NEWS 09 Interview Nachts das Fernlicht einschalten! CGM-Erfahrungen aus der Schweiz A nders als in Deutschland sind CGM-Systeme in der Schweiz schon heute in bestimmten Indikationen eine generelle Kassenleistung. Die Bolus-Redaktion sprach mit dem Kinderdiabetologen Dr. Udo Meinhardt aus dem Pädiatrisch-Endokrinologischen Zentrum Zürich (PEZZ) über seine Erfahrungen mit CGM-Systemen im Alltag. Welche Voraussetzungen müssen in der Schweiz erfüllt sein, um ein CGM-System verordnen zu können? Als diagnostisches Instrument war das CGM immer ohne spezielle Voraussetzungen zugelassen. Damit können insbesondere BZ-Schwankungen in der Nacht oder nach dem Essen aufgedeckt werden – auch nach „speziellen schweizerischen Herausforderungen“ wie Fondue oder Raclette. Darüber hinaus ist die CGM zur BZ-Einstellung beim Sport oder bei Therapieumstellungen z.B. auf eine Pumpe hilfreich. Zum Therapiemonitoring ist das CGM in der Schweiz bei Menschen mit Diabetes zugelassen, die u.a. einen HbA1c ≥8 % aufweisen oder von schweren Hypoglykämien mit bereits erfolgter Notfallkonsultation betroffen sind. Die Kassen übernehmen dann die Kosten für zunächst sechs Monate. Sind die Kriterien auch danach noch erfüllt, werden die Kosten in der Regel problemlos für jeweils weitere sechs Monate übernommen. Welche Erfahrungen machen Sie mit CGM bezüglich der BZ-Einstellung von Kindern? In unserer Klinik tragen etwa 15 bis 20 % der Kinder ein CGM. Es gibt Familien, die setzen die CGM kontinuierlich ein. Die meisten dieser Familien haben den Diabetes bereits recht gut im Griff. Bei den Kindern und Jugendlichen führt die CGM zu einer verbesserten BZ-Einstellung mit HbA1c-Verbesserung von 0,5 bis 1 % sowie zu geringeren BZ-Schwankungen. Dies ist ein wichtiger Faktor bei der Qualität der Diabeteskontrolle mit Blick auf Hyper- und Hypoglykämien sowie in Bezug auf das Risiko von diabetischen Spätkomplikationen. Bei Pumpenpatienten reduziert das CGM auch die Anzahl und Schwere der ketotischen Entgleisungen bei einer unterbrochenen Insulinzufuhr. Auch die Diabetesfamilien, die das CGM nur in speziellen Situationen einsetzen, meistern in der Regel den Diabetesalltag sehr gut. Sie profitieren von der CGM-Messung, indem sie das bessere Monitoring bei Bedarf einsetzen – so etwa wie man in der Nacht beim Autofahren das Fernlicht benutzt, um besser zu sehen. Und was ist mit Familien, die den Diabetes nicht im Griff haben? Hier sollte man ein CGM nur sehr eingeschränkt vorschlagen, denn hier trägt es nicht unbedingt zur Lösung der Probleme bei und wird von den Familien häufig auch nicht wirklich benutzt. In diesen Fällen kann das CGM auch von der eigentlichen Problematik ablenken und man würde Kosten und Energie beim Diabetesteam und in der Familie verschwenden. Bringt das CGM nicht den erhofften Erfolg, ist damit auch immer eine Frustration verbunden, die wiederum nicht hilft, den Diabetes besser in den Griff zu bekommen. Deshalb ist auch die Voraussetzung, dass der HbA1c erhöht (≥8 %) sein muss, um überhaupt in den „Genuss“ eines CGM-Systems zu kommen, nicht sinnvoll. 10 NEWS Wie sieht es mit Hypoglykämien aus? Vor allem schwere Hypos sind unter einem CGM-System reduziert. Leichte Hypos sind nicht unbedingt seltener, da sich die Patienten mit CGM eher im Normbereich einstellen können. Welche Probleme im Umgang mit CGM gibt es? Eines der Hauptprobleme: Manche Menschen mit Diabetes tun sich schwer damit, die ununterbrochene Kontrolle des Gewebezuckers und die damit verbundenen Alarme bzw. die „roten und gelben Karten“ auszuhalten. Für sie ist es belastend, keine „Diabetespause“ mehr zu haben. Welche praktischen Vorteile sehen Sie bei der Nutzung von CGM-Systemen? Bei Kleinkindern mit Diabetes ist das CGM eine massive Erleichterung für die Eltern, vor allem in der Nacht. Sie gibt Sicherheit und damit besseren Schlaf und mehr Kraft, den Alltag zu meistern. Bei Sportlern ist das CGMSystem ebenfalls extern hilfreich; viele Sportler kennen ihren Körper aber mit der Zeit so gut, dass sie das CGM gar nicht mehr kontinuierlich, sondern nur noch punktuell einsetzen. Ein wesentlicher Vorteil ist für mich das diagnostische CGM – beispielsweise die CGMunterstützte Einstellung der Insulinpumpentherapie. Die individuell alltagstauglichen Insulineinstellungen sind mit dem CGM-System viel schneller erreicht. Wie hat sich die Situation für Ihre Praxis verändert seit der Erstattung von CGM? Das CGM ist ein extrem gutes diagnostisches Werkzeug, es zeigt auf, was mit einfachen BZ-Messungen unsichtbar bleibt (z.B. nächtliche oder postprandiale BZ-Schwankungen, „gezinkte“ BZ-Messungen). Ganz allgemein ist für uns im PEZZ das Ziel, in jeder Situation die auf die individuellen Bedürfnisse angepasste Diabetestherapie und BZ-Kontrolle zu finden. Voraussetzung hierfür ist eine Kommunikation auf Augenhöhe und eine systematische Datenauswertung, die wiederkehrende Schwankungen von irrelevanten Einzelsituationen unterscheiden kann. Die Herausforderung dabei ist, die Regelmäßigkeit im Chaos zu erkennen. Diese Datenanalyse machen wir zwischen den Konsultationen auf der Basis von elektronischem Datenaustausch und in der Sprechstunde bevor wir den Patienten sehen. Wir rüsten deswegen alle Patienten mit Instrumenten zur elektronischen Datenkommunikation aus (elektronisches Tagebuch). Die Carelink® Plattform ist dabei eines der zuverlässigsten Werkzeuge. So wissen wir, welche Probleme wir ansprechen und welche Therapieanpassungen wir vorschlagen; dies ist sehr effizient und es bleibt dann auch mehr Zeit die Sorgen und Unsicherheiten, Frustrationen und Ängste des Diabetesalltags mit den Eltern, Jugendlichen und Kindern anzusprechen. Vielen Dank für das Gespräch!