cystectomy

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7
Therapie des muskelinvasiven und des lokal
fortgeschrittenen Blasenkarzinoms im Jahr 2004
M. Schostak, K. Miller
Einleitung
Überschreitet oder erreicht das Harnblasenkarzinom
die Grenze der Blasenmuskulatur, steigt die Wahrscheinlichkeit einer weiteren lokalen Progression
und/oder Metastasierung rapide an. Im Gegensatz
zu den oberflächlichen Tumoren der Harnblase gilt
die radikale Zystektomie in diesen Fällen heutzutage
als Goldstandard. Die lokale Effektivität bei auf das
Organ begrenzten Tumoren ist hoch, wie zahlreiche
Serien weltweit eindrucksvoll belegen. Wird das Stadium pT3a überschritten, zeigen sich jedoch schlechtere Überlebensraten (Gschwend 2002). Da einerseits
für einen Teil der Patienten dieses Verfahren nicht in
Frage kommt oder der Eingriff abgelehnt wird und
andererseits 50% aller zystektomierten Patienten im
weiteren Verlauf an einer hämatogenen Metastasierung versterben (Gschwend 2002; Mameghan et
al. 1992; Lerner et al. 1992; Kulkarni 2003), ist die
Frage nach Alternativverfahren gerechtfertigt. Im
Folgenden werden die heute zur Verfügung stehenden Techniken kritisch bewertet.
Radikale Zystektomie
Die radikale Zystektomie in Kombination mit einer
pelvinen Lymphadenektomie ist ein hocheffektives
Verfahren in der Therapie des muskelinvasiven, klinisch organbegrenzten Blasenkarzinoms. Dies wurde in zahlreichen Serien belegt (Bassi 2000; Blandy
et al. 1984; Bollack et al. 1989; Bosl et al. 1994; Chang
et al. 2001; Frazier et al. 1992; Gschwend 2002; Gschwend et al. 2000; Lebret et al. 2000; Mathur et al. 1981;
Montie et al. 1984; Roehrborn et al. 1991; Skinner et
al. 1984; Stein et al. 2001). Liegt ein nur oberflächlich infiltrierender Tumor (pT2a) ohne Lymphknotenmetastasierung vor, besteht eine ausgesprochen
gute Prognose (mittlere Fünfjahresüberlebensrate ca. 75%). Zeigt der pathologische Befund ein
organüberschreitendes Wachstum, so verschlechtert sich die Prognose für den Patienten deutlich.
Gleiches gilt für das Vorliegen einer Lymphknotenmetastasierung (Amling et al. 1994; Gschwend 2002;
Gschwend et al. 2000; Lebret et al. 2000; Stein et
al. 2001; Stein 2000; Takashi et al. 1989, 1992). Die
Optimierung der operativen Technik, verbunden
auch mit dem Einsatz neuerer Instrumente (Stapler,
Elektrische Schere, Ligasure-Gerät u. a.; Dubuc-Lissoir 2003; Landman et al. 2003; Matthews et al. 2001;
Heniford et al. 2001) sowie ein verändertes Anästhesie-Management (Ahlering et al. 1983; Parekh et al.
2002; Ryan 1982; Whalley u. Berrigan 2000) haben
dazu beigetragen, dass die perioperative Mortalität
heutzutage nur noch bei 1–4% liegt und die Morbidität akzeptable Werte erreicht hat (Gschwend 2002;
Gschwend et al. 2000; Finlayson u. Birkmeyer 2001;
Chang et al. 2002a,b). Finlayson zeigte dabei, dass
die Mortalität eine Altersabhängigkeit zeigt (Finlayson u. Birkmeyer 2001; ⊡ Tabelle 7.1).
Akute Komplikationen können dabei durch die
Komorbidität, durch die Zystektomie bzw. die Ex-
82
Kapitel 7 · Therapie des muskelinvasiven und des lokal fortgeschrittenen Blasenkarzinoms im Jahr 2004
enteration im kleinen Becken oder durch die Verwendung des Darmsegmentes für die Harnableitung bedingt sein. Spätkomplikationen betreffen in
den meisten Fällen die Harnableitung (Bassi 2000;
Chang et al. 2001; Lerner et al. 1992; Parekh et la.
2002; Cancrini et al. 1996; Game et al. 2001).
Erste Berichte über eine radikale Zystektomie
in laparoskopischer Technik, z. T. mit Anlage der
Harnableitung ebenfalls in laparoskopischer oder
roboterassistierter Technik, zeigen vielversprechen-
⊡ Tabelle 7.1. Altersabhängige Mortalität bei der Zystektomie. (Mod. nach Finlayson et al. 2001)
7
Alter [Jahre]
Prozent
65–69
2,3
70–74
3,7
75–79
5,5
80–84
7,5
85–99
9,3
Gesamt
4,4
de Ergebnisse. In Anbetracht der kurzen Nachbeobachtungszeit und der geringen Patientenzahl kann
dieses Verfahren jedoch noch nicht als ebenbürtig
zum Standard der offenen radikalen Zystektomie
eingestuft werden (Turk et al. 2001a,b; Beecken et al.
2003; Menon et al. 2003; Simonato et al. 2003; Smith
2003; Peterson et al. 2002; Abdel-Hakim et al. 2002;
Matin u. Gill 2002).
Durch die heute übliche, sehr frühzeitige Mobilisation ist die Wahrscheinlichkeit der Ausbildung
einer tiefen Beinvenenthrombose ebenso wie die der
Ausbildung einer Atelektase und/oder Pneumonie
deutlich gesunken. Das Risiko einer Lungenarterienembolie liegt bei 2%.
Analog zum heutigen Vorgehen bei der radikalen Prostatektomie kann die radikale Zystektomie bei Männern mit erhaltener Potenz inzwischen
ebenfalls nach den von Shlegel, Walsh und Marshall
veröffentlichten Modifikationen nerverhaltend operiert werden (Schlegel u. Walsh 1987; Walsh 1987;
Marshall et al. 1991). Dies führt über die o. g. Faktoren hinaus zu einer verbesserten Akzeptanz des
Eingriffs. Analog zu den Daten nach Durchführung
einer radikalen Prostatektomie ist dabei der entscheidende Faktor für den erfolgreichen Erhalt der
Potenz das Alter des Patienten. Bei Patienten unter
60 Jahren sind die Ergebnisse deutlich besser, bei
Patienten über 70 Jahre deutlich schlechter (Schoenberg et al. 1996; ⊡ Tabelle 7.2).
⊡ Tabelle 7.2. Potenz nach nerverhaltender radikaler Zystektomie. (Mod. nach Schoenberg et al. 1986)
Pathologisches
Stadium
20–29 Jahre
40–49 Jahre
50–59 Jahre
60–68 Jahre
70–79 Jahre
Gesamt
pT0
–
2/2
5/7
2/4
–
9/13 (69%)
pTa
–
1/2
–
1/3
–
2/5 (40%)
pTis
–
–
0/2
2/6
–
2/8 ( 25%)
pT1
–
2/3
0/2
2/4
–
4/9 (44%)
pT2
–
2/2
1/2
1/1
–
4/5 (80%)
pT3a
–
1/2
1/1
–
0/1
2/4 (50%)
pT3b
–
0/2
1/4
1/3
1/4
4/14 (29%)
pT4
1/1
–
1/1
–
–
1/1 (100%)
Gesamt
1/1 (100%)
8/13 (62%)
9/19 (47%)
9/21 (43%)
1/5 (20%)
28/59 (48%)
83
Radikale Zystektomie
Operative Technik der radikalen
Zystektomie beim Mann
Um die Dauer des transperitonealen Vorgehens
auf das Ausschalten des ilealen Darmsegments zu
begrenzen, bevorzugen wir ein primär extraperitoneales Vorgehen analog zur radikalen Prostatektomie.
Oft gelingt es, das Peritoneum bis zur endgültigen
Entnahme des Präparates inklusive der Lymphadenektomie geschlossen zu halten (Kulkarni et al. 1999;
Serel et al. 2003). Zunächst wird eine pelvine Lymphadenektomie im Bereich der externen und internen
Iliakalgefäße sowie der Fossa obturatoria durchgeführt. Anschließend werden die Harnleiter beidseits aufgesucht und bis zum Trigonum präpariert.
Danach wird die endopelvine Faszie eröffnet und die
Prostata analog zur radikalen Prostatektomie präpariert. Nun werden die lateralen Blasenpfeiler zwischen Ligaturen, Clips oder LigaSure-Schweißstellen
durchtrennt und das Präparat entnommen. Liegt
präoperativ keine Probe der prostatischen Harnröhre vor, so sollte die Tumorfreiheit der Urethra intraoperativ mittels Schnellschnitt untersucht werden.
Ist sie befallen, so muss eine Urethrektomie durchgeführt werden (Lebret et al. 1998; Wood et al. 1989;
Freeman et al. 1994; Ahlering et al. 1984), vorzugsweise über den präpubischen Zugangsweg (Zhang
1997; Hiebl et al. 1999). Dies erspart eine Umlagerung
des Patienten und eine weitere Operationswunde im
Perineum. Nach Anlage der Harnableitung kann in
vielen Fällen das Peritoneum wieder verschlossen
werden. Diese Rekonstruktion der Kompartimente
trägt dazu bei, die Morbidität zu senken. Kommt es
zu einer Urinleckage, einer Hämatom- oder Abszessbildung im Verlauf, so handelt es sich um ein rein
extraperitoneales Problem, das in vielen Fällen ohne
operative Intervention z. B. durch eine Pigtail-Einlage erfolgreich behandelt werden kann.
7
trennt. Das Vaginaldach wird nun nach distal bis
zum Meatus urethrae, der umschnitten wird, reseziert (⊡ Abb. 7.1). Nach Entfernung des Präparates
wird die Vaginalwand mit einer quer verlaufenden
Naht fortlaufend wieder verschlossen (⊡ Abb. 7.2).
⊡ Abb. 7.1. Situs nach Entnahme des Operationspräparates
mit Resektion der Vaginalvorderwand. (Mit freundl. Genehmigung aus Wammack 1997)
Operative Technik der radikalen
Zystektomie bei der Frau
Im Gegensatz zur Operation beim Mann wird primär transperitoneal vorgegangen. Eine Ovarektomie
sowie Hysterektomie werden routinemäßig durchgeführt. Bei jüngeren Frauen können jedoch ohne
Erhöhung des onkochirurgischen Risikos die Ovarien erhalten werden (Chang et al. 2002c; Horenblas
et al. 2001). Zusätzlich wird das vordere Vaginaldach
reseziert. Nach Eröffnung der Vagina im Fundus
werden die Blasenpfeiler zwischen Ligaturen, Clips
oder LigaSure-Schweißstellen schrittweise durch-
⊡ Abb. 7.2. Vaginalrekonstruktion durch Vernähen des umgeschlagenen kranialen Abschnitts der Vaginalwand mit den
Resektionsrändern. (Mit freundl. Genehmigung aus Wammack
1997)
84
Kapitel 7 · Therapie des muskelinvasiven und des lokal fortgeschrittenen Blasenkarzinoms im Jahr 2004
Ist ein orthotoper Blasenersatz geplant, so sollte
allerdings nicht nur die Urethra, sondern auch die
Vaginalwand erhalten bleiben. Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit einer suffizienten Miktion (Stenzl u.
Holtl 2003; Chang et al. 2002d). Ein Wachstum des
Karzinoms im Bereich des Blasenhalses geht mit der
erhöhten Wahrscheinlichkeit eines Befalls der Urethra einher. Eine Metaanalyse zeigte allerdings jüngst,
dass der Befall der weiblichen Urethra mit 3,6%
wesentlich unwahrscheinlicher ist als bei Männern
mit 6,2% (Stenzl et al. 2002). Die Tumorfreiheit des
Blasenhalses als proximalem Absetzungsrand und
der verbleibenden Urethra sollte intraoperativ mit
Hilfe eines Kryoschnittes gesichert werden (Stenzl u.
Holtl 2003; Darson et al. 2002).
7
Pelvine Lymphadeneketomie
Die pelvine Lymphadenektomie ist ein integraler
Bestandteil der radikalen Zystektomie. Sie ermöglicht einerseits ein exaktes Staging (Herr 2003),
andererseits führt die Entfernung gering tumorbefallener Lymphknoten zu höheren Überlebensraten
(Gschwend 2002; Roehrborn et al. 1991; Skinner
u.Lieskovsky 1984; Mills et al. 2001 )1,15,63–65. Die
Wahrscheinlichkeit einer Lymphknotenmetastasierung steigt mit dem lokalen Fortschritt der
Erkrankung (pT2a 10,5%, pT2b 26,7%, pT3b 58%,
pT4 90%) (Leissner et al. 2000). Smith zeigte, dass
bei Patienten, die eine radikale Zystektomie erhielten, vor allem die Lymphknoten der Obturatorius-Loge und der Iliaca-externa-Region betroffen
sein können. Die Gruppe der Lymphknoten entlang
der A. iliaca communis und die präsakrale Gruppe
sind nur selten involviert. Aus diesem Grund kann
auf die Entfernung der Lymphknoten in diesen
Bereichen verzichtet werden (Smith u. Whitmore
1981). Sherif berichtete erstmals von der Möglichkeit, Metastasen in Sentinellokalisationen nachzuweisen. Die geringe Patientenzahl der Studie lässt
jedoch noch keine weitergehende Beurteilung zu
(Sherif et al. 2001).
et al. 1997; Henry et al. 1988; Herr 1987), so muss
diese Technik dennoch als verlassen bezeichnet werden. Prinzipiell erlaubt die primäre transurethrale
Operation bei pT2-Tumoren in 47% eine Resektion
ins Gesunde, weitere 30% sind durch bis zu drei
Nachresektionen zu entfernen. Liegt ein organüberschreitendes Wachstum vor, so kann nur noch in
40% Tumorfreiheit erzielt werden. Die erhebliche
Gefahr eines Understagings von 50% bedingt eine
komplizierte Selektion. Zudem hat sich gezeigt, dass
das Auftreten eines schlecht differenzierten Rezidivs die Fünfjahresüberlebenswahrscheinlichkeit
um mindestens 20% senkt. Als alleinige Maßnahme kann die TUR daher nur bei kleinen, gut differenzierten, jedoch muskelinvasiven Tumoren in
Betracht gezogen werden (Herr 2001). Diese Tumorkonstellation ist jedoch höchst selten. Wird eine
Radiochemotherapie (s. unten) geplant, ist in jedem
Fall eine transurethrale R0-Resektion anzustreben
(Dunst et al. 2001; Rodel et al. 2002).
Harnblasenteilresektion
Eine Harnblasenteilresektion hat heute nur noch in
ausgewählten Einzelfällen ihren Platz: Divertikelkarzinome, kleine Tumore der Vorderwand oder
des Blasendaches bei Patienten in grenzwertigem
Allgemeinzustand oder hohem Alter sowie Tumore, die ausschließlich das Ostium betreffen, sodass
eine Harnleiterneuimplantation notwendig wird.
Weiterhin kann sie eine Therapievariante bieten,
wenn eine TUR, z. B. wegen Koxarthose o. Ä. nicht
möglich ist. Die Indikationsstellung beschränkt sich
heute jedoch auf weniger als 5% der Fälle. Größere
Serien stammen aus den 70er-Jahren des letzten
Jahrhunderts und zeigen schlechtere Fünfjahresüberlebensraten als nach radikaler Zystektomie (25–
60%) (Pontes u. Lopez 1984; Resnick u. O’Conor
1973; Sweeney et al. 1992; Utz et al. 1073). In jedem
Fall sollte die Einhaltung eines Sicherheitsabstandes von ca. 1 cm möglich sein. Die Tumorfreiheit
der Absetzungsränder sollte intraoperativ mittels
Schnellschnitt bewiesen werden.
Transurethrale Resektion
Neoadjuvante Chemotherapie
Wenngleich einige Autoren bis in die späten 90erJahre des letzten Jahrhunderts große Serien präsentieren, in denen Patienten durch eine alleinige
»radikale« transurethrale Resektion Fünfjahresüberlebensraten erreichten, die mit der offenen Chirurgie vergleichbar sind (Solsona et al. 1998; Roosen
Ob eine neoadjuvante Chemotherapie vor geplanter radikaler Zystektomie Vorteile bringt, wird
kontrovers diskutiert. Einerseits könnte sie eine
Operation durch die Verkleinerung eines grenzwertig operablen Tumors überhaupt erst ermögli-
85
Radiochemotherapie
chen und zudem die Chemosensitivität des Tumors
demonstrieren. Andererseits wird das Gesamtüberleben wahrscheinlich nur minimal beeinflusst. Es
gibt Hinweise, dass eine Mikrometastasierung mit
kleinem Tumorvolumen durch eine neoadjuvante
Behandlung kontrolliert werden kann (Raghavan
et al. 1984; Fagg et al. 1984; Soloway et al. 1981). Die
mit Abstand besten Resultate wurden jüngst von
Grossman et al. beschrieben. In der prospektiven,
randomisierten Studie an 317 Patienten wurde eine
neoadjuvante Therapie mit MVAC mit konsekutiver
Zystektomie gegen eine alleinige Zystektomie verglichen. Die Ergebnisse dieser Studie müssen allerdings erheblich in Frage gestellt werden, da nur ein
einseitiges Testverfahren angewendet wurde. Die
Autoren beschreiben eine signifikante Verlängerung
des medianen Überlebens von 46 auf 77 Monate.
Die Fünfjahresüberlebensrate lag bei 57% gegenüber
43% in der Kontrollgruppe. Besonders erfolgreich
war die Therapie bei den Patienten, bei denen im
Zystektomiepräparat ein Stadium pT0 bestand. In
dieser Subgruppe wurde sogar ein medianes Fünfjahresüberleben von 85% erreicht. Die Applikation der MVAC-Chemotherapie senkte das Risiko,
an der Tumorerkrankung zu versterben, um 33%
(Grossmann et al. 2003). Eine aktuelle Metaanalyse
zeigte hingegen schlechtere Ergebnisse: Randomisierte Studien mit einer platinhaltigen neoadjuvanten Chemotherapie an insgesamt 2688 Patienten
wurden auf ihren Effekt hin untersucht. Es ergab
sich ein Fünjahresüberlebensvorteil von nur 5% bei
Patienten, die eine medikamentöse Kombination
mit Cisplatin erhalten hatten. Wird Cisplatin als
Monotherapie eingesetzt, besteht kein signifikanter
Überlebensvorteil (Anonymus 2003). Die Toxizität
der Therapie und damit die Lebensqualität wird
im Rahmen der Analyse jedoch nicht beurteilt. Im
Übrigen muss bedacht werden, dass die histopathologische Beurteilung und damit das exakte Staging
durch eine neoadjuvante Therapie beeinträchtigt
wird. Es bleibt daher weiterhin unklar, welcher Patient einen Vorteil von einer Vorbehandlung haben
könnte (Stadler u. Lerner 2003). Junge Patienten
ohne Komorbidität profitieren wahrscheinlich von
dieser Therapie, allerdings sind die Vorteile einer
primären Operation, eines genauen Stagings und
gegebenenfalls einer adjuvanten Therapie möglicherweise noch höher. Ältere, schon wegen der
Komorbidität nicht operable Patienten erleiden
unter Umständen eine Einschränkung der Lebensqualität durch die Therapie selbst als Preis für einen
minimalen Überlebensvorteil. Kritisch muss weiterhin bemerkt werden, dass es in o. g. Metaanalyse
7
scheint, der Vorteil der medikamentösen Therapie
sei unabhängig von der Art der lokalen Therapie
(Radiatio oder Operation). Unbestritten ist jedoch,
dass die lokale Tumorkontrolle bei einer Zystektomie höher ist als bei einer Bestrahlung. Das Risiko
eines Lokalrezidivs ist entsprechend geringer (Stadler u. Lerner 2003; Lerner u. Skinner 2000).
Radiotherapie
Das Urothelkarzinom der Harnblase ist prinzipiell
strahlensensibel (Dunst et al. 2001; Rodel et al. 2002;
Wijnmaalen et al. 1997). Ob eine alleinige Strahlentherapie jedoch vergleichbare Ergebnisse wie eine
radikale Zystektomie erwarten lässt, kann nicht
abschließend beurteilt werden. Es gibt keinerlei
direkte Vergleiche, in denen moderne Methoden der
Radiotherapie (primäre 3D-Feld-Bestrahlung) mit
der Operation verglichen wurden. Aus älteren Studien sind enttäuschende Ergebnisse bekannt (Blandy
et al. 1988; Wallace u. Bloom 1976; Jenkins et al. 1988;
Fossa et al. 1988; Hayter et al. 2000). Dies lag jedoch
sicherlich zum einen an der ungünstigen Selektion, da nur Patienten der Radiotherapie zugeführt
wurden, für die keine operative Maßnahme mehr
in Frage kam, zum anderen an der gegenüber dem
heutigen Standard veralteten Technologie. Heutzutage ist durch den Einsatz von Hochvoltgeräten und
computergestützter 3D-Planung die Wahrscheinlichkeit von Akut- und Spätreaktionen, vor allem
am Dünndarm, zwar gesunken (Mohiuddin et al.
1985), jedoch besteht nach wie vor ein ungünstiges
Verhältnis der Nebenwirkungen einer Radiomonotherapie gegenüber der onkotherapeutischen Wirksamkeit (Shipley et al. 1999). Die alleinige Radiotherapie sollte Indikationen rein palliativer Zielsetzung
bei inkurablen Tumoren vorbehalten sein.
Radiochemotherapie
Liegen schwerwiegende Faktoren vor, die gegen die
Durchführung einer Zystektomie sprechen (erhebliche Komorbidität, hohes Lebensalter oder der ausdrückliche Wunsch nach Blasenerhalt), müssen blasenerhaltende Verfahren diskutiert werden. Im Falle
eines muskelinvasiven oder lokal fortgeschrittenen
Tumors sind Radiotherapie, TUR oder Chemotherapie als Monotherapie der radikalen Zystektomie
in der Frage der lokalen Tumorkontrolle deutlich
unterlegen (Shipley et al. 1999). Bestehen zwar wenig
oder keine lokalen Symptome, aber eine Mikrome-
86
7
Kapitel 7 · Therapie des muskelinvasiven und des lokal fortgeschrittenen Blasenkarzinoms im Jahr 2004
tastasierung, so kann der Vorsprung der Operation
jedoch in den Hintergrund treten. Diese Konstellation würde ohnehin den adjuvanten Einsatz einer
Chemotherapie implizieren. Weiterhin können
Chemotherapeutika synergistisch die Wirkung der
Strahlentherapie erhöhen.
Der kombinierte Einsatz der Verfahren (TUR
mit Nachresektion, nach Möglichkeit bis zum Status R0, adjuvante Radiochemotherapie) zeigte eine
Fünfjahresüberlebensrate zwischen 49 und 93%. Die
besten Ergebnisse wurden dabei von Eapen durch
eine intraarterielle Gabe von Cisplatin erzielt. Die
Toxizität sei dabei gering (Dunst et al. 2001; Rodel et
al. 2002; Shipley et al. 1999; Hussain et al. 2001; Eapen
et al. 1998; Rotman et al. 1990). In einigen dieser Studien wurde jedoch im Falle eines Nichtansprechens
nach TUR und Radiochemotherapie eine SalvageZystektomie durchgeführt. Die Wahrscheinlichkeit
eines definitiven Blasenerhaltes lag schließlich nur
bei 38–43%. Bei Patienten, die auf die Therapie ansprachen, war die Prognose gut. ⊡ Tabelle 7.3 zeigt
die Ergebnisse der wichtigsten Studien.
Die Toxizität des kombinierten blasenerhaltenden Vorgehens entspricht den zu erwartenden
Risiken und Nebenwirkungen nach Radiatio und
systemischer Chemotherapie (Übelkeit, Erbrechen,
Durchfall, Fatigue-Syndrom, Neutropenie, radiogene Zystitis, erektile Dysfunktion u. a.). Insbesondere die cisplatinhaltigen Schemata weisen hohe
emetische Potenz auf. Neuere Chemotherapeutika,
eventuell in Kombination mit den bewährten Substanzen, könnten die Aussicht auf eine effektive
Therapie bei gleichzeitiger Reduktion der möglichen Nebenwirkungen verbessern (Hussain et al.
2002; Hussain u. James 2002).
Es gibt bis dato keine prospektiv randomisierten direkten Vergleiche zwischen dem Goldstandard
der radikalen Zystektomie und dem o. g. blasenerhaltenden, trimodalen Vorgehen. Das ungünstige
Verhältnis zwischen unklarer lokaler Tumorkontrolle und erheblicher Toxizität spricht jedoch gegen die blasenerhaltende Kombination. Wegen des
schlechten Ansprechens auf die Therapie sollte die
trimodale Therapie nicht bei Vorliegen eines Carcinoma in situ angewandt werden. ⊡ Tabelle 7.4 stellt
klare Indikationen zur radikalen Zystektomie und
Konstellationen, die einen Blasenerhalt prinzipiell
erlauben, gegenüber.
⊡ Tabelle 7.3. Erfolg verschiedener Radiochemotherapieregimes
Autor (Jahr)
Patienten [n]
Therapieregime
Ergebnisse [%] CR
Sauer (1990)
67
Cisplatin + RTX
76
Hussain (2001)
53
Cisplatin + 5Fu + RTX
51
Eapen (1998)
24
Cisplatin i.a. + RTX
93
Rotman (1990)
19
5Fu +/– Mito + RTX
74
⊡ Tabelle 7.4. Indikationsstellung für bzw. gegen einen Blasenerhalt
Zystektomie
Blasenerhaltende Strategie
Pathologisches Stadium
T3/T4
T2
Ausdehnung
Multifokaler Tumor oder CIS
Monolokulär und kleiner Tumor
Status oberer Harntrakt
Harnstauung
Keine Harnstauung
87
Literatur
Palliative Maßnahmen bei lokal
fortgeschrittenem Tumor
Liegen systemische Metastasen oder ein lokal weit
fortgeschrittenes Stadium vor, so ist die Prognose
quo ad vitam stark eingeschränkt. Zusätzlich kann
eine Reihe von Symptomen auftreten, die eine palliative Therapie notwendig machen.
7
Schmerztherapie
Eine medikamentöse Schmerztherapie sollte großzügig nach dem 3-Stufen-Eskalationsschema der
WHO verabreicht werden. Die Gabe von Acetylsalicylsäure oder andere Thrombozytenaggregationshemmern ist dabei jedoch zu vermeiden.
Palliative Strahlentherapie
Blutende Tumorblase
Besteht eine Makrohämaturie bei Vorliegen eines
metastasierten oder organüberschreitenden Tumors,
sollten zunächst alle konservativen Maßnahmen
ausgeschöpft werden. Nach instrumenteller Ausräumung einer evtl. vorliegenden Tamponade und
Anlage einer Dauerspülung sollten die Gerinnungssituation und der Hämoglobinwert überprüft und
ggf. korrigiert werden. In vielen Fällen ist bereits
zum Ausräumen der Tamponade ein Eingriff in
Narkose notwendig. In gleicher Narkose sollte eine
transurethrale Resektion, jedoch nur bis in das oberflächliche Niveau durchgeführt werden. Führen diese
Maßnahmen nicht zu einer deutlichen Besserung,
sollte als nächstes eine Instillation mit Alaun 1%
(Aluminiumkaliumsulfat) oder bei Versagen mit
1–5% (–10%) Formalinlösung erfolgen. Ein vesikorenaler Reflux muss jedoch im Vorfeld ausgeschlossen
werden. Bleibt es trotz aller o.g. Maßnahmen bei der
schweren Makrohämaturie, so müssen eine transarterielle Embolisation des Tumors und als operative
Ultima Ratio eine Salvage-Zystektomie in Betracht
gezogen werden.
Harnstauung
Eine Harnstauung in der palliativen Situation sollte
nur behoben werden, wenn dadurch Symptome verschwinden oder der Patient es ausdrücklich wünscht.
Insbesondere im Falle einer ansonsten asymptomatischen Urämie kann diese Entscheidung sehr schwierig sein. Liegen Koliken, eine Infektion vor oder ist
eine Chemotherapie in weiterer Folge geplant, so
sollte zunächst ein perkutaner Nierenfistelkatheter
und/oder ein Doppel-J-Katheter eingelegt werden,
s.g. »Tumor-Stents« mit einer möglichen Liegezeit
bis zu 35 Monaten bieten dabei die meisten Vorteil bezüglich der Lebensqualität (Weissbach 2001;
Kulkarni u. Bellamy 2001).
Besonders effektiv ist eine Strahlentherapie, die sich
gegen durch Knochenmetastasen ausgelöste Schmerzen richtet. Eine fraktionierte Bestrahlung in hoher
Gesamtdosis (z. B. 12-mal 3 Gy) führt schnell zum
Erfolg. Mittelfristig kann im betroffenen Bereich
auch die Frakturgefahr günstig beeinflusst werden.
Metastasenchirurgie
Können durch begrenzte operative Eingriffe schwere Folgeerscheinungen wie Frakturen usw. vermieden werden, so sollten diese durchgeführt werden.
Die Resektion chemotherapierefraktärer Metastasen bietet jedoch insbesondere bei asymptomatischen Patienten keinerlei Überlebensvorteil und
beschränkt sich daher auf Einzelfälle (Otto et al.
2001).
Chemotherapie mit palliativem Ansatz
In sorgfältiger Abwägung möglicher Risiken und
Nebenwirkungen mit der zu erwartenden Symptomminderung kann der Einsatz moderner Chemotherapeutika mit geringer Toxizität (Gemcitabine,
Taxane usw.) erwogen werden (Kaufman et al. 2000;
Garcia del Muro et al. 2002).
Literatur
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Kapitel 7 · Therapie des muskelinvasiven und des lokal fortgeschrittenen Blasenkarzinoms im Jahr 2004
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