1 Helmut Anselm 22. Mai 2004 Minarette in Deutschland Arbeitsgruppe Islamischer Religionsunterricht an öffentlichen Schulen 0. Allgemein Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland garantiert Religionsfreiheit (Art 4/1 u.2) und den Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach (Art 7/3)1. Diese Grundrechte gelten auch für die islamischen Bürger der Bundesrepublik. Die Rechtslage, die Zunahme des muslimischen Bevölkerungsanteiles, aber auch die gesellschaftspolitischen Notwendigkeiten verlangen, entsprechende schulische Konsequenzen zu ziehen: Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat sich mehrfach dazu geäußert 2 1 DasGG sichert im Grundrechtsartikel 4 die Religionsfreiheit, in seinem Grundrechtsartikel 7 den Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach. 2 EKD: Religionsunterricht für muslimische Schülerinnen und Schüler. Eine Stellungnahme des Kirchenamtes der Evangelischen Kirche in Deutschland, Hannover, 16. Februar 1999, Ziffer 1: „Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat sich in ihrer Denkschrift »Identität und Verständigung - Standort und Perspektiven des Religionsunterrichts in der Pluralität« (1994) und in der Kundgebung der Synode der EKD zur religiösen Bildung in der Schule (1997) mit den genannten Aufgaben und weiteren Fragen des Religionsunterrichts im Kontext von Schule, Staat und Kirche ausführlich beschäftigt. Diese Stellungnahme basiert auf deren grundsätzlichen Aussagen. Sie bezieht sich ferner auf das Votum des Rates der EKD von 1983 »Zur Erziehung und Bildung muslimischer Kinder und Jugendlicher«“. Ziffer 2: „Der Staat der Bundesrepublik Deutschland garantiert das Recht der Religionsausübung allen Bürgerinnen und Bürgern dieses Staates - auch wenn sie Religionen fremder Kulturen angehören.“ Ziffer 3: Für die Einrichtung dieses Unterrichtes sprechen folgende weitere Gründe: - die große Zahl muslimische Jugendliche in bestimmten Siedlungsschwerpunkten; - die Notwendigkeit, „dass auch die muslimischen Schüler und Schülerinnen mit ihrer angestammten Tradition in einer Weise vertraut gemacht werden, die ihnen eine religiöse Lebensperspektive eröffnet und ihnen 2 und die Einrichtung eines islamischen Religionsunterrichtes an unseren öffentlichen Schulen befürwortet. Auch ich persönlich halte diesen islamischen Religionsunterricht für unverzichtbar. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass seine Einführung weitreichende Konsequenzen hat: Konsequenzen nicht nur für die traditionellen wertbildenden bzw. religiösen Fächer in der Schule, sondern für das öffentliche Schulwesen insgesamt - Konsequenzen, deren Bedeutung z.T. noch nicht erkannt sind, und die eine Reihe von Problemen und Fragen aufwerfen. Aus diesem Grund begrüße ich diese Veranstaltung und insbesonders die Thematik unserer Arbeitsgruppe - und ich bringe mehr Fragen mit als Antworten. Ich erhoffe mir neue Einsichten und Klärungen! 1. Fachstruktur eines ’Islamischen Religionsunterrichtes’ Ein erstes Bündel an Fragen betrifft die Fachstruktur eines islamischen Religionsunterrichtes. Hier ist zu unterscheiden (1.1) zwischen verpflichtenden gesetzlichen Vorgaben und (1.2) zwischen Anfragen und Wünschen, die von den parallelen Fächern, also vom christlichen Religionsunterricht bzw. Ethikunterricht an den islamischen Religionsunterricht zu richten sind: 1.1 Zu den gesetzlichen Vorgaben zugleich das Verständnis für andere religiösen Anschauungen erschließt“; - der Sachverhalt der „Minderheiten- beziehungsweise Diasporasituation“, in der muslimische Eltern „sich ihrer islamischen Identität besonders bewußt werden und gleichzeitig nach Möglichkeiten suchen, sie ihren Kindern zu vermitteln“; - die Problematik möglicherweise gegen die „Grundwerteordnung der Bundesrepublik“ agierender Koranschulen. Ebd. Ziffer 5: „In diesem Sinne befürwortet die evangelische Kirche einen Religionsunterricht für muslimische Schülerinnen und Schüler als ordentliches Lehrfach nach Art. 7 Abs. 3 GG.“ 3 · Der Unterricht ist nach Art. 7 Abs. 3 Grundgesetz in Übereinstimmung mit den Grundsätzen muslimischer Glaubensgemeinschaften zu erteilen3. 3 Dazu Achmed Aries (Gütersloh, Vorstandsmitglied des Islamrates): Das Interesse des Islam an Art 7/3 GG. Referat auf der Jahrestagung des AfR 1997, 17.-19.9.1997 (Ohrbeck bei Osnabrück): In ihrer 250-jährigen Tradition als Minderheit war das Leben der Moslems in Deutschland kein Problem. Das galt auch noch für die erste Generation der „Arbeitsmigranten“. Sie schickten die Kinder in türkisch-muslimische Vereine. Diese aber konnten den speziellen Problemen der neuen Generation nicht gerecht werden. So wurden vom türkischen Staat bzw. aus dem Maghreb als für sechs Jahre beurlaubte Staatsbeamte Imame nach Deutschland entsandt. Diese „Importimame“ blieben hier aber immer fremd. Kaum einer erlernte die deutsche Sprache. Damit verstanden sie auch weder die anstehenden Probleme, noch konnten sie passende Antworten geben. So forderte man einen allgemeinen islamischen Religionsunterricht außerhalb der Vereine, an den öffentlichen Schulen und gleichrangig dem christlichen Religionsunterricht. Das führte sofort zu Kritik von außen. Eine Reihe von Kultusverwaltungen reagierten aber positiv, z.B. in Hamburg und NRW. Heute liegen weithin Curricula vor. Ihre Erstellung war sehr schwierig, mußte doch die gesamte Didaktik dieses Unterrichts erst erarbeitet werden. Nach fast 20 Jahren Arbeit ist man heute so weit, dass man die anstehenden Probleme wenigstens erahnt. A.Aries nennt zu den genannten weitere Gründe für einen islamischen Religionsunterricht an den öffentlichen Schulen: - Die modernen Gesellschaften erfordern aktive Teilhabe. Sie will auch von den Moslems in Deutschland wahrgenommen werden. Dazu ist es notwendig, eine islamische Identität in dieser säkularen Gesellschaft zu entwickeln, d.h. „eine Sprachfähigkeit als sich selbst vergewissernde soziale Schlüsselqualifikation“. Dies ist nur in einem Religionsunterricht in deutscher Sprache möglich, sonst entsteht in der „zweiten Sprache“ der Moslems ein Leerraum. Er würde dazu führen, dass die zweite Generation der Arbeitsmigranten bei der Erziehung der dritten Generation auf Sprache und Kulturkreis der Ursprungsländer regrediert. - Die islamische Unterweisung ist immer Herkunftserinnerung. Die Traumata der christlich-islamischen Begegnung können in anderen Fächern nicht sachgemäß behandelt werden. Auch die Christen haben solche Traumata, ich denke nur an den Verlust ihrer Ursprungsländer, und des Maghrebs, sowie die Belagerung Wiens. Die Moslems bewahren in ihrem Gedächtnis die Traumata des Verlustes Spaniens, die Kreuzzüge und - neuerdings - Bosnien. Nur der islamische Religionsunterricht kann einige dieser Traumata sachgemäß aufarbeiten. - Die Integration einer Minderheit darf nicht nur rechtlich und sozialpolitisch betrachtet werden. Deutschland hat nach der Shoah, nach den antiislamischen Übergriffen in Köln und Solingen eine spezielle Verantwortung einzulösen: Die unterschiedlichen Gedächtnisse Deutschlands und des Islams begegnen sich im Alltag der Moslems. Die daraus entstehenden Konflikte müssen in der Schule und dort durch geistliche Persönlichkeiten des Islam aufgearbeitet werden. 4 - Aus diesen Gründen wird das Brandenburger LER-Modell schroff abgelehnt: „Wir sind massiv dagegen“. EKD: Religionsunterricht für muslimische Schülerinnen und Schüler. Eine Stellungnahme des Kirchenamtes der Evangelischen Kirche in Deutschland, Hannover, 16. Februar 1999, Ziffer 2: „Der Staat der Bundesrepublik Deutschland garantiert das Recht der Religionsausübung allen Bürgerinnen und Bürgern dieses Staates - auch wenn sie Religionen fremder Kulturen angehören.“ Ziffer 3: Für die Einrichtung dieses Unterrichtes sprechen folgende weitere Gründe: - die große Zahl muslimische Jugendliche in bestimmten Siedlungsschwerpunkten; - die Notwendigkeit, „dass auch die muslimischen Schüler und Schülerinnen mit ihrer angestammten Tradition in einer Weise vertraut gemacht werden, die ihnen eine religiöse Lebensperspektive eröffnet und ihnen zugleich das Verständnis für andere religiösen Anschauungen erschließt“; - der Sachverhalt der „Minderheiten- beziehungsweise Diasporasituation“, in der muslimische Eltern „sich ihrer islamischen Identität besonders bewußt werden und gleichzeitig nach Möglichkeiten suchen, sie ihren Kindern zu vermitteln“; - die Problematik möglicherweise gegen die „Grundwerteordnung der Bundesrepublik“ agierender Koranschulen. Ebd. Ziffer 5: „In diesem Sinne befürwortet die evangelische Kirche einen Religionsunterricht für muslimische Schülerinnen und Schüler als ordentliches Lehrfach nach Art. 7 Abs. 3 GG.“ 5 · An der Einrichtung, Gestaltung, Mitverantwortung und Durchführung dürfen nur solche muslimische Vereinigungen beteiligt werden, die sich zum Grundgesetz bekennen und dies eindeutig und rechtsverbindlich zum Ausdruck bringen. · Der islamische Religionsunterricht ist parallel zum christlich-konfessionellen als eigenständiges Fach zu gestalten4. · Ihm müssen die erforderlichen Schulräume zur Verfügung gestellt werden.5 · Er muss in finanzieller Hinsicht dem christlich-konfessionellen Religionsunterricht gleichgestellt sein. · Da die Unterrichtssprache im deutschen allgemeinen Schulwesen Deutsch ist, muss der islamische Religionsunterricht in deutscher Sprache gehalten werden6. Nur so ist (1) allen Jugendlichen islamischer Bekenntnisse in gleicher Weise die Möglichkeit der Teilnahme gegeben, und wird niemand aus ethnischen Gründen bevorzugt oder benachteiligt; wird (2.) unter Wahrung der religiösen Identität der Schüler ihre Integration in die deutsche Sprachgemeinschaft gefördert; kann (3.) auch der islamische Religionsunterricht in fächerverbindendes Arbeiten und 4 EKD, Religionsunterricht für muslimische Schülerinnen und Schüler, Ziffer 4: Mit „Beginn der 80er Jahre“ haben die „meisten Bundesländer im Rahmen des türkischen muttersprachlichen Ergänzungsunterrichts ... die Möglichkeit einer religiösen Unterweisung eingerichtet“, die teils von Organen des türkischen Staates und teils von den Kultusministerien verantwortet werden. Dieser Unterricht ist jedoch „in keinem Fall Religionsunterricht im Sinne von Art. 7 Abs. 3 GG.“ Staatliche Organe können „das erforderliche Gegenüber einer Religionsgemeinschaft in Deutschland nicht ersetzen“, der „religionsneutrale Staat überschreitet seine Kompetenz“, der Unterricht ist zu eng an die Türkei gebunden und nichttürkische Jugendliche können nicht teilnehmen. A.Aries, Das Interesse des Islam an Art 7/3 GG: Die islamische Minderheit braucht ihren eigenen, nur von ihr verantworteten und begründeten Religionsunterricht mit eigenen ausgebildeten und der eigenen Aufsicht unterstehenden Lehrern. Zugleich braucht dieser Unterricht eine deutsche staatliche Schulaufsicht gegen die stets drohende türkisch-kemalitische Indoktrination. 5 Art 136 Satz 5 BayVerf. 6 EKD: Religionsunterricht für muslimische Schülerinnen und Schüler, Ziffer 5: „Jeder Religionsunterricht muss in deutscher Sprache erteilt werden und ... der deutschen Schulaufsicht unterliegen.“ 6 Lernen einbezogen werden; können (4) die Lernziele und -inhalte des islamischen Religionsunterrichts in die Lehrplanwerke der einzelnen Schularten integriert werden; sind (5) die im islamischen Religionsunterricht behandelten Lernziele und -inhalte für Schulaufsicht sowie für Lehrer- und Elternschaft verstehbar und überprüfbar7. · Der islamische Religionsunterricht ist wie der christliche res mixta zwischen den deutschen Ländern und den Religionsgemeinschaft(en). Daraus ergeben sich mehrere Folgerungen und Anfragen: (1) Wie wird beim islamischen Religionsunterricht die schulische bzw. schulartspezifische Fachaufsicht von den staatlichen Oberbehörden bzw. der Schulleitung wahrgenommen? (2) Die inhaltliche und unterrichtliche Aufsicht im engeren Sinn obliegt der verantwortlichen muslimischen Religionsgemeinschaft. Welche fachlichen und religiösen Bedingungen müssen deren Vertreter hierfür erfüllen? 7 A.Aries, Das Interesse des Islam an Art 7/3 GG: Alle weiteren Probleme müssen im Bewusstsein der strukturellen Benachteiligung einer Minderheit im Sinne des Art 7/3 GG geklärt werden. 7 (3) Weisen die Lehrpläne des islamischen Religionsunterrichts das Fachprofil kontrollierbar und sachgerecht aus?8 Sind sie entsprechend den Lehrplänen für den christlich-konfessionellen Religionsunterricht erstellt sowie in Kraft gesetzt? (4) Die Grundrechte des Grundgesetzes, die Bayerische Verfassung und das Bayerische 8 Vgl. den Berliner Rahmenplan für den islamischen Religionsunterricht. Er wurde nach Angaben von Burhan Kesici, Verwaltungsratsvorsitzender der Islam Forums Berlin, bis zur 4.Klasse erstellt und am 27. April 2000, 8.August 2000, 2.November 2000, Mai 2001 zur Genehmigung eingereicht. Demnächst werden die Rahmenpläne für die Klassenstufen 5 und 6 erarbeitet. Der Rahmenplan unterscheidet sich von denen anderer Organisationen in Deutschland darin, dass er von in Deutschland sozialisierten und hier lebenden Experten und Expertinnen erarbeitet wurde. Doch ist dieser Plan für Außenstehende nachvollziehbar und kontrollierbar? Es fällt auf, dass er Surenverse vorgibt ohne ihren Kontext. Beispiele: „UE I, 1. Klasse: „Menschen glauben an Gott – Sie verehren Ihn und beten zu Ihm“. Dazu: Euer Gott ist ein Einziger Gott, es ist kein Gott außer Ihm, dem Sich-Erbarmenden, dem Barmherzigen. [2:163] UE III, 2.Klasse: „Wir reden miteinander – Kinder suchen ihren Weg zum Dialog.“ Dazu: „Jeder hat eine Richtung, der er sich zuwendet. So wetteifert miteinander in guten Werken... [2:148]. Der Kontext zeigt jeweils wertende Perspektiven auf: [2:145]: „Und brächtest du denen, welchen die Schrift gegeben ward, auch jegliches Zeichen, sie würden nie deiner Qibla [Gebetsrichtung nach Mekka] folgen; und auch du könntest nicht ihrer Qibla folgen, noch würde ein Teil von ihnen der Qibla anderer folgen. Folgtest du aber nach allem, was dir an Kenntnis zuteil ward, doch ihren Wünschen, dann wärest du wahrlich unter den Ungerechten. ... [159] Die aber verhehlen, was Wir herabsandten an Zeichen und Führung, nachdem Wir es für die Menschen klar gemacht haben in der Schrift, die wird Allah verfluchen; und verfluchen werden sie die Fluchenden.“ [161] „Die ungläubig sind und als Ungläubige sterben, über sie der Fluch Allahs und der Engel und der Menschen insgesamt!“ [162] „Sie sollen unter ihm bleiben. Die Strafe soll ihnen nicht gemildert werden, noch sollen sie Aufschub erlangen.“ UE II, 2.Klasse: „Unterschiedliche Auffassungen können zu unterschiedlichen Handlungen führen“. Dazu: „Sein Gefährte sagte zu ihm, indem er sich mit ihm auseinandersetzte: "Glaubst du denn nicht an Ihn, Der dich aus Erde erschaffen hat, ... [18:37]. Kontext: [2:30] „Und sprich: »Die Wahrheit ist es von eurem Herrn: darum laß den gläubig sein, der will, und den ungläubig sein, der will.« Siehe, Wir haben für die Frevler ein Feuer bereitet, dessen Zelt sie umschließen wird. Wenn sie dann um Hilfe schreien, so wird ihnen geholfen werden mit Wasser gleich geschmolzenem Blei, das die Gesichter verbrennt. Wie schrecklich ist der Trank, und wie schlimm ist das (Feuer) als Lagerstatt!“ - Vgl. dazu auch Alexander Goerlach: Die neue Weltunterordnung. In: FAZ Nr.113 vom 15.Mai 2004, S.45: Als „Zeichen des Vormarschs des Islam ... ist auch das Mittel der Täuschung recht: »Wenn eure Gesetze es hergeben, dann überwinden wir eure Religion und Kultur mit diesen Gesetzen«, ... hier in Ägypten ist diese Meinung en vogue. Toleranz ist hier ein Zeichen von Schwäche“. 8 Erziehungs- und Unterrichtsgesetz machen dem öffentlichen Schulwesen wichtige Vorgaben. Wahrt sie der islamische Religionsunterricht? Das heißt u.a. konkret: - Ist sichergestellt, dass jeder Schüler seine Glaubensansichten und seine Glaubenskritik im islamischen Religionsunterricht frei äußern darf?9 - Ist garantiert, dass die Teilnahme am Religionsunterricht, an muslimischen Schulveranstaltungen sowie die Einhaltung muslimischer Glaubensvorschriften in der Schule für alle muslimischen Schüler und Schülerinnen freiwillig ist?10 9 Art 4/1 GG: „Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens ... und weltanschaulichen Bekenntnisses sind un- verletzlich.“ 10 Art 137/1 BayVerf: „Die Teilnahme am Religionsunterricht und an kirchlichen Handlungen und Feier- lichkeiten bleibt der Willenserklärung des Erziehungsberechtigten, vom vollendeten 18. Lebensjahr ab der Willenserklärung der Schüler überlassen.“ 9 - Wie verhält sich der islamische Religionsunterricht zu Art 135 der Bayerischen Verfassung, wonach in den öffentlichen Volksschulen die Schüler nach den Grundsätzen der christlichen Bekenntnisse unterrichtet und erzogen werden müssen?11 - Ist gesichert, dass kein Lehrer gezwungen wird, islamischen Religionsunterricht zu erteilen und dessen Lehrkräfte der Bevollmächtigung der Träger-Vereinigung bedürfen?12 - Werden im islamischen Religionsunterricht die religiösen Empfindungen aller, auch der Andersgläubigen, geachtet?13 - Erzieht der islamische Unterricht gemäß dem Bayrischen Erziehungs- und Unterrichtsgesetz zur Liebe zur bayerischen Heimat, zum deutschen Volk und zur Völkerversöhnung? Und steht er der Geschichte, Kultur, Tradition und dem Brauchtum unseres Landes positiv gegenüber? Der Rahmenplan der Islamischen Föderation Berlin für ihren islamischen Unterricht - um ein Beispiel zu nennen - wirkt in dieser Hinsicht nicht ermutigend14. 11 Art 135 BayVerf: „Die öffentlichen Volksschulen sind gemeinsame Schulen für alle volksschulschulpflichtigen Kinder. In ihnen werden die Schüler nach den Grundsätzen der christlichen Bekenntnisse unterrichtet und erzogen.“ 12 Art 136 BayVerf: (3) „Kein Lehrer kann gezwungen oder gehindert werden, Religionsunterricht zu erteilen. (4) Die Lehrer bedürfen der Bevollmächtigung durch die Religionsgemeinschaften zur Erteilung des Religionsunterrichts“. 13 Art 136/1 BayVerf: „An allen Schulen sind beim Unterricht die religiösen Empfindungen alle zu achten.“ Dies ist zumindest bei arabischen Vertretern des Islam nicht gesichert, vgl. A.Goerlach, Die neue Weltunterordnung, S.45: Dr. Sayyed Fatallah, Dozent an der Al-Azhar-Universität in Kairo, betont, „»daß alle Religionen und Kulturen dem Islam untergeordnet sind.« Schon der Koran wünscht, daß neben Kirchen und Synagogen Moscheen zu errichten sind, die die anderen Sakralbauten überragen sollen. »Allah uakbar« - Gott ist größer! -, ist fünfmal am Tag die Mahnung an die Andersgläubigen, sich ihrer Minderwertigkeit bewusst zu bleiben. ... In Ägypten bekommen die Christen ihre angebliche Minderheit plastisch zu spüren.“ So wurden 1992 in Oberägypten „Christen auf offener Straße ... hingemetzelt“, weil „sie die vom Koran vorgesehenen Tributzahlungen an die (im konkreten Falle selbsternannten) islamischen Herrscher nicht zahlen wollten oder konnten. »Das ist Gott sei Dank die Ausnahme«, betont der Apostolische Nuntius. »Aber man kann schon von dauerhafter Diskriminierung der Christen hier in Ägypten sprechen.«“ 14 Art 1/4 BayVerf: „Die Schüler sind im Geiste der Demokratie, in der Liebe zur bayerischen Heimat und 10 1.2 Anfragen und Wünsche der parallelen Fächer, des christlichen Religionsunterrichts bzw. Ethikunterrichts an den islamischen Religionsunterricht Es steht außer Frage: Der islamische Religionsunterricht fällt im Hinblick auf Inhalt und Methodik in die Selbstregelungskompetenz der verantwortlichen Träger-Vereinigung(en). Er ist jedoch ein Parallelfach zum christlich-konfessionellen Religionsunterricht und zum Ethikunterricht. Im Interesse ihrer Teilnehmer wissen sich beide verpflichtet, darauf zu achten, dass die Anforderungen in allen drei Fächern vergleichbar sind. Dabei geht es u.a. · um die Gleichwertigkeit der Fachlehrerausbildung im Rahmen eines universitären Studienganges, mit entsprechend breit angelegtem Studiengang und einem der christlichen Ausbildung vergleichbaren Prüfungsniveau15; zum deutschen Volk und im Sinn der Völkerversöhnung zu erziehen.“ 2/1 BayEUG: Die Schulen haben ... Kenntnisse von Geschichte, Kultur, Tradition und Brauchtum unter besonderer Berücksichtigung Bayerns zu vermitteln und die Liebe zur Heimat zu wecken.“ Vgl. hierzu den Berliner Rahmenplan: www.islamischefoederation.de/iru. htm-18k. 15 EKD, Religionsunterricht für muslimische Schülerinnen und Schüler, Ziffer 5: Der Islamische Unterricht benötigt „hinreichend qualifizierte, staatlich anerkannte und beaufsichtigte muslimische“ Lehrkräfte. „Nötig sind ebenso islamische Lehrangebote an deutschen Universitäten und die Einführung einer grundständigen Lehramtsausbildung.“ 11 · um die Entwicklung einer der christlich-konfessionellen entsprechenden muslimischen Fachdidaktik und einer mit der Neuen Schulentwicklung kompatiblen Unterrichtsmethodik16, mit entdeckendem, eigenverantwortlichem Lernen und kreativ-reflexiven Unterrichtsmethoden; · um die Bereitschaft, mit den christlichen Religions- und Ethiklehrkräften zusammenzuarbeiten; · um die Verpflichtung, dass die durch die verantwortlichen Vereinigungen durchgeführten dienstlichen Beurteilungen den Bestimmungen und Bewertungsniveaus entsprechen, die für die christlich-konfessionelle Religionslehrerschaft gelten; · um die Sicherstellung, dass an den Schulen für die Einrichtung, Ausstattung und Gruppenbildung des islamischen Religionsunterrichtes die gleichen Bedingungen gelten wie für den christlich-konfessionellen Religionsunterricht und den Ethikunterricht, sowie dass die Stundenzuweisung an die einzelnen Schulen im Rahmen der Budgetierung pro Jahrgangsstufe um zwei Jahreswochenstunden erhöht werden; schließlich, und vor allem, · um die Gewährleistung von mit dem christlich-konfessionellen Religionsunterricht und dem Ethikunterricht vergleichbaren kognitiv-kritischen Anforderungsniveaus17 und Bewertungsmaßstäben bei der Notengebung. Das gilt nicht zuletzt und in besonderer Weise für die Kollegstufe und die Anforderungen in der Abiturprüfung. 16 A.Aries, Das Interesse des Islam an Art 7/3 GG: Die moderne europäische Pädagogik hat Ziele und Me- thoden, die der islamischen Welt fremd waren. Und doch muss in Aufnahme und Auseinandersetzung mit der hiesigen Pädagogik eine eigene islamische entwickelt werden. EKD, Religionsunterricht für muslimische Schülerinnen und Schüler, Ziffer 5: Bei der Einführung eines Islamischen Religionsunterrichts „als ordentliches Lehrfach sind die erreichten hohen wissenschaftlich-pädagogischen Standards des christlich-konfessionellen Religionsunterrichts anzustreben“. 17 Vgl. A.Goerlach, Die neue Weltunterordnung, S.45: „Mit der historisch-kritischen Methode ... arbeiten hier an der Al-Azhar“ in Kairo weder Professor Muhammad Mansour noch sein Assistent, „wenn es um ihre heilige Schrift, den Koran, geht.“ In Professor Mansours neuem Buch „Einführung in die Koranwissenschaft“ war die „Anwendung historisch-kritischer Methoden ... von vorneherein nicht intendiert.“ 12 2. Islamischer Religionsunterricht im Fächergefüge der Schule Zur Frage des islamischen Religionsunterrichts im Fächergefüge der Schule geht es vor allem um drei Punkte. Zur Klärung des ersten ist es sinnvoll, etwas weiter auszuholen: 2.1 Die Stellung von Christentum und Islam in unserem Staatswesen In Deutschland hat sich nach den konfessionellen Auseinandersetzungen der Vergangenheit ein spezielles Staats-Kirchen-Verhältnis ausgebildet18. Es findet seinen Ausdruck in der Weimarer Verfassung und den entsprechenden Artikeln des Bonner Grundgesetzes19. Sie sind von „einer »verständigen Kooperation«“ bestimmt, „die ihrerseits auf der wechselseitigen Anerkennung der jeweiligen Aufgabenbereiche und Kompetenzen beruht“20. 18 Thomas Kaufmann: Das deutsche Staatskirchenrecht im 19. und 20.Jahrhundert und die Grenzen der Werteautonomie staatlichen Rechts. Hauptvortrag auf dem X.Europäischen Theologenkongress zu Menschenbild und Menschenwürde am 29.September 1999 in Wien, Abstract: „Das Staatskirchenrecht gehört in Deutschland ... zu den besonders traditionalen Rechtsmaterien des geltenden Verfassungsrechts. Es trägt wie kaum ein anderer Rechtsbereich die Spuren des geschichtlichen Lebens, der durch territoriale und konfessionelle Vielfalt, politische Spannungen und Blockaden, blutige Konflikte und gewonnene rechtliche Ausgleichsregularien geprägten deutschen Geschichte des 16. bis 20.Jahrhunderts an sich.“ A.v. Campenhausen: Art. Staatskirchenrecht. In: Theol. Realenzyklopädie (TRE) Bd.32 2001, S.73-83, S.73: „Im Kreise der europäischen Staaten ist“ die deutsche Regelung aber „keine Einmaligkeit“. Ihr ähnlich sind das 1999 eingeführte Kooperationsmodell Schwedens und die Verfassungsregelung Polens. 19 Art 136ff. Weimarer Reichsverfassung, unverändert übernommen in Art 7,140,141 GG. 20 Christoph Link: Art. Staatskirche/Staatsreligion II. Im Christentum. In: TRE Bd.32 2001, S.66-73, S.72. 13 Das Grundgesetz verneint in der Übernahme von Art. 137 der Weimarer Verfassung zwar eine Staatskirche21, also eine Kirche unter staatlicher Hoheit. Es kennt aber - und das wird oftmals nicht gesehen - keine Trennung von Kirche und Staat22. Will man diesen Ausdruck dennoch gebrauchen23, sollte man von Trennung bei gleichzeitiger Verbindung sprechen24. 21 Art 140 GG verweist auf Art 137 der Weimarer Reichsverfassung: „Es besteht keine Staatskirche.“ 22 Martin Heckel: Der Rechtsstatus des Religionsunterrichts im pluralistischen Verfassungssystem des Grundgesetzes. Teil I in: Zeitschrift für Theologie und Kirche (ZThK) 96.Jg. 1999, S.525-554. Teil II in: Ebd. 97.Jg. 2000, S.128-146, I, S.526f.,551; S.549f.: „Das »Verbot der Staatskirche« in Art.137 WRV/140 GG bedeutet nach ... ganz herrschender Meinung nicht ihre strikte Scheidung und Beziehungslosigkeit.“ (S.549) Damit würde „der Weimarer Verfassung und dem Grundgesetz ein kirchen- und kulturpolitisches Trennungsprinzip untergeschoben, das ... vom deutschen Verfassungsgeber 1919 und 1949 bewußt abgelehnt wurde ... Die sogenannte »Trennung« ist im deutschen Staatskirchenrecht nicht zur Eliminierung des Religiösen aus dem öffentlichen Raum und Recht, sondern zur Sicherung seiner Freiheit eingeführt worden.“ (S.550) 23 So u.a. Roman Herzog: Warum der Westen lernen muß, skeptisch zu werden. In: FAZ Nr.100 vom 30. April 1999, S.44: Zu den unaufgebbaren „Errungenschaften“ der „westliche(n) Moderne“ gehören „die Menschenrechte und die Trennung von Kirche und Staat, die bei uns ... verwirklicht ist.“ 24 So A.v.Campenhausen, Art. Staatskirchenrecht, S.74,78; - ein Sachverhalt, der manchmal als „hinkende Trennung“ bezeichnet wird (zum Begriff A.v.Campenhausen, Art. Staatskirchenrecht, S.78). Er wurde bereits 1926 von Ullrich Stutz verwendet, neuerdings u.a. von Horst F. Rupp: Art. Schule/Schulwesen. In: TRE Bd.30 1999, S.591-627, S.622). A.v.Campenhausen, Art. Staatskirchenrecht, S.78, spricht von „positiver Trennung oder von einer balancierten Trennung von Staat und Kirche“; so auch Prof.Dr.Ludwig Schick (Fulda): Freie Partnerschaft zwischen Kirche und Staat. In: FAZ Nr.259 vom 6. November 1999, S.11: Das „bewährte StaatsKirchen-Verhältnis in Deutschland“ geht „von »balancierter Trennung« und »freier Partnerschaft«“ aus. Vgl. Th.Kaufmann, Das deutsche Staatskirchenrecht im 19. und 20.Jahrhundert: Epochal war der Westfälische Friede von 1648 mit seinem durch „Koordination geprägten(s) Beziehungsverhältnis von Kirche und Staat“. Dieses Modell wurde fortlaufend ausgestaltet bis zur grundrechtlichen Verschränkung individueller und kollektiver Religionsfreiheit als „kulturellem Phänomen“ unseres Staatswesens im Grundgesetz. Heike Schmoll: „Religionsmut ist Verfassungsmut“. Kirchhof: Christliche Grundlagen des Staates erhalten. In: FAZ Nr.227 vom 30.September 1999, S.10, referiert Th.Kaufmann: „Die im Westfälischen Frieden als Reichsrecht kodifizierte Strittigkeit des Christentums in seiner konfessionellen Vielfalt habe ein spezifisches Konzept religiöser Toleranz begründet, das nicht auf dem Souveränitätsprinzip des Staates basierte, sondern aus dem Verzicht auf letztgültige Klärungen der religiösen Wahrheitsfrage folgte. Die Selbstbegrenzung des Staates auf »diesseitige Ordnungsaufgaben« bedeutete einerseits keine Ablösung von der christlich bestimmten Wertfundamentierung des staatlichen Zusammenlebens, andererseits jedoch den Verzicht des Staates auf die Durchsetzung religiöser 14 Entscheidend ist, dass im Grundgesetz das „Staatskirchenrecht säkulares Rahmenrecht geworden ist“25. Es hat somit „einheitlich, allgemein und gleich für alle Religionen“ Geltung26. Es ist nach dem Tübinger Staatsrechtler M.Heckel „der weite weltliche Schutzmantel für das besondere geistliche Glaubens- und Freiheitsverständnis der Individuen und der ... verschiedenen Religionsgemeinschaften“. Deshalb liegt der „Sinn der säkularen Religionsfreiheitsgarantie ... nicht etwa darin“, das Staatsvolk „staatlicherseits von seiner Religion zu »befreien«“, sondern ebendieses „auszuschließen.“27 Art7/3 GG bedeutet so kein ’Kirchenprivileg’, im Gegenteil. Mit Art 14028 werden die Regelungen von Art 7/3 auf alle Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften ausgedehnt. - Aber ist damit eine generelle Gleichstellung von Islam und Christentum gegeben? Die Frage ist umstritten. Ein Teil der Staatsrechtler bzw. Staatskirchenrechtler verneint sie, so etwa Prof. Dr. Leopold Turowsky (Bonn). Er betont, dass das Grundgesetz zwar ’konfessionsneutral’, doch nicht ’religionsneutral’ ist29. Prof.Dr.Paul Kirchhof führt den Gedanken weiter. Ihm zufolge „ist Wahrheiten. Nicht die Aufklärung, sondern die Einschmelzung aufklärerischer Impulse in Rechtsvorstellungen des überkommenen Reichsreligionsrechts prägten die Entwicklung des Staatskirchenrechts in Deutschland“. Die Weimarer Verfassung „sei das Ergebnis eines verfassungspolitischen Kompromisses gewesen, der neben der grundsätzlichen ... Trennung von Staat und Kirche auch Elemente der Verbindung einführte, die die öffentlichrechtliche Geltung sicherstellten und den besonderen Rechtsstatus auch anderer Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften ermöglichten. Der Sinn der Sonderung von Staat und Kirche nach Artikel 140 des Grundgesetzes bestehe nicht in einer laizistischen Einschränkung religiöser Betätigung, sondern in der Gewähr ihrer freien Betätigung als »verfassungserhebliche« Körperschaften des öffentlichen Rechts“. 25 M.Heckel, Der Rechtsstatus des Religionsunterrichts, I, S.533; ebd. zur geschichtlichen Entwicklung; vgl. II, S.128f.; A.v.Campenhausen, Art. Staatskirchenrecht, S.74 (unter Berufung auf Ulrich Scheuner). 26 M.Heckel, Der Rechtsstatus des Religionsunterrichts, I, S.531, vgl. S.529; A.v.Campenhausen, Art. Staatskirchenrecht, S.79: Es gibt kein Kirchenprivileg mehr. 27 M.Heckel, Der Rechtsstatus des Religionsunterrichts, I, S.534, vgl. S.537. Das hier zu Art 4 GG Gesagte gilt auch für Art 7/3 GG, vgl. ebd. S.540,544. 28 Bzw. in den übernommenen Artikeln 136-139 und 141 der Weimarer Verfassung vom 1. August 1919. 29 Prof.Dr.L.Turowsky (Bonn) auf der Informationsveranstaltung des Bundespresseamtes für 15 der Staat wegen der gleichen Religionsfreiheit von jedermann noch lange nicht verpflichtet, alle religiösen Äußerungen gleich zu behandeln. ... »Würde der Staat diese Unterschiede gleich behandeln“, so stellte Kirchhof“ auf einem Symposium im März 2004 fest, „»würde«“ er „»durch Beurteilungs- und Entscheidungsschwäche seine eigene Zukunft als Verfassungsstaat gefährden.« Religionspädagogen der AEED, der ALPIKA und des BKR am 9.10.1996 in Bonn: Die Kirchen haben eine Sonderstellung mit staatspolitischem Auftrag. Dabei geht es um „Mitwirkung an paktierter Gesetzgebung“. Hierzu ist die Entwicklung des Staatskirchenrechtes zu beachten. Der Rechtsbestand der Zeit vor 1914 wurde großteils in die Weimarer Verfassung übernommen, wenn auch der Begriff „Staatskirche“ fiel. Ein neuer Auslegungsschub war 1949, im Kontext des Grundgesetzes. Es gibt ein katholisches Staatskirchenrecht und ein deutsches. Beim deutschen bestand nach dem Patt zwischen der evangelischen und der katholischen Kirche in Deutschland das Bedürfnis, die religiösen Komponenten aus der Politik herauszuhalten. Man wollte aber „keine Religionsneutralität ..., sondern eine Konfessionsneutralität“. [Anders A. v.Campenhausen, Art. Staatskirchenrecht, S.74]. In der Weimarer Verfassung wurde das Staatskirchentum nicht auf „Null“ heruntergefahren. So wurden der evangelischen und katholischen Kirche als „Körperschaften des öffentlichen Rechts“ Vorzugsrechte eingeräumt wie die Steuereinhebung und der Religionsunterricht. Im Gegenzug hatten sie staatstragende Aufgaben zu übernehmen. Als Bedingungen für den Körperschaftsstatus wurden längerfristiger Bestand, repräsentative Mitgliederzahl und Anerkennung der Verfassung festgelegt. Doch entschied das Bundesverfassungsgericht am 19.Dezember 2000 (Az.2 BvR 1500/97) über die Zuerkennung des Körperschaftsstatus an die Zeugen Jehovas, es genüge, dass die Religionsgemeinschaft „im Grundsatz bereit ist, Recht und Gesetz zu achten und sich in die verfassungsmäßige Ordnung einzufügen“, ohne sich positiv dafür einzusetzen. 16 Nichts sollte damit gegen“ das „verbürgte Recht auf »ungestörte Religionsausübung« gesagt sein. ... Der Staat aber, so Kirchhof, ist im Unterschied zu seinen Bürgern nicht freiheitsberechtigt, sondern freiheitsverpflichtet. Bei der Förderung einer Religionsgemeinschaft ... wird er daher entscheiden müssen, »welche ... Lehren und Lebensformen seine Kultur tragen und historisch entfaltet haben, welche Lehren für ihn eher schädlich und hinderlich sind«.“30 Der Professor für öffentliches Recht Dr. Uwe Volkmann verweist in diesem 30 Daniel Deckers: Religionen unter dem Grundgesetz. Zur Freiheit berechtigt, zur Freiheit verpflichtet. In: FAZ Nr.69 vom 22.März 2004, S.10: „Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland kennt keine Kirchen. Es kennt ... nur Religionen und Weltanschauungsgemeinschaften. Gleichwohl sprechen die Juristen in Deutschland nicht von Religionsverfassungsrecht, wenn sie die ... Beziehungen zwischen dem Staat und den Religionsgemeinschaften in den Blick nehmen. Vielmehr bilden die fünf Artikel der Weimarer Reichsverfassung von 1919, die 1949 durch Artikel 140 in das Grundgesetz aufgenommen wurden, bis heute den normativen Kern des sogenannten Staatskirchenrechts. Zwei Erklärungen bieten sich an. Die historische verweist zurück auf den Ursprung des heutigen Staatskirchenrechts, das staatliche Kirchenregiment in den protestantischen Regionen Deutschlands. Die systematische Erklärung knüpft an ein anderes Faktum an. Als die Weimarer Reichsverfassung entstand, wie ... 30 Jahre später das Grundgesetz, gehören nahezu alle Staatsbürger einer der beiden großen Kirchen an. Ein Religionsverfassungsrecht, das sich vom Staatskirchenrecht unterschied, schien nicht erforderlich ...“. Anders heute. „Nur noch zwei Drittel der Deutschen gehören formell einer der beiden Volkskirchen an. ... Schwerer wiegt, daß im Geltungsbereich des Grundgesetzes inzwischen mehr als drei Millionen Muslime in Deutschland leben.“ Daher scheint es „folgerichtig, daß das am Modell »Kirche« entwickelte Staatskirchenrecht an seine Grenzen stößt. Es muß, so eine immer häufiger zu hörende Forderung, zu einem Religionsverfassungsrecht weiterentwickelt werden. Der frühere Bundesverfassungsrichter Paul Kirchhof trat solchen Überlegungen ... vehement entgegen. Anläßlich der jährlich vom Bistum Essen ausgerichteten »Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche« vertrat“ er „die entgegengesetzte These: Das Staatskirchenrechts dürfe nicht durch ein Religionsverfassungsrecht ersetzt werden - andernfalls ginge »ein wesentliches Stück Verfassungsrecht« verloren. ... Kirchhof erwähnte einen Ausspruch von Joseph von Eichendorff, den dieser 1832 auf dem Hambacher Fest getan hatte ...: »Keine Verfassung garantiert sich selbst.« Sie lebe vielmehr von Voraussetzungen, die sie selbst nicht hervorbringen, wohl aber durch den staatlichen Schutz der Kirchen gewährleisten könne: Denn der ... Staat, so Kirchhof, ist darauf angewiesen, daß Religionsgemeinschaften und Kirchen mit ihren Lehren, gewachsenen Überlieferungen, Lebensformen und Gemeinschaften eine religiöse Kulturgemeinschaft und ethischen Zusammenhalt anbieten. Das ist kein Argument gegen die Religionsfreiheit. Im Gegenteil: Der freiheitliche Start manifestiert sich gerade 17 Zusammenhang auf brisante Tendenzen in der Rechtsentwicklung, für die der Kopftuch-Streit nur ein Nebenschauplatz ist: auf die Gefahr, dass das hohe Gute der Glaubensfreiheit unsere Rechtsordnung auflöst und „Forderungen einzelner Gruppen nach immer neuen Sonderrechten“ unser Gemeinwesen zerstören31. in der Gewährung dieses unveräußerlichen Menschenrechts. Freilich ist der Staat nach den Worten Kirchhofs wegen der gleichen Religionsfreiheit von jedermann noch lange nicht verpflichtet, alle religiösen Äußerungen gleich zu behandeln. ... »Würde der Staat diese Unterschiede gleich behandeln, fehlte ihm jegliche Urteilskraft«, stellte Kirchhof fest. »Er würde durch Beurteilungs- und Entscheidungsschwäche seine eigene Zukunft als Verfassungsstaat gefährden.« Nichts sollte damit gegen das im Grundrechtsteil der Verfassung verbürgte Recht auf »ungestörte Religionsausübung« gesagt sein. ... Der Staat aber, so Kirchhof, ist im Unterschied zu seinen Bürgern nicht freiheitsberechtigt, sondern freiheitsverpflichtet. Bei der Förderung einer Religionsgemeinschaft ... wird er daher entscheiden müssen, »welche kirchlichen Lehren und Lebensformen seine Kultur tragen und historisch entfaltet haben, welche Lehren für ihn eher schädlich und hinderlich sind«. Dass der Islam wohl nichts zu den Privilegierten des Staatskirchenrechts gehören kann, brauchte Kirchhof nicht mehr ausdrücklich festzustellen.“ Dem widersprach der Tübinger Theologe Eberhard Jüngel. „Die Verantwortung der Christen sah Jüngel nicht nun nicht an den Grenzen ihrer eigenen Kirche enden. Es gehöre auch zur Verantwortung der christlichen Kirche ..., daß sie die grundgesetzlich garantierte positive Religionsfreiheit auch für die nichtchristlichen Religionsgemeinschaften und ihre Angehörigen verteidigt, ja sogar dafür einzutreten, »daß anderen Religionsgemeinschaften dieselben Möglichkeiten eingeräumt werden«. Das aber liefe, folgte man Kirchhof, formal auf ein Religionsverfassungsrecht hinaus und das wiederum auf den Anfang vom Ende des freiheitlichen Verfassungsstaates. ...“. Vgl. auch Prof.Dr.Paul Kirchhof: Die Wertgebundenheit des Rechts, ihr Fundament und die Rationalität der Rechtsfortbildung. Hauptvortrag auf dem X.Europäischen Theologenkongress zu Menschenbild und Menschenwürde am 29.September 1999 in Wien. Hierzu H.Schmoll: „Religionsmut ist Verfassungsmut“. Kirchhof: Christliche Grundlagen des Staates erhalten. In: FAZ Nr.227 vom 30.September 1999, S.10: „Der Karlsruher Verfassungsrichter Kirchhof hat Theologie und Kirche aufgefordert, sich intensiv für die Erhaltung der christlichen Grundlagen der Verfassung einzusetzen. ... »Religionsmut ist Verfassungsmut, Religionsängstlichkeit ist Verfassungsängstlichkeit«, sagte der Richter und bekräftigte die gegenseitige Angewiesenheit von Religion und Verfassung ... Die Vertreibung des Religiösen aus dem öffentlichen Leben sei eine Einschränkung der Religionsfreiheit.“ 31 U.Volkmann: Risse in der Rechtsordnung. In: FAZ Nr.60 vom 11.März 2004, S.8f., S.9; ebd.: „Und vielleicht liegt darin der eigentliche und tiefere Grund für die Irritationen, die der Anblick des Kopftuch hervorruft: Daß nun jeder, der Augen hat zu sehen, erkennen kann, wie dünn das Band geworden ist, das diesen Staat noch zusammenhält. 18 Wie neutral soll oder kann der Staat angesichts dieser Entwicklung bleiben? Die Antwort fiele leichter, wenn die Religion das einzige Phänomen wäre, an dem sich die Trennlinien in der Gesellschaft festmachten. Aber daneben existieren zahlreiche andere, ethnische, kulturelle, ökonomische Trennlinien, und die Religion bildet vielleicht nur die besonders augenfällige. ... Gerade der angestrengt wirkende Versuch, eine Debatte ... über einen neuen Patriotismus in Gang zu bringen, belegt ja nur, wie wenig davon in Deutschland noch vorhanden ist. Ohne die Verankerung in einem solchen übergreifenden Werthorizont aber fehlt solcher Neutralität“ des Laizismus „der Halt; es bleibt der Verdacht, daß sie etwas ganz Sinnleeres ist, eine Form der Gleichgültigkeit auch gegenüber den eigenen Bestands- und Erhaltungsbedingungen, der alles, auch die eigene Existenz, irgendwie egal geworden ist, weil sich ohnehin nichts mit ihr verbindet, wofür einzutreten sich lohnte.“ 19 Wie ist aus dieser Perspektive der Islam zu sehen? Hierüber ist wohl nicht das letzte Wort gesprochen. Ein wichtiger Teilaspekt war hierbei lange Zeit, ob und in welcher Weise die muslimischen Glaubensgemeinschaften den Status einer ’Körperschaft des öffentlichen Rechts’ haben bzw. erhalten. Und: Ob der Status für die muslimische Gesamtgemeinschaft gilt bzw. gelten soll, oder - auch - für Einzelgemeinschaften.32 Die Entscheidung darüber spielte eine wichtige Rolle für die Entscheidung über die religiöse Trägerschaft des islamischen Religionsunterrichtes an den öffentlichen Schulen. In letzter Zeit aber hat sich unter Juristen die Ansicht durchgesetzt, dass es genügt, wenn der Träger vereinsrechtlich organisiert ist33. 2.2 ’Konfessioneller’ Anspruch und schulorganisatorische Konsequenzen 32 Informationsfahrt für Religionspädagogen der AEED, der ALPIKA und des BKR, 8.-10.10.1996, Bonn, Prof.Dr. L.Turowsky im Gespräch: Ein interessanter Punkt betrifft die Kirchen als „Körperschaft des öffentlichen Rechts“. Sie sind ihrem Ursprung her ein Teil des Staatsgefüges selbst. Seit der Weimarer Verfassung ist das zwar nicht mehr möglich. Das Staatskirchentum wurde aber nicht auf „Null“ „runtergefahren“, sondern „geviertelt“. Das heißt: Es wurde eine Reihe von Vorzugsrechten (wie die Steuereinhebung und der Religionsunterricht) auch nach 1919 erst der evangelischen, dann der katholischen Kirche eingeräumt. Im Gegenzug hatten die Kirchen staatstragende Aufgaben zu übernehmen. Aber: Der „Definitionskern“ der Körperschaft des öffentlichen Rechts blieb offen, also das, was eine solche Köperschaft ausmacht. Andererseits sollte es nicht zu einer Art „numerus clausus“ kommen. So wurde auch die Möglichkeit eines späteren Zutritts offengehalten. An Bedingungen hierfür wurde festgelegt: - längerfristiger Bestand; - repräsentative Mitgliederzahl (ohne sie festzulegen); - die Anerkennung der Verfassung. - Dazu ist seit dem Gespräch mit L.Turowsky zu ergänzen: Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 19.Dezember 2000 (Az.2 BvR 1500/97) über die Zuerkennung des Körperschaftsstatus an die Zeugen Jehovas, es genüge, dass die Religionsgemeinschaft „im Grundsatz bereit ist, Recht und Gesetz zu achten und sich in die verfassungsmäßige Ordnung einzufügen“, ohne sich positiv dafür einzusetzen, hat weitreichende Folgen bis hin zur Errichtung und Stellung des Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen. 33 Auskunft Prof.Dr. Johannes Triebel auf der Tagung ’Minarette in Deutschland’ in Heilsbronn am 22.Mai 2004. 20 Der Islam ist nicht weniger in ’Konfessionen’ gegliedert als das Christentum. Er ist darüber hinaus independistisch, d.h. unhierarchisch-dezentral organisiert. Schließen sich aber Muslime örtlich oder überörtlich zu bekenntnishomogenen Vereinen zusammen, dann stellt sich die Frage, ob sie nicht auf Gleichbehandlung mit den christlichen Konfessionskirchen bestehen und einen eigenen bekenntnisgebundenen Unterricht einfordern können. Für diesen ’konfessionellen’ Unterricht wären dann von ihnen neben der Verfassungsgemäßheit nur zwei Bedingungen zu erfüllen: 14. das Erreichen der vorgeschriebenen Mindestzahl für Lerngruppenbildung an öffentlichen Schulen, sowie 15. ein verantwortlicher muslimischer Träger und Ansprechpartner für den Unterricht. Beide Bedingungen halten die politisch Verantwortlichen in Bayern derzeit für nicht erfüllbar. Sie rechnen auch nicht damit, dass sich in Bälde bayernweit ein bekenntnisübergreifender muslimischer Dachverband als Träger konstituiert. Sie gehen deshalb davon aus, dass vorläufig weder ein ’überkonfessioneller’ noch ein ’konfessioneller’ islamischer Religionsunterrichtes an den öffentlichen Schulen Bayerns als ordentliches Lehrfach im Sinne von Art 7/3 GG eingerichtet wird34, der den in verschiedenen deutschen Ländern angebotenen (türkisch-)muttersprachlichen Ergänzungsunterricht, die Islamische Unterweisung bzw. den Islamunterricht ersetzt35. Es könnte sich aber um eine Fehleinschätzung handeln. Für Muslime in Deutschland ist und bleibt ein ’überkonfessioneller’ 34 So der bildungspolitische Sprecher der CSU, MdL Siegfried Schneider, am 10.12.2003 in einem Gespräch mit H.Anselm im Bayerischen Landtag. 35 Der muttersprachliche Ergänzungsunterricht wird in türkischer Sprache in Zusammenarbeit mit der tür- kischen Regierung bzw. ihren konsularischen Vertretungen gehalten und soll in erster Linie die Verbundenheit mit der türkischen Kultur sicherstellen. Die deutschsprachige Islamkunde dient der Integration in das hiesige Staatswesen, seine Lehrinhalte werden jedoch entgegen den grundgesetzlichen Vorgaben von deutschen staatlichen Stellen bestimmt. Der deutschsprachige Islamunterricht an einzelnen Grundschulen ab 2003 in Bayern (Erlangen und ab 2004/5 evtl. Bayreuth) und Niedersachsen wird mit möglichst weit gehender Mitwirkung islamischer Vereine in staatlicher Verantwortung erteilt; vgl. dazu Christen und Muslime in Deutschland. Arbeitshilfen 172. 23.September 2003. Hrsg.: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 2003, S.257ff. 21 Unterricht das Nahziel, die Einrichtung eines ’konfessionellen’ Unterrichtes zumindest ein Fernziel36. Das Berliner Beispiel zeigt, dass es Muslimen sehr wohl möglich ist, „die im Grundgesetz geforderte Autorität zu benennen, die es ihnen erlaubt, als Religionsgemeinschaft“ den deutschen Ländern „gegenüberzutreten.“37 Und es ist möglich, dass sich muslimische Gruppierungen so weit zusammenschließen, dass ihre Kinder die Bedingung der Mindestzahl für die Lerngruppenbildung erfüllen. Die Einrichtung eines islamisch-’konfessionellen’ Religionsunterrichtes aber hat schwerwiegende Folgen für die Unterrichtsorganisation einer Schule. Bereits ein einheitlicher islamischer Unterricht kann bedeuten, dass Religionsunterricht und Ethikunterricht nicht mehr in der Hauptunterrichtszeit stattfinden können. Wird es doch kaum gelingen, jeweils die katholische, die evangelische, die muslimische und die Ethikgruppe klassenübergreifend - möglicherweise sogar klassenstufenübergreifend - stundenplantechnisch parallel zu legen. Vollends unmöglich dürfte dies sein, wenn der muslimische Unterricht zusätzlich in konfessionelle Gruppen aufgeteilt ist. So ist damit zu rechnen, dass der gesamte Religions- bzw. Ethikunterricht auf Randstunden oder aber auf Nachmittagsstunden gelegt wird. Von den Folgen für alle diese Fächer soll hier nur das Problem der Schulbusrückfahrten genannt werden. Ein weiteres Problem kommt hinzu: Der islamische Unterricht erfordert, dass den einzelnen Schulen zusätzliche Lehrerwochenstunden zugewiesen werden. Das heißt: Er verteuert den Unterrichtsbetrieb. Dies gilt umso mehr, je stärker er differenziert wird. Damit aber 36 A.Aries, Das Interesse des Islam an Art 7/3 GG: Ein eigenes Problem ist die Konfessions-Frage im Islam. Die Aleviten verlangen auf längere Sicht einen eigenen Religionsunterricht. Das Problem ist nur, dass sie sich selbst nicht einig sind. Hinzu kommt das Verhältnis Sunna-Schia. In Iran vollzog sich eine Revolution, die von der Sunna nicht abgedeckt werden kann. „Wir werden auf Dauer um einen islamisch-sunnitischen und einen islamisch-schiitischen Religionsunterricht nicht herumkommen“. 37 EKD, Religionsunterricht für muslimische Schülerinnen und Schüler, Ziffer 3; ebd.: „Inzwischen bilden sich aber zentrale Organisationen der islamischen Dachverbände heraus, die sich als Vertreter einer großen Zahl von Muslimen verstehen. Sie könnten Ansprechpartner des Staates im Blick auf den Religionsunterricht werden, wenn ihr Status als Religionsgemeinschaft geklärt ist.“ 22 wird durch die Einführung des islamische Unterrichts der herkömmliche Religions- bzw. Ethikunterricht nicht nur stundenplantechnisch belastet. Speziell der christliche Religionsunterricht könnte unter Druck geraten, seine konfessionelle Differenzierung aufzugeben. Ein einheitlicher Religionsunterricht für alle christlichen Schüler wäre das Ergebnis. 2.3 Weitere Probleme Mit der Einrichtung eines islamischen Religionsunterrichtes sind noch weitere organisatorische Probleme gegeben. Sie sind weniger gravierend, müssen aber dennoch gelöst werden. Ich nenne nur zwei davon: 16. Ist es für nichtmuslimische Schüler möglich, auf Antrag gastweise den islamischen Unterricht zu besuchen? Und umgekehrt: Können muslimische Schüler an Schulen, in denen ein islamischer Unterricht eingerichtet ist, auf Antrag den christlichen Unterricht besuchen? Können sich muslimische Schüler wie christliche von ihrem Religionsunterricht abmelden? Sind sie in diesem Fall wie ihre christlichen Kameraden ethikpflichtig? 17. Kann es begrenzte Kooperationen des islamischen Religionsunterrichts mit dem evangelischen und katholischen Unterricht bzw. dem Ethikunterricht geben, und wie könnten solche Kooperationen aussehen? Endlich: Wie kann der islamische Unterricht in die vorgeschriebenen fächerverbindenden Themenbereiche und Projekte eingebunden werden? 3. Islamischer Religionsunterricht und religiöses Schulleben 3.1 Der Islam als umfassende Lebensform Muslimischer Glaube kennt nicht die reformatorische Unterscheidung von geistlichem und weltlichem Regiment. Möglicherweise ist er darüber hinaus stärker als andere Religionen und 23 Glaubensrichtungen ’Glaube in praktischem Vollzug’. Beides hat zur Folge, dass in der Schule muslimische Glaubens- und Lebensweisen nicht auf den Religionsunterricht begrenzt werden können. Sein Status als offizielles Lehrfach und damit die offizielle Anerkennung des Islam als Lehr- und Lerngegenstand der öffentlichen Schule schließt vielmehr eine muslimische Frömmigkeitspraxis ebenso ein wie ihre Ausstrahlung auf das gesamte Schulleben38. Zudem ist es das gute Recht der für islamischen Religionsunterricht Verantwortlichen, die Aussage der bayerischen Schulordnungen in Anspruch zu nehmen, wonach „Die Schule ... die Erziehungsberechtigten bei der religiösen Erziehung der Kinder“ unterstützt, und dazu ergänzt: „Schulgebet, Schulgottesdienst und Schulandacht sind Möglichkeiten dieser Unterstützung“39. Auch hierzu sind noch Fragen offen, so u.a.: (1) In welchem Umfang und in welcher Form kann das religiöse Jahr des Islam in der öffentlichen Schule begangen werden? (2) Welche kultischen Formen des muslimischen Glaubens sollen und können in der öffentlichen Schule praktiziert werden? Wie verhält es sich zum Beispiel mit dem rituellen Tagesgebet? Wie mit dem Fastenmonat Ramadan? (3) Wie wirken sich die muslimischen Rituale auf nichtmuslimische Schülerinnen und Schüler aus? Wie weit dürfen und können sie von ihnen betroffen sein? 38 Vgl. A.Aries, Das Interesse des Islam an Art 7/3 GG. A.Aries in der anschließenden Diskussion: Nur der Islam hat unter den abrahamitischen Religionen die völlige theozentrische Integration des Alltags. 39 Schulordnung für die Gymnasien in Bayern (GSO), §21 (1) Satz 1 und 2. Maiss Verlag München 12. Aufl. 1994, S.80 und die entsprechenden Formulierungen in den Schulordnungen der anderen Schularten. 24 (4) Welche Rückwirkungen ergeben sich für die Begehung des Kirchenjahres und der christlichen religiösen Schulveranstaltungen?40 (5) Die Vertreter des islamischen Religionsunterrichtes haben das Recht, Arbeitsgemeinschaften, Wahlunterricht und außerunterrichtliche Aktivitäten in der Schule anzubieten. Das gilt vor allem für die Schulen mit Ganztagsunterricht bzw. Nachmittagsbetreuung. Hierzu ist zu überlegen: Sollen spezifische Rahmenbedingungen für derartige muslimischen Aktivitäten gelten? Weshalb und in welcher Weise? 3.2 Die Auswirkungen des islamischer Glaubens auf die religiöse Dimension des Schullebens Trägt man dem Selbstverständnis des Islam Rechnung, eine alle Lebensbereiche durchdringende Kraft zu sein, dann muss man nach Einführung eines islamischenReligionsunterrichtes als offizielles Unterrichtsfach nach den Auswirkungen auf das Selbstverständnis von Schule fragen. Hierbei ist die bayerische Verfassungslage zu beachten: · In Bayern trat 1967 durch Volksabstimmung die christliche Gemeinschaftsschule an die Stelle der Bekenntnisschule. Art 135 der Bayerischen Verfassung lautet: „Die öffentlichen Volksschulen sind gemeinsame Schulen für alle volksschulpflichtigen Kinder. In ihnen werden die Schüler nach den Grundsätzen der christlichen Bekenntnisse unterrichtet und 40 Dazu Harun Behr (Lehrstuhl Religionswissenschaft an der Universität Bayreuth) auf der Veranstaltung „Minarette in Deutschland“ am 22. Mai 2004 in der Arbeitsgruppe „Islamischer Religionsunterricht an öffentlichen Schulen?“: In einer Bayreuther Grundschule fragte die Schulleitung nach Möglichkeiten eines muslimischen Beitrags zum Anfangs- und Schlussgottesdienst, damit die muslimischen Schüler der ersten Klasse nicht gleich „Apartheidserfahrungen“ machen müssen. Die katholischen und evangelischen Geistlichen befürworteten die Idee. Da es sich hierbei um keine Gottesdienste, sondern um gottesdienstliche Veranstaltungen handele, könnten ihrer Meinung nach sowohl gottesdienstlichen Elemente aus dem Christentum wie aus dem Islam Verwendung finden. Doch „eine der beteiligten Personen hielt nicht dicht“. Als evangelische Eltern davon erfuhren, drohten sie, im Falle solchen Vorgehens ihre Kinder aus dem Religionsunterricht abzumelden, da sie darin „eine Phalanx des islamischen Fundamentalismus“ sahen. Dies zeigt, dass hier sehr viel Stimmungspotenzial vorhanden ist. 25 erzogen ...“. Dieser Verfassungsauftrag wird durch die 1967 bzw. 1988 von beiden großen Kirchen herausgegebenen „Leitsätze für den Unterricht und die Erziehung nach gemeinsamen Grundsätzen der christlichen Bekenntnisse an Grund-, Haupt- und Sonderschulen“ verbindlich konkretisiert41. Die „Zielsetzungen“ dieser Leitsätze lauten, kurz zusammengefasst: (1) „Lehrer, die auf der Grundlage des christlichen Verständnisses von Menschen unterrichten und erziehen, sind sich bewußt, daß jedes menschliche Leben einzigartigen Wert hat. Sie werden sich deshalb bemühen, die ganzheitliche Entwicklung ihrer Schüler nach Kräften zu fördern.“ (2) „Ehrfurcht vor der Schöpfung Gottes fördert und stärkt das Verantwortungsbewußtsein für das Leben jeder Art“ (S.5) (3) „In den Geboten Gottes, vor allem im Liebesgebot Jesu, sind den Menschen Werte und Maßstäbe für verantwortliches Handeln gegeben.“ (S.6) (4) „Christliche Lebensgestaltung schließt immer auch ein, für den Mitmenschen offen zu sein und sich ihm zuzuwenden.“ (S.7) (5) „Ohne Bereitschaft zu Vergebung und Versöhnung ist ein menschliches Zusammenleben nicht möglich. In dem Maß, wie in der Schule Vergebung und Versöhnung geübt werden, wird sie zu einer menschlichen Schule.“ (S.8) 41 Mit Bekanntmachung vom 6.Dezember 1988 Nr.III/2-4/109 264 erklärte das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus: „ ... Die vom Vorsitzenden der Freisinger Bischofskonferenz und vom Landesbischof der Evang.-Luth.Kirche in Bayern herausgegebenen Leitsätze für den Unterricht und die Erziehung nach gemeinsamen Grundsätzen der christlichen Bekenntnisse an Grund-, Haupt- und Sondervolksschulen sind als Konkretisierung der genannten Verfassungsbestimmung der pädagogischen Umsetzung des Verfassungsauftrags zugrundezulegen.“ 26 (6) „Der Gott der Hoffnung hilft uns, die Ängste des Lebens zu bewältigen und mit Vertrauen in die Zukunft zu gehen“. (S.9)42 Die Leitsätze 1-4 und 6 können zwischen Christen und Moslems unstrittig sein. Anders Leitsatz 5. Zu ihm wird ausgeführt: „Christliche Erziehung rechnet damit, daß auch in der Schule menschliches Versagen und Schuld vorkommen. Zugleich lebt der Christ von dem Glauben, daß uns Jesus Christus durch seinen Tod am Kreuz erlöst und von der Schuld befreit hat.“43 - Diese Aussage widerspricht zentralen Lehren des Korans. · Die für alle Schulen des Landes gültigen „Obersten(n) Erziehungsziele(n)“ nennen „Ehrfurcht vor Gott“ (Art 1 BayEUG). Dieses Ziel ist auch in der Verfassung verankert (Art 131). Es bezieht sich nach dem Willen der verfassungsgebenden Versammlung nicht auf einen abstrakten ’Verfassungsgott’, sondern auf den christlichen (trinitarischen) Gottesgedanken. · Andererseits aber verlangt Art 136 der Bayerischen Verfassung: „(1) An allen Schulen sind beim Unterricht die religiösen Empfindungen aller zu achten.“44 Alle diese Fragen sind nicht im Schnellverfahren zu lösen. Sie verlangen eingehende Klärung. Sie betrifft grundsätzliche Überlegungen, umfasst aber auch praktische Fragen wie: Haben muslimische Schüler ein Anrecht darauf, islamische Gebete vor der Klasse zu sprechen? Wie verhalten sich christliche Schüler hierbei und wie bei muslimischen religiösen Schulveranstaltungen? 3.3 Ausblick auf weitere Entwicklungen im Schulwesen Als Folge solcher Fragen und Probleme könnte sich ergeben, dass die im 19. und 20. Jahrhundert unter großer Anteilnahme geführte Auseinandersetzung um die 42 Leitsätze, 2.Aufl. 1988. 43 Leitsätze, S.7. 44 In Art 1 BayEUG als „Achtung vor religiöser Überzeugung“ unter den „Oberste(n) Erziehungsziele“ genannt. 27 Bekenntnisschule45 auf einen neuen Ebene auflebt. Auf der einen Seite könnte sich in Deutschland die Entwicklung wiederholen, die in Großbritannien und in den Niederlanden seit einigen Jahren zu beobachten ist: der sprunghafte Anstieg muslimischer Privatschulen46. 45 Im 19.Jahrhundert wurde diese Frage bereits innerhalb der evangelischen Kirche Bayerns hart diskutiert. Dabei standen sich vor allem Johannes von Hofmann (1810-1877) als Befürworter einer konfessionsneutralen und Adolf von Harleß (1806-1878) als Vertreter einer konfessionsgebundenen Schule gegenüber. 46 Siehe Irka Mohr, Islamischer Religionsunterricht im europäischen Vergleich. www.hgdoe.de/pol/mohr.htm- 18k v.29.2.2004: In Großbritannien „ist es zu einer Welle von islamischen Privatschulgründungen gekommen. Die Zahl der Schulen ist von 15 Anfang der 90er Jahre auf 80 Schulen Ende der 90er Jahre gewachsen. Die Privatschulen werden von lokalen Moscheevereinen getragen. Sie entstehen in Gegenden, wo der muslimische Bevölkerungsanteil hoch und die Plätze in Mädchenschulen gering sind. ... In den Niederlanden gibt es knapp dreißig anerkannte islamische Privatschulen, die 4% der muslimischen Kinder und Jugendlichen unterrichten. Ein Teil der Basisschulen will in eine islamische Lebensweise, einen umfassenden way of life einführen, der sich auch im Ethos der Schule niederschlägt. Andere Privatschulen sind eher Schulen für Muslime als islamische Schulen, die Migrantenkinder durch besondere Förderung und stärkere Einbeziehung der Eltern in die Schularbeit zu besseren Schulabschlüssen führen wollen. ...“. In beiden Ländern „hat der sprunghafte Anstieg der islamischen Privatschulen zu einer allgemeinen Debatte über die Einschränkung des Privatschulsystems bzw. die Neuordnung des Schulwesens geführt. Beispielsweise hat in den Niederlanden eine Schulgesetzänderung aus dem Jahre 1992 die Gründung von Privatschulen erschwert, wodurch die Anzahl islamischer Privatschulen nur noch langsam wächst. In Deutschland spielt die muslimische Minderheit eine ähnliche katalytische Rolle. Als 1998 durch die Anerkennung des Dachverbands Islamische Föderation als Religionsgemeinschaft in Berlin zum ersten Mal ein islamischer Religionsunterricht an den öffentlichen Schulen als möglich erschien, führte dies zu einer grundsätzlichen öffentlichen Debatte über die Rolle von Religion in der Schule.“ 28 Auf der anderen Seite verstärkt sich bereits jetzt die Tendenz christlicher Eltern, ihre Kinder auf kirchliche Schulen zu schicken47. Verbirgt sich dahinter das Bestreben, dem Einfluss des Islam auf die allgemeinbildenden Schulen auszuweichen? 4. Islamischer Religionsunterricht und schulische Allgemeinbildung Mit der Einführung eines islamischen Unterrichtes als ordentliches Lehrfach kommt es zu einer geschichtlich neuen Situation im deutschen Schulwesen. Erstmals konkurrieren im Rahmen seines Allgemeinbildungsauftrags offiziell unterschiedliche Wirklichkeitsdeutungen und zwar jeweils mit „Universalitätsanspruch“48 auf Geltung und Anerkennung. Das hat weit reichende Folgen. 4.1 Folgen der neuen Situation für Politik und Schulverwaltung Angesichts der neuen Situation genügt es nicht, die für die Einführung eines islamischen Unterrichtes notwendigen Bestimmungen zu erlassen. Vorher muss man sich über die Auswirkungen von muslimischer Zivilisation, Kultur und Glauben auf den Allgemeinbildungsauftrag der Schule verständigen49. Daneben ist es notwendig, dass dieser Unterricht 47 Vgl. dazu FAZ Nr.77 vom 31.März 2004, S.4: Evangelisches Gymnasium mit Ganztagsbetreuung. ... Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) wird im rheinland-pfälzischen Bad Marienberg ein evangelisches Gymnasium öffnen. ... Das Gymnasium, das als verpflichtende Ganztagsschule bis 15.30 Uhr mit Mittagessen und Hausaufgabenbetreuung geplant ist, solle beispielhaft zeigen, wie schulische Bildung mit einem deutlichen evangelischen Profil verwirklicht werden könne. Dazu gehörten eine entsprechende Lernatmosphäre, die »Vermittlung« christlicher Werte, Schulgottesdienste, das Morgen- und das Tischgebet sowie verschiedene Praktika und Projekte, außerdem ein durchgängig erteilter Religionsunterricht. ...“. 48 Mehmet Mihri Özdogan (Soziologe): Das Kopftuch als Symbol. In: FAZ Nr.93 vom 21.April 2004, S.8. Vgl. auch A.Goerlach, Die neue Weltunterordnung, S.45: S.Fatallah betont, „»daß alle Religionen und Kulturen dem Islam untergeordnet sind.« ... »Allah uakbar« - Gott ist größer! -, ist fünfmal am Tag die Mahnung an die Andersgläubigen, sich ihrer Minderwertigkeit bewusst zu bleiben. ...“. 49 Hier liegt ein Defizit auch der Veröffentlichung der EKD - Religionsunterricht für muslimische Schülerinnen 29 für längere Zeit durch eine Expertenkommission begleitet wird, die die Auswirkungen auf Lehrende, Lernende, Schulleben und Schulumfeld untersucht. Ihr müssen Politiker, Pädagogen, Psychologen, Lehrkräfte, Eltern und Schüler, sowie Vertreter der betroffenen Religionsgemeinschaften angehören. 4.2 Folgen für die kulturell-gesellschaftliche Dimension schulischer Allgemeinbildung und Schüler. Eine Stellungnahme des Kirchenamtes der Evangelischen Kirche in Deutschland vom 16. Februar 1999. 30 Bei der Frage nach den Auswirkungen auf die kulturell-gesellschaftliche Dimension schulischer Allgemeinbildung ist zu bedenken: Die deutsche Gesellschaft ist verunsichert, welche Kultur und welche gesellschaftlichen Leitvorstellungen schulische Allgemeinbildung vermitteln soll. Soll die These gelten: „Offene Gesellschaften müssen ohne substanzielle Mitte, ohne eindeutig definierbaren moralischen, kulturellen oder religiösen Identitätskern auskommen.“?50 Oder will man an einer identifizierbaren deutschen „Kulturnation“51 festhalten? Versucht man sie unter der Perspektive von Weltanschauung und Religion zu bestimmen, dann stößt man auf sehr unterschiedliche Elemente: · Das Christentum bringt ein fortschreitendes Zeitverständnis, damit den Gedanken der ’Entwicklung’ ein, das abendländische Kulturerbe, die Gewaltenteilung und die Menschenrechte. · Die nachaufklärerische Moderne trägt die Gedanken der Pluralität und Säkularisierung bei52. · Der Islam kann auf die arabische Hochkultur verweisen, in der das große kulturelle Erbe der Antike bewahrt und z.T. auch entfaltet wurde. Doch sind im Blick auf den Islam und seinen Unterricht wichtige Fragen offen: 50 Richard Herzinger: Angst vor der leeren Mitte. In der Berliner Republik schwindet der Wertekonsens. Was tritt an seine Stelle? In: DIE ZEIT Nr.36 vom 30.August 2001, S.7. 51 Georg Paul Hefty: Integration verlangt Kraft und Maß. In: FAZ Nr.77 vom 31.März 2004, S.1. 52 Jan Ross: Kontinent der leeren Kirchen. Von den Kreuzzügen zum Kopftuch: Das säkulare Europa misstraut den Islam - und auch dem Christentum. Doch ohne Seele geht es nicht. In: DIE ZEIT Nr.16 vom 7.April 2004, S.3: „Dass die Säkularisierung, die Einhegung und Entmächtigung der Religion, keine selbstverständliche Tendenz der Moderne ist, das beginnt man zu begreifen. Umso kostbarer, schützenswerter, identitätsstiftender erscheint den Europäern ihre Diesseitigkeit.“ In diesem Zusammenhang ist der Kopftuchstreit „die erste grenzüberschreitende religionspolitische Debatte, Zeugnis einer entstehenden europäischen Öffentlichkeit - der Einstieg in das Gespräch über eine »europäische Leitkultur«, wie Annette Schavan meint.“ Vgl. dazu die These von John Gray: Die Geburt al-Qaidas aus dem Geist der Moderne. Kunstmann München 2004: Der islamistische Terror entstamme nicht der Religion, sondern sei ein Spaltspilz von europäischer Moderne und Aufklärung, ebenso wie der Kommunismus und Nationalsozialismus. 31 · Wie wird hier die abendländisch-säkulare Kultur bewertet: als gegenüber der islamischen Kultur gleichwertig oder als minderwertig, wie dies an der Al-Azhar-Universität in Kairo gelehrt wird?53 Welches Maß an Integration des Islam in die hiesige Gesellschaft und Kultur ist möglich? Nachdenklich macht in diesem Zusammenhang, dass Deutsche, die Muslime werden, nicht selten vorderasiatische Vornamen annehmen. Weiter: Wie steht der islamische Unterricht zur Vision eines „Euro-Islam“?54 - Der Kopftuchstreit ist nur ein 53 Vgl. A.Goerlach, Die neue Weltunterordnung, S.45: S.Fatallah (Al-Azhar-Universität in Kairo) betont, „»daß alle Religionen und Kulturen dem Islam untergeordnet sind.«“ Vgl. auch Alexander Kissler: Der christliche Faktor. Europa sollte sich seiner Ursprünge besinnen, auch wenn die Zukunft des Kontinents nicht christlich formuliert werden kann. In: Süddeutsche Zeitung Nr.98 vom 28. April 2004, S.13: „Zumindest der orthodoxe Islam kollidiert mit einem Menschenbild, das bisher typisch für Europa galt und dessen Prinzipien spätestens seit dem elften Jahrhundert Selbstbestimmung, Gewissensfreiheit, Menschenwürde lauten.“ 54 Auch der Koran kann neu ausgelegt werden. [Dr.St.Leimgruber, Prof. für Religionspädagogik und Didaktik des Religionsunterrichts an der Kath.-Theol. Fakultät der Universität München, „Fachmann für »interreligiöses Lernen«“ im Gespräch mit Adelbert Reif]. In: Rhein.Merkur Nr.15 vom 8.April 2004, S.25: „Ein »Islam mit europäischem Gesicht« , und das heißt ein Islam, der die Menschenrechte akzeptiert und mit den ... Verfassungen der europäischen Staaten kompatibel ist, wird früher oder später entstehen. Denn die kulturelle Umgebung für die hier lebenden Muslime ist ... eine europäisch geprägte.“ So bejaht man „Geschlechtergerechtigkeit, Menschenrechte und Religionsfreiheit. Dieser »europäische Islam« wird dann zweifellos Rückwirkungen auf den Islam in anderen Ländern zeitigen.“ Vgl. A.Aries, Das Interesse des Islam an Art 7/3 GG: Er weiß sich als Mitglied des Islamrates bewusst als deutscher Moslem, einem deutschen Islam verpflichtet und im deutschen Kulturkreis beheimatet. Er grenzt sich gegen maghrebinischen, türkischen und iranischen Islam ab, betont aber, dass die Gemeinsamkeiten letztlich größer sind als die Differenzen. Er ist überzeugt, dass sich wie das Reformjudentum ein deutscher Reformislam bilden wird, mit eigener Stimme in der islamischen Welt, vermutet jedoch, dass dort nicht wenige große Angst vor dieser Entwicklung haben. Ferner: Jan Ross, Kontinent der leeren Kirchen, S.3: „Optimisten hoffen für die Zukunft auf einen »Euro-Islam«, der keine arabische oder anatolische Kultur-Enklave mehr darstellen soll, sondern bloß die Religionszugehörigkeit von Bürgern »mit Migrationshintergrund«, wie ihre Nachbarn eben katholisch oder evangelisch sind. Aber Europa und der Westen können für den Islam auch ganz etwas anderes bedeuten - nicht Mäßigung, sondern verschärfte Militanz, eine Schule des Sich-Abgrenzens ... Kürzlich wurde um London herum eine Gruppe ausgehoben, die ein Attentat mit einem sprengstoffgefüllten Lastwagen plante ... Fast alle waren ganz junge Leute, ... typische Muslime des postkolonial-vielvölkerhaften Großbritannien ... Es ist ein ortloser, globalisierter, überall mobilisierbarer Resentiment-Islam, in dem das Terrorpotenzial schlummert. Für Europa ist 32 Symptom all solcher Fragen.55 - Sodann: · Wie steht islamischer Religionsunterricht zur westlichen Gewaltenteilung von Staat und Religionsgemeinschaften und wie zum weltanschaulichen Pluralismus?56 das Verhältnis zum Islam eine Identitätsfrage, von alters her ...“. 55 M.M.Özdogan, Das Kopftuch als Symbol, S.8: „Die Aufklärung in Europa hat sich ... weniger im Verbot religiöser Symbole verwirklicht als vielmehr in der Transformation der Kultur selbst in einem Symbolsystem: Das Religiöse wurde nicht eliminiert, sondern in diese aufgeklärte Kultur eingegliedert. In den muslimischen Welt gab es diese Transformation ... nicht - allerdings einen Funktionswandel der Symbole selbst. Das Kopftuch bietet dafür ein Paradebeispiel. Verschiedene historische Quellen erzählen übereinstimmend die Episode, daß die Frauen des Propheten in Medina von einigen Männern ... belästigt wurden, als sie nachts wegen ihrer Bedürfnisse ausgingen. Als die Männer daraufhin aufgefordert wurden, über ihre Untat Rechenschaft abzulegen, gaben sie an, die Frauen für Sklavinnen gehalten zu haben. Daraufhin offenbarte Gott den Vers, der die Vorschriften zur weiblichen Verschleierung enthielt ... (33;59). Viele namhafte Koranexegeten sind sich über die Bedeutung dieses Verses einig: Die weibliche Verhüllung wurde mit dem Aufkommen des Islam als ein Privileg für die muslimischen Frauen eingeführt. Doch die gesellschaftlichen und politischen Bedingungen haben sich geändert“. Und „es gibt einen Trend zur Vereinheitlichung der religiösen Symbolik“ als „Unterordnung der individuellen Bedürfnisse unter eine totalitäre Kollektivität. Die Vereinheitlichung der religiösen Symbolik ist nichts anderes als ihre politische Funktionalisierung. ... Symbole sind nicht nur darauf ausgerichtet, die individuellen Bedürfnisse der Menschen zu beantworten, sondern sie wirken als Bedeutungsträger bei der Konstituierung und Veränderung der menschlichen Lebensentwürfe als entscheidende Elemente mit“, als „Verankerung der »Gruppenidentität«“ bereits im „frühen Kindesalter“. „Das kulturelle Symbolsystem kann man in einer gewissen Hinsicht als eine nonverbale, ästhetische Erziehungsinstitution auffassen.“ Das Kopftuch als „erlebniswirksames Symbol“ entfaltet „sozialisatorische(n) Wirkungen ... unabhängig von der Absicht seiner Trägerinnen ... So kann im Tragen des Kopftuches auch eine bestimmte Handlungsanweisung verwirklicht sein, die nicht nur die Stellung der Frau in der Gesellschaft betrifft, sondern auch den Wunsch nach einer religiös fundierten Gesellschaftsordnung. ... Daß der in der Moderne nahezu unverändert fortwirkende sakrale Grundzug der religiösen Symbolik des Islam sich bisher einer reflexiven Durchdringung erfolgreich entziehen konnte, kommt dem politischen Islamismus zugute.“ Hinter „der Kopftuchdebatte ... verbirgt sich der zentrale Konflikt zwischen dem Universalitätsanspruch des Religiösen im Islam und dem Universalitätsanspruch der bürgerlichen Kultur. ...“. 56 Vgl. M.M.Özdogan, Das Kopftuch als Symbol, S.8. 33 · Welches Zeitverständnis vermittelt er den Schülern? Die Sichtweise einer ’gleichzeitigen Zeit’, wie sie u.a. an der Al-Azhar-Universität in Kairo gelehrt wird, und die keine Entwicklung im westlichen Sinn zulässt?57 Und welche Rückwirkungen hat eine solche Sicht für die Selbstkritikfähigkeit des Islam?58 Weiter: · Welche ethische Bildung59 vermittelt ein islamischer Religionsunterricht? - Schließlich: 57 Prof.Dr.Abdoljavad Falaturi vertrat in der theologischen Studienwoche in Josefstal im Gespräch mit H.Anselm den Gedanken der „Wo-Zeit“, also einer an Orte gebundenen Zeit. Vgl. auch A.Goerlach, Die neue Weltunterordnung, S.45: In der arabischen Welt herrscht die Überzeugung: „Wenn Gott in einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort den Koran ... herabsendet, dann ist die Gesellschaft zu jener Zeit so, die Gott sich die Welt wünscht. Die Kodifizierung jedes Aspektes des menschlichen Lebens, wie sie der Koran leistet, macht eine Abstrahierung oder eine Weiterentwicklung des Textes unmöglich, denn Gottes Wort ist perfekt und kann nicht durch menschliche Modifikation verfeinert oder übertroffen werden. Die islamische Gesellschaft soll sich so nicht fort-, sondern zurückentwickeln, so wie sie zur Zeit des Propheten war.“ - Vgl. A.Kissler, Der christliche Faktor, S.13: „Der Islam scheint anders als das Christentum gegen seine eigene Historisierung immun zu sein. ... Die Verkündigung des Korans durch den Engel Gabriel im siebten Jahrhundert ist der alleinige Referenzpunkt, an den jede Deutung zurückkehren muss, während der jüdisch-christliche Gott, der durch die Zeiten hindurch immer anders zu immer anderen Personen sprach, schon durch die Art seiner Selbstmitteilung ein historischer und damit ein kritisierbarer Gott ist. Deshalb gibt es keine Tradition islamischer Selbstkritik, keine Fragmentierung und Privatisierung des religiösen Wissens ...“. 58 Anders sieht dies Stephan Leimgruber, vgl. Auch der Koran kann neu ausgelegt werden, S.25: „Es gibt aber einige, wenn auch noch sehr wenige junge muslimische Theologen, die modernere theologische Positionen zu vertreten beginnen. Sie halten zum Beispiel eine Interpretation des Korans für möglich. Der Koran ist für sie keineswegs ein von Gott für alle Zeiten wortwörtlich geoffenbartes Buch.“ 59 Zum Begriff: Karl Friedrich Haag: Werteerziehung oder ethische Bildung? Überlegungen zur schulischen Praxis. In: Ders./Walter Sparn/Hans G.Ulrich: Nach Ethik fragen. Beiträge zur Werte-Diskussion, zu Fragen Ethischer Orientierung und ’Moralerziehung’, zum ’Gegenstand ethischen Nachdenkens’. In: Arbeitshilfe für den evangelischen Religionsunterricht an Gymnasien, Themenfolge 127, S.1-72,S.37: „Das Ethos eines Menschen ist gleichsam jener Raum von Überzeugungen, in dem er beheimatet ist, der ihm vertraut ist, wo er etwas spürt von den Quellen seines Lebens, ... von wo ihm grundlegende Orientierung und sein Maßstab für das, was gut ist, zukommt, wo er das findet ..., was für sein Selbstverständnis tragend ist (vielleicht kann man auch sagen: das, was ihn in seinem Gewissen bindet). Die Moral eines Menschen ist zunächst einmal nicht ... etwas Individuelles, sondern jenes Setting von normativen Vorstellungen und Regelungen, von moralischen Überzeugungen und Einstellungen, die ihn mit der Gesellschaft, in der er lebt, verbinden. ... Die Moral steht zur Debatte auf dem Forum; sie ist das Ergebnis des 34 · Wie stellt er sich zur Gesellschafts- und Rechtsordnung? Lehrt er „die Akzeptanz aller europäischen Gesetze und vor allem der säkularen Verfassungen“ mit dem eindeutigen Bekenntnis: „»Ein Rechtssystem für alle« und keine Scharia für die islamischen Minderheiten,“ auch nicht „auf dem Gebiet des Familienrechts“?60 4.3 Auswirkungen auf die religiöse Dimension von schulischer Allgemeinbildung öffentlichen (politischen) Bemühens um Maßstäbe der Gerechtigkeit. ... Ethische Bildung meint ... die Entwicklung und Herausbildung, also die Ausbildung von Ethos und Moral, betont aber auch die Ausbildung der Praxis ethischen Nachdenkens ...“. 60 Prof.Dr.Bassam Tibi: Kulturdialog im globalen Dorf. Der Islam und Europa, der Islam in Europa. In: FAZ Nr.215 vom 16. September 1997, S.11. 35 Neben den kulturell-gesellschaftlichen Auswirkungen hat der islamische Unterricht Folgen für die religiöse Dimension schulischer Allgemeinbildung. Diese Folgen sind besonders wichtig, da in unseren Schulen die großen theologisch-philosophischen Fragen in den Hintergrund getreten sind61. Das führte zu einem Kompetenzverlust bei den Jugendlichen und auch bei den Lehrkräften. Diesen Kompetenzverlust versucht man vielfach durch ein harmonisierendes Wirklichkeitsverständnis auszugleichen, wonach in Glaubensdingen letztlich alles mit allem gleich ist62. 61 In der Allgemeinen Pädagogik kam es in den letzten Jahren zu einer doppelten Wende: (1) Von den großen Fragen ’Was kann ich - als Pädagoge - wissen’? ’Was soll ich tun’? ’Was darf ich hoffen’? (vgl. Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft. Akademie-Textausgabe. Nachdruck der Ausgabe 1910-1923. 8 Bände. De Gruyter Berlin 1968. Bd.3[B], S.832f.) hin zu praktischen ’teaching-tips’ (Prof.Dr.Lutz Koch, Bayreuth: „Pädagogik als angewandte Philosophie“. Referat auf dem Symposium „Wozu Pädagogik?“.Veranstaltung der Akademie für Politik und Zeitgeschehen der Hanns-Seidel-Stiftung e.V. mit der Universität Würzburg am 14./15.1.2000 in Würzburg). (2) Von der allgemeinen Theoriediskussion zu den konkreten Bedürfnissen und Interessen der schulischen Basis. Nun aber, das zeigte das Symposion, mehren sich Stimmen, die diese Entwicklung kritisch sehen und die Theoriediskussion unter Einbezug der geschichtlichen Dimension wieder aufnehmen. 62 Karl Ernst Nipkow: Bildung in einer pluralen Welt. Kaiser/Gütersloher Verlagshaus Gütersloh 1998, Bd.2, S. 302ff.,305: Es ist zu unterscheiden zwischen einem „»harten Pluralismusbild(es)«“, d.h. zwischen einem vorhandene Gegensätze nicht aussparenden Pluralismus, und einem „»weichen«“, der um des Konsenses willen den Einheitsgedanken über die Differenzen stellt. Dieser ’weiche’ Pluralismus ersetzt den Streit um die Wahrheit durch harmonisierenden Dialog, die Überzeugung Andersdenkender und -gläubiger durch vermittelnden Konsens. Leitfunktion hat nach Heinrich Ott der Gedanke der „Dialogische(n) Existenz“, die sich etwa in einem „»interreligiösen Zirkel«“, in einem „Sich-gegenseitig-umgreifen-, Sich-gegenseitig-integrieren-wollen“ Ausdruck gibt (H.Ott: Ein neues Paradigma in der Religionstheologie. In: R.Bernhardt [Hrsg.]: Horizontüberschreitung. Die Pluralistische Theologie der Religionen. Gütersloher Verlagshaus Gütersloh 1991, S.31-46, S.38[38ff.] bzw. 43 und 45). Glaube stützt sich, so gesehen, nicht mehr auf tradierte kirchliche Lehraussagen, gar auf Bekenntnisschriften, sondern auf „»private Meinungen«“ mündiger Religionsbürger bzw. auf das, was die ’Basis’ für richtig hält. Damit tritt, spitz gesagt, an Stelle der Theologie religiöse Demoskopie und als Antwort auf die Wahrheitsfrage in neuem Sinn das, was ab omnibus ubique geglaubt wird. Vgl. dazu H.Ott, Ein neues Paradigma in der Religionstheologie, S.45f.: „Dialog zwischen Religionen ist nicht einfach Fügsamkeit und Harmonie, sondern das Aufeinandertreffen von Absolutheits-(S.45)ansprüchen. Dabei wird freilich der Christ gewärtig sein und akzeptieren müssen, seinerseits zum Beispiel vom Buddhisten als »anonymer Buddhist« gesehen zu werden. 36 Angesichts dieser Situation kann der islamische Unterricht wertvolle Impulse geben. Er kann mit der Selbstbehauptungskraft des Islam gegen westliche Vereinnahmung harmonisierende Ansichten durchbrechen und dazu beitragen, wieder die „Würde der Differenz“ anzuerkennen, die der Tübinger Theologe Jürgen Moltmann für die Religionen einfordert63. Dieser Beitrag hat eine formale und eine inhaltliche Seite. 4.3.1 Formaler Beitrag Der formale Beitrag umfasst vor allem drei Schwerpunkte: · Der islamische Unterricht - das ist wichtig - verstärkt die Stimme der religiösen Dimension im ’Gesamtkonzert’ der schulischen Arbeit. Und er kann im Dialog mit den übrigen Unterrichtsfächern authentische Informationen über Geschichte, Lehre und Leben seines Glaubens geben. · Ebenso wichtig ist es, dass dadurch Lehrkräfte und Schüler mit unterschiedlichen und konkurrierenden Wirklichkeitsdeutungen konfrontiert werden. Das weitet den Horizont und durchbricht selbstbezogenes Denken und Argumentieren. Dieser inter-religiöse Zirkel ist es, der in unserer Epoche die Wahrheit des lebendigen Gottes bezeugt - des Gottes, welcher keine Ideologie ist, die man »haben« kann.“ 63 J.Moltmann: Die Würde der Differenz. In: DIE ZEIT Nr.10 vom 26.Februar 2004, S.44: „Alle Religionsgemeinschaften müssen sich in der Bundesrepublik halten an: die Trennung von Kirche und Staat, Religion und Politik; das Menschen- und Bürgerrecht der ... Religionsfreiheit ...; die Menschenwürde und die Menschenrechte der Frau. ... Weil auch innerhalb dieser Grenzen nicht alle Religionen gleich sind, können auch nicht alle gleich behandelt werden. Es gibt eine Würde der Differenz, die ... respektiert werden muss. Man muss schon einen sehr großen Abstand von Religion überhaupt haben, wenn einem die verschiedenen Symbole der Religionen alle gleich gültig erscheinen.“ 37 · Zugleich macht die dabei entstehende Erfahrung der unabgleichbaren Widersprüchlichkeit die schulische Arbeit anschlussfähig an die aktuellen Strömungen der Moderne64, nach denen es keine feststehenden Sicherheiten gibt65, und die lediglich ein „offenes ... Feld ... konkurrierender Wissensbereiche“ kennen.66 Die gegensätzlichen Wirklichkeitsdeutungen von Christentum und Islam fordern die persönliche Stellungnahme. Zugleich erheben sie den Anspruch, in ihrer jeweiligen Eigen-Art ernst genommen zu werden. · Das verlangt von Lehrkräften und Schülern die Einübung in Streitkultur als Fähigkeit, Weltanschauungs- und Glaubenskonflikte sachgerecht zu erfassen, an ihrer Verringerung zu arbeiten, aber auch Differenzen auszuhalten. So betrachtet, kann man mit Klaus Berger „unsere gegenwärtige Art der Auseinandersetzung mit dem Islam nur als stümperhaft bezeichnen ... Tatsächlich gibt es eine große Tradition der Auseinandersetzung mit dem Islam.“ Zu ihr „müssen wir zurückfinden“67. · Dabei verbieten sich Vereinnahmung ebenso wie oberflächlicher Dialog oder vorschnelle Toleranz als herablassende ’Duldung’. - Toleranz ist überdies zumindest im ägyptischen Islam „ein Zeichen von Schwäche“68. 64 Zum Folgenden Helmut Anselm: Herausforderungen. Spannungsfelder des Religionsunterrichts im 21.Jahrhundert. Pano-Verlag Zürich 2002, S.89ff. 65 Ulrich Beck: Wissen oder Nicht-Wissen? Zwei Perspektiven „reflexiver Modernisierung“. In: Ders./Anthony Giddens/Scott Lash: Reflexive Modernisierung. Eine Kontroverse. Ed. Suhrkamp 1705. Suhrkamp Frankfurt/M 1. Aufl. 1996, S. 289-315, S.293, vgl. 289ff, 302; vgl. 308 (zum Ansatz A.Giddens). 66 U.Beck, Wissen oder Nicht-Wissen?, S.306. 67 K.Berger: Die Muslime sind längst unter uns. Der Islam profitierte schon immer von der religiösen Schwäche des Westens. Das Christentum muss jetzt die Auseinandersetzung suchen. In: DIE ZEIT Nr.13 vom 18.März 2004, S.51. 68 A.Goerlach, Die neue Weltunterordnung, S.45; ebd.: „»Dialog bedeutet im Arabischen, daß man zusammenkommen muß, wenn etwas schief gelaufen ist, wenn man gestritten hat und uneins ist. Es bedeutet nicht, wie in Europa, das Interesse am anderen, als Mensch, ein Interesse an seiner Kultur und seinen Vorstellungen«, sagt der Nuntius Marco Brogi“ in Kairo. Die Sicht, Juden und Christen hätten die heilige Schriften gefälscht, „hatte erheblichen Einfluß auf die Möglichkeiten interkulturellen und interreligiösen Dialogs. 38 Für eine sachgerechte Begegnung und Auseinandersetzung sollten vor allem drei Regeln gelten: (1) Dem Andersgläubigen muss Streitwürdigkeit zuerkannt werden: Also, dass seine Position und Haltung es wert sind, mit ihm in den Streit einzutreten. (2) Ihm ist Respekt entgegenzubringen: Weder ist erlaubt, auf ihn herabzusehen noch gar sich über seinen Glauben zu mockieren. Schließlich: (3) Es müssen Wege der Konvivenz gesucht werden: Wege für ein konfliktarmes Miteinander gemäß des konziliaren Prozesses für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung.69 4.3.2 Inhaltlicher Beitrag Das weiß man auch in Rom ... Da man von islamischer Seite voraussetze, dass die christlichen und jüdischen Schriften gefälscht sind, kann man auch nicht theologisch gleichberechtigt in Kontakt treten. ... Die Gelehrten der Al-Azhar-Universität jedenfalls sind keine Freunde des Dialogs mit den Christen und den Juden.“ 69 H.Anselm: Religion oder Ethik. Claudius München S.55f.: Es geht um die „auf die Befähigung zur Konvivenz, Konvivenz verstanden als das Miteinanderlebenkönnen von Christen mit Andersdenken und glaubenden. (S.55) Sie wird durch einen Lehr- und Lernzirkel erworben, der von drei Merkmalen bestimmt ist: · Er ist ein ständiger Prozess und zukunftsoffen. · Er besitzt eine gegenläufige Bewegungsstruktur, bewegt sich also nach Art einer doppeläufigen Spirale. Und: · Er hat drei Stationen, ... Identität, tolerante Partnerschaft und (selbst-)kritische Reflexivität.“ Vgl. dazu: Religionen, Religiosität und christlicher Glaube. Eine Studie. Hrsg. von der Geschäftsstelle der Arnoldshainer Konferenz und der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD), Gütersloher Verlagshaus Gütersloh 1991, S.72,72ff. bzw. S.125ff., bes. 128f.: „Der Begriff der Konvivenz ist von Th.Sundermeier in die Erörterung des Verhaltens des Christentums zu den außerchristlichen Religionen eingeführt worden (Ök.Ex. heute. Bd.1).“ Er „bezeichnet die Handlungsweise gegenüber der als von Gottes Welthandeln umgriffenen oder auch erfüllten Weltwirklichkeit. Sundermeier hat die Konvivenz dreifach charakterisiert: als gegenseitige Hilfeleistung, als wechselseitiges Lernen und als gemeinsames Feiern. Die Grundlage dieser Gegenseitig-(S.128)keit oder Wechselseitigkeit ist die humilitas gegenüber einer Wirklichkeit, die Gottes Handeln oder Gottes Nähe erfüllt“. Hier wird der Begriff ohne diesen religionstheologischen Hintergrund verwendet, als Fähigkeit und Bereitschaft, miteinander zu leben, einander zu helfen und sich gegenseitig kritisch herauszufordern. 39 Feststeht, dass es zwischen Islam und christlichem Glauben Übereinstimmungen gibt. So sieht auch der Koran in Jesus den Messias; das muslimische rituelle Gebet „entstammt den christlichen Stundengebet“; schließlich „äußert sich der Koran positiv gegenüber Christen im Allgemeinen“ und „dem Mönchtum im Besonderen.“70 Schwerer wiegen aber die Unterschiede. Sie sind allerdings wegen der unhierarchischdezentralen Struktur des Islam nicht leicht festzumachen, da man immer wieder auf andere religiöse Schulen treffen kann71. Dennoch lassen sich vier zentrale Differenzen benennen: · Das Wahrheitsverständnis: Im abendländisch-christlichen Bereich wird die Frage nach Wahrheit sehr unterschiedlich gestellt (und beantwortet): (1) Steht Wahrheit objektiv-naturrechtlich fest, als das „zu allen Zeiten Gültige“„Tao“72, das vom Menschen nicht geschaffen wird, sondern ihm unveränderbar vorgegeben ist? (2) Ist sie eine Größe, die durch Menschen gesetzt wird (’positive Wahrheit’), sei es durch einzelne, sei es durch einen konsensual-kommunikativen Prozess von Menschen?73 70 K.Berger, Die Muslime sind längst unter uns, S.51. Vgl. auch Sure 5,85: „Die Gläubigen stehen den Nazarenern am freundlichsten gegenüber“. 71 Helmut Wiesmann (Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn): Muslime in Deutschland. Informationen und Klärungen. Tagung der Evang.Akademie Tutzing „Minarette in Deutschland“ (Heilsbronn, 22.Mai 2004): Ein Problem ist, dass im Islam keiner sagt, was wirklich gelten soll. 72 Herbert Huber: Tao oder Mehrheit. Über den Grund moralischer Geltung. In: Ders./Hans Zehetmair/ Hel- mut Zöpfl: Ethik in der Schule. Bayerischer Schulbuch Verlag München 1993, S.17-33, S.24. Wobei sich das Tao aller „menschlichen Vernunft sozusagen aufdrängt“ (S.24). 73 Jürgen Habermas: Wahrheitstheorien. In: H.Fahrenbach (Hrsg.): Wirklichkeit und Reflexion. Walter Schulz zum 60. Geburtstag. Neske Pfullingen 1973, S.211-265,S.218f.: „1. These. Wahrheit nennen wir den Geltungsanspruch, den wir mit konstativen Sprechakten verbinden. ... 2.These. Wahrheitsfragen ergeben sich erst, wenn die in Handlungszusammenhängen naiv unterstellten Geltungsansprüche problematisiert werden. ... 3. These. In Handlungszusammenhängen informieren Behauptungen über Gegenstände der Erfahrung, in Diskursen stehen Aussagen über Tatsachen zur Diskussion. Wahrheitsfragen stellen sich daher im Hinblick nicht sowohl auf die innerweltlichen Korrelate handlungsbezogener Kognition, als vielmehr auf Tatsachen, die erfahrungsfreien und handlungsentlasteten Diskursen zugeordnet sind. ... Aus diesen Thesen möchte ich einige vorläufige Schlussfolgerungen ziehen, die eine Konsensustheorie der Wahrheiten nahelegen ... (S.218) ... Dieser Auffassung zufolge darf ich dann und nur dann einem Gegenstand 40 (3) Ist sie im Sinne G.W.F.Hegels einem Entwicklungsprozess unterworfen, in dem sie jeweilige Wahrheit für den jeweiligen Zeitmoment ist, bis sie am Ende absolut sein wird?74 (4) Ist sie eine Größe, die dem Menschen von Gott offenbart wird, und ist sie dabei nur dem Glauben zugänglich oder nur der Vernunft oder beiden? (5) Ist Wahrheit Illusion oder bloßer Schein, allen Menschen entzogen, keinem verfügbar? ein Prädikat zusprechen, wenn auch jeder andere, der in ein Gespräch mit mir eintreten könnte, demselben Gegenstand das gleiche Prädikat zusprechen würde. ... Die Bedingung für die Wahrheit von Aussagen ist die potenzielle Zustimmung aller anderen. ... Wahrheit meint das Versprechen, einen vernünftigen Konsensus zu erzielen.“ (S.219) 74 G.W.F.Hegel: Phänomenologie des Geistes. Nach dem Texte der Originalausgabe hrsg. v. J.Hoffmeister. In: Ders.: Sämtliche Werke. Neue kritische Ausgabe Bd.5. Phil.Bibl. Bd.114, Meiner Hamburg (1907) 6.Aufl. 1952, S.21: „Das Wahre ist das Ganze. Das Ganze aber ist nur das durch seine Entwicklung sich vollendende Wesen. Es ist von dem Absoluten zu sagen, daß es wesentlich Resultat, daß es erst am Ende das ist, was ist in Wahrheit ist“. 41 (6) Ist sie ein Sachverhalt oder eine personale Größe (Jesus:„Ich bin ... die Wahrheit“; J 14,6)? Anders im Islam. Für die große Mehrzahl der Moslems - sieht man etwa von den Aleviten ab75 - ist die Wahrheitsfrage ein für allemal entschieden: Allah hat im Koran die endgültige und übergeschichtliche Wahrheit geoffenbart. Demgegenüber seien Wahrheitsvorstellungen der Christen falsch bzw. Fälschungen76. Mit dieser Position kann der islamische Unterricht die in unseren Schulen kaum mehr geführte Diskussion über Wahrheit wieder in Gang bringen. · Die Anthropologie, also die Lehre vom Menschen: Nach dem Koran gibt es keinen Bruch zwischen Allah und den Menschen. Daraus folgt: „Der Mensch ist nicht darauf angewiesen“, dass Allah „ihn erlöst.“ (S.219) „» ... Der Mensch bedarf lediglich der Rechtleitung ....«“77. Damit ist „das islamische Menschenbild ... sehr viel optimistischer(es) als das (S. 220) 75 H.Wiesmann, „Minarette in Deutschland“ (Heilsbronn, 21.Mai 2004): Für Aleviten ist der Koran nicht wörtliche Gottesoffenbarung, sondern von Menschen geschriebenes, auslegbares Buch. 76 A.Goerlach, Die neue Weltunterordnung, S.45: „»Die Juden und die Christen haben ihre heiligen Schriften gefälscht. Dafür gibt es den Begriff des tharif«, erklärt“ Dr.S.Fatallah (Kairo) „»Die Juden haben diese Fälschung mit Absicht vorgenommen, die Christen aus Unwissenheit«, fährt er fort. »Die Wahrheit über die heiligen Schriften der Juden und der Christen kennen nur die Muslime, weil die Wahrheit über diese Religionen nur in unserem Koran steht.« Sayyed Fatallah hat diesbezüglich keine seltene Sondermeinung, sondern er gibt das wieder, was sich auch in vielen deutschsprachigen wissenschaftlichen Darstellungen des Islam findet.“ 77 Hans-Christoph Goßmann: Theologische Anthropologie als Kontroversthema im christlich-islamischen Dialog. In: M.Krug/R.Lödel/J.Rehm (Hrsg.): Beim Wort nehmen. Die Schrift als Zentrum für kirchliches Reden und Gestalten. Friedrich Mildenberger zum 75. Geburtstag. Kohlhammer Stuttgart 2004, S.216-221, S.219f. H.Ch.Goßmann zit. J.Bouman: Gott und Mensch im Koran. Eine Strukturform religiöser Anthropologie anhand des Beispiels Allah und Muhammad. Impulse der Forschung Bd.22, Darmstadt 2., unveränd. Aufl.1989, S.15. Ferner: S.221: Dabei „wird davon ausgegangen, dass der Mensch, wenn er sich auf richtig darum bemüht, durchaus in der Lage ist, gemäß den Geboten“ Allahs „zu leben.“ Ebd.: Allerdings: „Auch nach islamischem Glauben wird der Mensch ... nicht durch seine Taten errettet werden, sondern nur durch die Barmherzigkeit und Güte“ Allahs. „In diesem Zusammenhang ist wichtig, dass Gott es den Menschen nach islamischem Glauben nicht schwer machen möchte, seine Gebote zu erfüllen. Deshalb soll der Mensch sich darum bemühen, gemäß Gottes Geboten zu leben.“ Doch: „Von einer »Werkgerechtigkeit« kann in Bezug auf den Islam ... keine Rede sein.“ 42 christliche“78 - und steht zugleich modernem westlichen Denken näher. „Nach christlichen Glauben“ dagegen lebt der Mensch in einer „Gottesferne“, die er „von sich aus nicht überwinden kann.“ Er ist deshalb auf Gottes „Heilshandeln in Jesus Christus“ angewiesen.79 78 H.-Ch.Goßmann, Theologische Anthropologie als Kontroversthema im christlich-islamischen Dialog, S.220f. 79 H.-Ch.Goßmann, Theologische Anthropologie als Kontroversthema im christlich-islamischen Dialog, S.218. 43 · Das Gottesbekenntnis: Von ihrem religionstheologischen Ansatz aus sagen katholische Theologen im Konsens mit dem katholischen Lehramt: „Christentum und Islam stellen zwei verschiedene Zugänge zu demselben Gott dar“80 bzw. Christen und Muslime verehren denselben Gott, aber nicht den gleichen81. Damit scheinen im Gottesbekenntnis keine grundlegenden Differenzen zu bestehen. Dem muss widersprochen werden. Hier liegt vielmehr der größte Dissens zwischen Islam und Christentum82. (1) Sie betrifft zunächst das Bekenntnis zu Jesus als dem Christus83. Nach dem Koran ist Jesus nicht am Kreuz gestorben84 und „»nur« ein Prophet und Gesandter Gottes“85, 80 Christen und Muslime in Deutschland. Arbeitshilfen 172. 23.September 2003, S.181, unter Berufung auf Lumen gentium, 16. 81 H.Wiesmann, Muslime in Deutschland, unter Berufung auf Prof. Dr.Christian W.Troll, SJ, Frankfurt. „Das Christentum hat“ nach Stephan Leimgruber im II.Vatikanische Konzil „erstmals offiziell den Islam anerkannt, indem es erklärte, dass Gott sich auch in dieser Religion offenbart habe und dass Muslime und Christen den einen und denselben Gott anbeteten.“ (Auch der Koran kann neu ausgelegt werden, S.25) Vgl. A.Goerlach, Die neue Weltunterordnung, S.45: Erzbischof Michael Fitzgerald, Präsident des Päpstlichen Rates für interreligiösen Dialog: „»Wir als Katholiken sagen mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, daß alle Religionen etwas von der Wahrheit und der Schönheit Gottes aussagen können. Wir sagen dies in unserem Glauben an Jesus Christus ... Er ist die Fülle dessen, was der Mensch über Gott wissen kann.«“. 82 K.Berger, Die Muslime sind längst unter uns, S.51: Hier geht es um jene Positionen, „die sich vom Islam unterscheiden, nämlich Dreifaltigkeit und Sühnetod Jesu.“ 83 Dazu vgl. auch Christen und Muslime in Deutschland. Arbeitshilfen 172. 23.September 2003, S.113ff. 84 Vgl. Sure 4,158: Die Juden sagen: „»Wir haben den Messias, Jesus, den Sohn der Maria, den ’Ge- sandten’Allahs getötet«; während sie ihn doch weder erschlugen noch den Kreuzestod erleiden ließen, sondern er erschien ihnen nur gleich (einem Gekreuzigten)“. Zitiert nach: Der Heilige Qur-Ân. Zweite, neu bearbeitete Auflage. Hrsg. unter der Leitung von Hazrat Mirza Bashir-Ud-Din-Mahmud Ahmad. Verlag »Der Islam« Zürich 1959; ebd. Anmerkung 46: „Jesus wurde, entgegen christlicher Auffassung, lebendig vom Kreuz abgenommen.“ 85 H.-Ch.Goßmann, Theologische Anthropologie als Kontroversthema im christlich-islamischen Dialog, S.219, Anm.10; Vgl. dazu Sure 5,76: „Der Messias, Sohn der Maria, war nur ein Gesandter; gewiß, andere Gesandte sind vor ihm dahingegangen. ...“. Dazu: 1.Joh 2,22f.: (22)„Wer ist ein Lügner, wenn nicht der, der leugnet, daß Jesus der Christus ist? Das ist der Antichrist, der den Vater und den Sohn leugnet. (23) Wer den Sohn leugnet, der hat auch den Vater nicht; wer den Sohn bekennt, der hat auch den Vater.“ 44 damit weder der Sohn Gottes noch der Heiland der Menschen.86 (2) Hinter diesem Jesusbild steht eine scharfe Ablehnung des trinitarischen Gottesgedankens. Er bildet die unüberschreitbare Scheidelinie zwischen Christentum und Islam, der in ihm etwas „Ungeheuerliches“ sieht.87 86 H.-Ch.Goßmann, Theologische Anthropologie als Kontroversthema im christlich-islamischen Dialog, S.219, Anm.10: Der Grund, „warum Jesus Christus im Islam nicht als Erlöser geglaubt wird“, liegt in der „Tatsache, dass der Mensch nach islamischen Glauben nicht erlösungsbedürftig ist.“ 87 Sure 19 über den Glauben der Christen: (82) Sie haben sich Götter genommen statt Allah, auf daß sie ihnen zu Ehre würden. (84) Siehst du nicht, dass Wir Teufel auf die Ungläubigen losgelassen haben, um sie anzureizen? (87) Und die Schuldigen werden Wir zur Hölle treiben wie eine Herde (Kamele). (89) Und sie sprechen: „Der Gnadenreiche hat Sich einen Sohn beigesellt.“ (90) Wahrhaftig, ihr habt da etwas Ungeheuerliches getan! (91) Die Himmel möchten wohl darob zerreißen und die Erde auseinanderbersten und die Berge in Trümmer zusammenstürzen, (92) Weil sie dem Gnadenreichen einen Sohn zugeschrieben haben, (93) Während es dem Gnadenreichen nicht ziemt, Sich einen Sohn beizugesellen.“ Zitiert nach: Der Heilige Qur-Ân. Vgl. ebd. Sure 5,73ff. u.ö. Vgl. A.Goerlach, Die neue Weltunterordnung, S.45: Der Koran berichtet „die Christen glaubten an drei Götter, den Vater-Gott, eine Mutter-Göttin (Maria), die zusammen durch physische geschlechtliche Zeugung den dritten Gott (Jesus) erzeugen.“ Vgl. auch Christen und Muslime in Deutschland. Arbeitshilfen 172. 23.September 2003, S.115ff. U.ö. 45 · Das Religionsverständnis: „In Islam und Christentum treffen zwei konträre Offenbarungsvorstellungen aufeinander. ... Für die Christen offenbart sich Gott in Jesus Christus“88. „Für Muslime offenbart sich Gott“ im Koran, „in seinem eigenen, gesprochenen Wort in arabischer Sprache.“89 Damit ist für sie die Wertigkeit der Religionen klar: Das Christentum ist mit dem Judentum eine Vorläuferreligion des Islam. Allerdings: „»Die Juden und die Christen haben ihre heiligen Schriften gefälscht. ... Die Juden haben diese Fälschung mit Absicht vorgenommen, die Christen aus Unwissenheit«“90. Aus dieser Perspektive heraus können Muslime auch davon sprechen, dass die Christen unbewusste - unwissende - Muslime sind, die den wahren Glauben in seiner Fülle (noch) nicht erkannt haben. Der Islam besitze dagegen die authentische Offenbarung Allahs und stelle so auch die abschließende und vollkommene Religion dar91. 88 A.Goerlach: Die neue Weltunterordnung. In: FAZ Nr.113 vom 15.Mai 2004, S.45. Ebd.: „Das Christentum ist anders als der Islam keine Buch-, sondern eine Offenbarungsreligion.“ 89 A.Goerlach: Die neue Weltunterordnung. In: FAZ Nr.113 vom 15.Mai 2004, S.45. Ebd.: „Im Glauben der Muslime ist der Koran Gottes selbstgesprochenes Wort, mit dem er den Erzengel Gabriel in der Nacht zu Muhammad herabgesandt hat. Die Vorstellung der Verbalinspiration des Korantextes steckt die Grenzen der islamischen Theologie ab und gibt den Rahmen vor, innerhalb dessen Dialog möglich ist, zumindest sieht man das im arabischsprachigen islamischen Kulturraum so, zu dessen anerkanntesten Autoritäten die Al-AzharUniversität gehört. Für ... Fatallah und seine Kollegen ist der Koran als Textganzes auf die Erde herabgesandt worden. ... Islamische Kollegen, die den Koran als Textedition sehen, in der man Entwicklungsstufen und literarischer Eingriffe nachweisen kann, beäugt er mehr als skeptisch. »Das Einzigartige am Koran ist, daß er in arabischer Sprache herabgesandt wird in einer Zeit, als es diese Sprache als feste Größe noch gar nicht gibt. Das beweist, daß der Koran von Allah stammt.“ 90 S.Fatallah in: A.Goerlach, Die neue Weltunterordnung, S.45. Ebd.: So sei „das Neue Testament der Chris- ten voller Fehler ..., man könne dies einfach an mehreren Beispielen mit philologischen Methoden nachweisen. »Das habe ich selbst schon getan.« “ „»Die Wahrheit über die heiligen Schriften der Juden und der Christen kennen nur die Muslime, weil die Wahrheit über diese Religionen nur in unserem Koran steht«“. 91 Vgl. das oben angeführte Zitat von A.Kissler, Der christliche Faktor, S.13: „Der Islam scheint anders als das Christentum gegen seine eigene Historisierung immun zu sein. Mohammed ist das »Siegel der Propheten«, er will jede bisherige Offenbarung überbieten und abschließen. Die Verkündigung des Korans durch den Engel Gabriel im siebten Jahrhundert ist der alleinige Referenzpunkt, an den jede Deutung zurückkehren muss ... 46 Demgegenüber werden auf christlicher Seite gegenwärtig unterschiedliche religionstheologische Modelle diskutiert92. Die Schlüsselbegriffe der verbreitesten Ansätze (und wichtige Vertreter) sind: (1) Exklusivismus: Nur der neutestamentliche Glaube erschließt Gottes Willen (Karl Barth). (2) Inklusivismus: Nur der (katholisch-)christliche Glaube hat die volle Wahrheit Gottes, alle Religionen haben als Teilwahrheiten in gestufter Weise daran Anteil (Karl Rahner). (3) Eschatologischer Ansatz: Keine Religion verfügt vorderhand über die vollkommene Wahrheit, erst am Ende der Zeit werden sich alle in der vollen Wahrheit vereinen (Ernst Troeltsch). (4) Relative Absolutheit: Jede Religion glaubt sich mit Recht im Besitz der vollen Wahrheit (ebenfalls E.Troeltsch). (5) Monozentrischer Pluralismus: Hinter allen Religionen steht eine einheitliche Urreligion, hinter allen Göttern derselbe Gott (Reinhold Niebuhr). (6) Polyzentrischer Pluralismus: Es gibt eine Vielfalt von Religionen, die nicht in eine wertende Ordnung gebracht werden kann (Raimondo Panikkar). (7) Ethischer Ansatz: Die Wahrheit jeder Religion erweist sich am Grad ihrer Menschlichkeit (Gotthold E.Lessing). 4.4 Herausforderungen des islamischen an den christlichen Religionsunterricht Deshalb gibt es keine Tradition islamischer Selbstkritik, keine Fragmentierung und Privatisierung des religiösen Wissens ... Ein augenfälliges Beispiel für diese Diskrepanz liefert die illustrierte Religionsgeschichte der Universität Cambridge von 2002. Der Eintrag über den Islam endet mit der Aufzählung jener Länder, in die Sicht der Islam ausbreitet. Das Kapitel über das Christentum schließt mit einer Liste von Verbesserungsvorschlägen ... Eine ähnlich selbstkritische Pointe wäre im Falle des Islam kaum denkbar.“ 92 Zum folgenden vgl. H.Anselm, Herausforderungen, S.281ff. 47 Im Bewusstsein der Überlegenheit über Judentum und Christentum und im Gehorsam gegenüber dem Koran ist Mission ein zentrales Ziel von muslimischen Gelehrten. Sie sind gewiss: „Wenn der »wahre Islam« in Europa bekannt ist, ist die Islamisierung des Kontinents nur noch eine Frage der Zeit. ... Die Weisung des Koran, das »Haus des Islam« bis an die Grenzen der Erde auszuweiten, wird“ nach A.Goerlach zumindest „in der arabischen Welt immer noch als aktuelle Verpflichtung begriffen“93. Der Islam ist wie das Christentum missionierender Glaube. Die sich daraus ergebenden Konsequenzen sind nicht allen christlichen Religionslehrkräften klar, und auch die christliche Religionspädagogik trägt ihnen bislang noch zu wenig Rechnung. (1) Religionspädagogik und Religionslehrerschaft müssen sich bewusst sein, dass es unbeschadet guter persönlicher Kontakte zu seinen Vertretern - dem Islam nicht um geschwisterliche Partnerschaft mit dem Christentum geht, sondern um Überzeugung und Dominanz; und der Religionsunterricht muss seine Schüler entsprechend darauf vorbereiten. Die Gestaltung des christlichen Religionsunterrichts orientiert sich vielfach noch an überkommenen Religionsverhältnissen in unserer Gesellschaft. Sie folgt gleichsam einer ’Mehrheitsdidaktik und -methodik’. Diese orientiert sich vorwiegend am Jugendlichen als selbstbestimmtes Subjekt in einer Gesellschaft, die sich als plurale versteht und gerade in ihrer Pluralität relativ homogen westlich-nachaufklärerisch geprägt ist. Entsprechend öffnet sich der christliche Religionsunterricht etwa nach dem Willen der Evangelischen Kirche in Deutschland ohne Einschränkung für alle, die ihn besuchen wollen94. Ziel ist für viele seiner Vertreter die individuelle religiöse Kompetenzerweiterung, die weniger durch 93 A.Goerlach, Die neue Weltunterordnung, S.45. 94 Vgl. Kirchenamt der EKD(Hrsg.): Identität und Verständigung. Standort und Perspektiven des Reli- gionsunterrichts in der Pluralität. Eine Denkschrift der Evangelische Kirche in Deutschland. Gütersloher Verlagshaus Gütersloh 1994, S. 66: „Es werden alle aufgenommen, deren Eltern es wünschen oder die sich nach erreichter Religionsmündigkeit selbst so entscheiden. Sie können aus anderen christlichen Konfession kommen oder auch konfessionslos sein; kann sich um junge Angehörige nichtchristlicher Religionen handeln oder um von Hause aus überhaupt nicht religiös erzogene Schüler und Schülerinnen.“ 48 ’Einheimatung’ in der eigenen Konfessionsgemeinschaft als vielmehr durch Begegnung mit dem Fremden und Erfahrung des Anderen gefördert wird. (2) Religionspädagogik und Religionslehrerschaft müssen die missionarische Dimension des christlichen Glaubens als werbende und einladende Zeugenschaft in neuer Weise entdecken. Und sie müssen die Jugendlichen dafür gewinnen. Diese werden - ob sie sich dessen bewusst sind oder nicht - mehr und mehr in ihrem Lebensumfeld zu negativen oder positiven Zeugen für den christlichen Glauben werden. Beide Aufgaben verlangen, dass die didaktischen und methodischen Leitvorstellungen des christlichen Religionsunterrichtes überdacht werden: Es geht um Abgrenzung ohne Einengung, um Profilierung ohne Missachtung. Dazu dienen u.a. desauthentische Begegnungen mit Zeugen und Zeugnissen der eigenen Glaubensgemeinschaft in Vergangenheit und Gegenwart, Projekte wie Spurensuche, Partnerschaften mit auswärtigen Gemeinden der eigenen Konfession, ferner die Kenntnis der eigenen zentralen Glaubensaussagen, die Fähigkeit, sie sachgemäß zu vertreten und zu verteidigen, sowie sich mit dem Fremden respektvoll- kritisch auseinanderzusetzen. Im Hinblick auf die neue Situation müssen auch die Lehrpläne des christlichen Religionsunterrichts kritisch überprüft werden. Er muss mehr als bisher gemeinschaftsstiftende Elemente enthalten und Identifikationsmöglichkeiten anbieten. Außerdem ist es notwendig, die Fragen von Offenbarung, Bekenntnis und Wahrheitsanspruch stärker zu thematisieren. Schließlich ist zu fordern, dass bei der Behandlung fremder Religionen eine sachgerechte Behandlung des Islam im Zentrum steht. Im Blick auf die Religionen im allgemeinen und im Blick auf den Islam im speziellen sollte der Gedanke der bereichernden Horizonterweiterung durch das Fremde zurücktreten zugunsten der Aspekte von Begegnung, Herausforderung und Auseinandersetzung im Alltag. Das schließt die Einübung in eine respektvolle Haltung gegenüber den Andersgläubigen nicht aus, im Gegenteil: Die Jugendlichen sollen lernen, dass eine kritische Auseinandersetzung ihnen mehr Respekt und Ehre erweist als ein gut gemeintes Verwischen der Gegensätze, das häufig als Vereinnahmung empfunden werden wird. 49 Die Einführung eines islamischen Unterrichtes hat schließlich Rückwirkungen auf Ausbildung und Weiterbildung der christlichen Religionslehrkräfte. Vieles weist darauf hin, dass sie nicht hinreichend vorbereitet sind. Dabei wird es vor allem um folgende Schwerpunkte gehen: · um den Erwerb authentischer Sachinformation über die gesamte religiöse, kulturelle, politische und soziale Welt des Islam in Geschichte und Gegenwart; · um das Ausloten von Möglichkeiten und Grenzen der Kooperation (Informationsaustausch, Angebote der Einführung in Leben und Arbeitsfelder der eigenen Konfessionsgemeinschaft, gemeinsame Projekte im Rahmen des konziliaren Prozesses); · um die Fähigkeit kompetenter (selbst-)kritischer Auseinandersetzung mit Lehre, Geschichte und gegenwärtigen Lebensäußerungen des Islam; · um die Besinnung auf die zentralen Glaubensaussagen und Lebensäußerungen der eigenen christlichen Konfessionsgemeinschaft95; · um Offenheit für kritische Anfragen des Islam an den eigenen Glauben und die eigene Lebensweise, mit dem Eingeständnis von Defiziten und Fehlentwicklungen; · um Wiederentdeckung der missionarischen Dimension, d.h. um die Schulung der Fähigkeit, den eigenen Glauben und die eigene Glaubensgemeinschaft selbstbewusst, doch ohne Beschönigungen werbend darzustellen; · um den Aufbau persönlicher Kontakte mit den muslimischen Kollegen im Schulalltag. 95 K.Berger, Die Muslime sind längst unter uns, S.51: Es geht dringend um „ein klares und verständliches Begreifen des eigenen Glaubens. ... Ein schlichter, klarer Katechismus“ ist „überfällig. Unsere Kultur aber sollte mit traditionsbewusster Gelassenheit auftreten, die darum weiß, dass wir viel, aber eben bei Weitem nicht alles dem Islam des Mittelalters verdanken.“