Arbitrage, Pseudowahrscheinlichkeiten und Martingale

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Herausgeber:
Die Gruppe der betriebswirtschaftlichen Professoren
der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät
der Universität Passau
94030 Passau
Arbitrage, Pseudowahrscheinlichkeiten
und Martingale ein didaktisch einfacher Zugang zur elementaren
Bewertungstheorie für Derivate
Bernhard Nietert und Jochen Wilhelm
Diskussionsbeitrag Nr. B-2-98
Betriebswirtschaftliche Reihe
ISSN 1435-3539
Stand: März 1998
JEL: G 12, G 13
Adresse der Autoren:
Dr. Bernhard Nietert
Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre
mit Schwerpunkt Finanzierung
Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der
Universität Passau
94030 Passau
Telefon: 0851/509 2513
Telefax: 0851/509 2512
EMail: [email protected]
Für den Inhalt der Passauer Diskussionspapiere ist der (sind die)
jeweilige(n) Autor(en) verantwortlich. Es wird gebeten, sich mit
Anregungen und Kritik direkt an den (die) Autor(en) zu wenden.
Prof. Dr. Jochen Wilhelm
Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre
mit Schwerpunkt Finanzierung
Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der
Universität Passau
94030 Passau
Telefon: 0851/509 2510
Telefax: 0851/509 2512
EMail: [email protected]
Arbitrage, Pseudowahrscheinlichkeiten und Martingale ein didaktisch einfacher Zugang zur elementaren
Bewertungstheorie für Derivate
Überblick
• "Derivate" oder "derivative Finanztitel" (Optionen, Swaps, Futures etc.) sind
Gegenstand zahlreicher Arbitrage-, Spekulations- und Hedging-Transaktionen.
Diese Transaktionen zielentsprechend zu steuern, setzt die Kenntnis "fairer
Preise" für Derivate und damit die Entwicklung von Bewertungstheorien vo raus.
• Die heute in der Literatur belegte Bewertungstheorie wird von komplexen m athematischen Methoden geprägt, die vielfach den Blick auf den ökonomischen
Gehalt verstellen.
• Ökonomischer Kern dieser Bewertungstheorie ist das Postulat der Arbitrag efreiheit (= allgemeine Bewertungstheorie). Aus dieser gemeinsamen Wurzel
lassen sich die beiden Grundformen von (speziellen) Bewertungsmodellen, die
Law-of-One-Price-orientierte und die nutzenorientierte Bewertung, als Spezia lfälle einbetten.
• Spezielle Bewertungstheorien operationalisieren nur die durch Arbitragefreiheit
fixierte grundsätzliche Struktur "fairer" Wertpapierpreise. Folglich stehen beide
(speziellen) Bewertungsansätze nicht in einem Gegensatzverhältnis, sondern
nutzen nur unterschiedliche einschränkende A nnahmen.
2
A. Einleitung
"Derivate" oder "derivative Finanztitel" (Optionen, Swaps, Futures etc.) sind G egenstand zahlreicher Arbitrage-, Spekulations- und Hedging-Transaktionen. Diese
Transaktionen zielentsprechend zu steuern, setzt die Kenntnis von Zusammenhä ngen zwischen den Preisen solcher Titel und deren Einflußgrößen voraus. Auf the oretischer Ebene stellen Bewertungsmodelle Zusammenhänge zwischen "fairen"
Preisen und (möglichst) beobachtbaren Einflußgrößen her. Diese Modelle zusa mmenfassend, spricht man (speziell) von Optionspreistheorie oder (allgemeiner) von
Bewertungstheorie für Derivate.
Die heute in der Literatur belegte Bewertungstheorie liefert freilich ein recht het erogenes, oft eher mathematisch als ökonomisch geprägtes Bild. Zwar existieren
ausgezeichnete Übersichtsarbeiten (z.B. Schöbel (1995)), die die verschiedenen
Zweige der Bewertungstheorie zusammenführen. Die Dominanz der komplexen
mathematischen Methoden prägt aber auch dort das Bild und verstellt vielfach den
Blick auf ökonomische Kernaussagen.
Das Anliegen vorliegender Ausführungen ist es, die zentralen ökonomischen Au ssagen der Bewertungstheorie in einem einfachen einperiodigen Modell darzuste llen. Ziel ist es einerseits, die Rolle der Arbitragefreiheit als gemeinsame Wurzel
aller Bewertungsmodelle herauszuarbeiten, andererseits die beiden Grundformen
von Bewertungsmodellen, die Law-of-One-Price-orientierte und die nutzenorie ntierte Bewertung, vor diesem Hintergrund zu entwickeln und miteinander zu ve rgleichen; gleichzeitig werden einige bisher wenig beachtete Detailprobleme ang esprochen und einer ersten Lösung zugeführt.
B. Arbitragetheorie
Arbitragetheorie 1 muß man heute als die theoretische Basis jedweder fundierten
Bewertungstheorie ansehen. Das zentrale Konzept in diesem Zusammenhang stellt
der Begriff "Arbitragefreiheit" dar; zur Verdeutlichung wählen wir eine zunächst
eher umgangssprachliche Fassung dieses Konzepts; danach wird ein Marktse gment als arbitragefrei bezeichnet, wenn keine Differenzarbitrage (im verallgemeinerten Sinne) möglich ist. Eine Differenzarbitrage im verallgemeinerten Sinne ist
eine (eventuell mit Kassenhaltung kombinierte) Portfolio-Strategie, die zu irgen deinem Zeitpunkt (mit positiver Wahrscheinlichkeit) eine Einzahlung erzielt, ohne
jemals per Saldo eine Auszahlung erforde rlich zu machen.
Um Konsequenzen aus der Arbitragefreiheit für die Bewertungstheorie ableiten zu
können, muß die oben skizzierte intuitiv-verbale Definition präziser gefaßt we rden.
3
Charakterisieren wir dazu unsere Vorstellung von einem Marktsegment genauer;
dabei konzentrieren wir uns auf Finanzmärkte:
• Es gibt (unter Einschluß der Kassenhaltung) n + 1 Wertpapiere, die in belieb iger Stückelung fungibel gehandelt werden können, wobei die mit ihnen verbu ndenen Rechte proportional zur gehaltenen Stückzahl sind. Die Rechte beschrä nken sich in der hier in Rede stehenden Sicht auf die Teilhabe am finanziellen
~
~
Rückstrom Zi pro Einheit des betreffenden Wertpapiers ( Zi ist eine Zufallsvariable; in unserem einfachen Kontext läßt sich die Gesamtheit ihre Ausprägu ngen als m-dimensionaler Zeilenvektor darstellen, der in seinen Spalten die z ustandsabhängigen Zahlungsströme Z is des Papiers i ausweist, wobei m die G esamtanzahl der Umweltzustände s bezeichnet. Der Einfachheit halber sei die
~
Kassenhaltung das "Wertpapier" mit der Nummer 0; hier gilt Z0 = 1 ).
• Handelsobjekte sind Portfolios (n-dimensionale Spaltenvektoren) N mit
N n , wobei Ni die Anzahl der Wertpapiere des Typs i darstellt,
NT = N0
b
g
die bei der betreffenden Transaktion beteiligt ist (mit dem Superskript T wird
die Transposition von Vektoren und Matrizen bezeichnet). Wird bei einer b estimmten Transaktion zum Beispiel nur genau ein Wertpapier der Nummer 1
gehandelt, so gilt N T = 0 1 0
0 .
b
g
• Das Marktsegment ist friktionsfrei, d.h. es gibt keine Transaktionskosten oder
Steuern; Leerverkäufe von Papieren sind zulässig (für die Kassenhaltung gilt
die letztere Aussage natürlich nicht).
• Es existieren verschiedene als zeitgleich gedachte "Umstände" u 0, u1, ..., unter
denen Handelsobjekte N mit dem jeweiligen Transaktionspreis P u(N) gehandelt
werden können. Mit "Umständen" bezeichnen wir z.B. verschiedene Börse nplätze, verschiedene Stückzahlen, verschi edene Handelspartner usw.
Damit kommen wir zu folgender Definition:
Ein Marktsegment wird als arbitragefrei bezeichnet, wenn es in einem noch näher
zu kennzeichnenden Sinne sowohl physisch als auch ökonomisch arbitragefrei ist.
Die physische Arbitragefreiheit stellt auf den Preis von Handelsobjekten ab und
wird durch die folgende Eigenschaft charakterisiert:
Durch Zerlegen oder Zusammenführen von Positionen ("Fonds") lassen sich keine
gilt:
Gewinne erzielen, d.h. für alle u, u 0 , u1,
l
q
4
Pu ( 0) = 0
und
Pu 0 ( N u 0 ) = Pu1 ( N u1 ) + Pu 2 ( N u 2 ) +
(2.1)
sobald
N u 0 = N u1 + N u 2 +
erfüllt ist.
b
g
Beispiel: Eine Gesamtpositon N Tu 0 = 20 20 20 kann an einer Börse auf einmal
gekauft werden (Umstand u 0) oder über zwei Transaktionen an unterschiedlichen
Börsen N Tu1 = 15 5 15 und N Tu 2 = 5 15 5 . Aufgrund der physischen Arbi-
b
b
g
g
tragefreiheit muß freilich für den Direktkauf derselbe Preis zu entrichten sein wie
20
15
5
in Summe für die Teilkäufe, d.h. Pu 0 20 = Pu1 5 + Pu 2 15 .
20
15
5
F
GG
H
I
JJ
K
F
GG
H
I
JJ
K
F
GG
H
I
JJ
K
Infolge der physischen Arbitragefreiheit können wir offensichtlich auf die Ken nzeichnung der Umstände u, unter denen eine Transaktion stattfindet, verzichten
und schreiben P(N) für den Preis des Portfolios N.
Als Spezialfälle der physischen Arbitragefreiheit lassen sich formulieren 2:
A 1: Jedes aktiv gehandelte Wertpapier i hat nur einen Preis pro Einheit P i in t = 0,
d.h. durch Arbitragetransaktionen in einem Papier, z.B. durch Ausnutzung
von Kursunterschieden desselben Papiers an verschiedenen Börsenplätzen,
kann kein Arbitragegewinn erzielt werden. Den Preis für Kassenhaltung se t~
zen wir in Übereinstimmung mit der Festlegung Z0 = 1 in Höhe von P 0 = 1
fest.
n
A 2: Das Portfolio N hat den Preis
∑ N P , d.h. durch Losgrößentransformation,
i i
i=0
z.B. zur Erzielung von "Paketzuschlägen", kann kein Arbitragegewinn e rzeugt werden.
Der Beweis von (A1) und (A2) als Konsequenz physischer Arbitragefreiheit
erfolgt im Anhang.
In der Literatur werden (A1) und (A2) implizit stets als erfüllt angesehen, somit
physische Arbitragefreiheit unterstellt und ausschließlich die folgende ökonom ische Arbitragefreiheit explizit unte rsucht:
Ökonomische Arbitragefreiheit stellt, aufbauend auf der physichen Arbitragefre iheit, eine gewisse Verknüpfung zwischen Zahlungsströmen - unabhängig davon,
wie sie erzeugt werden - und Preisen her. Ökonomische Arbitragefreiheit bedeutet,
~
daß es kein Portfolio N gibt, das einerseits einen nichtnegativen Rückstrom Z ≥ 0
5
garantiert, andererseits aber einen negativen Preis P < 0 aufweist (und umgekehrt).
Formal:
~
Z=
n
∑
~
Zi N i ≥ 0 und P =
i=0
n
∑PN
i
i
~
≤ 0 implizieren Z = 0 und P = 0
(2.2)
i=0
Intuitiv kann die Bedeutung der (physischen und ökonomischen) Arbitragefreiheit
folgendermaßen verdeutlicht werden: Geht man davon aus, daß Investoren höhere
Vermögenspositionen ceteris paribus niedrigeren immer vorziehen 3, dann wird
nach einer finanziellen Position, die Bedingung (2.1) oder (2.2) verletzt, eine unbeschränkte Nachfrage bestehen, denn eine solche Position würde für den Erwe rber niemals zu Nettoauszahlungen, aber im Zeitpunkt t = 0 oder mit positiver
Wahrscheinlichkeit im Zeitpunkt t = 1 definitiv zu Nettoeinzahlungen führen. In
dieser Situation könnten sich stabile Preise nicht ei nstellen.
Welche Implikationen über die grundsätzlich mögliche Stabilität hinaus
(physische und ökonomische) Arbitragefreiheit für Wertpapierpreise hat, wird in
den nächsten beiden Abschnitten untersucht.
B.I. Law of One Price
Das sogenannte Law of One Price (LOP) 4, das man im hier betrachteten Kontext
in zwei äquivalenten Varianten formulieren kann, ist eine scheinbar einleuchtende
Feststellung oder Forderung: Ökonomisch substituierbare, d.h. unter ökonom ischen Aspekten identische Güter müssen identische Preise haben. In unserem Z usammenhang: Zwei Vermögenspostitionen, deren Zahlungsströme in t = 1 in allen
Zuständen dieselben Werte aufweisen, sollten in t = 0 denselben Preis besi tzen.
Zur Verdeutlichung ein Beipiel:
Zustände
Wertpapiere
Zustand 1
Zustand 2
WP1
WP2
WP3
10
120
100
0
80
100
Bildet man ein Portfolio bestehend aus 5 Stück von Wertpapier 2 und -4 Stück von
Wertpapier 3, ergeben sich dieselben zustandsabhängigen Zahlungen wie beim
Erwerb von 20 Stück von Wertpapier 1. Bei Geltung des Law of One Price müssen
20 Stück von Wertpapier 1 und das geschilderte Portfolio denselben Preis haben;
physische Arbitragefreiheit läßt dann einen entsprechenden Rückschluß auf die
Stückpreise zu.
6
Eine zweite Variante des Law of One Price, die manchmal technisch handlicher
als die erste ist, hebt auf spezielle Portfolios, sogenannte Arbitrage-Portfolios
(spezielle Differenzarbitragen) ab; solche Portfolios weisen in t = 1 in jedem Z ustand einen Zahlungsstrom von Null auf und müssen, dieser Variante folgend, e inen Preis von Null haben (z.B.: Kauf von 5 Stück von Wertpapier 2 und Verkauf
von 20 Stück von Wertpapier 1 und 4 Stück von Wer tpapier 3).
Beide Varianten sind untereinander äquivalent; daß die erste Variante die zweite
impliziert, ist offensichtlich, da die zweite ja nur eine (scheinbar) spezielle Vers ion der ersten ist - es wird kein beliebiger, sondern ein Zahlungsstrom von Null
betrachtet. Die umgekehrte Implikation ergibt sich wie folgt: Sei
n
n
n
~
~
~
~
Z=
Zi N i =
Zi N*i , dann ist formal
Zi N*i − N i = 0 und auch
∑
∑ Z cN
n
i=0
~
i
∑ c
∑
i=0
i
h
i=0
h
− N*i = 0 . Wegen oder auch trotz der fehlenden Möglichkeit, Kasse
i=0
"leerzuverkaufen", sind N oder N* , unter Umständen nicht beide, zulässige Por tfolios, deren Preis nach dem LOP in seiner zweiten Variante gleich Null sein muß:
∑ c
n
h
i=0
n
∑ P cN
n
Pi N*i − N i = 0
oder
i
i=0
i
h
− N*i = 0
impliziert
dann
aber
n
∑PN = ∑PN
i
i
i=0
i
*
i
, d.h. das LOP in seiner ersten Variante.
i=0
Die Zulässigkeit von N - N* oder von N* - N sei anhand des oben verwendeten
Beispiels zur ersten Variante des Law of One Price verdeutlicht: N T = 0 5 −4
*T
b
g
b
g
und N = 20 0 0 sind die beiden oben verwendeten Portfolios, die zu de m~
selben Rückstrom Z = 200 0 führen. Stellt (in Abweichung von der oben festg e-
b
g
legten Numerierung) Wertpapier 3 die Kasse dar, dann ist die Portfolio-Bildung
T
N T − N* = −20 5 −4 nicht zulässig, da sie den "Leerverkauf" der Kasse en t-
b
g
T
b
g
hält. Allerdings kann natürlich das Portfolio N* − N T = 20 −5 4
gebildet
werden.
Von daher wird deutlich, daß das Law of One Price lediglich Aussagen über Za hlungsströme zulässiger beobachtbarer Portfolios macht und nicht darüber, ob
Zahlungsströme Resultat zulässiger Portfolio-Bildung sind.
B.II. Existenz eines positiven linearen Preisfunktionals
Eine weitere Eigenschaft arbitragefreier Märkte ist diese: Für alle Wertpapiere
existiert ein linearer Zusammenhang zwischen den Preisen und den zukünftig mit
den betreffenden Titeln verbundenen Zahlungen (dieser Zusammenhang wird als
"Preisfunktional" angesprochen). Um zu präzisieren: Die Beziehung zwischen
Preisen und zukünftigen Zahlungsströmen wird durch ein positives lineares
7
Preisfunktional π hergestellt. Da im Fall endlich vieler Zustände eine Linearform
(lineares Funktional) stets durch einen Vektor beschrieben werden kann (den wir
ebenfalls mit π bezeichnen), läßt sich folgende Preisformel anschreiben (= allg emeine Bewertungstheorie):
Pi = ∑ πs Zis = ZTi ⋅ π
(2.3)
s ∈S
π
Spaltenvektor der "zustandsbezogenen Diskontierungsfaktoren"
S
Menge der möglichen Zustände
Die Faktoren πs darf man getrost als (zustandsbezogene) Diskontierungsfaktoren
bezeichnen, da (2.3) eine strenge Analogie zum Barwert einer Zahlungsreihe au fweist (auch dieser ist ein positives lineares Funktional!). Die Eigenschaft von π,
positiv zu sein, spiegelt sich in der Vektorungleichung π ≥ 0 (bzw. π s ≥ 0 für alle
s) wider. Allerdings gilt Eigenschaft (2.3) nur für sog. gehandelte Wertpapiere,
dazu weiter unten mehr.
Zu begründen ist freilich, was Arbitragefreiheit mit der Existenz und der in (2.3)
postulierte Form von π zu tun hat, wodurch "gehandelte" Wertpapiere geken nzeichnet sind und inwiefern die Einschränkung der Eigenschaft (2.3) auf
"gehandelte" Wertpapiere erforderlich ist:
~
Dazu betrachten wir die bereits verwendeten Zahlungsströme Z von gewissen
Portfolios N:
~ n~
Z = ∑ Zi N i
i =0
~
Nun definieren wir ein Funktional ϕ auf solchen Zahlungsströmen Z , um anschließend zu zeigen, daß es die Eigenschaft (2.3) für gehandelte Wertpapiere hat.
~
Als Vorarbeit führen wir die Menge M( Z ) aller Portfolios ein, deren Zah~
lungsstrom in t = 1 in jedem Zustand mind estens so hoch ist wie Z :
R|S Z~ N ≥ Z~ U|V
|T ∑
|W
n
~
M( Z ) = N*
*
i
i
(2.4)
i=0
Das angekündigte Funktional ϕ wird durch
~
ϕ( Z) = inf
RS∑ P N N ∈ M( Z~ )UV
T
W
n
i
*
i
*
(2.5)
i= 0
definiert; das Funktional ϕ ordnet also jedem (durch Portfoliobildung) in t = 1 g enerierbaren Zahlungsstrom den Preis jenes Portfolios zu, das zu geringsten Kosten
in t = 0 mindestens diesen Zahlungsstrom in t = 1 erzeugt.
Wir konstatieren nun zunächst, daß ϕ tatsächlich ein Funktional (d.h. wohldef i-
8
niert) ist, und bestätigen anschließend nacheinander die zentralen Eigenschaften
von ϕ:
~
• ϕ( Z) ist wohldefiniert, d.h. das Infimum in (2.5) ist stets endlich und nicht
kleiner als:
n
∑PN
i
i
− N0
(2.6)
i=0
Beweis: Der Beweis findet sich im Anhang.
Die ökonomische Motivation der Analyse von ϕ liegt auf der Hand: Dem ökonomischen Prinzip folgend, wird jedes Wirtschaftssubjekt, das einen Zahlungsstrom
~
in Höhe von Z erwerben will, nach dem Portfolio Ausschau halten, das
~
(mindestens) Z garantiert und dabei zu den geringstmöglichen Kosten realisiert
werden kann (man bezeichnet das als "Ausgleichsarbitrage"). ϕ spiegelt genau
dieses Verhalten wider. Wenn man sich vorstellt, daß dieses Verhalten tatsächlich
repräsentativ für im Markt agierende Wirtschaftssubjekte ist, wird man folgende
Definition einleuchtend finden:
Definition: Wir bezeichnen ein Papier i als gehandelt, wenn gilt:
~
ϕ Zi = Pi
d i
(2.7)
d.h., wenn es nicht möglich ist, den Zahlungsstrom des in Rede stehenden Papiers
günstiger zu erwerben, als durch Kauf des Papiers selbst.
Diese Definition ist im Rahmen unserer Annahmen nur im Zusammenhang mit der
Kassenhaltung von Bedeutung. Existiert nämlich am Markt zusätzlich zur Kasse nhaltung eine sichere Anlage, d.h. gilt ϕ(1) < 1, so wird die Kassenhaltung nicht
"gehandelt", also nicht in Anspruch genommen, da die mindestens gleiche Position
zu einem niedrigeren Preis (es herrscht ein positiver Zinssatz für risikofreie Anl agen) erworben werden kann. Aufgrund der Vorzeichenbeschränkung der Kasse nhaltung kann das eigentlich zu teuere "Wertpapier" Kassenhaltung nicht verkauft
werden, um eine Differenzarbitrage zu ko nstruieren.
Die Existenz der Kassenhaltung erlegt allerdings, wie schon nahegelegt wurde,
dem Zinssatz für eine sichere Anlage eine R estriktion auf; es gilt stets:
• 0 ≤ ϕ(1) ≤ 1 (Der Zinssatz ist nichtnegativ):
Beweis: Die Untergrenze folgt unmittelbar aus dem Beweis für die Wohldef iniertheit von ϕ (siehe Anhang). Zum Beweis der Obergrenze betrac hten wir eine reine Kassenhaltungsstrategie, also das Portfolio N mit
NT = 1 0
0 ; natürlich gilt N ∈M(1) . Wegen
b
g
9
n
∑PN
i
=1
i
i=0
folgt die Behauptung.
Alle anderen Wertpapiere (außer der Kassenhaltung) werden hingegen gehandelt,
wie ebenfalls aus dem Beweis der Wohldefiniertheit von ϕ unmittelbar hervorgeht
(in der dort nachgewiesenen Untergrenze (2.6) gilt N 0 = 0 und damit
F
I
ϕG ∑ Z N J = ∑ P N ).
H
K
n
n
i
i
i
i =1
i
i =1
Im folgenden gehen wir davon aus, daß die Kassenhaltung aufgrund attraktiverer
Alternativen (positiver Zinssatz) nicht in Anspruch genommen wird; d.h. es gilt
ϕ(1) < 1 und N 0 = 0 in jedem relevanten Portfolio. Mit dieser Einschränkung kö nnen wir zeigen:
~
• ϕ( Z) ist linear:
Beweis: Der Beweis der Wohldefiniertheit von ϕ hat gezeigt, daß
~
ϕ( Z) =
n
∑
~
Pi N i bei Z =
i =1
n
∑Z N
~
i
i
i =1
gilt. Die Linearität folgt nun sofort aus der Linearität der PortfolioBildung.
~
• ϕ( Z) ist positiv:
n
Beweis: Sei
∑Z N
~
i
i
~
= Z ≥ 0 . Aus (2.2) folgt sofort
i =1
n
∑PN
i
i
≥0
i =1
~
und daher ϕ( Z) ≥ 0 .
Das Funktional ϕ hat also unter Annahme ϕ(1) < 1 die Eigenschaft der Positivität,
~
der Linearität und der Preisreproduktion: ϕ( Zi ) = Pi . Aus diesen Eigenschaften
folgt dann aber sofort die Eigenschaft (2.3).
Für das Folgende gehen wir generell von der in diesem Abschnitt entwickelten
Bedingung ϕ(1) < 1, also Existenz einer sicheren Anlage, aus. Zur Vereinfachung
der Verhältnisse nehmen wir an, daß diese Anlagemöglichkeit in der Gestalt des
~
Wertpapiers mit der Nummer 1 gegeben ist, d.h. Z1 = 1 .
10
B.III. Interpretation des Preisfunktionals
Gleichung (2.3) konstatiert nicht mehr, aber auch nicht weniger als den zwinge nden formalen Zusammenhang zwischen Zahlungsstrom und Preis eines Papiers,
liefert freilich (noch) keine materiellen Informationen über die ökonomischen D eterminanten des Preisfunktionals π:
Eine nähere Analyse von
Pi =
∑π
s
Zis
s ∈S
macht jedoch deutlich, daß der (zustandsbezogene) Diskontierungsfaktor πs nur
vom Zustand s abhängt und losgelöst von Papier i sowie der Höhe der Zahlung in
diesem Zustand zu betrachten ist. πs kann deshalb als Preis eines (in den meisten
Fällen hypothetischen) Papiers interpretiert werden, das eine Geldeinheit im Z ustand s und Null Geldeinheiten in allen anderen Zuständen liefert (sogenanntes
primitives oder Arrow/Debreu-Papier).
In πs kann man sowohl die empirische Eintrittswahrscheinlichkeit µ s (soweit als
existierend unterstellt) für den Zustand s als auch die "Bewertung" q s von Zahlungen in diesem Zustand - also im Prinzip ökonomisch unterschiedliche Konzepte zu einer Größe verschmolzen sehen. Beide Effekte lassen sich gedanklich und
formal trennen, wenn man q s wie folgt definiert:
πs = µs ⋅ q s
(2.8)
In dieser Sicht läßt sich der Preis eines jeden Wertpapiers als Erwartungswert se iner stochastisch diskontierten Zahlungen in t = 1 ausdrücken, indem man nämlich
q als "stochastischen Diskontierungsfa ktor" auffaßt:
~
~⋅Z
Pi = E q
(2.9)
i
n s
q~
Zufallsvariable mit Ausprägung qs in Zustand s ("stochastischer Diskontierungsfaktor")
Gleichung (2.9) macht deutlich, daß für die Preisbildung am arbitragefreien Markt
der Erwartungswert des Produktes aus stochastischem Diskontierungsfaktor und
Zahlungsstrom und nicht allein der Erwartungswert des Zahlungsstroms maßge blich ist, wie es in einer risikoneutralen Welt der Fall wäre. Insofern muß in den
stochastischen Diskontierungsfaktoren in irgendeiner Form die Risikoeinstellung
der Marktteilnehmer enthalten sein.
In den stochastischen Diskontierungsfaktoren ist zudem der Zinssatz r für risik ofreie Anlagen implizit enthalten: Es gilt nämlich für ein gehandeltes risikofreies
Papier
11
n s lq
1
~
~
~⋅Z
~
Z1 = 1 und daher P = E q
mit r ≥ 0
1 = E q =
1+ r
(2.10)
Insofern legt (2.9) nicht nur Wertpapierpreise im engeren Sinne fest, sondern f ixiert darüber hinaus noch den am Markt geltenden Zin ssatz.
Die in Gleichung (2.9) praktizierte Berücksichtigung der Risikoeinstellung im,
wenn man so will, "Kalkulationszinsfuß" ist im übrigen äquivalent zu einer oft als
alternativer Weg erachteten Betrachtungsweise: die Bildung von Sicherheitsäqu ivalenten. Dabei wird die Risikoeinstellung nicht im Kalkulationszinsfuß, sondern
über einen Risikoabschlag vom Zahlungsstrom des Papiers eingefangen. Es läßt
sich nämlich der Preis eines jeden Papiers ausdrücken als risikofrei diskontiertes
Sicherheitsäquivalent, d.h. durch
Pi =
n s
d b g i
1
~
~
E Zi + cov Zi , 1 + r ⋅ q
1+ r
(2.11)
darstellen5: Nimmt man, der Beziehung (2.11) entsprechend, in jedem Zustand
vom Zahlungsstrom des Papiers i einen gleichmäßigen Abschlag in Höhe von
~
~ ) vor, so kann man durch risikofrei diskontierte Erwartungswer tcov( Zi , 1+ r ⋅ q
b g
bildung den Preis des Wertpapiers bestimmen. Eine Interpretation des Kovarian zterms in (2.11), d.h. des "Risikoabschlages", ergibt sich durch die Umstellung
~
~
~) = E Z
− cov( Zi , 1 + r ⋅ q
(2.12)
i − 1 + r ⋅ Pi
b g
en s b g j
Risikoprämie
In dieser Sichtweise ist sehr schön zu erkennen, daß der in (2.11) vorgenommene
Risikoabschlag in der Tat genau die vom Markt für das Papier geforderte Risik oprämie, und insoweit die Risikoeinstellung der Marktteilnehmer, refle ktiert.
Die Bestimmung des Preises in (2.11) kann man in wiederum anderer Sicht so b e~
trachten, daß man von der ursprünglichen Zufallsvariable Zi auf eine
~
~
"verschobene" Zufallsvariable Z + cov( Z , 1 + r ⋅ q~ ) übergeht, d.h. nur eine Ändei
i
b g
rung des Erwartungswertes bei Beibehaltung aller Risikocharakteristika vornimmt. Dies entspricht einem Wechsel der Wahrschei nlichkeitsverteilung:
Definiert man Pseudowahrscheinlichkeiten vermöge
b g
µ*s = 1 + r ⋅ q s ⋅ µ s für alle s ∈S
(2.13)
so bestätigt man zunächst die grundlegenden Eigenschaften einer (diskreten)
Wahrscheinlichkeit ( µ*s ≥ 0 und ∑ µ*s = 1 ) und überzeugt sich dann, daß
s∈S
1 * ~
1
1+ r
*
Ε Zi =
∑ µ s ⋅ Zis =
∑ µ s ⋅ q s ⋅ Zis = Pi
1+ r
1 + r s∈S
1 + r s∈S
n s
(2.14)
gilt: Der Preis eines jeden Wertpapiers ergibt sich durch Diskontieren des erwart eten Rückstroms, wenn man für die Erwartungsbildung die Pseudowahrscheinlic h-
12
keiten zugrunde legt. Diese Eigenschaft begründet, warum man µ* als risikoneutrales Wahrscheinlichkeitsmaß bezeichnet. Im Unterschied dazu kennzeichnen wir
das exogene Maß µ als empirische Wahrscheinlichkeit 6.
Damit werden die folgenden äquivalenten Betrachtung sweisen möglich:
• Preise ergeben sich als empirische Erwartungswerte stochastisch diskontierter
Zahlungsströme.
• Preise ergeben sich als risikofrei diskontierte empirische Erwartungswerte der
um die Risikoprämien "verschobenen" Zahlungsstromverteilungen.
• Preise ergeben sich durch risikofrei diskontierte Erwartungswerte von Za hlungsströmen auf der Basis einer risikoneutralen (Pseudo-)Wahrscheinlichkeit.
• Preise ergeben sich als Erwartungswerte von risikofrei diskontierten Zahlung sströmen auf der Basis einer risikoneutralen (Pseudo-)Wahrscheinlichkeit.
Die letztgenannte Interpretation von (2.14) (man ziehe den Diskontierungsfaktor
1
in die Klammer) wird, vor allem im Zusammenhang mit dynamischen B e1+ r
trachtungsweisen, als Martingaleigenschaft interpretiert: Die risikofrei diskontie rten Zahlungsströme stellen unter der risikoneutralen Wahrscheinlichkeit ein Ma rtingal dar7:
~
Zi
Pi = E*
(2.15)
1+ r
RS UV
T W
Aus diesem Grunde wird das risikoneutrale Wahrscheinlichkeitsmaß auch gerne
als (äquivalentes) Martingalmaß bezeichnet 8.
Spannen wir abschließend den Bogen zwischen der Ausgangsgleichung (2.9) und
Gleichung (2.15), so sehen wir, daß
µ*s
= µs q s = πs
1+ r
gelten muß.
Die in diesem Abschnitt geschilderten allgemein geltenden Zusammenhänge sind
von besonderer Bedeutung für die Bewertung von Derivaten, wie die nachfolge nden Abschnitte zeigen werden.
13
C. Operationalisierung der Arbitragetheorie im Fall von Derivaten (spezielle Bewertungstheorie)
Die durch die Arbitragefreiheitsannahme erzwungene Form
~
~⋅Z
Pi = E q
i
n s
aller konsistenten Wertpapierpreise (= allgemeine Bewertungstheorie), ist nicht
generell für eine konkrete Berechnung von Wertpapierpreisen geeignet, da die
stochastischen Diskontierungsfaktoren q s unbekannt sind. Unter bestimmten B edingungen ist die explizite Kenntnis dieser Größen allerdings auch gar nicht erfo rderlich (LOP-orientierte Bewertungtheorie), jedoch lassen sie sich in diesen Fällen
stets errechnen. Im Rahmen von anderen speziellen Bewertungstheorien
(nutzenorientierte Bewertung) versucht man hingegen, diese Bewertungsfaktoren
qs bzw. µ*s oder πs explizit zu ermitteln, um über ihre Kenntnis zu konkreten B ewertungsformeln zu kommen. Folglich präzisieren die speziellen Bewertun gstheorien nur verschiedene Aspekte ihrer gemeinsamen Wurzel, der Arbitrag etheorie.
Obwohl die speziellen Bewertungstheorien (LOP- oder nutzenorientierte Bewe rtung) prinzipiell in beliebigen Bewertungsszenarien präzisierbar sind, greifen wir
den Fall der Derivateliteratur im diskreten Kontext schlechthin, die Optionsbewe rtung im einperiodigen Binomialmodell 9, heraus.
C.I. Law-of-One-Price-orientierte Bewertung von Derivaten
C.I.1. Das Binomialmodell
In dem von uns durchgängig zugrunde gelegten Kontext kann ein Derivat durch
eine Funktion ("charkteristische Funktion") f beschrieben werden, die angibt, we lche Zahlung das Papier bei unterschiedlichen Ausprägungen des Underlyings
~
(bzw. der Underlyings) liefert. Wenn wir diese Zahlung durchgängig mit Zn bezeichnen, so gilt
~
~
Zn = f Z1,
d
~
, Zn −1
i
(3.1)
womit wir zum Ausdruck bringen, daß das Derivat selbst als am Markt gehande lter Titel (mit der Nummer n) betrachtet wird und es im Prinzip von allen übrigen
Wertpapieren funktional abhängen kann, wenn auch für reale Problemstellungen
die Anzahl der Einfluß nehmenden Wertpapiere eher klein (bei eins oder zwei)
sein dürfte. Als Beispiel wählen wir die Kaufoption zum Basispreis B auf das
14
Wertpapier mit der Nummer 2; hier reduziert sich die charakteristische Funktion
(3.1) auf
~
~
~
Zn = f Z2 = max Z2 − B,0
(3.2)
d i
n
s
l q
Im Binomialmodell wird die Anzahl der Zustände auf zwei ( S = u, d ) und, der
Übersichtlichkeit wegen, die der Wertpapiere auf n = 3 begrenzt. Wir unterstellen
~
~
Z1 = 1 (risikofreie Anlage) und interpretieren Z2 als Zahlungsstrom aus dem Un~
derlying (Aktie) sowie Z3 als Zahlungsstrom aus dem Derivat (Kaufoption).
O.B.d.A. kann man Z2 u = P2 ⋅ u und Z2d = P2 ⋅ d für den Rückstrom aus Aktienbesitz schreiben; dabei wird u als Sprung aufwärts ("up") und d als Sprung abwärts
("down") angesehen, wobei nicht defnitiv "aufwärts" oder definitiv "abwärts",
sondern nur d < u gemeint ist.
Die Law-of-One-Price-orientierte Bewertung konstruiert Portfolios aus dem U nderlying der Option (Aktie), der sicheren Anlage und der Option, so daß die Za hlungen der unterschiedlichen Portfolios in t = 1 in allen Zuständen übereinsti mmen. Folglich (Law of One Price!) haben alle Portfolios auch in t = 0 denselben
Preis und lassen auf diese Weise eine Ermittlung des eigentlich gesuchten Opt ionspreises zu ohne explizite Kenntnis von q bzw. π. Gelingt es nicht, Stückzahlkombinationen zu finden, die beide Portfolio-Zahlungsströme zur Übereinsti mmung bringen, dann ist jeder Optionspreis mit dem Law of One Price kompatibel
(wenn auch nicht mit dem Arbitragefreiheitspostulat (2.2)) und die eindeutige
Preisbestimmung scheitert.
Die Law-of-One-Price-orientierte Bewertung unterscheidet drei verschiedene
Prinzipien zur Konstruktion von Portfolios und damit drei verschiedene PortfolioTypen: das Duplikations-Portfolio, das Hedge-Portfolio und das ArbitragePortfolio:
1. Duplikations-Portfolio:
Bei dieser Form der Law-of-One-Price-orientierten Bewertung sucht man die
Stückzahl der Aktie N 2 und der sicheren Anlage N 1, die den Zahlungsstrom der
Option in t = 1 exakt nachbildet (dupliziert). Konkret: Die Zahlung Z 3u der Option
im Zustand u muß genau so groß wie die des Duplikations-Portfolios in diesem
Zustand sein, dasselbe gilt für Z 3d im Zustand d. Formal:
~
Z3u = N1 + N 2 ⋅ P2 ⋅ u
(3.3)
~
Z3d = N1 + N 2 ⋅ P2 ⋅ d
und wegen (2.2)
P3 =
1
⋅ N1 + P2 ⋅ N 2
1+ r
(3.4)
15
Eine eindeutige Lösung dieses Duplikationsproblems ist möglich, wenn die Matrix
1 u
invertierbar ist, denn das Gleichungssystem (3.3) läßt sich wie folgt
1 d
LM OP
N Q
schreiben:
LMZ OP = LM1 uOP ⋅ LM N OP
NZ Q N1 dQ NN ⋅ P Q
3u
1
3d
2
(3.5)
2
Die Invertierbarkeit läßt sich an der Determinantenbedingung d − u ≠ 0 ablesen;
sie ist gegeben, wenn der Aktienkurs nicht deterministisch ist. Ist diese Bedingung
erfüllt, lautet die eindeutige Lösung des Duplikationsproblems:
LM N OP = LM1 uOP ⋅ LMZ OP = 1 ⋅ LM d
NN ⋅ P Q N1 d Q NZ Q d − u N−1
−1
1
2
3u
2
3d
OP ⋅ LMZ OP
1 Q NZ Q
−u
3u
(3.6)
3d
Mit der Lösung des Duplikationsproblems ist aber wegen (3.4) auch das Bewertungsproblem des Derivats gelöst: Es gilt
P3 =
OP LM OP
QN Q
O L d − uOP ⋅ LMZ PO
1P ⋅ M
Q N −1 1 Q N Z Q
LM
N
N1
1
1
⋅ N1 + P2 ⋅ N 2 =
1 ⋅
P2 ⋅ N 2
1+ r
1+ r
LM
N
1
1
=
⋅
d − u 1+ r
(3.7)
3u
3d
für den Preis des Derivats. Mit der Gleichung (3.7) befassen wir uns unten noch
näher.
2. Hedge-Portfolio:
Das Hedge-Portfolio kombiniert Aktie und Option dergestalt, daß sowohl im Z ustand u als auch im Zustand d ein sicherer Zahlungsstrom erreicht wird. Formal:
1 = N 2 ⋅ P2 ⋅ u + N 3 ⋅ Z3u
1 = N 2 ⋅ P2 ⋅ d + N 3 ⋅ Z3d
⇒
1
= N 2 ⋅ P2 + N 3 ⋅ P3
1+ r
Ein solches Hedge-Portfolio existiert, wenn die Inverse
LMu
Nd
Z3 u
Z3d
OP
Q
(3.8)
−1
(3.9)
existiert, d.h. wenn gilt u ⋅ Z3d ≠ d ⋅ Z3u (Determinantenbedingung). Da für ein D erivat u = d ⇒ Z3u = Z3d gelten muß, ist die Bedingung bei u ≠ d (stochastischer
Aktienkurs) gegeben, wenn das Derivat mit der Aktie nicht ökonomisch identisch
ist (in welchem Fall das Derivat durch die Aktie allein duplizierbar wäre). Die
Lösung lautet dann:
16
LMN ⋅ P OP = LMu
N N Q Nd
2
2
3
Z3 u
Z3d
OP ⋅ LM1OP
Q N1Q
−1
(3.10)
Da dieser wie auch der folgende Zugang naturgemäß auf dieselbe Bewertungsb eziehung (3.7) führt, können wir auf die weitere Analyse von (3.10) im Zusammenhang mit (3.8) verzichten.
3. Arbitrage-Portfolio:
Das auf Merton (1973) zurückgehende Arbitrage-Portfolio kombiniert Aktie, s ichere Anlage und Option so miteinander, daß in der Zukunft mit Sicherheit, d.h. in
beiden Zuständen, eine Zahlung von Null anfällt. Formal:
0 = N1 + N 2 ⋅ P2 ⋅ u − N 3 ⋅ Z3u
0 = N1 + N 2 ⋅ P2 ⋅ d − N 3 ⋅ Z3d
⇒
(3.11)
N1
+ N 2 ⋅ P2 − N 3 ⋅ P3
1+ r
Die völlige Übereinstimmung mit (3.3) und (3.4) für N3 ≠ 0 macht eine weitere
Betrachtung überflüssig.
0=
Untersucht man die Bewertungsbeziehung (3.7) für ein Derivat näher, so zeigt
sich, daß es von der Struktur
P3 = π u ⋅ Z3u + π d ⋅ Z3d
(3.12)
ist, wobei
OP LM
QN
LM
N
πu
πd =
d −u
1
1
⋅
1 ⋅
−1 1
d − u 1+ r
πu
πd =
1 1+ r − d
1+ r
u−d
OP
Q
(3.13)
gilt, d.h.
LM b g
N
b g OP
Q
u − 1+ r
u−d
(3.14)
und daher zusammen mit (3.12)
LMZ OP
NZ Q
1 L b1 + r g − d u − b1 + rg O L Z O
=
⋅
1 + r MN u − d
u − d PQ MN Z PQ
u − b1 + rg
O
1 L b1 + r g − d
=
⋅Z +
⋅Z P
M
1+ r N u − d
u−d
Q
P3 = π u ⋅ Z3u + π d ⋅ Z3d = π u
πd ⋅
3u
3d
3u
(3.15)
3d
3u
3d
Die Darstellung (3.12) entspricht vollständig der oben unter (2.3) abgeleiteten allgemeinen Bewertungsgleichung. Der Optionspreis hängt ausschließlich von den
Zahlungen der Option in t = 1 (Z 3u und Z3d), der Kursbewegung der Aktie (u und
17
d) sowie dem sicheren Zins ab. Folglich überträgt sich die in den ZahlungsstromStückzahlkombinationen des Duplikations-Portfolios enthaltene Risikobewe rtungssystematik auf den Optionspreis, wobei diese Risikobewertungssystematik
weder vom Anfangsvermögen des Investors noch von seinen Risikopräferenzen
abhängt (Konsequenz der Duplizierbarkeit). Deshalb spielen auch die empirischen
Wahrscheinlichkeiten für das Auftreten der Zustände u und d ( µ u bzw. µ d ) keine
Rolle.
Um zu verifizieren, daß (3.14) alle Titel des Marktsegments richtig bewertet, d.h.
nicht nur die Bewertung des Derivats bewerkstelligt, braucht man nur einzuse tzen:
P1 = π u ⋅ Z1u + π d ⋅ Z1d = π u
πd ⋅
LM1OP
N1Q
(3.16)
1
= π u + πd =
1+ r
für die risikofreie Anlage und
LMP ⋅ uOP
NP ⋅ dQ
u − b1 + rg O
Lu O
1 L b1 + r g − d
= P ⋅ π π ⋅M P = P ⋅
⋅ dP
⋅u +
M
u−d
Nd Q 1 + r N u − d
Q
1 L b1 + rg ⋅ u − d ⋅ u u ⋅ d − b1 + r g ⋅ d O
=P ⋅
+
PQ
u−d
u−d
1 + r MN
1 L b1 + r g ⋅ u − d ⋅ u + u ⋅ d − b1 + r g ⋅ d O
=P ⋅
PQ
u−d
1 + r MN
P2 = π u ⋅ Z2 u + π d ⋅ Z2d = π u
πd ⋅
2
2
2
2
u
d
2
(3.17)
2
= P2
für das Underlying (die Aktie). Damit ist nachgewiesen, daß die Diskontierung sfaktoren (3.14) im betrachteten Marktsegment in ihrer Funktionalität genau denen
in der allgemeinen Bedingung (2.3) entsprechen. Sie sind hier aber nur als Nebe nprodukt der Ermittlung des Duplikationsportfolios (3.5) angefallen; die Bewertung
des Derivats ist lediglich Konsequenz der Beziehung (3.4), in der die Diskontierungsfaktoren als solche nicht vorko mmen.
Die bisherigen Überlegungen beruhten ausschließlich auf dem LOP in der Gestalt
der Implikation "identischer Rückstrom" ⇒ "identischer Preis" (bzw. Äquivale ntem). Die Beziehung (2.3) erfordert darüber hinaus, daß (3.14) zudem noch nichtnegativ sein muß, d.h. Arbitragefreiheit erfordert zusätzlich zu (3.12) in Verbindung mit (3.14) noch
18
b g OP ≥ 0
Q
d.h. wegen u > d
b1 + rg − d ≥ 0 und u − b1 + rg ≥ 0
πu
πd =
LM b1 + rg − d
N u−d
u − 1+ r
u−d
(3.18)
d.h.
b g
u ≥ 1+ r ≥ d
Die Bedingung (3.18) erweist sich als überaus einleuchtende Arbitragefreiheit sbedingung: Die Rendite der Aktienanlage darf weder die risikofreie Rendite (mit
Sicherheit) dominieren, noch darf umgekehrt die risikofreie Rendite die Aktie nrendite (mit Sicherheit) übertreffen.
Aus (3.14) lassen sich mit Hilfe der empirischen Wahrscheinlichkeiten nun ohne
weiteres die Pseudowahrscheinlichkeiten (das Marti ngalmaß) gewinnen:
Pseudowahrscheinlichkeit für den Zustand u:
µ*u =
b1 + rg − d
u−d
Pseudowahrscheinlichkeit für den Zustand d:
µ*d = 1 − µ*u =
b g
u − 1+ r
u−d
C.I.2. Der allgemeine Fall
Die Erkenntnisse des Binomialmodells lassen sich verallgemeinern: Die ang ekündigte Bedingung, unter der die LOP-orientierte Bewertung zur Lösung führt,
ohne daß man die Diskontierungsfaktoren kennen muß, ist nun die folgende:
Die charakteristische Funktion f läßt sich ersetzen durch eine affin l ineare Funktion
n −1
~
~
~
~
Zn = f Z1, , Zn −1 = a1 +
a i ⋅ Zi
(3.19)
d
i
∑
i=2
wobei die Anzahl der echten Argumente in der linearen Funktion unter
Umständen gegenüber der in f ausgeweitet werden muß. Diese Bedi ngung bezeichnen wir als Spanning-Eigenschaft.
Diese abstrakte Aussage läßt sich sehr schön anhand der nun schon bekannten
Aussagen des Binomialmodells illustrieren:
Im Falle der Kaufoption auf Aktien benötigt man die sichere Anlage und das U nderlying der Kaufoption, um den Zahlungsstrom zu duplizieren, die charakterist ische Funktion läßt sich demnach schreiben als
19
d i
~
~
~
Zn = f Z2 = a1 + a 2 Z2
u ⋅ P2 ⋅ Z3d − d ⋅ P2 ⋅ Z3u
1 + r u ⋅ P2 − 1 + r d ⋅ P2
b g b g
b1 + rg Z − b1 + rg Z
b1 + rg u ⋅ P − b1 + rg d ⋅ P
mit: a1 =
3d
a2 =
3u
2
2
Betrachten wir noch eine Option auf zwei Aktien: Es gibt innerhalb eines entspr echend erweiterten Binomialmodells vier Zustände: Aktie 1 steigt und Aktie 2
steigt, Aktie 1 steigt und Aktie 2 sinkt, Aktie 1 sinkt und Aktie 2 steigt sowie A ktie 1 sinkt und Aktie 2 sinkt. Von daher werden im allgemeinen 4 Papiere benötigt,
~
~ ~
um Zn = f Z2 , Z3 aufzuspannen, die Anzahl der Argumente in der Spanning-
d
i
Funktion beträgt insofern bis zu vier, die des Der ivats zwei.
Die LOP-orientierte Bewertung (i.a.S.) ist nun im Prinzip ganz einfach; man we ndet (2.9) auf (3.19) an und erhält:
n −1
n −1
a
a1
~
~
~⋅Z
Pn = E q~ ⋅ Z n = 1 +
ai ⋅ E q
=
+
a i ⋅ Pi
(3.20)
i
1 + r i=2
1 + r i=2
n
s
∑
n s
∑
d.h.
Pn =
a1
+
1+ r
n −1
∑a ⋅P
i
(3.21)
i
i=2
Das Bewertungsproblem reduziert sich daher auf die Bestimmung der Größen {a i}.
Diese Größen wiederum ergeben sich als Lösung eines linearen Gleichungss ystems:
~
Zns = a1 +
n −1
∑a ⋅Z
~
i
is
für alle
s ∈S
(3.22)
i=2
Dieses System enthält so viele Gleichungen, wie im Modell Zustände abgebildet
werden. Soll jedes beliebige Derivat auf diese Weise bewertbar sein, ist offenbar
n ≥# S eine notwendige Bedingung, eine Tatsache, die bereits in unserem Be i-
b g
spiel zur Erläuterung des Spannings a ngeklungen ist.
Die LOP-orientierte Bewertung (i.e.S.), wie sie im Binomialmodell vorexerziert
wurde, bezieht sich ohne Rekurs auf (3.20) direkt auf die Implikation (3.22) ⇒
(3.21) bzw. dazu äquivalente Formulierungen wie
0 = a1 +
n −1
∑
a
~
~
a i ⋅ Zis − Zns für alle s ∈S ⇒ 0 = 1 +
1+ r
i=2
n −1
∑a ⋅P − P
i
i
n
(3.23)
i=2
oder
− a1 =
n −1
∑
a
~
~
a i ⋅ Zis − Zns für alle s ∈S ⇒ − 1 =
1+ r
i=2
n −1
∑a ⋅P − P
i
i=2
i
n
(3.24)
20
bzw.
1= −
n −1
∑
i=2
~
n −1
ai ~
Z
1
ai
P
⋅ Zis + ns für alle s ∈S ⇒
=−
⋅ Pi + n
a1
a1
1+ r
a1
i = 2 a1
∑
(3.25)
In (3.23) wird ein Arbitrage-Portfolio konstruiert, in (3.24) bzw. (3.25) ein HedgePortfolio, während in der Ausgangsbedingung (3.22) ein Duplikations-Portfolio
gebildet wird.
Wenden wir uns abschließend der Beurteilung der Law-of-One-Price-orientierten
Bewertung zu 10: Sie stellt einen sehr eleganten, weil präferenzfreien Weg zur B estimmung von Optionspreisen dar, wie wir mit der Interpretation von Gleichung
(3.4) in Verbindung mit (3.14) gezeigt haben. Allerdings begründet gerade die
notwendige Duplikation auf der Grundlage der Spanning-Eigenschaft die Schw ächen der Law-of-One-Price-orientierten Bewertung: Da der Optionspreis mit dem
Preis des Duplikations-Portfolios übereinstimmen muß, müssen "Underlyings",
d.h. Zahlungsstromdeterminanten vorliegen, die tatsächlich einen Marktpreis h aben, also handelbare Güter sind (ein handel bares Gut darf nicht mit den zuvor definierten gehandelten Wertpapieren verwechselt werden). Dies trifft z.B. nur selten
auf Indizes zu - die meisten Indexderivate entziehen sich damit einer direkten
Law-of-One-Price-orientierten Bewertung. Die Problematik der SpanningEigenschaft hat noch eine andere Dimension, die von der Handelbarkeit der
"Risikoquellen" unabhängig ist: Wäre z.B. das Derivat von einem weiteren Unde rlying abhängig (man denke z.B. an das Recht, eine Aktie gegen eine andere Aktie
zu tauschen) und wollte man diese Situation in einem Binomialmodell für beide
Underlyings abbilden, gäbe es die vier Zustände des vorangegangenen Beispiels.
Da neben Aktie 1, Aktie 2 und der sicheren Anlage keine weiteren Papiere vo rhanden sind, scheitert die Duplikation und daher die Konkretisierung des Prei sfunktionals im Rahmen der Spanning-Eigenschaft; davon unbenommen behält die
grundlegende Beziehung (2.3) natürlich aufgrund der Arbitragefreiheit weiterhin
ihre Gültigkeit. Diese Probleme fehlender Spanning-Möglichkeiten durch hande lbare Wertpapiere verschärfen sich bei mehrperiodiger Betrachtung, wenn man z.B.
stochastische Volatilität des Aktienkurses oder Kurssprünge zuläßt. Schließlich
muß bei aller Euphorie bezüglich einer Preisgleichung wie (3.4) bedacht werden,
daß die Law-of-One-Price-orientierte Bewertung eine relative Bewertung ist; sie
macht also nur Aussagen über die richtige Lage des Optionspreises im Verhältnis
zum Preis des Duplikations-Portfolios, sie kann aber nicht entscheiden - und e rhebt diesen Anspruch auch gar nicht erst - , ob der Preis dieses Portfolios und
folglich der Preis der Aktie und der sicheren Anlage selbst (in seiner absoluten
Höhe) gerechtfertigt ist. Aussagen dieser Art versucht die nutzenorientierte Bewe rtung zu liefern.
21
C.II. Nutzenorientierte Bewertung
Ausgangspunkt der nutzenorientierten Bewertung sind optimale PortfolioEntscheidungen eines Investors, in denen sich seine Risikobewertungssystematik
spiegeln und mit deren Hilfe die Option anhand ihres Zahlungsstroms in t = 1 s owie den Präferenzen und der Anfangsausstattung besagten Entscheiders bewertbar
werden soll. Handelt es sich bei dem beurteilenden Investor um einen individue llen Entscheider, stellt der Optionspreis einen subjektiven Indifferenzpreis dar, das
Abstellen auf einen für den im Gleichgewicht befindlichen Wertpapiermarkt r epräsentativen Investor führt dagegen zu gleichgewichtsorientierten Option spreisen.
Betrachten wir das der Bewertung zugrunde liegende Entscheidungsproblem des
Investors näher: Einem Entscheider stehe das Budget W 0 zur Verfügung, das er auf
das Underlying der Option (Aktie), die sichere Anlage und die Option aufteilt:
N1
+ P2 N 2 + P3 N 3
(3.26)
1+ r
~
Für das unsichere Endvermögen W (Zufallsvariable mit Ausprägung W s im Zustand s) dieser Strategie gilt
~
~
~
(3.27)
W = N1 + Z2 N 2 + Z3 N 3
W0 =
Integriert man die Budgetbedingung (3.26) in die Endvermögensbedingung (3.27),
erhält man
~
~
~
W = Z2 − (1 + r ) P2 N 2 + Z3 − (1 + r ) P3 N 3 + (1 + r ) W0
(3.28)
~
Das unsichere Endvermögen W setzt sich demnach zusammen aus dem sicher
aufgezinsten Anfangsvermögen und den Überschußzahlungen, die Underlying
(Aktie) und Derivat (Option) gegenüber einer sicheren Anlage ihrer jeweiligen
Preise (Risikoprämien) erzielen.
Der Entscheider versucht, den Erwartungswert seines Nutzens U[.] des Endverm ögen durch optimale Wahl der Stückzahlen von Aktie und Option (N 2 und N3) zu
maximieren. Formal:
~
Max E U W
(3.29)
N
{
}
Bezeichnen wir den Erwartungsnutzen des Endvermögens als Φ, lauten die notwendigen Bedingungen für die optimalen Stückzahlen
~
~
∂U W ∂W
∂Φ
~ ~
=0= E
= E U' W Zi − (1 + r ) Pi für i = 2,3 (3.30)
~ ⋅
∂ Ni
∂ W ∂ Ni
R|
S|
T
U|
V| {
W
}
Der zu bestimmende Optionspreis P 3 ist aus (3.30) für i = 3 ermittelbar, indem wir
diese Gleichung nach P 3, auflösen:
22
R| 1 U W~ ~ U| ~ ~
P = ES
~ ⋅ Z V = Enq ⋅ Z s
r
1
+
E
U
W
|T { } |W
'
3
3
'
3
(3.31)
Es ist ein leichtes nachzuprüfen, daß, wie im Fall der Duplikationsbewertung, g emäß (3.15) (dort: die Zustandspreise π u π d , hier:) der stochastische Diskontierungsfaktor
~
U' W
1
~
q=
⋅
~
1 + r E U' W
{
(3.32)
}
die Bewertung aller Wertpapiere im Marktsegment vermöge der Beziehung (2.9)
leistet.
In
U ' Ws
µ*s = µ s
(3.33)
E U ' Ws
m
r
erkennen wir wiederum die Pseudowahrscheinlichkeit (Martingalmaß) für den
Zustand s, in
'
πs =
U Ws
1
µs
1 + r E U ' Ws
m
r
(3.34)
die Zustandspreise wieder.
Gleichung (3.31) demonstriert, daß der Optionspreis von den Zahlungen der Opt ion in t = 1 (Z 3u und Z3d), dem sicheren Zins und der "Risikobewertungssystematik"
des Investors, die sich in q~ niederschlägt, abhängt.
Die nutzenorientierte Risikobewertungssystematik wird ökonomisch plastischer,
wenn wir drei Fälle unterscheiden 11: Ist der Grenznutzen des Endvermögens in
einem Zustand U ′ Ws kleiner als der durchschnittliche Grenznutzen des Endve r-
m
mögens über alle Zustände E U ′ W
r hinweg, dann stiftet eine Geldeinheit im
Zustand s einen geringen Nutzenzuwachs als im Durchschnitt. Nach dem ersten
Gossenschen Gesetz (Gesetz vom abnehmenden Grenznutzen) bedeutet ein niedr iger Grenznutzen ein relativ hohes Vermögen. Daher resultiert in Zuständen, in
denen ein hohes Vermögen vorliegt, "Zustände reichen Geldes", ein positiver R isikoabschlag (stärkere Diskontierung als mit der sicheren Anlage bzw. Pseud owahrscheinlichkeit < empirische Wahrscheinlichkeit). Befindet sich dagegen der
Grenznutzen des Endvermögens in einem Zustand U ′ Ws über dem durchschnitt-
m
r
lichen Grenznutzen aller Zustände E U ′ W , "Zustände knappen Geldes", ruft
eine zusätzliche Geldeinheit einen relativ hohen Nutzenzuwachs hervor. Ein neg ativer Risikoabschlag ist die Folge (schwächere Diskontierung als mit der sicheren
Anlage bzw. Pseudowahrscheinlichkeit > empirische Wahrscheinlichkeit).
23
Schließlich kann noch der Fall eintreten, daß der Grenznutzen des Endvermögens
in einem Zustand U ′ Ws genau mit dem durchschnittlichen Grenznutzen aller
m
Zustände E U ′ W
r übereinstimmt. Damit befindet man sich in "Zuständen ne u-
tralen Geldes". Es erfolgt kein Risikoabschlag (identische Diskontierung wie mit
der sicheren Anlage bzw. Pseudowahrscheinlichkeit = empirische Wahrschei nlichkeit).
Um einen Vergleich der LOP-orientierten mit der nutzenorientierten Bewertung zu
ermöglichen, stellen wir sie abschließend auf die gleiche Basis, was die SpanningAnnahme betrifft. Wenn man die Spanning-Eigenschaft (3.19) als gegeben unterstellt, folgt wegen (3.31) in Verbindung mit (3.32) und (2.9) sofort die Identität der
Bewertung eines Derivats nach (3.31) (nutzenorientiert) mit der nach (3.12) (LOPorientiert).
Beurteilen wir auch die nutzenorientierte Bewertung 12: Sie kann die Probleme der
Law-of-One-Price-orientierten Bewertung unter allerdings ihrerseits einschrä nkenden Bedingungen (Erwartungsnutzen-orientiertes Verhalten) überwinden;
Nichtpreisvariable und zusätzliche Risiken werden mittels einer Nutzenfunktion
bewertet und somit in die Bewertung integriert. Zudem macht sie als absolute B ewertung Aussagen auch über die Höhe der Wertpapierpreise und nicht nur über
ihre relative Lage zueinander. Allerdings wird durch den Einsatz von Nutzenfun ktionen die Allgemeingültigkeit der Bewertungsaussagen deutlich eingeschränkt,
insbesondere kommen zusätzliche im allgemeinen unbeobachtbare Determinanten
ins Spiel.
Abschließend sei noch ein Spezialfall der gleichgewichtsorientierten Variante der
nutzenorientierten Bewertung zur Kenntnis gebracht: das Capital Asset Pricing
Model (CAPM). Es stellt insofern einen Spezialfall dar, als ausschließlich Erwa rtungswert und Varianz von Portfolios (und damit im Ergebnis das Marktportfolios)
als bewertungsrelevant angesehen werden, anstatt die gesamte Wahrscheinlic hkeitsverteilung des investorspezifischen Endvermögens zu berücksicht igen.
Gemäß Wilhelm (1983) 13 kann die CAPM-Preisgleichung in Anwendung auf das
Derivat in folgende Form gebracht werden:
~
E WM − (1 + r ) WM 0 ~
1
~
~
P3 = E
1−
WM − E WM ⋅ Z3
(3.35)
~
1+ r
var WM
R|
S|
T
WM0
LM n s
MN
n s
e
O
n sjPP
Q
U|
V|
W
Vermögen des Marktportfolios in t = 0
womit wir als Ausdruck für den stochastischen Diskontierungsfaktor:
24
LM n s
MN
n s
OP
n sjP
Q
(3.36)
O
n sjPP
Q
(3.37)
~
E
W
1
M − (1 + r ) WM 0 ~
~
1−
q~ =
WM − E WM
~
1+ r
var WM
e
für die Pseudowahrscheinlichkeit
LM EnW s − (1 + r ) W W
e
varnW s
MN
µ*s = µ s 1 −
Ms
M0
Ms
M0
~
− E WM
und als Zustandspreise
πs = µs
LM n s
MN
n s
OP
n sjP
Q
E WM s − (1 + r ) WM 0
1
~
WM s − E WM
1−
1+ r
var WM s
e
(3.38)
finden. Zur Interpretation können wir, wie im allgemeineren Fall der nutzenorie ntierten Bewertung auch, Zustände "reichen", "knappen" und "neutralen" Geldes
unterscheiden. Maßgeblich ist allerdings nun nicht mehr das Verhältnis von z ustandsbezogenem zum durchschnittlichen Grenznutzen, sondern das von Endve rmögen des Marktportfolios im Zustand s zum durchschnittlichen Endvermögen
~
des Marktportfolios E WM .
n s
4 Schlußbetrachtung
Wir haben gesehen, daß die Arbitragetheorie die grundsätzliche Struktur fairer
Wertpapierpreise fixiert (= allgemeine Bewertungstheorie). (Spezielle) Bewe rtungstheorien operationalisieren nur noch diesen grundsätzlichen Zusammenhang.
Dabei gibt es zwei Möglichkeiten: die Law-of-One-Price-orientierte und die nu tzenorientierte Bewertung. Beide Bewertungsansätze sind freilich nicht konträr,
sondern nutzen nur unterschiedliche einschränkende Annahmen. Die LOPorientierte Bewertung gelangt lediglich zu operationalen Bewertungsformeln,
wenn die Spanning-Annahme bezüglich des Derivats erfüllt ist. Die nutzenorie ntierte Bewertung erfordert die Annahme eines eingeschränkteren Konzepts von
rationalem Verhalten: die Gültigkeit des Bernoulli-Prinzips. Reduziert man die
Betrachtung auf Probleme, bei denen beide Annahmensysteme erfüllt sind, ko mmen sie zu denselben Resultaten. Die allgemeine Bewertungstheorie in der Gestalt
(2.2) mit der Konsequenz (2.9) ist beiden Vorgehensweisen als gemeinsame Wu rzel immanent.
Abschließend sei noch der Bogen zu realistischeren Bewertungsmodellen g espannt: Die vorgestellten Bewertungskonzepte entfalten ihre Bedeutung für den
praktischen Einsatz erst im mehrperiodigen Rahmen (hierher gehört der gesamte
Bereich der Behandlung von Zinssätzen und Zinsderivaten). Ein didaktischer
25
Glücksfall ist es , daß die aus dem einperiodigen Modell bekannte Vorgehenswe ise und ökonomische Interpretation im Kern erha lten bleibt.
Anhang
− Beweis der Spezialfälle der physischen Arbitragefreiheit (A1) und (A2):
Proposition 1: Für jedes Portfolio N gilt P( − N ) = − P( N ) .
Diese Eigenschaft folgt unmittelbar aus 0 = P( 0) = P( N − N ) = P( N ) + P( − N ) .
Proposition 2: Für jede ganze Zahl z und jedes Portfolio N gilt P(z ⋅ N ) = z ⋅ P( N ) .
Das ist offensichtlich, da z = ± (1 + 1+ +1) gilt.
FG j NIJ = j P( N) .
Hk K k
Proposition 3: Für jede rationale Zahl j / k gilt P
Wegen Proposition 2 reicht es aus, diese Eigenschaft für j = 1 zu zeigen. Sei
1
N = N . Dann gilt N = k ⋅ N und daher P( N ) = P(k ⋅ N ) = kP( N ) und folglich
k
FG 1 NIJ = P( N) = 1 P( N) .
Hk K
k
P
Proposition 4: Für jede reelle Zahl x gilt P(x ⋅ N ) = x ⋅ P( N ) .
l
Zum Beweis wählt man eine Folge rationaler Zahlen a1, a 2 ,
q , die gegen x kon-
vergiert, und bildet die Folge rationaler Za hlen y1 = a1, y2 = a 2 − a1 , y3 = a3 − a 2 , . Dann gilt wegen Proposition 3 und der
geforderten Additivität (2.1)
P(x ⋅ N ) = P(y1N + y2 N +
b
) = y1 + y2 +
gP( N) = x P( N)
~
− Beweis der Wohldefiniertheit von ϕ( Z) :
~
Sei N* ∈M( Z ) . Dann gilt
n ~
n ~
n ~
n ~
*
*
*
∑ Zi N i = N 0 + ∑ Zi N i ≥ N 0 + ∑ Zi N i = ∑ Zi N i
i=0
i =1
i =1
D.h.
c
h
n ~
N*0 − N 0 + ∑ Zi N*i − N i ≥ 0
i =1
Falls N*0 − N 0 ≥ 0 gilt, folgt aus (2.2) sofort
i=0
26
n
c
h
N*0 − N 0 + ∑ Pi N*i − N i ≥ 0
i =1
und daher
n
n
i=0
i=0
*
∑ Pi N i ≥ ∑ Pi N i
Falls N*0 − N 0 ≤ 0 gilt, folgt
n
n
~
*~
*
∑ N i Zi ≥ N 0 − N 0 + ∑ N i Zi
i =1
i =1
d.h.
c
h
n
~
*
*
∑ N i − N i Zi ≥ N 0 − N 0 ≥ 0
i =1
und daher wieder wegen (2.2)
n
n
i =1
i =1
*
∑ Pi N i ≥ ∑ Pi N i
Also
n
n
n
n
n
i=0
i =1
i =1
i =1
i=0
*
*
*
*
∑ Pi N i = N 0 + ∑ Pi N i ≥ N 0 + ∑ Pi N i ≥ ∑ Pi N i = ∑ Pi N i − N 0
n
Daher ist ∑ Pi N i − N 0 eine untere Schranke in (2.5).
i=0
Anmerkungen
1
2
3
4
5
Vgl. Wilhelm (1981) und Wilhelm (1985)).
Vgl. Wilhelm (1981), S. 894.
Vgl. Merton (1973), S. 143.
Vgl. Jevons (1871).
~
~
Man erinnere sich zur Herleitung von (2.11) aus (2.9) der für beliebige Zufallsvariablen X und Y
~
~
~
~
~
~
gültigen Beziehung cov( X, Y ) = E X ⋅ Y − E X ⋅ E Y .
n s ns ns
6
7
8
9
10
11
12
13
Ein Maß ist dabei folgendermaßen definiert: Eine Funktion µ, die zu jeder zur σ-Algebra gehörenden Teilmenge A einer Menge Ω eine Zahl mit 0 ≤ µ( A ) ≤ ∞ zuweist, heißt Maß. Gilt µ(Ω) =
1, heißt das Maß Wahrscheinlichkeitsmaß (normiertes Maß).
Ein Martingal ist bekanntlich ein stochastischer Prozeß, dessen beste Schätzung zukünftiger Ausprägungen die heutige Ausprägung ist.
Vgl. Harrison/Kreps (1979).
Vgl. Cox/Ross/Rubinstein (1979) für den Originalaufsatz bzw. Kruschwitz/Schöbel (1984) für
eine deutsche Einführung.
Vgl. ähnlich z.B. Schöbel (1995), S. 43.
Vgl. Wilhelm (1985), S. 15.
Vgl. ähnlich z.B. Schöbel (1995), S. 109 ff.
Vgl. Wilhelm (1983), S. 16.
Literatur
Cox, J. C., Ross, St. A. und Rubinstein, M. (1979): Option Pricing: A Simplified
Approach, in: Journal of Financial Economics 7, S. 229-263
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Harrison, J. M. und Kreps, D. M. (1979): Martingales and Arbitrage in Mulitper iod Securities Markets, in: Journal of Economic Theory 20, S. 381-408
Jevons, W. S. (1871): The Theory of Political Economy, London 1871
Kruschwitz, L. und Schöbel, R. (1984): Eine Einführung in die Optionspreisthe orie, Das Wirtschaftsstudium 13, S. 68-72, 116-121, 171-176
Merton, R. C. (1973): Theory of Rational Option Pricing, Bell Journal of Econ omics and Management Science 4, S. 141-183
Schöbel, R. (1995): Kapitalmarkt und zeitkontinuierliche Bewertung, Heidelberg
1995
Wilhelm, J. (1981): "Zum Verhältnis von Capital Asset Pricing Model, Arbitrage
Pricing Theory und Bedingungen der Arbitragefreiheit von Finanzmär kten", Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung 33,
S. 891-905
Wilhelm, J. (1983): Finanztitel und Unternehmensfinanzierung, Heidelberg et al.
1983
Wilhelm, J. (1985): Arbitrage Theory - Introductory Lectures on Arbitrage Based
Financial Asset Pricing", Berlin et al. 1985
Zusammenfassung
Das Anliegen unserer Ausführungen war es, die zentralen ökonomischen Aussagen
der Bewertungstheorie in einem einfachen einperiodigen Modell darzustellen. D abei konnten wir herausarbeiten, daß Arbitragefreiheit, genauer gesagt: physische
und ökonomische Arbitragefreiheit, die Voraussetzung für die Existenz stabiler
Wertpapierpreise ist. Arbitragefreiheit fixiert darüberhinaus die grundsätzliche
Struktur fairer Wertpapierpreise (= allgemeine Bewertungstheorie). Die Law-ofOne-Price-orientierte und die nutzenorientierte Bewertung operationalisieren nur
noch diesen grundsätzlichen Zusammenhang. Beide (speziellen) Bewertungsansä tze sind freilich nicht konträr, sondern nutzen nur unterschiedliche einschränkende
Annahmen: Für die LOP-orientierte Bewertung ist die Spanning-Annahme bezü glich des Derivats zentral, die nutzenorientierte Bewertung gründet auf einem Ind ividualkalkül nach dem Bernoulli-Prinzip. Reduziert man die Betrachtung auf Pr obleme, bei denen beide Annahmensysteme erfüllt sind, kommen sie zu denselben
Resultaten. - Ein didaktischer Glücksfall ist es, daß die aus dem einperiodigen
Modell bekannte Vorgehensweise und ökonomische Interpretation im Kern auch
bei mehrperiodiger Betrachtung erha lten bleibt.
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