Tanja Göttken, Kai von Klitzing „Ich hasse den Kindergarten, weil da bin ich nicht alleine!“ Psychoanalytische Kurzzeittherapie für Kinder mit emotionalen Symptomen und affektiven Störungen (PaKT)1 Zusammenfassung: Depressive Störungen treten bereits bei ca. ein bis drei Prozent der Vorschulkinder und jungen Schulkinder auf. Häufig sind sie in diesem Alter bis zur Adoleszenz eng mit Angststörungen assoziiert (Sterba, Egger & Angold, 2007). Depression und Angst im Kindesalter stellen entwicklungshemmende Symptome dar. Die Internalisierung von interpersonellen Konflikten scheint bei diesen Kindern ein psychischer Mechanismus zu sein, der die Objektbeziehungen schützt und so eine psychosoziale Anpassung ermöglicht. In dem Beitrag soll die manualgeleitete ambulante psychoanalytische Kurzzeittherapie zur Behandlung von Kindern im Alter von vier bis zehn Jahren mit emotionalen Symptomen und affektiven Störungen (PaKT) dargestellt und anhand des Fallbeispiels eines fünfjährigen Jungens mit der Diagnose einer Trennungsangst illustriert werden. Schlüsselwörter: Psychoanalytische Kurzzeittherapie für Kinder – internalisierende Störungen des Kindesalters – störungsspezifisches Behandlungsmanual – Konfliktfokus – mentalisierungsbasierte Therapie für Kinder Einleitung Die Psychoanalytische Kurzzeittherapie (PaKT) für Kinder von vier bis zehn Jahren zur Behandlung emotionaler Symptome und affektiver Störungen (Göttken & von Klitzing, 2008) zielt auf eine Veränderung der mentalen Repräsentationen und damit der kognitivemotionalen Stile des Kindes ab. PaKT integriert neben der klassischen Kinderanalyse die Konzepte der Triebpsychologie, der Selbstpsychologie, der Objektbeziehungstheorie sowie Elemente der französischen Psychoanalyse und verknüpft sie mit dem konfliktzentrierten Vorgehen der Fokaltherapie (Klüwer, 2005) . Das behandlungstechnische Konzept von PaKT sieht außerdem vor, dass mentalisierungsbasierte Techniken angewendet werden (Fonagy, 2002, S. 437). Ergänzend zu der kinderanalytischen Arbeit mit dem Kind soll durch regelmäßige psychoanalytisch orientierte Elternarbeit die Einsicht der Eltern in innere mentale Zustände des Kindes, also die Mentalisierung der Eltern in Bezug auf ihr Kind, verbessert werden. In der therapeutischen Arbeit findet das Kind auf symbolischer Ebene einen Zugang zu Mangel, Verlust und Enttäuschung, die der gegen das Selbst gewandten Aggression bei Kindern mit internalisierenden Störungen zugrunde liegen. Die Übertragungsbeziehung erlaubt den jungen Patienten, ein Gegenüber zu erleben, das auf seine Aggression nicht mit Gegenaggression oder Kontaktabbruch reagiert. Durch die triadische Position des Therapeuten wird eine Verstehensebene eingeführt, die dabei helfen kann, 1 Leicht veränderte Fassung eines anlässlich des 12. Weltkongresses der WAIMH am 30.6. 2010 in Leipzig gehaltenen Vortrags. Aggression zu symbolisieren. Dies soll zu einer flexibleren Abwehr, weniger Selbstvorwürfen und einer geringeren Hemmung des vitalen Lebensausdrucks führen. Psychodynamische Behandlungsansätze finden im klinischen Versorgungskontext der Kinder- und Jugendpsychiatrie breite Anwendung. Es gibt jedoch bisher nur wenige Untersuchungen, die sich mit der systematischen Evaluation der Wirksamkeit psychodynamischer Psychotherapie im Kindes- und Jugendalter befassen (Windaus, 2005). Ebenso gibt es bisher nur wenige psychoanalytisch orientierte Therapiemanuale, die als Grundlage für die systematische Evaluation der Wirksamkeit psychoanalytischer Kinder- und Jugendpsychotherapie dienen können. In einer kontrollierten klinischen Studie wird seit Anfang 2009 die Wirksamkeit der manualgeleiteten ambulanten psychoanalytischen Kurzzeittherapie (PaKT) zur Behandlung von Kindern im Alter von vier bis zehn Jahren mit emotionalen Störungen des Kindesalters und affektiven Störungen evaluiert.2 Es geht dabei neben der systematischen Untersuchung der Wirksamkeit von psychoanalytischer Kurzzeittherapie auch um die Frage, für welche Kinder im ambulanten kinderpsychiatrischen und kinderpsychotherapeutischen Versorgungsalltag eine Kurzzeittherapie nicht ausreichend ist. In diesem Beitrag wird das Konzept von PaKT zunächst dargestellt und anhand eines Fallbeispiels illustriert. Diesem sollen einige Gedanken zur Manualisierung von Behandlungsleitfäden in der Psychoanalyse vorangestellt werden. Anmerkungen zur Manualisierung von Behandlungsleitfäden Die Manualisierung (von lateinisch „manus“, Hand, Manual = Handbuch) von psychotherapeutischen Verfahren steht in der Tradition der Verhaltenstherapie. Der störungsspezifische Ansatz im Rahmen der behavioralen Verfahren wendet für unterschiedliche Diagnosen verschiedene Behandlungsmethoden an, die sich jedoch alle auf das lerntheoretische Paradigma gründen. So unterscheiden sich diese störungsspezifischen Behandlungsmanuale bzgl. des Ausmaßes, in dem beispielsweise Methoden des klassischen Konditionierens, des instrumentellen Konditionierens, des Modelllernens oder des kognitivbehavioralen Ansatzes einen Schwerpunkt bilden. Ein Standardverfahren der Verhaltenstherapie, um spezifische Phobien zu behandeln, wie etwa die Konfrontationstherapie, die in den Modellen der klassischen Konditionierung gründet, lässt sich sehr gut in manualisierter Form operationalisieren und anwenden und konnte in zahlreichen Wirksamkeitsstudien als effektiv nachgewiesen werden. Eine Abwandlung des klassisch behavioralen Ansatzes stellt die kognitive Verhaltenstherapie mit ihren Ansätzen der kognitiven Umstrukturierung durch Aufdecken von kognitiven Verzerrungen im Selbst- und Fremderleben der Patienten dar (Ellis, 1977). Dieses Verfahren gilt heute als gut etabliertes und evidenzbasiertes Standardverfahren bei der verhaltenstherapeutischen Behandlung der Depression (Beck, Rush, Shaw & Emery, 1992). Diese kognitiv-behavioralen Verfahren 2 Die Evaluation von PaKT wird gefördert durch die Heidehof Stiftung e. V. werden auch für den Bereich der Kinderpsychotherapie adaptiert. So entwickelten Vostanis & Harrington (1994) ein kognitiv-verhaltenstherapeutisches Manual, das auf die mit Depressionen einhergehenden kognitiven Verzerrungen ausgerichtet ist, um Depressionen im Kindes- und Jugendalter zu behandeln. Dieses Manual umfasst die Komponenten: (1) Bewusstmachen von Emotionen, (2) Veränderung negativer kognitiver Attributionen sowie (3) Ausbau sozialer Kompetenzen. Für Angststörungen bei Kindern im Alter von 6 bis 13 Jahren entwickelte Phillip Kendall (1990) ein Manual, das sich „Coping Cat“ nennt. Dieses Manual diente als Vorlage für zahlreiche andere Behandlungsmanuale. Es beinhaltet die fünf Komponenten: (1) Psychoedukation, (2) körperliche Kontrolle und Entspannungstraining, (3) kognitive Umstrukturierung, (4) Expositionsmethoden und (5) Rückfallpräventionspläne. Ob diese für das Kindesalter adaptierten störungsspezifischen Manuale jedoch noch die klassisch angenommenen Wirkfaktoren enthalten oder ob sich die Wirksamkeit dieser Verfahren in allgemeinen, eher unspezifischen Wirkfaktoren begründet, bedarf noch systematischer Forschung. Auch die Frage, ob beispielsweise bei vierjährigen Kindern die Anwendung von kognitiv-behavioralen Behandlungsmethoden wie Selbstkontrolle oder Selbstinstruktion sinnvoll anwendbar sind, ließe sich kritisch hinterfragen. Forschung zur differenziellen Wirksamkeit, d. h. zur Frage, wie ein Verfahren wirkt und nicht ob, steht im Bereich der Kinderpsychotherapie noch weitgehend aus. Die Manualisierung von psychotherapeutischen Behandlungskonzepten ermöglicht diese Untersuchung in kontrollierten klinischen Studien. Der Forschungszweig der differenziellen Psychotherapieforschung, d. h. der Erforschung der spezifischen Wirkfaktoren der verschiedenen Therapieverfahren, ist eine Antwort auf das sogenannte Äquivalenzparadoxon oder „Dodo-Verdikt“ (Rosenzweig, 1936)3 welches besagt, dass allen Verfahren universelle unspezifische Wirkfaktoren zugrunde liegen. Die Behauptung, dass alle Verfahren gleich wirksam seien, kann als Folge einer mangelnden Differenzierung bei der Untersuchung des Outcome verschiedener Therapieverfahren angesehen werden (s. auch Luborsky, 2002). Störungsspezifische Behandlungsmanuale stehen in der Logik des lerntherapeutischen Paradigmas, das unterschiedlichen Störungsbildern je unterschiedliche, aber quasi-universelle ätiologische Modelle zuweist. Aber können diese störungsspezifischen Modelle auch für den psychoanalytischen Behandlungsansatz, der auf das je individuelle unbewusste Konfliktgeschehen eines Patienten ausgerichtet ist, als sinnvoll erachtet werden? Ergibt störungsspezifische Manualisierung in der psychoanalytischen Tradition überhaupt Sinn? Psychodynamische Behandlungsleitfäden zu manualisieren ist mit besonderen Herausforderungen verbunden: Das Manual sollte einerseits die Komplexität und den Erfahrungsgehalt psychoanalytischer Theorie und Praxis durch Systematisierung nicht verkürzen und gleichzeitig eine strukturierte Behandlungsmethode komprimiert darstellen, die 3 Dieser bekannte Begriff der Psychotherapieforschung geht zurück auf eine Szene in dem Buch Alice im Wunderland von Lewis Carroll, in der der Vogel Dodo allen Teilnehmern eines Wettlaufs einen Preis verleiht und dies folgendermaßen kommentiert: „Alle haben gewonnen und müssen Preise bekommen.“ den aktuellen Stand der Forschung zu Ätiopathogenese und Behandlungstechnik für umschriebene psychische Störungsbilder berücksichtigt. Wir sind der Auffassung, dass psychodynamische Behandlungskonzepte durch Manualisierung leichter anwendbar und so in kontrollierten Studien einer systematischen Evaluation zugänglich werden. Auch wenn die Mehrzahl der Psychoanalytiker lange Zeit Therapieleitfäden eher skeptisch gegenüberstanden, hat sich in den letzten Jahren gezeigt, wie wichtig die Manualisierung von psychodynamischen Behandlungsansätzen ist, auch, um deren Wirksamkeit evidenzbasiert nachzuweisen. So gibt es mittlerweile eine zunehmende Zahl von gut systematisierten Behandlungsleitfäden auch für den Bereich der psychodynamischen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie. Die Manualisierung von Behandlungskonzepten entspricht nicht nur den Gütekriterien von Psychotherapiestudien, sondern ist auch im Rahmen der Ausbildung zum Psychotherapeuten von großem didaktischem Nutzen. Das therapeutische Konzept von PaKT Psychoanalytische Verfahren haben in der Geschichte der Kinderpsychiatrie und psychotherapie eine lange Tradition. Besonders Kurzzeittherapie stellt eine Strategie dar, einer großen Anzahl von Kindern mit emotionalen Symptomen und affektiven Störungen frühe Hilfe anzubieten. Die von den Autoren konzeptualisierte und manualisierte psychoanalytische Kurzzeittherapie für Kinder von vier bis zehn Jahren zur Behandlung emotionaler Symptome und affektiver Störungen (PaKT) umfasst 20 bis 25 psychotherapeutische Sitzungen in wechselnden Settings (Eltern-Kind, Kind alleine, Eltern alleine), in welchen ein dem Symptom zugrunde liegendes Beziehungsthema erarbeitet und bearbeitet wird (Göttken & von Klitzing, 2008). Dieses Beziehungsthema stellt als psychodynamische Hypothese des Aktualkonflikts den Fokus der Behandlung dar und wird in Begriffen eines Abwehrvorgangs formuliert. Wir konzeptualisieren diesen psychodynamischen Fokus als “Triangle of Psychodynamic Constellations” (ToP, siehe Abb. 1). Ausgehend von psychoanalytischen Therapiekonzepten nehmen wir zwei Wirkfaktoren an: Zum einen zielt die Therapie auf eine Veränderung der mentalen Repräsentationen und damit der kognitiv-emotionalen Stile des Kindes ab; zum anderen soll durch regelmäßige psychoanalytisch orientierte Elternarbeit (jede vierte Stunde) die Einsicht der Eltern in innere mentale Zustände des Kindes, also die Mentalisierung der Eltern in Bezug auf ihr Kind, verbessert werden. In freiem Spiel mit dem Kind soll der zentrale Konflikt des Kindes durchgearbeitet werden. Je nach Strukturniveau des Kindes werden ergänzend mentalisierungsfördernde Techniken angewandt (Verheugt-Pleiter, Zevalkink & Schmeets, 2008). Je präziser und genauer der Fokus formuliert ist, umso mehr deckt er sich mit den Themen, die im Verlauf des Durcharbeitungsprozesses auftauchen. Eine Regel hierbei ist: Sowohl in der Psychoanalyse Erwachsener als auch in der Kinderanalyse taucht meist in der freien Assoziation / im freien Spiel Material auf, das auf zugrunde liegende unerledigte Entwicklungsthemen, offen gebliebene Konflikte verweist. Das, was unerledigt geblieben ist, offenbart sich im analytischen Prozess. Dennoch kann ein Fokus natürlich niemals eine endgültige Form annehmen und kann bei vertieftem Verständnis der Situation des Kindes und seiner Familie ggf. modifiziert werden. Psychoanalytische Betrachtungen zu emotionalen Symptomen und affektiven Störungen im Kindesalter Die Punktprävalenz depressiver Störungen liegt bereits im Kindesalter bei ca. ein bis drei Prozent. Im Vorschul- und Schulalter sind depressive Störungen neben den klassischen Kernsymptomen durch Ängstlichkeit, dysphorische Stimmungen, Gehemmtheit, Spielhemmungen, Lernschwierigkeiten, reduzierte Kreativität und Geduld, den Mangel an Fantasie, Reizbarkeit sowie psychosomatische Symptome und Verhaltensauffälligkeiten charakterisiert (von Klitzing, 2008). Häufig sind depressive Symptome bis zur Adoleszenz eng mit Angststörungen assoziiert (Sterba et al., 2007). Retrospektive Berichte depressiv erkrankter Erwachsener weisen darauf hin, dass oft bereits in der Kindheit, schon im Vorschul- oder Grundschulalter, emotionale Symptome aufgetreten waren (Kim-Cohen et al., 2003). Unsere klinische Erfahrung deckt sich mit diesen empirischen Befunden. Im Alter von vier bis zehn Jahren sind unserer Einschätzung nach depressive Entwicklungen nicht eindeutig von Angststörungen zu unterscheiden. Es liegt eine hohe Komorbidität von depressiven Störungen mit Angststörungen vor. Eltern, deren Kinder emotionale Symptome zeigen, berichten uns auch häufig von komorbiden Verhaltensproblemen. Häufig wird insbesondere bei Jungen depressives Erleben, aber auch Angst hypomanisch abgewehrt (s. Fallbeispiel Julian, fünf Jahre, in diesem Beitrag). Eine zentrale Annahme des hier vorgestellten Ansatzes zur Behandlung internalisierender Störungen im Kindesalter ist es, dass Kinder mit affektiver Symptomatik im Verlauf ihrer Entwicklung aggressive Impulse nicht interpersonell in ihren Primärbeziehungen austragen, sondern gegen das Selbst wenden. Dies führt zu einem intrapsychischen Konflikt, bei dem nicht das Objekt, sondern das Selbst angeklagt wird, wodurch das Selbst in seiner Entwicklungsfähigkeit eingeschränkt wird. Bereits die frühen Modelle der Depressionsgenese bei Karl Abraham, Sigmund Freud und Sandor Radó konstatieren die Bedeutung von Verlust, Enttäuschung und Wut. Auch aktuellere Modelle heben die Bedeutung von unbewusster Aggression in der Äthiopathogenese der Depression hervor. So schlägt Mentzos (2006) ein ähnliches Ätiologiekonzept der Depression vor, das die drei Konfliktbereiche „realen oder inneren Objektverlust“, die „Wendung der Aggression gegen das Selbst“ und die „Störung der narzisstischen Regulation“ berücksichtigt. Ein aktueller Ansatz zur ätiologischen Konzeptualisierung von Depression im Erwachsenenalter, der entwicklungspsychologisch relevante Störungen in der Entwicklung der Objektpermanenz berücksichtigt, wurde von Sydney Blatt (1995, 2005) entwickelt. Dieses Konzept wurde ebenfalls in unserem Behandlungsansatz von PaKT berücksichtigt. Wir verstehen Blatts Konzeption der introjektiven vs. anaklitischen Depression als Möglichkeit, depressive Entwicklungen unterschiedlichen Graden der strukturellen Integration im Sinne eher neurotischer Konfliktpathologien oder struktureller Defizite zuzuordnen. Der Behandlungsansatz von PaKT Die Annahme, dass Kinder mit internalisiernder Symptomatik im Verlauf ihrer Entwicklung aggressive Impulse nicht interpersonell in ihren Primärbeziehungen austragen, sondern gegen das Selbst wenden, führt allerdings nicht zu der behandlungstechnischen Konsequenz, in der therapeutischen Arbeit mit dem depressiven Kind die Aggression freizusetzen oder dem Kind zu helfen, sie den Objekten zurückzuführen. Der kinderanalytische Ansatz von PaKT zielt darauf ab, die gegen das Selbst gewandte Aggression in gemeinsamer psychischer Arbeit kennenzulernen, sie bewusst zu machen. So kann das Kind zunehmend auf symbolischer Ebene einen Zugang zu Mangel, Verlust und Enttäuschung finden, die der gegen das Selbst gewandten Aggression zugrunde liegt. Wir gehen davon aus, dass das Fehlen, der Mangel und die Enttäuschung am Objekt auch in der Übertragungssituation ihren Ausdruck finden werden. Die Übertragungsbeziehung erlaubt dem Kind eine korrigierende emotionale Erfahrung, bei der es ein Gegenüber erlebt, das auf seine Aggression nicht mit Gegenaggression oder Kontaktabbruch reagiert. Der Therapeut versucht, durch die triadische Position eine Verstehensebene einzuführen, die dabei helfen kann, Aggression zu symbolisieren. Dies kann auch in der psychotherapeutischen Behandlung depressiver Kinder zu einer flexibleren Abwehr, weniger Selbstvorwürfen und einer geringeren Hemmung des vitalen Lebensausdrucks führen. The “Triangle of Psychodymamic Constellations” (ToP) Indem psychoanalytische Konzepte über die Grundkonflikte des Menschen sowie das Konzept der Mentalisierung von Fonagy et al. (2002) herangezogen werden, zielt der therapeutische Ansatz der PaKT darauf, beobachtbares Verhaltens zu verstehen und bisher unbewusste Konflikte des Kindes, die dem Symptom/ Verhalten zugrunde liegen, zu übersetzen Der angestrebte psychodynamische Fokus, das „Triangle of Psychodynamic Constellations“ (ToP), das unten näher beschrieben wird, dient als Erkenntnishilfe, wie die komplexen Informationen, die Eltern, Kind und die eigene Wahrnehmung liefern, so integriert werden können, dass ein Verständnis des Symptoms des Kindes als Beziehungsthema mit zugrunde liegenden unbewussten Konflikten möglich wird. Das ToP orientiert sich an der Fokaltherapie und wird um wichtige Elemente des aktuellen psychodynamischen (Beziehungs-)Geschehens zwischen dem Kind und seinem sozialen Umfeld erweitert. In der Fokusformulierung werden zunächst Informationen aus den Erstgesprächen gesammelt, die nach Maßgabe des Schaubilds ToP (s. Abb. 1) geordnet werden. Dabei wird das komplexe Zusammenspiel zwischen dem Erleben des Kindes, dem der Eltern und dem eigenen, wie es sich den Therapeuten in der Interaktion mit der Familie offenbart, integriert. Dieses Material wird auf der direkt beobachtbaren Ebene durch szenisches Verstehen (Argelander, 1983) aufgenommen und mit der Kenntnis der unbewussten Grundkonflikte verbunden. Es ist außerdem wichtig zu erwähnen, dass in alle der im Folgenden dargestellten Beschreibungsebenen (Beziehungssymptom, Therapeut-Patient-Beziehung, Material des Kindes) die Gegenübertragung des Therapeuten als wichtiges Erkenntnisinstrument unmittelbar eingeht. Durch sie werden sein Erleben, Verstehen und therapeutisches Handeln strukturiert. In dem nun die Informationen nach Maßgabe des ToP gebündelt werden, entwickelt sich eine psychodynamische Hypothese, in der die drei Ebenen des Dreiecks Beziehungssymptom, Therapeut-Kind-Eltern-Beziehung und Material des Kindes integriert werden. Hierdurch ergeben sich anhand des Materials der ersten fünf Stunden wichtige Informationen zu folgenden diagnostischen Einschätzungen, die für die Behandlungsplanung zentral sind. Es sind dies die Ebenen: A) Konflikt B) Abwehr (Angst/Abgewehrtes) C) Grad der Mentalisierung (Handeln/Körpersymptom/Vorstellung) D) Strukturniveau (Defizit/Ressource) Im Folgenden soll das Vorgehen zur Fokusformulierung nach der fünften Stunde kurz skizziert werden und später anhand von zwei Fallbeispielen illustriert werden. Die Informationen zu den drei Bereichen Beziehungs-Symptom, Therapeut-Kind-Eltern-Beziehung und Material des Kindes werden unter folgenden exemplarischen Fragestelllungen zunächst gebündelt und dann in die psychodynamischen Überlegungen einbezogen, deren Resultat es ist, einen Fokus nach dem ToP-Schaubild zu formulieren. Die PaKT sieht regelmäßige Fokalkonferenzen nach jeweils fünf Therapiesitzungen vor, in denen der Fokus in gemeinsamer Supervision überprüft und ggf. modifiziert werden kann. BeziehungsSymptom ToP TherapeutKind-ElternBeziehung Material (Spiel, Zeichnungen) Abb. 1: Triangle of Psychodynamic Constellations (ToP) (Göttken & von Klitzing, 2008) Beziehungs-Symptom Das Beziehungssymptom zielt bereits in der Formulierung der Symptomatik des Kindes darauf ab, das Problem des Kindes als Ausdruck intrapsychischer und interpersoneller Konflikte zu verstehen. Der Therapeut richtet seine Aufmerksamkeit dabei genau darauf, wie Eltern und Kind das Problem schildern: Was wird als Problem erachtet in welchem situativen Kontext, und was wird beispielsweise nicht als problematisch erwähnt? Welche Beziehungsdimension bildet sich in der als interpersonell verstandenen Symptomatik des Kindes ab? In den Erstgesprächen mit den Eltern sind beispielsweise zentrale Fragestellungen: • Wie lässt sich das Symptom des Kindes als Beziehungssymptom zwischen Eltern und Kind verstehen? • Welche Affekte und Reaktionen erzeugt es beispielsweise bei den Eltern, wenn das Kind z. B. bei Trennung intensiv zu weinen beginnt oder nachts einnässt? • Wie sprechen die Eltern über ihr Kind: eher anteilnehmend-feinfühlig? Oder anklagend, verzweifelt oder schamerfüllt? • Wie sehr nehmen sie ihr Kind als getrennt von sich wahr, oder ist das Kind ein Bündel von elterlichen Projektionen? • Wie steht pathologische Abwehr oder neurotische Fixierung des Kindes mit dem zentralen Konflikt der Eltern in Verbindung? Therapeut-Kind-Eltern-Beziehung Die dritte Ellipse illustriert das Konglomerat an Informationen, das wir erhalten, wenn wir unsere eigenen Gefühle, Assoziationen und Reaktionen in der Interaktion mit dem Kind und seinen Eltern einer Reflexion unterziehen. Wir gehen davon aus, dass der zentrale Konflikt seinen Niederschlag findet in der sich entwickelnden Übertragung. Erkenntnisleitende Fragen hierbei sind: • Wie tritt das Kind zum Therapeuten in Kontakt? Ist es dem Therapeuten sympathisch, empfindet dieser neutral oder reagiert gar mit Ablehnung des Kindes? • Wie reagiert der Therapeut auf die Eltern? Wie treten die Eltern zum Therapeuten in Kontakt? Sind sie freundlich, erwartungs- und hoffnungsvoll oder defensiv-fordernd bis hin zu aggressiv-anklagend? Wehren sie möglicherweise Schuldgefühle ab? • Welche Gegenübertragung stellt sich zwischen Therapeut und Kind ein? • Gibt es bereits Anzeichen für komplementäre und konkordante Übertragung? Material des Kindes Im Kontakt mit dem Kind sammelt der Therapeut in gleichschwebender Aufmerksamkeit anhand des Materials, das er durch den Kontakt mit dem Kind erhält (wie z. B. Performanz und Inhalte des kindlichen Spiels, Zeichnungen, Squiggle-Spiel) Informationen zu folgenden Fragen: • Wie verhält sich das Kind in den ersten Kontakten? Kommt es beispielsweise dem Therapeuten nah, oder spielt es ganz zurückgezogen in der Ecke, ohne den Therapeuten zu involvieren? • Wie spielt das Kind? Ist es laut oder leise, dynamisch oder apathisch? • Welche Inhalte dominieren das Material, das das Kind liefert? • Herrschen Schau- und Zeigelust vor, oder dominieren Scham und Versagensängste? • Welche Partialtriebe werden zugelassen, welche abgewehrt? • Wie sind Ich-Funktionen und Abwehrniveau organisiert? • Wie sehr primärprozesshaft ist das Verhalten, oder wie sehr ist das Kind in der Lage, Impulse bereits zu kontrollieren? Sowohl dem Kind als auch den Eltern wird der Fokus nach ToP an geeigneter Stelle in einer erlebnis- und alltagsnahen Sprache mitgeteilt. Wenn er den Eltern mitgeteilt wird, dann niemals außerhalb des Kontextes, d. h. er wird nur an der Stelle benannt, an der er sich auf die zuvor geschilderten Beziehungsepisoden der Eltern mit dem Kind bezieht. Genauso wird auch verfahren, wenn dem Kind der Fokus als verbale Deutung mitgeteilt wird. Dabei ist wichtig, dass der Fokus dem Kind direkt auf eine Spielsituation bezogen geäußert werden sollte. Er darf nicht zusammenhanglos einfach genannt werden, da sich sonst für das Kind keine emotionale Evidenz zu seinem inneren Erleben herstellen kann. Die Fokusformulierung sollte sich an geeigneter Stelle im gemeinsamen Spiel, im Gespräch oder in der allgemeinen Interaktion direkt auf die verbalen Äußerungen des Kindes beziehen und sich derselben umgangssprachlichen Ausdrücke bedienen, die das Kind verwendet. Der ToP-Fokus soll die Schnittmenge zwischen den interpersonellen Konflikten der Eltern mit dem Kind und dem zentralen intrapsychischen Konflikt des Kindes abbilden. Er integriert all diese ersten Informationen, Impressionen und Gegenübertragungsgefühle zu einer psychodynamischen Hypothese, die prägnant formuliert werden soll. Der ToP-Fokus soll die Verbindung zwischen dem Symptom des Kindes und dem zentralen transgenerationalen Konflikt zwischen Eltern und Kind herstellen. Für den Therapeuten dient der so formulierte ToP-Fokus im therapeutischen Prozess mit dem Kind als eine Art Matrix, vor dessen Hintergrund ein Verstehen der Inhalte, die sich im kindlichen Spiel offenbaren, und eine Verknüpfung mit den unbewussten Konflikten der Eltern möglich wird. Wichtige Vorraussetzung, um eine Eltern-Kind-Kurzzeittherapie durchzuführen, ist eine klassische psychoanalytische Grundausbildung, da eine solide Kenntnis der Grundkonflikte des Subjekts, seiner Fantasien und mentalen Mechanismen und deren Abkömmlinge im Vorbewussten einer therapeutischen Intervention unabdingbar ist. Ebenso wichtig ist auch die Fähigkeit, fokal zu arbeiten, d. h. einen „roten Faden“ zu bewahren und sich auf die zentralen Themen des Patienten zu konzentrieren. Die Fokusformulierung soll nun im Folgenden anhand eines Fallbeispiels illustriert werden. Fallbeispiel für eine Fokusformulierung4:Julian, fünf Jahre alt (Beziehungs-Symptom): Julian hat ausgeprägte Angst, in den Kindergarten zu gehen. Häufig kommt es zu dramatischen Szenen, bei denen er sich am Heizkörper des Vorschulraums festklammert, weint und sogar erbricht. Die Mutter berichtet außerdem von einem großen Desinteresse Julians, mit anderen Kindern zu spielen. Anamnese Julian wurde mit dem Verdacht auf Autismus von der Kinderklinik in unsere Vorschulsprechstunde überwiesen. Unsere Diagnostik erbrachte keinen Anhalt auf eine autistische Störung. Julians Eltern trennten sich, als Julian ein Jahr alt war. Mutter und Sohn leben zu zweit, die Mutter ist nicht berufstätig, hat keine abgeschlossene Berufsausbildung, trotz augenscheinlich überdurchschnittlicher Intelligenz. Es gibt regelmäßigen Kontakt zum 4 Die Falldarstellung ist aus der Perspektive der behandelnden Therapeutin (Tanja Göttken) geschildert. Vater, den die Mutter jedoch als desinteressiert und leicht apathisch beschreibt. Die Mutter sagt ganz offen, dass sie niemanden brauche, außer Julian, ihren „Sonnenschein“. Therapeut-Patient-Eltern-Beziehung (Gegenübertragung): Im Kontakt mit der Mutter erlebe ich eine Frau, die mit zarter Stimme sehr liebevoll und einfühlsam über ihr Kind spricht. Gleichzeitig hat sie etwas betont Autonomes, und ich erlebe sie mir gegenüber oft als grenzüberschreitend und aggressiv. Sie äußert, eine eigene Therapie habe sie nicht nötig, sie habe die traumatischen Erlebnisse aus Kindheit und Jugend schon alle „selbst verarbeitet“. In den Elterngesprächen lässt sie mich kaum zu Wort kommen und führt die Sätze, die ich beginne, zu Ende. Dies löst bei mir einen wütenden Affekt aus. Ich fühle mich beschnitten, habe in der Mutter-Kind-Dyade keinen Platz. Auffällig ist auch, dass sie mir gegenüber immer stark betont, dass Julian ja nicht gern zu mir komme. Ich spüre ihre Eifersucht. Die Mutter platzt am Ende der ersten Stunden jedes Mal in den Behandlungsraum, um Julian herauszuholen, was ich als übergriffig erlebe. Sie scheint es nicht aushalten zu können, dass er bei mir ist, lässt seine Separationserfahrungen nicht zu. Im Kontakt mit dem Vater erlebe ich einen gutmütigen, großgewachsenen Mann, der liebevoll und interessiert von seinem Sohn spricht. Er berichtet davon, dass er sich bereits, als Julian noch ein Säugling war, von der Mutter aus der dyadischen Beziehung ausgeschlossen gefühlt habe. Jetzt bereue er, dass er damals das Sorgerecht abgegeben habe. Gleichzeitig erlebe ich ihn in der Beziehung zu seinem Sohn als weitaus distanzierter als die Mutter und bekomme ein Gefühl dafür, dass vielleicht auch Julian zu spüren vermag, dass er für die Mutter eine weitaus existenziellere Bedeutung hat als für den Vater, der sein eigenes Leben führt und recht abgegrenzt ist. Auch fällt mir auf, dass der Vater im Vergleich zu der Mutter in der Beziehung zu mir distanzierter und passiver ist. So, als hätte auch ich als Therapeutin nur eine geringe, wenn nicht sogar äußerst fragwürdige Bedeutung für ihn. Julian zeigt mir jedes Mal in Anwesenheit der Mutter, dass er nicht gerne zu mir kommt. Wenn er dann aber mit mir allein ist, spüre ich seine Neugier und Lust am Kontakt. Dennoch signalisiert er mir sogleich, dass meine groben Lego-Duplo-Spielfiguren ihm nicht gut genug sind, er bringt seine eigenen mit, „die kleinen Legos für größere Kinder“. Obwohl altersadäquat, sind für ihn meine gröberen Figuren und Steine scheinbar nicht von Interesse. Er signalisiert mir deutlich, dass er nicht mit diesem kindischen Spielzeug spielen möchte. So wenig, wie er Interesse an meinen Spielsachen zeigen möchte, so wenig möchte er, dass seine Mutter merken könnte, dass er sich für mich interessiert: Vor der zweiten Stunde mit mir allein sah er mich – von der Mutter unbemerkt – durch das Fenster im Warteraum begeistert und freudestrahlend an. In Anwesenheit der Mutter, während der Begrüßung, erschießt er mich dann demonstrativ, was die Mutter folgendermaßen kommentiert: „Du sollst doch nicht auf Menschen schießen!“, wobei sie seinen destruktiven Akt gegen mich offensichtlich doch sehr genoss. Material: Im freien Spiel mit Julian fühle ich mich dominiert und hilflos, auf eine passive Position verwiesen. Dadurch, dass meine Spielfiguren immer nur das ausführen sollen, was er diktatorisch befiehlt, fühle ich mich wie ein Sklave in einer ausweglosen Situation. Wiederholt wird meine Figur getäuscht, erschossen, gequält und von Bomben ermordet. Ich erlebe ein monotones, grausames Spiel, ohne Handlungsspielraum für mich. Julian ist der Herr, der mich dominiert, und ich sein Sklave, mit dem er machen kann, was er will. Es scheint, als seien ich und meine Reaktionen nicht von Interesse für ihn. Ich fühle mich meiner Subjekthaftigkeit beraubt, erlebe sein wildes Spiel als einen Angriff auf meine Denkfunktion. Wenn ich mit Julian sprechen möchte, dann kramt er laut in der Box. Er versucht, mir Angst einzuflößen, indem er alles im Raum umherwirft und das Lego-Duplo-Puppenhaus lustvoll zerstört. Immer wieder platzen Bomben und schießt er mit Kanonen. Wenn ich mit ihm verbal kommunizieren möchte, weist er mich an, ich solle schweigen. Er verbietet mir, während der Stunden schriftlich zu dokumentieren, sonst „geht er weg“. Therapeut-Kind-Beziehung (Übertragungsbeziehung): In der Beziehung zu mir darf ich für Julian nicht der bedeutsame Dritte werden. Um seiner Angst vor mir zu begegnen, macht er aus mir ein der Sprache beraubtes Partialobjekt, über das er verfügen kann. Ich denke, Julian wehrt die Vaterübertragung auf mich ab. Julian schneidet mir alles ab, was ich habe, er nimmt mir meine Potenz, meine Kompetenz und mein zentrales Instrument: das gesprochene und geschriebene Wort. Er kastriert mich dadurch. Ich vermute, er sucht und fürchtet mich zugleich als den phallischen Vater, den symbolischen Dritten. Ich, der Dritte, als Subjekt, sowie das gesprochene Wort als Drittes werden von Julian nicht zugelassen. Julian wehrt seine eigene Kastrationsangst ab, indem er mich kastriert. Der Abwehrvorgang ist eine Verkehrung von passiv in aktiv und vermeidet, dass diese Angst bewusst wird. Julian scheut Erfahrungen mit Dritten, triangulierenden Objekten (Therapeut, andere Kinder, Kindergarten), um nicht mit der Kastrationsangst konfrontiert zu werden. In seiner Fantasie hat er den realen Vater bereits in die Flucht geschlagen und fürchtet nun dessen Rache. Das Aggressive des Gegenübers verursacht bei ihm große Angst, in einer kontraphobischen Abwehrbewegung ist er derjenige, der begrenzt und mich kontrolliert. Er zeigt sich phallisch. Er hat Wut auf mich, weil ich das Stundenende oder das Behandlungsende bestimme und so eine Begrenzung seiner primärprozesshaften Wünsche und kindlichen Allmachtsfantasien bewirkte. Fokus: Julians Angst vor dem Kindergarten ist die Angst vor dem Dritten, der begrenzt, ihn damit aber auch in die symbolische Ordnung einführt. Julian soll der bessere Partner der Mutter sein und alle negativen Erfahrungen in ihrem Leben wie ein „Messias“ wieder gut machen. Dadurch ist er überfordert und kann kein Kind sein. Gleichzeitig finden aber seine kindlichen Allmachtsfantasien und ödipalen Größenfantasien Bestätigung und keine ausreichende Begrenzung. Im Kindergarten sieht er sein Größenselbst bedroht. Einer von vielen zu sein macht Julian Angst, ist er doch sonst der wichtigste Mensch für seine Mutter. Die Angst vor dem begrenzenden Dritten, dem symbolischen Vater, wird von ihm abgewehrt, indem er sich weigert, in den Kindergarten zu gehen, erbricht und äußert: „Ich hasse den Kindergarten!“ Julians entwicklungshemmendes Symptom, nicht in den Kindergarten gehen zu können bzw. zu wollen, drückt auf eindrucksvolle Weise den Konflikt aus, in dem er sich befindet. Indem er sich dem Nein des Vaters (Le non du père) verweigert, erhält er jedoch auch nicht den subjektkonstitutiven Namen des Vaters (Le nom du père). Indem Jaques Lacan mit dieser Homophonie spielt, betont er die legislative und gleichzeitig prohibitive Funktion des symbolischen Vaters (Lacan, 1993). Das Nein, also die Begrenzung durch den Vater, anzunehmen, bedeutet für das Kind einerseits die Begrenzung seiner kindlichen Allmachtsfantasien und seines Anspruchs auf die Mutter. Gleichzeitig benennt der Vater das Kind aber auch, gibt ihm eine Position innerhalb der symbolischen Ordnung und verortet es innerhalb der Generations- und Geschlechtsgrenzen. Somit geht die Begrenzung mit einem Gewinn an Subjektivität und Relativierung in der Beziehung zur Mutter einher. Die Dyade verliert gleichzeitig ihre Gefahr, die Grenzen zwischen Subjekt und Objekt aufzulösen. Fragmentierungsängste, d. h. Ängste des Kindes, in der Verschmelzung mit der präödipalen Mutter die Kontur und eigene Begrenztheit wieder einzubüßen, werden durch die Präsenz des Vaters als symbolischen Dritten gemildert. Innerhalb der symbolischen Ordnung verortet zu werden wird aber nur dadurch verbürgt, dass das Kind seine inzestuösen Wünsche aufgibt und das Inzestverbot des Vaters anerkennt. Der Ödipuskomplex ist als eine Metapher für die prohibitive und gleichzeitig legislative Funktion des phallischen Signifikanten zu verstehen. Er verweist auf das, was vom Subjekt verworfen werden muss, um Subjektstaus zu erhalten. Der symbolische Vater stellt das Gesetz auf und reguliert damit das ödipale Begehren nach der Mutter. Damit mischt er sich in die dyadische Beziehung zur Mutter ein und führt eine notwendige symbolische Distanz zwischen Mutter und Kind ein. Da, wo der Name des Vaters ausgeschlossen oder verworfen wird, kann die Sprache oder das Verhältnis von Signifikant und Signifikat nicht sinnvoll sein. Dort, wo der Name des Vaters nicht anerkannt wird und die Beziehung zur Mutter keine Relativierung erhält, droht eine Sprachzerstörung und damit die Psychose. Julian und seine Mutter wehren diese symbolische Distanz ab, indem sie ein Beziehungssymptom etablieren: die Angst vor dem Kindergarten. Hier korrespondiert m. E. das Unbewusste des Kindes mit dem Unbewussten der Mutter: Beide wünschen und fürchten gleichzeitig, die präödipale innige Verschmelzung aufgeben zu müssen. Von daher ist das Symptom des Kindes auch nicht allein Ausdruck der ödipalen Kastrationsangst durch den symbolischen Dritten, sondern auch Ausdruck der Angst der Mutter vor dem als unwiderruflich und existenziell bedrohlich erlebten Alleinsein, wenn sich das Kind Dritten – wie in dem Besuch des Kindergartens symbolisiert – zuwendet. Der symbolische Vater garantiert zwar Subjetstatus, d. h. Begrenztheit, relativiert das Kind jedoch in seiner Bedeutung als das einzige Objekt, das die Mutter liebt. Für Julian bedeutet die Anerkennung der Bedeutung des Dritten auch die Anerkennung seiner ihn in seinen kindlichen Omnipotenzfantasien begrenzenden Macht. In einem Trauerprozess müsste Julian sich gewahr werden, dass er nicht der einzige wichtige Mensch für die Mutter ist. Da die Mutter jedoch keinen „Dritten“ innerlich repräsentiert, sondern aufgrund ihrer traumatischen Erfahrungen mit „grenzüberschreitenden Dritten“ die Beziehung zum Kind als die einzige Erfüllung im Leben ansieht, gibt es auch real niemanden, der diese Funktion für Mutter und Kind übernehmen könnte. Julian hat die Erfahrung, ödipal ausgeschlossen zu sein und gleichzeitig aus der präödipalen Verschmelzung mit der Mutter gerettet zu werden, nicht ausreichend gemacht. Daher löst die Erfahrung mit Dritten bei Julian massive Kastrationsangst aus, die von ihm kontraphobisch abgewehrt wird. Behandlungsplanung: Zunächst sollen mentalisierungsfördernde Techniken angewendet werden, damit Julian seine Angst vor dem Kontakt zur Therapeutin (dem phallischen Vater, dem Dritten) abbauen kann und Erfahrungen mit der Separation machen kann. Hierzu sollen behutsam Affektzustände der Spielfiguren im Als-ob-Modus des Spiels benannt werden. Die Therapeutin lässt sich unter permanenter Reflexion der Gegenübertragung involvieren, dabei behält sie immer eine Einstimmung (attunement) auf das Kommunikations-Level des Kindes bei! Der Ärger, der in der Gegenübertragung über den Verlust der eigenen Subjekthaftigkeit der Therapeutin entsteht, soll zunächst innerlich repräsentiert und verstanden werden, um zu geeignetem Zeitpunkt als konkordante Übertragung verstanden und in eine verbale Intervention gebracht zu werden. Dabei soll der Ärger des Kindes verbalisiert werden, wenn es durch mich Begrenzung erfährt. Gleichzeit soll durch die regelmäßige therapeutische Arbeit der zentrale Konflikt (von Mutter und Kind) durch Verbalisierung der Angst vor Trennung/Kastrationsangst durchgearbeitet werden. Gleichzeitig stellt die Trennungserfahrung in der Therapie eine Art „Exposition“ an den Dritten dar. In begleitender regelmäßiger Elternarbeit soll mit der Mutter ein gemeinsames Verständnis erarbeitet werden, dass es sich bei der Trennungsangst des Kindes um eine eigene Trennungsproblematik handelt, die bereits mit der ersten Tochter ihren Ausdruck fand. Diese Tochter löste ihren Autonomie-Abhängigkeitskonflikt vermutlich dadurch, dass sie eine Suchterkrankung ausbildete. Heute ist die 21-Jährige seit dem 15. Lebensjahr drogenabhängig. Die Therapeutin versucht, mit der Mutter den Fokus zu erarbeiten, dass für Julian aus Mangel an Separationserfahrungen und damit an Erfahrungen, nicht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen, der Kontakt mit Dritten, z. B. Gleichaltrigen, ängstigend ist. Außerdem soll die Mutter (und der Vater) in ihrer Elternfunktion gestärkt und beraten werden, um die Separation Julians zu fördern. Dabei übernimmt der Therapeut ein Containment der Ängste der Mutter vor dem Alleinsein. Außerdem fördert die Therapeutin die Wahrnehmung der Mutter, Julians Entwicklung als eine zunehmende Getrenntheit von sich zu verstehen und auszuhalten. Verlauf In die erste Stunde der Behandlung bringt Julian einen kleinen Teddybären mit, setzt ihn auf den Stuhl und rückt diesen ganz nah an uns beide heran. Dabei wirkt er jedoch ganz „cool“. Ich verstehe diesen Teddy als ein Übergangsobjekt, das er zur Triangulierung mitbringt, um die Not der Getrenntheit von der Mutter und die Angst vor mir zu bewältigen. Ich versuche, mit ihm über diesen kleinen Begleiter ins Gespräch zu kommen: Therapeutin: „Der sitzt da und guckt zu?“ Julian entgegnet abwimmelnd: „Nee, der schläft ein bisschen!“ Im Verlauf brachte er immer neue „Übergangsobjekte“ mit. Zunächst eine Vielzahl von „Waffen“, wie Stöcke oder auch Spielzeug-Gewehre, um mir seine Macht zu demonstrieren. Julians Abwehr gegen eine Vaterübertragung, also dagegen, mich als den symbolischen Vater anzuerkennen, zeigte sich bereits sehr eindrucksvoll in den ersten Stunden der Behandlung. Weiterhin raubte er mir mein zentrales Instrument, die Sprache, und kastrierte mich, indem er immer wieder darauf beharrte: „Nicht reden (schreiben), sonst geh ich“. Ständig weist er mich an, den Verfolgten, Geplagten, Gepeinigten zu spielen. Er wirft Bomben nach mir, es gibt kein Entrinnen für mich. Ich spiele die Figur des Verfolgten, versuche zu fliehen: „Der findet mich nicht. Schnell hier hin!” Julian erschießt mich dennoch mit lustvoll-aggressivem Blick und imitiert dabei ein Schussgeräusch, das er mit Lachen kommentiert. Ich versuchte immer wieder, an geeigneter Stelle Julians Angst vor mir (und vor „dem Dritten“) zu deuten, so z. B. in der 13. Stunde, als ich versuche, den Fokus zu benennen: Therapeutin: „Wenn du mich immer K.O. machen kannst, du bist ja immer der Stärkere, dann musst du gar keine Angst haben!“ Julian entgegnet keck: „Ich hab’ nie Angst! Ich hab’ bloß Angst vor Spinnen!“ Dabei schleudert er eine Stoff-Ratte cool und erhaben nach mir. In der Zwischenzeit erfahre ich von der Mutter, dass Julian inzwischen regelmäßig, wenn auch nicht gern, in den Kindergarten geht. Erst in der 20. Stunde war es Julian das erste Mal möglich, das Dritte, die gesprochene Sprache, das Wort und den Kontakt mit der Therapeutin zuzulassen. Julian beginnt die Stunde mit einem Gespräch über eine Legofigur, die er mitgebracht hat und mir zeigt. Wir sitzen gemeinsam auf dem Teppichboden und betrachten die Figur. Julian lenkt dabei das Gespräch. Es gelingt mir, mit Julian über seine Angst vor den Kindern im Kindergarten zu sprechen. Dabei wird mir deutlich, in welche Not er gerät, wenn er ein Kind von vielen ist und nicht der Besondere und Wichtigste, so wie bei der Mutter. Ich versuche, ihm erneut seine hypomanische Abwehr von Angst zu deuten. Ich möchte diese verbale Interaktion kurz abbilden. Wichtiger als der bewusste Dialog scheint mir jedoch die emotionale Bewegung zwischen uns zu sein, die mir einen Hinweis darauf gibt, dass Julian beginnt, mich partiell als den symbolischen Dritten anzuerkennen. Neben sich hat Julian zwei Gewehre gelegt, die er in die Stunde mitgebracht hatte. Julian: „Guck mal, hat der (Roboter) Kopf?“ (Die Therapeutin lässt sich involvieren) Therapeutin: „Der hat einen Kopf. Der hat keinen Kopf! Doch!“ Julian: „Hat der Augen?” Therapeutin: „Ich glaub’ ja!“ Julian: „Hat der bloß Augen beim Kopf?“ Julian: „Ich zeig dir`s mal! So, der hat keine Nase!“ Julian: „Das ist ein Roboter!“ Therapeutin: „Die (Legofiguren) haben immer alle keine Nase!“ Julian: „Der sieht cool aus!“ Therapeut: „Hast du den neu?“ Julian: „Ängstlich, oder?“ Therapeutin: „Der sieht ängstlich aus, findest du.“ Julian: „Hm. Der war bei den Einzelfiguren drinne!“ Therapeutin: „Hast du dir den ausgesucht?“ Julian: „Ja!“ Therapeutin: „Du hast dir den Ängstlichen ausgesucht!“ Julian: „Nee, meine Mama hat den einfach ausgesucht. (Ich denke sogleich, hier wehrt er seine Angst ab, indem er der Mutter die Auswahl der ängstlichen Figur zuschiebt). Ja, aber man kann nicht sehen, wie der dann ist, der ist nämlich in einer Tüte!“ Therapeutin: “Guck mal, da hast du einen Ängstlichen bekommen, der aber von außen gar nicht ängstlich aussieht, nur wenn man den Helm abnimmt, dann sieht man, dass der ängstlich ist.“ Julian: „Das Gesicht guckt bisschen grimmig.“ Therapeutin: „Bisschen grimmig, aber eigentlich hast du gesagt, der sieht ängstlich aus! Julian: „Guck mal der hat überall Schrauben. Ne andere Hand.” Therapeutin: „Der ist ja aus Metall. Wenn da eine Kugel dagegen knallt, dann merkt der das gar nicht.“ Julian: „Hm.“ Therapeutin: „Da hat der eine Schutzrüstung an.“ Julian: „Ja! Und guck` mal. Ich mach die Hand ab, und dann kann der schießen!” Therapeutin: „Ah. Die Hand ist eigentlich gar keine Hand, sondern ein Gewehr.“ […] Therapeutin: „Weißt du was, wenn wir so spielen, dann bist du immer der, der bestimmt, was gespielt wird“. Julian (mich auffordernd): „Ein Brett und ein 2-er (Steinchen)!“ Therapeutin: „Im Kindergarten, da hast du ja manchmal Angst vor den anderen Kindern. Da magst du ja nicht gerne hingehen.“ Julian: „Nee, ich hasse den Kindergarten! Der ist einfach scheiße! Guck mal auf die Uhr!“[Ich verstehe diesen Hinweis auf ein möglicherweise nahendes Stundenende als sein Bedürfnis, mich zu begrenzen und nicht von mir begrenzt zu werden.] Therapeutin: „Ist noch nicht so weit!“ Therapeutin: „Warum ist der Kindergarten denn scheiße? Kannst du da denn nicht so schön spielen wie hier? Julian: „Ich hasse die Kinder alle im Kindergarten! Weil da bin ich nicht alleine.“ Therapeutin: „Da bist du nicht alleine, ah, deswegen.“ Julian: „Ich will alleine sein.“ Therapeutin: „Du willst alleine sein.“ Therapeutin: „Du magst am liebsten spielen, wenn du einen Erwachsenen hast.“ Julian: „Kein Kind!“ Julian: „Also, hier kann man schon gucken, wie man das bauen kann!“ (Auf das LegoSpiel fokussierend.) Therapeut: „Wenn du alleine bist, dann bist du ja der, der alles bestimmen kann, und der Einzige, und deswegen hast du ja auch das kaputt gemacht, was das andere Mädchen geknetet hatte, weißt du noch?“ Julian: „Ja (zerknirscht). Ich hasse nämlich Mädchen. Du bist aber keins“. Therapeutin: „Ich bin aber auch ein Mädchen.“ Julian: „Du bist aber schon erwachsen.“ Therapeutin: „Ich bin schon erwachsen, das stimmt!“ Therapeutin: Und bei Papa? Julian: „Guck mal, jetzt ist das eine richtige Kanone!“ Therapeut: „Oh!“ […] Therapeutin: „Ich muss da grad noch mal drüber nachdenken, was du mir erzählt hast. Dass du ein Kind bist, das nicht gern in den Kindergarten geht, weil du da nicht der Wichtigste bist. Und das macht dir nicht so viel Spaß“. Julian: „Hm. Die wollen gar nicht mit mir spielen [traurig]!“ Therapeutin: „Die wollen gar nicht mit dir spielen?“ Julian: „Ja! Hm. Mit dir kann ich so gut spielen!“ Therapeutin: „Mit den anderen Kindern kannst du nicht so gut spielen. Oh.” Julian: „Hm. Du guckst mal, ob du einen schwarzen 2-er findest!“ In Sitzung 21 betritt Julian das Behandlungszimmer und ist bereits einige Stunden zuvor informiert worden, dass es nur noch zwei weitere Stunden geben wird. Er sagt sogleich sehr aufgeregt: „Ich bin so wütend. Ich möchte alles kaputt machen hier drinnen.” Ich spüre seine Erregung, er schwitzt und zittert sogar. Ich spüre, wie er seine Traurigkeit über das nahende Ende unserer gemeinsamen Zeit hinter seiner Wut verbirgt. Ich verstehe seinen Ärger als Abwehr seiner Kastrationsangst, d. h. darüber, dass ich diejenige bin, die in die gemeinsamen Stunden eine Begrenzung einführt. Also kastriert er mich erneut in einem Abwehrvorgang, indem er nicht akzeptiert, dass ich es bin, die ihn begrenzt. Also beginnt er, Dinge, die auf dem Sideboard umherstehen, von denen er annimmt, sie seien mir wichtig, zu zerstören. Er versucht, mir Angst einzuflößen, indem er androht, ein Glas, ein Geschenk einer Kollegin, das oben im Regal steht, und einige Patientenakten, die ebenfalls auf dem Sideboard liegen, zu zerstören. Ich deute ihm, dass er sich sehr über mich und darüber, dass ich unsere Stunden bald beende, ärgere, sodass er alles von mir kaputt machen möchte. Durch die Sprache entsteht eine Verbindung zwischen uns. Die Stunde besteht dann aus einem permanenten Oszillieren zwischen paranoid-schizoider und Ansätzen einer depressiven Position. Nach seinen destruktiven Versuchen kommt Julian auf mich zu, um sich zu vergewissern, ob ich noch da bin. Dabei versucht er, mir im Kampf nah zu sein, und schlägt vor, dass wir mit dem großen Stoffkrokodil und dem „gefräßigen Frosch“ kämpfen sollen. Dabei versucht Julian, mir mit einer großen Drohgebärde Angst einzuflößen. Er steht dabei aufrecht, während ich auf dem Teppich im Schneidersitz sitze. Ich sage zu ihm: „So wütend bist du heute auf mich, dass du mir am liebsten ganz doll weh tun würdest.“ Julian: „Ja, weil ich hierher kommen musste, konnte ich gar nicht meine Erdbeeren [zu Hause] aufessen. Nachher werden die schlecht.“ Er erlebt mich als diejenige, die in seinen narzisstischen Lustgewinn eine Begrenzung einführt. In der letzten Stunde (23. Stunde) der gemeinsamen therapeutischen Arbeit gelingt es Julian gut, seinen Ärger über mich und seine Nähewünsche mir gegenüber zu regulieren. Dabei schwankt er zwischen einer mich dominierenden Position, indem er mir – wie ein Erwachsener – vorschlägt, was wir in der letzten Stunde spielen sollen, und nicht davon ablässt, dass er am Computer mit mir sitzen möchte, um sich mit mir Legoanimationen auf der ihm bekannten Lego-Star-Wars-Homepage anzuschauen. Ich gehe auf diesen ungewöhnlichen Wunsch ein, aber nicht ohne die Dauer auf zehn Minuten zu begrenzen. Ich biete ihm einen kleinen Kinderstuhl an, während ich, auf meinem großen Stuhl sitzend, den Computer – mein Instrument – betätige. Julian aber möchte auf meinem Schoß sitzen, mir ganz nah sein und dabei so wie ich das phallische Instrument, den Computer, betätigen. Ständig möchte er den Cursor bedienen und Funktionen, die er schon kennt, „anklicken“. Julian führt einen Machtkampf mit mir und erkennt aber schließlich meine begrenzende Funktion an. Ich denke, er spürt, wie behaglich es auf dem Schoß des Papas sein kann, wenn man mit Raumschiffen und Robotern auf fremden Planeten gemeinsam Abenteuer erlebt und dabei auch von dem mächtigen Papa beschützt wird. Kind zu sein und nicht Partnerersatz der Mutter erlaubt eben auch, so zu sein, wie man ist, mit seinen Ängsten, Schwächen und seiner Begrenztheit. Therapieende Nach 23 Stunden beenden wir die Kurzzeittherapie. Julian gelingt es mittlerweile sogar, beim Fest des Kindergartens gemeinsam mit den anderen Kindern zu übernachten. Zwei Monate später soll er eingeschult werden. Julian zeigt nach dem Ende der Therapie sowie zu einer Katamneseuntersuchung sechs Monate nach Therapieende keine Symptome einer Trennungsangst mehr. Seine Mutter berichtet mir dankbar und stolz davon, dass Julian sich gut in die Klassengemeinschaft integriert und Spaß am Kontakt mit den anderen Kindern habe. Bei der Begrüßung fragt Julian mich gleich keck: „Siehst du denn gar nicht, dass ich gewachsen bin?“ Ich denke, Angriff ist wohl für ihn die beste Verteidigung, und frage mich auch, wie er wohl in der Schule mit der Begrenztheit der eigenen Fähigkeiten umgehen wird? Manchmal gebe es Tage, da äußere er morgens, er habe Bauchschmerzen, was die Mutter als Versuch Julians ansieht, bei ihr bleiben zu wollen. Natürlich gebe sie dann nicht nach, erklärt sie fast, als wolle sie mich beruhigen. Ich freue mich darüber, dass das begrenzte Angebot einer Kurzzeittherapie sich für Mutter und Kind als entwicklungsfördernd herausgestellt hat. Abschließende Gedanken Erste Erfahrungen in der Anwendung von PaKT kommen zu ähnlichen Ergebnissen, wie sie bereits in der Literatur zur Wirksamkeit psychodynamischer Psychotherapie im Kindesalter beschrieben wurden. So haben Target und Fonagy (1994a, 1994b) in ihrer bahnbrechenden Katamneseuntersuchung gezeigt, dass signifikante Verbesserungen auf Symptomebene durch Psychotherapie am ehesten zu erzielen sind, wenn das Kind jünger als elf Jahre ist, klar umgrenzte Symptome vorhanden sind, die sich mit einem internalisierten Konflikt in Verbindung bringen lassen, und wenn die Mutter des Kindes ebenfalls behandelt wird. In einer weiteren Studie untersuchten Muratori und Kollegen (2003) die Wirksamkeit von „Brief Psychodynamic Psychotherapy“ bei Kindern im Alter von sechs bis elf Jahren. Es konnten sowohl bei internalisierenden als auch bei externalisierenden Problemen signifikante Verbesserungen gemessen werden. Muratoris Daten weisen auch darauf hin (Muratori et al., 2002), dass Kinder mit internalisierenden Störungen ohne disruptive Verhaltensstörungen möglicherweise stärker von der psychoanalytischen Kurzzeittherapie profitieren als Kinder mit externalisierenden Störungen. Erste Erfahrungen in der Anwendung von PaKT zeigen ebenfalls, dass Kinder mit emotionalen Störungen ohne Komorbidität von Verhaltensstörungen stärker von einer psychoanalytischen Behandlung profitierten. Unserer Erfahrung nach sprechen Kinder mit eher neurotischer Konfliktpathologie und einem umschriebenen Konfliktfokus besser auf die psychoanalytische Kurzzeittherapie (PaKT) an als Kinder mit vornehmlich strukturellen Defiziten. Allerdings stellen die eher neurotisch strukturierten Kinder nur einen geringen Teil der Patienten dar, die unsere kinderpsychotherapeutische Ambulanz aufsuchen. Dies bedeutet auch, dass sich Psychotherapie im kinderpsychiatrischen Versorgungsalltag besonders auf die Behandlung von Kindern mit hoher Komorbidität und einem höheren Maß an strukturellen Defiziten ausrichten sollte und dazu adäquate, den aktuellen Erkenntnissen zur Entwicklungspsychopathologie angepasste psychotherapeutische Techniken angewendet werden sollten. Auch scheint die Compliance der Eltern für die begleitende Elternarbeit sowie die Mentalisierungsfähigkeit der Eltern in Bezug auf ihr Kind ein wichtiger Prädiktor für den Therapieerfolg zu sein. Die begleitende Elternarbeit ist neben der psychotherapeutischen Arbeit mit dem Kind ein essentieller Bestandteil von PaKT. So zeigen erste Erfahrungen, dass ein Therapieerfolg sehr stark davon abhängt, ob die Eltern die Eltern-Therapeut-Beziehung als positiv und verlässlich erlebten. Die begleitende Elternarbeit, d. h. das Übersetzen von interpersonellen Konflikten in eine adäquate Sprache bzw. die Förderung der Einsicht der Eltern in die psychische Innenwelt des Kindes, stellt eine unabdingbare Komponente von Psychoanalytischer Kurzzeittherapie für Kinder von vier bis zehn Jahren mit emotionalen Symptomen und affektiven Störungen dar. Bisherige Ergebnisse zeigen auch, dass der Therapieerfolg zum Zeitpunkt der Sechs-Monats-Katamneseuntersuchung stabil ist. (Anschr. d. Verf.: Dipl.-Psych. Tanja Göttken, Prof. Dr. Kai von Klitzing, Universitätsklinikum Leipzig, Klinik und Poliklinik für Psychiatrie , Psychotherapie und Psychosomatik des Kindes- und Jugendalters, Liebigstr. 20a, 04103 Leipzig, E-Mail: [email protected]; [email protected]) Summary “I hate nursery school because I’m not alone!” Brief Psychoanalytic Therapy for Children with Emotional Symptoms and Affective Disorders (PaKT) About 1-3% of preschool children and young schoolchildren display depressive disorders. At this age and up to adolescence, these disorders are frequently associated with anxiety conditions (Sterba, Egger & Angold, 2007). Depression and anxiety symptoms in childhood have an inhibiting effect on development. In these children, the internalisation of interpersonal conflicts appears to be a psychic mechanism that protects the object relations and thus enables psychosocial adjustment. The article describes brief, manual-guided inpatient psychoanalytic therapy for the treatment of children aged 4-10 years with emotional symptoms and affective disorders (PaKT). The case of a 5-year-old boy diagnosed for separation anxiety is used to illustrate the procedures involved. Keywords: Brief psychoanalytic therapy for children – internalising disorders in childhood – disorder-specific treatment manual – conflict focus – mentalisation-based therapy for children Résumé «Je hais le jardin d’enfants, parce que je n’y suis pas seul ! » Psychothérapie psychanalytique brève pour enfants présentant des symptômes émotionnels et des troubles affectifs Les troubles dépressifs apparaissent déjà chez un à trois enfants sur cent de maternelle et de primaire. De cet âge à l’adolescence, il est fréquent que ces troubles soient étroitement liés à des angoisses (Sterba, Egger & Angold, 2007). La dépression et l’angoisse infantiles constituent des symptômes inhibiteurs du développement. Chez ces enfants, l’intériorisation de conflits interpersonnels semble être un mécanisme psychique qui protège la relation d’objet et permet, par conséquent, l’adaptation psychosociale. Cet article décrit la psychothérapie psychanalytique brève ambulatoire pratiquée suivant un manuel dans le traitement d’enfants de quatre à dix ans présentant des symptômes émotionnels et des troubles affectifs. Le sujet est illustré par le cas d’un garçonnet de cinq ans chez qui on a diagnostiqué une angoisse de séparation. Mots-clés : Psychothérapie psychanalytique brève de l’enfant – troubles de l’intériorisation chez l’enfant – manuel de traitement spécifique de troubles – foyer conflictuel – thérapie infantile basée sur la mentalisation Literatur: Argelander, H. (1983). Das Erstinterview in der Psychotherapie. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Beck, A.T., Rush, A.J., Shaw, B.F., & Emery, G. (1992). Kognitive Therapie der Depression. Weinheim: Psychologie Verlags Union. 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