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Mordechai Ciechanower
Der Dachdecker von Auschwitz-Birkenau
Im Shtetl
Mordechai Ciechanower wurde am 27.2.1924 in Makow Mazowiecki geboren.
Er wuchs im Shtetl der polnischen Kleinstadt auf, wo die Juden ungestört ihr
religiöses und kulturelles Leben führen konnten.
Der Vater handelte mit Soda, Limonade und Eiscreme. Schon früh half der Sohn im
Geschäft.
Außerhalb des Shtetl hatten die Juden mit den Ressentiments der polnischen
Katholiken zu kämpfen.
Mordechai Ciechanowers Eltern
Im Viehwaggon
Unter der Nazi-Herrschaft musste Mordechai Ciechanower in Arbeitslagern
schuften.
Zur sonntäglichen Belustigung ließen die deutschen Bewacher die Gefangenen
Zwangsexerzieren bis zum Umfallen.
Am 6. Dezember 1942 wurde das Ghetto von Mlawa geräumt; 3 500 Menschen
wurden nach Auschwitz deportiert, darunter Mordechai Ciechanower mit seiner
Familie.
Die Fahrt dauerte fünf Tage und fünf Nächte.
Viele überlebten diese qualvolle Reise nicht.
Mordechai Ciechanower am Mahnmal in Makow-Mazowiecki
Oisgematert
Meine Mutter war damals 44 Jahre alt, doch sie sah aus wie siebzig. Zuvor war sie eine
hübsche, optimistische Frau gewesen; aber was geschehen war, hatte sie sehr
mitgenommen. Das jiddische Wort „ojsgematert“ beschreibt das ganz gut. Ein Schleier
von Trauer umgab sie, auf ihrem Gesicht war kein Lächeln mehr zu erkennen.
An der Rampe von Auschwitz sah Mordechai Ciechanower seine Mutter zum letzten
Mal.
Die Selektion bedeutete auch für die beiden Schwestern das Todesurteil – die
Gaskammer.
In der Ferne sah ich noch, wie ihre Gestalten immer kleiner wurden, bis sie ganz
verschwunden waren.
Die Mutter
Kanadakommando
Als wir in der Nacht aus dem Zug stiegen, liefen SS-Leute mit Hunden und
Maschinengewehren auf dem Bahnsteig herum. Sie waren wie Wahnsinnige,
die uns mit mörderischen Blicken und mit Schlägen und Schüssen antrieben.
Jüdische Häftlinge vom Kanadakommando nahmen den Ankommenden ihre
wenigen Habseligkeiten ab, die sie mitführen durften.
Kanada-Kommando
Sonderkommando
Durch Zufall landete Mordechai Ciechanower im Dachdecker-Kommando.
Dort waren die Bedingungen etwas besser. Er kam überall herum und lernte
auch Männer des Sonderkommandos kennen, die die Leichen aus den
Gaskammern in die Krematorien schaffen mussten. Deren Aufstand und Flucht
scheiterte Anfang Oktober 1944.
Sonderkommando
Russische Lieder
Am 26.10.1944 wurde Mordechai Ciechanower nach Stutthof gebracht.
Sein Mandolinenspiel gab den Mithäftlingen Kraft im täglichen
Überlebenskampf, und er erhielt für sein Spiel zusätzliche Portionen Suppe, die
er mit seinem Freund Leibl-Chajt teilte.
Am 17. November 1944 wurde er zusammen mit 600 Männern nach
Hailfingen deportiert.
KZ Stutthof
Läuse
Mordechai Ciechaower musste in Hailfingen u.a. nach Bombenangriffen Blindgänger
ausgraben, die dann von Sprengstoffexperten entschärft wurden.
Wir lagen auf Stroh, das monatelang nicht ausgetauscht wurde. Es gab sehr viele
Läuse. Im Hangar standen drei Öfen. Abends schüttelten wir die Läuse aus unseren
Kleidern ins Feuer.
Die Essensrationen waren sehr knapp: Pro Tag gab es nur einen Liter Suppe und
einen Viertel Laib Brot.
KZ Hailfingen/Tailfingen
Eine Delikatesse
Mitte Februar 1945 kam Mordechai Ciechanower nach Dautmergen.
Es gab fast nichts zu essen. Ich hatte einen sehr guten Freund, und wir haben
bemerkt, dass die Kartoffelschalen in die Toilette geworfen wurden. Wir holten sie
heraus, haben sie gewaschen und in einer Blechdose gekocht. Das war eine
Delikatesse.
Dautmergen: Lagereingang und Krankenbaracke
Bergen-Belsen
Als Mordechai Ciechanower Ende März in dem KZ Bergen-Belsen eintraf, war die
Lage katastrophal. Bergen-Belsen war in den letzten Monaten des Krieges und noch
nach der Kapitulation ein „Sterbelager“.
Mordechai Ciechanower musste die Toten aus den Baracken holen und die Leichen
auf einen bereits bestehenden Leichenberg schleppen.
Er wog nur noch 36 kg, als er Mitte April von den Briten befreit wurde.
Bergen-Belsen: Überlebende beim Abtransport der Leichen
Nach Israel
Mordechai Ciechanower fand seinen tot geglaubten Vater in dem DP-Lager Feldafing
wieder.
Wir weinten beide wie kleine Kinder. „Wie bist du der Hölle entkommen?“, fragte mich
mein Vater. „Die Suppe, die Noach Wisoker mir gab, hat mich gerettet. Und du?“ –
„Frag’ Gott“, antwortete mir mein Vater. Wir umarmten und küssten uns. Mein Vater
sagte leise, er könne nun in Ruhe sterben, denn es genüge ihm, mich gesehen zu
haben.
Mit Hilfe von Verwandten, die in der britischen Armee dienten, gelangten die beiden
nach Israel.
Mordechai Ciechanower als „britischer“ Soldat
Auftrag der Überlebenden
Mit seiner Frau Dvora und den beiden Töchtern Rachel und Dafna lebt Mordechai
Ciechanower in Ramat Gan bei Tel Aviv.
Er hält die Erinnerung an die Juden von Mako Mazowiecki wach, indem er Vorträge
hält und Jugendgruppen nach Polen begleitet.
In seiner Autobiographie „Der Dachdecker von Auschwitz-Birkenau“ beschreibt er
seinen Leidensweg. Seine Botschaft an die Nachgeborenen: Gedenket und vergesset
nicht!
Mordechai und Dvora Ciechanower 2005
Bildnachweis
Harald Roth: 2
Mordechai Ciechanower: 3, 4, 5, 11 und 12
Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz bpk 30023420: 6
Auschwitz-Museum: 7
Stutthof: 8
Kurt Hinkelbein/USAF Historical Research-Center: 9
Pierre Lefèvre : "Les Déportés d'Argonne", Regnéville 2000, Foto: Suzanne Oswald: 10
Text: Volker Mall/Harald Roth
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