Psychosomatisch-Psychotherapeutische Praxis Leonberg Cornelius Sipple, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Listtrasse 1/2 , 71229 Leonberg, Tel.: 07152 / 335224 E-Mail: [email protected] ___________________________________________________________________________ Ängste und Sorgen – Sorgen und Ängste... Generelle Angst? Die moderne Verhaltenstherapie geht davon aus, dass Sorgen sich ständig wiederholende, unflexible Muster des Denkens und der Aufmerksamkeitslenkung sind. Das Sich-Sorgen-Machen ist ein zentraler problematischer Prozess, welchen besser zu verstehen aus einer Beobachterposition heraus erlernt werden soll. Dazu soll zum Einen verstanden werden, dass das Sich-Sorgen-Machen kurzfristig Sicherheitsmomente erzeugt. Dem Menschen, der sich Sorgen macht, geht es jedoch meist um seine Zukunft. Er möchte mit diesem Sich-Sorgen-Machen also langfristig Sicherheit erzeugen, was bei genauer Betrachtung jedoch nicht gelingt. Der Innere Beobachter lernt also zu beobachten, dass im gegenwärtigen Prozess des Sich-Sorgen-Machens nur kurzfristige Sicherheitsmomente vorkommen. Weiter lernt er zu beobachten, dass diese Sicherheitsmomente die unterschwellige Angst nur kurzfristig beruhigen bzw. scheinbar auslöschen. Er lernt weiter zu beobachten, dass der Prozess des Sich-Sorgen-Machens an sich schon eine richtig eingeübte Gewohnheit ist; dass also die Sorgengedanken trotzdem alsbald wieder da sind. Er lernt weiter zu beobachten, dass es demnach innere Anstrengungen gibt, das SichSorgen-Machen zu unterlassen - denn seine Sinnlosigkeit und Gewohnheit wird irgendwie erkannt. Dabei gelingen wieder nur kurzfristige Sicherheitsmomente. Er lernt auch zu beobachten, dass die unterschwellige Angst bereits eine Gewohnheit ist und sich trotzdem wieder meldet – und dass damit die Wahrscheinlichkeit von Sorgengedanken wieder stark erhöht. Damit begreift er die Teufelskreisläufe von Sorgen und Ängsten. Darüber hinaus kann oft beobachtet werden, dass eine erlernte Hilflosigkeit, d. h. das Gefühl sich letztlich bestimmten Anforderungen des Lebens gegenüber immer ausgeliefert zu fühlen, unterschwellig mitwirkt. Darüber hinaus soll begriffen werden, dass häufig so genannte Katastrophengedanken oder Katastrophenfantasien zur Gewohnheit geworden sind. D. h. die mentale, geistige Vorwegnahme einer möglichen Katastrophe, die demzufolge lieber vermieden werden möchte, soll Sicherheit geben. Kurzfristige Sicherheit gibt tatsächlich - aber nur auf der mentalen Ebene und nicht in der wirklichen Zukunft (in welcher das Problem ungelöst bleibt), das Vermeiden einer eingebildeten Katastrophe. So betroffene Menschen lassen sich oft nicht wirklich leicht davon überzeugen, dass die Katastrophe eingebildet ist und die Wahrscheinlichkeit, dass sie eintritt, eher gering. Nein, meist wird eine hohe Wahrscheinlichkeit des Eintretens dieser Katastrophe mit starker Überzeugung verteidigt. So können auch um Beruhigung bemühte Mitmenschen in den Teufelskreis des Sich-Sorgen-Machens hineingezogen werden. Die unterschwellige Botschaft lautet ja: „Bleib bei mir – verlass mich nicht!“. Da es jedoch oft unrealistisch oder kindisch ist, diese Botschaft direkt auszusprechen, wird sie oft indirekt kommuniziert, indem Mitmenschen in den Prozess des Sich-SorgenMachens mit seinem vielseitigen „Wenn... und Aber...“ intensiv einbezogen werden. Der innere Beobachter lernt hier den Gewohnheitscharakter von Katastrophenfantasien und Katastrophengedanken zu erfassen. Darüber hinaus lernt er auch hier zu unterscheiden zwischen Angst auslösenden Momenten und kurzfristig Sicherheit gebenden Momenten im mentalen Prozess des Sich-Sorgen-Machens einschließlich seiner Katastrophenfantasien. Der innere Beobachter lernt darüber hinaus eine Funktion des Sich-Sorgen-Machens auf der Beziehungsebene zu begreifen, nämlich dass der Prozess unter Einbezug von Bezugspersonen langfristig sicherere Bindung herstellen soll (meist aber nur kurzfristig wirkt). Er lernt damit eine auf der unterschwelligen Angstebene in den meisten Fällen schon lange (seit der Kindheit) vorhandene Bindungsstörung zu begreifen. Damit ist die unterschwellige Angst meist eine so genannte Trennungsangst! Nun geht es darum die Ziele der Verhaltenstherapie zu begreifen! Ein Kardinalziel der Verhaltenstherapie ist die so genannte „Reizexposition mit Reaktionsverhinderung und die dem folgende Habituation“. Dieses Prinzip wird von vielen Menschen auch schon grob begriffen. Sie sagen dann: »Ich habe erkannt, dass ich mich meinen Ängsten stellen muss!“. In der Therapie geht es darum mehr Möglichkeiten herauszufinden, wie das noch besser gelingen kann. Reizexposition bedeutet, sich dem angstauslösenden Reiz bewusst auszusetzen. Andersherum gesagt sich bestimmter Vermeidungsmechanismen dabei bewusst zu sein und diese abzubauen = Reaktionsverhinderung. Habituation will sagen, dass es unter dieser Voraussetzung gelingen kann, sich an den Angst auslösenden Reiz, aber auch die Angst an sich, die dabei längerfristig gedacht nachlassen soll, zu gewöhnen. Vermeidungsmechanismen ergeben die kurzfristigen Sicherheitsmomente. Die Katastrophe anzunehmen löst mehr Angst aus – sie dann auf der mentalen Ebene abzuwenden unter der Erkenntnis, dass sie unerträglich sein wird (z. B. weil sie unbewusst mit einer erlernten Hilflosigkeit assoziiert wird), also das vermeiden der angenommenen Katastrophe, gibt kurzfristig Sicherheit. Ein Zwischenziel der Verhaltenstherapie ist es daher, statt die Katastrophe mental abzuwenden, gründlicher über deren Wahrscheinlichkeit und die Folgen nachzudenken, die es hat, wenn die angenommene Katastrophe tatsächlich eintritt. 1. soll gründlich darüber nachgedacht werden, ob die Katastrophe nicht eher eine Annahme, denn eine Wirklichkeit in der Zukunft ist 2. soll gründlich darüber nachgedacht werden welche Möglichkeiten diese angenommene Katastrophe zu bewältigen in der Zukunft zur Verfügung stehen, oder durch sinnvolles Planen in der Zukunft zur Verfügung stehen werden Damit stellen sie sich in der Gegenwart schon (nicht erst in der Zukunft) ihren Ängsten. 3. soll über die Wahrscheinlichkeit des Eintretens gründlicher nachgedacht werden; dabei spielen oft abergläubische Haltungen (weniger im herkömmlichen, populistischen Sinne; eher im verhaltenstherapeutischen Sinne) eine Rolle. Ja, auch der Aberglaube soll ja kurzfristig Sicherheit geben - indem vermieden, sich dagegen aufgelehnt wird, woran da geglaubt wird - und in dem Bezugspersonen einbezogen und damit ängstlich an sich gebunden werden! Die vermehrte Auseinandersetzung mit einer angenommene Katastrophe kann also vorübergehend Ängste verstärken. Daher ist ein weiteres Zwischenziel der Verhaltenstherapie die „funktionale Bewältigung“ dieser Ängste. Natürlich geht es darum, sich für diesen therapeutischen Prozess im Alltag genügend Zeit zu nehmen - denn wenn sie ihn genau dann abbrechen, wenn die Ängste vermehrt auftauchen, besteht die Gefahr, dass die mit den Ängsten einhergehenden Überzeugungen (Hilflosigkeitsüberzeugungen, Überzeugungen unfähig zu sein mit Trennungen umzugehen) bestärkt werden! Zur Bewältigung von im therapeutischen Prozess vermehrt auftauchenden Ängsten sollen sinnvolle Beruhigungstechniken eingesetzt werden. Und zwar in dem Sinne und dem Gedanken folgend: „Auch wenn es in der Zukunft irgendwie schlimm kommt, dann kann ich das so, wie ich diese Beruhigung jetzt eingeübt habe, auch praktizieren!“. Infrage kommen Atemübungen, Imaginationsübungen (Der Sichere Ort), Meridan-Klopftechnik, Autogenes Training oder progressive Muskelentspannung – oder ein verhaltenstherapeutisch wirklich sinnvoller, beruhigender und funktionaler Kontakt zu Bezugspersonen. Oder ein sinnvolles „Gut für sich sorgen“. Da merkt man an den Begriffen schon einen tieferen Sinn: „Sich Sorgen soll sein - gut für sich sorgen...“. Um für einen therapeutischen Prozess gut gerüstet zu sein, braucht es also ein Lernen auf unterschiedlichen Ebenen: 1. die kognitive oder die Ebene des inneren Beobachters - hier sollen die dysfunktionalen Denk-, Imaginations- und Verhaltensmuster erkannt werden, welche nur kurzfristig Sicherheit geben können. Aus der Einsicht, dass sich längerfristig damit tatsächlich nicht viel ändert, soll die Motivation bezogen werden, sich den eigenen Ängsten mehr zu stellen. 2. Der innere Beobachter übernimmt somit die Aufgabe einer neuen Form der Aufmerksamkeits- und der Verhaltenslenkung! 3. Der innere Beobachter übernimmt die Rolle eines Mediators oder eines inneren Therapeuten gegenüber zwei Ebenen: Der Ebene des Drangs, oder des Zwangs, sich auf herkömmliche Weise Sorgen machen zu müssen - also zum Zweck des Abbaus der Gewohnheiten auf dieser Ebene Der Ebene der Angst an sich, der Belastung die diese darstellt, aber auch der hier erlernten Überzeugungen wie Hilflosigkeit („Ich werde nichts tun können – das werde ich nicht aushalten können...!“) oder Trennungsangst („Ich werde für immer allein sein... – darüber nie weg kommen... – das wird mich vernichten...). Aus verhaltenstherapeutischer Sicht geht es darüber hinaus sehr wesentlich um innere Kompetenzen und Stärken. Meist lassen sich Persönlichkeitsanteile entdecken, die unter bestimmten Bedingungen erstaunliche Kompetenzen an den Tag legen und damit innere Stärken beweisen. Unter Angst auslösenden Bedingungen scheinen diese Persönlichkeitsanteile wie ausgelöscht. Der Glaube an sich selbst und das Selbstvertrauen können anscheinend völlig verloren gehen. Daher geht es aus verhaltenstherapeutischer Sicht auch darum, diese Anteile als Ressourcen wahrzunehmen und zu lernen, diese Anteile in den Kontext angstauslösender Bedingungen mit einzubeziehen, zu aktivieren. Das nennt die Verhaltenstherapie „Ressourcenaktivierung“. Es soll also erlernt werden und zunehmend gelingen, auf diese „positiven Programme“ im neuronalen Netzwerk des Gehirns wenn es darauf ankommt Zugriff nehmen zu können. Genauso, wie ein Zugriff auf Beruhigungstechniken erlernt werden soll. Dabei hilft es sich vorzustellen, dass unser Gehirn in seinem neuronalen Netzwerk eigentlich ständig Verschaltungen und Verknüpfungen „pflegt“ (z. B. beim Prozess des Sich-Sorgen-Machens). Bei neuronalem Netzwerklernen gilt bei Neurobiologen bzw. Hirnforschern: „What fires together, wires together!“ – was zusammen (neu) feuert (Stoffwechselaktivität von Nervenzellen im Sinne des Verbrennens von Zucker), verschaltet sich neu. Jedes Gehirn lernt bis ins hohe Alter (mit Ausnahme nachgewiesener ernster ZNSErkrankungen)! Viel Erfolg! Anm.: in den Therapiestunden bei mir können sie darüber hinaus lernen, wie sie das EMDR zum Abbau von Drang und Zwang einerseits und von Angst-assoziierten Belastungen (und alten Angst-Erinnerungen) andererseits und zur Umstrukturierung von negativen Überzeugungen in positive gezielt zum Einsatz bringen können. Voraussetzung für eine tief greifende (und nicht nur kurzfristige) Wirksamkeit des EMDR ist oft, die in diesem Skript beschriebenen Zusammenhänge, aber auch die biografische Lerngeschichte (und deren Beitrag zu Ängsten) wirklich gründlich verstanden zu haben.