Strafen und Massnahmen im Überblick1

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Prof. Dr. F. Riklin
Lehrstuhl für Strafrecht und Strafprozessrecht
Universität Freiburg
Strafen und Massnahmen im Überblick1
Einleitung................................................................................................................ 2
A.
Strafen ......................................................................................................... 2
I. Einsatz gegen welche Kriminalität? ....................................................... 2
II.
Positive Aspekte der Strafenreform ....................................................... 4
1.
Ersatz unbedingter kurzer Freiheitsstrafen.................................... 4
2.
Tagessatz-Geldstrafe .................................................................... 5
3.
Verwirklichung der gemeinnützigen Arbeit als eigenständige
Sanktion ........................................................................................ 7
4.
Einführung der Einheitsfreiheitsstrafe............................................ 8
5.
Erweiterung des bedingten Strafvollzugs bei Freiheitsstrafen....... 9
III. Schwachpunkte der Strafenreform ...................................................... 10
1.
Verzicht auf das Fahrverbot als strafrechtliche Sanktion............. 10
2.
Umständliche Sanktionierung von Übertretungen ....................... 11
3.
Umwandlungsschlüssel bei der gemeinnützigen Arbeit .............. 12
4.
Generelle Zulassung bedingter und teilbedingter Strafen ........... 12
5.
Verbindung bedingter Strafen mit Geldstrafen und Bussen ........ 13
6.
Unerwünschte Variantenvielfalt bei der Verhängung von Strafen 14
IV. Auswirkungen der Reform auf die Gefangenenzahlen ........................ 16
B.
1
Massnahmen ............................................................................................. 17
I. Positive Aspekte .................................................................................. 18
Artikelnummern ohne Zusatz beziehen sich auf die künftige Fassung des StGB.
2
II.
C.
D.
1.
Allgemeine Grundsätze ............................................................... 18
2.
Untherapierbarkeit als Verwahrungsvoraussetzung .................... 18
3.
Gesicherte therapeutische Behandlung bei schweren Straftaten
(Art. 59 Abs. 3) ............................................................................ 18
4.
Anlasstaten bei der Verwahrung ................................................. 19
Problempunkte..................................................................................... 19
1.
Annahme der Gemeingefährlichkeit aufgrund einer
Gesamtbeurteilung von Persönlichkeitsmerkmalen sowie Tatund Lebensumständen................................................................ 19
2.
Fehlen des Erfordernisses eines fehlgeschlagenen Therapieversuchs........................................................................................... 20
3.
Entlassung aus der Verwahrung ................................................. 20
4.
Nachträgliche Verwahrung gemäss Art. 65 Abs. 2...................... 21
5.
Nachträgliche therapeutische Massnahme gemäss Art. 65
Abs. 1 und Art. 62c Abs. 3 bzw. 6 sowie Umwandlung einer
therapeutischen Massnahme in eine Verwahrung gemäss
Art. 62c Abs. 4............................................................................. 22
Strafzumessung und Strafbefreiung........................................................... 22
Schlusskommentar .................................................................................... 23
Grafik zum Sanktionensystem .............................................................................. 24
Statistik Verurteilungen zu einer Verwahrung und Entlassungen ......................... 25
Einleitung
Die folgenden Ausführungen skizzieren summarisch das neue Sanktionensystem. Zu
verschiedenen Einzelfragen wird in gesonderten Beiträgen Stellung genommen.
Einzelne Überschneidungen waren nicht zu vermeiden. Einen ersten Überblick
verschafft die im Anhang angefügte Grafik zum Sanktionensystem.2
A.
Strafen
Die Strafen und dann auch die Massnahmen (vgl. nachstehend B) sind das "pièce de
résistance" der AT-Revision.
I.
Einsatz gegen welche Kriminalität?
Für das Verständnis der Auswirkungen des neuen Strafensystems ist ein kurzer
2
Diese Grafik wurde im schweizerischen Ausbildungszentrum für das Strafvollzugspersonal in
Freiburg erstellt.
3
Blick auf die Verurteilungspraxis nach geltendem Recht zu werfen.3
Nur eine Minderheit der jährlichen Verurteilungen entfällt auf das Strafgesetzbuch. Im Jahre 2004 waren es nicht ganz 31% aller Verurteilungen. Über 54%
entfielen auf Verstösse gegen das Strassenverkehrsgesetz, rund 11,5% auf das
Betäubungsmittelgesetz, rund 10,5% auf das ANAG, nicht ganz 1% auf das
Militärstrafgesetz und der Rest (rund 7,5%) auf Verstösse gegen andere
Bundesgesetze.
Gemäss der schweizerischen Urteilsstatistik wurden im Jahre 2004 fast 96'000
Urteile gefällt, davon entfielen rund 15'000 auf unbedingte Freiheitsstrafen
(15,3%), fast die Hälfte (44'500) auf bedingte Freiheitsstrafen (47,6%), rund
35'000 auf Bussen (36,5%)4 und rund 550 auf Massnahmen (0,6%). Rund 90%
aller unbedingten Freiheitsstrafen und rund 96% aller bedingten Freiheitsstrafen
bewegten sich im Bereich bis zu 6 Monaten Freiheitsentzug. Bei diesen Urteilen
lag das Schwergewicht bei Freiheitsstrafen bis zu einem Monat. 98,5% aller
(bedingten und unbedingten) Freiheitsstrafen überschritten 18 Monate nicht.
Die Zahl der Urteile mit (unbedingten) Freiheitsstrafen über 18 Monaten lag bei
nicht ganz 900.
Ein interessantes Bild zeigt auch die Entwicklung in den letzten zwanzig Jahren.
Nimmt man die schweizerische Urteilsstatistik zum Gradmesser für die
Kriminalitätsentwicklung, ergibt sich folgendes Bild: Die Verurteilungen haben
seit 1984 bis 2004 um 68% zugenommen, d.h. von rund 57'000 auf rund
96'000. In dieser Zeit ist die Bevölkerung lediglich um 15% gewachsen.
Allerdings ist zu berücksichtigen, dass der Löwenanteil dieser Zunahme auf das
SVG und das BetmG entfällt, wo eine Verdoppelung stattfand und auf das
ANAG, wo gar eine Verdreifachung erfolgte. Beim SVG lässt sich die Erhöhung
mit der Zunahme des Verkehrs erklären. Bei Verstössen gegen das
Betäubungsmittelgesetz besteht ein Zusammenhang mit der Drogensituation
und mit der praktizierten Drogenpolitik. Ferner handelt es sich bei SVG- und
Betäubungsmitteldelikten um sog. Kontrolldelikte, d.h. die Registrierung (und
Verurteilung) wird durch die Kontrollintensität der Polizei beeinflusst.
Im StGB-Bereich hat sich die Zahl der Verurteilungen zwischen 1984 und 2001
nicht verändert. Sie verharrte auf der Höhe von ungefähr 22'000 Verurteilungen
pro Jahr, was angesichts der Bevölkerungszunahme und der laufenden
"Produktion" neuer Strafbestimmungen einer Verringerung gleichkommt.
Zwischen 2002 und 2004 ist allerdings eine jährliche Erhöhung von rund 22'000
Verurteilungen auf rund 29'500 festzustellen. Zahlreiche Indizien sprechen
dafür, dass dieser "Schwenker" kaum eine Kriminalitätszunahme indiziert,
sondern dass es sich einerseits um Folgen von Gesetzesänderungen und
andererseits um Nachwehen eines veränderten Anzeigeverhaltens handelt. So
nahm wegen der Einführung des Verbots des Besitzes harter Pornografie im
3
4
Die nachstehenden statistischen Angaben beruhen auf Unterlagen des Bundesamtes für
Statistik.
Zu berücksichtigen ist allerdings, dass Übertretungsbussen mit wenigen Ausnahmen in der
Urteilsstatistik nicht registriert sind, weshalb in Wirklichkeit der Bussenanteil sehr viel höher
liegt.
4
Jahre 2002 in dieser Zeitperiode die Zahl der Verurteilungen wegen
Pornographie um 124% zu. Begrenzt hat sich auch die Gesetzesänderung über
die Strafverfolgung in der Ehe und in der Partnerschaft ausgewirkt, die am 1.
April 2004 in Kraft trat, wonach häusliche Gewalt zu einem Offizialdelikt wurde.
Das hat sich namentlich bei Körperverletzungen und Hausfriedensbrüchen
ausgewirkt. Für eine Änderung des Anzeigeverhaltens spricht namentlich die
Zunahme der Verurteilungen wegen Gewalt und Drohung gegen Beamte um
43%. Diese Delikte haben kaum zugenommen, hingegen wurde namentlich die
Polizei angewiesen, bei Drohungen etc. aus Anlass von Amtshandlungen
konsequent Anzeige zu erstatten. Die Zunahme der Verurteilungen wegen
einfacher Körperverletzung um 32% dürfte im Wesentlichen sowohl auf einer
Änderung des Anzeigeverhaltnes beruhen, als auch auf den Folgen des
erwähnten Gesetzes über die Strafverfolgung in der Ehe und in der
Partnerschaft.
Interessant ist die Entwicklung der Häufigkeit der ausgesprochenen
unbedingten Freiheitsstrafe aus der Sicht ihrer Dauer. Eine Zunahme fand
zwischen 1984 und 2004 nur bei Verurteilungen zu Freiheitsstrafen bis zu drei
Monaten statt. Verurteilungen über drei Monate haben in allen Kategorien
entweder abgenommen oder sind stabil geblieben, abgesehen von den
Verurteilungen zwischen 10 und 15 Jahren, wo aber die Statistik wegen des
geringen Zahlenmaterials nicht sehr aussagekräftig ist.
II.
Positive Aspekte der Strafenreform
1.
Ersatz unbedingter kurzer Freiheitsstrafen
Ein wichtiges Ziel der Revision war der Ersatz unbedingter kurzer
Freiheitsstrafen mit ihren oft desintegrierenden Auswirkungen durch
Alternativen. Nach neuem Recht können sie nur noch unter sehr restriktiven
Voraussetzungen verhängt werden, nämlich dann, wenn die Voraussetzungen
für eine bedingte Strafe nicht gegeben sind (also - etwas salopp ausgedrückt eine ungünstige Prognose besteht) und zudem zu erwarten ist, dass eine
Geldstrafe oder gemeinnützige Arbeit nicht vollzogen werden kann (Art. 41
Abs. 1). Das ist z.B. dann der Fall, wenn jemand nicht in der Lage ist, eine
Geldstrafe zu bezahlen, und auch gemeinnützige Arbeit nicht leisten will oder
kann. Dies kann bei einem Kriminaltouristen der Fall sein, der wenig Geld auf
sich trägt und sich nach einem Delikt möglichst rasch ins Ausland verziehen
will.
Es verbleibt neben Art. 41 StGB noch ein zweites Schlupfloch für kurze
unbedingte Freiheitsstrafen, nämlich dann, wenn jemand eine Geldstrafe
schuldhaft nicht bezahlt oder entsprechend gemeinnützige Arbeit nicht leistet
(Art. 41 Abs. 3 bzw. 36 und 39 StGB).
Abgesehen von diesen Sonderfällen tritt dann, wenn bisher jemand mit einer
unbedingten oder bedingten Freiheitsstrafe von weniger als sechs Monaten
belegt wurde, in Zukunft an ihre Stelle eine unbedingte oder bedingte
Geldstrafe oder gemeinnützige Arbeit. Von den rund 96'000 Urteilen des Jahres
2004 wären von dieser neuen Regelung, wenn sie schon gegolten hätte, 47'000
5
Verurteilungen (zu Freiheitsstrafen) betroffen gewesen, da so viele Entscheide
bedingte oder unbedingte Freiheitsstrafen bis zu sechs Monaten zum
Gegenstand hatten.
Weil Art. 41 verlangt, dass die Voraussetzungen für eine unbedingte
Freiheitsstrafe gegeben sein müssen,5 hat sich die Frage gestellt, ob eine Gesetzeslücke besteht, wenn ein Ersttäter, der tatsächlich geldstrafenuntauglich
ist und die gemeinnützige Arbeit, was er darf, verweigert. Denn dann besteht an
sich eine günstige Prognose. Dem ist allerdings zweierlei entgegenzuhalten.
Beim bedingten Strafvollzug kommt es künftig genau genommen nicht mehr auf
die günstige Prognose an, sondern darauf, ob eine unbedingte Strafe
notwendig erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder
Vergehen abzuhalten (Art. 42 Abs. 1). Man wird deshalb argumentieren
können, der unbedingte Vollzug erscheine in der geschilderten Situation
mangels anderer geeigneter Sanktionen als notwendig, um den Täter von der
Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten.6 Man kann den
Akzent aber auch anders legen und argumentieren, dass Art. 42 Abs. 1 beim
bedingten Strafvollzug darauf abstellt, dass dieser bei Vorliegen der
Voraussetzungen in der Regel zu gewähren sei und in den geschilderten
Konstellationen dränge sich eine Ausnahme von der Regel auf.7
2.
Tagessatz-Geldstrafe
Positiv zu bewerten ist ferner die Verwirklichung der Tagessatzgeldstrafe
(ausser bei Übertretungen, wo das alte Bussensystem bestehen bleibt; Art
106). Dieses nach dem Vorbild der nordischen Staaten konzipierte System hat
sich in zahlreichen europäischen Ländern durchgesetzt. Seine Einführung in
der Schweiz ist die Folge der Zurückdrängung der kurzen unbedingten
Freiheitsstrafen und des weiteren Ziels, auch Freiheitsstrafen zwischen sechs
Monaten und einem Jahr mit einer Alternative zu konkurrenzieren. Das
Tagessatzsystem vermittelt gerechtere und transparentere Bemessungsregeln,
die nötig sind, wenn man mit der Geldstrafe auch den Bereich der mittleren
Kriminalität abdecken will. Darunter sind Delikte zu verstehen, die heute mit
einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bestraft werden. Diese grössere
Transparenz kommt darin zum Ausdruck, dass nach dem Verschulden eine
bestimmte Anzahl von Tagessätzen verhängt wird, während sich die Höhe
eines Tagessatzes nach den wirtschaftlichen Verhältnissen richtet (Art. 34-36).
Die wirtschaftliche Situation fällt deshalb stärker ins Gewicht als beim heutigen
sogenannten Gesamtsummensystem.
Es können bis zu 360 Tagessätze ausgesprochen werden, womit zum
Ausdruck kommt, dass die Geldstrafe eine Alternative zu Freiheitsstrafen bis zu
5
6
7
Vgl. u.a. A. Kuhn, Le sursis et le sursis partiel selon le nouveau code pénal, ZStrR 121 (2003),
264 ff., 269 f.; J. Sollberger, Besondere Aspekte der Geldstrafe, ZStrR 121 (2003), 244 ff., 249
und G. Stratenwerth, Die Strafen im Bagatellbereich nach künftigem Recht, ZStrR 122 (2004),
159 ff., 164 f.
F. Riklin, Die Sanktionierung von Verkehrsdelikten nach der Strafrechtsreform, ZStrR 122
(2004), 169 ff., 183.
Riklin (Anm. 6), 183.
6
einem Jahr sein soll. Weil sich die Zahl der Tagessätze nach dem Verschulden
des Täters richtet, kann problemlos gestützt auf Art. 36 Abs. 1 die Anzahl Tage
an Freiheitsstrafe nach bisherigem Recht im Verhältnis 1:1 auf die Zahl der
Tagessätze nach künftigem Recht umgerechnet werden. Beispiel: Zehn Tage
Gefängnis entsprechen zehn Tagessätzen Geldstrafe.8
In der Praxis werden sich für Massendelikte wie Fahren in angetrunkenem
Zustand und Verkehrsregelverletzungen im Interesse einer einheitlichen
Rechtsanwendung Empfehlungen durchsetzen, wie sie heute z.T. in den
Kantonen bestehen.9 Erfreulich ist, dass die Konferenz der Strafverfolgungsbehörden bemüht ist, die Gelegenheit zu nutzen und die beträchtlichen
kantonalen Unterschiede im Bereich solcher Empfehlungen auszugleichen.
Die Tagessatzhöhe bestimmt sich nach den persönlichen und wirtschaftlichen
Verhältnissen des Täters im Zeitpunkt des Urteils. Obere Grenze sind 3'000
Franken (Art. 34 Abs. 2). Ein Minimum kennt das Gesetz nicht. Damit wollte
man Leuten in wirtschaftlich ungünstigen oder sehr speziellen Verhältnissen
entgegenkommen, etwa Arbeitslosen, Studierenden oder nicht berufstätigen
Hausfrauen. Ausländische Beispiele zeigen, dass man auch für solche
Personengruppen in der Regel praktikable Lösungen gefunden hat.10
Nicht verschwiegen werden sollen die Schwierigkeiten, die es bei der
Festlegung der Tagessatzhöhe geben wird. Das Gesetz nennt als
Erhöhungsfaktoren neben dem Einkommen Vermögen und Lebensaufwand
(Art. 34 Abs. 2). Als beitragsreduzierend erwähnt es speziell Familien- und
Unterstützungspflichten sowie das Existenzminimum. Das Existenzminimum als
Faktor bedeutet aber nicht, dass nur darüber liegende Einkommen
berücksichtigt
werden
dürfen.11
Es
verbleibt
ein
beträchtlicher
Ermessensbereich.
Im internationalen Vergleich gibt es zwei Bemessungssysteme, das Nettoeinkommensprinzip und das Einbusseprinzip. Ersteres gilt grundsätzlich in
Deutschland und richtet sich nach dem Nettoeinkommen, das der zu
Verurteilende hat oder bei zumutbarem Einsatz seiner Arbeitskraft haben
könnte.12 Es würde, ganz konsequent durchgeführt, zu einer starken
Progression, bei tiefen Einkommen aber auch zu Härten führen. Deshalb wird
8
9
10
11
12
Vgl. Sollberger (Anm. 5), 247.
H. Schultz, Bericht und Vorentwurf zur Revision des Allgemeinen Teils und des Dritten Buches
"Einführung und Anwendung des Gesetzes" des Schweizerischen Strafgesetzbuches, Bern
1987, 94; Bericht zur Revision des Allgemeinen Teils und des Dritten Buches des
Strafgesetzbuches und zu einem Bundesgesetz über die Jugendstrafrechtspflege, Bern 1993,
43; B. Amsler/J. Sollberger, Kommentar Vor Art. 48 StGB, in: Basler Kommentar,
Strafgesetzbuch I, hrsg. von M. A. Niggli/H. Wiprächtiger, Basel/Genf/München 2003, N 15; R.
Binggeli, Die Geldstrafe, in: Zur Revision des Allgemeinen Teils des Schweizerischen
Strafrechts und zum neuen materiellen Jugendstrafrecht, hrsg. von F. Bänziger, A. Hubschmid,
J. Sollberger, 2. Aufl., Bern 2006, 67.
Bericht AT 1993 (Anm. 9), 53 f.; Schultz (Anm. 9), 81.
Sollberger (Anm. 5), 253.
H.-H. Jescheck/Th. Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 5. Aufl., Berlin 1996,
771.
7
es durch zahlreiche Abzugsmöglichkeiten gemildert. Vom Einbusseprinzip sind
die Regelungen in Österreich und in den skandinavischen Staaten geprägt.13
Man prüft, was die zu verurteilende Person über ihren Existenzbedarf hinaus
entbehren kann. Ganz konsequent durchgeführt würde dies dazu führen, dass
ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung, die in der Nähe des Existenzminimums
oder darunter lebt, geldstrafenuntauglich wäre. Deshalb wird die Regelung in
diesen Ländern insofern relativiert, als auch Möglichkeiten der Sanktionierung
von Leuten mit tiefen Einkommen geschaffen wurden. Im Ergebnis haben sich
durch solche Relativierungen die beiden Systeme stark angenähert.
Die Konferenz der Strafverfolgungsbehörden bereitet ein Erhebungsformular
vor, das es ermöglichen soll, in der Mehrzahl der Fälle mit wenig Aufwand die
nötigen Berechnungen vorzunehmen.14
3.
Verwirklichung der gemeinnützigen Arbeit als eigenständige Sanktion
Ein Aktivposten der Reform ist ferner die gemeinnützige Arbeit als neue
Hauptstrafe (Art. 37-39). Das Jugendstrafrecht leistete Geburtshelferdienste,
denn dort wurde die gemeinnützige Arbeit 1971 eingeführt und erfolgreich
praktiziert. Auch bei den Erwachsenen war im bisherigen Recht die
gemeinnützige Arbeit bereits bekannt, aber nur als Vollzugsform für unbedingte
Freiheitsstrafen bis zu drei Monaten15 (abgesehen von der Möglichkeit, dass
einem Verurteilten gemäss Art. 49 Ziff. 1 Abs. 2 aStGB gestattet werden
konnte, eine Busse durch freie Arbeit abzuverdienen). Diese Regelung war aus
rechtstaatlicher Sicht unbefriedigend, weil ein zweiteiliger Sanktionierungsprozess stattfand, indem der Richter eine unbedingte Freiheitsstrafe aussprach,
welche dann die Verwaltung gestützt auf eine bundesrätliche Verordnung in
eine ambulante Sanktion umwandeln konnte (Art. 3a VStGB 3).16 Die
Verwaltung mischte sich in die Wahl der Sanktionsart ein und übte richterliche
Kompetenzen aus.17 Dies war systemwidrig.
Die gemeinnützige Arbeit kommt als Ersatz für Freiheitsstrafen bis zu
sechs Monaten oder Geldstrafen bis zu 180 Tagessätzen in Frage. Man sieht
dies aufgrund der im Gesetz enthaltenen Vergleichstabelle, wonach ein Tag
Freiheitsstrafe einem Tag Geldstrafe und vier Stunden gemeinnütziger Arbeit
entspricht (Art. 39 Abs. 2) und der vorgesehenen Maximaldauer von 720
Stunden (Art. 37 Abs. 1).
Im Bereich, der bisher von Freiheitsstrafen bis zu sechs Monaten erfasst wurde,
sind somit die Geldstrafe und die gemeinnützige Arbeit gleichrangige
Alternativen. Deshalb stellt sich die Frage, wann welche verhängt werden soll.
13
14
15
16
17
R. Lässig, Kommentar zu §§ 18 und 19 in: Wiener Kommentar zum Strafgesetzbuch, hrsg. von
F. Höpfel/E. Ratz, 2. Aufl., Wien 2002, § 19 N 8; G. Grebing, Probleme der TagessatzGeldstrafe, ZStW 88 (1976), 1049 ff., 1062 ff.; Amsler/Sollberger (Anm. 9), N 40.
Binggeli (Anm. 9), 67.
B. F. Brägger, Gemeinnützige Arbeit als Alternativsanktion in der Schweiz, ZStrR 120 (2002),
183 ff.
Brägger (Anm. 15), 187 ff.
F. Riklin, Zur Revision des Systems der Hauptstrafen, ZStrR 117 (1999), 255 ff., 264.
8
Die Regel sollte sein, dass nach Möglichkeit keine Verdrängung einer
Alternative ohne Vollzugsaufwand wie die Geldstrafe durch eine
kostenintensivere Strafe wie die gemeinnützige Arbeit stattfindet, ausser wenn
Sachargumente dafür sprechen.18 Aus dieser Sicht drängt sich gemeinnützige
Arbeit insbesondere auf, wenn der Beschuldigte nicht als geldstrafentauglich
erscheint oder ihn und seine Angehörigen selbst eine niedrige Geldsumme
unverhältnismässig stark belastet.
Kürzlich wurde in den Medien der Fall eines Rasers aufgegriffen, um die
angebliche Milde des künftigen Rechts zu belegen. Der junge Mann beging zum
wiederholten Mal mit dem Auto seines Vaters einen Geschwindigkeitsexzess,
war arbeitslos, bekam keine Arbeitslosenentschädigung und wurde punkto Kost
und Logis von seinen Eltern unterhalten. Nach bisherigem "Tarif" erwartete ihn
eine unbedingte Freiheitsstrafe von etwa drei Monaten, die er allerdings in
Halbgefangenschaft oder durch gemeinnützige Arbeit hätte verbüssen können.
Im Hinblick auf das neue Recht wurde befürchtet, dass ein solcher Fahrer nur
mit einer sehr tiefen Geldstrafe sanktionieret werden könnte. Bei dieser Person
wäre jedoch als Folge des fehlenden Einkommens und der fehlenden
Arbeitslosenunterstützung nicht eine Geldstrafe mit einer sehr tiefen
Tagessatzhöhe, sondern gemeinnützige Arbeit angemessen (in diesem Beispiel
360 Stunden = 90 x 4).
Nun liegt allerdings eine Besonderheit der gemeinnützigen Arbeit darin, dass
sie nur mit Zustimmung des Täters verhängt werden kann. Dies hängt mit dem
Verbot der Zwangsarbeit in internationalen Abkommen zusammen. Wenn
jemand geldstrafenuntauglich ist und die Zustimmung zur gemeinnützigen
Arbeit aus nicht einsichtigen Gründen verweigert, wäre es m.E. vertretbar, von
der Ausnahmeregel des Art. 41 StGB Gebrauch zu machen und als ultima ratio
eine unbedingte kurze Freiheitsstrafe anzuordnen.19
Wie verhält es sich bei geldstrafenuntauglichen invaliden oder alten Personen,
die prima vista für gemeinnützige Arbeit nicht tauglich zu sein scheinen? Bei
ihnen kann dennoch geprüft werden, ob es nicht auch für sie akzeptable
Formen der Arbeitsleistung gibt. Auch ein Invalider kann z.B. bei einer
Verkehrszählung mitwirken und für jedes vorbeifahrende Fahrzeug einen
Bleistiftstrich in eine Tabelle eintragen.20
4.
Einführung der Einheitsfreiheitsstrafe
Bekanntlich unterschied das bisherige Recht zwischen Zuchthaus, Gefängnis
und Haft. Da sich die ursprüngliche Idee, für den Vollzug dieser drei Arten von
Freiheitsstrafen unterschiedliche Anstaltstypen vorzusehen, nicht durchgesetzt
hat, drängte sich die Verwirklichung der Einheitsfreiheitsstrafe auf (vgl. Art. 40).
Deshalb wird in Zukunft nur noch von Freiheitsstrafe die Rede sein.
18
19
Riklin (Anm. 17), 259.
A. M. Sollberger (Anm. 5), 253, der meint, wenn ein geldstrafenuntauglicher Beschuldigter die
Zustimmung zu gemeinnütziger Arbeit verweigert, wäre es gesetzlich nicht möglich, auf eine
Freiheitsstrafe auszuweichen.
Riklin (Anm. 6), 183.
20
9
5.
Erweiterung des bedingten Strafvollzugs bei Freiheitsstrafen
Im internationalen Vergleich liegt die heutige Obergrenze für den bedingten
Strafvollzug von 18 Monaten tief. Deshalb wird er in Zukunft bis zu einer Dauer
von zwei Jahren gewährt werden können (Art. 42 Abs. 1), bei der teilbedingten
Freiheitsstrafe sogar bis zu einer Dauer von drei Jahren.
Gemäss Art. 44 Abs. 3 hat das Gericht dem Verurteilten die Bedeutung und die
Folgen der bedingten und teilbedingten Strafe zu erklären. Da heute die
meisten Strafverfahren mit Strafbefehlen und damit auf dem Korrespondenzweg
erledigt werden, müsste endlich einmal überlegt werden, ob Strafbefehle mit
einer bedingten oder teilbedingten Freiheitsstrafe nicht mündlich eröffnet
werden sollten, entweder im Anschluss an die Schlusseinvernahme durch den
Staatsanwalt oder Untersuchungsrichter, sofern eine solche stattfindet, oder
indem der Strafbefehlsempfänger zur Eröffnung in die Kanzlei des Ausstellers
zitiert wird. Denn die PISA-Studie hat belegt, dass 10-20% der Bevölkerung
entweder nicht lesen können oder jedenfalls kompliziertere Texte nicht
verstehen, abgesehen davon, dass oft auch Leute so bestraft werden, die der
Gerichtsprache nicht mächtig sind.
Wie schon gesagt soll der bedingte (wie auch der teilbedingte) Strafvollzug bei
Vorliegen der Voraussetzungen "in der Regel" erfolgen, wenn "eine unbedingte
Strafe nicht notwendig erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer
Verbrechen oder Vergehen abzuhalten" (Art. 42 Abs. 1). Es stellt sich die
Frage, wann die Regel ausnahmsweise nicht greift. Man hat namentlich an
Delinquenten gedacht, die diese Privilegierung einkalkulieren.21 Mit diesem
Vorbehalt könnte ihnen ein Strich durch die Rechnung gemacht werden.
Bei bedingten Strafen besteht im Widerrufsfall die Möglichkeit, die widerrufene
Strafe zu ändern und der für die Rückfalltat ausgesprochenen Strafe
anzupassen (Art. 46 Abs. 1). Hat jemand z.B. 30 Tagessätze Geldstrafe bedingt
erhalten und führt eine Rückfalltat während der Probezeit zu einer Verurteilung
zu vier Jahren Freiheitsstrafe, könnten die 30 Tagessätze beim Widerruf in 30
Tage Freiheitsstrafe konvertiert werden. Zu diesem Zweck muss auf den
Schlüssel des Artikels 39 Abs. 2 zurückgegriffen werden, wonach vier Stunden
gemeinnützige Arbeit einem Tagessatz Geldstrafe oder einem Tag Freiheitsstrafe entsprechen. Da gemäss Art. 46 Abs. 1 bei dieser Gesamtstrafenbildung
Art. 49 betreffend Konkurrenz anzuwenden ist, muss der Richter in der Folge
von der Strafe der schwersten Straftat ausgehen (in unserem Beispiel von den
vier Jahren Freiheitsstrafe) und sie unter Berücksichtigung der Strafe der
Ursprungstat angemessen erhöhen.
21
Vgl. Stratenwerth (Anm. 5), 163 f.; ders., Die Wahl der Sanktionen, insbesondere nach
revidiertem AT StGB, in: Strafjustiz und Rechtstaat, Symposium zum 60. Geburtstag von Franz
Riklin und José Hurtado Pozo, hrsg. von M. A. Niggli/N. Queloz, Zürich/Basel/Genf, 2003, 9 ff.,
11; Bericht AT 1993 (Anm. 9), 61.
10
III. Schwachpunkte der Strafenreform
1.
Verzicht auf das Fahrverbot als strafrechtliche Sanktion
Prof. Schultz und die Expertenkommission versuchten vergeblich, ein
Fahrverbot als selbständige Strafsanktion für Strassenverkehrsdelikte
einzuführen, das allein oder neben einer anderen Hauptstrafe aussprechbar
sein sollte.22 Auch das Bundesgericht drängte in der Vernehmlassung mit
Nachdruck auf die Verwirklichung dieses Vorhabens. Denn der im SVG
geregelte Warnentzug, der wegen Verletzung von Verkehrsregeln
ausgesprochen wird und zur Besserung des Führers sowie zur Bekämpfung
von Rückfällen dient, ist in der Sache eine Strafe.23
Leider ist es der Lobby der Administrativbehörden gelungen, dieses Anliegen zu
torpedieren. Deshalb findet bei schweren Strassenverkehrsdelikten weiterhin
eine für die Betroffenen unverständliche Doppelsanktionierung durch die
Strafjustiz mit Strafen und durch die Administrativbehörden mit Verwarnung und
Führerausweisentzug statt. Kaum je nachgelebt wird dabei der Forderung des
Bundesgerichts, wonach die aufgrund dieser Doppelspurigkeit ausgesprochenen Sanktionen in ihrer Gesamtheit schuldangemessen sein müssten
und nicht zu einer verkappten Doppelbestrafung führen dürften (BGE 123 II
466). Heute besteht in diesem Bereich ein Kästchendenken. Die Vertreter der
Administrativbehörden sind überzeugt, nur ihre Massnahmen könnten das
Verhalten der Verkehrsteilnehmer verändern. Und die Strafrechtspraktiker
meinen ihrerseits, die Prävention hänge einzig und allein von der Härte der
Strafe ab. Verwiesen sei auf die Diskussionen, wie man Raser beeindrucken
könnte. Es ist jedoch fraglich, ob harte Strafen eine nennenswerte präventive
Wirkung haben. Das belegt beispielsweise das vor zwei Jahren durch das
Bundesgericht bestätigte Urteil gegen zwei Raser in Gelfingen wegen
eventualvorsätzlicher Tötung zu je 6 ½ Jahren Zuchthaus (BGE 130 IV 58 ff.).
Hat dies zur Abnahme von Rasereien geführt? Anliegen einer vernünftigen
Verkehrspolitik müsste es sein, Vorkehren zu treffen, die wirklich etwas bringen.
Es ist sehr einseitig, das Augenmerk ausschliesslich auf das Strafrecht zu
richten. Es gäbe auch andere denkbare Vorkehren, etwa der Einbau von
Tachosperren bei einem Limit von 120 km/h oder von Fahrtenschreibern, die es
ermöglichen, zurückliegende Exzesse festzustellen, stets in Verbindung mit
häufigeren polizeilichen Kontrollen.
Das erwähnte Kästchendenken ist auch der Grund für die unselige, unter der
Flagge der "Schnittstellenproblematik" segelnde Diskussion über die angeblich
grotesken Konsequenzen, wenn das gleiche Delikt in leichteren Fällen eine
Übertretung und in schweren ein Vergehen ist. So erlangte das Beispiel
zweifelhafte Berühmtheit, wonach derjenige, der innerorts mit 70 statt 50 km/h
fahre, gestützt auf die Übertretung des Art. 90 Ziff. 1 SVG, mit einer
unbedingten Busse belegt werde, während der Raser, der die gleiche Stelle mit
22
23
Vgl. z.B. Schultz (Anm. 9), 94 f.; S. Trechsel, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, 2. Aufl., Zürich 1997, Art. 41 N 18; M. Härri, Alternative Sanktionen im Strassenverkehrsrecht, SJZ 93 (1997), 77 ff., 79.
Bericht AT 1993 (Anm. 9), 64.
11
100 km/h passiere, gestützt auf dem Vergehenstatbestand des Art. 90 Ziff. 2
SVG, möglicherweise nur eine bedingte Geldstrafe erhalte. Das Beispiel
erscheint in einem gänzlich anderen Licht, wenn der Führerausweisentzug
mitberücksichtigt wird und dieser eine strafrechtliche Sanktion wäre.
Gelegentlich hört man den Einwand, ein Problem des Führerausweisentzuges
sei, dass ihn Betroffene missachten und wegen der Seltenheit polizeilicher
Kontrolle meist nicht erwischt werden. Ich meine: es wäre sinnvoller und für den
Staat nicht teurer, statt in der gleichen Sache zwei Verfahren durchzuführen,
bei jemandem, dem z. B. drei Monate Führerausweisentzug auferlegt wurde,
wöchentlich durch Stichproben überprüfen zu lassen, ob er das Fahrverbot
einhält.
2.
Umständliche Sanktionierung von Übertretungen
Bei Übertretungen bleibt wie erwähnt das bisherige Bussensystem bestehen
(Art. 103 ff.). Haftstrafen sind ausgeschlossen (vgl. Art. 103). Anders als im
alten Recht beträgt der Höchstbetrag bei Busse 10'000 und nicht mehr bloss
5000 Franken (Art. 106 Abs. 1). Ferner ist bei Bussen der bedingte und
teilbedingte Strafvollzug nicht möglich (Art. 105 Abs. 1). Dafür sprechen
Praktikabilitätsgründe.24 Die Strafzumessung erfolgt auf traditionelle Weise (Art.
106 Abs. 3, der dem bisherigen Art. 48 Abs. 2 entspricht).
Neu ist ferner möglich, dass das Gericht anstelle der ausgesprochenen Busse
gemeinnützige Arbeit bis zu 360 Stunden anordnen kann, sofern der Täter
zustimmt (Art. 107). Auch hier ist wohl der bedingte Strafvollzug
ausgeschlossen.25
Nach neuem Recht muss nun jedes Mal dann, wenn neben einem Verbrechen
oder Vergehen auch noch eine Übertretung begangen wird, z.B. Fahren in
angetrunkenem Zustand mit einer Blutalkoholkonzentration von 0,7
Gewichtspromillen oder Überschreitung der signalisierten Höchstgeschwindigkeit innerorts um 20 km/Std., auf umständliche Weise eine separate
Sanktionierung der Übertretung erfolgen. Ferner muss der Urteilende jedes Mal
eine Ersatzfreiheitsstrafe von mindestens einem Tag und höchstens drei
Monaten für den Fall der schuldhaften Nichtbezahlung fixieren (Art. 106 Abs. 2).
Dabei müsste diese Ersatzfreiheitsstrafe je nach den Verhältnissen des Täters
so bemessen werden, dass dieser die Strafe erleidet, die seinem Verschulden
angemessen ist (Art. 106 Abs. 3). Dies ersetzt die bisherige unhaltbare Regel,
wonach bei schuldhafter Nichtbezahlung 30 Franken in einen Tag Haft
umgewandelt werden können.
Es steht jetzt schon fest, dass man diese Regelung nicht zum vollen Nennwert
nehmen wird. Vielmehr schlagen Praktiker vor, für den Regelfall einen
24
25
Sollberger (Anm. 5), 259; V. Maire, La peine pécuniaire selon le CP 2002, in: Droit des
sanctions, De l'ancien au nouveau droit, hrsg. von A. Kuhn/L.Moreillon/B. Viredaz/A. Willi-Jayet,
Bern 2004, 67 ff., 76.
Kuhn (Anm. 5), 272; R. Kovacs, Le travail d'intérêt général selon le CP 2002, in: Droit des
sanctions, De l'ancien au nouveau droit, hrsg. von A. Kuhn/L.Moreillon/B. Viredaz/A. Willi-Jayet,
Bern 2004, 103 ff., 113.
12
bestimmten Umwandlungssatz vorzusehen, wonach z.B. pro 100 Franken
Busse ein Tag Ersatzfreiheitsstrafe festgelegt wird.26
Vorbehalten bleibt als lex spezialis das Bundesgesetz über Ordnungsbussen im
Strassenverkehr vom 24. Juni 1970, das für bestimmte Übertretungen tarifierte
Ordnungsbussen vorsieht. M.E. untersagt Art. 106 Abs. 2 dem Richter nicht, in
solchen Fällen nachträglich eine Ersatzfreiheitsstrafe auszusprechen.
3.
Umwandlungsschlüssel bei der gemeinnützigen Arbeit
Das neue Recht sieht vor, dass vier Stunden gemeinnütziger Arbeit einem Tag
Freiheitsstrafe und einem Tagessatz Geldstrafe entsprechen (Art. 39 Abs. 2).
Dies ist ein Kompromiss zwischen Forderungen nach acht Stunden auf der
einen und nach zwei Stunden auf der anderen Seite, je nachdem, ob man
davon ausgeht, dass der Verurteilte die gemeinnützige Arbeit "vollamtlich" zu
erbringen hat oder ob sie als Freizeitstrafe für Leute gedacht ist, die einem
Beruf nachgehen und deshalb nur wenige Stunden pro Woche dafür aufbringen
können. Wird z.B. jemand statt zu acht Tagessätzen Geldstrafe zu 32 Std.
gemeinnütziger Arbeit verurteilt, trifft ihn das insofern hart, als er z.B. an vier
freien Samstagen acht Stunden arbeiten oder achtmal ½ Tag Freizeit opfern
muss. Als Folge dieses Umrechnungsschlüssels beträgt die Höchstdauer der
Arbeitsleistung 720 Stunden, d.h. 180 Tage à vier Stunden. Die ist europaweit
einmalig hoch. Im internationalen Vergleich gelten 240 Stunden als
Höchstgrenze.27 Leider nicht übernommen wurde der sinnvolle Vorschlag von
Prof. Schultz und der Expertenkommission, wegen dieses Problems
vorzusehen, dass ähnlich wie bei der bedingten Entlassung die Reststrafe bei
guter Arbeitsleistung nach ⅔ der Strafverbüssung erlassen werden kann.28
Nachfolgend werden in den Ziff. 4-6 Änderungen behandelt, die man als
"parlamentarisches Patchwork" bezeichnen könnte.
4.
Generelle Zulassung bedingter und teilbedingter Strafen
Auf Drängen der Romandie wurde zunächst bei Freiheitsstrafen von einem bis
zu drei Jahren die Möglichkeit des teilbedingten Strafvollzugs eingeführt (Art. 43
Abs. 1), mit folgenden Besonderheiten: Der zu vollziehende Teil muss
mindestens sechs Monate betragen, womit einem short-sharp-shock-Konzept
eine Absage erteilt wurde. Er darf nicht grösser sein als die Hälfte der
ausgesprochenen Strafe (Art. 42/43). Es wird deshalb in Zukunft z.B. möglich
sein, jemanden mit drei Jahren Freiheitsstrafe zu belegen und den teilbedingten
Vollzug anzuordnen. Dann muss der zu vollziehende Teil mindestens sechs
Monate betragen und darf die Hälfte, also 18 Monate, nicht übersteigen. Die
Regeln über die bedingte Entlassung sind diesfalls nicht anwendbar (Art. 43
26
27
28
Vgl. Binggeli (Anm. 9), 86.
Riklin (Anm. 17), 270.
Zur Begründung der Ablehnung vgl. Ch. Trenkel, Die gemeinnützige Arbeit und Hinweise zur
Umwandlung von Strafen nach den Bestimmungen des StGB in der Fassung vom 13.12.2002,
in: Zur Revision des Allgemeinen Teils des Schweizerischen Strafrechts und zum neuen
materiellen Jugendstrafrecht, hrsg. von F. Bänziger, A. Hubschmid, J. Sollberger, 2. Aufl., Bern
2006, 149.
13
Abs. 3 und 86).
Das Parlament liess es aber damit nicht bewenden. Kurz vor Abschluss der
Revisionsdiskussion entschied es sich, auch bei der Geldstrafe und der
gemeinnützigen Arbeit vorzusehen, dass sie unbedingt, bedingt oder bis zur
Hälfte teilbedingt ausgesprochen werden können.
5.
Verbindung bedingter Strafen mit Geldstrafen und Bussen
Die zuvor erwähnte Neuerung ist auch in Zusammenhang mit der Regelung
über die Verbindung bedingter Strafen mit Geldstrafen und Bussen zu sehen. In
zunehmendem Masse hat die Praxis Art. 50 Abs. 2 des geltenden StGB
umgesetzt, wonach bedingte Freiheitsstrafen mit Bussen kombiniert werden
können. Heute erfolgt dies in über 55% der Fälle, in denen bedingte
Freiheitsstrafen verhängt werden. Im Rahmen der Revision des
Vermögensstrafrechts wurde diese Philosophie durch Art. 172bis StGB noch
verstärkt, wonach selbst dann, wenn Vermögensdelikte ausschliesslich
Freiheitsstrafen androhen (wie z.B. der Diebstahl und der Betrug), der Richter
diese mit Busse verbinden kann. Offenbar ist nach der Vorstellung vieler
Richter eine bedingte Freiheitsstrafe keine richtige Strafe, weshalb man glaubt,
sie mit einem punitiven Element, mit einem Denkzettel, den der Sanktionierte
unmittelbar spürt, verstärken zu müssen. Dies durchkreuzt Sinn und Geist des
Instituts des bedingten Strafvollzugs, wonach vorerst eine milde Sanktion
verhängt und dem Verurteilten Gelegenheit geboten werden sollte, durch sein
späteres Verhalten beweisen zu können, dass die Sanktion genügte, um ihn
von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten.29 Im SVG-Bereich ist diese
Philosophie auch Ausdruck des erwähnten Kästchendenkens, weil
unberücksichtigt bleibt, dass in schweren Fällen der Führerausweisentzug oder
eine Verwarnung angeordnet wird, die formaljuristisch bloss als administrative
Sanktionen gelten und deshalb vom Strafrichter ausgeblendet werden.
Ich bin nicht grundsätzlich gegen die Möglichkeit dieser Kombination, doch
wäre etwas mehr Augenmass angebracht. Ferner müsste nach der in der Lehre
einhellig vertretenen Auffassung dann, wenn zwei Strafen miteinander
kombiniert werden, die Gesamtstrafe schuldangemessen sein. Dieses Anliegen
wird in der Praxis weitgehend ignoriert.
In der parlamentarischen Diskussion wollte man den heutigen Art. 50 Abs. 2
StGB sinngemäss übernehmen. Als man jedoch den Entscheid traf, den
bedingten Strafvollzug auch bei der Geldstrafe und der gemeinnützigen Arbeit
vorzusehen, vergass man, die Kombinationsnorm entsprechend anzupassen.
Deshalb gab es nach der Verabschiedung der Vorlage im Dezember 2002
grosse Diskussionen zur Frage, wie vorzugehen ist, wenn jemand z.B. wegen
erstmaligem Fahren in angetrunkenem Zustand zu einer bedingten Geldstrafe
verurteilt wird.30 Erneut wurde im Sinn des erwähnten Kästchendenkens das
Beispiel breitgeschlagen, wonach eine Übertretung zu einer unbedingten Busse
und ein Vergehen bloss zu einer bedingten Geldstrafe führen könnte. Also
29
30
Schultz (Anm. 9), 4.
Vgl. dazu Riklin (Anm. 6), 174 ff.
14
besserte man im März 2006 nach und gestattet nun, in Art. 42 Abs. 4 eine
bedingte Strafe mit einer unbedingten Geldstrafe oder einer Busse zu
kombinieren.31
6.
Unerwünschte Variantenvielfalt bei der Verhängung von Strafen
Die Zulassung von teilbedingten Freiheitsstrafen sowie des bedingten und
teilbedingten Strafvollzugs auch bei der Geldstrafe und der gemeinnützigen
Arbeit hat in Verbindung mit der Möglichkeit, bedingte Strafen mit Geldstrafen
und Bussen zu verbinden, zur Folge, dass künftig ein Richter je nach
Konstellation folgende Strafen aussprechen kann: Bedingte, teilbedingte und
unbedingte Freiheitsstrafen, bedingte, teilbedingte und unbedingte Geldstrafen,
bedingte, teilbedingte und unbedingte gemeinnützige Arbeit, ferner bei
Übertretungen unbedingte Bussen und schliesslich bei bedingten
Freiheitsstrafen, Geldstrafen und gemeinnütziger Arbeit Kombinationen dieser
Strafen mit unbedingten Geldstrafen und Bussen, um aus punitiven Gründen
dem Beschuldigten weh zu tun. Sofern eine bedingte Geldstrafe mit einer
Busse oder einer unbedingten Geldstrafe verbunden werden sollte, ist das
Ergebnis vergleichbar mit einer teilbedingten Geldstrafe, die jedoch auf andere
Weise zu Stande gekommen ist. Kein Praktiker hat sich je eine solche Vielfalt
von Alternativen gewünscht. Ungleiche Praktiken, je nach dem Gusto des
einzelnen Richters, sind vorprogrammiert.
Diese Variantenvielfalt steht im Gegensatz zu Erkenntnissen der Kriminologie,
dass im Bereich der mittleren und geringfügigeren Kriminalität die
verschiedenen Sanktionen in einem weiten Ausmass austauschbar sind (d.h. in
Bezug auf Rückfälle gleiche Erfolgschancen haben).32 Es spielt deshalb,
wenigstens aus spezialpräventiver Sicht, kaum eine nennenswerte Rolle, ob
jemand mit einer bedingten, unbedingten oder teilbedingten kurzen
Freiheitsstrafe, Geldstrafe, gemeinnütziger Arbeit oder einem Fahrverbot
sanktioniert wird. Dies haben empirische Untersuchungen belegt.33 Auch aus
der Sicht der Generalprävention ist fraglich, ob sich das Fehlen einer solchen
Variantenvielfalt negativ auswirken würde. Es gibt wie schon im
Zusammenhang mit Rasern angetönt wurde, andere das Verhalten der
Bürgerinnen und Bürger determinierende Faktoren, die einen grösseren
Einfluss haben, z.B. die Verfolgungsintensität und damit verbunden das
31
32
33
Art. 42 Abs. 4 gemäss Änderung des StGB betr. Korrekturen am Sanktions- und
Strafregisterrecht vom 24.3.2006, BBl 2006, 3557 ff.
G. Stratenwerth, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil I, Die Straftat, 3. Aufl., Bern
2005, § 2 N 21; ders. Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil II, Strafen und Massnahmen, Bern 1989, § 3 N 20; H. Schöch, Empfehlen sich Änderungen und Ergänzungen bei
den strafrechtlichen Sanktionen ohne Freiheitsentzug?, Gutachten zum 59. Deutschen
Juristentag 1992, München 1992, 22 Fn. 14; G. Kaiser, Kriminologie, Grosses Lehrbuch, 3.
Aufl., Heidelberg 1996, 979; D. Dölling, Die Weiterentwicklung der Sanktionen ohne
Freiheitsentzug im deutschen Strafrecht, ZStW 104 (1992) 259 ff., 266; K.-L. Kunz,
Kriminologie, 4. Aufl., Bern/Stuttgart/Wien 2004, § 9 N 12 und § 34 N 36.
G. Thiriet, Die Praxis im Kanton Basel-Stadt bei Fahren in angetrunkenem Zustand, Diss. Basel
1978, 133; B. Voser, Die Eignung der Busse zur Ersetzung der kurzen Freiheitsstrafen, Diss.
Basel 1985,10; S. Trechsel, Strafzumessung bei Verkehrsstrafsachen, insbesondere bei SVG
Art. 91 Abs. 1, in: Rechtsprobleme des Strassenverkehrs, Bern 1975, 71 ff., 92.
15
Entdeckungs- und Bestrafungsrisiko.
Nur nebenbei gesagt ist es ein Rätsel, wie man strafzumessungstechnisch
vorgehen soll, wenn eine bedingte Geldstrafe punitiv mit einer unbedingten
Geldstrafe verbunden wird. Denn dann müsste diese Doppelstrafe in ihrer
Gesamtheit schuldangemessen sein, d.h. man müsste bei der bedingten
Geldstrafe die Zahl der Tagessätze entsprechend reduzieren. Fazit dieser
Lösung: Es kommt wie erwähnt zu einer Variante der teilbedingten Geldstrafe,
die unter anderen Vorzeichen produziert wird. Es ist zu hoffen, dass diese
Möglichkeit toter Buchstabe bleibt und die Richter, wenn sie schon eine
bedingte Strafe punitiv verstärken wollen, diese mit einer Busse verbinden.
Grosse Rechtsgleichheitsprobleme wird es beim teilbedingten Strafvollzug
geben. Dort muss ein blosser Teilaufschub notwendig sein, "um dem
Verschulden des Täters genügend Rechnung zu tragen" (Art. 43 Abs. 1), was
immer das auch heissen mag.
Hier ist zunächst festzuhalten, dass man in den Materialien keine
Kommentierung dieser Floskel findet. Erfunden hat diese Formulierung die
Verwaltung. Sie kam einem Wunsch der Rechtskommission des Ständerates
nach. Gemäss Auskunft von zwei Mitarbeitern des Bundesamtes für Justiz
seien die Voraussetzungen nicht mehr näher schriftlich begründet und auch in
der Rechtskommission des Ständerates nicht mehr angesprochen worden! Ein
in einem entscheidenden Punkt unkommentierter Vorschlag wurde damit
Gesetz.34
M.E. steht bei der erwähnten Klausel die besondere Schuldschwere im
Vordergrund. Es geht um die Grösse des Vorwurfs, der dem Täter gemacht
werden kann und nicht darum, welche Strafe generalpräventiv als geboten
erscheint, um andere von vergleichbaren Taten abzuhalten.35 Es geht darum,
"zu prüfen, ob auf dem Hintergrund des bereits festgestellten Verschuldens
nicht eine teilweise Korrektur bei der Art des Strafvollzugs erforderlich ist."36
Die Norm ist auf Fälle zugeschnitten, wo mit Rücksicht auf Vergeltungsbedürfnisse, welche der Täter z.B. durch die besondere Verwerflichkeit seines
Handelns oder die besondere Schwere der Verletzung des betroffenen
Rechtsguts geweckt hat, die Verhängung einer vollbedingten Strafe nicht mehr
geboten erscheint.37 Nach Stratenwerth bildet die erwähnte Formulierung
"einen Freipass für wie immer begründete Vergeltungsbedürfnisse".38 Nicht
auszuschliessen ist, dass in der Praxis auch die Unsicherheit der zu stellenden
Prognose teilbedingte Strafen begünstigt, obwohl systematisch gesehen dieses
Konzept nicht mit dem Gesetzeswortlaut korrespondiert.39 Es ist auch denkbar,
34
35
36
37
38
39
G. Greiner, Bedingte und teilbedingte Strafen, Strafzumessung, in: Zur Revision des
Allgemeinen Teils des Schweizerischen Strafrechts und zum neuen materiellen
Jugendstrafrecht, hrsg. von F. Bänziger, A. Hubschmid, J. Sollberger, 2. Aufl., Bern 2006, 113 f.
Stratenwerth (Anm. 5), 164.
Greiner (Anm. 34), 116.
Riklin (Anm. 6), 185.
Stratenwerth (Anm. 21), 12.
Greiner (Anm. 34), 116.
16
dass Praktiker die Regelung auf Fälle anwenden, bei denen nach ihrer
Auffassung für den zweiten Teil der Strafe nur deshalb eine günstige Prognose
gestellt werden kann, weil der erste Teil unbedingt vollzogen wird.40
Die "Schuldschwereklausel", richtig verstanden, müsste dazu führen, dass ein
teilbedingter Vollzug nur im oberen Bereich des Strafrahmens in Frage kommt,
für den der vollbedingte Strafvollzug noch gewährt werden kann, d.h. für den
Freiheitsentzug bei Freiheitsstrafen, die gegen zwei Jahre, bei Geldstrafen die
gegen 360 Tagessätze und bei gemeinnütziger Arbeit Strafen, die gegen 720
Stunden tendieren. Dafür spricht ein wichtiges Argument, das zu Gunsten des
teilbedingten Vollzugs bei den Freiheitsstrafen immer wieder ins Feld geführt
wurde, nämlich das Dilemma des Alles oder Nichts zu verhindern, wie es heute
besteht, wenn eine Freiheitsstrafe im Bereich von 18 Monaten verhängt werden
soll.41 Es ist zu hoffen, dass in Zukunft der teilbedingte Vollzug bei
Freiheitsstrafen sogar erst dann zum Zuge kommt, wenn die Strafe zwischen
zwei und drei Jahren liegt, d. h. in einem Bereich, wo eine vollbedingte
Freiheitsstrafe nicht mehr in Frage kommt.42
IV. Auswirkungen der Reform auf die Gefangenenzahlen
Die neue Regelung enthält ein beträchtliches Potential zur Reduktion der
Gefangenenzahlen. Ein Grund ist das grundsätzliche Verbot kurzer unbedingter
Freiheitsstrafen. In den letzten Jahren wurden pro Jahr 10'000 und mehr
unbedingte Freiheitsstrafen bis zu sechs Monaten ausgesprochen (im Jahre
2004 über 13'000). Allerdings werden bereits heute 40% der unbedingten
Freiheitsstrafen durch Alternativen erfasst (Halbgefangenschaft, tageweiser
Vollzug, gemeinnützige Arbeit, Electronic Monitoring).
Weniger Einfluss wird die Konkurrenzierung unbedingter Freiheitsstrafen
zwischen sechs und zwölf Monaten durch die Tagessatzgeldstrafe haben. 2004
wurden in diesem Sektor 400 unbedingte Freiheitsstrafen verhängt, die
potentiell auf Tagessatzgeldstrafen umgepoolt werden könnten.
Ferner sollte die Erweiterung des bedingten Strafvollzugs bei Freiheitsstrafen
auf zwei Jahre und bei der teilbedingten Freiheitsstrafe auf drei Jahre
tendenziell die Zahl und die Dauer unbedingter Freiheitsstrafen reduzieren (im
Jahre 2004 wurden 236 unbedingte Freiheitsstrafen zwischen 18 und 24
Monaten und 341 unbedingte Freiheitsstrafen zwischen zwei und drei Jahren
verhängt). Allerdings ist begrenzt auch eine kontraproduktive Entwicklung
denkbar. Einerseits ist es möglich, dass bisher vollbedingte Freiheitsstrafen
zwischen zwölf und 18 Monaten zu den teilbedingten abwandern. Andererseits
40
41
42
Vgl. Greiner (Anm. 34), 116.
Kuhn (Anm. 5), 273 f. unter Hinweis auf P.-E. Rochat, La division de la peine, ZStrR 95 (1978),
82 ff.
Vgl. R. Roth, Nouveau droit des sanctions: premier examen de quelque points sensibles, ZStrR
121 (2003), 1 ff., 12 Fn. 51; dann würde auch für K.-L. Kunz, Zur Neuregelung der Sanktionen
des Schweizerischen Erwachsenenstrafrechts, ZStrR 117 (1999), 234 ff., 250 und für F. Riklin,
Die Schweizerische kriminalistische Gesellschaft (SGK) und die Strafrechtsreform - Ein
kritischer Kommentar, ZStrR 112 (1994), 432 ff., 436 f. der teilbedingte Vollzug diskutabel.
17
besteht vielleicht die Versuchung, bisherige unbedingte Freiheitsstrafen von
über 18 Monaten bis zu zwei Jahren z.B. auf 26 Monate zu erhöhen, wenn an
sich keine ungünstige Prognose besteht, der Urteilende aber um jeden Preis
eine unbedingte Freiheitsstrafe verhängen möchte. Wahrscheinlich ist aber
doch, dass insgesamt das System zu einer Reduktion der Gefangenenzahlen
führt. Weniger zu befürchten ist, dass Richter bisherige kurze unbedingte
Freiheitsstrafen unter sechs Monaten auf sechs Monate oder höher festlegen,
um der Klausel des Art. 41 auszuweichen, wonach kurze unbedingte
Freiheitsstrafen von weniger als sechs Monaten nur ausnahmsweise verhängt
werden dürfen. Wie bereits erwähnt lag bisher bei den Urteilen bis zu sechs
Monaten Freiheitsentzug das Schwergewicht auf Strafen von unter einem
Monat. Es ist daher nicht zu erwarten, dass ein Richter beispielsweise eine
bisherige unbedingte Freiheitsstrafe von 14 Tagen auf sechs Monate erhöhen
wird und kann, nur um zu erreichen, dass der Betroffene ins Gefängnis gehen
muss. Zudem wird sich auch die Regelvollzugsform der Halbgefangenschaft für
Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr (Art. 77b) tendenziell günstig auf die Zahl der
stationären Freiheitsstrafen auswirken. Ferner kann neu nach Art. 86 Abs. 4 der
Gefangene bereits nach der Hälfte seiner Strafe bedingt entlassen werden,
wenn ausserordentliche, in der Person des Gefangenen liegende Umstände
dies rechtfertigen.
B.
Massnahmen
Die Regeln über die Massnahmen (Art. 56 ff. nStGB) wurden stark überarbeitet.
Allerdings wird am Grundkonzept des alten Massnahmenrechts festgehalten.43
Das künftige Recht kennt als stationäre therapeutische (und damit bessernde)
Massnahmen ähnlich wie heute die Behandlung von psychischen Störungen,
die Suchtbehandlung und die Massnahmen für junge Erwachsene.
Für alle diese Massnahmen gilt das dualistisch-vikariierende System, also neu
auch für die Massnahmen für junge Erwachsene.
Wie im bisherisgen Recht kann die Massnahme der Behandlung von
psychischen Störungen und der Suchtbehandlung auch ambulant angeordnet
werden.
Als isolierende Massnahme kennt das Gesetz die (Sicherungs-)Verwahrung.
Die Verwahrung von Gewohnheitsverbrechern nach Art. 42 StGB wurde
demgegenüber aufgehoben.
Mit den Verwahrungsregeln soll der Schutz vor gefährlichen Gewalttätern
verstärkt und dem Bedürfnis nach Sicherheit Rechnung getragen werden. Diese
Vorschriften sind aus rechtstaatlicher Sicht in verschiedener Hinsicht
problematisch.
43
M. Heer, Das neue Massnahmenrecht zum ersten, zum zweiten, zum dritten …, Anwaltsrevue
2005, 303 ff., 303.
18
I.
44
Positive Aspekte
1.
Allgemeine Grundsätze
Ein wesentliches Anliegen war es, bei der Umschreibung der
Voraussetzungen und für die Durchführung dieser Sanktionen den
rechtstaatlichen Grundsätzen stärker Beachtung zu schenken. Deshalb
geht den einzelnen Massnahmen in den Art. 56-58 eine Art allgemeiner
Teil voraus, wo u.a. Grundsätze wie das Prinzip der Verhältnismässigkeit
und der Subsidiarität festgehalten sind.
2.
Untherapierbarkeit als Verwahrungsvoraussetzung
Im bisherigen Recht war in Art. 43 StGB unklar, wie es sich mit
gemeingefährlichen aber therapierbaren Straftätern verhält. Lange Zeit
ging die Praxis davon aus, eine Verwahrung setze die Untherapierbarkeit
des Täters voraus. Im Rahmen einer Aufweichung meinte später das
Bundesgericht, eine Verwahrung sei nicht nur bei hochgefährlichen
untherapierbaren Tätern möglich, sondern auch bei Leuten, die zwar
therapierbar, aber kurz- und mittelfristig gefährlich sind, weil sie nicht
sofort auf Therapien ansprechen.44 Im neuen Recht ist nun die
Untherapierbarkeit eine Verwahrungsvoraussetzung. Es wird ausdrücklich
gesagt, eine Verwahrung komme nur in Frage, wenn die Anordnung einer
Massnahme zur Behandlung von psychischen Störungen keinen Erfolg
verspreche (Art. 64 Abs. 1 lit. b). Ferner hat gemäss Art. 64 Abs. 3 die
zuständige Behörde zum Zeitpunkt, in welchem der Täter voraussichtlich
aus dem Vollzug der Freiheitsstrafe entlassen werden und die
Verwahrung antreten kann, die Voraussetzungen einer stationären
therapeutischen Behandlung nach Art. 59 zu überprüfen. Und schliesslich
kann nach Art. 65 Abs. 1 das Gericht auch bei einer Verwahrung
nachträglich eine stationäre therapeutische Massnahme anordnen, wenn
deren Voraussetzungen erfüllt sind.
3.
Gesicherte therapeutische Behandlung bei schweren Straftaten (Art.
59 Abs. 3)
Im Lichte des zuvor Gesagten ist Art. 59 Abs. 3 StGB zu sehen. Danach
ist eine gesicherte therapeutische Behandlung bei Personen vorgesehen,
die besonders schwere Delikte im Sinn von Anlasstaten des Verwahrungstatbestandes (Art. 64 Abs. 1) begangen haben. Während heute solche
Verwahrte, auch wenn sie therapierbar sind, mangels geeigneter
Einrichtungen meist undifferenziert in Strafanstalten gehalten werden,
müsste es sich bei diesen neuen gesicherten Vollzugseinrichtungen um
geschlossene psychiatrische Institutionen, geschlossene Massnahmenvollzugsanstalten oder allenfalls getrennte Abteilungen einer geschlossenen Strafanstalt handeln. Die Kantone erhalten eine zehnjährige Frist,
solche Einrichtungen zu schaffen. Vor grossen Erwartungen wird jedoch
BGE 118 IV 108, 113; 121 IV 297, 301 f.
19
gewarnt.45 In den parlamentarischen Behandlungen wurden finanzielle
Konsequenzen verneint,46 obwohl schon heute grosse Kapazitätsengpässe bei therapeutisch orientierten und gleichzeitig gesicherten
Einrichtungen bestehen. Man kann gespannt sein, ob und wie die Kantone
diesem Anliegen Rechnung tragen oder ob die bestehenden
unbefriedigenden Vollzugsgegebenheiten weiterdauern.
4.
Anlasstaten bei der Verwahrung
Positiv zu bewerten ist ferner, dass bei der Verwahrung die Anlassdelikte
besonders spezifiziert werden, dies im Unterschied zu den
therapeutischen Massnahmen, wo man sich begnügt, deren Anordnung
allgemein von einem "Verbrechen oder Vergehen" abhängig zu machen.47
Art. 64 enthält einen Deliktskatalog mit besonders schweren Straftaten. Er
wurde im Rahmen der Nachbesserung auf Delikte mit einer Höchststrafe
von mindestens 5 Jahren erweitert.48 Voraussetzung ist ferner, dass durch
ein solches Delikt eine schwere Beeinträchtigung der physischen,
psychischen oder sexuellen Integrität des Opfers erfolgt und der Täter
einen entsprechenden Vorsatz hat. Damit wird mit der Verwahrung
faktisch auf Gewalt- und Sexualdelikte reagiert.
II.
Problempunkte
1.
Annahme der Gemeingefährlichkeit aufgrund einer Gesamtbeurteilung
von Persönlichkeitsmerkmalen sowie Tat- und Lebensumständen
Was die verwahrbaren Personen anbetrifft lässt der Gesetzeswortlaut zwei
Varianten zu. Erfasst werden einerseits Personen mit "anhaltenden und
langdauernden psychischen Störungen von erheblicher Schwere". Andererseits
wurde im Unterschied zum geltenden Recht eine in dieser Form bisher nicht
bekannte Möglichkeit der Internierung geschaffen; die Verwahrung soll auch bei
normal schuldfähigen, nach den Kriterien der Psychiatrie nicht kranken
Menschen möglich sein, die aufgrund einer Gesamtbeurteilung von
Persönlichkeitsmerkmalen sowie Tat- und Lebensumständen als gefährlich
taxiert werden, d.h. wenn zu erwarten ist, dass sie weitere Taten im Sinn der
Anlassdelikte begehen.49 Es wird auf das Merkmal einer klar definierten
psychiatrischen Diagnose nach den bestehenden Klassifikationssystemen
45
46
47
48
M. Heer, Einige Schwerpunkte des neuen Massnahmenrechts, ZStR 2003, 276 ff., 393 f.
Vgl. Heer (Anm. 45), 388.
Vgl. Heer (Anm. 43), 305.
Art. 64 Abs. 1 gemäss Änderung des StGB betreffend Korrekturen am Sanktions- und
Strafregisterrecht vom 24.3.2006, BBl 2006, 3557 ff.
Dazu kritisch z.B. H. Wiprächtiger, Die Revision des Strafgesetzbuches: Freiheitsentziehende
Massnahmen - Eine Bestandesaufnahme nach den Beratungen des Ständerates, AJP 2001,
139 ff., 143 f.; G. Stratenwerth, Die freiheitsentziehenden Massnahmen im bundesrätlichen
Entwurf für die Revision des Allgemeinen Teils des StGB, ZStrR 1999, 277 ff., 286 ff.; ders.,
Neuere Tendenzen im Massnahmenrecht: Vereinbarkeit mit rechtsethischen Grundsätzen, AJP
2000, 1345 ff., 1348 f.; relativierend Heer (Anm. 45), 400 f.
49
20
verzichtet.50 Bei diesem Verwahrungsgrund stellt sich deshalb im besonderen
Mass die Prognoseproblematik. Ein Anknüpfen an so vage Begriffe ist
rechtsstaatlich fragwürdig,51 namentlich auch unter Berücksichtigung der
Tatsache, dass selbst erstmalige Täter verwahrt werden können.
2.
Fehlen des Erfordernisses eines fehlgeschlagenen Therapieversuchs
Einem alten Postulat der Wissenschaft, wonach Untherapierbarkeit erst nach
dem Scheitern eines Therapieversuchs zuverlässig beurteilt werden kann und
ein entsprechender Misserfolg Voraussetzung der Verwahrung sein sollte,52
wurde gesetzlich nicht Rechnung getragen, dies wohl angesichts der ohnehin
unbefriedigenden Vollzugsgegebenheiten.53 Es ist zu beachten, dass nur in
relativ wenigen Fällen eine absolute Unbehandelbarkeit anzunehmen ist.54
Gelegentlich ist es möglich, dem Anliegen eines Therapieversuchs über den
vorzeitigen Massnahmenantritt Rechnung zu tragen.
3.
Entlassung aus der Verwahrung
Die Zahl der jährlich ausgesprochenen Verwahrungen hat in den letzten 20
Jahren nicht zugenommen, jedoch finden seit 1994 kaum mehr Entlassungen
statt. Das belegt die im Anhang abgedruckte Statistik. Danach entsprach bis
Ende 1993 die Zahl der Einweisungen in etwa der Zahl der Austritte. Seither
besteht ein jährlicher Überhang von rund 15 Verwahrten. Was den Zeitpunkt
dieser Zäsur anbetrifft zeigt sich deutlich die Auswirkung des Mordes auf dem
Zollikerberg am 13. Oktober 1993. Dieser Mord hat sich auch auf die öffentliche
Diskussion ausgewirkt. Während bis zu diesem Zeitpunkt die Verwahrung eher
ein Nebenkriegsschauplatz war, wurde sie in der Folge zu einem zentralen
Thema, welches auch die parlamentarischen Beratungen stark prägte.
Zählt man diese Überhänge bis ins Jahr 2001 zusammen, kommt man auf
knapp 100 neue Verwahrte, was zum gesamtschweizerischen Totalbestand an
rund 160 Verwahrten anfangs 2004 führte. Seither sind gemäss Aussagen des
Bundesamtes für Statistik wiederum rund 14 Personen pro Jahr verwahrt und
kaum Entlassungen vorgenommen worden, so dass der Gesamtbestand an
Verwahrten weiter steigt. Niemand will mehr die Verantwortung zur Entlassung
von Verwahrten übernehmen.
Nach der AT-Revision besteht die Gefahr, dass sich diese Entwicklung noch
verschlimmert, denn rechtlich werden die Anforderungen an die Entlassung aus
einer Verwahrung verschärft. Bei therapeutischen Massnahmen ist eine
bedingte Entlassung möglich, sobald der Zustand des Betroffenen es
rechtfertigt, dass ihm Gelegenheit gegeben wird, sich in der Freiheit zu
50
51
52
53
54
Heer (Anm. 43), 306.
Vgl. Heer (Anm. 43), 306.
Vgl. Heer (Anm. 43), 306; dies. (Anm. 45), 404 f.; G. Stratenwerth, Das künftige System der
Sanktionen im Erwachsenenstrafrecht - ein kriminologischer Fortschritt?, in: Schweizerische
Arbeitsgruppe für Kriminologie, Zwischen Mediation und Lebenslang, hrsg. von V. Dittmann/A.
Kuhn/R. Maag/H. Wiprächtiger, Chur/Zürich 2002, 371 ff., 382.
Vgl. dazu Heer (Anm. 45), 386 ff.
Heer (Anm. 43), 306.
21
bewähren (Art. 62 Abs. 1). Bei der bedingten Entlassung aus der Verwahrung
dagegen hat das Gesetz die Erwartung, dass sich der Betroffene in Freiheit
bewährt (Art. 64a). Sachverständige und Entscheidungsträger müssten
überzeugt sein, dass der Betroffene künftig keine einschlägigen Delikte mehr
begeht.55 Eine hohe Wahrscheinlichkeit des Wohlverhaltens wird verlangt.56
Die begründete Aussicht auf eine Bewährung genügt noch nicht.57 Dies sind
hohe Anforderungen. Zweifel gehen zu Lasten des Betroffenen.58 Es ist der
negative Beweis der Ungefährlichkeit zu erbringen.59
Immerhin, selbst der bekannte Psychiater Urbaniok hat inzwischen gemäss
einem Artikel in der Sonntagszeitung vom 8. Januar 2006 erkannt, dass es so
nicht weitergehen kann. Er sagte: "Wir sind heute zu restriktiv, so sollte es nicht
weitergehen. … Mit mindestens der Hälfte der Verwahrten sollten die Behörden
den Versuch wagen, sie mit intensiven Therapien auf eine Freilassung
vorzubereiten." Über Verwahrte herrschten falsche Vorstellungen, meinte er
weiter. Der Wunsch nach Null-Risiko gehe zu weit. Von 100 Tätern mit einem
einprozentigen Risiko werde eine Person rückfällig, 99 nicht. Werde dieses
Risiko nicht eingegangen, würden 99 Personen weggesperrt, die nicht rückfällig
würden.
4.
Nachträgliche Verwahrung gemäss Art. 65 Abs. 2
Durch die Nachbesserung vom 24. März 200660 wurde die nachträgliche
Verwahrung einer nur zu einer Freiheitsstrafe verurteilten Person ermöglicht
(Art. 65 Abs. 2 StGB). Hintergrund der Schaffung dieser Norm waren
angebliche menschliche Zeitbomben, die wegen schwerer Straftaten zu langen,
aber zeitlich begrenzten Freiheitsstrafen verurteilt worden waren und deren
Gemeingefährlichkeit sich im Strafvollzug angeblich zeigte. Mit der
nachträglichen Verwahrung kann die Entlassung aus der Freiheitsstrafe
verhindert werden.
Die neue Regelung ist als Revision zu Ungunsten des Verurteilten ausgestaltet,
d.h. es müssen neue Beweismittel oder Tatsachen vorliegen, von denen das
seinerzeit urteilende Gericht keine Kenntnis hatte und die belegen, dass die
Voraussetzungen der Verwahrung bereits im Urteilszeitpunkt bestanden. Die
Regelung ist vermutlich mit höherem Recht vereinbar. Namentlich dürfte der
Grundsatz ne bis in idem gemäss Art. 4 des 7. Protokolls zur EMRK nicht
verletzt sein, da diese Vorschrift die Wiederaufnahme ausdrücklich vorbehält.
Dennoch ist zweifelhaft, ob diese Norm praktische Bedeutung erlangt.61
Zunächst dürfte es heute weniger häufig vorkommen, dass man Leute, statt sie
55
56
57
58
59
60
61
Heer (Anm. 43), 307.
Heer (Anm. 43), 307, dies. (Anm. 45) 412.
Vgl. Anm. 56.
Heer (Anm. 43), 307.
Heer (Anm. 45), 412.
Änderung des StGB betreffend Korrekturen am Sanktions- und Strafregisterrecht vom
24.3.2006, BBl 2006, 3557 ff.
Dazu eingehend Heer (Anm. 43,) 305.
22
zu verwahren, mit langen, zeitlich begrenzten Freiheitsstrafen belegt, weil man
stärker für die Verwahrungsproblematik sensibilisiert ist. Zudem wird es nicht
einfach sein, eine Prognose über das künftige Verhalten eines Betroffenen
aufgrund von Tatsachen abzugeben, die unter den Bedingungen eines
geschlossenen Strafvollzugs beobachtet wurden.62 Schliesslich wird es
schwierig sein, eine nachträglich auftretende vermeintliche Gemeingefährlichkeit, die beispielsweise in Drohungen zum Ausdruck kommt, auf Faktoren
zurückzuführen, die bereits vor der Verurteilung vorlagen.
5.
Nachträgliche therapeutische Massnahme gemäss Art. 65 Abs. 1 und Art.
62c Abs. 3 bzw. 6 sowie Umwandlung einer therapeutischen Massnahme
in eine Verwahrung gemäss Art. 62c Abs. 4
Neu ist die generelle Möglichkeit nach Art. 65, eine Freiheitsstrafe nachträglich
in eine stationäre therapeutische Massnahme umzuwandeln.63 Ferner kann
nach dem Scheitern einer stationären Behandlung statt des Strafvollzugs ohne
Weiteres auch eine andere stationäre Massnahme angeordnet werden (Art. 62c
Abs. 3 bzw. 6), u.U. eine potentiell lebenslängliche anstelle einer zeitlich
limitierten. Und noch weitergehender: Eine stationäre therapeutische
Behandlung kann gemäss Art. 62c Abs. 4 unter bestimmten Voraussetzungen
gar in eine Verwahrung umgewandelt werden.
Trotz allem Verständnis für das Bedürfnis nach Flexibilität im Massnahmenrecht
besteht für mich beim Wechsel von Freiheitsstrafen in stationäre Massnahmen
und von einer Massnahme zu einer anderen, insbesondere einer zeitlich
limitierten in eine potentiell lebenslängliche sowie beim Wechsel einer
therapeutischen Massnahme in eine Verwahrung ein bisher nicht diskutiertes
Problem, namentlich der Konformität mit dem Grundsatz "ne bis in idem".
C.
Strafzumessung und Strafbefreiung
Die Strafzumessungsgrundregel ist grosso modo gleich geblieben (Art. 47). Die
Strafmilderungsregeln werden vereinfacht. Die Wirkung ist vergleichbar mit der
bisherigen Strafmilderung nach freiem Ermessen.
Was die Strafschärfung anbetrifft, existiert nur noch der Strafschärfungsgrund
der Konkurrenz (Art. 49). Die Regel ist vergleichbar mit Art. 68 des geltenden
Rechts. Eine Gesamtstrafenbildung findet im Fall der Konkurrenz von
Freiheitsstrafen, Geldstrafen und Gemeinnütziger Arbeit statt. Die Strafen der
weniger schweren Straftaten können nach dem bekannten Schlüssel (ein Tag
Freiheitsstrafe = ein Tagessatz = vier Stunden Arbeit) der schwersten Straftat
angepasst werden. Auch innerhalb von Bussen gilt das Asperationsprinzip und
nicht die Kumulation, hingegen werden Übertretungsbussen mit Strafen für
Verbrechen und Vergehen kumuliert.64
62
63
64
Heer (Anm. 43), 308.
Heer (Anm. 43), 307, dies. (Anm. 45), 414.
Kommentierte Textausgabe zum revidierten Strafgesetzbuch, hrsg. von T. Hansjakob/H.
Schmitt/J. Sollberger, Luzern 2004, Art. 47.
23
Was Strafbefreiungsgründe anbetrifft, kennt das künftige Recht zusätzlich zum
heutigen Art. 66bis (Betroffenheit des Täters durch seine Tat) zwei weitere
Strafbefreiungsgründe: Fehlendes Strafbedürfnis und Wiedergutmachung (Art.
52ff).
Strafbefreiung bedeutet: Schuldspruch ohne Sanktion. Die neuen Regeln sehen
wie bereits Art. 66bis ausdrücklich vor, dass in Strafbefreiungsfällen bereits auf
die Strafverfolgung oder die Überweisung an das Gericht verzichtet werden
kann. Es besteht weiterhin die unbefriedigende Situation, dass dann, wenn es
zum Urteil kommt, gemäss dem eindeutigen Gesetzeswortlaut nur ein Absehen
von Strafe möglich ist und damit ein Schuldspruch erfolgen muss, derweil das
Gesetz während des Verfahrens eine Einstellung gestattet.
Die neue Norm über die Wiedergutmachung ist sicher sinnvoll.
Die Norm über das fehlende Strafbedürfnis wird praktisch völlig bedeutungslos
bleiben, weil kumulativ Geringfügigkeit der Schuld und des Unrechts verlangt
werden. Denn in der Schweiz hat man in ganz vielen Fällen bewusst Bagatellen
kriminalisiert. Deshalb wird es nicht möglich sein, mit dem Strafbefreiungsgrund
des fehlenden Strafbedürfnisses die Intentionen des Gesetzgebers zu
durchkreuzen, sondern die Strafbefreiung wird nur zur Anwendung gelangen
können, wenn sich ein leichter Fall qualitativ von anderen leichten Fällen
unterscheidet. Diese Erfahrung haben bereits jene Kantone gemacht, die
diesen Strafbefreiungsgrund im Rahmen des gemässigten Opportunitätsprinzips in ihrer Strafprozessordnung bereits kennen.
Insgesamt führen diese drei Strafbefreiungsgründe aus prozessualer Sicht zu
keiner nennenswerten Entlastung. Leider ist auch in der bundesrätlichen
Botschaft für eine gesamtschweizerische Strafprozessordnung dem
Opportunitätsaspekt zu wenig Rechnung getragen worden. Namentlich bei
komplexen Wirtschaftskriminalitätsprozessen müsste es unbedingt grössere
Möglichkeiten des Verzichts auf das Legalitätsprinzip geben, weil das heutige
wie auch das künftige Strafprozessrecht wenig taugen, um solche Prozesse
adäquat, d. h. in einer vernünftigen Frist und mit vertretbarem Aufwand zu
erledigen.65
D.
Schlusskommentar
Wie aufgezeigt wurde führte das Parlament zahlreiche Neuerungen ein, deren
Konsequenzen schwer abzuschätzen sind. Deshalb sind Zukunftsprognosen
über die Auswirkungen dieser Revision erschwert. Vieles wird auch davon
abhängen, wie sich die Praxis mit den neuen Vorschriften arrangiert und wie
das Bundesgericht in seinen ersten Grundsatzentscheiden reagiert.
Einiges hängt sicher auch von der weiteren Entwicklung des Zeitgeistes in
Bezug auf das Verhalten gegenüber Kriminalität ab. In der Geburtsphase dieser
Revision hatte man liberale Vorstellungen zur Frage, welche Aufgaben das
Strafrecht zu erfüllen hat und was es im Rahmen der Kriminalpolitik zu leisten
65
F. Riklin, Die Strafprozessrechtsreform in der Schweiz, Goltdammer's Archiv für Strafrecht
2006, 495 ff., 505.
24
vermag. Inzwischen haben Kriminalitätsfurcht, repressives Denken und ein
grosser Glaube an die Effizienz des Strafrechts stark zugenommen. Der
repressivere Trend zeigt sich z.T. im Anzeigeverhalten, in dem bestimmte
Delikte häufiger angezeigt werden, ferner in der zunehmenden Tendenz,
bedingte Strafen mit unbedingten zu kombinieren, in der Regelung der
Verwahrung und in der fehlenden Bereitschaft, Verwahrte zu entlassen.
Allerdings ist die Entwicklung insofern zwiespältig, als sich all dies bisher nicht
auf die Dauer längerer Freiheitsstrafen und auf die Zahl neuer Verwahrungen
ausgewirkt hat. Auch wird jetzt - scheinbar im Widerspruch zum geschilderten
Klimawandel - die kurze unbedingte Freiheitsstrafe zurückgedrängt, der
bedingte Strafvollzug bei Freiheitsstrafen verlängert, das Resozialisierungsziel
weiterhin hoch gehalten, die Entlassung in bestimmten Fällen bereits nach der
Hälfte der Strafdauer ermöglicht und als Regelvollzug für Freiheitsstrafen bis zu
einem Jahr die Halbgefangenschaft deklariert, abgesehen von Bestrebungen,
das Electronic Monitoring zu institutionalisieren. Auch im Strafrecht zeigt sich
die Widersprüchlichkeit unserer Zeit.
25
Verurteilungen zu einer Verwahrung
42 StGB
43 Z.1Abs.2
Entlassungen aus Verwahrung / Überweisung in Heim
oder Klinik / Tod
Total
42 StGB
43 Z. 1 Abs. 2
Total
1984
16
15
31
19 / 0 / 0
11 / 3 / 2
35
1985
25
16
41
24 / 1 / 0
10 / 3 / 0
38
1986
17
10
27
17 / 0 / 0
6/0/0
23
1987
15
12
27
21 / 1 / 1
8/1/1
33
1988
14
13
27
19 / 0 / 2
7/1/0
29
1989
15
14
29
25 / 0 / 0
5/1/0
31
1990
5
16
21
11 / 0 / 0
10 / 4 / 0
25
1991
7
8
15
11 / 0 / 0
3/4/0
18
1992
5
10
15
10 / 0 / 0
7/2/0
19
1993
6
9
15
11 / 0 / 1
4/1/0
17
1994
6
17
23
10 / 0 / 0
2/1/0
13
1995
7
17
24
3/0/0
6/1/0
10
1996
5
10
15
3/1/1
1/0/0
6
1997
3
13
16
3/0/0
1/1/0
5
1998
2
12
14
3/0/0
1/0/0
4
1999
4
14
18
6/0/1
1/1/0
9
2000
2
20
22
0/0/0
2/2/1
5
2001
2
21
23
4/0/0
0/1/2
7
2002
0*
11*
11*
4/0/0
0/3/1
8
2003
0*
14*
14*
0/0/1
1/2/0
4
2004
1*
11*
12*
0/0/1
1/2/0
4
2005
1*
12*
13*
0/0/1
1/2/0
4
*
Provisorische Zahl, da noch nicht rechtskräftig gewordene Urteile später registriert werden können.
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Stand der Datenbank 1984-2003: 16.01.2004; Stand der Datenbank 2003-2005: 30.08.2006
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