Die Musik in der Renaissance (ca. 1400 n.Chr. bis 1600 n.Chr.)

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Die Musik in der Renaissance
(ca. 1400 n.Chr. bis 1600 n.Chr.)
Gesellschaftliche Hintergründe
In der Kunstgeschichte versteht man unter dem Begriff „Renaissance“ vor allem die Wiedergeburt
der Antike. Der Begriff wurde im 19. Jahrhundert geprägt, um das kulturelle Aufleben der
griechischen und römischen Antike im Europa des 14. bis 17. Jahrhunderts zu kennzeichnen.
Es waren zunächst jedoch vor allem die sozialen und politischen Zustände der durch fernöstlichen
Handel reich gewordenen Städte des ausgehenden Mittelalters, die zu den kulturellen und
philosophischen Umbrüchen beitrugen:
✔ Es kam zu einer Reihe weitreichender Erfindungen und Entdeckungen (Schießpulver,
Buchdruck, Notendruck, Fernrohr, Uhr, Blutkreislauf...), die allesamt revolutionäre
Einschnitte in das mittelalterliche Weltbild bedeuteten. Vor allem die neue Astronomielehre
von Kopernikus (1473-1543) eines heliozentrisches Weltbilds, bei dem die Erde nicht mehr
als Mittelpunkt des Universums gesehen wurde, führte zu einem Konflikt mit der sehr
einflussreichen Kirche über die Deutungshoheit des Menschen und seiner Stellung zu Gott.
✔ 1492 erreicht Columbus die Küste Amerikas. Mit den darauffolgenden Eroberungen und
Ausbeutungen in Amerika erhielt der Fernhandel eine neue Dimension. Bankhäuser, wie
die Fugger in Augsburg oder die Medici in Florenz, erlangten mit der Durchsetzung der
Geldwirtschaft und mit der Durchbrechung des mittelalterlichen Zinsverbots
wirtschaftliche und politische Macht.
✔ Sozialgeschichtlich versteht man unter der Renaissance die Machtverschiebung weg von
der Kirche hin zum Adel, bzw. einem durch Handel reich gewordenen Bürgertum. Der
Wohlstand, der in den reichen Handelsstädten (die als Oligarchien verwaltet wurden)
entstand, machte es der neuen Oberschicht möglich, große öffentliche und private Kunstprojekte in Auftrag zu geben und eine von der Kirche unabhängige systematische
Naturwissenschaft voranzutreiben.
✔ Die philosophische Grundlage der Renaissance bildet der sog. Humanismus. Er begreift
(kurz gesagt) den Menschen als „souveräne, autonome Persönlichkeit“ im Gegensatz zum
Mittelalter, das den Menschen vor allem als kollektives Wesen wahrnimmt.
Diese neue Betrachtung des Menschen als „Ebenbild Gottes“ dient auch der Rechtfertigung
der eigenen Herrschaftsansprüche - Es gab kein über die eigenen Klassenschranken
hinweg reichendes Interesse an einer „Neubewertung“ des Menschen. (Vgl. z.B. die
Bauernkriege, sowie die Ausbeutung, Unterdrückung und Ausrottung aussereuropäischer
Kulturen im Verlauf des Kolonialismus).
Der Begriff „Renaissance“ ist aus oben genannten Gründen nicht zu trennen von seinem
politischen und ökonomischen Hintergrund und es ist irreführend, ihn (wie das in der
Kunstgeschichte oft passiert) einfach als „Wiedergeburt der Antike“ zu beschreiben. Vielmehr dient
der Verweis auf die Antike vor allem dazu, die Ansprüche der neuen herrschenden Klasse (Adel und
reiches Bürgertum) gegenüber der alten (Klerus) durchzusetzen und zu rechtfertigen.
Renaissance – Tendenzen in der Musik:
✔ Fürstenhöfe, reiche Kaufleute, Städte und Zünfte durchbrechen das Bildungs- und
Kunstmonopol der Kirche, sie werden auch zu den wichtigsten Förderern (sog. Mäzenen)
der KünstlerInnen, die nun nicht mehr als bloße HandwerkerInnen, sondern als
Intellektuelle angesehen werden.
✔ Diese neuen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen führen zu einem gehobenen
Selbstwertbewusstsein von KünstlerInnen.
✔ Es kommt unter diesen Voraussetzungen auch zu einer Gleichberechtigung von weltlicher
und geistlicher Musik.
✔ Lieder werden (auch im Zuge der Reformation) zunehmend in der jeweiligen
Landessprache komponiert und gesungen.
✔ Die humanistische Idee der Renaissance fordert auch von der Musik eine „menschliche“
Haltung – Während die Musik bis zum 15. Jh. Abbild der göttlichen Harmonie und
Ordnung war, so wird sie jetzt zu einer Sache des Herzens und des Gefühls und nähert
sich eher den Geisteswissenschaften an.
✔ Der Forderung der bildenden Kunst, die Natur nachzuahmen, entspricht in der Musik das
Bestreben, den Ausdrucksgehalt der Worte wiederzugeben (affektmäßige Ausdeutung des
Textes – mit welcher „emotionalen Botschaft“ wird ein Wort ausgestattet).
✔ Parallel zur Entdeckung der Zentralperspektive in der Malerei, wird in der Musik die
Harmonie (= gleichzeitiger Zusammenklang mehrerer Töne) entdeckt.
✔ Renaissancemusik ist vor allem gesungene Musik (A–cappella-Stil), Instrumente werden
vorwiegend „colla parte“ (die Vokalstimme mitspielend) eingesetzt.
✔ Es entstehen die sog. natürlichen Stimmlagen: Sopran (hohe Frauenstimme), Alt (tiefe
Frauenstimme), Tenor (hohe Männerstimme), Bass (tiefe Männerstimme) → im Gegensatz
zur geistlichen Musik im Mittelalter sind jetzt auch Frauen aktiv am Musizieren beteiligt.
✔ Das Ideal der neuen Musik war ein Ausgleich zwischen Melodie (Abfolge der Töne
hintereinander) und Harmonie (Zusammenklang mehrerer Töne).
✔ Ein neues Tonsystem (Dur – Moll - System) verdrängt die Kirchentonarten. Es ist auch
heptatonisch, eignet sich aber besser für die Komposition mehrstimmiger Musik.
✔ Die Musik des 15. und 16. Jahrhunderts bleibt eine zweckorientierte, dienende Kunst für
die Kirche, bzw. den Adel. Die Erfindung des Notendrucks ermöglicht eine rasche
Verbreitung über ganz Europa.
Zentren und wichtige KomponistInnen
Infolge der weitreichenden Beziehungen der Herrscherhäuser und der ausgedehnten
Konzertreisen der MusikerInnen kam es zu einem regen Austausch von französischer, englischer
und italienischer Musik. Zentren der Kunst und
wichtige Komponisten waren:
• Cambrai: Guillaume Dufay
•
Paris: Johannes Ockeghem
•
Venedig: Adrian Willaert
•
Rom: Giovanni Pierluigi da Palestrina
•
München: Orlando di Lasso
•
Innsbruck: Heinrich Isaac
Tonsystem
Das Dur – Moll – System
Seit dem 16. Jh. ist die Dur - Tonleiter, noch vor der Moll - Tonleiter, die meistverwendete
Tonleiter der abendländischen Musik. Der Höreindruck von Dur wird oft als „fröhlich, hell, klar“
beschrieben, wogegen Moll (lat. von „mollis“ = weich) oft als „traurig, dunkel, weich“ bezeichnet
wird. Diese Bezeichnungen treffen allerdings oft nicht zu, die persönliche Auffassung über die
Wirkung von Musik ist zum weitaus grössten Teil eine Frage der musikalischen Sozialisation.
Dur – Tonleiter: (die roten Klammern bezeichnen die Stellung der Halbtonschritte)
Moll – Tonleiter:
Harmonie
Der Begriff Harmonie bezieht sich in der Musik auf den Zusammenklang der Töne, also auf die
„vertikale“ Komponente der Musik (die „horizontale“ Komponente ist die Melodie).
KomponistInnen der Renaissance denken nicht mehr nur horizontal („Wie klingt die Melodie ?“),
sondern auch vertikal („Wie klingen die Harmonien zueinander ?“) Die Harmonielehre handelt
von den Beziehungen der Klänge des Dur-Moll-Systems. Ihre Grundlage ist der Dreiklang. Der
Dreiklang besteht aus zwei übereinandergelagerten Terzen (grosse Terz: 4 Halbtonschritte, kleine
Terz: 3 Halbtonschritte). Es gibt vier Arten von Dreiklängen:
➔ Der Dur – Dreiklang:
➔ Der Moll – Dreiklang:
➔ Der Übermässige Dreiklang:
➔ Der Verminderte Dreiklang:
Formen der Mehrstimmigkeit
Homophonie (griech.: Gleichstimmigkeit)
Homophonie bedeutet, dass alle Stimmen (meistens) den gleichen Rhythmus haben.
Es kann auch bedeuten, dass eine Melodie von Harmonien begleitet wird (= sog. Monodie, ab der
Epoche des Barock, ca. um 1600).
Das untenstehende Beispiel von Orlando di Lasso ist vierstimmig, weil vier Stimmen gleichzeitig
singen – Jeweils zwei Stimmen stehen zusammen in einem Notensystem innerhalb der fünf
Notenlinien (um Platz zu sparen).
Polyphonie (griech.: Vielstimmigkeit)
Polyphonie bedeutet, dass alle Stimmen einen unterschiedlichen Rhythmus und eine
eigenständige Melodie haben. Die Harmonie bewirkt den Zusammenhalt dieser unterschiedlichen
Melodien, die alle zur selben Zeit erklingen.
Das Beispiel von Palestrina ist auch vierstimmig. Im Gegensatz zum oberen Beispiel hat jede
Stimme ein eigenes Notensystem, weil der Verlauf der Stimmen viel unabhängiger voneinander
ist.
Polyphone Musik wurde lange Zeit von kirchlicher Seite kritisiert, weil es mitunter Probleme mit
der Textverständlichkeit gibt und so die Glaubensbotschaft nicht mehr entsprechend übermittelt
werden konnte.
Der Komponist Giovanni Pierluigi da Palestrina überzeugte aber die beim Konzil von Trient
einberufene „Behörde zur Verbesserung der Kirchenmusik“ nachhaltig, wohl auch weil seine Musik
als Propaganda der Gegenreformation eingesetzt werden konnte (lat. propaganda fidei: „Zur
Verbreitung des Glaubens“).
Wichtige Formen und Gattungen
Die Messe
Den Höhepunkt der Messkomposition bilden die Werke von Palestrina – sie gelten als
exemplarisch für die polyphone Musik des 16. Jahrhunderts. Man spricht in diesem Zusammenhang
vom sog. Palestrina – Stil.
G.P. Palestrina (um 1525 – 1594), Christe eleison aus der „Missa Papae Marcelli“
Frage:
✗ Ist das Musikstück homophon oder polyphon?
✗ Wie viele Stimmen gibt es (d.h. Wie viele Stimmen singen höchstens gleichzeitig)?
Die Motette
Die Motette ist neben der Messe die wichtigste Gattung der polyphonen Musik der Renaissance.
Bei der sog. klassischen Motette wird jeder Textabschnitt mit einem neuen Motiv (= kurzer
melodischer Abschnitt) wiedergegeben, das dann in den anderen Stimmen imitiert (nachgeahmt)
wird. Die realistische Textausdeutung spielt eine grosse Rolle. Die Motette hat immer geistlichen
Inhalt.
Josquin Desprez (um 1440-1521), aus der vierstimmigen Motette „Ave Maria“
Frage:
✗
✗
✗
✗
Ist das Musikstück homophon oder polyphon?
In welcher Reihenfolge setzen die Stimmen ein?
Wie viele Stimmen gibt es (d.h. Wie viele Stimmen singen höchstens gleichzeitig)?
Was kann man erkennen, wenn man den Rhythmus, die Tonhöhe und den Text der Stimmen
miteinander vergleicht?
Das Madrigal
Das Madrigal war ursprünglich eine sehr freie Gedichtform, die als Textgrundlage für eine
Komposition diente. Besonders in Italien war diese Gattung im 16. Jahrhundert als mehrstimmige
Chorkomposition sehr beliebt. Der Text hat meistens weltlichen Inhalt. Somit bildet das Madrigal
ein Gegenstück zur (geistlichen) Motette.
Der Text wurde nicht einfach nur wiedergegeben, sondern durch lautmalerische Effekte
ausgestaltet. Dadurch entstanden in kürzester Zeit zahlreiche neue musikalische Techniken (z.B.
Tremolo und Pizzicato), die andere weltliche Musikformen später entscheidend beeinflussten.
(z.B. Kantate, Oratorium, Oper). In England hiessen die Madrigale Ayres.
Frage:
✗ Ist das Musikstück eher homophon oder polyphon und warum?
Das Polyphone Gesellschaftslied
Das altdeutsche Volkslied bildet den Kern für das polyphone Gesellschaftslied. Die Stimmen
können sowohl vokal als auch instrumental ausgeführt werden.
Heinrich Isaac (um 1450-1517) war an italienischen Fürstenhöfen tätig und leitete zur Zeit
Maximilians I. (der sog. „letzte Ritter“) die Innsbrucker Hofkapelle. Die Melodie des Lieds
„Innsbruck, ich muss dich lassen“ wurde in den folgenden Jahrhunderten immer wieder auch für
geistliche Lieder verwendet.
Heinrich Isaac (um 1450-1517), Innsbruck, ich muss dich lassen
Carl Orff (der Komponist der Carmina burana), verfasste im 20. Jahrhundert eine Version des
Liedes „Innsbruck, ich muss dich lassen“.
Auf welche Epoche der Musikgeschichte will er damit verweisen und warum? (Man kann es vor
allem am Verlauf der beiden Oberstimmen hören und erkennen.)
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