PRAXIS-MAGAZIN Altlasten der Physik (62) Die Induktivität F. Herrmann und P. Schmälzle Gegenstand Die Induktivität wird in Schulbüchern fast durchweg über das Induktionsgesetz eingeführt, nämlich als Proportionalitätsfaktor zwischen induzierter Spannung (oder „elektromotorischer Kraft“) und zeitlicher Änderung des induzierenden Stroms: dI U ind = −L (1) dt Mängel Die Elektrotechnik kennt drei passive, lineare Bauelemente: den Widerstand, den Kondensator und die Spule. (Die mechanischen Analoga sind der Stoßdämpfer mit Stokes’scher Reibung, der Massenpunkt und die Hooke’sche Feder.) Für jedes der drei Bauelemente gilt eine lineare Beziehung: Widerstand: Kondensator: Spule: U=R·I Q=C·U nΦ = L · I (2) (3) R, C und L hängen von den geometrischen Maßen und den Materialeigenschaften des entsprechenden Bauelements ab. Während im Widerstand Energie dissipiert wird, stellen Kondensator und Spule Energiespeicher dar. Für Netzwerke, die außer elektrischen Energiequellen nur diese Bauelemente enthalten, gilt eine innere Symmetrie: Ersetzt man das Netzwerk gemäß bestimmten einfachen Übersetzungsregeln durch ein anderes, so wird dieses neue Netzwerk durch Gleichungen derselben mathematischen Struktur beschrieben wie das Ausgangsnetzwerk. Ein bekanntes, wenn auch etwas triviales Beispiel dafür sind der RC-Kreis und der RL-Kreis. Die wichtigsten Übersetzungsregeln sind: U (elektrische Spannung) ⇔ I (elektrische Stromstärke) Q (elektrische Ladung) ⇔ nΦ (magnetischer Fluss) C (Kapazität) ⇔ L (Induktivität) R (Widerstand) ⇔ 1/R = G (elektrischer Leitwert) Knoten ⇔ Masche Reihenschaltung ⇔ Parallelschaltung spannungsstabilisierte Quelle ⇔ stromstabilisierte Quelle Der Doppelpfeil ist so zu verstehen: U wird durch I und I durch U ersetzt, Q durch nΦ und nΦ durch Q usw. Das Auftreten der Windungszahl n in der zweiten Zeile, das die Ästhetik etwas stört, erklärt sich dadurch, dass man unter dem magnetischen Fluss Φ in einer Spule gewöhnlich das Produkt aus magnetischer Flussdichte B und Querschnittsfläche der Spule versteht. (Es wäre also konsequenter, statt Φ die Größe Φ’ = nΦ zu benutzen, denn die effektive Fläche, durch die die magnetischen Feldlinien hindurchtreten, ist n mal so groß wie die Querschnittsfläche.) Definiert man nun die Induktivität über Gleichung (1), so verschleiert man diese Symmetrie. Die Analogie zwischen Kondensator und Spule ist weniger offensichtlich. PdN-PhiS. 8/51. Jg. 2002 Wie ungeschickt die Einführung von L über Gleichung (1) ist, erkennt man auch, wenn man die Kapazität auf die entsprechende Art einführt, nämlich über die zu (1) analoge Gleichung dU I =C dt Die Gleichung beschreibt Auf- und Entladevorgänge. Benutzt man sie zur Einführung von C, so entsteht der Eindruck, die Kapazität sei nur im Zusammenhang mit solchen Vorgängen von Bedeutung. Die Einführung über Gleichung (2) ist direkter: C erscheint als ein Maß dafür, wie aufwändig es ist, eine bestimmte Ladungsmenge zu speichern: Braucht man eine hohe oder reicht eine niedrige Spannung? Genau so ist es bei der Induktivität. Führt man sie über Gleichung (1) ein, so entsteht der Eindruck, die Induktivität sei nur im Zusammenhang mit Induktionsvorgängen von Bedeutung. Die Einführung über Gleichung (3) dagegen sagt uns etwas über die Bedeutung von L, ohne Bezug auf die Induktion zu nehmen. Sie sagt uns, wie aufwändig es ist, in einer Spule einen bestimmten magnetischen Fluss zu erzeugen: Braucht man eine hohe, oder genügt eine geringe Stromstärke? Herkunft Man kann die Induktivität, genauso wie Kapazität, Widerstand und viele andere Größen, über jede Gleichung einführen, in der sie auftritt. Für die Definition der Induktivität ist außer den Gleichungen (1) und (3) noch die folgende Gleichung in Gebrauch: L (4) E = I2 2 Sie gibt den Energieinhalt des magnetischen Feldes einer Spule an. Diese drei Wege der Einführung von L – über die Gleichungen (1), (3) oder (4) – koexistieren schon solange es die Induktivität gibt. Wieder zeigt sich, dass die Schulphysik gegen die Hochschulphysik relativ gut abgeschottet ist. Entsorgung Der magnetische Fluss wird eingeführt als B · A. Man zeigt experimentell, dass die Flussdichte B in einer Spule proportional zur elektrischen Stromstärke in der Spule ist. Damit ist auch der Gesamtfluss der Spule n Φ proportional zur Stromstärke: n Φ ~ I. Wir nennen den Proportionalitätsfaktor Induktivität: nΦ L= I Um Gleichung (1) zu erhalten, setzt man in das Induktionsgesetz Uind = –n dΦ/dt ein. Anschrift der Verfasser: Prof. Dr. Friedrich Herrmann, Abteilung für Didaktik der Physik, Universität, 76128 Karlsruhe; OStR Dr. Peter Schmälzle, Staatliches Seminar für Schulpädagogik (Gymnasium) Karlsruhe 47