Josef W. Egger: Gesundheit

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Gesundheit
Aspekte eines komplexen biopsychosozialen Konstrukts und seine
Korrelation zu Optimismus und Glückserleben
Josef W. Egger
gen fertig zu werden, d. h. sie ausreichend kontrollieren zu können.
Gesundheit erscheint hier nicht als ein zustand, sondern als eine fortlaufend herzustellende, multimodale Funktionstüchtigkeit. Dabei helfen protektive Faktoren zunehmend besser zu verstehen, was uns –
trotz gegebener Risikofaktoren – gesund erhält. Als dafür bedeutsame
Konstrukte werden „Optimismus“ und „Glück“ in ihrer Vernetzung
mit Gesundheit erörtert.
Zusammenfassung
Dem komplexen Konstrukt Gesundheit nähern sich eine Reihe von
Definitionsversuchen: die sozialpolitische (statische) Definition der
WHO, das bio-medizinisches Konzept, das soziologische und sozialmedizinische bzw. public health-Konzept, die genuin psychologischen Konzepte von Gesundheit und der umfassendste, integrationsorientierte biopsychosoziale Gesundheitsbegriff. Letzterer beschreibt
ein multidimensionales Wechselwirkungsgeschehen, in welchem
Risiko- und protektive Faktoren auf allen beteiligten (externen wie
Organismus-internen) Systemebenen das Produkt „Gesundheit“ generieren. Nicht die Abwesenheit von Störung bedeutet demnach Gesundheit, sondern die selbstregulative Fähigkeit, mit diesen Störun-
Schlüsselbegriffe
Gesundheit, biopsychosoziale Gesundheitsdefinition, Optimismus,
Glück.
als Auftrag zu verstehen, den Bevölkerungen bessere, dem
Wesen des Menschen gerechter werdende (äußere) Lebensbedingungen bereit zu stellen, welche für die Ausbildung von
Gesundheit verantwortlich gesehen wurden. Dass diese Formel als wissenschaftliche Definition unbrauchbar ist, war vielen Lehrbuchschreibern, Gesundheits- und Sozialexperten offenbar unwichtig, ihre einprägsame Formulierung hat sie
ungeschadet ihrer Unerreichbarkeit populär werden lassen.
Auch andere populär gewordene Vorstellungen wie das Homöostase-Modell sind – aus heutiger Sicht und wissenschaftlich
nüchtern betrachtet – unfruchtbar geblieben, weil bis heute
keine allgemein anerkannte Explikation vorliegt, was man sich
darunter exakt vorstellen soll und wie man das empirisch fassen könnte. Dem Kenntnisstand vieler beteiligten Wissenschaftsdisziplinen näher ist da schon das Heterostase-Modell,
wonach Störungen (Krankheiten) zur Normalität des Lebens
gehören – ein Begriff der insbesondere durch das Salutogenesemodell von Antonovsky (mit seinem Kohärenzerleben) bekannt geworden ist (s. a. Franke 2006).
Gesundheit versus Krankheit
Seit jeher bestehen Schwierigkeiten darin, die Phänomene Gesundheit und Krankheit voneinander abzugrenzen. Die verschiedenen Aspekte oder Dimensionen von Gesundheit und
Krankheit und die Erörterung, was nun tatsächlich unter einer
physisch oder psychisch imponierenden Störung bzw. einer
Behinderung zu verstehen ist, machen die angestrebte Trennung oftmals praktisch unmöglich oder theoretisch fragwürdig. Die Grundlage für diese Schwierigkeiten liegt vor allem in
den Verstehensmodellen von Krankheit und Gesundheit. Das
erkannte Manko: Biologische, psychologische und öko-soziale
Einflussgrößen müssten in ihrer parallelen Verschaltung und
nicht als singuläre Dimensionen kalkuliert werden (Reinbacher & Egger 2000): Dazu kommen viele Detailaspekte wie
z. B. geschlechtsspezifische, sozioepidemiologische oder subjektive Theorien („Laienvorstellungen“, vgl. Flick 1998) von
Gesundheit und Krankheit (s. a. Franke 2006).
Einen erheblichen Flurschaden für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung hat die WHO-Formel für „Gesundheit“ verursacht. Bis heute zitieren viele den Satz vom zustand des
vollkommenen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlergehens als Gesundheits-Definition. Diese idealistisch-sozialpolitische Definition war aber nach dem zweiten Weltkrieg
vor allem an die Regierungen gerichtet gewesen und für diese
PSYCHOLOGISCHE MEDIZIN
Lebensweise und Gesundheit
In weiten Bereichen der Bevölkerung – aber auch der Gesundheitspolitik – wird immer noch fälschlicherweise ange-
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Gesundheit
nommen, dass der Gesundheitszustand der Menschen hauptsächlich von der Erreichbarkeit und Wirksamkeit des medizinischen Versorgungssystems abhängt. Aber schon in den 70er
Jahren des vorigen Jahrhunderts konnte der englische Sozialmediziner Thomas McKeown (1976) zeigen, dass Umwelteinflüsse und insbesondere die materiellen Lebensbedingungen
der Bevölkerung sowie das Gesundheitsverhalten der Menschen einen weitaus größeren Einfluss auf ihre Lebenserwartung haben als die Fortschritte der Medizin. Es gelang ihm
nachzuweisen, dass die Sterblichkeit, welche durch die meisten Infektionskrankheiten verursacht werden, deutlich früher
zurückgegangen waren, als die Einführung von Schutzimpfungen, Sulfonamiden und Antibiotika. In der Folge zeigten auch
eine Reihe weiterer Untersuchungen die Richtigkeit dieser Annahme. So ergab eine empidemiologische Analyse des angesehenen US-amerikanischen Center for Disease Control (CDC
1984, zit. n. Noack 1994), dass nur rund 10 % der Gesamtvarianz von vorzeitigen Sterbefällen bezogen auf die 10 häufigsten
Todesursachen durch das etablierte Gesundheitswesen erklärt
werden können, wohingegen aber 50 % durch Lebensweisen,
rund 20 % durch physische und chemische Umweltfaktoren
und weitere 20 % durch biologische Prädispositionen aufgeklärt werden können.
Was es hier also zu leisten galt, war der Versuch einer Positionierung der einzelnen Gesundheits-Definitionen entlang einer
wissenschaftstheoretischen Entwicklungslinie. Hier geht es
um die Frage, wieweit die relevanten Einzelbeiträge in überge-
ordnete Synthese-Konzeptionen zusammengeführt werden
können. Natürlich birgt eine solche zusammenschau von dominanten Einflussgrößen aus unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen jede Menge Gefahren – wie etwa (logisch
unerlaubte) Analogieschlüsse bzw. Kategorienfehler. Aber ersparen können wir uns diese Arbeit nicht, wenn wir die erkennbaren Wirkvariablen zu einem theoretischen Netzwerk
zusammenführen wollen, das die komplexe Wirklichkeit besser abzubilden imstande sein sollte, als die Aneinanderreihung
von singulären zugängen (vgl. Weiner 2001).
Der aktuelle Diskussionsstand zur Synthese der wesentlichen
Theoriebereiche im Rahmen der psychosomatischen Wissenschaften bzw. der behavioral medicine ist sowohl für den
Praktiker wie für den Theoretiker gleichermaßen spannend:
Durch die Nutzung metatheoretischer Prinzipien wie der Allgemeinen Systemtheorie und Semiotik wurde in letzter zeit
aus G. Engels ursprünglichen „biopsychosozialem“ Ansatz
(1976) eine body mind unity theory oder organic unity theory
(s. z. B. Goodman 1991; Theorie der Körper-Seele-Einheit
oder besser: Theorie der Gehirn-Geist-Einheit, vgl. Egger
2005): Um die logischen und semantischen Probleme einer
solchen vereinheitlichten Theorie halbwegs zu bewältigen,
musste zusätzlich auf Spinozas Leib-Seele-Identitätstheorie
zurückgegriffen werden. Das Bahnbrechende an dieser Entwicklung ist, dass mit diesem „erweiterten biopsychosozialen
Ansatz“ Begriffe wie „psychosomatische Krankheit“ überflüssig werden, weil es hier keinen Krankheitsprozess gibt, bei
Tab. 1: Einzelwissenschaftliche Beiträge zur Dimensionalität eines biopsychosozialen Verständnisses von Krankheit und Gesundheit
ModEllE zUM VERsTÄndnis Von „gEsUndhEiT“
I.
II.
III.
ABSTRAKTIONSEBENE
gesundheit als somatische Unauffälligkeit
organische bzw. körperliche Funktionstüchtigkeit;
Beobachterperspektive: Gesundheit als Ausschluß eines organpathologischen Befundes (ergibt eine
Gesundheit, aber viele Krankheiten);
therapeutischer Ansatz: Primärprophylaxe;
prinzipiell: Mensch als komplexe Maschine, Problemlösung durch Experten (Therapeut als „Techniker“);
kein Handlungsbedarf außer z.B. Schutzimpfung oder Risikofaktorenaufklärung;
Focus: Außenperspektive
gesundheit als vitales Erleben und Verhalten
Erlebnisperspektive: Gesundsein, Wohlbefinden, Vitalitätsgefühl;
therapeutischer Ansatz: Gesundheitswissen, Gesundheitsmotivation, Gesundheitsverhalten
(Gesundheitskompetenz);
prinzipiell: Mensch hat Eigen- und Mitverantwortung, Änderung individuellen Erlebens und Verhaltens,
Hilfe zur Selbsthilfe (Therapeut als Katalysator) persönlichkeitsgebundene und situative Verhaltensrisikofaktoren und Schutzfaktoren;
Focus: Innenperspektive
gesundheit als salutogene Mensch-Umwelt-Paßform
Hochsitzperspektive: Gesundheit als gelungene Anpassung an sozio-ökologische Lebensbedingungen;
therapeutischer Ansatz: Bevölkerung bzw. Gruppen von Menschen, Änderung von externen (sozialpolitischen, ökologischen) Lebensbedingungen und Verhaltensänderung von Populationen;
prinzipiell: (Mit)Verantwortung der sozialen und ökologischen „Umwelt“politik; public health;
Focus: Metaperspektive
(Gesundheitsdimension):
biomedizinisch
(health/fitness)
psychologisch
(well-being/wellness)
öko-sozial
(public health)
Synthese: dER Bio-Psycho-soziAlE gEsUndhEiTsBEgRiFF
umfasst alle drei Dimensionen (Abstraktionsebenen I + II + III) von „Gesundheit“ in Form eines integrierten, dynamischen und hierarchisch
geordneten „ganzheitlichen“ Verständnisses (vgl. Egger, 1993)
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PSYCHOLOGISCHE MEDIZIN
Josef W. Egger
Einzelwissenschaftliche ModEllE zUM VERsTÄndnis Von „KRAnKhEiT“
I.
ABSTRAKTIONSEBENE
Krankheit als somatische störung
organischer bzw. organfunktioneller Befund
Beobachterperspektive: Krankheit als materieller Befund
primärer therapeutischer Ansatz: Mensch als komplexe Maschine, Problemlösung durch Experten
(Therapeut als „Techniker“); Außenperspektive
II.
III.
(Krankheitsdimension):
biomedizinisch
(disease/impairment)
Krankheit als störung des Erlebens und Verhaltens
Erlebnisperspektive: Kranksein, Krankheitsgefühl, Befindlichkeit
primärer therapeutischer Ansatz: Mensch hat Eigen- und Mitverantwortung, Änderung individuellen
Erlebens und Verhaltens, Hilfe zur Selbsthilfe (Therapeut als Katalysator); Innenperspektive
psychologisch
(illness/disability)
Krankheit als Ergebnis einer pathogenen Mensch-Umwelt-Paßform
Hochsitzperspektive: Krankheit als „Fehlanpassung“ an sozio- ökologische Lebensbedingungen
primärer therapeutischer Ansatz: Bevölkerung bzw. Gruppen von Menschen, Änderung von externen
(sozialpolitischen, ökologischen) Lebensbedingungen und Verhaltensänderung von Populationen
(soziale und ökologische „Umwelt“politik); Metaposition
öko-sozial
(sickness/handicap)
Synthese: dER Bio-Psycho-soziAlE KRAnKhEiTsBEgRiFF umfasst alle drei Dimensionen (Abstraktionsebenen I + II + III) von „Krankheit“ in Form eines integrierten, dynamischen und hierarchisch geordneten „ganzheitlichen“ Verständnisses (Engel, Schwartz, Weiss, Weiner u. a.; vgl. Egger, 1993, 2005)
dem von vornherein irgendeine der beteiligten Dimensionen
(biomedizinisch, psychologisch, öko-sozial) mit ihren systemspezifischen Wirkgrößen ausgeschlossen werden kann – die
Dichotomie zwischen „organischen“ und „psychischen“ Störungen wird damit obsolet (vgl. Egger 2008, 2007).
rapeut immer alle drei therapeutischen Funktionen („Rollen“)
für seine Intervention nutzen sollte und zwar in einer quasi parallelen und nicht seriellen Weise, weil je nach Problemlage
jede der Interventionsformen praktikabel bzw. hilfreich bei der
Problemlösung sein kann. Eine zeitlich befristete Bevorzugung einer dieser Interventionsformen erklärt sich ebenfalls
nur aus dem Prozess der Problemlösung, gilt also nicht auf
Dauer.
Im biopsychosozialen Modell bedeutet gEsUndhEiT die
ausreichende Kompetenz des Systems „Mensch“, beliebige
Störungen auf beliebigen Systemebenen autoregulativ zu
bewältigen. Nicht das Fehlen von pathogenen Keimen
(Viren, Bakterien etc.) oder das Nichtvorhandensein von
Störungen/Auffälligkeiten auf der psycho-sozialen Ebene
bedeuten demnach Gesundheit, sondern die Fähigkeit, diese
pathogenen Faktoren ausreichend wirksam zu kontrollieren.
Tab. 2: Formen interventiver Beziehungen
Funktionen, die der Therapeut im Interventionsprozess
einnehmen kann
1. Therapeut ist primär
Problemlöser/Techniker
idealiter: Therapeut als Experte löst das Problem
(z. B. Akutsituation)
KRAnKhEiT stellt sich dann ein, wenn der Organismus die
autoregulative Kompetenz zur Bewältigung von auftretenden Störungen auf beliebigen Ebenen des Systems
„Mensch“ nicht ausreichend zur Verfügung stellen kann
und relevante Regelkreise für die Funktionstüchtigkeit des
Individuums überfordert sind bzw. ausfallen. Wegen der interdependenten Verschaltung der Systemebenen ist es nicht
so bedeutsam, auf welcher Ebene eine Störung generiert
oder augenscheinlich wird, sondern welchen Schaden diese
auch auf den unter- oder übergeordneten Systemen zu bewirken imstande ist.
2. Therapeut ist primär
Katalysator
idealiter: Bedingungen schaffen, unter denen der Patient/Klient
das Problem lösen kann (z. B. Intervention als
„Hilfe zur Selbsthilfe“)
3. Therapeut ist primär
Begleiter
Der Therapeut ist primär teilhabender Begleiter des leidenden
Menschen;
idealiter: Therapeut kann Leid des Patienten/Klienten aushalten,
ohne dass Problemlösung möglich erscheint; Wirken durch
Da-Sein (z. B. in der Behindertenarbeit, Sterbebegleitung)
Krankheit und Gesundheit erscheinen hier nicht als ein
zustand, sondern als ein dynamisches Geschehen. so gesehen muss Gesundheit in jeder sekunde des lebens
„geschaffen“ werden.
vgl. Pieringer, W., Egger, J. & Stix, P. (1991)
Eine praktische Ableitung aus diesem biopsychosozialen Modell besteht darin, dass der (ärztliche wie psychologische) ThePSYCHOLOGISCHE MEDIZIN
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Gesundheit
Gesundheit aus der Perspektive der Gesundheitspsychologie
Die Gesundheitspsychologie ist vor dem Hintergrund eines positiven Gesundheitsbegriffs und aus der Einsicht in die Verhaltensbestimmtheit vieler Gesundheitsschäden entstanden. Sie
folgt einer biopsychosozialen statt einer biomedizinischen Perspektive und hat die Förderung und Erhaltung der Gesundheit
ebenso zum ziel wie die Untersuchung menschlichen Verhaltens angesichts von Erkrankungen. Idealtypische ziele wären
hier ausreichendes Gesundheitswissen, Förderung der Gesundheitsmotivation, Unterstützung für adäquates Gesundheitsverhalten, aber auch Lebensgenusserziehung bzw. eine gelenkte
Beeinflussung in Richtung Lebensfreude, Friedfertigkeit und
Konfliktlösekompetenz – ziele, die auf eine notwendige Vernetzung von Sozial- und Gesundheitspolitik hindeuten.
Die gesundheitspsychologische Praxis stellt zumindest relevantes Wissen über Risikosituationen und Risikodispositionen
bereit und leistet konkrete Hilfestellung bei der Erweiterung
der gesundheitsbezogenen Handlungskompetenzen. In ihrem
zentrum steht das Gesundheitsverhalten, welches seinerseits
von der Motivation für gesundheitsförderliches Verhalten bestimmt wird.
Abb. 2: Stress als Prozess aus psychoneuroendokrinologischer Perspektive (Henry 1985, zit. n. Hoyer 2003)
ren) ausschlaggebend sein, denn sie bestimmen, womit der Organismus noch fertig werden kann und womit nicht (Kontrollierbarkeit der Störpotenziale). Dabei gilt: Ein Stressor mit seiner objektiven Schädigungspotenz wird vom Organismus
„interpretiert“ (von seinen automatischen Wahrnehmungssystemen erkannt bzw. im Sonderfall auch als Herausforderung
subjektiv erlebt) worauf in der Folge je nach aktueller Bewältigungskompetenz reagiert wird und so ein durchaus individuelles Ergebnis resultiert. Dieser Prozess gilt für die Auseinandersetzung des Organismus mit einem Bakterium von
ausreichender Toxizität genau so wie für die Herausforderung
eines jungen Assistenten, ein wissenschaftliches Referat vor
200 kritischen zuhörern zu halten.
Empirisch besteht übrigens ein statistisch gesicherter und inhaltlich bedeutsamer zusammenhang zwischen (äußeren wie
inneren) Lebensbedingungen und Gesundheit, wobei Alltagsbelastungen (daily hassles) – über die zeit gerechnet – zumindest die gleiche Bedeutung wie isolierte belastende Lebensereignisse (life events) aufweisen.
Aus psychologischer Perspektive gelten als schutzfaktoren
der gesundheit zumindest folgende empirisch nachgewiesenen psychologischen Aspekte:
Abb. 1: Die Idee eines Kontinuums in der Abgrenzung von Gesundheit und Krankheit (zit. n. Hoyer 2003)
Man mag sich für die Praxis weiterhin ein Kontinuum von Gesundheit und Krankheit vorstellen, aber diese Vorstellung ist
zu simpel für die hochkomplexe Verschaltung von Regelkreisen innerhalb einer Systemebene (z. B. der Herz-Kreislaufregulation) und erst recht zwischen den Systemebenen (z. B.
zwischen Blutdruckregulation und persönlichkeitsbedingter,
individueller Emotionsregulation) (siehe Abb. 2).
Günstiger erscheint da schon eine Konzeption, wonach Gesundheit als Ergebnis der Wechselwirkung von (a) äußeren &
inneren Anforderungen und (b) protektiven Faktoren & verfügbaren Bewältigungskompetenzen verstanden wird, wie dies
in den dynamischen Risiko- und Schutzfaktorenkonzepten
gedacht wird (Tab. 3). Für die Bewegung auf dem ideellen,
multidimensionalen Kontinuum gesund-krank werden primär
die Ressourcen des Organismus (protektive/salutogene Fakto21. Jahrgang 2010, Nummer 1
Psychologische schutzfaktoren der gesundheit
Kohärenzerleben (sense of coherence, Antonovsky, 1987)
Selbstachtsamkeit (mindfulness, Langer, 1989)
Kompetenzerwartung (Bandura, 1986; Schwarzer, 1993,
1994)
dispositioneller Optimismus (Carver & Scheier, 1987)
Widerstandsfähigkeit (hardiness, Kobasa, 1982)
seelische Gesundheit (Becker, 1992)
Gesundheitsbewusstsein (healthy thinking, Kendall, 1992)
positive Selbstverbalisation (positiver innerer Dialog, positive Selbstkommentierung, positive automatic cognition,
Ingram & Wisnicki, 1988)
vernunftgeleitetes Denken (constructive thinking, Epstein &
Meier, 1989)
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PSYCHOLOGISCHE MEDIZIN
Josef W. Egger
Tab. 3: Risiko- und Schutzfaktorenkonzept: Ansatzpunkte für theoretische und praktische Zugänge
RisiKoFAKToREn
schUTzFAKToREn
externe und interne Bedingungen, die einen Krankheitsprozess „verursachen”, auslösen, beschleunigen, zum
Vorschein bringen oder aufrechterhalten können
externe und interne Bedingungen, die einen Krankheitsprozess verhindern oder verzögern sowie die Heilung beschleunigen können
Erbanlagen und aktueller zustand des Organismus
Erbanlagen und aktueller zustand des Organismus
physiko-chemische und soziale Umweltbedingungen (Noxen)
(z. B. Überforderung der individuellen Bewältigungskapazitäten
durch Schadstoffe in Luft und Nahrung, Lärm, Drogen, hohe soziale Dichte/Überbevölkerung usw.)
physiko-chemische und soziale Umweltbedingungen
(biologisch „passende“ Lebensbedingungen, adäquates psychosoziales Netzwerk)
gesundheitsverhalten
persönlichkeitsabhängige und situativ gebundene Verhaltensrisikofaktoren:
physiologisch
sozial-motorisch
gefühlsmäßig-gedanklich
(z. B. Fehlernährung; Drogenkonsum inform von zigarrettenrauchen, Alkoholabusus, Medikamenten-abusus; Konfrontation mit
sonstigen Noxen; Bewegungsmangel; Angst; Hoffnungslosigkeit;
Überforderung der psychologischen Bewältigungsmöglichkeiten)
gesundheitsverhalten
persönlichkeitsabhängige und situativ gebundene psychologische
Schutzfaktoren:
physiologisch
(Bedachtnahme auf und Training der eigenen körperlichen
Möglichkeiten)
sozial-motorisch
(erlebter sozialer Rückhalt bzw. soziale Sicherheit, sinnerfüllte
Lebensroutine)
emotional-kognitiv
(ausgeprägtes Kohärenzerleben: Optimismus/zuversicht, Humor/
Distanz, aktive sicherheitsvermittelnde Alltagsrituale)
Egger 1993, Damm et al. 2009
Salutogenese
Von den psychologischen Schutzfaktoren hat bisher das Konzept von A. Antonovsky (z. B. 1990) die relative größte Aufmerksamkeit erfahren. Es gilt als bestätigt, dass eine generalisierte positive Einstellung eines Menschen zu sich selbst und
seiner Umwelt eine deutliche Korrelation mit positivem Gesundheitszustand zeigt. Im sog. salutogenetischen Modell von
Antonovsky wird hierfür das Konstrukt Kohärenzerleben
(sense of coherence) als Drehscheibe vorgeschlagen. Das Kohärenzerleben wird dabei als ein umfassendes und überdauerndes Erleben des Vertrauens verstanden, dass die inneren und
äußeren Gegebenheiten im Lebenslauf strukturiert, vorhersagbar und erklärbar sind (Verstehbarkeit), meine verfügbaren
Ressourcen ausreichen, um die Anforderungen zu bewältigen,
die an meine Person gestellt werden, dass ich also ausreichende Handlungs- und Bewältigungsfähigkeit erlebe (Handhabbarkeit, Machbarkeit) und dass diese Anforderungen solche
Herausforderungen darstellen, für die sich Anstrengung und
Engagement meinerseits lohnen (Bedeutsamkeit). Verfügt der
Mensch über ein ausreichend gutes Kohärenzerleben, werden
von ihm protektive Faktoren („Widerstandsressourcen“) besser genützt (siehe Abb. 3).
Ähnlich ist auch das Modell zur seelischen Gesundheit von
Becker konzipiert (siehe Abb. 4).
Die Erkenntnis, dass Wohlergehen und psychische Gesundheit
nicht allein durch eine Reduzierung von negativem Befinden zu
erreichen ist, führte in den letzten zwei Jahrzehnten zu Forschungsbemühungen, welche sich um Konstrukte wie Wohl befinden (wellbeing) und Glück konzentrieren. Entsprechende
Literaturrecherchen zeigen dabei allerdings auf, dass die psyPSYCHOLOGISCHE MEDIZIN
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chologischen Konzepte zu Glück, Zufriedenheit und (subjektive) Lebensqualität nach wie vor theoretisch wenig ausgereift
und die empirischen Beiträge insbesondere zum Thema Lebenszufriedenheit und Glück als eher dürftig einzuschätzen sind.
Wie die bisherigen Daten erkennen lassen, leisten soziodemographische Merkmale wie Alter, Schulbildung oder Geschlecht
keinen signifikanten Beitrag zur Aufklärung von zufriedenheit
und Glückserleben; die Güte von Sozialkontakten (wahrscheinlich als psychologisches Antidepressivum wirkend) und
insbesondere das Ausmaß an Depressivität sind vergleichsweise wesentlich bedeutsamer. Nicht die objektiven Gegebenheiten im Leben eines Menschen scheinen für seine Lebenszufriedenheit und sein Glückserleben primär ausschlaggebend,
sondern deren individuelle psychische Verarbeitung (unter Bedachtnahme auf die jeweils erkennbaren Randbedingungen für
die Einschätzung bzw. Bewertung von „guten“ bzw. „schlechten“ Gegebenheiten) und den davon abhängigen Ausbildungen
von Erwartungen.
Optimismus und Gesundheit
Als intervenierendes Konstrukt zur Aufklärung derartiger Befunde wird auf das Konstrukt Optimismus zurückgegriffen.
Die bisherigen Forschungsergebnisse lassen erkennen, dass
Optimismus einerseits die Wahl der Bewältigungsstrategien
bestimmt. Andererseits schmieden Optimisten z. B. schon vor
der Operation Pläne und setzten sich konkrete ziele für den
Genesungsverlauf, während Pessimisten mehr auf ihre augenblicklichen (aversiven) Gefühle achten. Insgesamt verhalten
sich Optimisten aktiver und Pessimisten passiver.
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Gesundheit
Abb. 3: Schematische, verkürzte Darstellung der Gesundheitstheorie von
Antonovsky (Becker, 1982, S. 11)
für die Anfälligkeit für Infektionskrankheiten (Peterson,
1988), für die zahl der Arztbesuche (Lin & Peterson, 1990)
und sogar für die Lebenserwartung (Grant-Studie) (zit. n.
Hoyer 2003).
Für die Wirkung der Optimismus-Variable auf die Gesundheit
werden im Wesentlichen folgende Pfade erörtert, wobei intervenierende Variablen als Wirkmechanismen vermutet werden:
Die Kritik an diesem Ansatz bezieht sich insbesondere auf die
relative Unspezifität des Begriffs Optimismus: In Bezug worauf bestehen positive Erwartungen (eigene Kompetenz oder
Schicksal?). Außerdem wird konzeptuell eine recht starke
Ähnlichkeit zu Konstrukten wie negative Affektivität oder
Neurotizismus deutlich.
An diesem Punkt hilft die Theorie der Kontrolle (Art und Ausmaß der Kontrollierbarkeit, Seligman, 1990) weiter. Die individuelle Erfahrung der Hilflosigkeit führt in Korrelation mit
einem depressiven Attributionsstil zu einer zukünftigen Erwartung der Unkontrollierbarkeit und mündet so schließlich in
einem habituellen Pessimismus. Als ein hochrelevanter Wirkfaktor stellt sich damit das Ausmaß der Kontrollierbarkeit
einer Belastungssituation (mit den beiden polaren Punkten „totale Kontrolle“ und „totale Hilflosigkeit“) dar. In prospektiven
Studien erwies sich der Attributionsstil – „habe Kontrolle
über“ versus „bin hilflos“ – als potenter Vorhersageparameter
(a) Wirkung erfolgt direkt über das Immunsystem (z. B.
Katecholamin- und Endorphinstoffwechsel)
(b) Optimismus motiviert zu gesünderer Lebensweise
(c) Optimisten weisen weniger negative Ereignisse im
Leben auf (Folgewirkung eines günstigeren Kohärenzerlebens, adäquateres bzw. aktiveres coping)
(d) Optimisten erfahren mehr soziale Unterstützung („Pessimisten küsst man nicht“)
Abb. 4: Hierarchisches Strukturmodell der
seelischen Gesundheit (P. Becker, Univ. Trier,
zit. n. Hoyer 2003)
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PSYCHOLOGISCHE MEDIZIN
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Im Rahmen des Optimismuskonzepts sind die sog. positiven
Illusionen (Taylor) auch unter medizinischen Randbedingungen untersucht worden. Hier stellen sich solche positiven Illusionen auch im Krankheitsfall als wirksam heraus. Die Verweildauer im Krankenhaus, die postoperative Ausheilungszeit
oder die zufriedenheit mit der medizinischen Intervention sind
günstiger, wenn der Patient eine ausgeprägte positive Perspektive zur Entwicklung seines Krankheitsverlaufs zeigt. Bei Einbruch bzw. Verlust dieser positiven Perspektive durch Krankheit oder existenzieller Bedrohung tendieren optimistische
Menschen dazu, diese wieder aktiv herzustellen (dafür relevante psychologische Mechanismen: Reattribution, downward
regulation, kognitive Dissonanzreduktion). So konnte Taylor
(1992) zeigen, dass sero-positive Männer sich als optimistischer darstellten als noch nicht angesteckte. Es ist davon auszugehen, dass derartige Illusionen einerseits zu einer geringeren Angstentwicklung und andererseits zu einem aktiveren
bzw. besser angepassten Gesundheitsverhalten beitragen und
damit einen positiven Anpassungswert aufweisen. zudem sind
positive Illusionen offenbar ubiquitär, also bei gesunden wie
kranken Menschen beobachtbar.
Fasst man die empirische Befundlage zusammen, so lässt sich
sagen, dass Optimismus einen gesundheitlichen benefit bringt.
Er wirkt nicht nur auf psychischer, sondern auch auf körperlicher Gesundheitsebene. Optimismus wirkt direkt (insbesondere über das Immunsystem) und indirekt (über adaptiveres
Verhalten vermittelt). Die empirischen Belege dafür stammen
aus sehr unterschiedlichen Stichproben und auf der Basis unterschiedlicher theoretischer Konzepte. Die Studien beruhen
zum Teil auf prospektiven und objektiven Daten. Somit dürfen
die Ergebnisse als relativ gut abgesichert gelten. Dennoch gilt
für deren Interpretation und v. a. für die therapeutische Praxis,
dass diese Befunde nicht überzubewerten sind: Optimismus ist
zwar häufig eine günstige Haltung („Optimismus ist fast
immer gesund“, Hoyer 2003), aber die individuelle Fähigkeit,
flexibel mit belastenden Situationen umgehen zu können, ist
auf der Strategieebene – insgesamt – effizienter und wichtiger.
Glück (Glücksempfindung)
Ein weiteres psychologisches Konstrukt, das mit Gesundheit
im weitesten Sinn und gleichsam als Krönung menschlichen
Erlebens gesehen wird, ist Glück. Es übersteigt im Erleben die
Phänomene Wohlergehen, zufriedenheit oder Optimismus und
kann als positiver Endpunkt betrachtet werden (Freiberger &
Egger 2002). Mit „Glück“ ist hier die Glücksempfindung
(Flow) gemeint, nicht die Floskel „da habe ich aber Glück gehabt“. Flow ist ein zustand, in welchem man so in eine Aktivität involviert ist, dass nichts sonst zu zählen scheint; die Empfindung selbst ist so angenehm, dass man dies ungeachtet auch
eventueller großer Nachteile tut, nur um des bloßen Tuns willen (flow – a state in which people are so involved in an activity that nothing else seems to matter; the experience itself is so
enjoyable that people will do it even at great cost, for the sheer
sake of doing it, Csikszentmihalyi, 1990, p. 4).
Abb. 6: Flow (z. n. Hoyer 2003)
Theoretische Konzepte zum Konstrukt „Glück“
Die Ressourcenansätze fassen Glück über die objektiven Ressourcen, die einer Person zur Verfügung stehen. Es gilt die
Annahme, dass diejenigen Menschen, die unter besonders
günstigen (vor allem äußeren) Umständen leben, auch am
glücklichsten sind (Altenhofen, 1993).
Die subjektiven Glückstheorien suchen nach den Ursachen und
Korrelaten von Glück im Individuum selbst. Ein hoher Extraversions- und ein geringer Neurotizismuswert begünstigen das
Glück (Costa & McCrae 1980, 1984) ebenso wie eine interne
Kontrollüberzeugung und Optimismus (Ernst, 1997). Als empirischer Beleg konnten immer wieder starke zusammenhänge
zwischen Glück und einem positiven Selbstwertgefühl gefunden werden (zum Überblick: Diener, 1984; Argyle, 1987):
Abb. 5: Optimisums (zit. n. Hoyer 2003)
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Gesundheit
In handlungsorientierten Konzepten ist das Glückserleben als
Nebenprodukt menschlicher Aktivität konzipiert, was bedeutet,
dass nicht die Befriedigung eines Bedürfnisses und/oder das Erreichen eines zieles per se zu Glück führt, sondern das Tun bzw.
das Handeln (etwa nach dem bekannten Motto „der Weg ist das
ziel“). Eine explizite Handlungstheorie stellt der Ansatz von
Czikszentmihalyi (1985) dar. In seinem Konzept der „flow experience“ wird die Beziehung zwischen Aktivität und Glück differenziert beschrieben. Flow ist definiert als die optimale Herausforderung einer Aktivität an das Können und Wissen eines
Menschen und seine Absorption durch diese Aufgabe. In dem
Ausmaß, in dem ein Mensch in eine ihn interessierende und
seine ganze Aufmerksamkeit fordernde Tätigkeit involviert ist,
wird er sein Leben als glücklich(er) erfahren (Abb. 5).
Die affektiven Konzepte beschreiben die Qualität von Glückserlebnissen. Demnach sind Glücksgefühle intensivste, positive
Emotionen, die individuell äußerst unterschiedlich sein können. Sie gehen mit einem Öffnen der Sinne einher, haben meist
etwas mit Harmonie und Spannungslösung zu tun und sind
stark an intensive menschliche Beziehungen gebunden. Manche Erlebnisse beruhen auf größter psychischer Anspannung
und Erregung (Sinnesrausch, Freudentaumel), andere auf vollkommener Entspannung (Wohlgefühl, Heiterkeit) (Rümke,
1924; Lersch, 1938; Bollnow, 1956 und Hoffmann, 1981).
Die kognitiven Konzepte gehen von einer kognitiven Komponente für Glück aus, wobei Prozesse der Wahrnehmung innerer zustände und äußerer Reize, Prozesse der Bewertung, Verarbeitung, Erinnerung und Kontrolle beteiligt sind. zu diesem
Ansatz finden sich die relativ meisten Forschungsarbeiten. Es
lassen sich zahlreiche unterschiedliche zugänge zum kognitiven Aspekt des Konstrukts Glück finden:
(a) Glück und Unglück:
Nach diesem Ansatz finden temporale Vergleichsprozesse
statt. Die Erinnerung einer Person an vergangenes Unglück
kann ihr gegenwärtiges Glücksgefühl erhöhen; umgekehrt
macht die Erinnerung an frühere, „bessere zeiten“ (manchmal) unglücklich. Es braucht den Kontrast, um Glück zu
erleben (Altenhofen, 1993).
(b) Glück als Summe positiver Erfahrungen:
Der Mensch – so die Prämisse – fühlt sich umso glücklicher, je mehr Gutes ihm widerfährt. Hier ist Glück über
die Summe der positiven Erfahrungen definiert.
(c) Stimmungen:
Dieser Forschungszweig untersucht die kognitiven Prozesse im Moment der Glücks-Selbsteinschätzung (Schwarz &
Clore, 1983; Strack, Schwarz & Gschneidinger, 1985;
Schwarz, 1987; zitiert nach Mayring, 1991). Stimmungen
werden primär als kognitive Prozesse konzipiert und stellen wichtige Befindensindikatoren dar. Postulat: An unseren Gefühlen lesen wir ab, ob wir uns als glücklich, unglücklich, zufrieden oder unzufrieden einschätzen können.
(d) Sozialer Vergleich:
Dieser theoretische Ansatz von Easterlin (1973) soll das Paradoxon aufklären, dass die durchschnittlichen Werte des
Wohlbefindens in sozialen Gruppen, die durch unterschiedlichste materielle Lage gekennzeichnet sind, doch sehr ähnlich sind. Grundannahme: Wohlbefinden basiert auf einer
Einschätzung, bei der jeder seinen gegenwärtigen Status mit
dem Durchschnitt seiner sozialen Bezugsgruppe vergleicht.
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(e) Individueller interner Level:
In diesem Ansatz wird ein individueller interner Level angenommen, der als Bezugspunkt für die Selbsteinschätzung dient. Nach der „Adaption Level Theory“ von Helson
(1964) ist Glück relativ zum jeweils eigenen Standard zu
sehen, wobei dieser durch positive Erfahrungen gehoben
und durch negative gesenkt wird, womit – im letzteren Fall
– wiederum neue Glückserfahrungen wahrscheinlicher
werden.
(f) Glück aus Bedürfnisbefriedigung und Zielerreichung:
Glück entsteht nach dieser Konzeption durch die Befriedigung von Bedürfnissen, sowie dem Erreichen von zielen.
Eine Person hat Bedürfnisse und ziele nur in jenem Ausmaß, wie in ihrem Leben etwas fehlt. Damit wird die Erfahrung eines Mangels oder einer Deprivation als notwendige Voraussetzung für Glück postuliert. Nur der Mensch,
der immer wieder etwas begehrt und/oder sich stets neue
ziele setzt, kann folgerichtig (immer wieder) glücklich sein
(Altenhofen, 1993).
(g) Adaptionsniveautheorie nach Helson:
Helson (1964) geht davon aus, dass extreme Erlebnisse positiver wie negativer Art als Ankerpunkte intraindividueller
Bewertungsprozesse dienen. Das allgemeine Prinzip dieser
Theorie besagt, dass die individuelle Einschätzung und Bewertung gegenwärtiger Reize und deren Intensität davon
abhängen, welche Vorerfahrungen die Person mit diesen
und ähnlichen Reizen gemacht hat. Er arbeitet vor allem
mit den beiden Konzepten des „Kontrasts“ und der „Gewöhnung“: Bei einem extrem positiven Ereignis (z. B. Lottogewinn) als Kontrastpunkt werden viele gewöhnliche
Alltagserlebnisse negativer und weniger befriedigend erlebt werden als früher; vice versa werden bei einem sehr
negativen Ereignis (z. B. Krebsdiagnose) als Kontrastpunkt
Dinge des Alltags positiver und glückbringender erlebt.
Das Konzept der Gewöhnung (Habituation) beschreibt längerfristige Prozesse. Es wird davon ausgegangen, dass es
zu einer allmählichen Gewöhnung an das extreme (positive
wie negative) Erlebnis und dessen Auswirkungen auf andere Lebensbereiche kommt. ziele und Dinge des Lebens
werden (kognitiv) relativiert und neu bewertet.
Quellen des Glücks
Die sozialen Beziehungen glücklicher Leute:
Glückliche Menschen investieren – empirisch gesehen – mehr
zeit und Energie in ihre sozialen Beziehungen als weniger
glückliche. Liebe, Freundschaft, Geselligkeit und Kameradschaft sind die Eckpfeiler des Glücks im Leben der meisten
Menschen (Ernst, 1997).
Die Arbeit:
Arbeitslose sind – durch entsprechende empirische Studien gesichert und wohl auch plausibel – weniger zufrieden als solche, die produktiv tätig sind. Menschen definieren sich in unserer zivilisation weitgehend über die (berufliche) Arbeit, sie
vermittelt ihnen soziales Prestige, Gemeinschaftssinn und
Gruppenzugehörigkeit. Das Meistern anspruchsvoller Aufgaben erhöht das Selbstwertgefühl und macht glücklich.
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PSYCHOLOGISCHE MEDIZIN
Josef W. Egger
Auch zwischen der Religiosität (Poloma & Pendleton, 1990)
und der Gesundheit (zautra & Hempel, 1984) von Menschen
konnten zusammenhänge mit ihrem Glückserleben festgestellt
werden. Ein Experiment des britischen Fernsehsenders BBC-I
(Darstellung bei Kerber, 1997) konnte zeigen, dass Menschen,
die sich als unglücklich bezeichnen, aber nicht klinisch depressiv sind, „behandelt“ werden können, dass sie gleichsam
„Glücklichsein“ erlernen können. Am Beginn des BBC-Feldversuches wurde beobachtet, dass ihrem Naturell nach glückliche Menschen im vorderen Teil der linken Hirnhälfte eine
höhere Gehirnaktivität aufweisen als unglücklichere. Am Ende
des BBC-Experiments wurden neben den mündlichen Aussagen der Probanden nochmals ihre Hirnströme per EEG überprüft, wobei sich die elektrische Aktivität im „Glückszentrum“
auffällig zum Positiven verändert hatte.
griffe zum Wohlbefinden sowie ihre gegenseitige Abgrenzung.
Arbeiten über das Glück finden sich häufig unter dem breiter
gefassten Terminus „subjektives Wohlbefinden“. Darunter fallen auch Untersuchungen zur Lebensqualität, zur Zufriedenheit, zu psychischer Gesundheit, zu positivem (versus negativem) Affekt und ähnliches. Diese Begriffe müssten vor jeder
(empirischen) Untersuchung theoretisch möglichst exakt ausgearbeitet bzw. geklärt sein, erst dann sind Befragungen an
Probanden zu den Korrelaten dieser Termini sinnvoll.
Das Glückserleben wird häufig über ein Global-Rating erfasst,
wo generalisierend und ohne Kontextvorgabe nach dem
„Glück im allgemeinen“ anstatt differenzierter nach dem Erleben von Glück in verschiedenen Lebensbereichen gefragt
wird. Wenn doch differenzierter, d. h. innerhalb eines Bezugsrahmens danach gefragt wird, lässt sich meist keine theoretische Begründung finden, warum gerade jene Bereiche als essentiell für das „gesamte Lebensglück“ anzusehen seien.
Schließlich muss die forscherische Intention offen gelegt werden: zu welchem zweck erfolgt die empirisch-wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema Glück. Oft wurde
erhoben, wie glücklich die Menschen (einer bestimmten Gesellschaft, Schicht, Berufsgruppe etc.) sind, ohne zu wissen,
was diese selbst darunter – im Abstrakten wie Konkreten –
verstehen. Dies hat dazu geführt, dass eine stark einseitige Betonung der emotionalen Komponente von Glück im Vordergrund stand, während die individuellen Glücksvorstellungen
einer Person (d. h. die kognitive Komponente) meist nicht untersucht wurden. Ein Anliegen neuerer Forschung ist daher die
exaktere, empirisch begründete Beschreibung des Glückskonzepts, was v. a. durch die Differenzierung zwischen der emotional-affektiven und der kognitiven Komponente des Konstrukts Glück zu erreichen versucht wird (Altenhofen, 1993).
Empirische Studien zum Glückserleben
Empirische Studien belegen, dass weder das Lebensalter
(Stock, Okun, Haring & Witter, 1983; Latten, 1989; zitiert
nach Myers & Diener, 1995), noch das Geschlecht (Haring,
Stock & Okun, 1984), die Intelligenz oder die physische Attraktivität eines Menschen (Ernst, 1997) einen bedeutsamen
Einfluß auf sein Glückserleben haben. Auch zwischen dem
(kollektiv betrachteten) Reichtum und dem Wohlbefinden
ergaben sich sowohl in den USA (Diener et al., 1993) wie in
Europa (Inglehart, 1990) nur bescheidene zusammenhänge. Es
scheint, als wäre es mit dem Reichtum wie mit der Gesundheit:
Abwesenheit kann Leid hervorrufen, aber die Anwesenheit ist
keine Garantie für Glück. Man gewöhnt sich offenbar sehr
schnell an einen zustand, und wenn bestimmte Mindestbedürfnisse befriedigt sind, bringt jeder weitere zuwachs eine immer
geringere emotionale Dividende (Ernst, 1997):
In einer Studie von Freiberger & Egger (2001) wurden Faktoren wie Glückserleben, Glücksvorstellungen und Depressivität
von (a) an Krebs erkrankten, (b) nicht lebensbedrohlich erkrankten Patienten und (c) gesunden Menschen mit Hilfe ausgewählter psychologischer Erhebungsverfahren erfasst. Das
Hauptergebnis zeigt, dass sich krebskranke und gesunde Menschen in ihrem Glückserleben weitgehend gleichen. Bezüglich
der Depressivität zeigen sich die beiden Patientengruppen
(existentiell versus nicht existentiell Erkrankte) erwartungsgemäß depressiver als die Gesunden. Auch die Glücksvorstellungen zwischen den Gruppen sind nicht gravierend different,
wenngleich Faktoren wie z. B. Zeitspanne seit der Diagnoseübermittlung oder Hospitalisationsdauer einen nachweisbaren
Einfluss auf die Vorstellungen von einem glücklichen Leben
haben. Insgesamt werden die Ergebnisse als Bestätigung für
die hohe Flexibilität des Menschen interpretiert, sich auch an
schwierigste Lebensumstände anpassen und trotz objektiver
Krankheitsstressoren zuversicht entwickeln zu können.
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Kritik
Im Folgenden sollen überblicksartig einige kritische Punkte
zur bisherigen Glücksforschung zusammengefasst werden.
Fragwürdig erscheint die mangelnde Definition einzelner BePSYCHOLOGISCHE MEDIZIN
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Autor
Univ.-Prof. dr. Josef W. Egger, Forschungseinheit für Verhaltensmedizin, Gesundheitspsychologie und Empirische Psychosomatik, Universitätsklinik für Medizinische Psychologie
und Psychotherapie Graz, Medizinische Universität Graz,
Villa Hahnhof, Roseggerweg 50, A-8036 Graz.
E-Mail: [email protected]
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21. Jahrgang 2010, Nummer 1
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