Prof. Dr. F. Riklin Lehrstuhl für Strafrecht und Strafprozessrecht Universität Freiburg Strafen und Massnahmen im Überblick1 Einleitung................................................................................................................ 2 A. Strafen ......................................................................................................... 2 I. Einsatz gegen welche Kriminalität? ....................................................... 2 II. Positive Aspekte der Strafenreform ....................................................... 4 1. Ersatz unbedingter kurzer Freiheitsstrafen.................................... 4 2. Tagessatz-Geldstrafe .................................................................... 5 3. Verwirklichung der gemeinnützigen Arbeit als eigenständige Sanktion ........................................................................................ 7 4. Einführung der Einheitsfreiheitsstrafe............................................ 8 5. Erweiterung des bedingten Strafvollzugs bei Freiheitsstrafen....... 9 III. Schwachpunkte der Strafenreform ...................................................... 10 1. Verzicht auf das Fahrverbot als strafrechtliche Sanktion............. 10 2. Umständliche Sanktionierung von Übertretungen ....................... 11 3. Umwandlungsschlüssel bei der gemeinnützigen Arbeit .............. 12 4. Generelle Zulassung bedingter und teilbedingter Strafen ........... 12 5. Verbindung bedingter Strafen mit Geldstrafen und Bussen ........ 13 6. Unerwünschte Variantenvielfalt bei der Verhängung von Strafen 14 IV. Auswirkungen der Reform auf die Gefangenenzahlen ........................ 16 B. 1 Massnahmen ............................................................................................. 17 I. Positive Aspekte .................................................................................. 18 Artikelnummern ohne Zusatz beziehen sich auf die künftige Fassung des StGB. 2 II. C. D. 1. Allgemeine Grundsätze ............................................................... 18 2. Untherapierbarkeit als Verwahrungsvoraussetzung .................... 18 3. Gesicherte therapeutische Behandlung bei schweren Straftaten (Art. 59 Abs. 3) ............................................................................ 18 4. Anlasstaten bei der Verwahrung ................................................. 19 Problempunkte..................................................................................... 19 1. Annahme der Gemeingefährlichkeit aufgrund einer Gesamtbeurteilung von Persönlichkeitsmerkmalen sowie Tatund Lebensumständen................................................................ 19 2. Fehlen des Erfordernisses eines fehlgeschlagenen Therapieversuchs........................................................................................... 20 3. Entlassung aus der Verwahrung ................................................. 20 4. Nachträgliche Verwahrung gemäss Art. 65 Abs. 2...................... 21 5. Nachträgliche therapeutische Massnahme gemäss Art. 65 Abs. 1 und Art. 62c Abs. 3 bzw. 6 sowie Umwandlung einer therapeutischen Massnahme in eine Verwahrung gemäss Art. 62c Abs. 4............................................................................. 22 Strafzumessung und Strafbefreiung........................................................... 22 Schlusskommentar .................................................................................... 23 Grafik zum Sanktionensystem .............................................................................. 24 Statistik Verurteilungen zu einer Verwahrung und Entlassungen ......................... 25 Einleitung Die folgenden Ausführungen skizzieren summarisch das neue Sanktionensystem. Zu verschiedenen Einzelfragen wird in gesonderten Beiträgen Stellung genommen. Einzelne Überschneidungen waren nicht zu vermeiden. Einen ersten Überblick verschafft die im Anhang angefügte Grafik zum Sanktionensystem.2 A. Strafen Die Strafen und dann auch die Massnahmen (vgl. nachstehend B) sind das "pièce de résistance" der AT-Revision. I. Einsatz gegen welche Kriminalität? Für das Verständnis der Auswirkungen des neuen Strafensystems ist ein kurzer 2 Diese Grafik wurde im schweizerischen Ausbildungszentrum für das Strafvollzugspersonal in Freiburg erstellt. 3 Blick auf die Verurteilungspraxis nach geltendem Recht zu werfen.3 Nur eine Minderheit der jährlichen Verurteilungen entfällt auf das Strafgesetzbuch. Im Jahre 2004 waren es nicht ganz 31% aller Verurteilungen. Über 54% entfielen auf Verstösse gegen das Strassenverkehrsgesetz, rund 11,5% auf das Betäubungsmittelgesetz, rund 10,5% auf das ANAG, nicht ganz 1% auf das Militärstrafgesetz und der Rest (rund 7,5%) auf Verstösse gegen andere Bundesgesetze. Gemäss der schweizerischen Urteilsstatistik wurden im Jahre 2004 fast 96'000 Urteile gefällt, davon entfielen rund 15'000 auf unbedingte Freiheitsstrafen (15,3%), fast die Hälfte (44'500) auf bedingte Freiheitsstrafen (47,6%), rund 35'000 auf Bussen (36,5%)4 und rund 550 auf Massnahmen (0,6%). Rund 90% aller unbedingten Freiheitsstrafen und rund 96% aller bedingten Freiheitsstrafen bewegten sich im Bereich bis zu 6 Monaten Freiheitsentzug. Bei diesen Urteilen lag das Schwergewicht bei Freiheitsstrafen bis zu einem Monat. 98,5% aller (bedingten und unbedingten) Freiheitsstrafen überschritten 18 Monate nicht. Die Zahl der Urteile mit (unbedingten) Freiheitsstrafen über 18 Monaten lag bei nicht ganz 900. Ein interessantes Bild zeigt auch die Entwicklung in den letzten zwanzig Jahren. Nimmt man die schweizerische Urteilsstatistik zum Gradmesser für die Kriminalitätsentwicklung, ergibt sich folgendes Bild: Die Verurteilungen haben seit 1984 bis 2004 um 68% zugenommen, d.h. von rund 57'000 auf rund 96'000. In dieser Zeit ist die Bevölkerung lediglich um 15% gewachsen. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass der Löwenanteil dieser Zunahme auf das SVG und das BetmG entfällt, wo eine Verdoppelung stattfand und auf das ANAG, wo gar eine Verdreifachung erfolgte. Beim SVG lässt sich die Erhöhung mit der Zunahme des Verkehrs erklären. Bei Verstössen gegen das Betäubungsmittelgesetz besteht ein Zusammenhang mit der Drogensituation und mit der praktizierten Drogenpolitik. Ferner handelt es sich bei SVG- und Betäubungsmitteldelikten um sog. Kontrolldelikte, d.h. die Registrierung (und Verurteilung) wird durch die Kontrollintensität der Polizei beeinflusst. Im StGB-Bereich hat sich die Zahl der Verurteilungen zwischen 1984 und 2001 nicht verändert. Sie verharrte auf der Höhe von ungefähr 22'000 Verurteilungen pro Jahr, was angesichts der Bevölkerungszunahme und der laufenden "Produktion" neuer Strafbestimmungen einer Verringerung gleichkommt. Zwischen 2002 und 2004 ist allerdings eine jährliche Erhöhung von rund 22'000 Verurteilungen auf rund 29'500 festzustellen. Zahlreiche Indizien sprechen dafür, dass dieser "Schwenker" kaum eine Kriminalitätszunahme indiziert, sondern dass es sich einerseits um Folgen von Gesetzesänderungen und andererseits um Nachwehen eines veränderten Anzeigeverhaltens handelt. So nahm wegen der Einführung des Verbots des Besitzes harter Pornografie im 3 4 Die nachstehenden statistischen Angaben beruhen auf Unterlagen des Bundesamtes für Statistik. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass Übertretungsbussen mit wenigen Ausnahmen in der Urteilsstatistik nicht registriert sind, weshalb in Wirklichkeit der Bussenanteil sehr viel höher liegt. 4 Jahre 2002 in dieser Zeitperiode die Zahl der Verurteilungen wegen Pornographie um 124% zu. Begrenzt hat sich auch die Gesetzesänderung über die Strafverfolgung in der Ehe und in der Partnerschaft ausgewirkt, die am 1. April 2004 in Kraft trat, wonach häusliche Gewalt zu einem Offizialdelikt wurde. Das hat sich namentlich bei Körperverletzungen und Hausfriedensbrüchen ausgewirkt. Für eine Änderung des Anzeigeverhaltens spricht namentlich die Zunahme der Verurteilungen wegen Gewalt und Drohung gegen Beamte um 43%. Diese Delikte haben kaum zugenommen, hingegen wurde namentlich die Polizei angewiesen, bei Drohungen etc. aus Anlass von Amtshandlungen konsequent Anzeige zu erstatten. Die Zunahme der Verurteilungen wegen einfacher Körperverletzung um 32% dürfte im Wesentlichen sowohl auf einer Änderung des Anzeigeverhaltnes beruhen, als auch auf den Folgen des erwähnten Gesetzes über die Strafverfolgung in der Ehe und in der Partnerschaft. Interessant ist die Entwicklung der Häufigkeit der ausgesprochenen unbedingten Freiheitsstrafe aus der Sicht ihrer Dauer. Eine Zunahme fand zwischen 1984 und 2004 nur bei Verurteilungen zu Freiheitsstrafen bis zu drei Monaten statt. Verurteilungen über drei Monate haben in allen Kategorien entweder abgenommen oder sind stabil geblieben, abgesehen von den Verurteilungen zwischen 10 und 15 Jahren, wo aber die Statistik wegen des geringen Zahlenmaterials nicht sehr aussagekräftig ist. II. Positive Aspekte der Strafenreform 1. Ersatz unbedingter kurzer Freiheitsstrafen Ein wichtiges Ziel der Revision war der Ersatz unbedingter kurzer Freiheitsstrafen mit ihren oft desintegrierenden Auswirkungen durch Alternativen. Nach neuem Recht können sie nur noch unter sehr restriktiven Voraussetzungen verhängt werden, nämlich dann, wenn die Voraussetzungen für eine bedingte Strafe nicht gegeben sind (also - etwas salopp ausgedrückt eine ungünstige Prognose besteht) und zudem zu erwarten ist, dass eine Geldstrafe oder gemeinnützige Arbeit nicht vollzogen werden kann (Art. 41 Abs. 1). Das ist z.B. dann der Fall, wenn jemand nicht in der Lage ist, eine Geldstrafe zu bezahlen, und auch gemeinnützige Arbeit nicht leisten will oder kann. Dies kann bei einem Kriminaltouristen der Fall sein, der wenig Geld auf sich trägt und sich nach einem Delikt möglichst rasch ins Ausland verziehen will. Es verbleibt neben Art. 41 StGB noch ein zweites Schlupfloch für kurze unbedingte Freiheitsstrafen, nämlich dann, wenn jemand eine Geldstrafe schuldhaft nicht bezahlt oder entsprechend gemeinnützige Arbeit nicht leistet (Art. 41 Abs. 3 bzw. 36 und 39 StGB). Abgesehen von diesen Sonderfällen tritt dann, wenn bisher jemand mit einer unbedingten oder bedingten Freiheitsstrafe von weniger als sechs Monaten belegt wurde, in Zukunft an ihre Stelle eine unbedingte oder bedingte Geldstrafe oder gemeinnützige Arbeit. Von den rund 96'000 Urteilen des Jahres 2004 wären von dieser neuen Regelung, wenn sie schon gegolten hätte, 47'000 5 Verurteilungen (zu Freiheitsstrafen) betroffen gewesen, da so viele Entscheide bedingte oder unbedingte Freiheitsstrafen bis zu sechs Monaten zum Gegenstand hatten. Weil Art. 41 verlangt, dass die Voraussetzungen für eine unbedingte Freiheitsstrafe gegeben sein müssen,5 hat sich die Frage gestellt, ob eine Gesetzeslücke besteht, wenn ein Ersttäter, der tatsächlich geldstrafenuntauglich ist und die gemeinnützige Arbeit, was er darf, verweigert. Denn dann besteht an sich eine günstige Prognose. Dem ist allerdings zweierlei entgegenzuhalten. Beim bedingten Strafvollzug kommt es künftig genau genommen nicht mehr auf die günstige Prognose an, sondern darauf, ob eine unbedingte Strafe notwendig erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten (Art. 42 Abs. 1). Man wird deshalb argumentieren können, der unbedingte Vollzug erscheine in der geschilderten Situation mangels anderer geeigneter Sanktionen als notwendig, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten.6 Man kann den Akzent aber auch anders legen und argumentieren, dass Art. 42 Abs. 1 beim bedingten Strafvollzug darauf abstellt, dass dieser bei Vorliegen der Voraussetzungen in der Regel zu gewähren sei und in den geschilderten Konstellationen dränge sich eine Ausnahme von der Regel auf.7 2. Tagessatz-Geldstrafe Positiv zu bewerten ist ferner die Verwirklichung der Tagessatzgeldstrafe (ausser bei Übertretungen, wo das alte Bussensystem bestehen bleibt; Art 106). Dieses nach dem Vorbild der nordischen Staaten konzipierte System hat sich in zahlreichen europäischen Ländern durchgesetzt. Seine Einführung in der Schweiz ist die Folge der Zurückdrängung der kurzen unbedingten Freiheitsstrafen und des weiteren Ziels, auch Freiheitsstrafen zwischen sechs Monaten und einem Jahr mit einer Alternative zu konkurrenzieren. Das Tagessatzsystem vermittelt gerechtere und transparentere Bemessungsregeln, die nötig sind, wenn man mit der Geldstrafe auch den Bereich der mittleren Kriminalität abdecken will. Darunter sind Delikte zu verstehen, die heute mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bestraft werden. Diese grössere Transparenz kommt darin zum Ausdruck, dass nach dem Verschulden eine bestimmte Anzahl von Tagessätzen verhängt wird, während sich die Höhe eines Tagessatzes nach den wirtschaftlichen Verhältnissen richtet (Art. 34-36). Die wirtschaftliche Situation fällt deshalb stärker ins Gewicht als beim heutigen sogenannten Gesamtsummensystem. Es können bis zu 360 Tagessätze ausgesprochen werden, womit zum Ausdruck kommt, dass die Geldstrafe eine Alternative zu Freiheitsstrafen bis zu 5 6 7 Vgl. u.a. A. Kuhn, Le sursis et le sursis partiel selon le nouveau code pénal, ZStrR 121 (2003), 264 ff., 269 f.; J. Sollberger, Besondere Aspekte der Geldstrafe, ZStrR 121 (2003), 244 ff., 249 und G. Stratenwerth, Die Strafen im Bagatellbereich nach künftigem Recht, ZStrR 122 (2004), 159 ff., 164 f. F. Riklin, Die Sanktionierung von Verkehrsdelikten nach der Strafrechtsreform, ZStrR 122 (2004), 169 ff., 183. Riklin (Anm. 6), 183. 6 einem Jahr sein soll. Weil sich die Zahl der Tagessätze nach dem Verschulden des Täters richtet, kann problemlos gestützt auf Art. 36 Abs. 1 die Anzahl Tage an Freiheitsstrafe nach bisherigem Recht im Verhältnis 1:1 auf die Zahl der Tagessätze nach künftigem Recht umgerechnet werden. Beispiel: Zehn Tage Gefängnis entsprechen zehn Tagessätzen Geldstrafe.8 In der Praxis werden sich für Massendelikte wie Fahren in angetrunkenem Zustand und Verkehrsregelverletzungen im Interesse einer einheitlichen Rechtsanwendung Empfehlungen durchsetzen, wie sie heute z.T. in den Kantonen bestehen.9 Erfreulich ist, dass die Konferenz der Strafverfolgungsbehörden bemüht ist, die Gelegenheit zu nutzen und die beträchtlichen kantonalen Unterschiede im Bereich solcher Empfehlungen auszugleichen. Die Tagessatzhöhe bestimmt sich nach den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Täters im Zeitpunkt des Urteils. Obere Grenze sind 3'000 Franken (Art. 34 Abs. 2). Ein Minimum kennt das Gesetz nicht. Damit wollte man Leuten in wirtschaftlich ungünstigen oder sehr speziellen Verhältnissen entgegenkommen, etwa Arbeitslosen, Studierenden oder nicht berufstätigen Hausfrauen. Ausländische Beispiele zeigen, dass man auch für solche Personengruppen in der Regel praktikable Lösungen gefunden hat.10 Nicht verschwiegen werden sollen die Schwierigkeiten, die es bei der Festlegung der Tagessatzhöhe geben wird. Das Gesetz nennt als Erhöhungsfaktoren neben dem Einkommen Vermögen und Lebensaufwand (Art. 34 Abs. 2). Als beitragsreduzierend erwähnt es speziell Familien- und Unterstützungspflichten sowie das Existenzminimum. Das Existenzminimum als Faktor bedeutet aber nicht, dass nur darüber liegende Einkommen berücksichtigt werden dürfen.11 Es verbleibt ein beträchtlicher Ermessensbereich. Im internationalen Vergleich gibt es zwei Bemessungssysteme, das Nettoeinkommensprinzip und das Einbusseprinzip. Ersteres gilt grundsätzlich in Deutschland und richtet sich nach dem Nettoeinkommen, das der zu Verurteilende hat oder bei zumutbarem Einsatz seiner Arbeitskraft haben könnte.12 Es würde, ganz konsequent durchgeführt, zu einer starken Progression, bei tiefen Einkommen aber auch zu Härten führen. Deshalb wird 8 9 10 11 12 Vgl. Sollberger (Anm. 5), 247. H. Schultz, Bericht und Vorentwurf zur Revision des Allgemeinen Teils und des Dritten Buches "Einführung und Anwendung des Gesetzes" des Schweizerischen Strafgesetzbuches, Bern 1987, 94; Bericht zur Revision des Allgemeinen Teils und des Dritten Buches des Strafgesetzbuches und zu einem Bundesgesetz über die Jugendstrafrechtspflege, Bern 1993, 43; B. Amsler/J. Sollberger, Kommentar Vor Art. 48 StGB, in: Basler Kommentar, Strafgesetzbuch I, hrsg. von M. A. Niggli/H. Wiprächtiger, Basel/Genf/München 2003, N 15; R. Binggeli, Die Geldstrafe, in: Zur Revision des Allgemeinen Teils des Schweizerischen Strafrechts und zum neuen materiellen Jugendstrafrecht, hrsg. von F. Bänziger, A. Hubschmid, J. Sollberger, 2. Aufl., Bern 2006, 67. Bericht AT 1993 (Anm. 9), 53 f.; Schultz (Anm. 9), 81. Sollberger (Anm. 5), 253. H.-H. Jescheck/Th. Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 5. Aufl., Berlin 1996, 771. 7 es durch zahlreiche Abzugsmöglichkeiten gemildert. Vom Einbusseprinzip sind die Regelungen in Österreich und in den skandinavischen Staaten geprägt.13 Man prüft, was die zu verurteilende Person über ihren Existenzbedarf hinaus entbehren kann. Ganz konsequent durchgeführt würde dies dazu führen, dass ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung, die in der Nähe des Existenzminimums oder darunter lebt, geldstrafenuntauglich wäre. Deshalb wird die Regelung in diesen Ländern insofern relativiert, als auch Möglichkeiten der Sanktionierung von Leuten mit tiefen Einkommen geschaffen wurden. Im Ergebnis haben sich durch solche Relativierungen die beiden Systeme stark angenähert. Die Konferenz der Strafverfolgungsbehörden bereitet ein Erhebungsformular vor, das es ermöglichen soll, in der Mehrzahl der Fälle mit wenig Aufwand die nötigen Berechnungen vorzunehmen.14 3. Verwirklichung der gemeinnützigen Arbeit als eigenständige Sanktion Ein Aktivposten der Reform ist ferner die gemeinnützige Arbeit als neue Hauptstrafe (Art. 37-39). Das Jugendstrafrecht leistete Geburtshelferdienste, denn dort wurde die gemeinnützige Arbeit 1971 eingeführt und erfolgreich praktiziert. Auch bei den Erwachsenen war im bisherigen Recht die gemeinnützige Arbeit bereits bekannt, aber nur als Vollzugsform für unbedingte Freiheitsstrafen bis zu drei Monaten15 (abgesehen von der Möglichkeit, dass einem Verurteilten gemäss Art. 49 Ziff. 1 Abs. 2 aStGB gestattet werden konnte, eine Busse durch freie Arbeit abzuverdienen). Diese Regelung war aus rechtstaatlicher Sicht unbefriedigend, weil ein zweiteiliger Sanktionierungsprozess stattfand, indem der Richter eine unbedingte Freiheitsstrafe aussprach, welche dann die Verwaltung gestützt auf eine bundesrätliche Verordnung in eine ambulante Sanktion umwandeln konnte (Art. 3a VStGB 3).16 Die Verwaltung mischte sich in die Wahl der Sanktionsart ein und übte richterliche Kompetenzen aus.17 Dies war systemwidrig. Die gemeinnützige Arbeit kommt als Ersatz für Freiheitsstrafen bis zu sechs Monaten oder Geldstrafen bis zu 180 Tagessätzen in Frage. Man sieht dies aufgrund der im Gesetz enthaltenen Vergleichstabelle, wonach ein Tag Freiheitsstrafe einem Tag Geldstrafe und vier Stunden gemeinnütziger Arbeit entspricht (Art. 39 Abs. 2) und der vorgesehenen Maximaldauer von 720 Stunden (Art. 37 Abs. 1). Im Bereich, der bisher von Freiheitsstrafen bis zu sechs Monaten erfasst wurde, sind somit die Geldstrafe und die gemeinnützige Arbeit gleichrangige Alternativen. Deshalb stellt sich die Frage, wann welche verhängt werden soll. 13 14 15 16 17 R. Lässig, Kommentar zu §§ 18 und 19 in: Wiener Kommentar zum Strafgesetzbuch, hrsg. von F. Höpfel/E. Ratz, 2. Aufl., Wien 2002, § 19 N 8; G. Grebing, Probleme der TagessatzGeldstrafe, ZStW 88 (1976), 1049 ff., 1062 ff.; Amsler/Sollberger (Anm. 9), N 40. Binggeli (Anm. 9), 67. B. F. Brägger, Gemeinnützige Arbeit als Alternativsanktion in der Schweiz, ZStrR 120 (2002), 183 ff. Brägger (Anm. 15), 187 ff. F. Riklin, Zur Revision des Systems der Hauptstrafen, ZStrR 117 (1999), 255 ff., 264. 8 Die Regel sollte sein, dass nach Möglichkeit keine Verdrängung einer Alternative ohne Vollzugsaufwand wie die Geldstrafe durch eine kostenintensivere Strafe wie die gemeinnützige Arbeit stattfindet, ausser wenn Sachargumente dafür sprechen.18 Aus dieser Sicht drängt sich gemeinnützige Arbeit insbesondere auf, wenn der Beschuldigte nicht als geldstrafentauglich erscheint oder ihn und seine Angehörigen selbst eine niedrige Geldsumme unverhältnismässig stark belastet. Kürzlich wurde in den Medien der Fall eines Rasers aufgegriffen, um die angebliche Milde des künftigen Rechts zu belegen. Der junge Mann beging zum wiederholten Mal mit dem Auto seines Vaters einen Geschwindigkeitsexzess, war arbeitslos, bekam keine Arbeitslosenentschädigung und wurde punkto Kost und Logis von seinen Eltern unterhalten. Nach bisherigem "Tarif" erwartete ihn eine unbedingte Freiheitsstrafe von etwa drei Monaten, die er allerdings in Halbgefangenschaft oder durch gemeinnützige Arbeit hätte verbüssen können. Im Hinblick auf das neue Recht wurde befürchtet, dass ein solcher Fahrer nur mit einer sehr tiefen Geldstrafe sanktionieret werden könnte. Bei dieser Person wäre jedoch als Folge des fehlenden Einkommens und der fehlenden Arbeitslosenunterstützung nicht eine Geldstrafe mit einer sehr tiefen Tagessatzhöhe, sondern gemeinnützige Arbeit angemessen (in diesem Beispiel 360 Stunden = 90 x 4). Nun liegt allerdings eine Besonderheit der gemeinnützigen Arbeit darin, dass sie nur mit Zustimmung des Täters verhängt werden kann. Dies hängt mit dem Verbot der Zwangsarbeit in internationalen Abkommen zusammen. Wenn jemand geldstrafenuntauglich ist und die Zustimmung zur gemeinnützigen Arbeit aus nicht einsichtigen Gründen verweigert, wäre es m.E. vertretbar, von der Ausnahmeregel des Art. 41 StGB Gebrauch zu machen und als ultima ratio eine unbedingte kurze Freiheitsstrafe anzuordnen.19 Wie verhält es sich bei geldstrafenuntauglichen invaliden oder alten Personen, die prima vista für gemeinnützige Arbeit nicht tauglich zu sein scheinen? Bei ihnen kann dennoch geprüft werden, ob es nicht auch für sie akzeptable Formen der Arbeitsleistung gibt. Auch ein Invalider kann z.B. bei einer Verkehrszählung mitwirken und für jedes vorbeifahrende Fahrzeug einen Bleistiftstrich in eine Tabelle eintragen.20 4. Einführung der Einheitsfreiheitsstrafe Bekanntlich unterschied das bisherige Recht zwischen Zuchthaus, Gefängnis und Haft. Da sich die ursprüngliche Idee, für den Vollzug dieser drei Arten von Freiheitsstrafen unterschiedliche Anstaltstypen vorzusehen, nicht durchgesetzt hat, drängte sich die Verwirklichung der Einheitsfreiheitsstrafe auf (vgl. Art. 40). Deshalb wird in Zukunft nur noch von Freiheitsstrafe die Rede sein. 18 19 Riklin (Anm. 17), 259. A. M. Sollberger (Anm. 5), 253, der meint, wenn ein geldstrafenuntauglicher Beschuldigter die Zustimmung zu gemeinnütziger Arbeit verweigert, wäre es gesetzlich nicht möglich, auf eine Freiheitsstrafe auszuweichen. Riklin (Anm. 6), 183. 20 9 5. Erweiterung des bedingten Strafvollzugs bei Freiheitsstrafen Im internationalen Vergleich liegt die heutige Obergrenze für den bedingten Strafvollzug von 18 Monaten tief. Deshalb wird er in Zukunft bis zu einer Dauer von zwei Jahren gewährt werden können (Art. 42 Abs. 1), bei der teilbedingten Freiheitsstrafe sogar bis zu einer Dauer von drei Jahren. Gemäss Art. 44 Abs. 3 hat das Gericht dem Verurteilten die Bedeutung und die Folgen der bedingten und teilbedingten Strafe zu erklären. Da heute die meisten Strafverfahren mit Strafbefehlen und damit auf dem Korrespondenzweg erledigt werden, müsste endlich einmal überlegt werden, ob Strafbefehle mit einer bedingten oder teilbedingten Freiheitsstrafe nicht mündlich eröffnet werden sollten, entweder im Anschluss an die Schlusseinvernahme durch den Staatsanwalt oder Untersuchungsrichter, sofern eine solche stattfindet, oder indem der Strafbefehlsempfänger zur Eröffnung in die Kanzlei des Ausstellers zitiert wird. Denn die PISA-Studie hat belegt, dass 10-20% der Bevölkerung entweder nicht lesen können oder jedenfalls kompliziertere Texte nicht verstehen, abgesehen davon, dass oft auch Leute so bestraft werden, die der Gerichtsprache nicht mächtig sind. Wie schon gesagt soll der bedingte (wie auch der teilbedingte) Strafvollzug bei Vorliegen der Voraussetzungen "in der Regel" erfolgen, wenn "eine unbedingte Strafe nicht notwendig erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten" (Art. 42 Abs. 1). Es stellt sich die Frage, wann die Regel ausnahmsweise nicht greift. Man hat namentlich an Delinquenten gedacht, die diese Privilegierung einkalkulieren.21 Mit diesem Vorbehalt könnte ihnen ein Strich durch die Rechnung gemacht werden. Bei bedingten Strafen besteht im Widerrufsfall die Möglichkeit, die widerrufene Strafe zu ändern und der für die Rückfalltat ausgesprochenen Strafe anzupassen (Art. 46 Abs. 1). Hat jemand z.B. 30 Tagessätze Geldstrafe bedingt erhalten und führt eine Rückfalltat während der Probezeit zu einer Verurteilung zu vier Jahren Freiheitsstrafe, könnten die 30 Tagessätze beim Widerruf in 30 Tage Freiheitsstrafe konvertiert werden. Zu diesem Zweck muss auf den Schlüssel des Artikels 39 Abs. 2 zurückgegriffen werden, wonach vier Stunden gemeinnützige Arbeit einem Tagessatz Geldstrafe oder einem Tag Freiheitsstrafe entsprechen. Da gemäss Art. 46 Abs. 1 bei dieser Gesamtstrafenbildung Art. 49 betreffend Konkurrenz anzuwenden ist, muss der Richter in der Folge von der Strafe der schwersten Straftat ausgehen (in unserem Beispiel von den vier Jahren Freiheitsstrafe) und sie unter Berücksichtigung der Strafe der Ursprungstat angemessen erhöhen. 21 Vgl. Stratenwerth (Anm. 5), 163 f.; ders., Die Wahl der Sanktionen, insbesondere nach revidiertem AT StGB, in: Strafjustiz und Rechtstaat, Symposium zum 60. Geburtstag von Franz Riklin und José Hurtado Pozo, hrsg. von M. A. Niggli/N. Queloz, Zürich/Basel/Genf, 2003, 9 ff., 11; Bericht AT 1993 (Anm. 9), 61. 10 III. Schwachpunkte der Strafenreform 1. Verzicht auf das Fahrverbot als strafrechtliche Sanktion Prof. Schultz und die Expertenkommission versuchten vergeblich, ein Fahrverbot als selbständige Strafsanktion für Strassenverkehrsdelikte einzuführen, das allein oder neben einer anderen Hauptstrafe aussprechbar sein sollte.22 Auch das Bundesgericht drängte in der Vernehmlassung mit Nachdruck auf die Verwirklichung dieses Vorhabens. Denn der im SVG geregelte Warnentzug, der wegen Verletzung von Verkehrsregeln ausgesprochen wird und zur Besserung des Führers sowie zur Bekämpfung von Rückfällen dient, ist in der Sache eine Strafe.23 Leider ist es der Lobby der Administrativbehörden gelungen, dieses Anliegen zu torpedieren. Deshalb findet bei schweren Strassenverkehrsdelikten weiterhin eine für die Betroffenen unverständliche Doppelsanktionierung durch die Strafjustiz mit Strafen und durch die Administrativbehörden mit Verwarnung und Führerausweisentzug statt. Kaum je nachgelebt wird dabei der Forderung des Bundesgerichts, wonach die aufgrund dieser Doppelspurigkeit ausgesprochenen Sanktionen in ihrer Gesamtheit schuldangemessen sein müssten und nicht zu einer verkappten Doppelbestrafung führen dürften (BGE 123 II 466). Heute besteht in diesem Bereich ein Kästchendenken. Die Vertreter der Administrativbehörden sind überzeugt, nur ihre Massnahmen könnten das Verhalten der Verkehrsteilnehmer verändern. Und die Strafrechtspraktiker meinen ihrerseits, die Prävention hänge einzig und allein von der Härte der Strafe ab. Verwiesen sei auf die Diskussionen, wie man Raser beeindrucken könnte. Es ist jedoch fraglich, ob harte Strafen eine nennenswerte präventive Wirkung haben. Das belegt beispielsweise das vor zwei Jahren durch das Bundesgericht bestätigte Urteil gegen zwei Raser in Gelfingen wegen eventualvorsätzlicher Tötung zu je 6 ½ Jahren Zuchthaus (BGE 130 IV 58 ff.). Hat dies zur Abnahme von Rasereien geführt? Anliegen einer vernünftigen Verkehrspolitik müsste es sein, Vorkehren zu treffen, die wirklich etwas bringen. Es ist sehr einseitig, das Augenmerk ausschliesslich auf das Strafrecht zu richten. Es gäbe auch andere denkbare Vorkehren, etwa der Einbau von Tachosperren bei einem Limit von 120 km/h oder von Fahrtenschreibern, die es ermöglichen, zurückliegende Exzesse festzustellen, stets in Verbindung mit häufigeren polizeilichen Kontrollen. Das erwähnte Kästchendenken ist auch der Grund für die unselige, unter der Flagge der "Schnittstellenproblematik" segelnde Diskussion über die angeblich grotesken Konsequenzen, wenn das gleiche Delikt in leichteren Fällen eine Übertretung und in schweren ein Vergehen ist. So erlangte das Beispiel zweifelhafte Berühmtheit, wonach derjenige, der innerorts mit 70 statt 50 km/h fahre, gestützt auf die Übertretung des Art. 90 Ziff. 1 SVG, mit einer unbedingten Busse belegt werde, während der Raser, der die gleiche Stelle mit 22 23 Vgl. z.B. Schultz (Anm. 9), 94 f.; S. Trechsel, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, 2. Aufl., Zürich 1997, Art. 41 N 18; M. Härri, Alternative Sanktionen im Strassenverkehrsrecht, SJZ 93 (1997), 77 ff., 79. Bericht AT 1993 (Anm. 9), 64. 11 100 km/h passiere, gestützt auf dem Vergehenstatbestand des Art. 90 Ziff. 2 SVG, möglicherweise nur eine bedingte Geldstrafe erhalte. Das Beispiel erscheint in einem gänzlich anderen Licht, wenn der Führerausweisentzug mitberücksichtigt wird und dieser eine strafrechtliche Sanktion wäre. Gelegentlich hört man den Einwand, ein Problem des Führerausweisentzuges sei, dass ihn Betroffene missachten und wegen der Seltenheit polizeilicher Kontrolle meist nicht erwischt werden. Ich meine: es wäre sinnvoller und für den Staat nicht teurer, statt in der gleichen Sache zwei Verfahren durchzuführen, bei jemandem, dem z. B. drei Monate Führerausweisentzug auferlegt wurde, wöchentlich durch Stichproben überprüfen zu lassen, ob er das Fahrverbot einhält. 2. Umständliche Sanktionierung von Übertretungen Bei Übertretungen bleibt wie erwähnt das bisherige Bussensystem bestehen (Art. 103 ff.). Haftstrafen sind ausgeschlossen (vgl. Art. 103). Anders als im alten Recht beträgt der Höchstbetrag bei Busse 10'000 und nicht mehr bloss 5000 Franken (Art. 106 Abs. 1). Ferner ist bei Bussen der bedingte und teilbedingte Strafvollzug nicht möglich (Art. 105 Abs. 1). Dafür sprechen Praktikabilitätsgründe.24 Die Strafzumessung erfolgt auf traditionelle Weise (Art. 106 Abs. 3, der dem bisherigen Art. 48 Abs. 2 entspricht). Neu ist ferner möglich, dass das Gericht anstelle der ausgesprochenen Busse gemeinnützige Arbeit bis zu 360 Stunden anordnen kann, sofern der Täter zustimmt (Art. 107). Auch hier ist wohl der bedingte Strafvollzug ausgeschlossen.25 Nach neuem Recht muss nun jedes Mal dann, wenn neben einem Verbrechen oder Vergehen auch noch eine Übertretung begangen wird, z.B. Fahren in angetrunkenem Zustand mit einer Blutalkoholkonzentration von 0,7 Gewichtspromillen oder Überschreitung der signalisierten Höchstgeschwindigkeit innerorts um 20 km/Std., auf umständliche Weise eine separate Sanktionierung der Übertretung erfolgen. Ferner muss der Urteilende jedes Mal eine Ersatzfreiheitsstrafe von mindestens einem Tag und höchstens drei Monaten für den Fall der schuldhaften Nichtbezahlung fixieren (Art. 106 Abs. 2). Dabei müsste diese Ersatzfreiheitsstrafe je nach den Verhältnissen des Täters so bemessen werden, dass dieser die Strafe erleidet, die seinem Verschulden angemessen ist (Art. 106 Abs. 3). Dies ersetzt die bisherige unhaltbare Regel, wonach bei schuldhafter Nichtbezahlung 30 Franken in einen Tag Haft umgewandelt werden können. Es steht jetzt schon fest, dass man diese Regelung nicht zum vollen Nennwert nehmen wird. Vielmehr schlagen Praktiker vor, für den Regelfall einen 24 25 Sollberger (Anm. 5), 259; V. Maire, La peine pécuniaire selon le CP 2002, in: Droit des sanctions, De l'ancien au nouveau droit, hrsg. von A. Kuhn/L.Moreillon/B. Viredaz/A. Willi-Jayet, Bern 2004, 67 ff., 76. Kuhn (Anm. 5), 272; R. Kovacs, Le travail d'intérêt général selon le CP 2002, in: Droit des sanctions, De l'ancien au nouveau droit, hrsg. von A. Kuhn/L.Moreillon/B. Viredaz/A. Willi-Jayet, Bern 2004, 103 ff., 113. 12 bestimmten Umwandlungssatz vorzusehen, wonach z.B. pro 100 Franken Busse ein Tag Ersatzfreiheitsstrafe festgelegt wird.26 Vorbehalten bleibt als lex spezialis das Bundesgesetz über Ordnungsbussen im Strassenverkehr vom 24. Juni 1970, das für bestimmte Übertretungen tarifierte Ordnungsbussen vorsieht. M.E. untersagt Art. 106 Abs. 2 dem Richter nicht, in solchen Fällen nachträglich eine Ersatzfreiheitsstrafe auszusprechen. 3. Umwandlungsschlüssel bei der gemeinnützigen Arbeit Das neue Recht sieht vor, dass vier Stunden gemeinnütziger Arbeit einem Tag Freiheitsstrafe und einem Tagessatz Geldstrafe entsprechen (Art. 39 Abs. 2). Dies ist ein Kompromiss zwischen Forderungen nach acht Stunden auf der einen und nach zwei Stunden auf der anderen Seite, je nachdem, ob man davon ausgeht, dass der Verurteilte die gemeinnützige Arbeit "vollamtlich" zu erbringen hat oder ob sie als Freizeitstrafe für Leute gedacht ist, die einem Beruf nachgehen und deshalb nur wenige Stunden pro Woche dafür aufbringen können. Wird z.B. jemand statt zu acht Tagessätzen Geldstrafe zu 32 Std. gemeinnütziger Arbeit verurteilt, trifft ihn das insofern hart, als er z.B. an vier freien Samstagen acht Stunden arbeiten oder achtmal ½ Tag Freizeit opfern muss. Als Folge dieses Umrechnungsschlüssels beträgt die Höchstdauer der Arbeitsleistung 720 Stunden, d.h. 180 Tage à vier Stunden. Die ist europaweit einmalig hoch. Im internationalen Vergleich gelten 240 Stunden als Höchstgrenze.27 Leider nicht übernommen wurde der sinnvolle Vorschlag von Prof. Schultz und der Expertenkommission, wegen dieses Problems vorzusehen, dass ähnlich wie bei der bedingten Entlassung die Reststrafe bei guter Arbeitsleistung nach ⅔ der Strafverbüssung erlassen werden kann.28 Nachfolgend werden in den Ziff. 4-6 Änderungen behandelt, die man als "parlamentarisches Patchwork" bezeichnen könnte. 4. Generelle Zulassung bedingter und teilbedingter Strafen Auf Drängen der Romandie wurde zunächst bei Freiheitsstrafen von einem bis zu drei Jahren die Möglichkeit des teilbedingten Strafvollzugs eingeführt (Art. 43 Abs. 1), mit folgenden Besonderheiten: Der zu vollziehende Teil muss mindestens sechs Monate betragen, womit einem short-sharp-shock-Konzept eine Absage erteilt wurde. Er darf nicht grösser sein als die Hälfte der ausgesprochenen Strafe (Art. 42/43). Es wird deshalb in Zukunft z.B. möglich sein, jemanden mit drei Jahren Freiheitsstrafe zu belegen und den teilbedingten Vollzug anzuordnen. Dann muss der zu vollziehende Teil mindestens sechs Monate betragen und darf die Hälfte, also 18 Monate, nicht übersteigen. Die Regeln über die bedingte Entlassung sind diesfalls nicht anwendbar (Art. 43 26 27 28 Vgl. Binggeli (Anm. 9), 86. Riklin (Anm. 17), 270. Zur Begründung der Ablehnung vgl. Ch. Trenkel, Die gemeinnützige Arbeit und Hinweise zur Umwandlung von Strafen nach den Bestimmungen des StGB in der Fassung vom 13.12.2002, in: Zur Revision des Allgemeinen Teils des Schweizerischen Strafrechts und zum neuen materiellen Jugendstrafrecht, hrsg. von F. Bänziger, A. Hubschmid, J. Sollberger, 2. Aufl., Bern 2006, 149. 13 Abs. 3 und 86). Das Parlament liess es aber damit nicht bewenden. Kurz vor Abschluss der Revisionsdiskussion entschied es sich, auch bei der Geldstrafe und der gemeinnützigen Arbeit vorzusehen, dass sie unbedingt, bedingt oder bis zur Hälfte teilbedingt ausgesprochen werden können. 5. Verbindung bedingter Strafen mit Geldstrafen und Bussen Die zuvor erwähnte Neuerung ist auch in Zusammenhang mit der Regelung über die Verbindung bedingter Strafen mit Geldstrafen und Bussen zu sehen. In zunehmendem Masse hat die Praxis Art. 50 Abs. 2 des geltenden StGB umgesetzt, wonach bedingte Freiheitsstrafen mit Bussen kombiniert werden können. Heute erfolgt dies in über 55% der Fälle, in denen bedingte Freiheitsstrafen verhängt werden. Im Rahmen der Revision des Vermögensstrafrechts wurde diese Philosophie durch Art. 172bis StGB noch verstärkt, wonach selbst dann, wenn Vermögensdelikte ausschliesslich Freiheitsstrafen androhen (wie z.B. der Diebstahl und der Betrug), der Richter diese mit Busse verbinden kann. Offenbar ist nach der Vorstellung vieler Richter eine bedingte Freiheitsstrafe keine richtige Strafe, weshalb man glaubt, sie mit einem punitiven Element, mit einem Denkzettel, den der Sanktionierte unmittelbar spürt, verstärken zu müssen. Dies durchkreuzt Sinn und Geist des Instituts des bedingten Strafvollzugs, wonach vorerst eine milde Sanktion verhängt und dem Verurteilten Gelegenheit geboten werden sollte, durch sein späteres Verhalten beweisen zu können, dass die Sanktion genügte, um ihn von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten.29 Im SVG-Bereich ist diese Philosophie auch Ausdruck des erwähnten Kästchendenkens, weil unberücksichtigt bleibt, dass in schweren Fällen der Führerausweisentzug oder eine Verwarnung angeordnet wird, die formaljuristisch bloss als administrative Sanktionen gelten und deshalb vom Strafrichter ausgeblendet werden. Ich bin nicht grundsätzlich gegen die Möglichkeit dieser Kombination, doch wäre etwas mehr Augenmass angebracht. Ferner müsste nach der in der Lehre einhellig vertretenen Auffassung dann, wenn zwei Strafen miteinander kombiniert werden, die Gesamtstrafe schuldangemessen sein. Dieses Anliegen wird in der Praxis weitgehend ignoriert. In der parlamentarischen Diskussion wollte man den heutigen Art. 50 Abs. 2 StGB sinngemäss übernehmen. Als man jedoch den Entscheid traf, den bedingten Strafvollzug auch bei der Geldstrafe und der gemeinnützigen Arbeit vorzusehen, vergass man, die Kombinationsnorm entsprechend anzupassen. Deshalb gab es nach der Verabschiedung der Vorlage im Dezember 2002 grosse Diskussionen zur Frage, wie vorzugehen ist, wenn jemand z.B. wegen erstmaligem Fahren in angetrunkenem Zustand zu einer bedingten Geldstrafe verurteilt wird.30 Erneut wurde im Sinn des erwähnten Kästchendenkens das Beispiel breitgeschlagen, wonach eine Übertretung zu einer unbedingten Busse und ein Vergehen bloss zu einer bedingten Geldstrafe führen könnte. Also 29 30 Schultz (Anm. 9), 4. Vgl. dazu Riklin (Anm. 6), 174 ff. 14 besserte man im März 2006 nach und gestattet nun, in Art. 42 Abs. 4 eine bedingte Strafe mit einer unbedingten Geldstrafe oder einer Busse zu kombinieren.31 6. Unerwünschte Variantenvielfalt bei der Verhängung von Strafen Die Zulassung von teilbedingten Freiheitsstrafen sowie des bedingten und teilbedingten Strafvollzugs auch bei der Geldstrafe und der gemeinnützigen Arbeit hat in Verbindung mit der Möglichkeit, bedingte Strafen mit Geldstrafen und Bussen zu verbinden, zur Folge, dass künftig ein Richter je nach Konstellation folgende Strafen aussprechen kann: Bedingte, teilbedingte und unbedingte Freiheitsstrafen, bedingte, teilbedingte und unbedingte Geldstrafen, bedingte, teilbedingte und unbedingte gemeinnützige Arbeit, ferner bei Übertretungen unbedingte Bussen und schliesslich bei bedingten Freiheitsstrafen, Geldstrafen und gemeinnütziger Arbeit Kombinationen dieser Strafen mit unbedingten Geldstrafen und Bussen, um aus punitiven Gründen dem Beschuldigten weh zu tun. Sofern eine bedingte Geldstrafe mit einer Busse oder einer unbedingten Geldstrafe verbunden werden sollte, ist das Ergebnis vergleichbar mit einer teilbedingten Geldstrafe, die jedoch auf andere Weise zu Stande gekommen ist. Kein Praktiker hat sich je eine solche Vielfalt von Alternativen gewünscht. Ungleiche Praktiken, je nach dem Gusto des einzelnen Richters, sind vorprogrammiert. Diese Variantenvielfalt steht im Gegensatz zu Erkenntnissen der Kriminologie, dass im Bereich der mittleren und geringfügigeren Kriminalität die verschiedenen Sanktionen in einem weiten Ausmass austauschbar sind (d.h. in Bezug auf Rückfälle gleiche Erfolgschancen haben).32 Es spielt deshalb, wenigstens aus spezialpräventiver Sicht, kaum eine nennenswerte Rolle, ob jemand mit einer bedingten, unbedingten oder teilbedingten kurzen Freiheitsstrafe, Geldstrafe, gemeinnütziger Arbeit oder einem Fahrverbot sanktioniert wird. Dies haben empirische Untersuchungen belegt.33 Auch aus der Sicht der Generalprävention ist fraglich, ob sich das Fehlen einer solchen Variantenvielfalt negativ auswirken würde. Es gibt wie schon im Zusammenhang mit Rasern angetönt wurde, andere das Verhalten der Bürgerinnen und Bürger determinierende Faktoren, die einen grösseren Einfluss haben, z.B. die Verfolgungsintensität und damit verbunden das 31 32 33 Art. 42 Abs. 4 gemäss Änderung des StGB betr. Korrekturen am Sanktions- und Strafregisterrecht vom 24.3.2006, BBl 2006, 3557 ff. G. Stratenwerth, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil I, Die Straftat, 3. Aufl., Bern 2005, § 2 N 21; ders. Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil II, Strafen und Massnahmen, Bern 1989, § 3 N 20; H. Schöch, Empfehlen sich Änderungen und Ergänzungen bei den strafrechtlichen Sanktionen ohne Freiheitsentzug?, Gutachten zum 59. Deutschen Juristentag 1992, München 1992, 22 Fn. 14; G. Kaiser, Kriminologie, Grosses Lehrbuch, 3. Aufl., Heidelberg 1996, 979; D. Dölling, Die Weiterentwicklung der Sanktionen ohne Freiheitsentzug im deutschen Strafrecht, ZStW 104 (1992) 259 ff., 266; K.-L. Kunz, Kriminologie, 4. Aufl., Bern/Stuttgart/Wien 2004, § 9 N 12 und § 34 N 36. G. Thiriet, Die Praxis im Kanton Basel-Stadt bei Fahren in angetrunkenem Zustand, Diss. Basel 1978, 133; B. Voser, Die Eignung der Busse zur Ersetzung der kurzen Freiheitsstrafen, Diss. Basel 1985,10; S. Trechsel, Strafzumessung bei Verkehrsstrafsachen, insbesondere bei SVG Art. 91 Abs. 1, in: Rechtsprobleme des Strassenverkehrs, Bern 1975, 71 ff., 92. 15 Entdeckungs- und Bestrafungsrisiko. Nur nebenbei gesagt ist es ein Rätsel, wie man strafzumessungstechnisch vorgehen soll, wenn eine bedingte Geldstrafe punitiv mit einer unbedingten Geldstrafe verbunden wird. Denn dann müsste diese Doppelstrafe in ihrer Gesamtheit schuldangemessen sein, d.h. man müsste bei der bedingten Geldstrafe die Zahl der Tagessätze entsprechend reduzieren. Fazit dieser Lösung: Es kommt wie erwähnt zu einer Variante der teilbedingten Geldstrafe, die unter anderen Vorzeichen produziert wird. Es ist zu hoffen, dass diese Möglichkeit toter Buchstabe bleibt und die Richter, wenn sie schon eine bedingte Strafe punitiv verstärken wollen, diese mit einer Busse verbinden. Grosse Rechtsgleichheitsprobleme wird es beim teilbedingten Strafvollzug geben. Dort muss ein blosser Teilaufschub notwendig sein, "um dem Verschulden des Täters genügend Rechnung zu tragen" (Art. 43 Abs. 1), was immer das auch heissen mag. Hier ist zunächst festzuhalten, dass man in den Materialien keine Kommentierung dieser Floskel findet. Erfunden hat diese Formulierung die Verwaltung. Sie kam einem Wunsch der Rechtskommission des Ständerates nach. Gemäss Auskunft von zwei Mitarbeitern des Bundesamtes für Justiz seien die Voraussetzungen nicht mehr näher schriftlich begründet und auch in der Rechtskommission des Ständerates nicht mehr angesprochen worden! Ein in einem entscheidenden Punkt unkommentierter Vorschlag wurde damit Gesetz.34 M.E. steht bei der erwähnten Klausel die besondere Schuldschwere im Vordergrund. Es geht um die Grösse des Vorwurfs, der dem Täter gemacht werden kann und nicht darum, welche Strafe generalpräventiv als geboten erscheint, um andere von vergleichbaren Taten abzuhalten.35 Es geht darum, "zu prüfen, ob auf dem Hintergrund des bereits festgestellten Verschuldens nicht eine teilweise Korrektur bei der Art des Strafvollzugs erforderlich ist."36 Die Norm ist auf Fälle zugeschnitten, wo mit Rücksicht auf Vergeltungsbedürfnisse, welche der Täter z.B. durch die besondere Verwerflichkeit seines Handelns oder die besondere Schwere der Verletzung des betroffenen Rechtsguts geweckt hat, die Verhängung einer vollbedingten Strafe nicht mehr geboten erscheint.37 Nach Stratenwerth bildet die erwähnte Formulierung "einen Freipass für wie immer begründete Vergeltungsbedürfnisse".38 Nicht auszuschliessen ist, dass in der Praxis auch die Unsicherheit der zu stellenden Prognose teilbedingte Strafen begünstigt, obwohl systematisch gesehen dieses Konzept nicht mit dem Gesetzeswortlaut korrespondiert.39 Es ist auch denkbar, 34 35 36 37 38 39 G. Greiner, Bedingte und teilbedingte Strafen, Strafzumessung, in: Zur Revision des Allgemeinen Teils des Schweizerischen Strafrechts und zum neuen materiellen Jugendstrafrecht, hrsg. von F. Bänziger, A. Hubschmid, J. Sollberger, 2. Aufl., Bern 2006, 113 f. Stratenwerth (Anm. 5), 164. Greiner (Anm. 34), 116. Riklin (Anm. 6), 185. Stratenwerth (Anm. 21), 12. Greiner (Anm. 34), 116. 16 dass Praktiker die Regelung auf Fälle anwenden, bei denen nach ihrer Auffassung für den zweiten Teil der Strafe nur deshalb eine günstige Prognose gestellt werden kann, weil der erste Teil unbedingt vollzogen wird.40 Die "Schuldschwereklausel", richtig verstanden, müsste dazu führen, dass ein teilbedingter Vollzug nur im oberen Bereich des Strafrahmens in Frage kommt, für den der vollbedingte Strafvollzug noch gewährt werden kann, d.h. für den Freiheitsentzug bei Freiheitsstrafen, die gegen zwei Jahre, bei Geldstrafen die gegen 360 Tagessätze und bei gemeinnütziger Arbeit Strafen, die gegen 720 Stunden tendieren. Dafür spricht ein wichtiges Argument, das zu Gunsten des teilbedingten Vollzugs bei den Freiheitsstrafen immer wieder ins Feld geführt wurde, nämlich das Dilemma des Alles oder Nichts zu verhindern, wie es heute besteht, wenn eine Freiheitsstrafe im Bereich von 18 Monaten verhängt werden soll.41 Es ist zu hoffen, dass in Zukunft der teilbedingte Vollzug bei Freiheitsstrafen sogar erst dann zum Zuge kommt, wenn die Strafe zwischen zwei und drei Jahren liegt, d. h. in einem Bereich, wo eine vollbedingte Freiheitsstrafe nicht mehr in Frage kommt.42 IV. Auswirkungen der Reform auf die Gefangenenzahlen Die neue Regelung enthält ein beträchtliches Potential zur Reduktion der Gefangenenzahlen. Ein Grund ist das grundsätzliche Verbot kurzer unbedingter Freiheitsstrafen. In den letzten Jahren wurden pro Jahr 10'000 und mehr unbedingte Freiheitsstrafen bis zu sechs Monaten ausgesprochen (im Jahre 2004 über 13'000). Allerdings werden bereits heute 40% der unbedingten Freiheitsstrafen durch Alternativen erfasst (Halbgefangenschaft, tageweiser Vollzug, gemeinnützige Arbeit, Electronic Monitoring). Weniger Einfluss wird die Konkurrenzierung unbedingter Freiheitsstrafen zwischen sechs und zwölf Monaten durch die Tagessatzgeldstrafe haben. 2004 wurden in diesem Sektor 400 unbedingte Freiheitsstrafen verhängt, die potentiell auf Tagessatzgeldstrafen umgepoolt werden könnten. Ferner sollte die Erweiterung des bedingten Strafvollzugs bei Freiheitsstrafen auf zwei Jahre und bei der teilbedingten Freiheitsstrafe auf drei Jahre tendenziell die Zahl und die Dauer unbedingter Freiheitsstrafen reduzieren (im Jahre 2004 wurden 236 unbedingte Freiheitsstrafen zwischen 18 und 24 Monaten und 341 unbedingte Freiheitsstrafen zwischen zwei und drei Jahren verhängt). Allerdings ist begrenzt auch eine kontraproduktive Entwicklung denkbar. Einerseits ist es möglich, dass bisher vollbedingte Freiheitsstrafen zwischen zwölf und 18 Monaten zu den teilbedingten abwandern. Andererseits 40 41 42 Vgl. Greiner (Anm. 34), 116. Kuhn (Anm. 5), 273 f. unter Hinweis auf P.-E. Rochat, La division de la peine, ZStrR 95 (1978), 82 ff. Vgl. R. Roth, Nouveau droit des sanctions: premier examen de quelque points sensibles, ZStrR 121 (2003), 1 ff., 12 Fn. 51; dann würde auch für K.-L. Kunz, Zur Neuregelung der Sanktionen des Schweizerischen Erwachsenenstrafrechts, ZStrR 117 (1999), 234 ff., 250 und für F. Riklin, Die Schweizerische kriminalistische Gesellschaft (SGK) und die Strafrechtsreform - Ein kritischer Kommentar, ZStrR 112 (1994), 432 ff., 436 f. der teilbedingte Vollzug diskutabel. 17 besteht vielleicht die Versuchung, bisherige unbedingte Freiheitsstrafen von über 18 Monaten bis zu zwei Jahren z.B. auf 26 Monate zu erhöhen, wenn an sich keine ungünstige Prognose besteht, der Urteilende aber um jeden Preis eine unbedingte Freiheitsstrafe verhängen möchte. Wahrscheinlich ist aber doch, dass insgesamt das System zu einer Reduktion der Gefangenenzahlen führt. Weniger zu befürchten ist, dass Richter bisherige kurze unbedingte Freiheitsstrafen unter sechs Monaten auf sechs Monate oder höher festlegen, um der Klausel des Art. 41 auszuweichen, wonach kurze unbedingte Freiheitsstrafen von weniger als sechs Monaten nur ausnahmsweise verhängt werden dürfen. Wie bereits erwähnt lag bisher bei den Urteilen bis zu sechs Monaten Freiheitsentzug das Schwergewicht auf Strafen von unter einem Monat. Es ist daher nicht zu erwarten, dass ein Richter beispielsweise eine bisherige unbedingte Freiheitsstrafe von 14 Tagen auf sechs Monate erhöhen wird und kann, nur um zu erreichen, dass der Betroffene ins Gefängnis gehen muss. Zudem wird sich auch die Regelvollzugsform der Halbgefangenschaft für Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr (Art. 77b) tendenziell günstig auf die Zahl der stationären Freiheitsstrafen auswirken. Ferner kann neu nach Art. 86 Abs. 4 der Gefangene bereits nach der Hälfte seiner Strafe bedingt entlassen werden, wenn ausserordentliche, in der Person des Gefangenen liegende Umstände dies rechtfertigen. B. Massnahmen Die Regeln über die Massnahmen (Art. 56 ff. nStGB) wurden stark überarbeitet. Allerdings wird am Grundkonzept des alten Massnahmenrechts festgehalten.43 Das künftige Recht kennt als stationäre therapeutische (und damit bessernde) Massnahmen ähnlich wie heute die Behandlung von psychischen Störungen, die Suchtbehandlung und die Massnahmen für junge Erwachsene. Für alle diese Massnahmen gilt das dualistisch-vikariierende System, also neu auch für die Massnahmen für junge Erwachsene. Wie im bisherisgen Recht kann die Massnahme der Behandlung von psychischen Störungen und der Suchtbehandlung auch ambulant angeordnet werden. Als isolierende Massnahme kennt das Gesetz die (Sicherungs-)Verwahrung. Die Verwahrung von Gewohnheitsverbrechern nach Art. 42 StGB wurde demgegenüber aufgehoben. Mit den Verwahrungsregeln soll der Schutz vor gefährlichen Gewalttätern verstärkt und dem Bedürfnis nach Sicherheit Rechnung getragen werden. Diese Vorschriften sind aus rechtstaatlicher Sicht in verschiedener Hinsicht problematisch. 43 M. Heer, Das neue Massnahmenrecht zum ersten, zum zweiten, zum dritten …, Anwaltsrevue 2005, 303 ff., 303. 18 I. 44 Positive Aspekte 1. Allgemeine Grundsätze Ein wesentliches Anliegen war es, bei der Umschreibung der Voraussetzungen und für die Durchführung dieser Sanktionen den rechtstaatlichen Grundsätzen stärker Beachtung zu schenken. Deshalb geht den einzelnen Massnahmen in den Art. 56-58 eine Art allgemeiner Teil voraus, wo u.a. Grundsätze wie das Prinzip der Verhältnismässigkeit und der Subsidiarität festgehalten sind. 2. Untherapierbarkeit als Verwahrungsvoraussetzung Im bisherigen Recht war in Art. 43 StGB unklar, wie es sich mit gemeingefährlichen aber therapierbaren Straftätern verhält. Lange Zeit ging die Praxis davon aus, eine Verwahrung setze die Untherapierbarkeit des Täters voraus. Im Rahmen einer Aufweichung meinte später das Bundesgericht, eine Verwahrung sei nicht nur bei hochgefährlichen untherapierbaren Tätern möglich, sondern auch bei Leuten, die zwar therapierbar, aber kurz- und mittelfristig gefährlich sind, weil sie nicht sofort auf Therapien ansprechen.44 Im neuen Recht ist nun die Untherapierbarkeit eine Verwahrungsvoraussetzung. Es wird ausdrücklich gesagt, eine Verwahrung komme nur in Frage, wenn die Anordnung einer Massnahme zur Behandlung von psychischen Störungen keinen Erfolg verspreche (Art. 64 Abs. 1 lit. b). Ferner hat gemäss Art. 64 Abs. 3 die zuständige Behörde zum Zeitpunkt, in welchem der Täter voraussichtlich aus dem Vollzug der Freiheitsstrafe entlassen werden und die Verwahrung antreten kann, die Voraussetzungen einer stationären therapeutischen Behandlung nach Art. 59 zu überprüfen. Und schliesslich kann nach Art. 65 Abs. 1 das Gericht auch bei einer Verwahrung nachträglich eine stationäre therapeutische Massnahme anordnen, wenn deren Voraussetzungen erfüllt sind. 3. Gesicherte therapeutische Behandlung bei schweren Straftaten (Art. 59 Abs. 3) Im Lichte des zuvor Gesagten ist Art. 59 Abs. 3 StGB zu sehen. Danach ist eine gesicherte therapeutische Behandlung bei Personen vorgesehen, die besonders schwere Delikte im Sinn von Anlasstaten des Verwahrungstatbestandes (Art. 64 Abs. 1) begangen haben. Während heute solche Verwahrte, auch wenn sie therapierbar sind, mangels geeigneter Einrichtungen meist undifferenziert in Strafanstalten gehalten werden, müsste es sich bei diesen neuen gesicherten Vollzugseinrichtungen um geschlossene psychiatrische Institutionen, geschlossene Massnahmenvollzugsanstalten oder allenfalls getrennte Abteilungen einer geschlossenen Strafanstalt handeln. Die Kantone erhalten eine zehnjährige Frist, solche Einrichtungen zu schaffen. Vor grossen Erwartungen wird jedoch BGE 118 IV 108, 113; 121 IV 297, 301 f. 19 gewarnt.45 In den parlamentarischen Behandlungen wurden finanzielle Konsequenzen verneint,46 obwohl schon heute grosse Kapazitätsengpässe bei therapeutisch orientierten und gleichzeitig gesicherten Einrichtungen bestehen. Man kann gespannt sein, ob und wie die Kantone diesem Anliegen Rechnung tragen oder ob die bestehenden unbefriedigenden Vollzugsgegebenheiten weiterdauern. 4. Anlasstaten bei der Verwahrung Positiv zu bewerten ist ferner, dass bei der Verwahrung die Anlassdelikte besonders spezifiziert werden, dies im Unterschied zu den therapeutischen Massnahmen, wo man sich begnügt, deren Anordnung allgemein von einem "Verbrechen oder Vergehen" abhängig zu machen.47 Art. 64 enthält einen Deliktskatalog mit besonders schweren Straftaten. Er wurde im Rahmen der Nachbesserung auf Delikte mit einer Höchststrafe von mindestens 5 Jahren erweitert.48 Voraussetzung ist ferner, dass durch ein solches Delikt eine schwere Beeinträchtigung der physischen, psychischen oder sexuellen Integrität des Opfers erfolgt und der Täter einen entsprechenden Vorsatz hat. Damit wird mit der Verwahrung faktisch auf Gewalt- und Sexualdelikte reagiert. II. Problempunkte 1. Annahme der Gemeingefährlichkeit aufgrund einer Gesamtbeurteilung von Persönlichkeitsmerkmalen sowie Tat- und Lebensumständen Was die verwahrbaren Personen anbetrifft lässt der Gesetzeswortlaut zwei Varianten zu. Erfasst werden einerseits Personen mit "anhaltenden und langdauernden psychischen Störungen von erheblicher Schwere". Andererseits wurde im Unterschied zum geltenden Recht eine in dieser Form bisher nicht bekannte Möglichkeit der Internierung geschaffen; die Verwahrung soll auch bei normal schuldfähigen, nach den Kriterien der Psychiatrie nicht kranken Menschen möglich sein, die aufgrund einer Gesamtbeurteilung von Persönlichkeitsmerkmalen sowie Tat- und Lebensumständen als gefährlich taxiert werden, d.h. wenn zu erwarten ist, dass sie weitere Taten im Sinn der Anlassdelikte begehen.49 Es wird auf das Merkmal einer klar definierten psychiatrischen Diagnose nach den bestehenden Klassifikationssystemen 45 46 47 48 M. Heer, Einige Schwerpunkte des neuen Massnahmenrechts, ZStR 2003, 276 ff., 393 f. Vgl. Heer (Anm. 45), 388. Vgl. Heer (Anm. 43), 305. Art. 64 Abs. 1 gemäss Änderung des StGB betreffend Korrekturen am Sanktions- und Strafregisterrecht vom 24.3.2006, BBl 2006, 3557 ff. Dazu kritisch z.B. H. Wiprächtiger, Die Revision des Strafgesetzbuches: Freiheitsentziehende Massnahmen - Eine Bestandesaufnahme nach den Beratungen des Ständerates, AJP 2001, 139 ff., 143 f.; G. Stratenwerth, Die freiheitsentziehenden Massnahmen im bundesrätlichen Entwurf für die Revision des Allgemeinen Teils des StGB, ZStrR 1999, 277 ff., 286 ff.; ders., Neuere Tendenzen im Massnahmenrecht: Vereinbarkeit mit rechtsethischen Grundsätzen, AJP 2000, 1345 ff., 1348 f.; relativierend Heer (Anm. 45), 400 f. 49 20 verzichtet.50 Bei diesem Verwahrungsgrund stellt sich deshalb im besonderen Mass die Prognoseproblematik. Ein Anknüpfen an so vage Begriffe ist rechtsstaatlich fragwürdig,51 namentlich auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass selbst erstmalige Täter verwahrt werden können. 2. Fehlen des Erfordernisses eines fehlgeschlagenen Therapieversuchs Einem alten Postulat der Wissenschaft, wonach Untherapierbarkeit erst nach dem Scheitern eines Therapieversuchs zuverlässig beurteilt werden kann und ein entsprechender Misserfolg Voraussetzung der Verwahrung sein sollte,52 wurde gesetzlich nicht Rechnung getragen, dies wohl angesichts der ohnehin unbefriedigenden Vollzugsgegebenheiten.53 Es ist zu beachten, dass nur in relativ wenigen Fällen eine absolute Unbehandelbarkeit anzunehmen ist.54 Gelegentlich ist es möglich, dem Anliegen eines Therapieversuchs über den vorzeitigen Massnahmenantritt Rechnung zu tragen. 3. Entlassung aus der Verwahrung Die Zahl der jährlich ausgesprochenen Verwahrungen hat in den letzten 20 Jahren nicht zugenommen, jedoch finden seit 1994 kaum mehr Entlassungen statt. Das belegt die im Anhang abgedruckte Statistik. Danach entsprach bis Ende 1993 die Zahl der Einweisungen in etwa der Zahl der Austritte. Seither besteht ein jährlicher Überhang von rund 15 Verwahrten. Was den Zeitpunkt dieser Zäsur anbetrifft zeigt sich deutlich die Auswirkung des Mordes auf dem Zollikerberg am 13. Oktober 1993. Dieser Mord hat sich auch auf die öffentliche Diskussion ausgewirkt. Während bis zu diesem Zeitpunkt die Verwahrung eher ein Nebenkriegsschauplatz war, wurde sie in der Folge zu einem zentralen Thema, welches auch die parlamentarischen Beratungen stark prägte. Zählt man diese Überhänge bis ins Jahr 2001 zusammen, kommt man auf knapp 100 neue Verwahrte, was zum gesamtschweizerischen Totalbestand an rund 160 Verwahrten anfangs 2004 führte. Seither sind gemäss Aussagen des Bundesamtes für Statistik wiederum rund 14 Personen pro Jahr verwahrt und kaum Entlassungen vorgenommen worden, so dass der Gesamtbestand an Verwahrten weiter steigt. Niemand will mehr die Verantwortung zur Entlassung von Verwahrten übernehmen. Nach der AT-Revision besteht die Gefahr, dass sich diese Entwicklung noch verschlimmert, denn rechtlich werden die Anforderungen an die Entlassung aus einer Verwahrung verschärft. Bei therapeutischen Massnahmen ist eine bedingte Entlassung möglich, sobald der Zustand des Betroffenen es rechtfertigt, dass ihm Gelegenheit gegeben wird, sich in der Freiheit zu 50 51 52 53 54 Heer (Anm. 43), 306. Vgl. Heer (Anm. 43), 306. Vgl. Heer (Anm. 43), 306; dies. (Anm. 45), 404 f.; G. Stratenwerth, Das künftige System der Sanktionen im Erwachsenenstrafrecht - ein kriminologischer Fortschritt?, in: Schweizerische Arbeitsgruppe für Kriminologie, Zwischen Mediation und Lebenslang, hrsg. von V. Dittmann/A. Kuhn/R. Maag/H. Wiprächtiger, Chur/Zürich 2002, 371 ff., 382. Vgl. dazu Heer (Anm. 45), 386 ff. Heer (Anm. 43), 306. 21 bewähren (Art. 62 Abs. 1). Bei der bedingten Entlassung aus der Verwahrung dagegen hat das Gesetz die Erwartung, dass sich der Betroffene in Freiheit bewährt (Art. 64a). Sachverständige und Entscheidungsträger müssten überzeugt sein, dass der Betroffene künftig keine einschlägigen Delikte mehr begeht.55 Eine hohe Wahrscheinlichkeit des Wohlverhaltens wird verlangt.56 Die begründete Aussicht auf eine Bewährung genügt noch nicht.57 Dies sind hohe Anforderungen. Zweifel gehen zu Lasten des Betroffenen.58 Es ist der negative Beweis der Ungefährlichkeit zu erbringen.59 Immerhin, selbst der bekannte Psychiater Urbaniok hat inzwischen gemäss einem Artikel in der Sonntagszeitung vom 8. Januar 2006 erkannt, dass es so nicht weitergehen kann. Er sagte: "Wir sind heute zu restriktiv, so sollte es nicht weitergehen. … Mit mindestens der Hälfte der Verwahrten sollten die Behörden den Versuch wagen, sie mit intensiven Therapien auf eine Freilassung vorzubereiten." Über Verwahrte herrschten falsche Vorstellungen, meinte er weiter. Der Wunsch nach Null-Risiko gehe zu weit. Von 100 Tätern mit einem einprozentigen Risiko werde eine Person rückfällig, 99 nicht. Werde dieses Risiko nicht eingegangen, würden 99 Personen weggesperrt, die nicht rückfällig würden. 4. Nachträgliche Verwahrung gemäss Art. 65 Abs. 2 Durch die Nachbesserung vom 24. März 200660 wurde die nachträgliche Verwahrung einer nur zu einer Freiheitsstrafe verurteilten Person ermöglicht (Art. 65 Abs. 2 StGB). Hintergrund der Schaffung dieser Norm waren angebliche menschliche Zeitbomben, die wegen schwerer Straftaten zu langen, aber zeitlich begrenzten Freiheitsstrafen verurteilt worden waren und deren Gemeingefährlichkeit sich im Strafvollzug angeblich zeigte. Mit der nachträglichen Verwahrung kann die Entlassung aus der Freiheitsstrafe verhindert werden. Die neue Regelung ist als Revision zu Ungunsten des Verurteilten ausgestaltet, d.h. es müssen neue Beweismittel oder Tatsachen vorliegen, von denen das seinerzeit urteilende Gericht keine Kenntnis hatte und die belegen, dass die Voraussetzungen der Verwahrung bereits im Urteilszeitpunkt bestanden. Die Regelung ist vermutlich mit höherem Recht vereinbar. Namentlich dürfte der Grundsatz ne bis in idem gemäss Art. 4 des 7. Protokolls zur EMRK nicht verletzt sein, da diese Vorschrift die Wiederaufnahme ausdrücklich vorbehält. Dennoch ist zweifelhaft, ob diese Norm praktische Bedeutung erlangt.61 Zunächst dürfte es heute weniger häufig vorkommen, dass man Leute, statt sie 55 56 57 58 59 60 61 Heer (Anm. 43), 307. Heer (Anm. 43), 307, dies. (Anm. 45) 412. Vgl. Anm. 56. Heer (Anm. 43), 307. Heer (Anm. 45), 412. Änderung des StGB betreffend Korrekturen am Sanktions- und Strafregisterrecht vom 24.3.2006, BBl 2006, 3557 ff. Dazu eingehend Heer (Anm. 43,) 305. 22 zu verwahren, mit langen, zeitlich begrenzten Freiheitsstrafen belegt, weil man stärker für die Verwahrungsproblematik sensibilisiert ist. Zudem wird es nicht einfach sein, eine Prognose über das künftige Verhalten eines Betroffenen aufgrund von Tatsachen abzugeben, die unter den Bedingungen eines geschlossenen Strafvollzugs beobachtet wurden.62 Schliesslich wird es schwierig sein, eine nachträglich auftretende vermeintliche Gemeingefährlichkeit, die beispielsweise in Drohungen zum Ausdruck kommt, auf Faktoren zurückzuführen, die bereits vor der Verurteilung vorlagen. 5. Nachträgliche therapeutische Massnahme gemäss Art. 65 Abs. 1 und Art. 62c Abs. 3 bzw. 6 sowie Umwandlung einer therapeutischen Massnahme in eine Verwahrung gemäss Art. 62c Abs. 4 Neu ist die generelle Möglichkeit nach Art. 65, eine Freiheitsstrafe nachträglich in eine stationäre therapeutische Massnahme umzuwandeln.63 Ferner kann nach dem Scheitern einer stationären Behandlung statt des Strafvollzugs ohne Weiteres auch eine andere stationäre Massnahme angeordnet werden (Art. 62c Abs. 3 bzw. 6), u.U. eine potentiell lebenslängliche anstelle einer zeitlich limitierten. Und noch weitergehender: Eine stationäre therapeutische Behandlung kann gemäss Art. 62c Abs. 4 unter bestimmten Voraussetzungen gar in eine Verwahrung umgewandelt werden. Trotz allem Verständnis für das Bedürfnis nach Flexibilität im Massnahmenrecht besteht für mich beim Wechsel von Freiheitsstrafen in stationäre Massnahmen und von einer Massnahme zu einer anderen, insbesondere einer zeitlich limitierten in eine potentiell lebenslängliche sowie beim Wechsel einer therapeutischen Massnahme in eine Verwahrung ein bisher nicht diskutiertes Problem, namentlich der Konformität mit dem Grundsatz "ne bis in idem". C. Strafzumessung und Strafbefreiung Die Strafzumessungsgrundregel ist grosso modo gleich geblieben (Art. 47). Die Strafmilderungsregeln werden vereinfacht. Die Wirkung ist vergleichbar mit der bisherigen Strafmilderung nach freiem Ermessen. Was die Strafschärfung anbetrifft, existiert nur noch der Strafschärfungsgrund der Konkurrenz (Art. 49). Die Regel ist vergleichbar mit Art. 68 des geltenden Rechts. Eine Gesamtstrafenbildung findet im Fall der Konkurrenz von Freiheitsstrafen, Geldstrafen und Gemeinnütziger Arbeit statt. Die Strafen der weniger schweren Straftaten können nach dem bekannten Schlüssel (ein Tag Freiheitsstrafe = ein Tagessatz = vier Stunden Arbeit) der schwersten Straftat angepasst werden. Auch innerhalb von Bussen gilt das Asperationsprinzip und nicht die Kumulation, hingegen werden Übertretungsbussen mit Strafen für Verbrechen und Vergehen kumuliert.64 62 63 64 Heer (Anm. 43), 308. Heer (Anm. 43), 307, dies. (Anm. 45), 414. Kommentierte Textausgabe zum revidierten Strafgesetzbuch, hrsg. von T. Hansjakob/H. Schmitt/J. Sollberger, Luzern 2004, Art. 47. 23 Was Strafbefreiungsgründe anbetrifft, kennt das künftige Recht zusätzlich zum heutigen Art. 66bis (Betroffenheit des Täters durch seine Tat) zwei weitere Strafbefreiungsgründe: Fehlendes Strafbedürfnis und Wiedergutmachung (Art. 52ff). Strafbefreiung bedeutet: Schuldspruch ohne Sanktion. Die neuen Regeln sehen wie bereits Art. 66bis ausdrücklich vor, dass in Strafbefreiungsfällen bereits auf die Strafverfolgung oder die Überweisung an das Gericht verzichtet werden kann. Es besteht weiterhin die unbefriedigende Situation, dass dann, wenn es zum Urteil kommt, gemäss dem eindeutigen Gesetzeswortlaut nur ein Absehen von Strafe möglich ist und damit ein Schuldspruch erfolgen muss, derweil das Gesetz während des Verfahrens eine Einstellung gestattet. Die neue Norm über die Wiedergutmachung ist sicher sinnvoll. Die Norm über das fehlende Strafbedürfnis wird praktisch völlig bedeutungslos bleiben, weil kumulativ Geringfügigkeit der Schuld und des Unrechts verlangt werden. Denn in der Schweiz hat man in ganz vielen Fällen bewusst Bagatellen kriminalisiert. Deshalb wird es nicht möglich sein, mit dem Strafbefreiungsgrund des fehlenden Strafbedürfnisses die Intentionen des Gesetzgebers zu durchkreuzen, sondern die Strafbefreiung wird nur zur Anwendung gelangen können, wenn sich ein leichter Fall qualitativ von anderen leichten Fällen unterscheidet. Diese Erfahrung haben bereits jene Kantone gemacht, die diesen Strafbefreiungsgrund im Rahmen des gemässigten Opportunitätsprinzips in ihrer Strafprozessordnung bereits kennen. Insgesamt führen diese drei Strafbefreiungsgründe aus prozessualer Sicht zu keiner nennenswerten Entlastung. Leider ist auch in der bundesrätlichen Botschaft für eine gesamtschweizerische Strafprozessordnung dem Opportunitätsaspekt zu wenig Rechnung getragen worden. Namentlich bei komplexen Wirtschaftskriminalitätsprozessen müsste es unbedingt grössere Möglichkeiten des Verzichts auf das Legalitätsprinzip geben, weil das heutige wie auch das künftige Strafprozessrecht wenig taugen, um solche Prozesse adäquat, d. h. in einer vernünftigen Frist und mit vertretbarem Aufwand zu erledigen.65 D. Schlusskommentar Wie aufgezeigt wurde führte das Parlament zahlreiche Neuerungen ein, deren Konsequenzen schwer abzuschätzen sind. Deshalb sind Zukunftsprognosen über die Auswirkungen dieser Revision erschwert. Vieles wird auch davon abhängen, wie sich die Praxis mit den neuen Vorschriften arrangiert und wie das Bundesgericht in seinen ersten Grundsatzentscheiden reagiert. Einiges hängt sicher auch von der weiteren Entwicklung des Zeitgeistes in Bezug auf das Verhalten gegenüber Kriminalität ab. In der Geburtsphase dieser Revision hatte man liberale Vorstellungen zur Frage, welche Aufgaben das Strafrecht zu erfüllen hat und was es im Rahmen der Kriminalpolitik zu leisten 65 F. Riklin, Die Strafprozessrechtsreform in der Schweiz, Goltdammer's Archiv für Strafrecht 2006, 495 ff., 505. 24 vermag. Inzwischen haben Kriminalitätsfurcht, repressives Denken und ein grosser Glaube an die Effizienz des Strafrechts stark zugenommen. Der repressivere Trend zeigt sich z.T. im Anzeigeverhalten, in dem bestimmte Delikte häufiger angezeigt werden, ferner in der zunehmenden Tendenz, bedingte Strafen mit unbedingten zu kombinieren, in der Regelung der Verwahrung und in der fehlenden Bereitschaft, Verwahrte zu entlassen. Allerdings ist die Entwicklung insofern zwiespältig, als sich all dies bisher nicht auf die Dauer längerer Freiheitsstrafen und auf die Zahl neuer Verwahrungen ausgewirkt hat. Auch wird jetzt - scheinbar im Widerspruch zum geschilderten Klimawandel - die kurze unbedingte Freiheitsstrafe zurückgedrängt, der bedingte Strafvollzug bei Freiheitsstrafen verlängert, das Resozialisierungsziel weiterhin hoch gehalten, die Entlassung in bestimmten Fällen bereits nach der Hälfte der Strafdauer ermöglicht und als Regelvollzug für Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr die Halbgefangenschaft deklariert, abgesehen von Bestrebungen, das Electronic Monitoring zu institutionalisieren. Auch im Strafrecht zeigt sich die Widersprüchlichkeit unserer Zeit. 25 Verurteilungen zu einer Verwahrung 42 StGB 43 Z.1Abs.2 Entlassungen aus Verwahrung / Überweisung in Heim oder Klinik / Tod Total 42 StGB 43 Z. 1 Abs. 2 Total 1984 16 15 31 19 / 0 / 0 11 / 3 / 2 35 1985 25 16 41 24 / 1 / 0 10 / 3 / 0 38 1986 17 10 27 17 / 0 / 0 6/0/0 23 1987 15 12 27 21 / 1 / 1 8/1/1 33 1988 14 13 27 19 / 0 / 2 7/1/0 29 1989 15 14 29 25 / 0 / 0 5/1/0 31 1990 5 16 21 11 / 0 / 0 10 / 4 / 0 25 1991 7 8 15 11 / 0 / 0 3/4/0 18 1992 5 10 15 10 / 0 / 0 7/2/0 19 1993 6 9 15 11 / 0 / 1 4/1/0 17 1994 6 17 23 10 / 0 / 0 2/1/0 13 1995 7 17 24 3/0/0 6/1/0 10 1996 5 10 15 3/1/1 1/0/0 6 1997 3 13 16 3/0/0 1/1/0 5 1998 2 12 14 3/0/0 1/0/0 4 1999 4 14 18 6/0/1 1/1/0 9 2000 2 20 22 0/0/0 2/2/1 5 2001 2 21 23 4/0/0 0/1/2 7 2002 0* 11* 11* 4/0/0 0/3/1 8 2003 0* 14* 14* 0/0/1 1/2/0 4 2004 1* 11* 12* 0/0/1 1/2/0 4 2005 1* 12* 13* 0/0/1 1/2/0 4 * Provisorische Zahl, da noch nicht rechtskräftig gewordene Urteile später registriert werden können. • Stand der Datenbank 1984-2003: 16.01.2004; Stand der Datenbank 2003-2005: 30.08.2006 Diff. -4 +3 +4 -6 -2 -2 -4 -3 -4 -2 +10 +14 +9 +11 +10 +9 +17 +16 offen offen offen offen