Diffusion v. a. im Molarengebiet stark herabgesetzt. Aus diesem Grund wird insbesondere bei Behandlungen der Unterkieferzähne die Leitungsanästhesie eingesetzt (s. D u. E ).
Unterkiefer
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aus: Schünke u. a., Prometheus: Kopf, Hals und Neuroanatomie (ISBN 9783131395436) © 2012 Georg Thieme Verlag KG
Kopf und Hals
2. Knochen, Bänder und Gelenke
N. palatinus
major
Foramen
palatinum majus
a
N. nasopalatinus
Foramen
incisivum
b
aufsteigender
Unterkieferast
N. alveolaris
inferior
c
E Injektionsorte typischer Leitungsanästhesien am Ober- und
Unterkiefer (Fotos aus Daubländer M. Lokalanästhesie in der Zahn-,
Mund- und Kieferheilkunde. In van Aken H, Wulf H. Lokalanästhesie,
Regionalanästhesie, Regionale Schmerztherapie. 3. Aufl. Stuttgart:
Thieme; 2010)
a Foramen palatinum majus (N. palatinus major)
Indikation: schmerzhafte Behandlung im Bereich der palatinalen
Schleimhaut und des Knochens im Molaren- und Prämolarenbereich
einer Oberkieferhälfte.
Vorgehen: Das Lokalanästhetikum muss möglichst nahe am Foramen
palatinum majus abgegeben werden (bei Kindern palatinal des 1. Molaren, bei Erwachsenen weiter distal auf Höhe des 2.– 3. Molaren).
Bei weit geöffnetem Mund und rekliniertem Kopf wird die Kanüle
– von der Prämolarenregion der kontralateralen Seite kommend – im
45°-Winkel zur Gaumenoberfläche bis zum Knochenkontakt vorgeschoben.
Cave: Erfolgt die Injektion zu weit distal, kommt es zur Anästhesie
des ipsilateralen weichen Gaumens, was der Patient als unangenehm
(Schluckbeschwerden!) empfindet.
b Foramen incisivum (N. nasopalatinus)
Indikation: schmerzhafte Behandlung im Bereich des vorderen Gaumendrittels (bis zum linken und rechten Eckzahn).
Vorgehen: Bei weit geöffnetem Mund und rekliniertem Kopf wird
die Kanüle – von lateral kommend – direkt neben der Papilla incisiva
(Schleimhauterhebung über dem Foramen incisivum) etwa 1 cm palatinal des Gingivarandes der Schneidezähne eingestochen und nach
medial-distal vorgeschoben.
Cave: Derbe Schleimhaut erfordert hohen Applikationsdruck.
c Foramen mandibulare (N. alveolaris inferior)
Indikation: schmerzhafte Behandlung im Bereich der Unterkieferzähne sowie der bukkalen Schleimhaut mesial des Foramen mentale.
Vorgehen: Bei weit geöffnetem Mund palpiert der Zeigefinger des
Therapeuten – auf der Zahnreihe liegend – die Vorderkante des aufsteigenden Unterkieferastes. Die Kanüle wird – von der Prämolarenregion der Gegenseite kommend – etwas 1 cm oberhalb der Okklusionsebene, lateral der Plica pterygomandibularis eingestochen und
erreicht nach etwa 2,5 cm – kranial der Lingula mandibulae – das Foramen mandibulae.
Cave: Bei Kindern liegt das Foramen mandibulae auf Höhe der Kau­
ebene.
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aus: Schünke u. a., Prometheus: Kopf, Hals und Neuroanatomie (ISBN 9783131395436) © 2012 Georg Thieme Verlag KG
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