M E D I Z I N R E P O R T Infektionskrankheiten als auch den Tuberkulin-Hauttest (Mendel-Mantoux-Test): streng intrakutane Applikation von genau definierten Einheiten aufgereinigten Tuberkulins („purified protein derivate“) an der Innenseite des Unterarms. Es werden in der Regel zehn Tuberkulineinheiten (TE) appliziert. Nach 72 Stunden wird die Induration – nicht die Größe des EryEin klinischer Leitfaden zeigt auf, mit welchen diagnostischen thems – markiert, gemessen, dokumentiert und ausgewertet. Methoden der Verdacht erhärtet werden kann. Die Beurteilung beruht auf Empfehlungen des „Deutschen Zentralkomiach Einschätzung der Weltge- gen) haben kein oder nur ein geringes tees zur Bekämpfung der Tuberkulose“ sundheitsorganisation ist die Tu- Infektionspotenzial. für Niedriginzidenzländer, die sich leberkulose (TB) wahrscheinlich Impfung: Die Impfung mit dem at- diglich als Richtwerte verstehen (4). Ei„the greatest infectious killer of all tenuierten Lebendimpfstoff BCG (Ba- ne Induration von < 5 mm ist meistens time“. Ein Drittel der Weltbevölkerung cille Calmette-Guérin) wird seit 1998 bedeutungslos; 10 mm geben einen Hinist bereits infiziert, davon werden etwa nicht mehr empfohlen (3). Eine suffizi- weis auf eine mögliche TB-Infektion in zehn Prozent im Laufe ihres Lebens ei- ente Impfung ist derzeit weder verfüg- Risikogruppen und bei Kontakt zu Patine aktive Erkrankung entwickeln. bar noch in Kürze zu erwarten. Zu be- enten mit offener TB, während eine InInfektion: Die Erkrankung wird durch achten ist, dass Patienten, die in der Ver- duration von 15 mm oder eine ulzerieErreger des Mycobacterium tuberculo- gangenheit mit BCG geimpft wurden, rende Hautreaktion eine TB-Infektion sis, africanum, bovis, microti, canetti nicht vor einer TB geschützt sind. sehr wahrscheinlich machen. verursacht, von denen Mycobacterium Klinik und klinische Diagnostik: Eine Die Anwendung des Mendel-Mantuberculosis das wichtigste Pathogen TB entwickelt sich in der Regel langsam toux-Testes verbietet sich bei Patienten darstellt. Die Infektion erfolgt durch und verläuft initial symptomarm. Die mit bereits bekannter TB aufgrund der Mensch-zu-Mensch-Übertragung infek- klassische Trias besteht aus Husten,Aus- Gefahr von Ulzerationen; er erübrigt tiöser Aerosole, selten durch kontami- wurf und Nachtschweiß; weitere mögli- sich bei Patienten mit Immundefinierte Endoskope. Unbehandelt infiziert che Symptome sind Abgeschlagenheit, zienz (T-Helferzellen < 60/µl) wegen jeder Erkrankte jährlich durchschnitt- Müdigkeit, Appetitlosigkeit, Gewichts- falsch-negativer Ergebnisse. Falschposilich weitere zehn bis 15 Personen (1). verlust, subfebrile Temperaturen und tive Testergebnisse können bei BCGNach der Primärinfektion persistie- Hämoptoe. Die klinische Diagnostik be- geimpften Patienten auftreten. Auf die ren die Mykobakterien intrazellulär – inhaltet sowohl bildgebende Verfahren Anwendung des Tine-Stempeltests sollauch wenn der Patient suffizite aufgrund der schlechteren Grafik ent antituberkulös therapiert Sensitivität möglichst verzichwurde. Daher kann es nach jahtet werden. Materialgewinnung bei Verdacht auf Lungentuberkulose relanger Latenz zu einer (erMikrobiologische DiagnoErwachsener Patient mit neuten) Erkrankung kommen stik: Ergänzend zur MikroskoSputum V. a. Lungentuberkulose (postprimäre Lungentuberkupie sollte immer der bakteriolose, TB-Reaktivierung). Da logische Nachweis der TB mit Sputumabgabe nicht möglich auch die überstandene Kranknachfolgender Resistenztestung heit keine lebenslange Immuangestrebt werden, um den PaReizsputum nach Provokation durch Inhalation nität verleiht, ist eine Infektion tienten adäquat therapieren zu mit 0,9 bis 3 % NaCl-Lösung mit einem neuen Stamm als können. Inhalation nicht möglich und/oder Material: Fast alle nativen exogene Reinfektion möglich. zusätzliche Diagnostik notwendig Erkrankungsformen: Die häuMaterialien sind zur mikrobiolofigste Manifestation ist die – gegischen Diagnostik geeignet, woBronchoskopie: schlossene oder offene – Lunbei im Einzelfall bestimmte KriBronchialsekret oder BAL, ggfs. Biopsien gentuberkulose.Alle offenen Tuterien beachtet werden müssen berkulosen sind infektiös und so(Tabelle) (5). Der Versand der mit epidemiologisch relevant. Materialien sollte den geltenden Reizsputum nach Geschlossene Tuberkulosen, die Richtlinien entsprechen (6). Bronchoskopie Materialgewinnung: Die entweder pulmonal ohne AnKaskade zur Gewinnung respischluss an das Bronchialsystem Respiratorisches Material ratorischen Materials bei Veroder extrapulmonal lokalisiert kann nicht Magensaft dacht auf Lungentuberkulose sind (Lymphknoten, Urogenitalgewonnen werden ist der Grafik zu entnehmen. trakt,Knochen,Gelenke,Menin- Die Tuberkulose wird unterschätzt N A 906 Jg. 101 Heft 14 2. April 2004 Deutsches Ärzteblatt M E D I Z I N R E P O R T Die Entnahme von Magensaft ist nur bei Patienten sinnvoll, bei denen respiratorisches Material nicht gewonnen werden kann. Hierzu zählen Kinder, ältere Menschen sowie Patienten mit Kontraindikationen für eine Bronchoskopie. Sputum und Magensaft sollten an drei aufeinander folgenden Tagen morgens nüchtern vor dem Zähneputzen oder Gurgeln gewonnen werden, um eine Kontamination mit nichttuberkulösen Mykobakterien aus dem Leitungswasser zu vermeiden. Spucke ist für die Diagnostik ungeeignet, und Magensaft muss immer in Phosphatpuffer gegeben werden (Tabelle). Bei Verdacht auf extrapulmonale TB sollten Biopsate oder Operationspräparate nie in Formalin, sondern nur in Kochsalzlösung aufbewahrt werden, da die Mykobakterien sonst nicht mehr anzüchtbar sind. Blut und Knochenmark dürfen nur mit Heparin oder Citrat versetzt werden. Die Einsendung ist nur bei HIV-Patienten sinnvoll. 1. Mikroskopischer Nachweis: Mit der Ziehl-Neelsen-Färbung oder mittels Fluoreszenzmikroskopie werden die „säurefesten Stäbchen“ nachgewiesen. Es müssen hohe Keimzahlen von 104–105/ml Untersuchungsgut vorhanden sein, um ein positives Ergebnis zu erzielen. 2. Kultureller Nachweis: Die Anzucht sollte parallel auf festen Nährböden und im Flüssigmedium erfolgen. Für eine positive Kultur werden Keimzahlen von 102–103/ml Untersuchungsgut für feste und 101–102/ml Untersuchungsgut für flüssige Medien benötigt. Ein positives Ergebnis ist nach ein bis zwei Wochen im Flüssigmedium und nach drei bis vier Wochen auf Festmedium zu erwarten. Wird nach sechs (Flüssigmedium) beziehungsweise acht Wochen (Festmedium) kein Wachstum verzeichnet, so gelten die Kulturen als negativ. 3. Nukleinsäureamplifikationstechniken (NAT): Hierzu zählt zum Beispiel die Polymerase-Kettenreaktion (PCR). Mithilfe von NAT ist der Direktnachweis für DNA/RNA von Tuberkulosebakterien innerhalb von ein bis zwei Tagen möglich. Diese Testverfahren sollten immer nur in Ergänzung zu Mikroskopie und Kultur angewendet werden. 4. Empfindlichkeitsprüfung: Eine Resistenztestung muss für jeden TB- ´ Tabelle C ´ Zur Tuberkulosediagnostik geeignetes Material Material Menge Aufbewahrung Bemerkung Sputum 2–5 ml nativ 3×, morgens nüchtern, darf bis zu 4 Stunden gesammelt werden Reizsputum 2–5 ml nativ nach Inhalation mit NaCl-Lösung, nach Bronchoskopie Bronchialsekret/BAL 2–5 ml nativ Magensaft mind. 2 ml in 1–2 ml Phosphatpuffer (Trinatriumphosphat) Biopsien/Operationspräparate in NaCl, kein Formalin Punktate/Sekrete 20 ml nativ oder in NaCl Liquor 2–3 ml nativ Urin 30 ml nativ Stuhl Blut 3×, erster Morgenurin, am Vorabend Flüssigkeitsrestriktion nativ 5–10 ml Knochenmark Stamm für die Erstrangmedikamente Isoniazid (INH), Rifampizin (RMP), Pyrazinamid (PZA) und Ethambutol (EMB) durchgeführt werden. Die Testung erfolgt routinemäßig in flüssigen oder auf festen Nährmedien. In Abhängigkeit von dem erhaltenen Resistenzprofil erfolgt eine Testung der Zweitrang- oder Reservemedikamente. Meldepflicht: Erkrankung und Tod an einer behandlungsbedürftigen TB sind nach § 6 des Infektionsschutzgesetzes (IfSGs) seitens des behandelnden Arztes namentlich meldepflichtig. Ebenso besteht für das diagnostizierende Labor nach § 7 des IfSGs Meldepflicht (7). Therapie: Die in Deutschland standardmäßig empfohlene initiale Vierfachtherapie gliedert sich in eine zweimonatige Initialphase mit Isoniazid, Rifampizin, Pyrazinamid und Ethambutol, gefolgt von der viermonatigen Erhaltungsphase mit Isoniazid und Rifampizin. Aufgrund der Resistenzsituation in Deutschland mit einer Isoniazid-Resistenzrate von mehr als vier Prozent ist die initiale Dreifachtherapie in der Regel nicht mehr empfehlenswert Jg. 101 Heft 14 2. April 2004 Deutsches Ärzteblatt 3×, bei Kindern in Heparin oder Citrat, nicht in EDTA nur bei HIV-Patienten in Heparin oder Citrat, nicht in EDTA nur bei HIV-Patienten, Stanze und Aspirat geeignet (8).Alle Medikamente sollten aufgrund ihrer synergistischen Wirkung zusammen eingenommen werden. Resistente Tuberkulosen stellen eine therapeutische Herausforderung dar. Abweichungen von dem Standardregime sind notwendig, um eine adäquate Therapie mit mindestens vier Antituberkulotika in Abhängigkeit von dem Resistenzprofil zu gewährleisten. Im Einzelfall muss die Therapie auch an die klinische Präsentation, Verträglichkeit oder Kontraindikationen angepasst werden. Allerdings verlängert sich die Therapiedauer von sechs auf neun oder mehr Monate, wenn Isoniazid und Rifampizin nicht über den gesamten Zeitraum gegeben werden können. Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das beim Verfasser erhältlich oder im Internet unter www.aerzteblatt.de/lit1404 abrufbar ist. Dr. med. Tanja Kubica Dr. med. Sabine Rüsch-Gerdes Nationales Referenzzentrum für Mykobakterien Forschungszentrum Borstel Parkallee 18, 23845 Borstel E-Mail: [email protected]; [email protected] A 907