XII. Elektromagnetische Wellen in Materie

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N.BORGHINI
Elektrodynamik in Materie
Theoretische Physik IV
XII. Elektromagnetische Wellen in Materie
Unten den wichtigsten Lösungen der makroskopischen Maxwell-Gleichungen (XI.1) in Materie sind
die (fortschreitenden) Wellen. Um die zugehörigen Wellengleichungen zu erhalten, sind konstitutive
~ und D
~ bzw. B
~ und H
~ nötig. Hiernach wird angenommen, dass die Felder
Gleichungen zwischen E
in homogenen und linearen Materialen propagieren — wobei die konstitutiven Relationen zeitunabhängig oder -abhängig sein können — und dass keine externen Ladungen vorhanden sind, d.h.
%ext = 0, J~ext = ~0.
Zunächst wird der Fall elektromagnetischer Wellen mit „langsamer“ Frequenz untersucht, die
sehr ähnlich Wellen im Vakuum sind (Abschn. XII.1). Dann werden Wellen mit beliebig großer
Frequenz studiert (Abschnitt XII.2).
XII.1 Elektromagnetische Wellen im quasistationären Zustand
Sei eine monochromatische Welle, die auf einem makroskopischen Körper stößt. Die Zeitabhängigkeit des elektromagnetischen Feldes wird durch dessen Kreisfrequenz ω bzw. durch dessen
Periodendauer T = 2π/ω charakterisiert.
Diese Periode soll mit der typische Zeitskala τP~ bzw. τM
~ , auf der die Polarisation bzw. die
Magnetisierung des makroskopischen Körpers sich einstellen kann, verglichen werden. Ist die Peri−1
ode viel größer ist als jene typischen Zeitskalen, d.h. ω τ −1
~ , τM
~ , so können die Eigenschaften
P
(Permittivität, Permeabilität...) des Materials über eine Periode als konstant betrachtet werden.
Für ein isotropes lineares und homogenes Medium gelten also
~
~ ~r) = E(t,
~ ~r), H(t,
~ ~r) = B(t, ~r) ,
D(t,
(XII.1)
µ
mit = 0 r und µ = µ0 µr .
XII.1.1 Wellengleichung
~ · E(t,
~ ~r) = 0. Bildet
Unter diesen Bedingungen führt die Maxwell–Gauß-Gleichung (XI.1a) zu ∇
~
~
~
~ ∇
~ · E)
~ − 4E,
~
man die Rotation der Gl. (XI.1c) unter Verwendung der Identität ∇ × (∇ × E) = ∇(
so kommt
~ ~r) + ∂ ∇
~ × B(t,
~ ~r) = ~0.
−4E(t,
∂t
~ × B(t,
~ ~r) durch µ∇
~ × H(t,
~ ~r) ersetzt werden: die
Dank der konstitutiven Relation (XII.1) kann ∇
Maxwell–Ampère-Gleichung (XI.1d) gibt dann die Beziehung
~
~
~ × B(t,
~ ~r) = µ ∂ D(t, ~r) = µ ∂ E(t, ~r) .
∇
∂t
∂t
Somit ergibt sich
µ
~ ~r)
∂ 2 E(t,
~ ~r) = ~0.
− 4E(t,
∂t2
(XII.2a)
Auf die gleiche Weise findet man ausgehend von der Rotation von Gl. (XI.1d)
µ
~
∂2B
~ ~r) = ~0.
(t, ~r) − 4B(t,
2
∂t
(XII.2b)
Diese Bewegungsgleichungen sind homogene Wellengleichungen. In Analogie mit bekannten Ergebnis lautet die Phasengeschwindigkeit der Wellen
ceff = √
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c
1
=√ .
r µr
µ
(XII.2c)
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ceff stellt die „effektive“ Lichtgeschwindigkeit in Materie dar.51
~ und H
~ genügen analogen Bewegungsgleichungen und propagieren mit
Bemerkung: Die Felder D
derselben Phasengeschwindigkeit ceff .
XII.1.2 Ebene elektromagnetische Wellen in Materie
Die Wellengleichungen (XII.2a)–(XII.2b) sind ähnlich der entsprechenden Gleichungen für elektromagnetische Wellen im Vakuum, mit c ersetzt durch ceff , Gl. (XII.2c).
Mögliche Lösungen der Wellengleichung (XII.2) sind die ebenen monochromatischen Wellen
~ ~r) = E
~ 0 ei(~k·~r−ωt) ,
E(t,
~ ~r) = B
~ 0 ei(~k·~r−ωt) ,
B(t,
mit beliebiger Kreisfrequenz ω, einem Wellenvektor ~k(ω), dessen Betrag der Bedingung
√
ω r µr
ω
~
k(ω) ≡ k(ω) =
=
ceff
c
~ 0 , und
genügt, beliebiger Amplitude E
~0
~e × E
~ 0 = ~k
,
B
ceff
mit ~e~ dem Einheitsvektor in die Propagationsrichtung, d.h. die Richtung von ~k.
(XII.3a)
(XII.3b)
(XII.3c)
k
XII.1.3 Reflexions- und Brechungsgesetz
Seien zwei homogene dielektrische Medien A , B mit den jeweiligen relativen Permittivitäten und
Permeabilitäten r,A , r,B und µr,A , µr,B und einer gemeinsamen ebenen Grenzfläche S, auf der es
keine frei bewegliche Ladungsträger bzw. keine Flächenstromdichte gibt.
Eine elektromagnetische Welle mit Kreisfrequenz ω und Wellenvektor ~kA läuft im Medium A
auf die Grenzfläche ein:
~ A (t, ~r) = E
~ A,0 ei(~kA ·~r−ωt) , B
~ A (t, ~r) = B
~ A,0 ei(~kA ·~r−ωt) .
E
Dann läuft sie im Medium B weiter, mit der gleichen Frequenz und dem Wellenvektor ~kB :
~ B (t, ~r) = E
~ B,0 ei(~kB ·~r−ωt) ,
E
~ B (t, ~r) = B
~ B,0 ei(~kB ·~r−ωt) .
B
~B, B
~ B ) ist die transmittierte Welle.
(E
Es wird angenommen, dass ω klein genug ist, als dass in jedem Medium die konstitutiven Gleichungen (XII.1) gelten:
~
~ A (t, ~r) = r,A 0 E
~ A (t, ~r), H
~ A (t, ~r) = BA (t, ~r) ,
D
µr,A µ0
und ähnliche Beziehungen für die Felder im Medium B . Dann gelten auch in jedem Medium die
Relationen (XII.3b)–(XII.3c) mit der jeweiligen effektiven Lichtgeschwindigkeit (XII.2c).
An der Grenzfläche sollen die Bedingungen (XI.5) mit σ = 0, J~ = ~0 erfüllt werden. Das ist mit
~A, B
~A, E
~B, B
~ B allein nicht möglich.
den Feldern E
~A,
Dies lässt am einfachsten für den Fall einer senkrecht einfallenden Welle prüfen. Dann sind E
~
BA an der Grenzfläche tangential. Laut den Bedingungen (XI.5a) und (XI.5b) (Stetigkeit der
~ B und B
~ B ebenfalls tangential sein. Die Stetigkeit der TangentialNormalkomponenten) sollen E
~ B |/µr,B = |B
~ A |/µr,A , d.h. unter Nutzung
komponente der magnetischen Feldstärke führt zu |B
der Gl. (XII.3c)
r r,B
r r,A
~B
~A
E
= E
,
µr,B
µr,A
~ B | = |E
~ A | [Bedingung (XI.5c)]
was sich im allgemeinen Fall nicht in Übereinstimmung mit |E
bringen lässt.
51
Für die Bedeutung dieser effektiven Lichtgeschwindigkeit in einem Medium, s. Feynmans Diskussion in Ref. [17, 18]
Kapitel 31.
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medium A
medium B
J
J
J
0
J
^ θA θA ~en
J
6
J J
B
B
BNB
B
θB B
B
B
S
Abbildung XII.1: Reflexion und Brechung einer Welle auf eine ebene Grenzfläche.
Somit muss es eine dritte Welle geben, die reflektierte Welle, im Medium A :
~ 0 (t, ~r) = E
~ 0 ei(~kA0 ·~r−ωt) ,
E
A
A,0
~ 0 (t, ~r) = B
~ 0 ei(~kA0 ·~r−ωt) ,
B
A
A,0
mit |~kA0 | = |~kA |.
Sei ~en der Normaleinheitsvektor zur Grenzfläche S. Die Grenzbedingung (XI.5b) in einem Punkt
~ A (t, ~r) + B
~ 0 (t, ~r)] = ~en · B
~ B (t, ~r), d.h.
~r von S lautet jetzt ~en · [B
A
i
h
0
i(~kA0 −~kA )·~
r
~
~
~ B,0 (t, ~r) ei(~kB −~kA )·~r .
= ~en · B
~en · BA,0 (t, ~r) + BA,0 (t, ~r) e
Die Phasenfaktoren in dieser Gleichheit dürfen nicht vom Punkt abhängen: (~kA0 − ~kA ) · ~r = 0 und
(~kB − ~kA ) · ~r = 0 für jeden ~r ∈ S. Das heißt zum einen, dass ~kA0 − ~kA kollinear zu ~en ist, entsprechend
dem Reflexionsgesetz
~kA , ~k 0 und ~en sind koplanar;
A
(XII.4)
θA0 = θA ,
mit θA dem Einfallswinkel und θA0 dem Reflexionswinkel (Abb. XII.1).
Zum anderen ist ~kB − ~kA ebenfalls senkrecht zu S. Unter Berücksichtigung der unterschiedlichen
Phasengeschwindigkeiten des Lichts in den beiden Medien erhält man das Brechungsgesetz
~kA , ~kB und ~en sind koplanar;
√
√
r,A µr,A sin θA = r,B µr,B sin θB ,
(XII.5)
mit θB dem Brechungsswinkel (Abb. XII.1).
XII.2 Elektromagnetische Wellen beliebiger Kreisfrequenz
Wenn die Periode des elektromagnetischen Feldes nicht viel größer als die Zeitskala τP~ ist, kann
die dielektrische Polarisation bzw. die elektrische Flussdichte den Änderungen der elektrischen Feldstärke nicht unverzögert folgen, sondern hängt auch von deren Werten zu vergangenen Zeitpunkten
ab. Somit führt man eine (tensorielle) Funktion ~~χe (t, t0 ) ein, welche die „Antwort“ zur Zeit zu einer
elektrischen Anregung zur Zeit t0 ≤ t beschreibt:
Z t
~~χe (t, t0 ) · 0 E(t
~
~ 0 , ~r) dt0 .
P (t, ~r) =
(XII.6)
−∞
[vgl. Gl. (X.19a)].
~χe nicht von t und t0 getrennt abhängt, sondern nur von der
Eine günstige Annahme ist, dass ~
Verzögerung t − t0 . Dies ist äquivalent zur Forderung, dass Gl. (XII.6) gültig bleibt, wenn alle Zeiten
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um einen beliebigen τ0 verschoben werden — d.h. dass die Physik invariant unter Zeittranslation
ist. In diesem Fall lässt sich die Beziehung noch schreiben als
Z ∞
~~χe (τ ) · 0 E(t
~ − τ, ~r) dτ.
~
(XII.7a)
P (t, ~r) =
0
Wiederum ist die elektrische Flussdichte gegeben durch
Z ∞
~~χe (τ ) · 0 E(t
~ − τ, ~r) dτ.
~ ~r) = 0 E(t,
~ ~r) +
D(t,
(XII.7b)
0
~χe (τ ) heißt elektrischer Suszeptibilitätstensor.
Der Tensor zweiter Stufe ~
Bemerkung: In den Relationen (XII.7) wird die Kausalität berücksichtigt, indem die Integrale nur
über positive Werte der Zeitverzögerung τ laufen.
XII.2.1 Dielektrischer Tensor, dielektrische Funktion
Die Beziehungen (XII.7) sind
lassen sich einfachere Gleichungen
Z ∞
˜
~
~ ~r) eiωt dt,
E(ω, ~r) =
E(t,
nicht-lokal in der Zeit. Durch zeitliche Fourier-Transformation
erhalten. Es seien
Z ∞
Z ∞
˜
˜
iωt
~
~ ~r) eiωt dt
~
~
D(ω, ~r) =
D(t,
P (ω, ~r) =
P (t, ~r) e dt,
−∞
−∞
−∞
~ ~r), P~ (t, ~r) und D(t,
~ ~r). Aus Gl. (XII.7) und dem
die jeweiligen Fourier-Transformierten von E(t,
Faltungsstheorem folgen die Beziehungen
Z ∞ Z ∞
Z ∞
Z ∞
˜
iωt
iωτ ~
~
~
~
~ − τ, ~r) eiω(t−τ ) dt
~χe (τ ) · 0 E(t − τ, ~r) dτ e dt =
P (ω, ~r) =
dτ e ~χe (τ ) ·
0 E(t
−∞
0
0
~˜ ~r),
= ~~χe (ω) · 0 E(ω,
−∞
(XII.8a)
~˜ ~r),
~˜ ~r) = ~~(ω) · E(ω,
~˜ ~r) = 0 E(ω,
~˜ ~r) + ~
~χe (ω) · 0 E(ω,
D(ω,
(XII.8b)
mit ~~χe (ω) dem Fourier-transformierten Tensor von ~~χe (τ ) Θ(τ ) und ~~(ω) ≡ ~~1 +~~χe (ω) 0 ≡ ~~r (ω) 0 ,
wobei ~~1 den Einheitstensor 2. Stufe bezeichnet und Θ(τ ) die Heaviside-Funktion. ~~(ω) ist der
dielektrische Tensor im Fourier-Raum.
Wenn das Material isotrop ist, dann sind der Suszeptibilitätstensor und der dielektrische Tensor
diagonal und können damit durch skalare Funktionen χe (ω) und (ω) ersetzt werden. Die Letztere
wird dielektrische Funktion genannt.
Bemerkungen:
∗ Für kleine Kreisfrequenzen lautet die Fourier-Transformierte der ersten Relation in Gl. (XII.1)
~˜ ~r),
~˜ ~r) = E(ω,
D(ω,
mit der (frequenzunabhängigen) Permittivität. Der Vergleich mit Gl. (XII.8b) gibt = (ω = 0).
Deshalb wurde die Permittivität früher dielektrische Konstante genannt.
∗ Für große Frequenzen oszilliert das elektrische Feld so schnell, dass die mikroskopischen Prozesse,
~ 6= 0 E
~ führen,
die zur Entstehung einer Polarisation und dadurch einer elektrischen Flussdichte D
~
nicht mithalten können. Dann muss lim ~~(ω) = 0~1 gelten.
ω→∞
Genauer gesagt muss die Kreisfrequenz ω viel größer als die charakteristischen Kreisfrequenzen
ωa der Bewegungen der Ladungsträger im Material sein.
Andererseits muss man berücksichtigen, dass im Limes ω → ∞ die makroskopische Beschreibung
sinnlos wird. In diesem Limes wird die Wellenlänge λ = 2πc/ω des Felds im Vakuum tatsächlich sehr klein: wenn λ der Ordnung der atomaren Skala oder gar kleiner ist, wird das Material
durch das Feld nicht mehr als ein kontinuierliches Medium mit langsam variierenden Eigenschaften „gesehen“: die effektive Theorie ist nicht mehr gültig. Man sollte dann eine mikroskopische
Beschreibung benutzen.
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~ = (~~1 + ~~χe )0 [Gl. (X.19b)] zum nicht-stationären Fall
∗ Die Verallgemeinerung der Beziehung ~
ist direkt im Frequenz-Raum, nicht im τ -Raum. Für die zeitabhängigen Größen gilt tatsächlich
~~(τ ) = [δ(τ ) ~~1 + ~
~χe (τ ) Θ(τ )] 0 , wie auf Gl. (XII.7b) zu sehen ist.
∗ Manchmal wird der Suszeptibilitätstensor als ~~χe (τ ) = ~~0 für τ < 0 definiert. Dann kann man −∞
als untere Grenze der Integrale in Gl. (XII.7) nehmen, und ~~χe (ω) als Fourier-Transformierte von
~~χe (τ ) (ohne die Heaviside-Funktion) betrachten.
∗ Für ein nicht-homogenes Medium hängen elektrischer Suszeptibilitätstensor und dielektrischer
Tensor auch vom Ort ab. Damit soll der nicht-lokale Zusammenhang zwischen Polarisation bzw.
elektrische Flussdichte und elektrischer Feldstärke diese Abhängigkeit in Betracht ziehen: beispielsweise gilt
Z ∞ Z
~ ~~χe (τ, X)
~ · 0 E(t
~ − τ, ~r − X).
~
~
dτ dX
P (t, ~r) =
0
Lokale Relationen ergeben sich dann durch zeitliche und räumliche Fourier-Transformationen, wie
˜
~˜ ~k).
~χe (ω, ~k) · 0 E(ω,
z.B. P~ (ω, ~k) = ~
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