Jahrbuch 2011/2012 | Stockert, Oliver; Arndt, Julia; Jeevan, Hirale S.; Geibel, Christoph; Steglich, Frank | W iderstandslos dank Magnetismus Widerstandslos dank Magnetismus Zero resistance by magnetism Stockert, Oliver; Arndt, Julia; Jeevan, Hirale S.; Geibel, Christoph; Steglich, Frank Max-Planck-Institut für Chemische Physik fester Stoffe, Dresden Korrespondierender Autor E-Mail: [email protected] Zusammenfassung Die Frage nach der Ursache für unkonventionelle Supraleitung ist eine der zentralen Fragen in der aktuellen Festkörperphysik. W issenschaftler vom Max-Planck-Institut für chemische Physik fester Stoffe haben in einer internationalen Zusammenarbeit herausgefunden, dass magnetische Wechselw irkungen für die Bildung von Cooper-Paaren und somit für den verlustfreien Stromtransport verantw ortlich sind. W ährend in klassischen Supraleitern Magnetismus schädlich ist für die Supraleitung, ist Magnetismus für die Supraleitung in Materialen mit unkonventioneller Supraleitung unabdingbare Voraussetzung. Summary The question about the origin of unconventional superconductivity is one of the central issues in current condensed matter physics. W ithin an international collaboration scientists from the Max Planck Institute for Chemical Physics of Solids discovered that magnetic interactions are responsible for the Cooper pair formation and hence for the lossless current transport. W hile in conventional superconductors magnetism is detrimental for superconductivity, magnetism is an essential prerequisite for superconductivity in materials displaying unconventional superconductivity. Einleitung Das Verhältnis von Supraleitung zu Magnetismus und die Möglichkeit, dass nicht Gitterschw ingungen sondern magnetische Anregungen die Supraleitung vermitteln, sind zw ei der spannendsten offenen Fragen auf dem Gebiet der Festkörperphysik [1–3]. In klassischen Supraleitern bew irken Gitterschw ingungen eine Kopplung der Elektronen zu supraleitenden Cooper-Paaren, die den elektrischen Strom verlustfrei transportieren können. Magnetismus kann hierbei die Cooper-Paare sehr leicht aufbrechen und damit die Supraleitung zerstören. Im Gegensatz dazu stehen die sogenannten unkonventionellen Supraleiter, in denen Magnetismus eine Voraussetzung für das Entstehen von Supraleitung ist. Magnetische Wechselw irkungen w erden in diesen Verbindungen als Ursache für die Bildung von Cooper-Paaren diskutiert [3]. Spezielle intermetallische Verbindungen mit stark korrelierten Elektronensystemen bieten sich hierbei als Modellsysteme besonders an, diese Fragestellungen zu untersuchen [3]. Ihr Vorteil besteht darin, dass sie als © 2012 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 1/6 Jahrbuch 2011/2012 | Stockert, Oliver; Arndt, Julia; Jeevan, Hirale S.; Geibel, Christoph; Steglich, Frank | W iderstandslos dank Magnetismus intermetallische Verbindungen mit magnetischen Seltenerd- bzw . Aktinidelementen bei tiefen Temperaturen starke elektronische Korrelationen ausbilden. Diese ergeben sich aus der sehr großen elektrostatischen Abstoßung auf den lokalisierten 4f- bzw . 5f-Schalen der Seltenen Erden bzw . Aktiniden, deren Wechselw irkung mit den delokalisierten Leitungselektronen und dem Paulischen Ausschließungsprinzip. Sie führen zu einer effektiven Masse der Ladungsträger, die im Vergleich zur freien Elektronenmasse um einen Faktor hundert bis tausend erhöht ist, w oraus sich auch ihr Name Schw ere-Fermionen-Systeme ableitet. Neben magnetischer Ordnung tritt in zahlreichen dieser Schw ere-Fermionen-Verbindungen auch unkonventionelle Supraleitung auf. "Unkonventionell" bezieht sich einerseits auf den schon erw ähnten magnetischen Mechanismus, der die supraleitenden Cooper-Paare zusammenhält, andererseits auf die Symmetrie des Ordnungsparameters, einer Größe, die die Stärke des supraleitenden Zustandes charakterisiert. Für klassische Supraleiter kann die supraleitende Energielücke (die Energie, die notw endig ist, um ein supraleitendes Cooper-Paar in zw ei normalleitende Elektronen aufzubrechen) als Ordnungsparameter angesehen w erden und ist nicht richtungsabhängig (isotrop). Dagegen variiert die Energielücke in unkonventionellen Supraleitern mit der Richtung und kann sogar für bestimmte Richtungen verschw inden. A bb. 1: Krista llstruk tur de r Schwe re -Fe rm ione n-Ve rbindung C e C u 2Si2 und m a gne tische s P ha se ndia gra m m , da s die Nä he von C e C u 2Si2 zu e ine r m a gne tische n Insta bilitä t a nze igt, be i de r m a gne tische O rdnung a ls Funk tion de r Zusa m m e nse tzung ode r de s Druck e s ve rschwinde t und unk onve ntione lle Supra le itung a uftritt [5]. Da ne be n ist de r m it Ne utrone n unte rsuchte supra le ite nde C e C u 2Si2-Krista ll a bge bilde t. © Ma x -P la nck -Institut für che m ische P hysik fe ste r Stoffe In etlichen Schw ere-Fermionen-Metallen äußert sich das enge Verhältnis von Magnetismus und Supraleitung darin, dass Supraleitung gerade dann auftritt, w enn sich die Verbindungen in der Nähe zu einer magnetischen Instabilität befinden, bei der die magnetische Ordnung verschw indet (Abb. 1) [3]. Die magnetische Ordnung kann z. B. mittels der chemischen Zusammensetzung, unter hydrostatischem Druck oder durch Anlegen eines externen Magnetfeldes variiert w erden. W ird sie kontinuierlich zu T = 0 K unterdrückt, spricht man von einem quantenkritischen Punkt, der beim absoluten Temperaturnullpunkt den magnetisch geordneten vom ungeordneten Bereich trennt. Neben der teilw eise beobachteten unkonventionellen Supraleitung ist der quantenkritische Punkt auch dadurch gekennzeichnet, dass in seiner Nähe ungew öhnliche thermodynamische und Transporteigenschaften oft bis zu relativ hohen Temperaturen beobachtet w erden, die vom normalen Verhalten einfacher Metalle deutlich abw eichen. Neutronenstreuung Ziel der Untersuchungen ist es nun, die magnetischen Wechselw irkungen zu erforschen, die für die unkonventionelle Supraleitung, aber auch für das ungew öhnliche Tieftemperaturverhalten in der Nähe des © 2012 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 2/6 Jahrbuch 2011/2012 | Stockert, Oliver; Arndt, Julia; Jeevan, Hirale S.; Geibel, Christoph; Steglich, Frank | W iderstandslos dank Magnetismus quantenkritischen Punktes verantw ortlich sind. Eine ideale Methode, um Magnetismus auf einer mikroskopischen Skala zu untersuchen, ist die Neutronenstreuung. Neben der nuklearen Streuung der Neutronen an Atomkernen, die Aussagen über die chemische Struktur im Festkörper liefert, w echselw irken die Spins der Neutronen mit den Magnetfeldern ungepaarter Elektronen. Somit ist es mit der Neutronenstreuung auch möglich, magnetische Fluktuationen und Anregungen in Festkörpern impuls- und energieaufgelöst messen zu können. Ein großer Vorteil der Neutronenstreuung besteht darin, dass die Messungen problemlos bei tiefen Temperaturen und in hohen Magnetfeldern, aber auch unter großen hydrostatischen Drücken durchgeführt w erden können. Für die hier berichteten Neutronenuntersuchungen w aren vor allem tiefe Temperaturen und externe Magnetfelder notw endig. CeCu2Si2 als Modellsystem Als Modellverbindung w urde die Schw ere-Fermionen-Verbindung CeCu 2 Si2 gew ählt. Vor über drei Jahrzehnten entdeckte F. Steglich – heute Direktor am Max-Planck-Institut für Chemische Physik fester Stoffe (MPI-CPfS) – CeCu 2 Si2 als ersten unkonventionellen Supraleiter [4], kurz vor den organischen Supraleitern und einige Jahre vor den Hochtemperatur-Kupratsupraleitern. Thermodynamische Messungen, w ie W ärmekapazität oder Magnetisierung, ergaben eine supraleitende Übergangstemperatur von 0,6 K. Ferner zeigten diese Resultate, dass die schw eren 4f-Elektronen direkt an der Supraleitung beteiligt sind und die Cooper-Paare bilden. Obw ohl Gitterschw ingungen von Beginn an ausgeschlossen w erden konnten, blieb der Kopplungsmechanismus der Cooper-Paare lange Zeit im Dunkeln. Leichte Variationen der Zusammensetzung und Substitution von Silizium durch Germanium resultieren in einem Grundzustand mit antiferromagnetischer Ordnung bei 0,8 K. Diese magnetische Ordnung ist ein kooperatives Phänomen der schw eren Ladungsträger. Sie kann durch Anlegen von hydrostatischem Druck unterdrückt w erden, w as zur Ausbildung von unkonventioneller Supraleitung in der Nähe eines quantenkritischen Punktes führt (Abb. 1) [5]. Anhand elastischer Neutronenstreuung konnte nachgew iesen w erden, dass sich in CeCu 2 Si2 beide Phänomene, magnetische Ordnung und Supraleitung, auf mikroskopischer Skala gegenseitig ausschließen. Als magnetische Ordnung in CeCu 2 Si2 w urde eine sogenannte inkommensurable Struktur erkannt, deren Periodizität also nicht mit der Kristallstruktur kompatibel ist, sondern durch die spezifischen Eigenschaften der schw eren Elektronen bestimmt ist [6]. Magnetische Fluktuationen und Anregungen in CeCu2Si2 © 2012 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 3/6 Jahrbuch 2011/2012 | Stockert, Oliver; Arndt, Julia; Jeevan, Hirale S.; Geibel, Christoph; Steglich, Frank | W iderstandslos dank Magnetismus A bb. 2: Ene rgie bre ite Γ de r m a gne tische n Fluk tua tione n in norm a lle ite nde m C e C u 2Si2 in Abhä ngigk e it de r Te m pe ra tur. Die sta rk e Abna hm e von Γ zu tie fe n Te m pe ra ture n hin ze igt die Nä he zu m a gne tische r O rdnung a n [7]. © Ma x -P la nck -Institut für che m ische P hysik fe ste r Stoffe Der normalleitende Zustand von supraleitendem CeCu 2 Si2 lässt sich untersuchen, w enn man ein Magnetfeld anlegt, w elches in der Lage ist, die Supraleitung gerade zu zerstören. Man beobachtet dann magnetische Fluktuationen, deren Intensität bei einer Energie ħω ≈ 0 maximal ist (Abb. 3) [7]. Ihre Energiebreite Γ, die invers proportional zur Lebensdauer der Spinfluktuationen ist, nimmt mit fallender Temperatur T stark ab (Abb. 2) und w ird für T → 0 nahezu Null. Dieses Verhalten w ird als slowing down bezeichnet, denn die Lebensdauer der magnetischen Fluktuationen w ird zu tieferen Temperaturen hin immer größer und das System dementsprechend "träger" oder "langsamer". W ürde die Lebensdauer beliebig groß bzw . die Energiebreite beliebig klein w erden, träte statische magnetische Ordnung auf. Die sehr kleine Restlinienbreite Γ zeigt somit bei tiefsten Temperaturen die unmittelbare Nähe von supraleitendem CeCu 2 Si2 zur magnetisch geordneten Phase an. Diese Messung stellt den ersten direkten mikroskopischen Nachw eis dar, dass sich CeCu 2 Si2 an einem quantenkritischen Punkt befindet [7]. © 2012 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 4/6 Jahrbuch 2011/2012 | Stockert, Oliver; Arndt, Julia; Jeevan, Hirale S.; Geibel, Christoph; Steglich, Frank | W iderstandslos dank Magnetismus A bb. 3: Ma gne tische Anre gunge n Smag in C e C u 2Si2 be i tie fe n Te m pe ra ture n im norm a lle ite nde n und supra le ite nde n Zusta nd. De r norm a lle ite nde Zusta nd wurde durch Anle ge n e ine s Ma gne tfe lde s von B = 2 T e rre icht. Im supra le ite nde n Zusta nd ist de utlich e ine Anre gungslück e von 0,2 m e V e rk e nnba r [5]. © Ma x -P la nck -Institut für che m ische P hysik fe ste r Stoffe Im Gegensatz zum normalleitenden Zustand w eisen die magnetischen Anregungen im supraleitenden Zustand eine Energielücke auf (Abb. 3) [5]. W ährend unterhalb von 0,2 meV bei 0,07 K keine magnetische Intensität beobachtet w ird, findet man knapp oberhalb der Lücke zusätzliche Intensität. Diese magnetische Anregung mit Energielücke ist mit der supraleitenden Energielücke verknüpft und Teil eines komplexeren Anregungsspektrums, das sow ohl Impuls- als auch Energieabhängigkeit besitzt. Berechnet man den energetischen Unterschied der magnetischen Anregungen zw ischen normalleitendem und supraleitendem Zustand, so übertrifft der magnetische Energiegew inn den Energiegew inn aufgrund der Bildung der supraleitenden Cooper-Paare um etw a das Zw anzigfache [5]. Daraus folgt, dass diese magnetischen Anregungen unmittelbar verantw ortlich für die Kopplung der Cooper-Paare sein müssen. Die Neutronenstreumessungen lassen somit den w ichtigen Schluss zu, dass sich in CeCu 2 Si2 zw ar magnetische Ordnung und unkonventionelle Supraleitung gegenseitig ausschließen, die magnetischen Anregungen jedoch unabdingbar für die Bildung der Cooper-Paare sind. Ein ähnlicher Schluss gelang bisher nur in w enigen unkonventionellen Supraleitern. Weiterhin konnte zum ersten Mal die Nähe eines solchen Supraleiters zu einer magnetischen Instabilität experimentell verifiziert w erden. Unabdingbare Voraussetzung für den Erfolg dieser Untersuchungen w ar die enge Zusammenarbeit zw ischen experimentellen und theoretischen W issenschaftlern des Max-Planck-Instituts für chemische Physik fester Stoffe mit Kollegen von verschiedenen internationalen Instituten. In Zusammenarbeit mit: E: Faulhaber: Technische Universität Dresden, jetzt Helmholtz-Zentrum Berlin; S. Kirchner: Max-Planck-Institut für Physik komplexer Systeme & Max-Planck-Institut für Chemische Physik fester Stoffe, Dresden; M. Loew enhaupt: Technische Universität Dresden; K. Schmalzl, W. Schmidt: Jülich Centre for Neutron Science, Outstation at ILL, Grenoble, Frankreich; Q. Si: Rice University, Houston, Texas, USA © 2012 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 5/6 Jahrbuch 2011/2012 | Stockert, Oliver; Arndt, Julia; Jeevan, Hirale S.; Geibel, Christoph; Steglich, Frank | W iderstandslos dank Magnetismus [1] Buckel, W.; Kleiner, R. Supraleitung – Grundlagen und Anwendungen W iley-VCH, Berlin (2004, 6. Auflage) [2] Rogalla, H.; Kes, P. H. (Eds.) 100 years of superconductivity CRC Press, Taylor & Francis (2011) [3] Monthoux, P.; Pines, D.; Lonzarich, G. G. Superconductivity without phonons Nature 450, 1177-1183 (2007) [4] Steglich, F.; Aarts, J.; Bredl, C. D.; Lieke, W.; Meschede, D.; Franz, W.; Schäfer, H. Superconductivity in the presence of strong Pauli paramagnetism – CeCu2Si2 Physical Review Letters 43, 1892-1896 (1979) [5] Stockert, O.; Arndt, J.; Faulhaber, E.; Geibel, C.; Jeevan, H. S.; Kirchner, S.; Loewenhaupt, M.; Schmalzl, K.; Schmidt, W.; Si, Q.; Steglich, F. Magnetically driven superconductivity in CeCu2Si2 Nature Physics 7, 119-124 (2011); doi:10.1038/nphys1852 [6] Stockert, O.; Faulhaber, E.; Zwicknagl, G.; Stüsser, N.; Jeevan, H. S.; Deppe, M.; Borth, R.; Küchler, R.; Loewenhaupt, M.; Geibel, C.; Steglich, F. Nature of the A-phase in CeCu2Si2 Physical Review Letters 92, 136401 (2004); doi: 10.1103/PhysRevLett.92.136401 [7] Arndt, J.; Stockert, O.; Schmalzl, K.; Faulhaber, E.; Jeevan, H. S.; Geibel, C.; Schmidt, W.; Loewenhaupt, M.; Steglich, F. Spin fluctuations in normal state CeCu2Si2 on approaching the quantum critical point Physical Review Letters 106, 246401 (2011); doi: 10.1103/PhysRevLett.106.246401 © 2012 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 6/6