Die Aufsichtspflicht des Lehrers Dr. Armin Andergassen Landesschulrat für Tirol Rechtsgrundlagen Aufsichtserlass 2005 Erlass des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur über die Aufsichtspflicht des Lehrers vom 28. Juli 2005, BMBWK-10.361/0002III/3/2005 (Rundschreiben Nr. 15/2005) Schulordnung 1974 Verordnung des Bundesministers für Unterricht und Kunst vom 24. Juni 1974 betreffend die Schulordnung, BGBl. Nr. 373/1974 in der jeweils geltenden Fassung Schulunterrichtsgesetz 1986 Bundesgesetz über die Ordnung von Unterricht und Erziehung in den im Schulorganisationsgesetz geregelten Schulen, BGBl. Nr. 472/1986 (WV) – insbesondere § 51 Abs. 3 SchUG Einleitung Art 14 Abs. 6 B-VG 1929 Schulen sind Einrichtungen, die neben dem Bildungsauftrag auch einen umfassenden Erziehungsauftrag wahrzunehmen haben Kinder sind für die Zeit des Schulaufenthaltes der Obsorge der Erziehungsberechtigten entzogen – daher hat die Schule für die Beaufsichtigung der Kinder Sorge zu tragen Ziele der Beaufsichtigung Gewährleistung der Sicherheit der Schüler Verursachung von Schäden am Eigentum und an der Person anderer durch Schüler soll weitgehend hintan gehalten werden Schulrechtliche Bestimmungen – Aufsichtsverpflichtung § 51 Abs. 3 SchUG Der Lehrer hat die Schüler in der Schule 15 Minuten vor Beginn des Unterrichtes, in den Unterrichtspausen und unmittelbar nach Beendigung des Unterrichtes beim Verlassen der Schule innerhalb und außerhalb des Schulgebäudes zu beaufsichtigen, soweit dies Alter und geistige Reife erforderlich machen Auf die körperliche Sicherheit und Gesundheit der Schüler ist zu achten, Gefahren sind nach Kräften abzuwehren Dies gilt sinngemäß für Schulveranstaltungen, schulbezogene Veranstaltungen, die individuelle Berufs(bildungs)orientierung sowie den Betreuungsteil an ganztägigen Schulformen Ausnahme: Zeit zwischen dem Vormittags- und Nachmittagsunterricht Schulrechtliche Bestimmungen – Schulveranstaltungen Schulveranstaltungen (§ 13 SchUG) Aufgabe der Schulveranstaltungen ist die Ergänzung des lehrplanmäßigen Unterrichtes durch unmittelbaren und anschaulichen Kontakt zum wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Leben, durch die Förderung der musischen Anlagen der Schüler und durch körperliche Ertüchtigung Als Schulveranstaltungen kommen in Betracht: • • • • • • Lehrausgänge, Exkursionen, Wandertage, Sporttage, Berufspraktische Tage bzw. Berufspraktische Wochen, Sportwochen (zB Winter- und Sommersportwochen) Projektwochen (zB Wien-Aktion, Musikwochen, Ökologiewochen, Intensivsprachwochen, Kreativwochen, Schüleraustausch, Fremdsprachenwochen, Abschlusslehrfahrten) Schulrechtliche Bestimmungen – schulbezogene Veranstaltungen Schulbezogene Veranstaltungen (§ 13a SchUG) Zu schulbezogenen Veranstaltungen können solche erklärt werden, die den lehrplanmäßigen Unterricht zwar nicht unmittelbar ergänzen, jedoch auf diesem aufbauen, der Erfüllung der Aufgabe der österreichischen Schule dienen und eine Gefährdung der Schüler weder in körperlicher noch in sittlicher Hinsicht befürchten lassen Beispiele: • Wettbewerbe in einzelnen Gegenstandsbereichen (Sportwettkämpfe, Mathematikolympiaden) auf regionaler, aber auch überregionaler oder internationaler Ebene Schulrechtliche Bestimmungen – Berufs(bildungs)orientierung Individuelle Berufs(bildungs)orientierung (§ 13b SchUG) Diese ist in der 8. Schulstufe und in der Polytechnischen Schule vorgesehen und hat – aufbauend auf lehrplanmäßigem Unterricht – der lebens- und berufsnahen Information über die Berufswelt und über schulische und außerschulische Angebote der Berufsbildung zu dienen Beispiel: • Schnupperlehre Schulrechtliche Bestimmungen – Aufsichtsverpflichtung § 2 Abs. 1 Schulordnung Die Schüler haben sich vor Beginn des Unterrichtes am Unterrichtsort einzufinden Die Beaufsichtigung der Schüler ab der 7. Schulstufe darf entfallen, wenn dies im Hinblick auf die Gestaltung des Unterrichtes zweckmäßig ist und im Hinblick auf die körperliche und geistige Reife entbehrlich ist Die Beaufsichtigung der Schüler ab der 9. Schulstufe darf entfallen, wenn sie im Hinblick auf die körperliche und geistige Reife entbehrlich ist Schulrechtliche Bestimmungen – Aufsichtsverpflichtung Zeitlicher Geltungsbereich Die 15 Minuten vor Beginn des Unterrichtes Die Zeit des Unterrichtes Sämtliche Pausen mit Ausnahme der „Mittagspause“, das ist die Zeit zwischen dem Vormittags- und Nachmittagsunterricht Den Zeitraum während des Verlassens der Schule unmittelbar nach Beendigung des Unterrichtes Bei Schulen mit Tagesbetreuung (ganztägige Schulformen): zusätzlich die Zeit der Tagesbetreuung (Betreuungsteil) Den Zeitraum einer Schulveranstaltung Den Zeitraum einer schulbezogenen Veranstaltung Den Zeitraum einer Berufsbildungsorientierung Schulrechtliche Bestimmungen – Aufsichtsverpflichtung Inhalt der Aufsichtspflicht Der Lehrer hat auf die körperliche Sicherheit und auf die Gesundheit der Schüler zu achten und Gefahren nach Kräften abwehren Der Lehrer hat die Verpflichtung, körperliche bzw. wirtschaftliche Schädigungen dritter Personen bzw. deren Eigentum, ebenso wie etwa von Bundeseigentum, hintan zu halten Schulrechtliche Bestimmungen – Aufsichtsverpflichtung Umfang der Aufsichtspflicht Grundsätzlich besteht die Pflicht zur Beaufsichtigung hinsichtlich aller Schüler in den oben genannten Zeiträumen In gefährlichen Situationen ebenso wie in Klassen, in welchen sich Kinder mit Behinderungen oder verhaltensauffällige Kinder befinden, ist ein strengerer Maßstab anzulegen als in alltäglichen Situationen des Schulalltages Auch die geringere Erfahrung des Lehrers erfordert einen strengeren Maßstab Die Aufsichtsmaßnahmen werden auch vom Verhältnis der Anzahl der Aufsichtspersonen zur Anzahl der ihnen anvertrauten Schüler abhängig sein Dem Lehrer obliegt die Einschätzung, ob die Beaufsichtigung für Schüler ab der 9. Schulstufe auch ganz entfallen kann Eine besondere Regelung erfährt die Altersgruppe der Schüler auf der 7. und 8. Schulstufe. Hier kann die Aufsichtsführung bei Vorliegen der notwendigen körperlichen und geistigen Reife bereits auf dieser Altersstufe entfallen, sofern dies aus besonderen schulischen Gründen zweckmäßig ist Schulrechtliche Bestimmungen – Aufsichtsverpflichtung Sonderkonstellationen Finden Unterrichtsstunden anschließend an einen in der Schule stattfindenden Unterricht an einem anderen Ort (disloziert) statt, sind die Schüler an diesen Ort und zurück zur Schule zu führen • Findet ein solcher Unterricht in der letzten Schulstunde statt, so können Schüler ab der 7. Schulstufe unmittelbar vom Ort des Unterrichtes entlassen werden, sofern dies zweckmäßig und unbedenklich erscheint • Findet ein solcher Unterricht in der ersten Schulstunde statt, so kann, wenn dies zumutbar erscheint, ein anderer Treffpunkt als der Schulstandort bestimmt werden Bei Unfällen oder schweren Erkrankungen von Schülern während des Unterrichtes sind alle erforderlichen Maßnahmen unverzüglich zu treffen (Zuziehung eines Arztes, Transport in ein Krankenhaus, Verständigung des Schulleiters und der Erziehungsberechtigten) Bei leichten Verletzungen richten sich die zu ergreifenden Maßnahmen nach den für den Lehrer erkennbaren Grad der gesundheitlichen Beeinträchtigungen Schülerunfälle sind der AUVA anzuzeigen Schulrechtliche Bestimmungen – Aufsichtsverpflichtung Bei Entfall von Unterrichtsstunden, hat der Schulleiter für die Beaufsichtigung der Schüler bis zum stundenplanmäßig vorgesehenen Unterrichtsende zu sorgen • Eine „Generalermächtigung“ seitens der Erziehungsberechtigten, wonach die Schüler bei (Rand)Stundenentfall ohne vorhergehende Verständigung vorzeitig aus der Schule entlassen werden dürfen, ist nicht zulässig Wenn der Schüler in unterrichtsfreien Stunden, die nach dem jeweils geltenden Stundenplan zwischen Unterrichtsstunden gelegen sind, das Schulgebäude nicht verlässt, ist eine Beaufsichtigung einzurichten Die Schüler sind vor Gebrauch von Maschinen und Geräten, die eine Gefährdung verursachen können, auf die notwendigen Sicherheitsmaßnahmen aufmerksam zu machen Schulrechtliche Bestimmungen – Aufsichtsverpflichtung Stört ein Schüler den geordneten Ablauf einer Schulveranstaltung in schwer wiegender Weise oder wird durch sein Verhalten die eigene oder die körperliche Sicherheit der anderen Teilnehmer gefährdet, so kann der Leiter der Veranstaltung den Schüler von der weiteren Teilnahme ausschließen • Der Schulleiter und die Erziehungsberechtigten sind unverzüglich in Kenntnis zu setzen • Die Erziehungsberechtigten sind vor der Durchführung einer mehrtägigen Schulveranstaltung verpflichtet, eine Erklärung darüber abzugeben, ob sie im Falle des Ausschlusses ihres Kindes mit dessen Heimfahrt ohne Begleitung einverstanden sind oder für eine Beaufsichtigung während der Heimfahrt Sorge tragen werden Schulrechtliche Bestimmungen – Aufsichtsverpflichtung Schulautonome Möglichkeiten Inwieweit die Schüler früher als 15 Minuten vor Beginn des Unterrichtes im Schulgebäude anwesend sein dürfen, bestimmt die Hausordnung Eine Hausordnung kann vom Schulforum bzw. vom Schulgemeinschaftsausschuss erlassen werden Persönlicher Geltungsbereich § 44a SchUG Die Beaufsichtigung von Schülern in der Schule kann auch durch andere geeignete Personen als durch Lehrer oder Erzieher erfolgen, wenn dies zur Gewährleistung der Sicherheit für die Schüler erforderlich ist und im Hinblick auf die Erfüllung der Aufgaben der Schule zweckmäßig ist Träger der Aufsichtspflicht sind Lehrer, Unterrichtspraktikanten, Austauschlehrer, Fremdsprachenassistenten, Lehrbeauftragte, an Besuchs- und Praxisschulen unterrichtende Studierende an Pädagogischen Hochschulen, Übungskindergärtnerinnen bzw. Erzieher sowie sonstige geeignete Personen wie etwa Begleitpersonen oder Gastfamilien Den Schulleiter trifft das „Auswahlverschulden“ (culpa in eligendo) Sonderbestimmungen Außerschulische Veranstaltungen Privatveranstaltungen (zB abendliche Theaterbesuche oder Wochenend-Schiausflüge mit Schülern) sind weder Schulveranstaltungen noch schulbezogene Veranstaltungen iSd §§ 13 bzw. 13a SchUG Rechtsverhältnisse und Haftung des Lehrers richten sich in diesem Fall nach den Bestimmungen des Zivilrechtes Auch religiöse Übungen (zB Gottesdienste, Einkehrtage) sind keine Schulveranstaltungen noch schulbezogene Veranstaltungen iSd §§ 13 bzw. 13a SchUG Dienst- und Disziplinarrechtliche Aspekte § 43 Abs. 1 BDG 1979 Der Beamte ist verpflichtet, seine dienstlichen Aufgaben unter Beachtung der geltenden Rechtsordnung treu, gewissenhaft und unparteiisch mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln aus eigenem zu besorgen § 211 BDG 1979 Der Lehrer ist zur Erteilung regelmäßigen Unterrichtes (Lehrverpflichtung) sowie zur genauen Erfüllung der sonstigen aus seiner lehramtlichen Stellung sich ergebenden Obliegenheiten verpflichtet und hat die vorgeschriebene Unterrichtszeit einzuhalten. Die Aufsichtspflicht gehört zu den sonstigen aus der lehramtlichen Stellung des Lehrers sich ergebenden Obliegenheiten § 91 BDG 1979 Der Beamte, der schuldhaft seine Dienstpflichten verletzt, ist (nach dem 9. Abschnitt des BDG) zur Verantwortung zu ziehen Dienst- und Disziplinarrechtliche Aspekte § 5 VBG 1948 Der Vertragsbedienstete ist verpflichtet, die ihm übertragenen Arbeiten und Verrichtungen fleißig und gewissenhaft nach bestem Wissen und Können zu vollziehen § 29 LDG 1984 Der Landeslehrer ist verpflichtet, die ihm obliegende Unterrichts-, Erziehungs- und Verwaltungsaufgaben unter Beachtung der geltenden Rechtsordnung treu, gewissenhaft und unparteiisch mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln aus eigenem zu besorgen § 69 LDG 1984 Landeslehrer, die schuldhaft ihre Dienstpflichten verletzen, sind (nach den Bestimmungen des 7. Abschnittes des LDG) zur Verantwortung zu ziehen Aufsichtsführung und Zivilrecht Eine zivilrechtliche Haftung im Rahmen der Aufsichtspflicht ist im Hinblick auf die gesetzliche Unfallversicherung der Schüler für den Lehrer selbst von verhältnismäßig geringer Bedeutung Die Haftung des Lehrers bzw. einer anderen Aufsichtsperson iSd § 44a SchUG gegenüber dem Geschädigten ist grundsätzlich ausgeschlossen Aufsichtsführung und Zivilrecht Amtshaftungsgesetz (AHG) Bund haftet nach den Bestimmungen des AHG für den Schaden, den der Lehrer oder eine andere Aufsichtsperson iSd § 44a SchUG in Vollziehung des Schulrechts des Bundes durch rechtswidriges Verhalten wem immer schuldhaft zugefügt haben Haftungssubjekt ist der Bund Unter Vollziehung der Gesetze ist ein Verhalten zu verstehen, das auf Grund von Gesetzen und Durchführungsverordnungen gesetzt worden ist oder pflichtgemäß zu setzen gewesen wäre Organe sind alle physischen Personen, wenn sie in Vollziehung der Gesetze handeln Aufsichtsführung und Zivilrecht Der Rechtsträger kann von Personen, die als seine Organe gehandelt und die Rechtsverletzung vorsätzlich oder grob fahrlässig verübt oder verursacht haben, Rückersatz begehren • Begriff Vorsatz – Vorsätzlich handelt, wer einen Sachverhalt verwirklichen will, der einem gesetzlichen Tatbild entspricht • Begriff Fahrlässigkeit – Außerachtlassung der gebotenen Sorgfalt – Ein Verhalten ist leicht fahrlässig, wenn es auf einem Fehler beruht, der gelegentlich auch einem sorgfältigen Menschen unterläuft – Dagegen liegt grobe Fahrlässigkeit vor, wenn die Sorgfaltswidrigkeit so schwer ist, dass sie einem ordentlichen Menschen in dieser Situation keinesfalls unterläuft Kein Rückersatz wegen einer Handlung, die auf Weisung eines Vorgesetzten erfolgt ist Aufsichtsführung und Zivilrecht Organhaftung (OrgHG) Eine in Vollziehung des Schulrechts handelnde Aufsichtsperson haftet für den Vermögensschaden, den sie dem Bund durch schuldhaftes und rechtswidriges Verhalten zugefügt hat Organ haftet dem Bund schon bei leichter Fahrlässigkeit Im Gegensatz zur Amtshaftung, die einen geschädigten Dritten voraussetzt, hat die Organhaftung nur das Verhältnis zwischen Organ und geschädigtem Rechtsträger (Bund) zum Gegenstand Aufsichtsführung und Strafrecht Im Zusammenhang mit der Aufsichtspflicht sind auch die Bestimmungen des Strafgesetzbuches von Bedeutung Bei Schülerunfällen können die Tatbestände der fahrlässigen Körperverletzung oder der fahrlässigen Tötung (§§ 88, 80 StGB) gegeben sein Aufsichtsführung und Strafrecht § 80 StGB: Wer fahrlässig den Tod eines anderen herbeiführt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr zu bestrafen § 88 Abs 1 StGB: Wer fahrlässig einen anderen am Körper verletzt oder an der Gesundheit schädigt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen zu bestrafen Beispiel: OGH 15 Os 68/03