I. Metaphysik des Sozialen

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I. Das Rätsel der sozialen Wirklichkeit
II. Metaphysik und Metaphysikkritik
III. Historischer Überblick
IV. Die drei Domänen der Wirklichkeit
V. Konzepte der Korrelation
VI. Zwischen Naturalismus und metaphysischem
Sozialismus
VII. Der Begriff der sozialen Tatsache
VIII.Gemeinsamer Geist (kollektive
Intentionalität)
IX. Objektiver Geist: Institution und Kultur
Rückblick:
Kollektive Intentionalität
• Adäquatheitsbedingungen: individuelle intentionale
Autonomie und phänomenale Separation
• Geschichte und gegenwärtige Konzepte
• Kollektivität in Gehalt, Modus und Subjekt
Metaphysik des Sozialen – IX – Objektiver Geist
IX.
Objektiver Geist
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2/15/2017
Kollektive Intentionalität und soziale Fakten
Institutionelle und physische Wirklichkeit: eine
Kontroverse
Der Begriff der Kultur
Hans Bernhard Schmid
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Metaphysik des Sozialen – IX – Objektiver Geist
i. Kollektive Intentionalität
und soziale Norm
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Die Träger kollektiver intentionaler Zustände treten einander in der
Haltung normativer Erwartung entgegen („zählen auf“ statt „rechnen
mit“)
Das Unterhalten normativer Erwartungen ist das Elementarphänomen
des „Zuunszählens“ eines anderen Wesens.
Konventionen gerinnen über Habitualisierung zu sozialen Normen.
Von der Konvention über den Brauch zur Sitte: die Sanktionierung
devianten Verhaltens
Von der Sitte zur Moral und zum Recht: Rekurs auf Geltungsgründe
(Autorität, Prinzip oder Verfahren)
2/15/2017
Hans Bernhard Schmid
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Metaphysik des Sozialen – IX – Objektiver Geist
ii. Kollektive Intentionalität
und soziale Substanz
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Die Träger kollektiver intentionaler Zustände sind ein (ev. nichtsubstantielles) Kollektivsubjekt.
Die Reflexion auf die Erfahrung der Enttäuschung normativer Erwartungen
rückt die unterstellte Kollektivität ins Bewusstsein. Ein Bewusstsein der
Kollektivität der Intentionalität seitens der Mitglieder ist ein WirBewusstsein. Kollektive mit Wir-Bewusstsein sind Gruppen.
Eine Gruppe ist eine soziale Substanz, soweit sich das Wir-Bewusstsein
nicht auf die Identität der Mitglieder sondern auf die Teilnahme an
gemeinsamen Haltungen bezieht.
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Hans Bernhard Schmid
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Metaphysik des Sozialen – IX – Objektiver Geist
Konsequenzen für die Klassifikation sozialer
Substanzen und den Begriff kollektiver Identität
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Nicht-substantielle Kollektivität ist fundamentaler als soziale Substanz
„Kollektivsubjekt“ ist eine fundamentalere Kategorie als „Gruppe“.
„Gruppe“ ist eine fundamentalere Kategorie als „Nicht-gruppenartiges
Kollektiv“
Kollektive Identität ist weder „Schicksalsfrage“ bzw. eine Sache
unverfügbarer Vorgegebenheiten, noch kann sie einfach „produziert“ bzw.
„imaginiert“ werden
Kollektive Identität ist im Grunde eine Sache routinisierter
Koordinationspraxen
Kollektive Identität und Wir-Bewusstsein können divergieren (Unterschied
von „Gesellschaftsstruktur“ und „Semantik“ der gesellschaftlichen
Selbstbeschreibung; Möglichkeit der Kritik des Wir-Bewusstseins)
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Hans Bernhard Schmid
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Metaphysik des Sozialen – IX – Objektiver Geist
iii. Kollektive Intentionalität und soziale
Eigenschaften
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Soziales „Behandeln-Als“ und das Phänomen der kollektiven Akzeptanz;
der Mensch als „animal symbolicum“ (Cassirer); vom Zeug zum Zeichen
- Die Grundstruktur der institutionellen Wirklichkeit: die konstitutive Regel
(„X zählt als Y in K“)
- Der objektive Geist: Zeug, Zeichen und Werk
- Das soziale „Behandeln-Als“ von Personen (soziale Rolle als deontischer
Status): von der Macht zur Herrschaft
 Grundfrage: wie ist das Verhältnis von sozialen Status und physischer
Wirklichkeit?
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Hans Bernhard Schmid
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Metaphysik des Sozialen – IX – Objektiver Geist
Statusfunktion, Sprache und physische
Welt: eine Kontroverse - I
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Searle 1995: der Ansatz bei der kollektiven Akzeptanz konstitutiver Regeln
(„X zählt als Y in Kontext K“);
- Logischer Vorrang physischer Fakten vor sozialen Fakten
- Institutionelle soziale Fakten bleiben kraft kollektiv mentaler
Zustände auf Physisches bezogen; damit wird die Einheit der
Wirklichkeit verständlich
- Genetische Plausibilität: das Paradigma der verfallenden Grenzmauer
Der Einwand (Barry Smith 2007): freistehende Y-Terme; Bsp. künstliche
Grenzen, Blindschach, Firmen
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Hans Bernhard Schmid
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Metaphysik des Sozialen – IX – Objektiver Geist
Statusfunktion, Sprache und physische
Welt: eine Kontroverse - II
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Searles Reaktion auf Smith‘ Einwand: von der kollektiven Akzeptanz
konstitutiver Regeln zur Statusfunktionsdeklaration (Deklaration:
Schaffung eines Sachverhalts durch Repräsentation eines Sachverhalts im
propositionalen Gehalt des Sprechakts)
- Möglichkeit von „freistehenden Y-Termen“
- „X zählt als Y“ als Spezialfall der Statusfunktionsdeklaration
- Kollektive Akzeptanz als generiert durch Deklarationsmacht
- Linguistische Natur der institutionellen Wirklichkeit
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Hans Bernhard Schmid
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Metaphysik des Sozialen – IX – Objektiver Geist
Statusfunktion, Sprache und physische
Welt: eine Kontroverse - III
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Zur Kritik an Searle 2008 und Verteidigung von Searle 2005: vier Thesen:
1. „Deklaration“ ist ein Sprechakt; Searle hat die konstitutive Regel „X zählt als Y in K“ zur
Erklärung der Struktur linguistischer Praxis entwickelt; soweit diese Erklärung richtig ist,
kann „X zählt als Y in K“ nun nicht selbst ein Spezialfall einer linguistischen Praxis sein.
2. Alle Y beruhen auf kollektiver Akzeptanz voraus, aber nicht alle Y beruhen auf
Deklarationen  Argument: Deklarationsmacht beruht selbst auf kollektiver Akzeptanz,
während das umgekehrte nicht gilt
3. Basale vorlinguistische Y sollten nicht a priori ausgeschlossen werden  Argument: die
basalen sozialen Status sind Mitgliedschaft, Eigentum, Führerschaft ( Gesellschaft,
Wirtschaft, Politik) sind von physischen Tatsachen abgeleitet)
4. Für paradigmatische Fälle von angeblich „freistehenden“ Y gibt es durchaus ein X. 
drei Annahmen: a. die konstitutive Regeln kann iteriert werden (setzt Sprache voraus!);
b. das X muss temporal nicht koextensiv sein mit dem Y; c. das X kann wechseln, ohne
das Y zu affizieren.  Argument: das X kann ein Komplex von ephemeren Fakten sein.
Soziale Akteure akzeptieren Y oft, ohne viel über das zugrundeliegende X zu wissen.
Das heißt aber nicht, dass es in diesen Fällen kein X gibt!
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Metaphysik des Sozialen – IX – Objektiver Geist
Statusfunktion, Sprache und physische
Welt: eine Kontroverse - IV
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Searle2008‘s Reaktion auf die Kritik:
- In den paradigmatischen Fällen institutioneller Wirklichkeit
repräsentiert das X das Y, statt als Y zu zählen. „Repräsentieren“ und
„zählen als“ sind verschiedene Relationen.  Beispiel: der Geldschein
zählt als Geld, die Magnetspur auf den Festplatten in den
Bankcomputern repräsentieren Geld.
- Gegenargument: im paradigmatischen Fall ist diese Unterscheidung
völlig arbiträr: Beispiel: halbzerstörte Geldscheine werden von der
Nationalbank ersetzt; wenn alle Magnetspuren gelöscht werden und
der Kontostand nicht rekonstruiert werden kann, dann ist nicht bloß
die Repräsentation des Geldes weg, sondern das Geld selbst.
Schlussfolgerung: die Statusfunktionsdeklaration ist ein Spezialfall der
kollektiven Akzeptanz einer konstitutiven Regel, und nicht umgekehrt!
Searle 1995 behält recht gegen Searle 2008.
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Metaphysik des Sozialen – IX – Objektiver Geist
Der Begriff der Kultur
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Kultur als Imitation: Gabriel de Tarde und die moderne Memetik (Richard
Dawkins, Daniel Dennett)
Konsequenz dieses Kulturbegriffs: Kultur ist nicht wesentlich sozial
Die „Tragödie der Kultur“: Verselbständigung kultureller Gehalte; das
„Eigenleben“ der Kultur
Kritik des memetischen „Perspektivenwechsels“: das Mem als Sinneinheit
Soziale Kultur: Tradition
Tradition und Gemeinschaft
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Hans Bernhard Schmid
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Metaphysik des Sozialen – IX – Objektiver Geist
Schluss:
Das Rätsel der sozialen Wirklichkeit - und seine
„Lösung“
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Das Grunddilemma des Begriffs sozialer Wirklichkeit: das Verhältnis von
Fiktion und Faktum des Sozialen
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Das Dilemma von Konstruktion und Konvention (Rätsel der Intersubjektivität)  das
Phänomen der gemeinsamen Einstellung
Das Dilemma von Verbindlichkeit und Willkür (Rätsel der Stabilität)  Normativität steckt
schon im Begriff der gemeinsamen Einstellung
Das Dilemma von Hermeneutik und Strukturanalyse (Rätsel der Diskontinuität/Externalität)
 Nicht-intendierte Nebenfolgen individuellen und gemeinsamen Handelns; Kluft zwischen
reflexivem Wir-Bewusstsein und vorreflexiver intentionaler Gemeinsamkeit;
„Verselbständigung“ der Kultur
Eine Vermutung: der Schein der Rätselhaftigkeit, der das Soziale umgibt,
gründet in einem anti-sozialen Selbstverständnis: einem individualistisch
verkürzten Begriff des Mentalen
Die Individualitätssemantik: Verklammerung von Einzelheit und
Allgemeinheit; das Überspringen der Gemeinsamkeit
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Hans Bernhard Schmid
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