1 1 Funktionen 1.1 Definitionen und Bezeichnungen Eine Funktion f ist eine eindeutige Abbildung einer Menge X in eine andere Y . Ist x ∈ X, dann ist f (x) = y ∈ Y das Bild des Elementes x. x heißt das Urbild des Elementes y. f : X− → Y, f (x) = y Die Teilmenge D(f ) von X, für die die Abbildung f definiert ist, heißt Definitionsbereich von f (oft wird X = D(f ) gewählt). Die Teilmenge R(f ) von Y , die aus den Bildern der Elemente von D(f ) gebildet wird, heißt Wertebereich von f . Gibt es zu jedem y ∈ Y höchstens ein x ∈ X mit f (x) = y, heißt die Funktion eineindeutig. In diesem Fall gibt es eine Funktion g: Y− → X, g(y) = x , die die Wirkung der Funktion f rückgängig macht, das heißt, die jedem Element y = f (x) sein Urbild x zuordnet. Diese Funktion heißt inverse Funktion (oder Umkehrfunktion) zu f und wird mit f −1 bezeichnet. Würde man für f nicht Eineindeutigkeit fordern, könnte man zwar auch eine inverse Abbildung defienieren, sie wäre aber nicht eindeutig und somit keine Funktion. Hat man zwei Funktionen f und g f : X− → Y, f (x) = y ; g: Y− → Z, g(y) = z , kann man eine Funktion h = g ◦ f als h(x) = g f (x) definieren. Diese Funktion bildet X nach Z ab: h=g◦f : X− → Z, h(x) = z und wird Verkettung (Hintereinanderausführung, mittelbare oder verkette Funktion) der Funktionen f und g bezeichnet. Unter den Funktionen, die eine Menge auf sich selbst abbilden, f : X− →X gibt es eine Funktion, die jedem Element sich selbst zuordnet. Diese Funktion heißt identische Funktion und wird mit idX bezeichnet. Es ist also idX (x) = x. Wenn es nicht zu Verwechslungen kommt, kann man den Index X auch weglassen. Er bezeichnet, daß es sich um die identische Abbildung der Menge X auf sich handelt. Ist f eineindeutig und f −1 ihre inverse Funktion f : X− → Y, f −1 : Y − →X , dann sind die Verkettungen f −1 ◦ f oder f ◦ f −1 Abbildungen der Menge X (bzw. Y ) auf sich und zwar derart, daß jedem Element dasselbe Element zugeordnet wird. Es sind also identische Abbildungen. Es gilt f −1 ◦ f = idX und f ◦ f −1 = idY . 2 1 FUNKTIONEN 1.2 Gebrochen lineare Funktionen Gebrochen lineare Funktionen sind Funktionen der Form f (x) = ax + b . cx + d Der triviale Fall – wenn der Bruch kürzbar ist – ist uninteressant. Er wird ausgeschlossen. Das ist genau dann der Fall, wenn ad − bc = 0. Es soll also stets ∆ = ad − bc 6= 0 gelten. Konstante Funktionen f (x) = C gehören also nicht zu dieser Funktionenklasse. Jedes Quadrupel (a, b, c, d) reeller Zahlen definiert eine gebrochen lineare Funktion, allerdings nicht eindeutig. Die beiden Quadrupel (a, b, c, d) und (k · a, k · b, k · c, k · d) bilden die gleiche Funktion, denn k · ax + k · b k(ax + b) ax + b = = . k · cx + k · d k(cx + d) cx + d 1.2.1 Beispiele Alle linearen Funktionen (außer den Konstanten) gehören hierzu. Sie bilden den Spezialfall c = 0 und d = 1. Dann gilt f (x) = ax + b = ax + b 0·x+1 Ein weiterer Spezialfall hiervon ist f (x) = id(x) = x . Das Quadrupel (a, b, c, d) = (1, 0, 0, 1) definiert diese identische Funktion. Für sie gilt ∆ = 1 · 1 − 0 · 0 = 1. Der Spezialfall (a, b, c, d) = (0, 1, 1, 0) definiert die Funktion f (x) = 1.2.2 1 . x Der Graph einer gebrochen linearen Funktion mit ∆ > 0 Das folgende Bild (Bild 1) zeigt die gebrochen lineare Funktion f (x) = 2x + 1 2x + 3 im (x, y)–Koordinatensystem (rote Funktion). Sie besteht (wenn c 6= 0) aus zwei Ästen. 3 1.2 Gebrochen lineare Funktionen 4 f (x) = ax+b cx+d = 2x+1 2x+3 a·d−b·c = 4> 0 3 @ @ @ @ @ 2 @ @ ? @ @ @ 1 @ @ @ @ R @ -4 -2− d c id(x) = x a c b d − ab b d a c X y XXX XX − ab 4 2 f −1 (x) = −dx+b cx−a = −3x+1 2x−2 -1 − dc ? -2 -3 -4 Bild 1: Der Graph einer gebrochen lineare Funktion mit ∆ > 0 1.2.3 Besondere Punkte und Geraden Folgende besondere Punkte fallen am Graph der Funktion auf: Schnittpunkt mit der x-Achse (Nullstelle des Zählers) ... x = − b a b d Folgende besondere Geraden fallen am Graph der Funktion auf: d Polstelle (Nullstelle des Nenners) ................................... x = − c a Asymptotik (Gerade, der sich die beiden Äste nähern) ... y = c Diese beiden Geraden sind ebenfalls graphisch dargestellt (rot). Schnittpunkt mit der y-Achse (Wert von f (0)) .............. y = 4 1 FUNKTIONEN 1.2.4 Der Graph einer gebrochen linearen Funktion mit ∆ < 0 Das folgende Bild (Bild 2) zeigt die gebrochen lineare Funktion f (x) = x+2 4x + 3 im (x, y)–Koordinatensystem (rote Funktion). 2 f (x) = ax+b cx+d = a · d − b · c = −5 < 0 - x+2 4x+3 1.5 id(x) = x 1 b d 0.5 a c − ab -2 ? a c -1− d c b d 1 -0.5 2 6 − dc -1 f −1 (x) = -1.5 -2 −dx+b cx−a = −3x+2 4x−1 − ab Bild 2: Der Graph einer gebrochen linearen Funktion mit ∆ < 0 Die Schnittpunkte mit den Koordinatenachsen, Polstelle und Asymptotik sind ebenfalls dargestellt. 1.2.5 Die inverse Funktion Durch Lösung der Gleichung f (x) = y bezüglich x erhält man die inverse Funktion zu f (x). Es gilt 5 1.2 Gebrochen lineare Funktionen ax + b cx + d ax + b ax − cxy x(a − cy) f (x) = = y = cxy + dy = dy − b = dy − b dy − b x = −cy + a Die inverse Funktion zu f (x) ist also mit f −1 (x) = dx − b −cx + a wieder eine gebrochen lineare Funktion mit demselben ∆ = ad − bc. Schnittpunkt mit der x-Achse und Polstelle von f (x) bilden Schnittpunkt mit der y-Achse und Asymptotik von f −1 (x) und umgekehrt. In Bild 1 und 2 sind die entsprechenden Graphen grün dargestellt. 1.2.6 Verkettung zweier gebrochen linearer Funktionen Es seien f (x) = a1 x + a2 a3 x + a4 und g(x) = b1 x + b2 . b3 x + b4 Dann ist die Verkettung (das Hintereinanderausführen) h(x) = (g ◦ f )(x) = g f (x) x+a2 + b2 b1 aa31 x+a 4 = 2 + b4 b3 aa13 x+a x+a4 b1 a1 x + b1 a2 + b2 a3 x + b2 a4 = = b3 a1 x + b3 a2 + b4 a3 x + a4 b4 (b1 a1 + b2 a3 )x + b1 a2 + b2 a4 = (b3 a1 + b4 a3 )x + b3 a2 + a4 b4 = wieder eine gebrochen lineare Funktion. 1.2.7 Algebraische Eigenschaften der Verkettung Das Hintereinanderausführen zweier gebrochen linearer Funktionen ergibt wieder eine solche Funktion. Das heißt, diese Operation führt nicht aus der Menge der gebrochen linearen Funktionen heraus. Man sagt, diese Menge ist abgeschlossen bezüglich dieser Operation. Das entspricht der Multiplikation unter gebrochenen Zahlen. Hier gibt es allerdings einen prinzipiellen Unterschied. Die Multiplikation gebrochener Zahlen ist kommutativ, das heißt, es gilt stets x · y = y · x. Das Hintereinanderausführen zweier gebrochen linearer Funktionen ist dagegen im allgemeinen nicht kommutativ. Ist z.B. f (x) = 2x + 2 x+2 und g(x) = 3x + 4 , 2x + 5 6 1 FUNKTIONEN dann ist (g ◦ f )(x) = 10x + 14 9x + 14 aber 10x + 18 6= (g ◦ f )(x) . 7x + 14 Unter gebrochenen Zahlen gibt es eine, die mit anderen Zahlen multipliziert dieselbe Zahl ergibt. Das ist die 1. Es gilt stets 1 · x = x. Unter gebrochen linearen Funktionen gibt es auch eine Funktion, bei der die Verkettung mit einer beliebigen anderen Funktion wieder diese Funktion ergibt. Das ist die identische Funktion. Es gilt stets id◦f = id◦f = f . Die 1 für die gebrochenen Zahlen oder die identische Funktion id für die gebrochen linearen Funktionen heißt neutrales Element. Zu jeder gebrochenen Zahl x 6= 0 gibt es einen Kehrwert x1 . Das ist die Zahl, die – multipliziert mit x – das neutrale Element – also 1 – ergibt. Zu jeder gebrochen linearen Funktion f (x) (mit ∆ 6= 0) gibt es ebenfalls einen Kehrwert“ ” bezüglich der Verkettung. Das ist die Funktion, die auf f (x) angewendet, das neutrale Element ergibt, also die inverse Funktion, denn es gilt f ◦ f −1 = f −1 ◦ f = id. Eine Menge X, in der eine Operation · definiert ist, die folgende Eigenschaften hat: (f ◦ g)(x) = • x, y ∈ X =⇒ x · y ∈ X . • Es existiert ein neutrales Element e mit x · e = e · x = x. • x ∈ X =⇒ Es existiert ein inverses Element x−1 mit x · x−1 = x−1 · x = e heißt Gruppe. Gilt stets x · y = y · x heißt die Gruppe kommutativ oder Abelsche Gruppe. Die gebrochenen Zahlen ohne 0 bilden also eine kommutative Gruppe bezüglich der Multiplikation. Die gebrochen linearen Funktionen bilden eine Gruppe bezüglich der Verkettung. Ähnlich wie Potenzen von gebrochenen Zahlen lassen sich Potenzen“ für gebrochen lineare ” Funktionen definieren: f 0 (x) = id(x) f 1 (x) = f (x) f 2 (x) = (f ◦ f )(x) = f f (x) f 3 (x) = (f ◦ f ◦ f )(x) = f f f (x) = = (f ◦ f 2 )(x) = (f 2 ◦ f )(x) = f 2 f (x) = f f 2 (x) ... f (x) = (f ◦ f n−1 )(x) = (f n−1 ◦ f )(x) = f n−1 f (x) = f f −1 (x) n Es gelten Analoga der bekannten Potenzgesetze: f n+m = f n ◦ f m = f m ◦ f n f −n = (f n )−1 Die positiven gebrochenen Zahlen bilden für sich ebenfalls eine Gruppe, da das Produkt zweier positiver Zahlen und der Kehrwert positive Zahlen sind. Definiert man die gebrochen linearen Funktionen mit ∆ > 0 als positive“ und die mit ∆ < 0 als negative“, dann gelten entspre” ” chende Eigenschaften wie für die gebrochenen Zahlen (negativ mal positiv = negativ, negativ mal negativ = positiv). 7 1.2 Gebrochen lineare Funktionen 1.2.8 Iterationsverfahren Interessiert man sich für die n-te Potenz“ einer gebrochen linearen Funktion f (x) in einem ” festen Punkt x0 , also für xn = f n (x0 ) , so kann man diesen Wert schrittweise (sukzessive) berechnen x1 = f (x0 ), x2 = f (x1 ), ... xn = f (xn−1 ) . (1) Man erhält eine Folge (xn ) = x0 , x1 , x2 , .... Definiert man x−n = f −1 (x−(n−1) ) , (2) erhält man eine weitere Folge (x−n ) = x0 , x−1 , x−2 , .... Im Bild unten (Bild 3) sind diese Folgen für die Funktion f (x) aus Bild 1 und x0 = 0 graphisch dargestellt, wobei der interessante Ausschnitt vergrößert wurde. 1 0.75 0.5 0.25 -1 -0.5 0.5 -0.25 -0.5 -0.75 -1 Bild 3: xn = f (xn−1 ) für x0 = 0 (zu Bild 1) 1 8 1 FUNKTIONEN Es ist (xn )n=0 = (x−n )n=0 1 5 21 85 341 1365 0, , , , , , , ... = 3 11 43 171 683 2731 n o = 0., 0.333333, 0.454545, 0.488372, 0.497076, 0.499268, 0.499817, 0.499954, ... 1 5 21 85 341 1365 5461 ,− ,− , ... = = 0, − , − , − , − , − 2 6 22 86 342 1366 5462 n o = 0., −0.5, −0.833333, −0.954545, −0.988372, −0.997076, −0.999268, −0.999817, ... xn nähert sich dem Punkt 21 , x−n dem Punkt −1, den beiden Schnittpunkten der Funktionen f (x) bzw. f −1 (x) mit id(x). Ein ähnliches Bild (Bild 4) ergibt sich für die Funktion f (x) aus Bild 2. Auch hier wurde x0 = 0 gewählt. 2 1.5 1 0.5 -2 -1 1 -0.5 -1 -1.5 -2 Bild 4: xn = f (xn−1 ) für x0 = 0 (zu Bild 2) 2 1.2 Gebrochen lineare Funktionen 9 Es ist (xn )n=0 = = (x−n )n=0 = = 2 8 42 208 1042 5208 26042 130208 0, , , , , , , , , ... = 3 17 83 417 2083 10417 52083 260417 n o 0., 0.666667, 0.470588, 0.506024, 0.498801, 0.50024, 0.499952, 0.50001, 0.499998 8 42 208 1042 5208 26042 ,− ,− ,− , ... = 0, 0, −2, − , − , − 9 41 209 1041 5209 26041 n o 0., 0., −2., −0.888889, −1.02439, −0.995215, −1.00096, −0.999808, −1.00004, ... xn nähert sich dem Punkt 12 , x−n dem Punkt −1. Die x-Werte (und auch die y-Werte) dieser Schnittpunkte sind die Lösungen der Gleichungen f (x) = x bzw. f −1 (x) = x . Diese beiden Gleichungen sind äquivalent. Das sieht man, wenn man z.B. auf die zweite Glei chung f anwendet und f f −1 (x) = x berücksichtigt. Ist x̃ der x-Wert so eines Schnittpunktes, und startet man mit x0 = x̃, erhält man eine konstante Folge. Daher werden diese Punkte Fixpunkte (unbewegliche Punkte) genannt. Gleichung (1) ist also eine Möglichkeit, sich einem der Schnittpunkte schrittweise zu nähern, das heißt eine Lösung der Gleichung ax + b =x (3) cx + d zu finden. Ein Verfahren, auf diese Weise ein Problem nicht exakt, aber mit beliebiger Genauigkeit zu lösen heißt Iterationsverfahren. Angenommen, man wüßte nicht, wie man Gleichung (3) exakt lösen kann, dann hätte man mit diesem Iterationsverfahren die Möglichkeit, wenigstens einen Näherungswert zu berechnen. Gleichung (3) hat aber zwei Lösungen (wie auch f (x) und id(x) zwei Schnittpunkte hat). Das Iterationsverfahren nähert sich jedoch nur einer Lösung. Das ändert sich auch nicht, wenn man einen anderen Startwert x0 wählt. Die zweite Lösung läßt sich aber mit dem Iterationsverfahren (2) für die inverse Funktion finden. Daß ein Iterationsverfahren nicht alle Lösungen eines Problems findet, ist ein typischer Nachteil so eines Verfahrens gegenüber einer exakten Methode. In der Praxis gibt es jedoch viele Probleme, die sich – im Gegensatz zu Gleichung (3) – nicht exakt lösen lassen und für die ein Iterationsverfahren oft der einzige Weg ist, eine Lösung zu bestimmen. 1.2.9 Probleme und Aufgaben 1. Im Bereich der gebrochenen Zahlen gibt es genau zwei Zahlen x, für die gilt x2 = x·x = 1. Das sind die Zahlen x = +1 und x = −1. Eine analoge Aufgabe könnte man für die gebrochen linearen Funktionen stellen: Für welche Funktionen f (x) gilt f 2 = f ◦ f = id, also f f (x) (x) = x . Sofort fallen einem die Funktionen f (x) = x und f (x) = −x ein. Etwas später vielleicht auch noch f (x) = x1 und f (x) = − x1 . Es gibt aber noch viel mehr. Welche? 2. 3. 10 1 FUNKTIONEN 1.2.10 Lösungen 1. Es sei f (x) = ax + b . cx + d Dann ist f 2 (x) = (a2 + bc)x + b(a + d) . c(a + d)x + d2 + bc f 2 (x) = x gilt für die (a, b, c, d), die das Gleichungssystem a2 + bc b(a + d) c(a + d) d2 + bc = = = = 1 0 0 1 oder das Gleichungssystem a2 + bc b(a + d) c(a + d) d2 + bc = = = = −1 0 0 −1 erfüllen. Hieraus folgt neben f (x) = ±x ax + (1 − a2 ) x−a ax − (1 + a2 ) f2 (x, a) = x−a f1 (x, a) = Das ergibt u.a. die Spezialfälle f1 (x, 1) = f1 (x, 0) = f1 (x, −1) = f2 (x, 1) = f2 (x, 0) = f2 (x, −1) = 2. 3. x x−1 1 x x − x+1 x−2 x−1 1 − x x+2 − x+1 und