Behandlung von Frauen mit Epilepsie

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ÜBERSICHTSARBEIT
Behandlung von Frauen mit Epilepsie
Sabine Weil, Charlotte Deppe, Soheyl Noachtar
ZUSAMMENFASSUNG
Hintergrund: Bei Frauen mit Epilepsie und den betreuenden Ärzten herrscht häufig Verunsicherung bezüglich der
Auswirkungen und Einschränkungen durch die Krankheit.
Der Beratungsbedarf ist groß.
Methode: Selektive Literaturrecherche (Stand November
2009).
Ergebnisse: Empfehlungen zu Kinderwunsch und
Schwangerschaft folgen den Leitlinien der Deutschen Gesellschaften für Neurologie und Epileptologie sowie der
Amerikanischen Epilepsie-Gesellschaft. Die Evidenzlage
ist schwach für die übrigen Themen (Kontrazeption, Hormoneinflüsse auf die Erkrankung sowie Medikamenteneinflüsse auf den endokrinen Stoffwechsel und den Knochenstoffwechsel) mangels entsprechender kontrollierter
Studien. Das polyzystische Ovarsyndrom sieht man insbesondere unter der Einnahme von Valproat bei Frauen
mit Epilepsie häufiger. Antiepileptika mit CYP3a-induzierender Wirkung können zu einer Wirkungsabschwächung
von oralen Kontrazeptiva führen. Umgekehrt können orale
Kontrazeptiva zu einer deutlichen Absenkung der Antiepileptikaspiegel führen. Das Risiko für Nachkommen mit
kongenitalen Fehlbildungen und Aborte steigt nach bisher
vorliegenden Studien von 1 bis 2 Prozent in der Normalbevölkerung auf 3 bis 9 Prozent bei Frauen mit Epilepsie,
die Antiepileptika einnehmen. Epilepsiepatientinnen mit
Kinderwunsch wird derzeit eine Folsäureprophylaxe vor
Eintritt der Schwangerschaft bis zum Ende des 1. Trimenon empfohlen. Derzeit wird Müttern mit Epilepsie geraten, ihre Kinder zu stillen.
Schlussfolgerung: Die Einschränkungen durch Epilepsie
können bei vielen Frauen reduziert werden, wenn die Behandlung und Beratung frauenspezifische Aspekte berücksichtigt.
►Zitierweise
Weil S, Deppe C, Noachtar S: The treatment of women
with epilepsy. Dtsch Arztebl Int 2010; 107(45): 787–93.
DOI: 10.3238/arztebl.2010.0787
Klinikum der Universität München, Großhadern; Epilepsie-Zentrum, Neurologische Klinik und Poliklinik: Dr. med. Weil, Prof. Dr. med. Noachtar
Klinik und Poliklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe: Dr. med. Deppe
Deutsches Ärzteblatt | Jg. 107 | Heft 45 | 12. November 2010
ie Zahl der Frauen, die an einer Epilepsie leiden,
liegt in Deutschland bei etwa 400 000. Auf 1 000
Geburten kommen drei bis vier Mütter mit Epilepsie (1).
Befragungen zeigen, dass sich viele betroffene Frauen
nicht ausreichend beraten fühlen und auch objektiv
schlecht informiert sind (2).
In der folgenden Übersicht werden nach einer selektiven Literaturrecherche vorliegende Daten zu Epilepsie,
Hormoneinflüssen (katameniale Epilepsie), Medikamentenwahl und Einfluss auf den endokrinen Stoffwechsel (zum Beispiel polyzystisches Ovar), Kontrazeption, Kinderwunsch und Schwangerschaft besprochen. Die Empfehlungen zu Kinderwunsch und
Schwangerschaft folgen den Leitlinien beziehungsweise
Empfehlungen der Deutschen Gesellschaften für Neurologie (S1) und Epileptologie sowie der Amerikanischen
Epilepsie-Gesellschaft. Die Evidenzlage zu den anderen
Themen ist mangels kontrollierter Studien schwach.
D
Anfallshäufigkeit und Sexualhormone
Mit der Pubertät kommt es zu einem deutlichen Anstieg
von Amplitude und Frequenz des Gonadotropin-releasing hormone (GnRH)-Pulses mit konsekutivem Anstieg
der Follikel stimulierendes Hormon (FSH)- und Luteinizing hormone (LH)-Ausschüttung und ansteigenden Serumkonzentrationen von Östrogenen. Die Progesteronspiegel steigen mit Zunahme der ovulatorischen Zyklen.
Östrogenen schreibt man eine anfallsfördernde Wirkung zu, wenngleich Studienergebnisse zu den Mechanismen widersprüchlich sind.
Progesteron hat eine besser belegte anfallshemmende
Wirkung (e1, 3). Ein Teil der Epilepsiepatientinnen beschreibt eine zyklusabhängige Anfallszunahme. Die Angaben über die Häufigkeit zyklusgebundener epileptischer Anfälle (katameniale Anfallshäufung) variieren je
nach Definition zwischen 10 und 78 Prozent. Eine inzwischen allgemein akzeptierte, empirische Definition
für diese Form der Anfallshäufung besagt, dass eine Verdopplung der täglichen Anfallsfrequenz in einer bestimmten Zyklusphase an sechs aufeinanderfolgenden
Monaten nachgewiesen sein muss. Nach dieser Definition leiden rund ein Drittel aller Frauen an einer zyklusgebundenen Zunahme der Anfallsfrequenz (3). Dabei lassen sich drei Zyklusphasen mit typischen katamenialen
Anfallshäufungen abgrenzen:
● periovulatorischer Östrogen-Peak (Tag 10 bis 13)
● perimenstruell mit typischem Gestagenabfall am
Zyklusende (Tag 3)
● gesamte zweite Zyklushälfte bei Störung der lutealen Funktion, also inadäquatem Progesteronspiegel (Tag 10 bis Tag 3 des Folgezyklus) (3, 4).
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TABELLE 1
Antiepileptika und ihr Einfluss auf den Konzeptionsschutz von Ovulationshemmern und anderen hormonhaltigen Kontrazeptiva
nachgewiesene
Verminderung
kontrazeptiven
Schutzes
mögliche
Verminderung
kein Einfluss laut Studien
oder Fachinformation
– Phenytoin
– Phenobarbital
– Carbamazepin
– Primidon
– Oxcarbazepin
– Topiramat (400 mg/d
in Kombination mit
Valproat)
– Lamotrigin
– Gabapentin
– Pregabalin
– Valproinsäure
– Ethosuximid
– Lacosamid
– Levetiracetam (< 1000 mg/d)
– Zonisamid
– Topiramat < 200 mg
Ein Anfallskalender mit gleichzeitiger Dokumentation des Menstruationszyklus und der täglichen
Basaltemperatur hilft, Klarheit zu schaffen beim Verdacht auf eine katameniale Anfallshäufung. Ferner
kann die Bestimmung des Progesteronspiegels in der
Mitte der lutealen Phase zur Detektion von Zyklen
mit indäquater lutealer Phase hilfreich sein. Erstaunlich oft lässt sich das subjektive Empfinden der Patientinnen nach gehäuft perimenstruellen Anfällen
nicht objektivieren.
Therapieoptionen bei gesicherter zyklusgebundener
Anfallshäufung
Es liegen dazu nur Open-label-Studien an kleinen
Patientenkollektiven oder Kasuistiken vor, wobei
Progesterone und Progestine, Gonadotropin-releasing-Hormon-Analoga sowie Antiöstrogene (Clomiphen) zu einer Verbesserung der Anfallsfrequenz geführt haben. Zwischen 42 und 80 Prozent der Frauen
profitierten davon im Sinne einer Anfallsreduktion,
in einzelnen Fällen sogar bis hin zur Anfallsfreiheit
(3, 5). Zyklische Gaben von Clobazam perimenstruell (10 Tage) führten bei zehn von 24 Frauen zu Anfallsfreiheit. In einer Folgestudie konnte man bei
vier von zehn Frauen für drei Jahre die Anfallshäufigkeit ohne Toleranzentwicklung um die Hälfte reduzieren (e2).
Einflüsse der Antiepileptika auf den
endokrinen Stoffwechsel
Unter einer Therapie mit enzyminduzierenden Antiepileptika wie Phenytoin, Phenobarbital und Carbamazepin können ein signifikanter Abfall von luteinisierendem Hormon und Estradiol sowie ein Anstieg von
SHBG („sex-hormone-binding-globuline“) und Prolaktin beobachtet werden (6). Die durch den SHBGAnstieg vermehrte Proteinbindung senkt die Serumkonzentrationen der freien, wirksamen Sexualsteroide.
Das Polyzystische-Ovar-Syndrom (PCOS) mit
den Symptomen Oligo- oder Amenorrhoe, Hyperandrogenämie beziehungsweise Hyperandrogenisierungs-Erscheinungen und sonographisch polyzysti-
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schen Ovarien scheint bei Epilepsiepatientinnen,
auch wenn sie keine Antiepileptika einnehmen, gegenüber der Normalbevölkerung häufiger aufzutreten (12,5 bis 26 Prozent versus 6,6 Prozent in der
Normalbevölkerung) (7, 8).
Eine Valproat-Therapie wird mit der Entwicklung
eines PCOS in Verbindung gebracht. Dabei scheinen
endokrine Auswirkungen häufiger bei Frauen aufzutreten, die vor dem 20. Lebensjahr mit einer ValproatTherapie begonnen haben (9). Valproat führt bei bis
zu 57 Prozent der postpubertalen Mädchen zu einer
Erhöhung der Testosteronspiegel (e3).
Gewichtszunahme, häufige Nebenwirkung einer
Valproat-Therapie, beruht vermutlich auf einer Valproat-induzierten Hyperinsulinämie beziehungsweise Insulinresistenz sowie auf einer Hyperleptinämie
mit Leptinresistenz (10). Die für Valproat typische
Gewichtszunahme kann das kardiovaskuläre Risikoprofil verschlechtern (11). Deshalb empfiehlt sich
bei Frauen mit Epilepsie, Zyklusunregelmäßigkeiten
zu erfragen, nach Virilisierungszeichen zu suchen
und den Gewichtsverlauf zu dokumentieren, um gegebenenfalls weitere Untersuchungen einzuleiten.
Fertilität
Störungen der Fortpflanzungsfähigkeit sind bei Patienten mit Epilepsie häufiger als in der Normalbevölkerung (e4). Amenorrhoen sieht man bei 15 bis
20 Prozent der Epilepsiepatientinnen, sonstige Zyklusstörungen einschließlich Zwischenblutungen bei
fast 50 Prozent (e5). Die genauen Pathomechanismen sind nur unvollständig geklärt. In Frage kommen sowohl Störungen der Hypothalamus-Hypophysen-Achse durch die Epilepsie (e6) als auch die oben
beschriebenen Einflüsse der Antiepileptika auf den
Steroidhormonstoffwechsel (e7). Man findet bei
Temporallappenepilepsien gehäuft anovulatorische
Zyklen, hypogonadotrope Amenorrhoen und PCOSyndrome (e8).
Kontrazeption bei Patientinnen mit Epilepsie
Orale Kontrazeptiva (OK) und manche Antiepileptika beeinflussen sich in ihrer Wirksamkeit gegenseitig. Zu den Antiepileptika (AE), die die Sicherheit
von synthetischen kontrazeptiven Steroiden durch
eine erhöhte Clearance mindern können, zählen die
starken CYP3a-Induktoren Carbamazepin, Phenytoin und Phenobarbital sowie die milden CYP3a-Induktoren Oxcarbazepin und Topiramat (12). Lamotrigin hat keinen Effekt auf die Ethinylestradiolspiegel, senkt aber die Levonorgestrelspiegel um bis zu
20 Prozent (13). Die Auswirkungen auf den Konzeptionsschutz hierdurch sind nicht bekannt. Einflüsse
der gängigen AE auf den Konzeptionschutz sind in
Tabelle 1 zusammengestellt.
Man geht davon aus, dass sich der Pearl-Index
der gängigen Pillenpräparate (0,1 bis 0,7) (e9) unter
Einnahme von enzyminduzierenden Antiepileptika
(EZA) verdoppelt, wenngleich dazu nur nicht prospektive Studien mit kleinen Fallzahlen vorliegen
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(13). Durch ein monophasisches Pillenpräparat im
Langzyklus mit einem hohen Progesterongehalt in
mindestens doppelter ovulationshemmender Dosis
kann der Konzeptionsschutz verbessert werden (12).
Die Langzyklustherapie ist allerdings nicht formal
zugelassen. Die ovulationshemmenden Tagesdosen
der gängigen Pillen-Progestine sind in Tabelle 2 zusammengestellt. Ausschließlich gestagenhaltige Pillenpräparate sind bei gleichzeitiger Einnahme von
enzyminduzierenden AE nicht sicher und somit ungeeignet.
Die oben beschriebenen Interaktionen zwischen
enzyminduzierenden AE und hormoneller Kontrazeption gelten ebenso für andere Applikationsformen
der Ovulationshemmer (Vaginalring, Pflaster) und
für andere rein gestagenhaltige Kontrazeptiva (Depotgestagene und subkutane Gestagenstäbchen).
Laut derzeitigen Empfehlungen sollten sich Frauen, die enzyminduzierende AE benötigen, nicht auf
eine hormonelle Kontrazeption verlassen, sondern
eine andere Art der Verhütung (zum Beispiel Spirale)
wählen und zusätzlich Kondome benutzen.
Zur Wirksamkeit der sogenannten „Pille danach“
gibt es keine Daten; es ist nicht belegt, welche Progestin-Dosen unter Einnahme von enzyminduzierenden AE für die Verhinderung einer Schwangerschaft
notwendig sind. Derzeitige Empfehlungen favorisieren eine möglichst frühe Einnahme von 1,5 mg Levonorgestrel, gefolgt von 0,75 mg Levonorgestrel 12
Stunden später (12).
Eine mögliche Alternative zur hormonellen Kontrazeption stellen kupferhaltige Spiralen (IUD) dar.
Die gefürchtete Komplikation vaginal aszendierender Infektionen bis hin zum Tubovarialabszess tritt
bei stabiler Partnerschaft und fehlender Anamnese
für rezidivierende vaginale/zervikale Entzündungen
selten auf. Es ist derzeit nicht bekannt, wie weit die
lokalen Gestagen-Effekte der Hormonspiralen durch
enzyminduzierende Antiepileptika (EZA) herabgesetzt werden könnten (12).
Manche Antiepileptikaserumspiegel – allen voran
der Lamotriginspiegel (bis zu 50 Prozent) – werden
durch ethylestradiolhaltige Kontrazeptiva nennenswert gesenkt. Bei klassischer Einnahme von Pillenpräparaten mit siebentägiger Pillenpause kann es zu
zyklischen Wirkungsabschwächungen der AE-Therapie oder zu toxischen Medikamentenspiegeln in
der Pillenpause kommen (14). Diese Spiegelschwankungen lassen sich durch die Einnahme von monophasischen Präparaten im Langzyklus vermeiden.
Gegebenenfalls muss zu Beginn und bei Beendigung
einer hormonellen Kontrazeption die LamotriginDosis angepasst werden.
Schwangerschaft und Epilepsie
Vererbungsrisiken
Epilepsien sind ätiologisch heterogen und resultieren
aus vielen genetischen und nicht genetischen Faktoren (15). Das genetische Risiko für eine Epilepsie ist
nur bei sehr seltenen, monogenen Erkrankungen
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TABELLE 2
Ovulationshemmende Tagesdosen einiger im Handel befindlicher Gestagene ohne zusätzliches Östrogen (e18)
Präparat
ovulationshemmende
Tagesdosis (mg)
Chlormadionacetat
1,5–2
Cyproteronacetat
1
Desogestrel
0,06
Dienogest
1
Drospirenon
2
Dienogest
1
Gestoden
0,03–0,05
Levonorgestrel
0,05–0,06
Norethisteron
0,4–0,5
Lynestrenol
2,0
Norethisteronacetat
0,5
TABELLE 3
Fehlbildungsraten im britischen Schwangerschaftsregister (UK registry; n = 3 607)
exponierte Kinder
Fehlbildungsrate
Valproat
715
6,2 %
Carbamazepin
900
2,2 %
Lamotrigin
647
3,2 %
Phenytoin
82
3,7 %
Bezüglich übriger Medikamente sind die Fallzahlen zu klein für statistische
Aussagen (18).
chromosomal definiert und genau bekannt. Die generalisierten Epilepsiesyndrome haben grundsätzlich
ein etwas höheres hereditäres Risiko als die fokalen
Epilepsien. Für alle Syndrome zusammen liegt das
Vererbungsrisiko bei 4 bis 5 Prozent für Kinder erkrankter Mütter und bei circa 2 Prozent für Kinder
erkrankter Väter (15). Bei mehr als 90 Prozent aller
Epilepsiepatienten ist die Familienanamnese leer.
Epileptische Anfälle während der Schwangerschaft
Die Anfallsfrequenz bleibt bei 67 Prozent der Frauen
in der Schwangerschaft unverändert, bei 17 Prozent
kommt es zu einer Zunahme, bei 16 Prozent zu einer
Abnahme der Anfallshäufigkeit (16).
Aus Sorge, dem ungeborenen Kind zu schaden,
werden AE oft reduziert oder abgesetzt, was eine
Anfallszunahme verursachen kann. Auch pharmakokinetische Veränderungen während der Schwangerschaft, wie Änderung von Magenmotilität, Plasma-
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KASTEN 1
Europäisches Register für
Schwangerschaft unter
Antiepileptikaeinahme (EURAP)
● Schwangere Frauen mit Epilepsie bitte im EURAPRegister einschließen
● Kontakt unter www.eurap.de. Auf dieser Website
befinden sich auch Beratungsbroschüren für Betroffene
und Ärzte
KASTEN 2a
Empfehlungen für Frauen
mit Epilepsie vor einer geplanten
Schwangerschaft
● Einnahme von 1–5 mg Folsäure/d
● Vermeidung von Antiepileptika-Kombinationstherapien
(wenn möglich)
● jedes Antiepileptikum sollte in der niedrigsten
wirksamen Dosis gegeben werden
● Ersteinstellung auf Valproat möglichst meiden und
medikamentöse Alternativen erwägen
● sofern Valproat erforderlich ist, empfiehlt sich die niedrigst mögliche Dosis in retardierter Form, verteilt auf
drei Einzelgaben
● bei Einnahme von Lamotrigin sollte aufgrund des zu
erwartenden Abfalls der Serumkonzentration zu Beginn
der Schwangerschaft sowie im 2. und 3. Trimenon jeweils ein Serumspiegel vor Medikationseinnahme abgenommen werden (Bestimmung im selben Labor) und
gegebenenfalls die Dosis angepasst werden
KASTEN 2b
Empfehlungen für Frauen
mit Epilepsie bei eingetretener
Schwangerschaft
● von größeren Medikamentenumstellungen wird
abgeraten
● 1–5 mg Folsäure/d während des 1. Trimenon
● Versuch, auf eine Monotherapie in niedrigst wirksamer
Dosis zu reduzieren
● eine peripartale Vitamin-K-Einnahme der Mütter wird
aktuell nicht empfohlen
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volumen, Verteilungsvolumen, Leber- und Nierenfunktion und Proteinbindung, tragen dazu bei. Dies
führt zu Schwankungen der Medikamentenclearance.
Für Oxcarbazepin und Lamotrigin sind deutliche Serumspiegelabfälle während der Schwangerschaft mit
Anfallszunahme und Wiederanstieg der Serumspiegel nach Entbindung gut belegt (17).
Dosisanpassungen sind in der Schwangerschaft
sinnvoll und erfordern Vergleichsspiegel vor Beginn
der Schwangerschaft vom selben Labor. Bei Anfallsrezidiven ist eine Erhöhung der Medikamentendosis
notwendig. Nach der Entbindung kann der Wiederanstieg der Serumspiegel zu Nebenwirkungen führen.
Der Einfluss von epileptischen Anfällen auf Embryogenese oder Fetalentwicklung ist nicht gut belegt. Eine Gefährdung des Fetus ist bei länger dauernder Hypoxämie beziehungsweise Hyperkapnie
während generalisierter tonisch-klonischer Anfälle
nachvollziehbar.
So konnte während eines kurzen generalisiert tonisch-klonischen Anfalls eine deutliche Abnahme
der fetalen Herzfrequenz unter 120 Schläge pro Minute für über 20 Minuten dokumentiert werden (Minimum: 60 Schläge pro Minute) (e10). Ferner wurde
über fetale Blutungen, Frühaborte und Totgeburten
nach solchen Anfällen berichtet (e11). Bei den im
europäischen Schwangerschaftsregister erfassten 36
Fällen mit Status epilepticus kam es zu einem Frühabort und zu einer Totgeburt (16). Ein Gefährdungspotenzial für den Fetus ergibt sich auch aus mütterlichen anfallsbedingten Stürzen mit dem Risiko von
Uterusverletzungen und Plazentahämatomen oder
-lösungen.
Eine konsequente auf die Schwangerschaft hin optimierte antiepileptische Therapie zielt daher nach
wie vor auf Anfallsfreiheit der Mütter.
Teratogenität von Antiepileptika
Das Risiko für Nachkommen mit kongenitalen Fehlbildungen und für Aborte oder Fehlgeburten verdoppelt sich nach den bisher – überwiegend retrospektiven – vorliegenden Studien von 1 bis 2 Prozent in
der Normalbevölkerung auf 3 bis 9 Prozent bei Frauen mit Epilepsie, die Antiepileptika einnehmen (e12,
18). Monotherapien haben deutlich niedrigere Risiken für Fehlbildungen als Kombinationstherapien
(46 versus 6 bis 17 Prozent) (18, e12). Die höchste
Fehlbildungsrate besteht unter Valproat bei Tagesdosen über 1000 mg (Tabelle 3).
Hinweise für substanzspezifische Fehlbildungen
gibt es für Valproat (Neuralrohrdefekte, Lippen-Kiefer-Gaumenspalten), Carbamazepin und Phenytoin
(Gaumenspalten) sowie Phenobarbital (kardiale
Malformationen) (19). Erste Daten aus einem großen
prospektiven europäischen Schwangerschaftsregister
(EURAP) sind demnächst zu erwarten (Kasten 1).
Nach den derzeitigen Empfehlungen der Amerikanischen Epilepsie-Gesellschaft (19) sowie der Deutschen Gesellschaft für Epileptologie (20) sollte ValDeutsches Ärzteblatt | Jg. 107 | Heft 45 | 12. November 2010
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proat während des ersten Trimenons vermieden werden. Diese Empfehlungen lassen sich wegen der hohen Wirksamkeit von Valproat insbesondere bei idiopathischen generalisierten Epilepsien manchmal
nicht umsetzen (21, e13) (weitere Empfehlungen siehe Kasten 2a).
Ist die Schwangerschaft bereits eingetreten, sind
Umstellungen auf andere Medikamente nicht sinnvoll, weil sie sich typischerweise über Wochen bis
Monate hinziehen (Empfehlungen siehe Kasten 2b).
Die gynäkologische Betreuung während der
Schwangerschaft unterscheidet sich kaum von der
gesunder Frauen (Kasten 3).
Entwicklungsverzögerungen und kognitive Defizite
Schwangerschaftsregister erfassen überwiegend große Fehlbildungen und Aborte. Inzwischen gibt es jedoch zunehmend mehr Studien, die eine dosisabhängige Assoziation zwischen Valproatexposition und
erniedrigtem IQ der Kinder epilepsiekranker Mütter
zeigen (22).
Folsäuresubstitution/pränatale Vitamin-K-Gabe
Folsäuremangel führt in der Normalbevölkerung gehäuft zu Neuralrohrdefekten. Neuralrohrdefekte sind
für Valproat (1 bis 2 Prozent) und Carbamazepin
(0,5 Prozent) bekannt. Eine Folsäuresubstitution bei
Antiepileptika(AE)-Einnahme und Kinderwunsch wird
empfohlen. Die Dosisangaben schwanken zwischen
0,4 bis 5 mg pro Tag für das erste Trimenon (e14).
Allen Frauen mit Kinderwunsch wird schon präkonzeptionell und im ersten Trimenon täglich 0,4 mg
Folsäure empfohlen. Bei AE-Therapie, insbesondere
bei Valproat- und Carbamazepin-Einnahme, werden
5 mg Folsäure pro Tag empfohlen. Da sich das Neuralrohr sehr früh schließt (26. Tag post conceptionem),
sollten alle Frauen mit Epilepsie im gebärfähigen Alter
und ohne sicheren Konzeptionsschutz Folsäure einnehmen.
Es wurde lange Zeit vermutet, dass Neugeborene
von Müttern, die enzyminduzierende Antiepileptika
eingenommen hatten, häufiger frühe neonatale Blutungen erleiden. Dieses Risiko ist allerdings nach aktueller, relativ dünner Datenlage nicht signifikant
erhöht. Daher wird derzeit keine maternale präpartale Gabe von Vitamin K empfohlen. Neugeborene von
medikamentös behandelten epilepsiekranken Müttern sollen laut US-amerikanischen Leitlinien postnatal Vitamin K in gleicher Dosierung erhalten, wie
dies für alle anderen Neugeborenen empfohlen
wird (23).
Risiken von Schwangerschaftskomplikationen
Das Risiko für Frühgeburten, Kaiserschnitte, Blutungen in der Schwangerschaft oder vorzeitige Wehen
ist bei Schwangeren mit Epilepsie, die Antiepileptika
einnehmen, nach der derzeitigen Datenlage nicht wesentlich erhöht (19). Lediglich bei Patientinnen, die
zusätzlich rauchen, ist ein erhöhtes Risiko für vorzeitige Wehen beschrieben. Das Risiko für intrauteDeutsches Ärzteblatt | Jg. 107 | Heft 45 | 12. November 2010
KASTEN 3
Zusätzlich zur üblichen
Schwangerenvorsorge empfohlen
● erweitertes Ersttrimester-Ultraschall-Screening
zwischen der 11. und 14. SSW
● ausführliches Organ-Screening in der 20. bis 22. SSW
in spezialisierten Zentren
rine Wachstumsverzögerungen (SGA, „small for gestational age“) ist unter Antiepileptikaexposition
vermutlich verdoppelt. Der 2-min-APGAR-Wert
liegt unter AE-Exposition häufiger unter 7 (19).
Entbindung
Die Entbindung sollte in einem Zentrum mit Geburtshilfe, Neurologie, Neonatologie und Anästhesie
erfolgen. Von Hausgeburten ist abzuraten.
Ein epileptischer Anfall ist in der Regel innerhalb
weniger Minuten selbstlimitierend, das heißt eine
Medikamentengabe zur Beendigung eines Anfalls ist
allein schon wegen der zu lang dauernden Pharmakokinetik nicht sinnvoll. Ausnahmen bestehen bei einer Anfallsdauer von über fünf Minuten oder einem
Status epilepticus. Die wichtigste Maßnahme im Anfall ist der Schutz von Mutter und Ungeborenem vor
Verletzungen (Stürze, Kompression des Bauches).
Ein Mundkeil ist obsolet.
Sofern eine Durchbrechung eines Anfallsstatus
notwendig ist, sollte aufgrund der geringeren Atemdepression und besseren antiepileptischen Wirkung
Lorazepam der Vorzug vor Diazepam gegeben werden (e15).
In jedem Fall sollten im Anfall sub partu Pädiater
bereit stehen, um auf einen möglichen Sedierungsüberhang beziehungsweise auf mögliche Hypoxien
des Kindes bei mütterlichem Status epilepticus ohne
Verzögerung reagieren zu können.
Das Risiko eines epileptischen Anfalls während
der Entbindung liegt nach Ergebnissen der EURAPStudie bei 3,5 Prozent und korreliert gut mit der Zahl
der Anfälle, die bereits in der Schwangerschaft aufgetreten sind (16).
Eine Epilepsie stellt per se keine Indikation zur
Sectio oder Geburtseinleitung dar. Eine primäre
Schnittentbindung wird aber bei mehreren kleinen
Anfällen täglich oder bei mindestens einem generalisiert tonisch-klonischen Anfall pro Woche empfohlen. Eine sekundäre Sectioindikation kann sich bei
übermäßig langer Dauer der Geburt ergeben, da der
Schlafentzug insbesondere bei generalisierten Epilepsien das Anfallsrisiko erhöht. Bei fokalen Epilepsien ist der Einfluss von Schlafentzug deutlich geringer (e16). Wichtig ist, auch unter der Geburt auf eine
regelmäßige Antiepileptika-Einnahme zu achten.
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Nach der Entbindung
Wöchnerinnen mit Epilepsie benötigen eine gute Risikoberatung. Schlafentzug im Wochenbett durch
Stillen kann Anfälle auslösen, weshalb eine Unterstützung der Mütter erforderlich ist. Die Kinder sollten auf dem Boden gewickelt werden, um bei Anfällen mit Bewusstseinsstörung Stürze des Babys vom
Wickeltisch zu vermeiden. Säuglinge sollten nur im
Beisein anderer Erwachsener gebadet werden (24).
Stillen
Gegenwärtig wird Müttern mit Epilepsie nicht vom
Stillen abgeraten (17). Alle AE gehen in unterschiedlichen Prozentsätzen in die Muttermilch über (e11,
e17). Die Plasmaspiegel bei den Kindern sind aber
nicht nur durch die unterschiedliche Muttermilchgängigkeit bedingt. Aufgrund der noch nicht ausgereiften Leber der Neugeborenen und verlängerter
Medikamenten-Elimination kann es zur Akkumulation mancher AE kommen.
Osteoporose
Mehr als die Hälfte der Epilepsiepatienten unter
langfristiger AE-Einnahme leiden klinisch oder subklinisch an einer AE-induzierten Osteopathie (25).
Das Risiko für Frakturen ist bei Epilepsiepatienten
fünf- bis sechsfach erhöht. Für enzyminduzierende
Antiepileptika ist der negative Einfluss auf den Vitamin-D-Stoffwechsel bekannt. Bei Valproat geht man
von einem Ungleichgewicht zwischen Osteoblasten
und Osteoklasten zugunsten der Osteoklasten aus.
Neuere Antiepileptika sind diesbezüglich schlecht
untersucht. Bei der Wahl des Antiepileptikums sollte
auch das Lebensalter der Patienten berücksichtigt
werden. Es wird deshalb eine Knochendichtemessung bei postmenopausalen Frauen zu Beginn und
fünf Jahre nach Beginn einer AE-Therapie empfohlen.
Interessenkonflikt
Prof. Noachter hat von folgenden Firmen Beratungs- und Vortragshonorare sowie Forschungsunterstützung erhalten beziehungsweise in klinischen Studien
mitgewirkt: Aventis, Desitin, Eisai, Glaxo-Wellcome, Janssen-Cilag, Johnson &
Johnson, Novartis, Pfizer und UCB Pharma.
Frau Dr. Weil hat Honorare für Vortragstätigkeiten von der Firma UCB erhalten.
Dr. Deppe erklärt, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.
Manuskriptdaten
eingereicht: 25. 11. 2009, revidierte Fassung angenommen: 31. 5. 2010
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KERNAUSSAGEN
● Eine Ersteinstellung auf Valproat sollte bei Frauen
mit Kinderwunsch aufgrund der derzeitigen Daten
zur Teratogenität vermieden werden, sofern Alternativen bestehen.
● Valproat kann über eine Hyperinsulinämie zu Gewichtszunahme führen.
● Einzelne Antiepileptika können zu einem Wirkungsverlust von Kontrazeptiva führen. Umgekehrt können
Kontrazeptiva zu signifikanten Abfällen von Antiepileptikaspiegeln führen.
● Jede zweite Epilepsiepatientin unter chronischer
Antiepileptika-Einnahme leidet an einer Antiepileptika-assoziierten Osteopathie mit erhöhtem Frakturrisiko.
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SUMMARY
The Treatment of Women With Epilepsy
Background: Women with epilepsy and their doctors are often unsure of
the implications of the disease and the limitations it causes. There is a
major need for counseling.
Methods: Selective review of the literature as of November 2009.
Results: Recommendations on pregnancy and childbearing for women
with epilepsy can be found in the guidelines issued by the German Societies of Neurology and Epileptology and by the American Epilepsy Society.
Only low-level evidence is available on other relevant questions, including
contraception, the influence of hormones on epilepsy, and the influence
of antiepileptic drugs on endocrine and bone metabolism, because of a
lack of controlled studies. Polycystic ovarian syndrome is more commonly
seen in women with epilepsy who take valproate. Antiepileptic drugs that
induce CYP3a can diminish the efficacy of oral contraceptives; conversely, oral contraceptives can markedly lower the blood levels of antiepileptic
drugs. According to the most recent studies, the risk of congenital malformations and spontaneous abortions is 1% to 2% in the normal population
and 3% to 9% in the offspring of women with epilepsy who are taking
antiepileptic drugs. Women with epilepsy who want to have children are
currently advised to take folic acid prophylactically starting before conception and until the end of the first trimester. New mothers with epilepsy
are advised to breastfeed their children.
Conclusion: Proper treatment and counseling of women with epilepsy,
with due attention to aspects that are specific to women patients, can
reduce the limitations to which they are subject in everyday life.
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Anschrift für die Verfasser
Prof. Dr. med. Soheyl Noachtar
Epilepsie-Zentrum
Neurologische Klinik und Poliklinik
Klinikum der Universität München – Großhadern
Marchioninistraße 15, 81377 München
E-Mail: [email protected]
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@
Mit „e“ gekennzeichnete Literatur:
www.aerzteblatt.de/lit4510
The English version of this article is available online:
www.aerzteblatt-international.de
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MEDIZIN
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Behandlung von Frauen mit Epilepsie
Sabine Weil, Charlotte Deppe, Soheyl Noachtar
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