Jakob Tetens1 & Paul Probst23 Sozialkommunikatives Förderprogramm für Kinder und Jugendliche mit Autismus: Systematische Fallstudie an einem 12-jährigem Jungen unter besonderer Berücksichtigung musiktherapeutischer Prozesse. Abstract Activities of music therapy were adopted within a social communication enhancement program for individuals with Autism Spectrum Disorders. Components of improvisation such as imitating, synchronizing, incorporation, placing and clarifying are described concerning their communicative effects in single- and group-settings. The data base consists of transcripts of 21 hour-long contacts with a 12 year old boy. Results of this single-case-study indicate the applicability of music providing processes of social communication. A middle-ground-approach between flexible and structured facilitation is emphasized. Zusammenfassung Im Rahmen eines psychologisch-pädagogischen Förderprogramms für Kinder und Jugendliche mit Autismus Spektrum Störung wurden musiktherapeutische Aktivitäten zur Förderung der Sozialkommunikation eingesetzt. Eine Prozessevaluation beschreibt die kommunikative Wirkung der Improvisationskomponenten Imitating, Synchronizing, Incorporation, Placing und Claryfying in Gruppen- und Einzelsituationen. Verlaufsprotokolle der 21 einstündigen Kontakte mit einem 12 jährigen Jungen bilden hierbei die Datenbasis. Die Ergebnisse dieser systematischen Einzelfallanalyse zeigen, dass Musik als Ergänzung verbaler Kommunikation geeignet ist, Prozesse sozialer Kommunikation zu initiieren und aufrechtzuerhalten. Die Bedeutung eines MiddleGround-Ansatzes offener und strukturierter Fördermethoden wird betont. Keywords: Autistic Spectrum Disorder, social communication, music therapy, improvisation, middle ground 1 FB Erz.-Wiss. Univ. Hamburg 2 FB Psych., Univ. Hamburg 3 Eingereicht: Musiktherapeutische Umschau, 17-03-2008; Revision: 11-07-2008, angenommen: 06-12-2008, erschienen 2009, Heft 1,, MU, 30, 31-41. 481352947 2 1. Theoretischer Hintergrund Autismus-Spektrum-Störungen (ASD) sind dadurch gekennzeichnet, dass sich spezifische kognitive, sprachliche und motorische Fähigkeiten nicht dem normalen Entwicklungsverlauf von gesunden Kindern entsprechend ausbilden (Kusch & Petermann 2000). Bei Menschen mit ASD zeigen sich häufig Wahrnehmungs- und Deutungsschwierigkeiten im Bereich der Sozialen Kommunikation, worunter sowohl verbale und nonverbale Kommunikation als auch soziale Interaktion fallen. Sie entwickeln eine meist stereotype und routinierte Form der Kommunikation, ein emotionaler oder informativer Austausch spielt dabei kaum eine Rolle. Hinsichtlich der sozialen Interaktion sind eine eher instrumentell motivierte Kontaktaufnahme sowie ein Defizit in der sozialen Aufmerksamkeit (joint attentions) charakteristisch (Carter et al. 2005). 1.1 Musiktherapeutische Förderung bei ASD In Hinblick auf die Förderung der sozialen Kommunikation von Menschen mit ASD finden sich in der internationalen Fachliteratur vermehrt Hinweise auf die Wirksamkeit musiktherapeutischer Programme (Wigram & Gold 2006; Shore 2002). Folgende Indikatoren sprechen für den Einsatz musiktherapeutischer Methoden: a) Musik kann als eigenständiges Kommunikationssystem angesehen werden, wodurch Defizite im Bereich verbaler Kommunikation möglicherweise kompensiert werden können (Bunt 1998); b) Musik lässt sich als Variationskunst verstehen, die einerseits am Routinebedürfnis autistischer Menschen ansetzen, andererseits stereotype Strukturen schrittweise modifizieren kann (Smeijsters 2001); c) Die indirekte Kontaktaufnahme innerhalb musikalischer Aktivitäten kann einen sicheren Raum für Interaktion schaffen und kommt somit dem Bedürfnis vieler autistischer Personen entgegen (Bruhn 2000); d) Über die musikalische Aktivität zwischen dem autistischen Menschen und der Bezugsperson lässt sich die Motivation zur sozialen Kommunikation anregen ("IsoPrinzip", Schumacher 1994); e) Kommunikations- und Interaktionsprozesse mit Hilfe des Mediums Musik können die emotionale Stabilisierung und Stressbewältigung unterstützen (Prizant et al. 2006). Für eine aktive Musiktherapie ist die musikalische Improvisation von zentraler Bedeutung. Denn „Improvisation bietet in der therapeutischen Arbeit mit autistischen 2 481352947 3 Kindern die Möglichkeit, an dem, was das Kind verbal, instrumental oder auch durch Bewegung einbringt, anzuknüpfen und in der Interaktion mit ihm weiterzuentwickeln.“ (Weber 1999, S. 72). Die Arbeit wird relativ frei gestaltet, indem nur die Anfangsstimmung oder ein Start-Bild festgelegt sind, die weitere Entwicklung der Sitzung jedoch weitgehend offen bleibt. In der vorliegenden Arbeit wurde sowohl mit strukturierten Improvisationen (z.B. bekanntes Kinderlied als Basis) als auch mit offenen Improvisationen (z.B. Äußerung des Klienten als Impuls für gemeinsame musikalische Aktivitäten) gearbeitet. Im weiteren Verlauf überlassen sich die beteiligten Personen dem freien Spiel und der Assoziation, was Vertrauen in den Therapeuten und die Situation voraussetzt. Musiktherapeutische Improvisationen lassen sich in folgende Komponenten differenzieren (Bruhn 2000): a) Imitating (IM) – Die Bezugsperson versucht, die musikalischen Impulse seines Gegenüber zeitlich versetzt genau nachzuahmen; b) Synchronizing (SY) - Gemeinsames Spiel; c) Incorporation (INC) - Übernahme eines Spielmotivs mit anschließender Variation; d) Placing (PL) – Die Bezugsperson passt sich der Spielart des Gegenüber an; e) Claryfying (CL) - In der Improvisation vermittelte Informationen werden verbal überprüft. Diese fünf Komponenten können als spezifische Formen sozialer Kommunikation verstanden werden, wobei die kommunikative Aktivität der Beteiligten jeweils unterschiedlich zum Tragen kommen. So ist beim IM oder PL und zunächst auch bei der INC die Bezugsperson der Hauptakteur der Kommunikation. Trotzdem werden Handlungen des Klienten von Anfang an mit berücksichtigt und sind die Basis für weitere Kommunikationsprozesse. SY sowie CL sind dagegen als aktive Kommunikation auf beiden Seiten charakterisiert, wobei ersteres hauptsächlich auf nonverbale Kommunikation und letzteres vor allem auf verbale Kommunikation abzielt. Transformationsprozesse zwischen den einzelnen Komponenten sind nahe liegend und insofern sich kommunikative Situationen nur schwer einer einzelnen Komponente zuordnen lassen, sollen sie in der vorliegenden Arbeit in einen systematischen Zusammenhang gebracht werden. 1.2 Fragestellung Ausgehend von der Tatsache, dass im deutschsprachigen Raum zwar verschiedene praktische Förderkonzepte für Menschen mit ASD existieren, jedoch Evaluationsstudien 3 481352947 4 über umfassende Förderprogramme (Häußler 2005) und insbesondere Konzepte, die strukturierte und offene musiktherapeutische Settings kombinieren, bislang eher selten sind (Schreiber & Kühn 2004), war es Ziel des psychologisch-pädagogischen Forschungsprojektes, ein solches Programm systematisch zu evaluieren. Folgende sechs Bausteine wurden in das Programm integriert: a) Visuell-Strukturiertes Lernformat; b) Natürliches Lernformat; c) Einzel- und Gruppenförderung; d) Familienbezogene Förderung; e) Spieltherapeutische Förderung; f) Musiktherapeutische Förderung. Es wurden Methoden der qualitativ-quantitativen Verhaltensbeobachtung eingesetzt sowie eine systematische Prozessevaluation durchgeführt (vgl. Probst et al. 2007). Die vorliegende Einzelfallanalyse konzentriert sich auf die Prozessevaluation der musiktherapeutischen Aktivitäten. Dabei ist folgende Fragestellung leitend: Welche Auswirkungen hatten die eingesetzten Methoden einer aktiven Musiktherapie in strukturierten und offenen Settings auf das sozialkommunikative Verhalten des Klienten und welche Bedeutung kommt dabei den spezifischen Komponenten des IM, SY, INC, PL und CL zu? 2. Methoden Im folgenden Abschnitt werden einige Angaben gemacht zum diagnostischen Profil des Klienten, zum Curriculum, den verwendeten Evaluationsmethoden sowie der Durchführung. 2.1 Diagnostische Daten Der Klient M ist männlich und war zum Zeitpunkt der Förderung 12 Jahre alt. Er geht als Integrationsschüler in eine Regelschule, muss dort jedoch von einem Zivildienstleistenden unterstützt werden. M lebt zusammen mit seiner jüngeren Schwester bei der allein erziehenden Mutter. Der Klient spricht mittlerweile aktiv und mit einem relativ großen Wortschatz. Seine Lieblingsbeschäftigung war lange Zeit vor allem Fernsehen, mittlerweile malt der Klient aber auch gerne oder hört Musik. Dieses Interesse an Musik war ein wichtiger Indikator für die Fokussierung auf musiktherapeutische Methoden innerhalb der Förderung. M ist in seinem Verhalten allgemein sehr aktiv, aus diesem Grund fordert er auch meistens die volle Aufmerksamkeit seines Gegenübers. Kontakte zu Gleichaltrigen bestanden und bestehen trotz der zeitweiligen Unterbringung in einer Kindertagesstätte bis heute kaum. 4 481352947 5 Sowohl das Diagnostische Interview für Autismus - Revidiert (Bölte et al. 2006) mit der Mutter als auch die Ergebnisse der Diagnostischen Beobachtungsskala für Autistische Störungen - Modul 3 (Rühl et al. 2004) bestätigten die Diagnose einer AutismusSpektrum-Störung nach ICD-10. Beim Intelligenztest HAWIK-III (Tewes et al. 1999) kam M im Gesamt-IQ auf 76 Punkte, womit die Diagnose einer leichten Intelligenzminderung gestellt werden kann. Die Differenz zwischen dem Handlungs-IQ mit 97 und dem Verbal-IQ mit 52 Punkten macht die unebene Intelligenstruktur des Klienten deutlich. Die Ergebnisse der Diagnostik begründen eine Fokussierung der Förderung auf die sozialkommunikativen Fähigkeiten. Folgende Ziele wurden sowohl für die Einzelsituationen mit Klient M als auch für die Gruppensituationen formuliert: a) Regelspiele (z. B. Memory); b) Symbolspiele (z. B. Bilderbuch betrachten); c) Musikalische Improvisation mit höherem Strukturierungsgrad (Singen und rhythmisches Begleiten von Liedern). In der Einzelförderung kam folgendes Ziel hinzu: d) Musikalische Improvisation mit geringerem Strukturierungsgrad (Gemeinsame Improvisation auf Instrumenten, z.B. Trommel). Für die Gruppensituationen wurde zusätzlich als Ziel festgelegt: e) Stärkung der reaktiven verbalen und nonverbalen Kommunikation mit Bezugspersonen und Peers (z.B. gemeinsames Begrüßungs- und Abschlussritual). Es nahmen außer M noch zwei weitere Personen mit ASD am Programm teil. Klientin S war zum Zeitpunkt der Durchführung 23 Jahre alt. Bei ihr wurden eine autistische Störung sowie eine schwere geistige Behinderung diagnostiziert. S ist in ihrem Verhalten sehr zurückhaltend und ihre verbalen Fähigkeiten beschränken sich auf wenige Worte. Klient L war zum Zeitpunkt der Förderung 11 Jahre alt und besuchte die 5. Klasse einer Förderschule. Auch bei L wurden eine autistische Störung sowie eine zusätzliche Intelligenzminderung diagnostiziert. Die expressive Sprache des Klienten besteht aus einfachen Drei-Wort-Sätzen und er verwendet häufig Echolalie. 2.2 Curriculum Das Förderprogramm setzt sich aus den oben genannten sechs Bausteinen zusammen. Der Ablauf der Sitzungen war folgendermaßen aufgebaut: a) Begrüßungsrunde: Hier 5 481352947 6 wurden ein ritualisiertes Begrüßungslied sowie weitere Lieder gesungen und teilweise von den Klienten mit Trommeln und Rasseln begleitet; b) Gruppenspiel: Es wurden verschiedene Konstruktions-, Regel- und Symbolspiele durchgeführt; c) Einzelförderung: Folgende Aktivitäten fanden statt: strukturierte bzw. offene Improvisation, Malen, Memory-Spiel, etc.; 4. Abschlussrunde: Die Sitzung wurde mir einem ritualisierten Abschlusslied beendet (vgl. Probst et al. 2007). 2.3 Evaluationsmethoden Es wurde eine qualitative Prozessevaluation mittels Verlaufsprotokollierung auf der Grundlage von Videodaten der einzelnen Sitzungen durchgeführt. Diese Methode ist dadurch gekennzeichnet, dass erlebte bzw. beobachtete Handlungen während einer bestimmten Zeitspanne in ihrem ununterbrochenen Ablauf mit Hilfe der Umgangssprache systematisch aufgezeichnet werden (Fassnacht 1995). Das Videomaterial half hierbei als Gedächtnisstütze. Ausgewertet wurden die Protokolle in Anlehnung an die Qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring (2007). Als Analysetechnik wurde die Zusammenfassung gewählt. Hierbei wurden deduktive Kategorien verwendet, die sich aus dem Curriculum bzw. der Fragestellung ableiteten. Diese Kategorien wurden in drei Ebenen differenziert (s. Abb. 1). Abb. 1: Kategoriensystem 6 481352947 7 2.4 Durchführung Insgesamt wurden 20 einstündige Förder-Sitzungen mit den Klienten M, S und L unter der Leitung von drei Diplomanden aus der Psychologie bzw. Erziehungswissenschaft durchgeführt. Die Treffen fanden im Jahr 2005 über 6 Monate einmal wöchentlich in Räumen der Universität Hamburg statt. Ergänzend gab es 3 Elterngespräche im Umfang von je 2 Stunden. 3. Ergebnisse Der Klient zeigte den Bezugspersonen gegenüber von Anfang an ein aufgeschlossenes Verhalten, indem er häufig verbal kommunizierte. Ein Kontakt zu den anderen Teilnehmern gelang trotz wiederholter Initiierung seitens der Bezugspersonen jedoch nur ansatzweise. In der Mehrzahl der Sitzungen war M aktiv am Programm beteiligt, wobei er hin und wieder Tendenzen zu Selbstbezogenheit sowie zu provozierenden Verhaltensweisen zeigte. Diese problematischen Handlungsmuster traten in der Gruppe häufiger auf als in der Einzelförderung, was sich dadurch erklären lässt, dass der Klient in letzteren mehr direkte Aufmerksamkeit von den Bezugspersonen bekam. So konnte in der Einzelförderung besser auf spezifische Bedürfnisse und Forderungen des Klienten eingegangen werden, was wiederum zu mehr Kommunikations- und Kooperationsbereitschaft führte (Tetens 2006). 3.1 Gruppensituation: Strukturierte Improvisation Während dieser Situationen zeigte M einige Male soziale Kommunikation in Form eines SY: So konnte er nach einem Blick auf den graphischen Ablaufplan die Instrumentenkiste selbständig holen, ein Instrument auswählen (z.B. Rassel) und das von den übrigen Anwesende gesungene Lied rhythmisch begleiten. Besonders ausdauernd war dieses gemeinsame Spiel, wenn die Lieblingslieder des Klienten („Affenbande“, „Schlumpflied“, Zuckowski 1996) gesungen wurde. In diesen Situationen griff der Klient meist zur großen Trommel und schlug den Takt. Dadurch, dass sich die Gruppe teilweise an das Tempo von M anpasste (PL) bzw. musikalische Variationsmöglichkeiten („nächste Strophe leise/laut etc.) verbalisiert wurden (CL), kann hier von einer Kombination aus SY, PL und CL ausgegangen werden. In einer 7 481352947 8 anderen Situation ging der Klient von sich aus auf eine Bezugsperson zu, die das Abschlusslied auf der Gitarre begleitete. Er zupfte mit den Fingern die Saiten, während die Bezugsperson Harmonien griff. Dieses gemeinsame Spiel sowie die notwendigen Prozesse der nonverbalen Aushandlung bzw. musikalischen Anpassung lassen sich ebenfalls als sozialkommunikative Trilogie aus SY, PL und CL fassen. 3.2 Gruppensituation: Offene Improvisation In diesem Zusammenhang sind vor allem zwei Aktivitäten zu nennen: Erstens etablierte sich im Rahmen offener Improvisationen ein so genanntes fallendes bzw. explodierendes Lied. Diese frei erfundenen Improvisationen entstanden in den Einzelsituationen mit Klient M, wurden aber auf seine Forderungen („Ein fallendes Lied!“) hin auch in einige Gruppensituationen integriert. Dabei handelt es sich um von der Bezugsperson auf der Gitarre gespielte Akkorde, die absteigend aneinander gereiht werden – beim fallenden Lied – oder aber um ein über verschiedene Akkorde laufendes Crescendo, das sich in einem wilden Schlussakkord entlädt – beim explodierenden Lied. Häufig wurde dieses Lied begleitet vom Trommelspiel des Klienten, der sich in Rhythmus und Tempo anpasste. Auch hier wurden mehrere Komponenten der Improvisation in Beziehung gesetzt, und zwar in einer spezifischen Richtung: Ausgehend von einer verbalen Kommunikation (CL) begann die Bezugsperson mit der Improvisation, worauf wiederum der Klient mit der Trommel einstieg (gespiegeltes PL). Hieraus ergaben sich kommunikative Formen des SY sowie der INC (Variation: leises/lautes Lied etc.), die wiederum mittels CL (z.B. B: „Soll ich das Lied noch mal spielen?“; Klient M: „Ja, ein fallendes Lied!“) aufrechterhalten wurden. Zweitens wurden die Klienten im Rahmen der Gruppensituationen aufgefordert, sich mit verschiedenen Instrumenten (Rasseln, Keyboard etc.) zu beschäftigen und ihre Funktion sowie ihren Klang zu erkunden. Auch in diesem Zusammenhang waren in einigen Situationen nonverbale Prozesse des PL (vom Therapeuten angestrebtes Zusammenspiel) sowie verbale Prozesse des CL (Gespräch über Instrumente) beobachtbar. Neben diesen erfolgreichen Situationen in Hinblick auf eine sozialkommunikative Förderung ergaben sich allerdings auch einige Schwierigkeiten, die fast ausschließlich innerhalb der Gruppenförderung auftraten: So war die Kommunikationsbereitschaft von 8 481352947 9 Klient M stark abhängig von spezifischen Liedern wie z.B. „Affenbande“ (Zuckowski 1996). Bei anderen (z.B. „An der Nordseeküste“, Zuckowski 1996) neigte er sowohl zu Selbstbezogenheit (M zupft auf Gitarre, ohne beobachtbaren Kontakt zu den anderen) als auch zu ausgeprägt unruhigem und teilweise provokant erscheinenden Verhaltensweisen (Herumrennen, Lichtschalter betätigen etc.). In solchen Situationen erwies sich eine flexible, situative Handlungsreaktion seitens der Bezugspersonen als relevant. Denn über das breite Spektrum an musikalischen und anderen Aktivitäten war es möglich, auf spezifische Bedürfnisse und Affinitäten des Klienten einzugehen, z.B. über die Integrierung des fallenden Liedes in die Gruppensituation. Zum anderen konnten dem Klienten Alternativen zur musikalischen Kommunikation angeboten werden wie z.B. Malen. 3.3 Einzelsituation: Strukturierte Improvisation Im Vergleich zur strukturierten Improvisation innerhalb der Gruppensituationen zeigte der Klient während der Einzelförderung deutlich mehr Bereitschaft zur aktiven Mitarbeit und entsprechend aktive Kommunikation (Tetens 2007). Auch dort standen vor allem Lieder wie z.B. das „Schlumpflied“ (Zuckowski 1996) auf dem Programm, die von der Bezugsperson gesungen und auf der Gitarre begleitet wurden und zu denen M zumeist auf der großen Trommel den Takt schlug. Hier standen kommunikative Aspekte des SY, PL und CL gleichberechtigt nebeneinander. Erwähnenswert ist eine sich während der spieltherapeutischen Aktivität Gespräch/Geschichte erfinden ergebende Situation: Aufbauend auf einer über mehrere Sitzungen verlaufenden verbalen Kommunikation über die Comicfiguren „Schlümpfe“ begann M die bekannte Melodie des Schlumpfliedes zu summen. Im weiteren Verlauf übernahm die Bezugsperson die Begleitung auf der Gitarre und initiierte einige Variationen. Diese Situation ist somit in ihrem kommunikativen Verlauf folgendermaßen zu kennzeichnen: Ausgehend von einem PL wurde eine Kombination aus SY und INC realisiert. 3.4 Einzelsituation: Offene Improvisation Eine zentrale Aktivität, das fallende bzw. explodierende Lied, wurde weiter oben schon beschrieben. Daneben sind musikalische Aktivitäten erwähnenswert, die unter der Bezeichnung Frage-Antwort subsumierbar sind. In diesen Situationen spielte der Klient 9 481352947 10 Trommel oder auch Gitarre und die Bezugsperson entsprechend Gitarre oder Trommel. Es ergaben sich einige Frage-Antwort-Musikstücke, in denen beispielsweise die Bezugsperson einen Impuls gab, indem sie einen Akkord spielte und der Klient mit der Trommel darauf antwortete (IM). Innerhalb dieser Kommunikation konnte nun variiert werden in der Form, dass z.B. der Akkord sehr leise gespielt wurde und der Klient entsprechend leise mit der Trommel darauf reagierte, oder es wurde laut und schnell im Wechsel gespielt (SY und INC). Gerade dieses eher wilde und laute Musizieren schien dem Klienten Freude zu machen, was sich in Gestik und Mimik zeigte. 4. Diskussion Die Prozessevaluation des sozialkommunikativen Förderprogramms konnte zeigen, dass sich der Klient während der meisten musiktherapeutischen Aktivitäten sozialkommunikativ verhielt und mit Freude am gemeinsamen Spiel teilnahm. Diese Ergebnisse decken sich auch mit der systematischen, quantitativen Verhaltensbeobachtung (Probst et al. 2007). Die Etablierung eines Begrüßungs- und Abschlussrituals in Form eines Liedes erwies sich ebenfalls als sinnvoll. Die positive Wirkung einer solchen strukturierenden Maßnahme wurde auch in einer anderen Studie bestätigt (Kern et al. 2007). Aus der Analyse der strukturierten bzw. offenen Aktivitäten und der entsprechenden musiktherapeutischen Methoden ergibt sich einmal mehr die Relevanz eines MiddleGround-Ansatzes (Prizant & Wetherby 2005). Hierbei wird versucht, direktive und faszilitative Interaktionsstile sowie fixierte und flexible Methoden den individuellen Bedürfnissen der Klienten entsprechend zu integrieren. Anknüpfend an Ergebnisse aus Forschungen im Bereich der Musiktherapie betont auch die vorliegende Einzelfallanalyse die Bedeutung musiktherapeutischer Improvisation für die Förderung autistischer Menschen (Kern 2004). Folgende Aspekte sprechen für eine leichte Übertragbarkeit des Förderprogramms in den schulischen, außerschulischen oder auch familiären Alltag: Einerseits bietet das vorliegende Curriculum auch interessierten Bezugspersonen, die auf dem Gebiet der Musiktherapie keine oder nur wenig Erfahrung besitzen, durch niedrigschwellige Methoden und Aktivitäten hilfreiche Anregungen für eine sinnvolle Förderung. Andererseits lässt das Curriculum kreativen Spielraum, Methoden flexibel anzuwenden sowie den professionellen Handlungskompetenzen der durchführenden Personen 10 481352947 11 entsprechend den Schwerpunkt auf strukturierte oder improvisierte, spieltherapeutische oder musiktherapeutische Aktivitäten zu setzen. Durch die Kombination der Methode der systematischen Verlaufsprotokollierung (Fassnacht 1995) mit dem Ansatz der Qualitativen Inhaltsanalyse (Mayring 2007) war es möglich, unterschiedliche Aspekte des Verhaltens der Klienten zu erfassen und mit den Fördermethoden in Beziehung zu setzen. Die von Bruhn (2000) vorgenommene Differenzierung von fünf Komponenten einer musiktherapeutischen Improvisation (IM, INC, SY, PL und CL) war für die Kategorienbildung und somit auch für die Beschreibung des sozialkommunikativen Verhaltens gewinnbringend. Für eine angemessene Bewertung der vorliegenden Ergebnisse müssen allerdings Einschränkungen der internen und externen Validität gemacht werde. Hier sind zunächst das Fehlen einer zuverlässigen Verhaltens-Baseline sowie die kleine Stichprobe zu erwähnen. Zudem lag die Erprobung und Evaluation des Förderkonzeptes bei denselben Personen, was zu Beurteilungsverzerrungen führen kann. Durch die vorliegende Verfügbarkeitsstichprobe (grundsätzliches Interesse seitens der Teilnehmer an Musik) lassen sich die dargestellten musiktherapeutischen Aktivitäten und insbesondere die sozialkommunikative Wirkung verschiedener Improvisationsformen nur begrenzt generalisieren. 5. Fazit Eine erste Evaluation des pädagogisch-psychologischen Förderprogramms konnte Hinweise geben auf eine sinnvolle Integration musiktherapeutischer Methoden in multimodale Förderkonzepte für Kinder und Jugendliche mit ASD. Eine weiterführende praktische Umsetzung des Curriculums ist anzustreben, zumal in Deutschland bisher nur wenige Trainingsprogramme für Menschen mit ASD existieren (Herbrecht & Poustka, 2007; Häußler et al. 2003). Hierbei wäre anknüpfend an die vorliegenden Ergebnisse ein Schwerpunkt auf die Förderung des sozialkommunikativen Kontaktes zwischen den Teilnehmern sinnvoll. Auch wenn aktuelle Studien die positive Langzeitwirkung musiktherapeutischer Förderprogramme für Menschen mit ASD betonen (Boso et al. 2007), sind weitere empirische Untersuchungen mit größeren Stichproben notwendig (Accordino et al. 2007). Folgestudien sollten dabei zum einen die Kriterien der Verhaltensbeobachtung präzisieren, zum anderen wäre an bereits bestehenden 11 481352947 12 Messinstrumenten anzuknüpfen, die die Wirkung musiktherapeutischer Improvisation untersuchen (Kahl 2007). Literatur Accordino, R., Comer, R. & Heller, W.B. (2007): Searching for musical potential: A critical examination of research on music therapy with individuals with autism. Research in Autism Spectrum Disorders 1, 101 - 115. Bölte, S., Rühl, D., Schmötzer, D. & Poustka, F. (2006): ADI-R - Diagnostisches Interview für AutismusRevidiert (Deutsche Fassung des Autism Diagnostic Interview-Revised). Bern: Huber. Boso, M., Emanuele, E., Minazzi, V., Abbamonte, M. & Politi, P. 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Dr. Paul Probst, Ehemals Leiter des Arbeitsbereichs Kinderpsychotherapie und Kinderdiagnostik an der Universität Hamburg, Arbeitsschwerpunkte: Rehabilitation von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Entwicklungsstörungen, Mail: [email protected] 14