Einige Anwendungen des Lemmas von Itô bei der Bewertung derivativer Finanztitel Jochen Wilhelm1 Universität Passau AP Sept 2006 1 Professor Dr. Jochen Wilhelm, Lehrstuhl für Finanzierung, E-Mail [email protected] Zusammenfassung Die vorliegende Ausarbeitung stellt das Lemma von Itô im Zusammenhang mit der stochastischen Diskontierung von Finanztiteln dar. Einige Anwendungen werden vorgeführt: Asset Pricing, Dividenden zahlende Wertpapiere, Zinsstruktur, Derivate-Bewertung und Unternehmensbewertung. 1 Grundlagen 1.1 Formulierung des Lemmas g (t) und B (t) seien ein Vektor- und ein Matrixprozess mit Werten in Rn bzw. Rn m . Der Vektorprozess Xt werde durch folgendes System von stochastischen Di¤erentialen bestimmt: dXt = g (t) dt + B (t) dwt (1) Dabei sei wt ein Vektor von unabhängigen Wiener-Prozessen. Es sei weiter eine Funktion u : (t; x) 7! y 2 R; t 2 R; x 2 Rn gegeben, die den Prozess Yt = u (t; Xt )de…niert (auf die explizite Abhängigkeit von der Zeit könnte verzichtet werden, wenn man unter die zu Grunde liegenden Prozesse den speziellen Prozess dXt0 = dt; X00 = 0 aufnimmt; der besondere Charakter der Zeit macht es aber oft sinnvoll, sie explizit aufzuführen). Wir erinnern daran, dass (1) nur die Kurzform des Integrals Zt Zt Xt = g ( ) d + B ( ) dw (2) 0 0 darstellt. Mit Ox u bezeichnen wir den Zeilenvektor (Gradienten) der partiellen Ableitungen nach den Komponenten von x. Dann gilt (vgl. Øksendal (1992)) Satz 1 (Lemma von Itô) 2 1X @u + Ox u g + dYt = 4 @t 2 i;j 2 @ u B BT @xi @xj i;j 3 5 dt + Ox u B dwt Ist B sogar Diagonalmatrix (mit n=m), vereinfacht sich die Formel zu: # " 1 X @2u 2 @u + Ox u g + B dt + Ox u B dwt dYt = @t 2 i @x2i ii Wir formulieren das Lemma noch für den Fall, in dem der Zeitprozess nicht gesondert, sondern im Vektorprozess X enthalten ist; die betre¤ende Zeile in der Matrix B ist dann natürlich 0, die in g ist gleich 1: 2 3 2 X 1 @ u T dYt = 4Ox u g + B B i;j 5 dt + Ox u B dwt 2 i;j @xi @xj 1.2 Eine Standardtransformation Sehr häu…g …ndet man den Fall u (t; x) = v (x) = ex mit x 2 R vor (der Matrixprozess B wird zum Vektorprozess b). Es gilt also Zt Zt g( ) d + Yt = e 0 0 1 b( )T dw und daher durch Anwendung des Lemmas dYt = Yt g (t) + 1 2 T kb (t)k dt + Yt b (t) dwt 2 (3) oder auch umgekehrt, wenn T dYt = Yt g (t) dt + Yt b (t) dwt gilt, hat man als Lösung Zt [g( ) 1 2 kb( )k 2 ]d Zt + Yt = e 0 b( )T dw (4) 0 zu verwenden. 1.3 Spezialfall I: Quadratwurzelprozess 1 2 kxk an. Dann gilt 2 @2u Ox u = xT ; 2 = 1 @xi In einem ersten Spezialfall nehmen wir u (t; x) = und folglich " dYt = XtT # 1X 2 Bii dt + XtT B dwt g+ 2 i Das kann man etwas umschreiben zu: " # 1X 2 1 p T dYt = Xt g + Bii dt + p Yt 2 i 2 1 X T B dwt kXt k t 1 (t) Xt und B als Diagonalmatrix B = p (t) En mit 2 der Einheitsmatrix En und dem Skalar (t) annimmt, erhält man mit Wenn man schließ lich g (t) = dYt = 2n (t) 4 4 (t) 2 (t) + (t) (t) 3 Yt 5 dt + (t) p Yt 1 X T dwt kXt k t einen Prozess (sog. Quadratwurzel-Prozess), der bei der Modellierung des Zinssatzes eine Rolle spielt (Cox et al. (1985)). Der Ausdruck 1 X T dwt kXt k t ist (nach der Wahrscheinlichkeitsverteilung) identisch mit einem Wiener Prozess. Das ist Konsequenz aus dem folgenden Satz (Øksendal (1992), S. 113): 2 Satz 2 Das stochastische Integral dYt = (t) dwt mit Y0 = 0 stimmt mit einem (Vektor-) T Wiener Prozess überein, wenn gilt (t) (t) = En fast sicher. 1 X T erfüllt. Daher kann kXt k t die dort notierte stochastische Di¤erentialgleichung auch wie folgt geschrieben werden: 2n 3 2 (t) + (t) p dYt = (t) 4 4 Yt 5 dt + (t) Yt dwt (t) Die Voraussetzung des Satzes ist oben o¤ensichtlich mit (t) = mit dem ein-dimensionalen Wiener Prozess wt . Die Lösung dieser Di¤erentialgleichung kann also, wie die hier vorgeführte Konstruktion zeigt, als Summe von Quadraten von unahängigen normalverteilten Prozessen aufgefasst werden. 1.4 Spezialfall II: Stochastischer Diskontierungsfaktor Für diesen zweiten Spezialfall gehen wir von irgendeinem Vektorprozess Xt , der wahlweise auch die Zeit als Komponente enthalten möge, aus, de…nieren einen weiteren Prozess (a Skalar, b Spalten-Vektor) durch T dqt = a (Xt ) dt + b (Xt ) qt und untersuchen den „Diskontierungsfaktor” Qt = e dQt = e 1 a (Xt ) + e 2 qt qt dwt . Das Lemma von Itô (hier: (3))liefert 2 kb (Xt )k dt e T qt b (Xt ) dwt was sich zur stochastischen Di¤erentialgleichung dQt = Qt a (Xt ) + umschreiben lässt. Betrachtet man nun E (Qt+ t 1 2 kb (Xt )k 2 T dt Qt b (Xt ) dwt (5) jFt ), so erhält man wegen qt = Zt a (X ) d + 0 Zt T b (X ) approximativ (der Übergang von Qt 7! Qt+ bedingten Erwartungswert): t t jFt ) (6) ist approximativ log-normal mit entsprechendem a(Xt ) E (Qt+ dw 0 Qt e 1 kb(Xt )k2 2 ! t Nun muss aber im Arbitrage-Gleichgewicht (Qt+ t jFt ) E Qt a(Xt ) e 3 1 kb(Xt )k2 2 ! t gleich dem Diskontierungsfaktor für die risikofreie Anlage über das Intervall für den Momentanzinssatz gelten t sein, d.h. es muss 1 2 kb (Xt )k 2 1 2 a (Xt ) = r (Xt ) + kb (Xt )k 2 r (Xt ) = a (Xt ) woraus für den Diskontierungsfaktor folgt dQt = T Qt r (Xt ) dt Qt b (Xt ) dwt bzw in Integraldarstellung Zt r(X Qt = e 0 Zt 1 )+ kb(X 2 )k 2 ! Zt d b(X )T dw (7a) 0 1 2 r(X ) d ht := Qt e 0 =e Zt kb(X )k2 d 0 Zt 0 b(X )T dw (7b) Die rechte Seite von (7b) beschreibt, wie die linke Seite ausweist, einen „Diskontierungsfaktor”für die Bewertung von Futures, d.h. für die Berechnung von Futures-Preisen (Cox et al. (1981)): fp (t; T ) = E ( hT pT j Ft ) 1.5 Konkretes Beispiel: Ein Diskontierungsfaktor mit QuadratwurzelProzess für den kurzfristigen Zinssatz Es ist hier möglich, den oben beschriebenen Quadratwurzel-Prozess als Prozess des Momentanzinssatzes in die Konstruktion eines kompatiblen Diskontierungsfaktors zu integrieren. Dazu legen wir einen normal verteilten Vektorprozess dXt = (t) Xt dt + (t) dwt zu Grunde und setzen 2 a (Xt ) = a (t) kXt k b (Xt ) = b (t) Xt mit deterministischen Prozessen a (t) und b (t) 4 Dann gilt für den Prozess des Momentan-Zinssatzes 1 2 kb (Xt )k 2 r (Xt ) = a (Xt ) = a (t) 1 2 b (t) 2 kXt k 2 was einen Quadratwurzel-Prozess darstellt, solange a (t) 1 2 b (t) > 0 2 gesichert ist. 2 2.1 Diskontierungsfaktoren und Preisprozesse Preisprozesse im Arbitrage-Gleichgewicht Wir betrachten mit den Annahmen und Bezeichnungen der vorangehenden Abschnitte einen Preisprozess Zt Zt (X ) d + pt = p 0 e 0 (X )T dw (8) 0 der durch Anwendung des Lemmas von Itô als stochastische Di¤erentialgleichung wie folgt geschrieben werden kann: dpt = pt (Xt ) + 1 2 k (Xt )k 2 T dt + (Xt ) dwt Wenn nun der stochastische Diskontierungsfaktor wie oben (7a) gilt, muss ebenfalls gelten 0 d.h. B B B EB B pt+ B @ t e t+ Z t r(X )+ 1 kb(X 2 )k2 ! d t+ Z t b(X )T dw t t 5 1 C C C F?t C C = pt C A pt Zt = p0 e 0 0 Zt (X )T dw (X ) d + B B B EB Be B @ 0 t+ Z t (X ) d + t t+ Z t t+ Z t (X )T dw e t r(X )+ 1 kb(X 2 )k2 ! d t t+ Z t b(X )T dw t 1 C C C F?t C C C A und daher 0 B B B EB Be B @ t+ Z t (X ) d + t t+ Z t (X )T dw e t t+ Z t r(X )+ 1 kb(X 2 )k2 ! t+ Z t b(X )T dw d t t im Vergleich zur Preisgleichung (8) oben. Für kurze Zeitspannen (bedingte) log-normale Verteilung, und aus (9) folgt daher (Xt ) r(Xt )+ e 1 kb(Xt )k2 2 !! t+ 1 k 2 1 C C C Ft C C=1 C A (9) t gilt wieder approximativ die (Xt ) b(Xt )k2 t =1 woraus abschließ end (Xt ) = r (Xt ) + 1 2 kb (Xt )k 2 1 2 k (Xt ) b (Xt )k 2 1 2 b (Xt ) k (Xt )k 2 T = r (Xt ) + (Xt ) (10) ermittelt werden kann, so dass im Arbitrage-Gleichgewicht die Drift des Preises durch einen Kovarianzterm (das bewertete „systematische” Risiko) …xiert wird und nicht beliebig frei gewählt werden kann (vgl. Ross (1989)). Der Preisprozess lautet nämlich im Arbitrage-Gleichgewicht Zt r(X )+ (X ) T b(X ) 1 k 2 (X )k p t = p0 e 0 2 ! Zt d + (X )T dw 0 bzw. als Di¤erentialgleichung dpt = pt h T r (Xt ) + (Xt ) b (Xt ) 6 T dt + (Xt ) dwt i Für einen speziellen Preisprozess mit dem Index i 2 f1; :::; ng hat man dpit = pit h <i> r (Xt ) + oder in Vektorschreibweise mit T (Xt ) <1> (Xt ) = b (Xt ) (Xt ) ; <i> dt + <2> <i> (Xt ) ; :::; T (Xt ) <n> dwt i (Xt ) , wobei die (Xt ) m-dimensionale Spaltenvektoren mit der entsprechenden Nummer i sind: h i T T dpt = diag (pt ) r (Xt ) 1 + (Xt ) b (Xt ) dt + (Xt ) dwt h i T T = r (Xt ) pt + diag (pt ) (Xt ) b (Xt ) dt + diag (pt ) (Xt ) dwt (11) Es zeigt sich sehr deutlich, dass ein Preisprozess im Gleichgewicht bei gegebenem Diskontierungsfaktor keine beliebige Drift haben kann oder, umgekehrt, ein (multivariater) Preisprozess im Gleichgewicht Restriktionen für den Diskontierungsfaktor setzt. 2.2 Dividenden zahlende Wertpapiere Wir betrachten ein Wertpapier, das einen ex-Dividendenpreisprozess pt aufweist und pro Zeiteinheit die Ausschüttung Zt [m(X 1 2 ks(X ) )k 2 ]d Ct = e 0 zahlt, d.h. dCt = Ct Zt + s(X )T dw 0 h i dwt . T m (Xt ) dt + s (Xt ) Der arbitragefreie Preis dieses Wertpapiers beträgt approximativ pt 1 X t E Ct+i Qt+i Qt t i=1 bzw. pt Ct 1 X i=1 0 B B B t EB Be B @ t+i Z t Ft t [(m(X ) s(X )T b(X )) r(X ) 1 2 ks(X ) b(X )k2 ] d + t+i Z t [s(X ) b(X )]T dw t t (12) (12) ist das Gegenstück zum gewöhnlichen Dividendendiskontierungsmodell. Sind die Funktionen m; s; r; b nur zeitabhängig, ist eine Lösung durch pt Ct 1 X t e t+i Z t [(m( t i=1 7 ) s( )T b( )) r( )] d 1 C C C Ft C C. C A anzugeben (vgl. auch Wilhelm (2005)). Sind die Größ en auch noch zeitunabhängig, gilt e t+i Z t sT b) r ] d [(m = ei t t sT b ) r ] [(m und daher pt Ct t 1 X e t [(m sT b ) r ] i t = Ct e i=1 2.3 t [(m sT b) r] ! 1 Ct für (m sT b) r t!0 (13) Zinsstruktur und stochastischer Diskontierungsfaktor Ein besonderer Vorzug der Methode des stochastischen Diskontierens ist die Möglichkeit, sämtliche Preisprozesse eines Finanzmarktsegmentes arbitragefrei simultan zu modellieren. Insbesondere impliziert der stochastische Diskontierungsfaktor eine bestimmte Form und Entwicklung der Zinsstruktur (Wilhelm (2001)). Für Zero-Bond-Preise mit dem Nominalwert 1 gilt nämlich D ;t Qt F Q =E für den Preis eines Zero-Bonds im Zeitpunkt , wenn er im Zeitpunkt t fällig ist. Betrachtet man D ;t+ D ;t t =E Qt+ t F E (Qt jF ) , d.h. den Diskontierungsfaktor des Terminzinssatzes f ( ; t; t + Dt;t+ t t f ( ;t;t+ t) =e t) , so …ndet man Dt;t+ t t f ( ;t;t+ t) =e =E e (qt+ t e qt ) E (e Nun gilt wieder E e (qt+ t e qt ) qt jF h =E E e (qt+ t qt ) jF? i qt qt jF ) E (e qt jF ) E (e 8 9 ! 1 > > 2 < = q t a(Xt ) kb(Xt )k e t 2 =E e jF , > > E (e qt jF ) ; : so dass im Grenzübergang gilt e jF qt qt jF ) t ! 0 für den Momentanterminzinssatz f ( ; t) = lim 8 jF t!0 = f ( ; t; t + t) f ( ; t) = E 1 2 kb (Xt )k 2 a (Xt ) qt e E (e qt bzw. E (e jF qt e f ( ; t) = E rt jF ) qt jF ) jF , eine Beziehung, die die korrekte Variante der Erwartungshypothese darstellt.Diese Beziehung lässt sich auch als Di¤erentialgleichung für den Zero-Bond-Preis schreiben; wegen d log (D dt f ( ; t) = ;t ) d D ;t dt D ;t = gilt dann qt e E rt E (e qt und daher jF ) jF d log (D dt = ;t ) d D ;t dt Abschließ end lässt sich sogar die explizite Integraldarstellung E rt e D ;t =1 qt Zt jF = E r e q jF d angeben. 3 3.1 Derivatebewertung Der allgemeine Fall Der dritte Spezialfall behandelt auf der Grundlage der Preisprozesse im Arbitrage-Gleichgewicht des vorigen Abschnitts die Bewertung von Derivaten. Der Preisprozess des Derivats wird als Funktion von Zeit und Vektorpreisprozess pt , d.h. als ct = u (t; pt )geschrieben. Das Lemma von Itô liefert (wir verzichten auf die Angabe der Abhängigkeiten von den zu Grunde liegenden, die gesamte Dynamik letztlich antreibenden Prozessen Xt , um die Notation zu entlasten): dct = 2 @u = 4 + Ox u (rt pt + diag (pt ) @t Ox u diag (pt ) T t t 1X bt ) + 2 i;j dwt 9 @2u diag (pt ) @xi @xj T t t diag (pt ) i;j 3 5 dt + Der Ausdruck T t diag (pt ) dwt = dpt T t rt pt + diag (pt ) bt dt kann aus der Gleichung (11) für die Preise errechnet und hier eingesetzt werden; dabei ergibt sich 2 @u 1 X @ 2 u i p dct = 4 + @t 2 i;j @pi @pj t Substituiert man nun ct+ <j> j 5 pt dt <i>T + rp u dpt ct = dct etc., so erhält man die approximative Identität t 2 @u 1 X @ 2 u i ct = 4 p + @t 2 i;j @pi @pj t ct+ 3 3 <j> j 5 pt <i>T t + rp u (pt+ t pt ) Man wendet nun auf beide Seiten das Preisfunktional an und erhält approximativ (hier ist es auf der rechten Seite wichtig, dass auf die betre¤enden Wertpapiere keine Ausschüttungen gezahlt werden):1 ct 1 e rt t 2 @u 1 X @ 2 u i + p =4 @t 2 i;j @pi @pj t 3 <j> j 5 pt <i>T Man dividiert durch 1 e rt t e rt t + r p u pt 1 e rt t t und vollzieht den Grenzübergang, um zu der folgenden Beziehung zu gelangen:2 ct = " @u 1 P @ 2 u i + p @t 2 i;j @pi @pj t <i>T <j> j pt rt # + r p u pt 1 Werden auf das betre¤ende Papier je Zeiteinheit Dividenden in Höhe von C gezahlt, gilt auf der rechten t Qt+ t Seite statt pt 1 e rt t der Ausdruck pt 1 e rt t t E Ct+ t Ft . Mit dem weiter oben Qt verwendeten Dividendenprozess gilt approximativ E 2 Die Ct+ t Qt+ Qt t Ft = Ct e(m(Xt ) s(Xt )T b(Xt ) r(Xt )) t in Fuß note 1 entwickelte Einbeziehung von Ausschüttungen führt hier auf der rechten Seite zu pt statt pt , wobei mit = Ct pt r (Xt ) r (Xt ) die „Dividendenrendite” bezeichnet wird. 10 Daraus ergibt sich die universelle Bewertungsgleichung in der Gestalt einer partiellen Di¤erentialgleichung rt 2 @u 1 X @ 2 u i p + u (t; pt ) = 4 @t 2 i;j @pi @pj t <i>T 3 <j> j 5 pt + r t r p u pt die für jedes Derivat gilt. Es erscheint wichtig anzumerken, dass in dieser Analyse vorauszusetzen ist, dass der Momentanzinssatz eine Funktion der Preise rt = r (t; pt ) ist (speziell also konstant oder wenigstens deterministisch –wie im unten noch näher behandelten Black-Scholes-Fall). Das ist deshalb erforderlich, weil ansonsten die Funktion u o¤enbar als Argument rt aufzunehmen hätte, was wiederum eine andere Konsequenz bezüglich der zeitlichen Entwicklung der Funktion u hätte, da der Zinssatz kein Preis ist, die Anwendung des Preisfunktionals, wie oben, bezüglich des Zinssatzes also keine Aussage liefert. Ist hingegen die Funktion rt = r (t; pt ) auf Grund anderer ln (Dt;T ) ln (DT;T ) Überlegungen spezi…ziert (z.B. wie im Black-Scholes-Fall r t; pit ; Dt;T = T t mit dem Zero-Bond-Preis Dt;T ), so folgt die Di¤erentialgleichung 2 @u 1 X @ 2 u i + x r (t; x) u (t; x) = 4 @t 2 i;j @xi @xj iT für die Funktion 3 j j5 x + r (t; x) rx u x u (t; x) mit t 2 R; x 2 Rn .3 3.2 Die klassische Black-Scholes-Welt Wir wollen die obigen Ausführungen am Beispiel der Black-Scholes-Welt erläutern. Dazu wählen wir n=2 und m=1 mit der Spezi…kation: d pt Dt = r pt Dt b pt 0 + dt + pt 0 dwt mit gegebenem p0 und D0 = D e r T (D > 0). Diese Spezi…kation beschreibt den logarithmisch normalverteilten Aktienkurs (geometrisch Brownsche Bewegung) und den Preis eines in T fälligen Zero-Bonds mit Nominalwert D bei konstantem und deterministischem Momentanzinssatz. Die universelle Bewertungsgleichung für ein Derivat in dieser Modellwelt ist mit der Funktion u (t; x; y) durch r u (t; x; y) = 3 Für @u 1 @ 2 u + @t 2 @x2 2 x2 + r @u @u x+ y @x @y den Fall der Dividenden zahlenden Wertpapiere ergibt sich (siehe Fuß noten 1 und 2) 2 3 @u 1 X @2u j j5 r (t; x) u (t; x) = 4 + xi iT x + (r (t; x) (t; x)) rx u x @t 2 i;j @xi @xj 11 gegeben. Nun ist keine vollständige Lösung für diese Di¤erentialgleichung gesucht, sondern nur eine für die Nebenbedingung y = D e r (T t) . Setzt man v (t; x) = u t; x; D e r(T t) so überzeugt man sich leicht, dass, wenn u die obige Di¤erentialgleichung erfüllt, v die folgende Di¤erentialgleichung erfüllen muss: r v (t; x) = @v 1 @ 2 v + @t 2 @x2 2 x2 + r @v x @x (14) Diese Gleichung muss jedes univariate Derivat in der Black-Scholes-Welt erfüllen. Eine Übertragung auf den Fall multivariater Derivate ist unmittelbar möglich. 3.3 Die Black-Scholes-Welt bei stochastischem Basispreis bzw. bei stochastischer Zinsstruktur Die gerade ausgeführten Überlegungen lassen sich für eine Fallgruppe mit stochastischem Zinssatz bzw. unter Berücksichtigung der Zinsstruktur übertragen. Die oben angeschriebene allgemeine Di¤erentialgleichung wird nachfolgend als Di¤erentialgleichung in x,y und t geschrieben: r (t; x; y) u (t; x; y) = @u 1 + @t 2 2 @ u 2 @2u @2u 2 2 T 2 x k (t)k + 2 x y (t) s (t) + y ks (t)k @x2 @x@y @y 2 @u @u +r (t; x; y) x+ y @x @y mit der Preisentwicklung: d pt Dt = r pt Dt T + T s b pt b Dt dt + pt T Dt sT dwt wobei ; s; b als nur zeitabhängig vorausgesetzt werden. Das Bewertungsproblem lässt sich nämlich durch folgenden Ansatz einer Lösung unter Verwendung der Black-Scholes-Formel für Europäische Call-Optionen näher bringen: u (t; x; y) = x N log (x) log (y) 1 + v (t) v (t) 2 y N log (x) log (y) v (t) wobei wie üblich N die Verteilungsfunktion einer Gauß schen Einheitsvariable ist. Für die ersten Ableitungen nach den Preisvariablen gilt @u log (x) log (y) =N + @x v (t) log (x) log (y) @u = N @y v (t) 12 1 v (t) 2 1 v (t) 2 1 v (t) 2 wodurch sich die oben notierte Di¤erentialgleichung o¤enbar auf @u 1 + @t 2 reduziert. Mit d = @2u @2u 2 2 x k (t)k + 2 x y 2 @x @x@y T (t) s (t) + @2u 2 2 y ks (t)k @y 2 =0 log (x) log (y) gilt dann weiter v (t) @2u = N0 d + @x2 @2u = N0 d @y 2 r y 1 = x v (t) x x r x 1 = y v (t) y y 1 v (t) 2 1 v (t) 2 1 p 2 v (t) 1 p 2 v (t) log (x) log (y) v (t) log (x) log (y) v (t) N0 N0 1 v (t) 2 1 v (t) 2 N0 N0 @2u = @x@y = 1 v (t) 2 N0 d 1 1 N 0 d + v (t) 2 y v (t) p 1 log (x) log (y) 2 N0 p x y v (t) v (t) 1 = x v (t) N0 1 v (t) 2 sowie @u = v 0 (t) @t p p x y 2 N0 log (x) log (y) v (t) N0 1 v (t) 2 Führt man diese Ausdrücke in der oben angeschriebenen notwendigen Bedingung zusammen, erhält man p 2 N 0 log (x) log (y) v (t) N 0 p 1 v (t) 2 2 1 k (t) s (t)k v (t) + 2 v (t) 0 x y woraus die gewöhnliche Di¤erentialgleichung 2 v 0 (t) + 1 k (t) s (t)k =0 2 v (t) für die Funktion v(t) folgt. Eine Lösung lautet 2 v (t) = ZT t k ( ) 2 s ( )k d oder v u T uZ u v (t) = t k ( ) t 13 2 s ( )k d ! =0 Damit ist insgesamt eine Lösung (im Ergebnis wie Merton (1973)) für das Derivat-Bewertungsproblem bei zwei (log-normalen) stochastischen Preisvariablen mit nur Zeit-abhängiger Volatilität gefunden unter der Voraussetzung, dass der Momentanzinssatz als Funktion der beiden Preisvariablen und der Zeit geschrieben werden kann: 0 B B B B log (x) c (t; x; y) = x N B Bv u B uZT Bu @t k ( ) v u T uZ 1u + t k ( ) 2 log (y) s ( )k 1 s ( )k t 2 d t 0 B B B B log (x) y NB Bv u T B uZ Bu @t k ( ) 2 1 v u T uZ 1u t k ( ) 2 log (y) s ( )k 2 2 s ( )k t d t C C C C d C C C C A C C C C d C C C C A Diese Lösung stimmt mit der Black/Scholes-Gleichung für die Europäische Kaufoption überein, wenn s(t) = 0 gilt. Allgemein erfüllt diese Lösung die Randbedingung u (T; x; y) = max fx y; 0g der Europäischen Kaufoption mit Basispreis y. Der Fall eines Gauß schen Ein-Faktor-Modells für die Zinsstruktur ist dabei eingeschlossen (vgl. Wilhelm (2001)). 3.4 Der Spezialfall Gauß scher Zinsstruktur Mit dem folgenden Ansatz für den stochastischen Diskontierungsfaktor erhält man ein konsistentes Modell für die Zinsstruktur, in dem die anfängliche empirische Zinsstruktur r (0; t) korrekt berücksichtigt wird: 1 2 qt = t r (0; t) + (t) 2 ZT t 2 kh ( )k d + (t) ZT T h( ) dw t Die Anwendung des Lemmas von Itô zeigt, dass qt die folgende stochastische Di¤erentialgleichung erfüllt: dqt = g (t) + 0 (t) qt (t) dt + T (t) h (t) dwt mit g (t) = und daher (t) 2 d 4 t r0;t 1 + (t) dt (t) 2 14 ZT t 2 kh ( )k 3 d 5 g (t) = f (0; t) 0 t r (0; t) (t) (t) 1 + 2 0 (t) Zt (t) kh ( )k 2 d + 1 2 2 (t) kh ( )k 2 0 mit dem (in…nitesimalen) anfänglichen Terminzinssatz f (0; t) . Mit dem oben Gesagten folgt daher für den Momentanzinssatz zwingend die Entwicklung 1 rt = f (0; t) + 2 0 (t) (t) Zt 2 kh ( )k d + 0 (t) (qt (t) t f (0; t)) 0 oder explizit rt = f (0; t) + 1 2 0 (t) Zt (t) 2 kh ( )k d + 0 (t) 0 Zt T h( ) dw 0 in Übereinstimmung mit Wilhelm (2001)) (daraus lässt sich nun leicht die Zinsstrukturentwicklung und damit die Preisentwicklung eines Zero-Bonds ableiten). Als stochastische Di¤erentialgleichung für den Momentanzinssatz gilt d (rt 0 f (0; t)) = @ 0 (t) 2 d 4 (t) dt :: + Zt 3 2 d 5+ kh ( )k 0 0 T (t) h (t) 00 0 1 (t) (rt (t) f (0; t))A dt + :: dwt Wie man sieht, hat der Momentanzinssatz immer dann eine stochastische Drift-Komponente, wenn 00 (t) 6= 0 gilt; der Fall 00 (t) = 0 ist im Wesentlichen der Ho-Lee-Fall, in dem a¢ n linear ist (Wilhelm (2001)). Für die Preisentwicklung des Zerobonds gilt nun () und auch 8 < 1 exp : 2 8 < 1 exp : 2 Dt = D e (T t) Zt 2 2 (t) kh ( )k d 2 (T ) f (0;t;T ) ( (T ) (t)) 0 2 (T ) Dt = D e (T t) Zt 2 2 kh ( )k d (t) 0 15 Zt T h( ) 0 dw 9 = ; 0 rt;T (T ) 0 (t) (t) (r (t) 9 = 0 rt ) ; woraus durch Bilden der Inversen die Eigenschaft des Momentanzinssatzes folgt, Funktion eines Marktpreises zu sein. Eine einfache Überlegung zeigt, dass die Volatilität s (t) des Zero-Bond-Preises gleich s (t) = ( (T ) (t)) h (t) sein muss, also, wie erwartet, gegen Null geht, wenn t ! T geht. 4 Unternehmensbewertung Unternehmensbewertung auf den Spuren der Realoptionsmode (Dixit und Pindyck (1996)) betrachtet den Wert eines Unternehmens als Funktion des Preises eines Marktobjektes (z.B. Erdöl). Besonderes Interesse …nden dabei Verhältnisse, bei denen von zeitlicher Homogenität des Unternehmnswertes ausgegangen werden kann. Die Gleichung (14) für die Funktion v (x) = u (t; x) vereinfacht sich dann zu einer gewöhnlichen Di¤erentialgleichung r v (x) = d2 v 2 x dx2 = 1 d2 v 2 dx2 2 r 2 2 x2 + (r v (x) dv x dx ) dv x, dx ) 2 (r 2 (15a) (15b) einer sogenannten Eulerschen Di¤ erentialgleichung zweiten Grades (vgl. Erwe (1972), S. 102– 104), die durch die Transformation x = et in die linear homogene Di¤erentialgleichung zweiten Grades 2 r 2 (r ) z= 2 z+ 1 z 2 mit den beiden linear unabhängiggen Lösungen z z = e = e t 2 ( 21 2 (r q ))+ 2 r 2+ t 2 ( 21 2 (r )) 2+ q 2r 2 ( 12 2 (r )) ( 21 2 (r )) überführt werden kann, woraus für den Unternehmenswert folgt 2 ! r 2 1 1 ( 12 2 (r ))+ 2 r 2 +( 12 2 (r )) ( 12 2 2 v (x) = 4A x +B x 2 2 (r ) ) r 2 r ( 12 2+ 2 (r 2 ) ) ! 3 5 (16) mit zwei noch durch Nebenbedingungen zu bestimmenden Konstanten A und B. An die für die Herleitung erforderlichen Bedingungen sei erinnert: 1. Der Zinssatz muss die Zinsstruktur des Marktes determinieren. 2. Das Objekt, auf das funktionaler Bezug genommen wird, muss Preis eines keine Dividenden zahlenden (eventuell durch Duplikation synthetisierbaren) Marktobjektes sein. Nimmt man als Bezugsobjekt eine Investition, die, wenn sie getätigt worden ist, einen Strom von Netto-Cash‡ows in Höhe von Zt pro Zeiteinheit liefert, ergibt sich ihr Marktwert im Zeitpunkt t zu Z 1 Q Mt = Z Ft d . E Qt t 16 Wählt man Zt Zt Zt = Z0 e 0 bzw. Zt = Z m(X 1 )+ ks(X 2 )k 2 ! Zt s(X )T dw Zt s(X )T dw d + 0 m(X 1 )+ ks(X 2 )k2 ! d + e mit s (X ) = b (X ) als Cash‡owgenerator (vgl. Goldstein et al. (2001)) (der Cash‡ow ist also mit dem „Marktportfolio"vollständig korreliert), ergibt sich der Marktwert zu 1 0 Zt M =Z Z 1 B B B E Be B @ (m(X ) r(X )) d C C C F C dt. C A Für deterministische Drift m (X ) = m und deterministischen Zinssatz r (X ) = r ergibt sich einfach der Ausdruck (vgl. oben (13)) M = Z r m als das Gegenstück zum klassischen Dividendenwachstumsmodell (Gordon und Shapiro (1956)). Die Dividendenrendite ergibt sich zu = r m bzw. = m r Im hier entwickelten Kontext kann davon ausgegangen werden, dass der Wert der Möglichkeit, die Investition zu Anfangsauszahlungen in Höhe von I zu realisieren, nicht vom Realisationszeitpunkt selbst, sondern nur von der Zustandsvariablen M abhängt, da die Anfangsauszahlungen zeitlich konstant und deterministisch sind und die Zustandsvariable M einem Marko¤-Prozess folgt, d.h die Entscheidungssituation durch eine Verzögerung ändert sich nur auf Grund der geänderten Größ e M . Folglich ist (16) eine adäquate Beschreibung des Projektwertes als Funktion der Größ e M . Wenn im Zeitpunkt T investiert wird, gilt v (MT ) = r ZT m I. (17) i h ZT bei Investition Als zweite Bedingung wird gefordert, dass die Di¤erenz v (MT ) I r m maximal wird: 1 v (MT ) = . r m Schließ lich ist der Projektwert jedenfalls dann gleich 0, wenn der Wert des Cash‡owgenerators 0 wird, da er dann auf 0 …xiert bleibt. Ein Blick auf die Gleichung (16) zeigt, dass daher der Parameter B gleich 0 sein muss: 1 2 ( 12 2 ) r m + v (x) = A x 17 2 r ( 21 2+ 2 m 2 ) ! . (18) Aus Bedingung (17) folgt ZT r m I ZT r m 1 2 ( 12 2 q m)+ 2 r 1 2 v (x) = ZT r m ZT = I (r r m I x (r m) ZT q m 2 r q m) m 2 r ( 21 ( 12 2+ 2 2 m) =A ) 2 r m + 2 r 2 + 1 2 2 m 2 + 1 2 2 m ( 21 2+ 2 2 + 2 m 1 2 2 1 2 2 2 ) ! Literatur Cox, J. C., Ingersoll, Jr., J. E. und Ross, S. A. (1981). The Relation between Forward Prices and Futures Prices. Journal of Financial Economics 9: S. 321–346. Cox, J. C., Ingersoll, Jr., J. E. und Ross, S. A. (1985). A Theory of the Term Structure of Interest Rates. Econometrica 53: S. 385–407. Dixit, A. K. und Pindyck, R. S. (1996). Investment under Uncertainty. Princeton University Press, Princeton, 2. Auflage. Erwe, F. (1972). Gewöhnliche Di¤ erentialgleichungen. Bibliographisches Institut, Mannheim, 2. Auflage. Goldstein, R., Ju, N. und Leland, H. (2001). 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