Hämatologie und Hämostaseologie 15.1 Physiologie 15.2 Anämien 15.3 Erkrankungen des leukozytären Systems 15.4 Gerinnungssystem 15.5 Thrombozytäre Erkrankungen Physiologie Intrauterine Blutbildung: In den ersten Entwicklungswochen extramedulläre Blutbildung in Dottersack, Leber und geringer in der Milz. Ab 5. Entwicklungsmonat Beginn der medullären Blutbildung. Fetales Hämoglobin (Hb F) wird bereits intrauterin durch das bleibende adulte Hämoglobin (Hb A) ersetzt; bis zum 4. bzw. 5. Lebensmonaten ist der Austausch abgeschlossen, d. h. bei termingerechter Geburt liegen nur noch 60 bis 80 % des Hämoglobins als Hb F vor. Blutbild des Neugeborenen: In den ersten Tagen neutrophile Leukozytose mit Linksverschiebung im Sinne einer StreßSituation durch die Geburt; nach einer Woche Rückgang der Neutrophilie und jetzt zunehmende Lymphozytose (typisch für das frühe Kindesalter). Anstieg der roten Blutwerte durch Volumenreduktion des Blutes, d. h. Plasma wird in das Interstitium abgegeben Polyglobulie; unter der Geburt kommt es evtl. zum Übertritt größerer Blutmengen von der Plazenta zum Neugeborenen (plazentare Transfusion). Die Überladung des Neugeborenen mit Erythrozyten stellt eine wichtige Eisenreserve für die ersten Lebensmonaten dar (s. Kapitel Referenzwerte). Trimenonreduktion: Physiologischer Abbau der Erythrozyten bei noch sehr unreifer Erythropoese, niedrigste HbWerte bei reifen Säuglingen ab der 10. Lebenswoche (bis 11,5g/dl). Bei Frühgeborenen-Anämie gleicher Vorgang, aber hier noch niedrigere Hb-Werte (bis auf 8 -10 g/dl abfallend); eine starke Verminderung der Sauerstoffträger versucht der Körper durch eine verbesserte Sauerstoffabgabe und -aufnahme im Gewebe zu kompensieren; bei Hb-Werten unter 8,5 g/dl muß allerdings im Regelfall transfundiert werden. Eisenmangelphase: Durch erhebliche Zunahme des zirkulierenden Hb am Ende des 1. Lebensjahres besteht ein relativer Eisenmangel (Serumeisen , Eisenbindungskapazität , MCH ). Die Eisenabsorption Hämatologie 2 aus der meist eisenarmen Nahrung ist nicht ausreichend, und Eisenreserven sind schon in den ersten 4 Lebensmonaten aufgebraucht! Blutgruppen: Blutgruppensubstanzen sind Antigene, die die Bildung spezifischer Antikörper auslösen. Unterscheidung: An Zellen gebundene und in Körperflüssigkeiten vorkommende "Antigene". Die bedeutendsten machen das ABO-System (1900 von Landsteiner entdeckt) und das RhesusSystem (1940 von Landsteiner und Wiener beschrieben) aus. Blutgruppenmerkmale werden nach den Mendel-Gesetzen vererbt. Eine Blutgruppeninkompatibilität (v. a. Rhesus, ABO) zwischen einer Schwangeren und ihrem ungeborenen Kind kann einen M. haemolyticus neonatorum verursachen. Blutgruppensysteme: · ABO-System: Frühestens 3 Monate postpartal völlig ausgereift. Anti-A/-B-Antikörper sind bevorzugt IgM- Antikörper, die nicht plazentagängig sind. Es können aber auch IgG gebildet werden, die plazentagängig sind und damit ebenfalls einen M. haemolyticus auslösen können. Rhesus-System: System mehrerer Antigene (CcDdEe); schon pränatal ausgebildet. Antikörper gegen Rhesus-Antigene (meist anti-D) sind zumeist IgG- Ak und damit plazentagängig. · Weitere Blutgruppensysteme: Kell, NMS, Duffy u. a.. Diagnostik: Blutgruppenbestimmung: Die Erythrozytenantigene werden mit Testseren (Testserum Anti B der Blutgruppe A, Testserum Anti A der Blutgruppe B und Testserum Anti A und Anti B der Blutgruppe O) und die Allo-Ak (Serumeigenschaften) mit entsprechenden Testerythrozyten bestimmt. · Direkter Coombs-Test: Nachweis inkompletter Antikörper, die schon in vivo an Erythrozyten gebunden sind; daher Agglutination nach Zugabe von Coombs-Serum (AntiHumanglobulinserum), z. B. bei M. haemolyticus neonatorum oder hämolytischer Anämie. · Indirekter Coombs-Test: Zu untersuchendes Serum (z. B. der Mutter) wird mit bekannten Testerythrozyten gemischt. Bei Vorliegen inkompletter Ak (z. B. bei einer Rh-sensibilisierten Mutter) haften diese an den Erythrozyten, ohne zu agglutinieren! Bei Zugabe von CoombsSerum erfolgt Agglutination. Inkomplette Ak (IgG) sind plazentagängig! · Kreuzprobe: Jeder Transfusion voranzustellen ist die serologische Verträglichkeitsprobe (Kreuzprobe). Durch Inkubation der Spendererythrozyten mit Empfängerserum (Major-Test) wird geprüft, ob sich beide serologisch neutral verhalten oder ob eine Antigen-Ak-Reaktion abläuft. · Antikörperscreening (Suchtest): Menschliches Serum enthält entsprechend der ABOBlutgruppenzugehörigkeit (Landsteiner Regel) nur die Alloagglutinine Anti A und Anti B. Bluttransfusionen, Schwangerschaften und die Übertragung körperfremder Antigene können die Bildung sog. irregulärer Ak induzieren. Der Suchtest dient zum orientierenden Nachweis und gibt Auskunft über die Natur der Ak (komplett/inkomplett). Hämatologie 3 Anämie 15.2.0 Allgemeines 15.2.1 Veränderungen des Blutfarbstoffes 15.2.2 Hämoglobinanomalien 15.2.3 Angeborene Störungen der Hämoglobinsynthese 15.2.4 Reaktive Veränderungen des Blutfarbstoffs 15.2.5 Anämien durch mangelhafte Neubildungen 15.2.6 Hämolytische Anämien 15.2.7 Anämie durch Blutverlust 15.2.8 Infektanämie 15.2.9 Einteilung der Anämien nach dem Erythrozytenvolumen (MCV) Allgemeines Grundlagen der Anämiediagnostik Erythrozytenindices mit Referenzwerten für ältere Kinder, Jugendliche und Erwachsene MCV (Mean Corpuscular Volume) - Mittleres Erythrozytenvolumen 80 - 96 fl MCH (Mean Corpuscular Hemoglobin) - Mittlerer Hämoglobingehalt der Erythrozyten 27 - 33 pg bzw. 1,5-2,0 fmol MCHC (Mean Corpuscular Hemoglobin Concentration) - Mittlere, auf das Volumen der Erythrozyten bezogene Hb-Konzentration 32 - 36 g% bzw.18,5-21,5 mmol/l Indikationen spezieller Bestimmungsmethoden Bestimmung der Serumeisen-Konzentration: Nur indiziert bei hypochromer Anämie (MCH und MCV ); Bestimmung bei Infektionen sinnlos. Beachte: Serumeisen macht nur ca. 1 % des Gesamtkörpereisens aus und darf daher diagnostisch nicht überbewertet werden! Vitamin B12 und Folsäure: Bei makrozytären Anämien (MCV ) und megaloblastären Veränderungen im Knochenmark (KM). Hämatologie 4 Osmotische Resistenz: Bei V. a. hereditäre Sphärozytose und andere hämolytische Anämien. Haptoglobin: Als Transportprotein für freies Hämoglobin bei Hämolyse erniedrigt (in den ersten drei Lebensmonaten zur Interpretation nicht geeignet, da physiologisch schon ). Hb-Elektrophorese: Bei Thalassämie, Sichelzellanämie und anderen Hämoglobinopathien. Methämoglobin (Met-Hb): Enthält Eisen in III-wertiger Form (als Hämiglobin) > keine O2Übertragung. Bes. Neugeborene können anfallendes MetHb nicht zu II-wertigem Eisen ("normales" Hämoglobin) reduzieren! Bei V. a. hämatologisch bedingter Zyanose, unklarer hämolytischer Anämie, Intoxikation durch Met-Hb-Bildner (z. B. Nitrate), Polyglobulie, hypochromer Anämie. Erythrozytenenzyme: Nicht zu klärende hämolytische Anämien. Knochenmark: Wichtige Aussage über Erythropoese (normal, , , ineffektiv, normozytär, hypochrom, megaloblastär, dyserythropoetisch). Diagnostik von Leukämien, aplastischen Anämien oder Myelodysplasie-Syndrom. Im weiteren erfolgt die Einteilung der Anämien nach pathogenetischen Gesichtspunkten! Veränderung des Blutfarbstoffes Hämoglobin (Blutfarbstoff) kommt in bis zu 200 erblichen Varianten vor. Das Hämoglobinmolekül besteht aus 4 Polypeptidketten, von denen jeweils 2 identisch sind. 3 physiologische Hämoglobine: · Hb A1 mit Polypeptidkettenformel a2b2 macht über 95 % des Blutfarbstoffes ab dem 6. Lebensmonat aus · Hb A2 mit Polypeptidkettenformel a2d2 , Anteil am gesamten Blutfarbstoff von 1,5 - 3 % ab 6. Lebensmonat · Hb F (a2c2), fetales Hämoglobin beim Erwachsenen nur noch in Spuren nachweisbar Anomale Hämoglobine sind oft bevölkerungsgruppenspezifisch (z. B. Hb S in Zentralafrika, Hb C in Westafrika, Hb E in Ostasien gehäuft). Heterozygote Träger einer Hb-Anomalie haben neben Hb A meist eine geringe Menge an anomalem Hb, sind aber hämatologisch und klinisch meist gesund. Ausnahmen: · Sichelzellträger in hypoxischen Situationen wie Tauchen, Fliegen in hohen Höhen, Narkosezwischenfälle (Hb S "erstarrt" bei Sauerstoffentzug) · Bei Hb M durch Methämoglobinämie Zyanose · Bei instabilen Hämoglobinen hämolytische Anämien Hämatologie 5 Homozygote Hb-Anomalieträger besitzen nur anomales Hb und gel. noch ein wenig Hb F. Bei Hb S und Hb C tritt das klinische Bild einer hämolytischen Anämie auf, andere Anomalien können allerdings trotz Homozygotie auch klinisch erscheinungsfrei sein (Nachweis anomaler Hb-Varianten in der Elektrophorese). Hämoglobinanomalien Sichelzellanämien (engl.: Sickle cell anaemia) Pathogenese: Austausch der Aminosäure Glutaminsäure auf Position 6 der Beta-Kette durch Valin (Hb S =a2b26 Glu >Val ). Klinik: Bei Homozygotie schwere hämolytische Anämie; Konglomerate von Sichelzellen können zu Infarkten in Gefäßen führen (akute Schmerzen in Abdomen, Knochen, Muskeln, Gelenken; Hämaturien, pulmonale Störungen, zerebrale Anfälle). "Hand- und Fußsyndrom" bei Gefäßverschlüssen in den Metacarpalia, Metatarsalia und Phalangen mit Hyperämie und Schwellung. Durch Sichelzellinfarkte werden Osteomyelitiden oder Sequestrationen begünstigt. Primär Splenomegalie, danach Schrumpfung durch Infarkte. Vorkommen: Bestimmte Stämme farbiger Afrikaner, auch bei nicht-negroider Bevölkerung in Sizilien, Griechenland, Türkei, Indien. Diagnostik: Da Hb S unter Sauerstoffentzug "erstarrt", Nachweis mit dem Sicheltest möglich: Blutstropfen unter Deckglas liegen lassen > Entstehung von stab- und sichelförmig verformten Erythrozyten (Drepanozyten) und Targetzellen. Therapie: Bei Krisen reichliche Flüssigkeitszufuhr, Analgesie, sparsame Transfusion, Immunisierung gegen Pneumokokken und HIB obligat. HbS Träger erkranken weniger schwerwiegend an tropischer Malaria (plasmodienbefallene Erythrozyten "sicheln" leichter und werden phagozytiert)! Hämatologie 6 Angeborene Störungen der Hämoglobunsynthse Da zu wenig Blutfarbstoff gebildet wird, erfolgt eine Minderbeladung der Erythrozyten mit Blutfarbstoff (Hypochromie). Thalassämien (engl.: Thalassaemia) KASUISTIK Pathogenese: Beta-Thalassämie häufigste Form infolge Störung der Synthese der BetaPolypeptidkette. MCH aufgrund ungenügender Produktion von Beta-Ketten vermindert. Überschüssige Alpha-Ketten präzipitieren und verursachen erhöhten Zelluntergang. Bei AlphaThalassämie gleiche Klinik, jedoch kommt diese wesentlich seltener vor (keine Erhöhung von Hb F und Hb A2 ). Vorkommen: Mittelmeerländer, Kleinasien, Indochina, auch Deutschland. Klinik: · Thalassaemia major: Homozygoter Status, schwere hämolytische Anämie mit erheblicher Splenomegalie, mongoloide Veränderungen des Gesichtes durch Markraumwucherung. · Thalassaemia minor: Heterozygoter Status, mäßige hämolytische Erscheinungen. · Thalassaemia minima: Klinisch erscheinungsfrei. Diagnostik: Im Blutausstrich hypochrome flache Mikrozyten, Kokardenzellen (Schießscheibenzellen), basophil punktierte Erythrozyten, Anisozytose (verschieden große Erythrozyten) mit Poikilozytose (Vielgestaltigkeit). Osmotische Resistenz der Erythrozyten erhöht, verbreiterter Resistenzbereich. Hb-Analyse: Verdopplung von Hb A2 (3,5 - 7 % statt 1,5 - 3 %). Bei Thalassaemia major 30 bis 90 % Hb F, bei Thalassaemia minor und minima nur geringe Hb F-Vermehrung (2 - 10 %). Therapie: Symptomatisch: Die Anämie erfordert regelmäßige Transfusionen, dadurch wird die hyperplastische Erythropoese weitgehend unterdrückt und die enteral gesteigerte Eisenabsorption normalisiert! Behandlung der Eisenüberladung durch nächtliche (s. c.) Gaben von Desferoxamin (Eisenchelatbildner) und hohe Dosen von Vit. C (Eisenmobilisierung und ausscheidung ). Bei Hypochromie bei Thalassaemia major ist eine Eisenmedikation kontraindiziert (Serumeisenwert ist meist normal bis erhöht). Allogene KM-Transplantation oder Gentherapie bei der Majorform. Bei Thalassaemia minor keine Therapie erforderlich. Prognose bei Thalassaemia major ernst. Milzexstirpation kann hämolytische Erscheinungen vermindern und Transfusionsfrequenz herabsetzen. Häufige Transfusionen bergen die Gefahr einer Hämosiderose! Sideroachrestische Anämien: Störung der Hämsynthese (nicht Globinsynthese wie bei der Thalassämie). Mikrozytose, Hypochromie, hoher Serumeisenwert; absorbiertes, nicht verwertbares Eisen führt zur Hämatologie 7 Hämosiderose. Im KM Nachweis von Sideroblasten (Erythroblasten mit Granula von nicht verwertetem Eisen). Hb A2 und Hb F normal; kontraindiziert sind Eisenpräparate und Bluttransfusionen! Bleianämie: Durch Bleivergiftung Schäden an Nieren und ZNS; hämolytische Anämie mit mikrozytärer Hypochromasie und basophiler Punktierung der Erythrozyten. Störung der Porphyrin- und damit Hämsynthese mit starker Ausscheidung von Aminolävulinsäure und Koproporphyrin im Harn. Porphyrien: Angeb. Stoffwechselerkrankung mit Bildungsstörung von Protoporphyrin 9, der Grundsubstanz für die Bildung von Hämoglobin, Myoglobin und Hämfermenten; weitere Formen s. "Hereditäre hämolytische Anämien". Reaktive Veränderungen des Blutfarbstoffes Methämoglobinämie: Vergiftung durch Nitrobenzol, Nitrit, phenacetinhaltige Medikamente (z. B. "Fieberzäpfchen"); historisch: "Windelstempel-Methämoglobinämie" durch anilinhaltige Wäschetinte oder "Brunnenwasser-Methämoglobinämie" durch hohen Nitratgehalt des Wassers (Bakterien im Gastroenteron reduzieren Nitrat zu giftigem Nitrit). Klinik: Haut bietet bräunliche Zyanose; erst bei Umwandlung von mehr als 2/3 des roten Blutfarbstoffes in Methämoglobin gefährliche Situation (>rasche i. v. Applikation von Methylenblau oder Thionin). Angeb. familiäre Methämoglobinämie durch das pathologische Hb M oder durch Defekt des Enzyms Cytochrom b5-Reduktase (keine Reduktion des Hämoglobins, sondern Spontanoxidation zu Methämoglobin). CO-Hämoglobin: Entstehung durch Kohlenmonoxidvergiftung (CO-Hb entsteht durch die im Vergleich zu O2 250mal höhere Affinität von CO zu Hämoglobin >kirschrotes Blut); CO-Konzentration von 0,05 Vol. % in der Atemluft führt nach mehreren Stunden zu heftigen Kopfschmerzen, Schwindel, Ohnmachtsneigung. 0,1-0,2 Vol % nach 30 min zum Tod! Hämatologie 8 Anämien durch mangelhafte Neubildungen 15.2.5.1 Eisenmangelanämie 15.2.5.2 Megaloblastische Anämien 15.2.5.3 Hypo- und aregeneratorische Anämien 15.2.5.4 Störung der Produktion des Erythropoetins Eisenmangelanämie Kasuistik Vorkommen: Mit Abstand häufigste Anämieform bei Kindern, bevorzugt 1. - 3. Lebensjahr. Prädisponiert sind FG, Zwillinge (feto-fetale Transfusion), Kinder von Müttern mit Eisenmangel, NG mit Blutverlust (feto-maternale Transfusion, Blutungen bei vorzeitiger Plazentalösung oder bei Placenta praevia). Ätiologie/ Pathogenese: "Kuhmilchanämie" infolge Kuhmilchallergie: Chronische Mikroblutverluste über das Enteron, patchförmige Mukosaläsionen >unzureichende Eisenabsorption. Bei älteren Kindern finden sich vorwiegend Blutverluste durch Wurminfektionen, Darmpolypen, rezidiv. Nasenbluten sowie Störungen der Eisenbilanz durch eisenarme Ernährung, Verdauungsstörungen, chronisch entzündlichen Darmerkrankungen bzw. chron. Infektionen. Klinik: Haut-, Schleimhaut blässe, "Infektanfälligkeit" (Teufelskreis: "Infekt" >Eisen > Infektanfälligkeit ), Appetitlosigkeit, schnelle körperliche Ermüdbarkeit, Mundwinkelrhagaden. In schweren Fällen ist ein systolisches Herzgeräusch auskultierbar (Still-Geräusch). Diagnostik: Hypochrome Mikrozyten mit Anisozytose, Erythrozytenzahl normal bis (4-5 Mill/l), stark HbWerte bis < 8 g/dl. MCV , MCH , MCHC ; im KM vermehrt Normoblasten. Serumeisen (< 6 µmol/l), Eisenbindungskapazität , Ferritin , Plasmakupfer . Therapie: Ursache klären und beheben! Orale Eisensubstitution mit 5-6 mg/kg KG über 2 bis 3 Monate. Hämatologie 9 Megaloblastische Anämien Pathogenese: Störung der Erythropoese am häufigsten durch Mangel an Vitamin B12 und Folsäure (seltener spielen Mangel an Kupfer und Vitamin C eine Rolle). Häufige Ursache in Industrienationen: Streng vegetarische oder gar veganische Ernährung! Folsäuremangel z. B. durch Ziegenmilch, Brustmilch von unterernährten Müttern. Selten aut.rez. ererbte Vitamin B12-Malabsorption durch Defekt des Rezeptors für das Vitamin B12 in der Darmschleimhaut. Absorptionsstörungen von Vitamin B12 bzw. Folsäure durch enterale Dysbiose, Folsäureantagonisten (Methotrexat) oder Antiepileptika (z.B. Phenytoin). Klinik: Graue Blässe, Appetitlosigkeit, schlechtes Gedeihen, Infektanfälligkeit, psychische Labilität; Leber leicht, Milz gel. vergrößert; bei chron. Vitamin B12-Mangel > atrophische Glossitis (HunterGlossitis), Parästhesien, Ataxie und Erlöschen von Sehnenreflexen. Diagnostik: Normochrome bis hyperchrome Anämie, Erythrozytenzahl , Makrozytose (MCV ), Anisozytose mit Poikilozytose, basophile Punktierung, gel. Jolly-Körper (Kernrest in Erythrozyten), Retikulozyten , Granulozyten oft , Thrombozyten selten . Knochenmark: Megaloblasten, ungewöhnlich große Metamyelozyten und "Riesenstabkernige" mit lockerem Chromatin. Neben serologischer Untersuchung auch Absorptionstest von Vitamin B12 aus dem Darm ohne und mit Intrinsic-Faktor (Schilling-Test). Therapie: Vitamin B12 1000 µg i. m. zunächst wöchentlich, später alle 4 Wochen. Folsäure 5 mg/d i. m. für 4 - 6 d, danach 2,5 mg/d per os für 14 d. Bei Bedarf Vitamin C 500 mg/d für 4 d per os. Bei raschem Anstieg der Erythrozyten Hypochromie; in diesem Fall Eisensubstitution. Hypo- und aregeneratorische Anämien Dyserythropoetische Anämie: Angeb. Störung der Erythropoese mit Kernatypien, z. B. Mehrkernigkeit der Erythroblasten im Knochenmark. Hohe ineffektive Erythropoese mit leichter Bilirubinämie, Aniso-, Poikilozytose und Neigung zur Hämosiderose. Akute Erythroblastopenie: Hämatologie 10 Akuter Produktionsstop von Erythroblasten durch Teilungshemmung von Proerythroblasten im Knochenmark infolge von Infektionen, allergischen Reaktionen oder Toxinen. Retikulozytenzahl sinkt auf 0. Knochenmark arbeitet nach einigen Tagen wieder normal; deshalb tritt bei normaler Erythrozytenlebensdauer von ca. 120 d keine klinische Symptomatik auf. Bei hämolytischer Anämie kann jedoch eine aplastische Krise auftreten (Hb-Sturz). Hyporegeneratorische Anämie: Erythropoesehemmung durch unterschiedliche Erkrankungen wie chron. infektiöse Prozesse (z. B. Pyelonephritis), chron. Niereninsuffizienz, Hypothyreose. Therapie: Grundkrankheit behandeln, Bluttransfusionen selten erforderlich. Hypersplenismus: Beeinträchtigung der Knochenmark-Funktion durch humorale Wirkstoffe der Milz, verstärkter Abbau von Erythrozyten in der vergrößerten Milz > Anämie, Granulozytopenie und Thrombozytopenie bei hyperplastischem KM. Aplastische Anämie (Panmyelopathie): Pathogenese: Anämie, Granulo- und Thrombozytopenie infolge toxischer Schädigungen des Knochenmarks durch Medikamente (Chloramphenicol, Überdosierung von Zytostatika) und Infektionen; Knochenmark-Verödung und Ersatz durch Fettgewebe. CAVE DD beginnende Leukämie erwägen! Eine Panmyelopathie kann sowohl final in eine unreifzellige Leukämie übergehen als auch Begleiterscheinung einer außerhalb des Knochenmarks im lymphatischen Gewebe ablaufenden Leukämie sein. Klinik: Blässe, Apathie, Appetitlosigkeit, thrombozytopenische Blutungen, HbF . Therapie: Bluttransfusionen, Infektionsbehandlung durch Antibiotika. Prednisolon, Cyclosporin A, humanes Anti-Lymphozytenglobulin, Knochenmark-Transplantation. Familiäre kongenitale aplastische Anämie (Fanconi): Progredient verlaufende Panmyelopathie mit multiplen Fehlbildungen. Kleinwuchs, Schwäche, abnorme Hautpigmentierung und Fehlbildungen im Skelett (Daumen- oder Radiusaplasie) sowie im Urogenitaltrakt, Mikrozephalie. Erhöhtes Risiko einer Leukämie-Entwicklung. Kongenitale hypoplastische Anämie (Blackfan-Diamond-Erythrogenesis imperfecta): Isolierte Anämie, keine Störung von Granulo- und Thrombozytopoese. Im Knochenmark fehlen Erythroblasten, im peripheren Blut die Retikulozyten. Klinisch neben Blässe Gedeihstörung und Wachstumsverzögerung. Hämatologie 11 Osteopetrose (Marmorknochenkrankheit): Angeb. Störung der Osteoklastenfunktion bei erhaltener Knochenbildung. Bei Röntgenaufnahmen homogene Knochenverschattung, Einengung des Markraumes. Rezessiv erblich, maligner Typ manifestiert sich bereits im frühen Säuglings-Alter > Knochenmark-Dysfunktion mit Anämie, Erythroblastose, Myeloblastose und Hepatosplenomegalie. Knochenschmerzen, Spontanfrakturen. Weitere Symptome: Erblindung durch Einklemmung des Fasciculus opticus, Schwerhörigkeit, Fazialislähmung, hypokalzämische Tetanie. Therapie: Knochenmark-Transplantation. Störung der Produktion des Erythropoetins Das Erythropoetin ist ein die Erythropoese im Knochenmark stimulierendes Glykoprotein, das normalerweise zu 90 % in der Niere gebildet wird. Gewebshypoxie, Hypernephrome, Zystennieren, Nierenkarzinome, auch Tumore der Leber, des ZNS, der endokrinen Drüsen und des Uterus als ektope Bildungsstätten können zur Stimulierung der Synthese (Polyglobulie) führen. Bei Niereninsuffizienz kommt es regelmäßig zur unzureichenden Erythropoetin-Produktion (renale Anämie). Therapie: Rekombinantes Erythropoetin, bes. bei Nierenersatztherapie (Hämo-, Peritonealdialyse). Hämatologie 12 Hämolytische Anämien 15.2.6.0 Allgemein 15.2.6.1 Hereditäre hämolytische Anämien 15.2.6.2 Erworbene hämolytische Anämien Allgemein Klinik: Ikterus, meist Splenomegalie. Hämolysezeichen: Indirektes Bilirubin , Retikulozyten , Polychromasie, Anisozytose, LDH und HBDH (LDHIsoenzym 1) , Haptoglobin . Hämoglobinämie und Hämoglobinurie möglich. Nachweis von Urobilinogen und Urobilin im Harn; Urobilin im Stuhl. Hereditäre hämolytische Anämien Membrandefekte der Erythrozyten Hereditäre Sphärozytose (Kugelzellanämie): Kasuistik Kugelförmige Erythrozyten = Sphärozyten (siehe auch Bild 1, Bild 2, Bild 3) werden verstärkt durch die Milz eliminiert; ein in Deutschland rel. häufiges dominantes Erbleiden (etwa 1 : 5000 Geburten). Klinik: Blässe bei Kleinkindern, dezenter Haut- und Sklerenikterus; bei älteren Schulkindern: Ausprägung und damit klinische Symptomatik unterschiedlich stark. Meist Diagnosestellung erst im Kleinkind- und Schulkind-Alter. Bei schwerer Verlaufsform auch schon im Säuglingsalter Transfusionen erforderlich! Schubweiser Verlauf mit hämolytischen, z. T. auch aplastischen Krisen und oft stark ausgeprägter Splenomegalie; stark erhöhter Anfall von Bilirubin kann zur Gallensteinbildung auch schon im frühen Kindesalter oder später zu einer Leberschädigung führen! Infektionen oder körperliche Streßsituationen können hämolytische Krisen auslösen. Diagnostik: Normochrome Anämie, Anisozytose; Retikulozytenzahl meist (außer in aplastischer Krise); bei verstärkter Regeneration polychromatische Makrozyten auch neben normalen Erythrozyten; z. T. auch kernhaltige Zellen peripher; MCV normal; osmotische Resistenz der Erythrozyten , indirektes Bilirubin ! Therapie: Vermeidung von rezidivierenden Infektionen oder körperlichem Streß; durch Milzexstirpation Aufhebung der Hämolysen und Erreichen einer normalen Erythrozytenüberlebensdauer. Im Vorschulalter zurückhaltend mit Milzexstirpation hinsichtlich der Ausreifung des Immunsystems (vor Milzexstirpation Pneumokokken- und HIB-Vakzination obligatorisch!) Hämatologie 13 Erythropoetische Porphyrie (Günther-Krankheit): Porphyrinreiche Erythrozyten fluoreszieren und haben eine verkürzte Lebensdauer; hämolytische Anämie mit Milztumor; im Überschuß vorhandenes Porphyrin bewirkt Lichtüberempfindlichkeit der Haut mit Blasen- und Narbenbildung (Hydroa vacciniformis). Rotfärbung der Zähne (Erythrodontie) und des Urins durch Uro- und Koproporphyrin I. Besserung der Klinik durch Splenektomie möglich. Erythropoetische Protoporphyrie: Leichte Krankheitserscheinungen mit Lichtüberempfindlichkeit der Haut. Rot fluoreszierende Erythrozyten, aber ohne Anämie, ohne Erythrodontie und ohne Porphyrinausscheidung im Harn. Überschüssige Bildung von Protoporphyrin 9 in den Erythrozyten. Hepatische Porphyrie (akute intermittierende Porphyrie): Meist nach Pubertät abdominelle Schmerzanfälle. Störung im Aufbau der Leberkatalase. HbSynthese im Knochenmark nicht gestört! Hereditäre Elliptozytose: 50 bis 90 % der Erythrozyten mit Ellipsenform; Überlebensdauer nur mäßig verkürzt. Enzymdefekte der Erythrozyten Meist aut.-rez. Erbgang, Makrozyten möglich, osmotische Resistenz der Erythrozyten normal Defekte der Glykolyse: Durch Glykolysestörung wird zu wenig ATP produziert; Auswahl von Enzymdefekten: · Hexokinasedefekt · Hexoseisomerasedefekt · Pyruvatkinasedefekt Pyruvatkinasedefekt ist der häufigste Defekt; Manifestation schon im Säuglings-Alter, in schweren Fällen Splenektomie! Defekte des Pentosephosphatzyklus: Zu wenig NADPH produziert; Defekte: · 6-Phosphoglukonatdehydrogenase-Defekt · Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase-Defekt: Besonders betroffen sind farbige Afrikaner, Bewohner aus dem Mittelmeerraum, Orient und Ostasien; spontane hämolytische Anämien selten; häufige akute hämolytische Krisen, ausgelöst Hämatologie 14 durch Substanzen, die eine oxidative Schädigung am Erythrozyten auslösen (z. B. Sulfonamide, Phenacetin, Nitrofurantoine), Blutfarbstoffdenaturierung mit Innenkörperausfällung (HeinzKörper). Defekte des Glutathionstoffwechsels: Kompensierte Hämolyse. Arzneimittel können Krisen auslösen z. B. beim GlutathionreduktaseDefekt. Erworbene hämolytische Anämien Immunologisch bedingte Membranschäden Hämolytische Anämien durch Autoantikörper ("autoimmun-hämolytische Anämien") Pathogenese: Auslöser: Infektionen (Hepatitis, infektiöse Mononukleose, MykoplasmenPneumonie), maligne Lymphome, Kollagenosen. Inkomplette Wärmeagglutinine der IgG-Klasse; Wärmehämolysine; Kälteagglutinine der IgM-Klasse (z. B. bei Mykoplasmen-Pneumonie möglich). Kältehämolysine (z. B. paroxysmale Hämoglobinurie-Ak haften bei Kälte und führen bei Erwärmung zur Hämolyse). Spontane Entstehung von Auto-Ak im Zusammenhang mit Medikamenteneinnahme. Klinik: Akute, subakute oder chron. Verläufe > Erbrechen, Bauch- und Rückenschmerzen, Fieber, Blässe, dezenter Ikterus, Abgeschlagenheit, Splenomegalie. Diagnostik: Anisozytose, Kugelzellen (Ak-Einwirkung), kernhaltige rote Zellen; Hämoglobinurie, manchmal zusätzl. immunpathogene Thrombozytopenie (Evans-Syndrom). Coombs-Test meist positiv. Therapie: In schweren Fällen Transfusion, aber Vorsicht, da durch Komplementzufuhr im Blutplasma erneute hämolytische Krisen ausgelöst werden können (Erythrozyten sollen deshalb gewaschen sein!). Kortikosteroide (2 mg/kg Körpergewicht initial); Immunsuppressiva (z. B. Azathioprin), Immunadsorption. Bei Therapieresistenz und weiterer Hämolyse auch Splenektomie! Paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie Pathogenese: Erworbene, erythrozytär bedingte hämolytische Anämie mit verstärkter Hämolyse während des Schlafes. Infolge veränderter Oberflächenstrukturen der Erythrozyten (defekter Membranverankerungs- mechanismus für komplementregulierende Proteine) kommt es zur Aktivierung von Komplement und somit zur Hämolyse. Klinik: Tief dunkelgefärbter Morgenurin (Hämoglobinurie); hämolytische oder aplastische Krisen, ausgelöst durch OP, Bluttransfusion, Medikamente, Infektionen oder Streß. Neben unterschiedlich schweren Anämien häufig auch Leuko- und Thrombozytopenie. Diagnostik: Positiver Säure-Serum-Test. Normochrome makrozytäre Anämie (bei Eisenmangel jedoch hypochrom mikrozytär) mit Hämolysezeichen. Hämosiderin im Harnsediment; osmotische Resistenz der Erythrozyten vermindert. Hämatologie 15 Therapie: Transfusion gewaschener Erythrozyten; zur Thromboseprophylaxe evtl. Cumarinderivate; Splenektomie unwirksam. In schweren Fällen Knochenmark-Transplantation. Komplikationen: Thrombose und Thromboembolie (Lebervenen, Pfortader, mesenteriale und zerebrale Venen); Niereninsuffizienz; Infektionen; Prognose: Abnahme der Hämolyse mit zunehmendem Lebensalter; annähernd normale Lebenserwartung bei etwa 50 % der Patienten. Hämolytische Anämie des Neugeborenen durch Blutgruppen-Inkompatibilität Erythroblastose (M. haemolyticus neonatorum) s. Neonatologie Kasuistik Definition: Induktion einer Hämolyse beim Neugeborenen durch Blutgruppeninkompatibilität! · Rhesus-Inkompatibilität bei Rh-negativer Mutter und Rh-positivem Kind · AB0-Inkompatibilität bei Mutter = 0 und Kind = A, B, oder AB · Iso-Immunisierung gegenüber selteneren Blutgruppenfaktoren (Kell, Duffy, Kidd u. a.) Pathogenese der Rhesus-Inkompatibilität: Rh-(d)-negative Mutter (d. h. Fehlen der Antigeneigenschaft D auf der Erythrozytenoberfläche). Übertritt von Erythrozyten mit der Eigenschaft D in den mütterlichen Kreislauf: 1. Bei vorausgegangener Geburt eines Rh-(D)-positiven Kindes 2. Während eines Abortes eines Rh-(D)-positiven Feten 3. Im Rahmen einer vorausgegangenen Transfusion von Blutkonserven (D) an die Mutter 4. Während der Frühschwangerschaft eines Rh-(D)-positiven Kindes (sehr selten) Folgen: Bildung von Allo-Ak der Klasse IgG durch die Mutter gegen die antigene Blutgruppeneigenschaft D ( = Sensibilisierung, dazu genügen ca. 0,1 ml Blut). Diaplazentarer Übergang der Ak in den Kreislauf des Feten. Auslösung einer Hämolyse durch: Hämatologie 16 Bindung der inkompletten IgG-Ak an das Erythrozytenantigen der Erythrozytenoberfläche beim Patienten Aktivierung des Monozyten-Makrophagen-System vorzeitiger und vermehrter Abbau der fetalen Erythrozyten (Hämolyse). Anämie und Anstieg des Bilirubins, kompensatorische Steigerung der Erythropoese (in Leber und Milz), Hepatosplenomegalie (=extramedulläre Blutbildung) und Anstieg der Erythroblasten und Retikulozyten! Schweregrade: 1. Anaemia neonatorum (leichte Erkrankung Hb < 12 g/l, Hk 0,35-0,45) 2. Icterus gravis (mittelschwere Erkrankung Bilirubin > 270 µmol/l, Hk 0,28- 0,35) 3. Hydrops fetalis (schwere Erkrankung Hb < 9 g/l, Hk < 0,27) Entwicklung eines Hydrops fetalis universalis durch schwere Anämie, Gewebshypoxie (Entwicklung einer Azidose) und Hypoproteinämie (erhöhte Gefäßpermeabilität besonders für Proteine, verminderte Albuminsynthese in der Leber Entwicklung generalisierter Ödeme mit Aszites, Pleuraerguß und Lungenödem), Herzinsuffizienz. Pathogenese der AB0-Inkompatibilität: Isoantikörper der Klasse IgM gegen die Blutgruppen A oder B sind nicht plazentagängig! Zusätzlich kann jedoch eine Mutter mit Blutgruppe O Ak der Klasse IgG gegen fetale erythrozytäre Antigene bilden: Übergetretene Erythrozyten, inkompatible Bluttransfusion, Injektion von Impfstoffen oder Seren (-enthalten häufig A-ähnliche Bestandteile), Aufnahme von A- oder B-ähnlichen Substanzen (vermutlich Bakterien-bestandteile), humorale Sezernierung von Blutgruppensubstanzen, welche diaplazentar übertreten. Folge: Geringere Hämolyse im Vergleich zur Rhesusinkompatibilität infolge 1. Neutralisierung der AB-Ak durch AB-Antigene der Plazenta 2. Unvollständig ausgebildete A- bzw. B-Antigentität auf den Erythrozyten des Kindes, d. h. nur leichte Anämie, geringe Retikulozytose und Erythroblastose, Icterus praecox, selten Icterus gravis kein intrauteriner Hydrops fetalis! Hämatologie 17 Anamnese: Ausführliche mütterliche Anamnese bei entsprechender Blutgruppenkonstellation über vorrausgegangene Schwangerschaften, Aborte, Bluttransfusionen oder bekannte Ak-Befunde. Klinik: Abhängig vom Schweregrad der Erkrankung. AB0-Inkompatibilität macht weniger schwerwiegende Symptome als eine Rhesus-Inkompatibilität. Das NG kann durch folgende typische Symptome auffallen: Tachykardie/Tachypnoe, Blässe. Hepatosplenomegalie; Icterus praecox und Icterus gravis (Gefahr eines Kernikterus!) Diagnostik: Pränatal: Blutgruppe der Mutter = Rh-(d)-negativ indirekter Coombstest zum Nachweis irregulärer Ak und deren Identifikation sorgfältige Überwachung der Schwangerschaft mit spektroskopischer Untersuchung des Fruchtwasser auf Bilirubin (Extinktion bei 450nm) Klassifikation des Schweregrads n. LILEY. Engmaschige Ultraschalluntersuchung (Hydrops?). Postnatal aus Nabelschnurblut: Blutgruppe des Kindes mit Rhesusfaktor, direkter Coombstest (Nachweis von an Erythrozyten haftenden irregulären Ak). Bei AB0-Inkompatibilität aufgrund der Antigenunreife meist negativ! Bilirubin (indirektes Bilirubin ), BB (Anämie Hb < 12-15 g/dl, Retikulozytose (> 50 %), Kugelzellen (im Fall einer AB0-Inkompatibilität), Protein , Albumin , BZ (Hypoglykämie durch Hyperinsulinismus). Komplikationen: Kernikterus (Bilirubinenzephalopathie) Eindringen von unkonjugiertem, nicht an Albumin gebundenem Bilirubin in das ZNS aufgrund seiner lipophilen Eigenschaft. Irreversible Schädigung im Bereich der Basalganglien, des Globus pallidus, Nucleus caudatus, Hypothalamus und einiger Kerngebiete von Hirnnerven! Zusätzliche Risikofaktoren: Hypoxie, Hyperkapnie, Azidose, Hypalbuminämie, Hypothermie, Unreife. Hämatologie 18 Klinik: Fieber, muskuläre Hypertonie, Opisthotonus, zerebrale Anfälle, Lethargie, schrilles Schreien; Defektheilung mit mentaler Retardierung, Taubheit, Choreoathetose. Therapie: Pränatal je nach Schweregrad: 1. Abwartend und postnatale Therapie 2. Intrauterine Transfusion (via Nabelvene) von 0, Rh-(d)-negativem Blut, vorzeitige Entbindung (Kaiserschnittentbindung ab 32. SSW). Postnatal: 1. Eiweißsubstitution bei Hypoproteinämie (BisekoR 10 ml/kg KM) 2. Immunglobuline (500 mg/kg KM als Kurzinfusion über 2 Std.) bei Rh-Inkompatibilität 3. Phototherapie bei leichten Verläufen (nach Indikationswerten) 4. Blutaustauschtransfusion (nach Indikationswerten) Therapie des Hydrops fetalis: - Primärversorgung sorgfältig vorbereiten (Reanimationsplatz, Kontrolle aller Geräte, Instrumente, Medikamente, ausreichend Personal)! - Primäre Intubation und Beatmung - Punktion und Entlastung von Ergüssen (besonders pleural) und Aszites - Schaffung eines zentralen ( NVK) und mehrere periphere Zugänge - Kreislauftherapie (Eiweißsubstitution, Volumen, Katecholamine) - Transfusion bzw. Austauschtransfusion - Korrektur von Azidose und Gerinnungsstörungen - Überwachung aller vitalen Parameter, s. a. Reanimation! Hämatologie 19 Prophylaxe: Gabe von Anti-D-Immunglobulin (= Anti-D-Prophylaxe) an eine Rh-(d)-negative Mutter nach der Geburt eines Rh-positiven Kindes, auch nach Aborten und Amnionzentese oder unsachgemäßen Transfusionen mit Rh-positivem Blut. Präpartale Anti-D-Prophylaxe in der 28.-29. SSW einer Rh-(d)-negativen Schwangeren. Hämolytischer Transfusionszwischenfall: Entweder besitzt der Empfänger natürliche Ak in Form von Isoagglutininen oder erworbene Ak gegen die transfundierten Erythrozyten oder im Spenderplasma können Immun-Ak gegen A oder B bei Spendern der Gruppe O enthalten sein. Klinik: Fieber, Dyspnoe, Schüttelfrost, Hypotonie, Tachykardie, Urtikaria, Übelkeit, Erbrechen. Therapie: Transfusion sofort stoppen! Weiteres Prozedere gemäß den Richtlinien der Schockbehandlung (Volumenersatz, Kortikosteroide, ggf. Katecholamine, Azidoseausgleich, Diuresesteigerung). Toxische Membranschäden: Auslösung durch Toxine oder Arzneimittel (Resorcin, Phenothiazin in Wurmmitteln, Naphthalin in Mottenkugeln). Innenkörperanämien > Hämoglobinämie und Hämoglobinurie; Bilirubinämie kann zum Kernikterus führen (Austauschtransfusion angezeigt in schweren Fällen). Anisozytose, Poikilozytose mit Erythrozytenfragmenten. Bleivergiftung: Leichte Hämolyse, Störung der Hb-Synthese; Hypochromie, Koproporphyrinurie; basophil punktierte Erythrozyten. Parasitäre und bakterielle hämolytische Anämien: Durch Plasmodien, Streptokokokken, Staphylokokken, Choleravibrionen, Chlostridien, Salmonellen. Hämatologie 20 Hämolytisch-urämisches Syndrom: S. Nephrologie u Kasuistik Definition: Akute Erkrankung mit hämolytischer Anämie, Thrombozytopenie und akuter Niereninsuffizienz. Häufigste Ursache der akuten Niereninsuffizienz im Kindesalter. Unterteilung in typische Form: Enteropathisches HUS mit Nachweis von enterohämorrhagischen E. coli (EHEC) = E+-HUS; atypische Form: Nicht enteropathisches HUS = E-HUS. Epidemiologie: Säuglinge und Kleinkinder : 80-90 %, Vorkommen epidemisch, ländliche Gebiete. Schulkinder: Vorkommen sporadisch, meist ohne Prodromi. Ätiologie: Der Ätiologie folgend wird unterschieden in (modifiziert nach Misselwitz) Typisches HUS (enteropathisches HUS, E+-HUS, D+-HUS); ~ 80 – 90 % aller HUS, ausgelöst durch shigatoxinproduzierende Bakterien; Durchfall meist hämorrhagisch als Prodrom Atypisches HUS (E--HUS, D--HUS); ~ 10 – 20 % aller HUS), kein Durchfall in der Anamnese hcsihtapoidI ﻌ - familiär, genetisch bedingt (Faktor H-Defizit) - sporadisch, rezidivierend rädnukeS ﻌ - bei nicht enteritischen Infektionen (Pneumokokken) - bei primären Glomerulopathien - bei Medikamenten (Cyclosporin A, Tacrolimus, Kontrazeptiva, Kokain, Mitomycin) - während der Schwangerschaft - nach Knochenmarktransplantation - bei Malignomen - bei Kollagenosen/Vaskulitiden - bei AIDS Hämatologie 21 Pathogenese bei „typischem“ HUS (D+-HUS): 01( negnemneiretkaB negnireg tim semraD sed gnureisinoloK ە2 Keime/ml), die sich durch hohe Säurestabilität und ausgeprägte Adhärenz auszeichnen. 8 ruN –ە14 % der mit EHEC Infizierten entwickeln ein HUS d nerutkurtS etmmitseb na enixoT red nekcodnA saD ەer Erythrozytenoberfläche und an spezifische Glykolipidrezeptoren (Gb3) der Endo- und Epithelzellen in der Nierenrinde und in den Tubuluszellen führt zur Hemmung der Proteinsynthese und damit zur Zellschädigung mit konsekutivem Zelltod. Die Endothelläsionen begünstigten die Entstehung einer lokalen Thrombose. Diese prägt zusammen mit einer Wandverdickung von Arteriolen und Kapillaren das morphologische Bild der thrombotischen Mikroangiopathie ( Thrombozytenablagerung). a SUH nehcsipyta mieb ssezorP enebeirhcseb red exoN ehclew hcruD ەusgelöst wird und damit der Weg für die thrombotische Mikroangiopathie gebahnt wird, ist noch unbekannt. SUH edieb rüf dnediehcstnE ە-Formen, im Mittelpunkt steht eine lokale intravasale Gerinnung, ausgelöst durch Läsion des vaskulären Endothels mehrerer Organe oder Organsysteme Klinik: Meist infolge Gastroenteritis durch verotoxinproduzierende E. coli, Shigellen, Viren > perakut hämolytische Krisen mit schwerer Anämie, Blässe, Ikterus, Hautblutungen. Akute Niereninsuffizienz mit Oligurie oder Anurie. Hypertonus, Ödeme, Lungenödem; akutes Abdomen bei Nekrotisierender Enterokolitis. Enzephalopathie mit Hirnödem, Somnolenz, zerebralen Anfällen, Paresen, Koma. Diagnostik: Blut: Normochrome Anämie mit Fragmentozyten (entstehen durch mechanische Zerstörung der Erythrozyten an Thromben), Thrombozytopenie, Retikulozyten , Retentionsparameter , Entzündungsparameter , Elektrolytstörungen (Hyperkaliämie), metabolische Azidose, Laktatdehydrogenase ( Hämolyseparameter), Bilirubin, Aminotransferasen, freiem Hämoglobin, Haptoglobin . Urin: Harnmenge, Harndichte, Proteinurie, freies Hämoglobin, Alaninaminopeptidase, N-azetylglukuronidase (Tubulusenzyme, Ausdruck der tubulären Schädigung). Stuhl: pH, okkultes Blut, Erreger. Sonographie (deutlich erhöhte Echogenität), Dopplersonographie: verminderte Nierendurchblutung; EEG initial und im Verlauf (zur Beurteilung der Grundaktivität, Spitzenpotentiale, Herdbefund), EKG, Röntgen-Thorax (Lungenödem). Therapie: Behandlung der Gastroenteritis, bei septischem Verlauf Antibiose. Genaue Flüssigkeitsbilanzierung (Harnmenge des Vortages + Perspiratio insensibilis). Hämatologie 22 Versuch der Gabe von Diuretika, um Diurese zu erhalten (Furosemid); Elektrolytkorrektur (kaliumfreie Lösungen, evtl. Kationenaustauscher). Puffer-Therapie (leichte Alkalisierung unterstützt die Nierenfunktion!). Transfusion nur bei lebensbedrohlicher Anämie (unterhält Hämolyse, keine Verkürzung der Krankheitsdauer). Frischplasma, AT III zur Normalisierung der plasmatischen Gerinnung; antihypertensive Therapie. Ggf. akute Hämodialyse, Peritonealdialyse. Verlauf: Anurie im Regelfall 6-8 Tage. Marker für Aktivität der Erkrankung: Fragmentozyten, Thrombozyten, LDH. Anämie persistiert noch Wochen; Hypertonus inkonstant. Prognose: In ca. 70 % Heilung; in ca. 20 % Defektheilung mit chron. Niereninsuffizienz, Hypertonus. Letalität < 10 %. Günstig sind kurze Prodromi, saisonales Auftreten, Erkrankung von Kleinkindern. Mechanische Membranschäden Schädigung der Erythrozyten durch Kunststoff (z. B. künstliche Herzklappen, Gefäßendoprothesen); häufig unklares Fieber. Erhöhte Eisenausscheidung im Harn mit Entstehung eines Eisenmangels; Anisozytose, Poikilozytose, Erythrozytenfragmente. Oxydative Membranschäden Infantile Pyknozytose: Bei Säuglingen mit Vitamin E-Mangel; mäßige Hämolyse durch Peroxid, bizarre Erythrozyten Anämie durch Blutverlust Akute Blutungsanämie: Pathogenese: Placenta praevia, vorzeitige Plazentalösung, M. haemorrhagicus neonatorum (Vit. K-Mangel -Blutung), fetomaternale Transfusion. Zustand nach Tonsill- oder Adenotomie, Nasenbluten, Darmblutungen (z. B. Polypen, Meckel-Divertikel, Ulkus). Kompensatorischer Einstrom von Gewebsflüssigkeit in die Blutbahn und gleichzeitig erhöhte Markproduktion, so daß in 4 bis 5 Tagen Retikulozyten verstärkt ins periphere Blut ausgeschwemmt werden. Therapie: Lokale Blutstillung, Bluttransfusion, in schweren Fällen zunächst Volumenersatz, Eisensubstitution im Bedarfsfall. Chronische Blutungsanämie: Pathogenese: Meist infolge Magen-Darm-Blutungen (z. B. chron. Ösophagitis (GÖR), Erosionen, Kuhmilchallergie, Magen- und Duodenalulkus, Hiatushernie, Meckel-Divertikel, Hämatologie 23 chron. entzündliche Darmerkrankungen, Polypen, Oesophagusvarizen, Darmparasiten). Geringgradige chron. Blutungen können durch verstärkte Erythropoese kompensiert werden. Diagnostik: Eisenmangel mit Hypochromie und Mikrozytose; Serumeisen und Eisenbindungskapazität , okkultes Blut im Stuhl! Infektanämie Pathogenese: · Störung des Eisenstoffwechsels: Eisenspiegel , da Eisen im RES (retikuloendotheliales System) gebunden wird und somit weniger Eisen zur Hb-Synthese zur Verfügung steht; gel. auch Störung des Eiseneinbaus in das Häm. · Hemmung der Erythropoese: Störung des Stoffwechsels und damit auch der Absorption erythropoetisch wirksamer Vitaminen. · Verkürzung der Lebensdauer der Erythrozyten: Infektionsbedingte Hämolysen und Bildung von Auto-Ak möglich. · Akute Teilungsstörung der Erythroblasten Therapie: Bekämpfung der Infektion; bei schweren Infektionen kann selten eine Transfusion erforderlich sein (Hämolyse, Aplasie). Eisentherapie nutzlos! Hämatologie Einteilung der Anämien nach dem Erythrozytenvolumen 1. Mikrozytäre Anämien (MCV , MCH oft ) 1. Eisenmangelanämie 2. Thalassämiesyndrome 3. Sideroachrestische Anämien 4. Chronische Infektanämien 5. Chronische Bleivergiftung 6. M. Gaucher 7. Einige kong. hämolytische Anämien 8. Nicht klassifizierbare Formen 2. Makrozytäre Anämien (MCV , MCH nicht immer ) 1. Mit megaloblastären Veränderungen im Knochenmark Vitamin B12-Mangel Folsäuremangel 2. Ohne megaloblastäre Veränderungen im Knochenmark Aplastische Anämien Diamond-Blackfan-Anämie Dyserythropoetische Anämien Einige hämolytische Anämien mit starker Retikulozytose Lebererkrankungen Hypothyreose 24 Hämatologie 25 3. Normozytäre Anämien (MCV in der Regel normal, MCH normal) 1. Hämolytische Anämien Kong. Formen ( Membrandefekte, Enzymdefekte, anomale Hämoglobine) Erworbene Formen (immunhämolytische Anämien, mikroangiopathische hämolytische Anämien) 2. Akuter Blutverlust 3. Bildungsstörungen bei Markverdrängung (können auch makrozytär sein) 4. Bildungsstörungen bei chron. Nierenerkrankung Interpretationshilfen Zu 1: Mikrozytäre Anämien (MCV , MCH meist , Retikulozyten normal bis gering ) Eisenmangel häufigste Ursache; bei normalem Eisen an Thalassämie denken (HbA2, HbF); selten anomale Hämoglobine. Extrem selten: Sideroachrestische Anämien, Bleivergiftung. M. Gaucher bei zunehmender Hepatosplenomegalie. Zu 2: Makrozytäre Anämien (MCV ) Lebererkrankung, Hyperthyreose; Megaloblasten im Knochenmark > Vitamin B12- und FolsäureMangel. Zu 3: Normozytäre Anämien (MCV normal, MCH normal) a) Retikulozyten , Leuko- und Thrombozyten normal - isolierte Erythropoesestörung > meist erworbene passagere aregeneratorische Anämie (angeb. Form: Diamond-Blackfan sehr selten) - aplastische Krisen bei hereditären hämolytischen Anämien; häufig durch die Erythropoese supprimierende Parvoviren (akute Anämie, fehlende Retikulozyten, fehlende Verstärkung des Ikterus) b) Retikulozyten , häufig Thrombozytopenie, Leukozyten variabel - Aplastische Anämie, Leukämie, Hyperspleniesyndrom Knochenmark-Beurteilung erforderlich. Hämatologie 26 c) Retikulozyten - Regeneration nach hämolytischer Anämie oder Blutverlust - Peripherer Blutausstrich bei hämolytischer Anämie: Kugelzellen, Elliptozyten, Stomatozyten - Kugelzellen bei hereditärer Sphärozytose (osmotische Resistenz!) und bei immunhämolytischen Anämien (Coombs-Test) - Fragmentozyten (Eierschalenformen), typisch für das hämolytisch-urämische Syndrom (HUS), die thrombotische thrombozytopenische Purpura (Moschcowitz-Syndr.) und die disseminierte intravasale Koagulopathie (DIC) - Targetzellen und Sichelzellen bei anomalen Hämoglobinen und Thalassämie-Syndromen (HbAnalyse) - normale Erythrozytenmorphologie > Enzymdefekte, instabile Hämoglobine, kong. dyserythropoetische Anämie - Innenkörper in Retikulozyten > instabile Hämoglobine, Glukose-6-PhosphatDehydrogenasemangel oder toxische Hämoglobinschäden. Hämatologie 27 Gerinnungssystem 15.4.0 Allgemeines 15.4.1 Hämorrhagische Diathesen Allgemein Das Gerinnungssystem des Körpers schützt vor Blutverlusten sowie vor überschießender Gerinnung (Hypo- bzw. Hyperkoagulation). Ein physiologisches Gleichgewicht ermöglicht im Normalfall die komplexen Funktionen des Gerinnungsystems. Störungen führen hingegen zu einem Ungleichgewicht zwischen Aktivatoren und Inaktivatoren des Gerinnungssystems und verursachen entsprechende Symptome. Physiologie der Blutstillung (Hämostase): · Primäre Blutstillung: Vasokonstriktion und Plättchenaggregation nach Gefäßwandverletzung (Kollagenfreilegung und freiwerdendes ADP initiieren die Aggregation). Mitwirkung von v.Willebrand-Faktor, Arachidonsäure, Thromboxan > Bildung des "weißen Plättchenthrombus = Abscheidungsthrombus"; prim. Phase ist nach ca. 3-7 Min. beendet (Bestimmung durch Blutungszeit n. IVY)! · Sekundäre Blutstillung: Aktivierung des plasmatischen Gerinnungssystems ausgelöst durch Gewebsthromboplastin (exogenes System) oder negativ geladene Fremdoberflächen (endogenes System). >Verklebung des weißen Plättchenthrombus durch Fibrin und Retraktion durch ein Thrombozytenprotein (Thrombasthenin). Sekundäre Blutstillung: endogene Aktivierung Faktoren I, II, V, VIII, IX, X, XI, XII; langsame Gerinnung, Kontrolle durch PTT exogene Aktivierung Faktoren I, II, V, VII, X, schnelle Gerinnung, Kontrolle durch Thromboplastinzeit = Quick) Aktivierung des endogenen Systems über Kontaktaktivierung von F XII unter Beteiligung von Plättchenfaktor 3, exogenes System über Gewebsverletzung (Gewebsthromboplastin). Hämatologie Blutgerinnungsfaktoren: I Fibrinogen II Prothrombin (III) Gewebethromboplastin (III nicht üblich) (IV) Kalziumionen (Ca2+ ) V Proakzelerin, Plasma-Akzelerator-Globulin, labiler Faktor (VI) Akzelerin VII Prokonvertin, stabiler Faktor, Prothrombinogen, Serum prothrombin conversion accelerator (SPCA) VIII antihämophiles Globulin (AGH), antihämophiler Faktor (AHF) IX Christmas-Faktor, Plasma thromboplastin component (PTC) X Stuart-Prower-Faktor XI Rosenthal-Faktor, Plasma thromboplastin antecedent (PTA) XII Hageman-Faktor XIII fibrinstabilisierender Faktor (FSF), Laki-Lorand-Faktor, Fibrinoligase PF 3 Plättchenfaktor 3 (Phospholipide) Die Faktoren II, VII, IX, X, XI, XII, XIII sind Proenzyme, die zu den aktiven Faktoren in der Kaskade umgewandelt werden. Va und VIIIa sind Akzeleratoren! 28 Hämatologie 29 Plasmatische Gerinnung Inhibitoren des Gerinnungssystems: Antithrombin III: Inhibiert die Serumproteasen Thrombin und F Xa durch Komplexbildung, in erster Linie mit Thrombin. Bei AT III-Mangel steigt das Thromboserisiko, da intravasal anfallendes Thrombin nur unzureichend inaktiviert wird. Protein C: Vit. K-abhängige Synthese; zerstört die Akzeleratoren Va und VIIIa. Protein S: Vit. K-abhängige Synthese; Co-Faktor des Protein C. Heparin: Aktivierung von AT III und damit indirekte Thrombinhemmung (s. o.); bei AT III-Defizit mangelnde Wirksamkeit. Ind.: Thrombembolieprophylaxe, -therapie, extrakorporaler Kreislauf, DIC. Als Antidot wirkt Protaminsulfat >1 mg neutralisiert ca. 100 IE Heparin! Hämatologie 30 Cumarin: Vit. K-Antagonist; hemmt die Synthese der Faktoren des Prothrombinkomplexes (II, VII, IX, X) und Protein C bzw. S. Ind.: Z. n. Herzklappenersatz, bei hereditärer Thromboseneigung, Sekundärprophylaxe n. venösen Thrombosen. Wechselwirkung zwischen Gerinnungssystem und Fibrinolyse Hämatologie 31 Thrombozyten: Von Megakaryozyten im Knochenmark gebildete kernlose Blutbestandteile. Hauptfunktion: Aufrechterhaltung der Hämostase. Durch Einwirkung verschiedener Substanzen (Kollagen, Thrombin, Immunkomplexe u. a.) aggregieren und degranulieren Thrombozyten. Dabei geben sie ihre Plättchenfaktoren frei, die die Blutgerinnung im endogenen System einleiten, und einen Thrombus bilden, der sich durch Aktivierung von Thrombasthenin kontrahiert. Abbau der Thrombozyten in der Milz; Lebensdauer 8-12 d (ca. 66 % der Thrombozyten befinden sich in der Blutbahn, ca. 33 % "abrufbereit" gepoolt in der Milz). Hämatologie 32 Hämorrhagische Diathesen 15.4.1.0 Allgemein 15.4.1.1 Angeborene Koagulopathien 15.4.1.2 Erworbene Koagulopathien 15.4.1.3 Vaskulopathien Allgemein Sammelbezeichnung für Krankheitszustände, die durch Blutungsneigung bzw. Auftreten spontaner, schwer stillbarer Blutungen gekennzeichnet sind. Unterscheidung angeb. (primären) von erworbenen (sekundären) hämorrhagischen·Diathesen in Abhängigkeit von der zugrundeliegenden Störung: · Koagulopathien (Störungen der Plasmafaktoren) · Vasopathie · Thrombozytopenie, -pathie; häufigste Ursache einer Blutungsneigung Koagulopathien: Angeb. Defektkoagulopathie (u. a. Hämophilie, v. Willebrand-Jürgens-Syndrom, Dysfibrinogenämie), erworben bei Lebersynthesestörungen oder Vit. K-Mangel (M. haemorrhagicus neonatorum); Immunkoagulopathie (u. a. SLE, Hemmkörperhämophilie); Verbrauchskoagulopathie. Vaskulopathie: Angeb. (u. a. M. Osler, Ehlers-Danlos-Syndrom), erworben (u. a. Purpura Schoenlein-Henoch). Thrombozytopenie bzw. -pathie: Bildungs-, Reifungsstörungen, Verbrauch, gesteigerter Abbau, Immunthrombozytopenie. Diagnostik Hämatologie 33 Anamnese: Epistaxis, Medikamenteneinnahme (u. a. ASS), Blutung nach Minimaltraumen (z. B. Zahnextraktion, Impfung), familiäre Belastung. Blutungstypen: · Punktförmige Blutungen (Petechien) bes. bei vaskulärer bzw. thrombozytärer Diathese. · Großflächige Blutungen, scharf begrenzt (Ekchymosen) und Hämatome (auch Hämarthros) bei Koagulopathien. · Schleimhautblutungen bei Thrombozytopenie Orientierende Laboruntersuchungen bei Gerinnungsstörungen Hämatologie 34 Angeborene Koagulopathien 15.4.1.1.1 Hämophilie 15.4.1.1.2 v. Willebrandt-Jürgens-Syndrom Hämophilie Kasuistik Definition: X-chrom. vererbbare Erkrankung mit pathologischer Blutungsneigung aufgrund einer Störung der plasmatischen Gerinnung. Ätiologie/Pathogenese: Hämophilie A (Fehlen bzw. Inaktivität von Faktor VIII) oder Hämophilie B (Fehlen bzw. Inaktivität von Faktor IX). Ca. 25-40 % Spontanmutationen; sonst X-chrom. rez. vererbt, d. h. nur männliche Bluter (Mädchen bzw. Frauen können Konduktorinnen sein und haben in ca. 30 % der Fälle Gerinnungsstörungen untersch. Ausprägung. Bei der sehr seltenen Konstellation: Vater Bluter, Mutter Konduktorin können auch Mädchen Bluter sein!). Faktoren VIII und IX sind wesentlicher Bestandteil der endogenen Gerinnungskaskade, d. h. bei intakter prim. Blutstillung kommt es zu sek. Nachblutungen bei verlängerter Gerinnungszeit! Bildung der Blutthrombokinase ist gestört, die Bildung der Gewebethrombokinase (exogenes System) dagegen nicht. Anamnese: Positive Familienanamnese; Hautblutungen, nur bei schweren Verlaufsformen schon in der Säuglings-Zeit auffällig; selten "roter Urin". Klinik: Blutungssymptomatik ist abhängig vom Schweregrad der Erkrankung (s. u.); Gelenk-, Muskeleinblutungen, Nabelschnurblutung, Sugillationen ( großflächige Hautblutungen), selten Hämaturie. Diagnostik: Typische Anamnese! Thrombozytenzahl, Blutungszeit, Quick-Test normal, PTT , Gerinnungszeit . Gerinnungsfaktoren VIII oder IX . Harnstatus (evtl. Mikrohämaturie); Sono ( Abdomen, Muskulatur, Gelenke). Hämatologie 35 Durch Gerinnungsfaktorenbestimmung kann der Defekt gezielt ermittelt werden. Die molekulargen. Bestimmung heterozygoter Mütter und kranker männlicher Feten ist möglich (Pränataldiagnostik). Differentialdiagnosen: V. Willebrand-Jürgens-Syndrom, isolierter anderer Faktorenmangel. Bei Einblutung in den Musculus iliopsoas Appendizitis-ähnliches Beschwerdebild. Besonderheiten: Häufigste Koagulopathie, Prävalenz 1: 10000 männlicher Patienten. Schweregrade: · Subhämophilie (15-30 % Faktorenkonzentration) Blutungsneigung nur bei schweren Verletzungen und Operationen. · Leichte H. (5- 15 %) Gelenk- und Muskelblutungen nur nach schwereren Verletzungen. · Mittelschwere H. (1-5 %), bei über 2 % keine Spontanblutungen; Gelenk- und Muskelblutungen (n.Traumen). · Schwere H. (< 1 %); zunehmende Blutungsneigung, Spontanblutungen! Hämophilie A ca. 85 %, Hämophilie B ca. 15 % der Hämophiliepatienten. Hemmkörperhämophilie bei bis zu 10 % der Hämophilie-A-Patienten durch Bildung von Antikörpern (IgG) gegen den externen Gerinnungsfaktor. Eliminierung dieser "Hemmkörper" durch hochdosierte Faktor VIII-Therapie oder kombinierten Einsatz von Faktor VIII mit FEIBAR (sog. Immuntoleranztherapie). Blutungen entstehen fast immer traumatisch, häufig nach banalen Mikrotraumen durch Stoßen, Zahnextraktionen u. ä. Mit zunehmender motorischer Aktivität der Kinder treten Gelenkblutungen in den Vordergrund und führen zum sog. Blutergelenk mit Erguß und z. T. erheblicher Bewegungseinschränkung. Komplikationen: Selten lebensbedrohliche Blutungen. Übertragung infektiöser Antigene bei Substitutionstherapie (u. a. HIV, Hepatitisviren). Spätblutungen (nach Std. bis Tagen erneut einsetzende Blutungen, nachdem es bereits zur Blutstillung gekommen war, z. B. 3-5 d nach Zahnextraktion). Hämatologie 36 Therapie: 1. Notversorgung akuter Blutungen. Adäquate und sorgfältige lokale Blutstillung; zur aktuellen Blutstillung eignet sich Substitution mit gerinnungsaktiven Plasmakonzentraten; bei Hämophilie A Faktor-VIII-Konzentrate, bei Hämophilie B Faktor-IX-Konzentrate. Die Wirkdauer dieser Plasmaseparationen wird von der biologischen Halbwertzeit der antihämophilen Globuline bestimmt (A 6-12 h, B 12-24 h). 2. Langfristige Betreuung von Hämophiliepatienten. Ersatz von Gerinnungsfaktoren (hochgereinigt, virusinaktiviert) als Dauerbehandlung oder bei weniger schweren Fällen im Bedarfall (Die Indikation zur Substitutionstherapie muß sehr streng gestellt werden, da mit der parenteralen Anwendung von Plasmakonzentraten stets Risiken verbunden sind: Übertragung von infektiösen Krankheitserregern -Hepatitis-Viren, HIV, Bildung von Antikörpern mit der Folge einer Hemmkörperhämophilie und andere Transfusionszwischenfälle). Keine intramuskulären Injektionen (außer Impfungen; bei schwerer Form zuvor Faktorensubstitution!); Thrombozytenaggregationshemmer (z. B. Acetylsalizylsäure) sind kontraindiziert. Prognose: Blutungsprophylaxe auch zur Verhütung von Spätschäden (u. a. Gonarthros). Optimale Betreuung mit qualitativ hochwertigen Therapeutika ermöglicht "fast normale" Lebensqualität! Willebrandt-Jürgens-Syndrom v. Willebrand-Jürgens-Syndrom (engl.: v. Willebrand´s disease) Definition: Häufigste, aut.-dom. vererbte hämorrhagische Diathese mit stark variierendem Auftreten und Ausprägungsgrad bedingt durch einen Mangel an v.Willebrand-Faktor (vWF); Genlokalisation Chromosom 12. Ätiologie/ Pathogenese: Meist angeborene qualitative oder quantitative Störung des Faktor-VIII-Trägerproteins (vWF = Untereinheit des Faktor VIII), die zu pathologisch veränderter Thrombozytenadhäsionsfähigkeit am Gefäßendothel führt zu Blutungszeit (vWF beschleunigt normalerweise über spezifische Rezeptorbindung die Thrombozytenadhäsion am verletzten Gefäßendothel; die plättchenagglutinierenden Eigenschaften des vWF werden auch Ristocetin-Cofaktor genannt). Als zweite Funktion schützt vWF den Faktor VIII vor vorzeitigem proteolytischen Abbau; daher wirkt sich der Defekt auch auf die plasmatische Gerinnung aus. Selten erworben, z. B. im Verlauf des systemischen Lupus erythematodes (SLE). Hämatologie 37 Anamnese: Zahnfleisch-, Nasen-, Hautblutungen, selten "roter Urin". Klinik: Blutungssymptomatik abhängig von Schwere der Erkrankung. Hautblutung, typischerweise Schleimhautblutungen, Hämaturie, Menorrhagien (bei schwerer Ausprägung von Hämophilie klinisch nicht zu unterscheiden). Oft zufälliges Entdecken bei Adeno-, Tonsillektomie bzw. Zahnextraktion. Diagnostik: Blutungszeit (n. IVY)! vWF: Ag , vWF : RCo ; FVIII: C ; evtl. PTT . Thrombozytenzahl, Quick, Thrombinzeit, andere Gerinnungsfaktoren normal; Harnstatus (evtl. Mikrohämturie). Differentialdiagnose: Hämophilie. Besonderheiten: Häufigkeit 1,3% (d.h. ca. 1:100)! Unterscheidung in 3 Haupttypen möglich: Typ I und II werden aut.-dom. vererbt, Typ III aut.-rez. (schwere Verlaufsform, da vWF fehlt), Ca. 80% aller Patienten leiden an Typ I; Gelenkblutung tritt nur bei sehr schweren Verläufen auf. Komplikationen: Selten lebensbedrohliche Blutungen. Therapie: Lokal Kühlung, Druckverband; Desmopressin (=Vasopressin Ausschüttung des im Endothel gespeicherten WF), ggf. Gabe von Faktor VIII-Präparaten mit WF-Anreicherung. (Bei weiniger als 5 % der Patienten mit WJS -Typ II B- ist Desmopressin kontraindiziert, da es dadurch zur Thrombozytopenie kommen kann). Prognose: Gut; vitale Gefährdung nur bei Patienten mit schwerer Verlaufsform. Hämatologie 38 Erworbene Koagulopathien Disseminierte intravasale Gerinnung (Verbrauchskoagulopathie, engl.: disseminated intravascular coagulation, DIC) Definition: Blutgerinnungsstörung mitunter als massiver Zusammenbruch der Hämostase infolge des Verbrauchs von Thrombozyten und plasmatischen Gerinnungsfaktoren mit Symptomen einer plasmatisch-thrombozytär bedingten hämorrhagischen Diathese. Ätiologie/Pathogenese: Auftreten im Rahmen verschiedenener Grunderkrankungen: Gynäkologisch (u. a. Fruchtwasser-Embolie, EPH-Gestose), infektiös (u. a. Meningokokken-, Pneumokokkensepsis), vaskulär ( HUS, Moschcowitz-Syndrom), idiopathisches Atemnotsyndrom (IRDS), Erythroblastosis fetalis, Malignome (Leukämien). Aktivierung des exogenen Gerinnungssystems durch Gewebsthromboplastin (z. B. freigesetzt bei Fruchtwasser-Embolie) > Mikrothromben in der Endstrombahn unter Verbrauch von Thrombozyten und Gerinnungsfaktoren > Mißverhältnis zwischen Verbrauch und Produktion von Thrombozyten und Gerinnungsfaktoren führt zu Hypokoagulabilität (verminderte Gerinnbarkeit) und letztlich zu Blutungen. Kompensatorisch (da Thrombosierung der Endstrombahn) kommt es zu einer sek. Hyperfibrinolyse, die jedoch die Blutungsneigung weiter verstärkt! Klinik: · Stadium I (Hyperkoagulopathie): Klinisch wenig erfaßbar · Stadium II (Hypokoagulopathie): Dekompensation > Blutungen aus frischen Wunden (z. B. Schleimhäute durch Verbrauch der Gerinnungsfaktoren); petechiale Blutungen bei Thrombozytenabfall; nicht selten bei Organversagen (Schocklunge, akutes Nierenversagen, Leberversagen durch Mikrothrombosierung), Hypoxie, Azidose u. a.. · Stadium III (Zusammenbruch der Gerinnung mit Hypokoagulopathie und sek. Hyperfibrinolyse): Zusätzl. zu Stadium II: Blutungen aus älteren Verletzungen bzw. Wunden. Ferner: Abhängig von der Grunderkrankung; gastrointestinale-, Nebennieren-, intrakranielle Blutungen, Schocksymptome, zerebrale Anfälle, marmorierte Haut, evtl. Hepatosplenomegalie. Hämatologie 39 Diagnostik: Diagnostik der Grunderkrankung! · Stadium I: PTT , AT III , Absinken der Thrombozytenzahl · Stadium II: Quick , Thrombozyten , Fibrinogen , AT III , D-Dimere , Fibrinmonomere , Abfall der Gerinnungsfaktoren · Stadium III: Reptilase , TZ , D-Dimere , Fibrinogenspaltprodukte , Fibrinogen Nachweis von Fibrinmonomeren beweist eine intravasale Gerinnung; Fibrinspaltprodukte eine Hyperfibrinolyse (bei sek. Hyperfibrinolyse). Weitere Diagnostik i. R. der Grunderkrankung (z. B. Sono-Abdomen, EEG, Röntgen-Thorax). Differentialdiagnosen: Schwerer Blutverlust, z. B. perioperativ (Verlustkoagulopathie), schwerer Leberschaden mit Proteinbiosynthese-Insuffizienz. Besonderheiten: Begünstigend sind: Schock, Azidose, Hypoxie und Stase (eingeschränkte "Klärfunktion" für DICauslösende Substanzen). Ausprägung der DIC läßt sich gut an Fibrinogen- bzw. Thrombozytenwerten abschätzen! Komplikationen: I. R. der Grunderkrankung, ferner Blutungen, Thrombosen, Schocklunge, akutes Nierenversagen, Multiorganversagen. Therapie: Schnelle und adäquate Therapie der Grunderkrankung - Vermeiden einer Hypovolämie! Lokale Blutstillung. Ferner: "Low-dose"-Heparinisierung 100-150 IE/kg KG, AT III-Substitution (Zielspiegel > 75 %), Frischplasma, Thrombozyten- und Erythrozytenkonzentrate (bei Thrombozyten < 20Gpt/l bzw. Hk < 0,3), evtl. Fibrinogen- und Faktor XIII-Substitution; bei Thrombose Vollheparinisierung! Bei Blutungsneigung infolge Hyperfibrinolyse Aprotiningabe in Ausnahmefällen erwägen. Therapieerfolg am Anstieg der Fibrinogenkonzentration und Thrombozyten meßbar. Prophylaxe: "Low-dose"-Heparinisierung! Prognose: Abhängig von der Grunderkrankung und aufgetretenen Komplikationen! Hämatologie 40 Weitere erworbene Koagulopathien · Im Rahmen von Leberfunktionsstörungen mit Proteinbiosynthese (Störungen des plasmatischen Systems) · Bei Therapie mit Vit. K-Antagonisten Vaskulopathien Purpura Schoenlein-Henoch (Hypersensitivitätsvaskulitis, anaphylaktoide Purpura , engl.: Schoenlein- Henoch purpura) Kasuistik Definition: Gehäuft bei Jungen auftretende (Infekt-, Arzneimittel-, Nahrungsmittel-, evtl. autoimmun-) allergische Vaskulitis der kleinen Blutgefäße und Kapillaren mit typischem Hautbefund. Ätiologie/Pathogenese: Vaskulitis (allergisch) vom Immunreaktionstyp III (Arthus-Reaktion) mit subendothelialer Ablagerung von Antigen-Antikörper-Komplexen und Aktivierung der Komplementkaskade. Häufig im Zusammenhang mit vorangegangener Influenza-Virus-Infektion. Anamnese/Klinik: Kopfschmerzen, Fieber, makulo-papulöse Hautpurpura ( Streckseiten der Extremitäten, Gesäß), Arthralgien, kolikartige Bauchschmerzen, Erbrechen, evtl. Darmblutungen ( Purpura abdominalis) oder Ileus, Mikro-/ Makrohämaturie (mesangioproliferative GN), Ödeme. Diagnostik: Thrombozytenzahl, Quick, PTT, Thrombinzeit, Gerinnungsfaktoren normal. Blutungszeit meist normal. Positiver Rumpel-Leede-Test (Prüfung der Kapillarresistenz, die abhängig ist von der Funktion der Gefäße und von Zahl und Funktion der Thrombozyten; Prinzip: Mit einer Blutdruckmanschette, die um den Oberarm des Pat. gelegt ist, wird 5 Min. lang ein Druck, der 10 mmHg über dem diastol. Blutdruck liegt, aufrechterhalten > Petechien sind ein Hinweis auf Kapillarstörungen und evtl. Thrombozytopenie). Nachweis zirkulierender Immunkomplexe und Auto-Ak möglich; Histologie (Haut) mit perivaskulären IgA- und Komplement-Ablagerungen. Harnstatus (Mikrohämturie); selten pathologisches EEG (i. R. eines zerebralen Anfalls). Differentialdiagnosen: Meningokokkensepsis, bei kolikartigen Bauchschmerzen auch Hodentorsion bzw. Nebenhodenentzündung. Schwere GI-Manifestationen ohne Hautbefund möglich > imponiert als Appendizitis acuta. Hämatologie Besonderheiten: Manifestation meist im Vorschulalter. Auftreten bes. im Frühjahr und Herbst. Zugehörig als hämorrhagischer Typ zur Gruppe der Purpurae anaphylactoides. Komplikationen: Darmblutung, Invagination; Übergang in chron. Glomerulonephritis möglich. Therapie: Symptomatisch; Vit.C-Gabe (pos. Einfluß auf Gefäßleckage), ggf. Glukokortikoide bei Arthralgien oder Darmkoliken. Prognose: Im allgemeinen gut; selten chron. Glomerulopathie. Weitere Vaskulopathien: M. Osler, Skorbut, Ehlers-Danlos-Syndrom. 41 Hämatologie 42 Thrombozytäre Erkrankung 15.5.1 Thrombozytopenien 15.5.2 Thrombozytopathien 15.5.3 Thrombophilie - Hyperkoagulabilität 15.5.4 Thrombozytose Thrombozytopenien 15.5.1.0 Allgemein 15.5.1.1 Immunthrombozytopenie (Idiopathische thrombozytopenische Purpura, ITP) Allgemein Definition: Verminderte Zahl der Thrombozyten (< 150 Gpt/l) Ätiologie: Bildungsstörung: angeboren: Wiskott-Aldrich-Syndrom, Fanconi-Syndrom, erworben: Medikamentös (u. a. Zytostatika, Valproinsäure), chemisch-toxisch (z. B. Benzol), maligne Knochenmarks-Infiltration mit Verdrängung, Reifungsstörung mit ineffekt. Thrombozytopoese bei Vitamin-B12- und Folsäuremangel. Vermehrter Umsatz / Verkürzte Thrombozytenlebensdauer: Immunpathologie Immunthrombozytopenie, i. R. von Systemerkrankungen wie SLE, Heparin-induziert, neonatal bei feto-maternaler Inkompatibilität) Andere HUS, Moschcowitz-Syndrom Verteilungsstörung: Vergrößerter Thrombozytenmilzpool bei Splenomegalie (Hypersplenismus). Ferner begleitend zu konnatalen Virusinfektionen (TORCH) oder später erworben, z. B. im Rahmen von Masern, EBV-Infektionen oder Röteln (erworbene Virusinfekte führen meist zu kurzer, passagerer Thrombozytopenie, kong. hingegen eher zu länger andauernden Thrombozytopenien). Hämatologie 43 Immunthrombozytopenie Kasuistik Definition: Isolierte Thrombozytopenie infolge verkürzter Thrombozytenlebensdauer, induziert durch antithrombozytäre Autoantikörper. Formen: · Akut passager: Plötzlicher Beginn, meist nach Virusinfekt, seltener nach Einnahme von Medikamenten (z. B. Antibiotika, Chinin, Chinidin, Digitoxin, Barbiturate); kurzer Verlauf, spontane Besserung; Altersgipfel 2-6 Jahre. · Chronisch: Autoimmunkrankheit ohne erkennbare Ursache, verläuft schubweise über Monate bis Jahre; Gynäkotropie. Ätiologie/Pathogenese: Gegen Thrombozyten gerichtete IgG-Auto-Ak sind für eine verkürzte Plättchenüberlebenszeit und vorzeitigen Abbau in der Milz verantwortlich (èkompensatorisch ist die Megakaryozytenbildung im Knochenmark verstärkt). Anamnese: Häufig Infektion der oberen Luftwege vorausgegangen, Hautblutungen, "roter Urin". Klinik: Generalisierte Purpura an Haut und Schleimhaut (Epistaxis, GI-, urogenitale Blutung), Petechien, verlängerte Menstruation. Bei Thrombozytenzahlen >30·Gpt/l meist keine manifeste hämorrhagische Diathese; schwere Blutungen <10 Gpt/l. Diagnostik: Thrombozyten , Blutungszeit , sek. hypochrome Anämie (MCH ); als Kompensationsmechanismus: Vergrößerte Thrombozyten (2- 3µm) im Blutausstrich. Im Knochenmark vermehrt jugendliche Megakaryozyten (Knochenmark-Punktion lediglich aus differentialdiagnostischen Gründen)! Ferner: Ak-Suche (an Kollagenosen denken), Harnstatus (Erythrozyturie). Differentialdiagnosen: Immunthrombozytopenien anderer Genese (s.o.). Erkrankung mit Knochenmarks-Verdrängung (u.a. Leukämie), HUS. Besonderheiten: Häufigste Ursache einer Thrombozytopenie im Kindesalter. Antikörper in ca. 30% der Fälle diagnostizierbar. Hämatologie 44 ITP ist eine Ausschlußdiagnose! Dauert die Thrombozytopenie >6 Monate, spricht man von einer chronischen Verlaufsform, Gynäkotropie (M. Werlhof genannt). Lk-Schwellung und Splenomegalie machen eine andere Erkrankung wahrscheinlich (z.B. Leukämie)! Komplikationen: Hirnblutungen, schwere GI- Blutungen. Therapie: Bei akuter Form, sofern möglich, abwarten (häufig selbstlimitierend)! Absetzen aller Medikamente; zur lokalen Blutungsstillung: Druckverband, Kühlung. Weitere Maßnahmen abhängig vom Schweregrad der Blutungssymptomatik: Glukokortikoid-Gaben 2 mg/kgKG/d; (Glukokortikoide > Thrombozytose, Endothelstabilisation, Suppression der Ak-Bildung, Einschränkung der Phagozytoseaktivität der Makrophagen) oder, sofern ein rascher Thrombozytenanstieg gewünscht ist: Immunglobulin-Gabe 2 g/kgKG ED (alternativ 0,4 g/kgKG/d für 5 Tage). Bei Notfällen (z.B. ZNS-Blutung): Glukokortikoide hochdosiert (bis 20 mg/kgKG), Immunglobuline (1-2 g/kgKG), Thrombozytenkonzentrate! Bei chron. Form und positivem Rhesusfaktor Therapieversuch mit Anti-D-Immunglobulin, da ca. 50% dieser Patienten Thrombozytenanstiege zeigen. Bei spezieller Indikation: Splenektomie: Zuvor Pneumokokken- und HIB-Vakzination zur Vermeidung eines OPSI-Syndroms (overwhelming postsplenectomy syndrome)! Kontraindikation für: Acetylsalizylsäure (Thrombozytenaggregationshemmer). Prognose: Gut; akute Form ist häufig selbstlimitierend (85% Spontanheilung innerhalb von 6 Monaten); Letalität ca. 1-4% (akute Hirnblutungen). Weitere Thrombozytopenien: Wiskott-Aldrich-Syndrom, Fanconi-Syndrom, HUS, Moschcowitz-Syndrom, Hypersplenismus, Kasabach-Merritt-Syndrom (s.a. Syndrome und seltene Erkrankungen). Hämatologie 45 Thrombozytopathien Definition: Störung der Thrombozytenfunktion verschiedener Ursache bei normaler Thrombozytenzahl. Krankheitsbilder: Glanzmann-Naegeli-Syndrom Schleimhautblutungen Aut.-rez., Blutungszeit , Quick, PTT normal; (Thrombasthenie) (Epistaxis, GI- Blutungen) Thrombozyten normal oder leicht vermindert, therapeutisch Thrombozytenkonzentrate b. Bed., fehlende Bindungsstelle für Fibrinogen an Thrombozyten. Bernard-Soulier-Syndrom s. Glanzmann-Naegeli-S.(Riesenplättchenthrombozytopathie Fehlende Bindungsstelle für v. Willebrand-Faktor) Weitere Ursachen: Erworbene Störungen durch Urämietoxine (chron. NI), ASS, akute Leukämie. Hämatologie 46 Thrombophilie - Hyperkoagilabilität 15.5.3.1 Allgemeines 15.5.3.2 Thrombophilie - Hyperkoagulabilität - Thrombose Allgemeines Definition: Dysfunktion des Gerinnungssystems mit erhöhtem Risiko thrombembolischer Prozesse. Liegt eine verminderte Gerinnungsfähigkeit vor, spricht man von Hypokoagulabilität, anderenfalls von Hyperkoagulabilität (Thrombophilie). Auswahl präsdisponierender Faktoren für Thromboseneigung: 1. Resistenz gegen aktiviertes Protein C 2. Hereditärer Antithrombin-III-Mangel 3. Protein-C-, -S-Mangel 4. Erworbene Ursachen · Prädisposition bei schweren Erkrankungen wie Diabetes mellitus, SLE, Malignomen (prokoagulatorische Wirkung von malignem Gewebe), HUS, Schock, Infektionen, nephrotischem Syndrom, Herzfehlern, Polyglobulie, Homozystinurie, Sepsis (Bakterien, Pilze), hormoneller Kontrazeption. · Diagnostische und therapeutische Eingriffe wie Katheteruntersuchungen, Transplantationen, Transfusionen, nach L-Asparaginasebehandlung (bei ALL). · Physikalische Ursachen z. B. Ruhigstellung, Gipsverband. Anamnese: Zeitdauer der ersten Beschwerden (Thrombosealter), prädisponierende Faktoren (Rauchen, Pille, Bewegungsarmut, Adipositas), Familienanamnese. Klinik: Purpura fulminans mit schwerer hämorrhagischer Diathese. Venenthrombosen, Lungenembolien. Hämatologie 47 Diagnostik: Labor: Globale Gerinnungstests mit PTT, TZ, Thromboplastinzeit (TPZ). Protein-S-Aktivität, freies Protein S, Gesamtprotein S. Protein-C-Aktivität, Protein-C-Konzentration; Antithrombin-IIIAktivität. Lupusantikoagulans; Kardiolipin-Antikörper (IgG, IgM); Plasminogenaktivität. Gerinnbares Fibrinogen; t-PA (tissue type plasminogen activator); PAI 1 (Plasminogenaktivator-Inhibitor). Histidinreiches Glykoprotein; Faktor XII-Aktivität. Bildgebende Diagnostik: Ultraschall-Dopplersonographie; Phlebographie. Venöse/arterielle digitale Subtraktionsangiographie. Ventilations-/ Perfusionsszintigraphie (Lungenembolie); CT/MRT (bei großen Gefäßen). Ferner: Ausschluß möglicher Ursachen, z. B. maligne hämatologische Erkrankungen. Differentialdiagnose: Arterielle Durchblutungsstörungen Besonderheiten: Thrombosen sind im Kindesalter selten, sie häufen sich jedoch im Neugeborenen-Alter und in der Adoleszenz (überwiegend bei Einnahme oraler Kontrazeptiva). Meist liegt bei spontaner Thromboseneigung ein Mangel an antithrombotisch wirkenden Faktoren vor, denen sich ein weiterer Risikofaktor zugesellt. Beim nephrotischen Syndrom kommt es u. a. zum AT III-Verlust und dadurch gehäuft zu Nierenvenenthrombosen! Komplikationen: Chronisch venöse Insuffizienz, Ulkus, Stauungsdermatitis, Blutungen, Verlängerung der Regelblutung. Therapie: Operative Intervention mit Embolektomie; Bypass-Transplantation; Resektion und Rekonstruktion. Nicht-operative Intervention: · Perkutane transluminale Angioplastik (bei Stenosen der Nieren- und Koronararterien oder peripheren Arterien) Hämatologie 48 · Abwarten der spontanen Auflösung · Antikoagulantientherapie mit Heparin · Fibrinolytische Therapie (bei Thrombosen, die nicht älter als 10-14 Tage sind) mit rt-PA (rekombinanter Gewebe-Plasminogenaktivator), Streptokinase, Urokinase. Indikation zur Thrombolysetherapie: Zur Abwendung einer unmittelbaren Lebensbedrohung durch den Thrombus Abwendung des Verlustes von Extremitäten Vermeidung eines Dauerschadens Direkte Schmerzlinderung durch Besserung der lokalen Symptomatik Wichtig: Reokklusionstherapie: · Cumarinderivate · Heparin · Thrombozytenaggregationshemmer (Azetylsalizylsäure, Ticlopidin): Wirkung: Hemmung der Zyklooxygenase in den Thrombozyten, Hemmung des aggregationsfördernden Thromboxans. Ind.: Bei Thrombophilie, drohender arterieller Durchblutungsstörung (TIA, Amaurosis fugax), Sekundärprophylaxe nach arteriellen Verschlüssen. · Physikalische Therapie, aktive und passive Bewegung, Kompressionstherapie mit angepaßten Stützstrümpfen. Die Dauer dieser präventiven Therapie ist abhängig von der Thromboseausprägung, deren Lokalisation, dem Erfolg der Therapie sowie von patienteneigenen Merkmalen (zugrundeliegende Ursache, Varikosis...) abhängig. Sie ist im Kindesalter meist kurzzeitig (3-12 Monate), teilweise aber lebenslang (z. B. angeb. Thrombophilie, Herzklappenersatz). Prognose: Abhängig von Grad und Sitz der Thrombose sowie deren Therapiemöglichkeit. Meist jedoch gut. Wichtig: Langzeitantikoagulation über Monate, evtl. lebenslang notwendig! Hämatologie 49 Thrombophilie-Hyperkoagulabilität - Thrombose Kasuistik Definition: Thrombophilie kann als ein Zustand definiert werden, bei dem das Risiko des Auftretens thrombembolischer Erkrankungen erhöht ist. Bei Hyperkoagulabilität oder Übergerinnbarkeit sind laborchemisch Zeichen einer erhöhten Gerinnungsaktivierung zu finden. Allgemeines: Venöse Thrombosen im Kindesalter sind selten, werden aber wegen ihrer unspezifischen Symptome häufig spät erkannt. Sie häufen sich im Neugeborenenalter und in der Adoleszenz. Häufig liegt bei einer Thrombose eine Störung der plasmatischen Gerinnung oder Fibrinolyse vor, zu der ein weiterer prothrombogener Risikofaktor beschrieben wird. Arterielle Thrombosen sind extrem selten, meist findet man sie nach gefäßschädigenden Eingriffen (z. B. Herzkatheter). Die klinische Diagnostik hat bei der Früherkennung tiefer Beinvenenthrombosen eine ausgesprochen unbefriedigende Treffsicherheit. Epidemiologie: Phlebothrombosen zeigen zwei Häufigkeitsgipfel: bei Neugeborenen und Säuglingen 2,4/1000, bei Kindern: 2,5-5/10000, Rezidivrate 7-18 %; Mortalität 2 %. Pathogenese einer Thrombose: Physiologischerweise befindet sich die Blutgerinnung in einem fließenden Gleichgewicht zwischen gerinnungsfördernden und inhibierenden Abläufen, da zum einen das Gefäßendothel geschützt, zum anderen bei Verletzung eine Gerinnselbildung und damit Blutstillung erreicht werden soll. Dabei muß ein gesundes Zusammenspiel der Gefäßwände, der Thrombozyten sowie der fördernden und hemmenden plasmatischen Gerinngungsfaktoren gewährleistet sein. Die Virchow-Trias bezeichnet die Kombination dreier wesentlicher pathogenetischer Faktoren: 1. Endothelschaden (durch Entzündung, Arteriosklerose, Trauma) mit Aktivierung des Blutgerinnungsfaktors XIIa, Thrombozytenaggregation und Bildung eines weißen Abscheidungsthrombus 2. Veränderte Blutströmung (Aneurysma od. Stenose, Strömungsverlangsamung bei Herzinsuffizienz, Stase im Schock, Wirbelbildung durch Varizen, Ruhigstellung durch Gips) Hämatologie 50 3. Veränderte Blutzusammensetzung (pathologische Zellvermehrung z. B. bei Leukämien, Thrombozythämie, Polyglobulie; Imbalance zwischen pro- (postoperativ, postpartal) und antikoagulatorischen Faktoren (z. B. bei Lebererkrankungen) Präsdispositionsfaktoren für eine Thrombophilie (= Thromboseneigung) · Resistenz gegen aktiviertes Protein C (APC-Resistenz): Häufigste Ursache aller hereditärer Thrombophiliepatienten, Autosomal dominante Vererbung (Punktmutation des Gerinnungsfaktor V-Gens), wobei Arginin durch Glutamin ersetzt wird (Leiden- Mutation); Ungefähr 2-7% der Bevölkerung sind heterozygoten Träger · Antithrombin-III-Mangel: homozygot: bisher nicht beobachtet, wohl Letalfaktor heterozygot: Typ I: AT III - Mangel; Typ II: Normale Konzentration bei verminderter Funktion Häufigkeit 0,05 % der Bevölkerung. · Protein-C-Mangel: homozygot: Meist in den ersten Lebenstagen ausgeprägte Thromboseneigung (Purpura fulminans). Keine Protein-C-Aktivität nachweisbar. heterozygot: Manifestation meist in der Adoleszenz. Aktivität zwischen 35-65% Typ I (echter Mangel), Typ II (normale immunologische Konzentrationsbestimmung bei verminderter Aktivität) Erworbener Mangel z. B. bei abnormem Verbrauch bei intravasaler Gerinnung, Verlustkoagulopathie, Proteinurie. Verminderte Synthese bei Leberversagen od. Asparaginasetherapie. · Protein-S-Mangel · Faktor XII-Mangel · Heparin Cofaktor II-Mangel · Kongenitale Dysfibrinogenämie · Lupusantikoagulanzien (Antikörper gegen gerinnungsaktive Phospholipide) · Kryofibrinogenämie (Erhöhte Gerinnbarkeit bei abkühlendem Blut) · Gestörte Fibrinolyseaktivierung · Vermindertes fibinolytisches Potential (wahrscheinlich durch verminderte Freisetzung von t-PA und vermehrte Freisetzung von PAI 1 (Plasminogenaktivator-Inhibitor)) · Erhöhte Konzentration an gerinnungsaktiven Faktoren (bei mangelhafter Funktion des RES, iatrogen durch Substitution) · Dysplasminogenämie Hämatologie 51 · Hyperhomozysteinämie (dadurch Endothelschädigung) · Erworbene Ursachen Prädisposition bei schweren Erkrankungen wie Diabetes mellitus, Systemischer Lupus erythematodes, Malignome (z. B. Pankreas- und Prostatakarzinom), Hämolytisch-urämisches Syndrom, Schock, Infektionen, nephrotisches Syndrom, Herzfehlern, Polyglobulie, Polyglobulie, Homozystinurie, Polyglobulie, Schock, Infektionen, Sepsis (Bakterien, Pilze), hormonelle Kontrazeption. Adipositas, Bewegungsarmut. Diagnostische und therapeutische Eingriffe wie Katheteruntersuchungen, Transplantationen, Transfusionen, nach L-Asparaginasebehandlung (bei ALL) Physikalische Ursachen: z. B. Ruhigstellung, Gipsverband. Anamnese: Wichtig: Nach Altersgruppe Eruierung möglicher Risikofaktoren wie Rauchen, Bluthochdruck, Hyperlipidämie, Bewegungsmangel, hormonelle Kontrazeption (bei vorliegender APC-Resistenz erhöht sich bei Heterozygoten das Thromboserisiko bei Einnahme östrogenhaltiger Kontrazeptiva um das 40 fache, bei Homozygoten um das 100 fache). Bei (meist autosomal dominanter) Vererbung häufen sich Thrombosen bei Verwandten. Klinik einer (Phlebo-) Thrombose: · Ziehende Schmerzen (Lokalisation, Charakter, Ausstrahlung; vgl. Abb. 1= Thrombosezeichen), Muskelkatergefühl, Spannungsgefühl, Bewegungseinschränkung · Schwellung der betroffenen Extremität (vgl. Gegenseite, Beinumfangsdifferenz?) · Livide Hautverfärbung, Glanzhaut, Überwärmung · Pratt-Warnvenen durch Kollateralenbildung der epifaszialen Venengeflechte · evtl. Allgemeinsymptome wie Tachykardie, Fieber, Leukozytose, BKS-Anstieg · Thrombosezeichen Merke: In nur ca. 10 % findet man die typische Trias Zyanose, Schwellung, Schmerz. Differentialdiagnosen: Thrombophlebitis, kardial bedingtes Ödem, Lymphödem, Venenstauung, Tumor, Aneurysma, Hämatom, Muskelverletzung Hämatologie 52 Diagnostik: Labor: · bei Thrombose: HK, Thrombozyten, Quick, aPTT, TZ, Antithrombin III, Faktor I, Plasminogen, Protein C, Protein S, Prothrombinfragment F1+F2, D-Dimere (ELISA). · Thrombophiliediagnostik: APC-Resistenz, Thrombomodulin, Gewebe-Plasminogen-Aktivator (tPA), 2- Antiplasmin-Plasmin-Komplex (APP), Plasminogenaktivatorinhibitor 1 (PAI-1), Lupusantikoagulans, Cardiolipin-Antikörper, Cholesterin, Triglyceride, Lipoprotein (a), Homozystein. Molekularbiologische Untersuchung des Faktors V (sog. "Leiden-Mutation"). · Weitere Diagnostik: Ausschluß anderer Ursachen (s. o.) Bildgebende Diagnostik: · Kompressions-/Farbdoppler-Sonographie · Phlebographie · Arterielle/venöse digitale Subtraktionsangiographie · Bei Thrombosen großer Gefäße: Angio-MRT / CCT · selten Ventilations-/Perfusionsszintigraphie (Lungenembolie) Besonderheiten: Therapieziel ist die Verhinderung der Ausbreitung der Thrombose, die Vermeidung einer Lungenembolie sowie die Rekanalisation des Gefäßlumens und Vermeidung möglicher Spätschäden (postthrombotisches Syndrom) Therapie: Basismaßnahmen: · Bettruhe, bis Emboliegefahr minimiert (Wandhaftigkeit des Thrombus). Meist ca. 1 Woche · Hochlagern der betroffenen Extremität (ohne Abknicken) zur Förderung des venösen Rückstroms bei venöser Thrombose. Bei arterieller Thrombose Besserung der Durchblutung durch tiefere Lagerung (z. B. Hängenlassen des Beines) · Kompressionsbehandlung: anfangs elastische Binden, dann Kompressionsstrümpfe (am Bein bis Oberschenkel reichend) Hämatologie 53 · Stuhlregulierung zur Vermeidung hoher intraabdomineller Drücke (Blutrückstau, Thrombusmobilisation) Grundsätzlich gibt es auch im Kindes- und Jugendalter verschiedene therapeutische Ansätze: 1. Operative Intervention (sehr selten): Embolektomie, Bypass-Transplantation, Resektion und Rekonstruktion, perkutane transluminale Angioplastik 2. Nicht-operative Intervention: -Antikoagulantientherapie mit Heparin, fibrinolytische Therapie mit Fibrinolytika (rt-PA (rekombinanter Gewebe-Plasminogenaktivator), Streptokinase, Urokinase) Die jeweils bestmögliche Methode muß individuell in Abhängigkeit der klinischen Gegebenheiten eruiert werden. Die thrombolytische Therapie gewinnt zunehmend an Aktualität, da dadurch häufig eine Rekanalisation und damit bessere Langzeitprognose erreicht werden kann. Initial Antikoagulantientherapie: · Effektive Heparinisierung mittels unfraktioniertem Heparin i. v., s. c. PTT-Verlängerung um 1,5 - 2,5 fach), bei niedermolekularem Heparin s.c. Nachteil: Wiedereröffnung der thrombosierten Vene seltener im Vgl. zur Lysetherapie (beachte Spätfolgen des postthrombotischen Syndroms) Vorteil: Geringeres Blutungsrisiko Fibrinolytische Therapie: Bedingung: Thromben sollten möglichst nicht älter als 7-10 Tage sein. Bei fehlender Kontraindikation evtl. Indikation gegeben zur · Abwendung einer unmittelbaren Lebensbedrohung durch den Thrombus · Abwendung des Verlustes von Extremitäten · Vermeidung eines Dauerschadens · Direkten Schmerzlinderung durch Besserung der lokalen Durchblutung Durchführung der Thrombolysetherapie (siehe auch Rostocker Schema zur lokalen Lysetherapie mit rt-PA): Im Kindes- und Jugendalter häufig mit rt-PA. Vorteil des rt-PA ist dessen Fibrinspezifität. Fast nur an Fibrin gebundenes Plasminogen wird in Plasmin überführt, die Thrombolyse dort eingeleitet. z.B. Initial: 0,1-0,5 mg/kg KM über 30 Minuten, dann 1-3,5 mg/kg KM/d (Fallberichte gehen bis 16,8 mg/kg KM/d). Dabei begleitende Reokklusionstherapie mit Heparin (Kontrolle nach Lysetherapie) Hämatologie 54 Wichtig für den Langzeitverlauf: Reokklusionstherapie zur Vermeidung von Rethrombosen mit: unfraktioniertem Heparin: Wirkung: über Antithrombin-III-vermittelte Inaktivierung der Faktoren Xa und IIa. Indikation: vor/bei/nach Thrombolysetherapie; wenn Lysetherapie wegen Blutungsrisiko kontraindiziert. · niedermolekularem Heparin (low molecular weight heparin): Wirkung: über Antithrombin-III-vermittelte Inaktivierung des Faktors Xa. Indikation: bei Immobilisation, passager bei Thrombophilie · Cumarinderivaten: Reokklusionstherapie mit Phenprocoumon Wirkung: über verminderte Bildung der Faktoren II, VII, IX, X. Protein C, Protein S. Indikation: Sekundärprophylaxe nach venösen Thrombosen, Z. n. Herzklappenersatz, bei hereditärer Thromboseneigung · Thrombozytenaggregationshemmer: 1. Azetylsalizylsäure Wirkung: Hemmung der Zyklooxygenase in den Thrombozyten, Hemmung des aggregationsfördernden Thromboxans 2. Ticlopidin, Clopidogrel Wirkung: Hemmung der ADP- und kollageninduzierten Thrombozytenaggregation 3. Abciximab, Lamofiban (wenig Erfahrung im Kindesalter) Wirkung: Thrombozytenaggegationshemmung durch Verhinderung der Bindung von Fibrinogen und vonWillebrand-Faktor an den GP IIb/IIIa-Rezeptor Indikation: bei Thrombophilie, drohender arterieller Durchblutungsstörung (TIA, Amaurosis fugax), Sekundärprophylaxe nach arteriellen Verschlüssen · Substitution von Protein C: Hierüber existieren bei Kindern und Jugendlichen kaum Erfahrungen · Physikalischer Therapie, aktive und passive Bewegung, Kompressionstherapie mit angepaßten Stützstrümpfen Hämatologie 55 Die Dauer der Reokklusionstherapie ist abhängig von vielen Faktoren (z. B. der Thromboseausprägung, deren Sitz, dem Erfolg der durchgeführten Therapie, von patienteneigenen Merkmalen wie Varicosis, Thrombophilie etc.). Meist wir sie im Kindesalter kurzzeitig (3-12 Monate), selten auch lebenslang durchgeführt. Prognose: Sie ist wesentlich abhängig von der Wiedereröffnung des Gefäßes und der vorliegenden Grunderkrankung. Meist jedoch besser wie im Erwachsenenalter durch gute Ausbildung von Kollateralkreisläufen. Spätkomplikation auch hier postthrombotisches Syndrom. Hämatologie 56 Thrombozytose Definition: Reaktive, vorübergehende Vermehrung der Thrombozytenzahl im Blut. Ätiologie: Entzündungen (u. a. akute Infektionen, rheumatoide Arthritis), medikamenteninduziert (u. a. Adrenalin, Steroide), hämatologische Erkrankungen (u. a. hämolytische Anämien, CML), Neoplasien (u. a. Neuroblastome, Lymphome), myeloproliferative Syndrome, Kawasaki-Syndrom, Kollagenosen, nephrotisches Syndrom. Definition: Dysfunktion des Gerinnungssystems mit erhöhtem Risiko thrombembolischer Prozesse. Liegt eine verminderte Gerinnungsfähigkeit vor, spricht man von Hypokoagulabilität, anderenfalls von Hyperkoagulabilität (Thrombophilie). Auswahl präsdisponierender Faktoren für Thromboseneigung: 1. Resistenz gegen aktiviertes Protein C 2. Hereditärer Antithrombin-III-Mangel 3. Protein-C-, -S-Mangel 4. Erworbene Ursachen · Prädisposition bei schweren Erkrankungen wie Diabetes mellitus, SLE, Malignome (prokoagulatorische Wirkung von malignem Gewebe), HUS, Schock, Infektionen, nephrotisches Hämatologie 57 Syndrom, Herzfehlern, Polyglobulie, Homozystinurie, Infektionen, Sepsis (Bakterien, Pilze), hormonelle Kontrazeption. · Diagnostische und therapeutische Eingriffe wie Katheteruntersuchungen, Transplantationen, Transfusionen, nach L-Asparaginasebehandlung (bei ALL). · Physikalische Ursachen z. B. Ruhigstellung, Gipsverband. Anamnese: Zeitdauer der ersten Beschwerden (Thrombosealter), prädisponierende Faktoren (Rauchen, Pille, Bewegungsarmut, Adipositas), Familienanamnese. Klinik: Purpura fulminans mit schwerer hämorrhagischer Diathese. Venenthrombosen, Lungenembolien. Diagnostik: Labor: Globale Gerinnungstests mit PTT, TZ, Thromboplastinzeit (TPZ). Protein-S-Aktivität, freies Protein S, Gesamtprotein S. Protein-C-Aktivität, Protein-C-Konzentration; Antithrombin-IIIAktivität. Lupusantikoagulans; Kardiolipin-Antikörper (IgG, IgM); Plasminogenaktivität. Gerinnbares Fibrinogen; t-PA (tissue type plasminogen activator); PAI 1 (Plasminogenaktivator-Inhibitor). Histidinreiches Glykoprotein; Faktor XII-Aktivität. Bildgebende Diagnostik: Ultraschall-Dopplersonographie; Phlebographie. Venöse/arterielle digitale Subtraktionsangiographie. Ventilations-/ Perfusionsszintigraphie (Lungenembolie); CT/MRT (bei großen Gefäßen). Ferner: Ausschluß möglicher Ursachen, z. B. maligne hämatologische Erkrankungen. Differentialdiagnose: Arterielle Durchblutungsstörungen Besonderheiten: Thrombosen sind im Kindesalter selten, sie häufen sich jedoch im Neugeborenen-Alter und in der Adoleszenz. Meist liegt bei spontaner Thromboseneigung ein Mangel an antithrombotisch wirkenden Faktoren vor, denen sich ein weiterer Risikofaktor zugesellt. Beim nephrotischen Syndrom kommt es u. a. zum AT III-Verlust und dadurch gehäuft zu Nierenvenenthrombosen! Hämatologie 58 Komplikationen: Chronisch venöse Insuffizienz, Ulkus, Stauungsdermatitis, Blutungen, Verlängerung der Regelblutung. Therapie: Operative Intervention mit Embolektomie; Bypass-Transplantation; Resektion und Rekonstruktion. Nicht-operative Intervention: · Perkutane transluminale Angioplastik (bei Stenosen der Nieren- und Koronararterien oder peripheren Arterien · Abwarten der spontanen Auflösung · Antikoagulantientherapie mit Heparin · Fibrinolytische Therapie (bei Thrombosen, die nicht älter als 10-14 Tage sind) mit rt-PA (rekombinanter Gewebe-Plasminogenaktivator), Streptokinase, Urokinase. Indikation zur Thrombolysetherapie: Zur Abwendung einer unmittelbaren Lebensbedrohung durch den Thrombus Abwendung des Verlustes von Extremitäten Vermeidung eines Dauerschadens Direkte Schmerzlinderung durch Besserung der lokalen Symptomatik Wichtig: Reokklusionstherapie: · Cumarinderivate · Heparin · Thrombozytenaggregationshemmer (Azetylsalizylsäure, Ticlopidin): Wirkung: Hemmung der Zyklooxygenase in den Thrombozyten, Hemmung des aggregationsfördernden Thromboxans. Ind.: Bei Thrombophilie, drohender arterieller Durchblutungsstörung (TIA, Amaurosis fugax), Sekundärprophylaxe nach arteriellen Verschlüssen. Hämatologie 59 · Physikalische Therapie, aktive und passive Bewegung, Kompressionstherapie mit angepaßten Stützstrümpfen. Die Dauer der Reokklusionstherapie ist abhängig von der Thromboseausprägung, deren Lokalisation, dem Erfolg der Therapie sowie von patienteneigenen Merkmalen (zugrundeliegende Ursache, Varikosis...) abhängig. Sie ist im Kindesalter meist kurzzeitig (3-12 Monate), teilweise aber lebenslang (z. B. angeb. Thrombophilie, Herzklappenersatz). Prognose: Abhänig von Grad und Sitz der Thrombose sowie deren Therapiemöglichkeit. Meist jedoch gut. Wichtig: Langzeitantikoagulation über Monate, evtl. lebenslang notwendig! Hämatologie 60 Erkrankungen des leukozytären Systems 15.3.0 Allgemeines 15.3.1 Neutrophile Leukozytopenie 15.3.2 Granulozytenfunktionsstörungen 15.3.3 Differentialdiagnosen klinischer Bilder bzw. praktisch relevanter Laborparameter (Auswahl) Allgemein Physiologie Leukozyten (weiße Blutkörperchen) werden eingeteilt in Granulozyten (60-70 % der Leukozyten), Lymphozyten (20-30 %) und Monozyten (2-6 %). Granulozyten: Abstammung von unipotenten Stammzellen im Knochenmark unter Einwirkung koloniestimulierender Faktoren > Myeloblasten > neutro-, eosino- und basophile Promyelozyten, Myelozyten und Metamyelozyten (jugendliche Granulozyten) > Reifungsphase > Stabkernige und Segmentkernige (nach der Reifungsphase werden pro Tag mehr als 100 Milliarden Granulozyten aus dem Knochenmark in das Blut freigesetzt). Granulozyten sind wichtige Komponente der unspezifischen zellulären Abwehr (Fähigkeit zur Adhärenz am vaskulären Endothel, Chemotaxis, Migration bzw. Diapedese, Phagozytose und Keimabtötung durch intrazelluläre Enzyme). Lymphozyten: Abstammung von unipotenten (lymphoiden) Stammzellen im Knochenmark. Bildung in Lk, Thymus, Milz. Nur ca. 4 % gelangen über Lymphbahnen in das Blut, etwa 70 % befinden sich in den Organen des lymphatischen Systems. Besitzen spezifische Rezeptoren für ein bestimmtes Antigen, durch das sie aktiviert werden können (immunologisch aktive Effektor- oder Gedächtniszellen). In Abhängigkeit von ihrer Funktion werden B-Lymphozyten (Träger der spezifischen humoralen Immunität und Vorläufer der Plasmazellen) und T-Lymphozyten (Träger der zellvermittelten Immunität) unterschieden. Monozyten: Zur Phagozytose und Migration befähigt und besitzen auf ihrer Membranoberfläche u. a. Rezeptoren für Komplementproteine (z. B. C3b) und Fc-Rezeptoren für IgG (wichtig für Anlagerung und Phagozytose von Mikroorganismen). Die im Blut 1-2 Tage zirkulierenden Monozyten differenzieren sich nach Auswanderung in verschiedene Organe bzw. Gewebe (Systeme) zu ortsständigen gewebetypischen Makrophagen. Aus der granulopoetisch determinierten myeloischen Stammzelle (Myeloblast) können sich unter Einfluß humoraler Hämatologie 61 Faktoren (z. B. koloniestimulierende Faktoren) Monozyten (aus Promonozyten) oder neutrophile Granulozyten entwickeln. Bei infektiösen Erkrankungen kommt es zu phasenhaft ablaufenden Veränderungen der Leukozytenverteilung, die im Differentialblutbild erfaßt werden können und einen Rückschluß auf den Krankheitsverlauf ermöglichen: · Neutrophile Kampfphase (Abwehr eingedrungener Erreger) mit Vermehrung der neutrophilen Granulozyten, Linksverschiebung, Verminderung der eosinophilen Granulo- und der Lymphozyten. · Monozytäre Abwehr- oder Überwindungsphase mit Monozytose als Zeichen der Aktivierung des Monozyten-Makrophagen-Systems, tritt bei beginnender Immunisierung auf und deutet meist auf einen Verlauf mit Heilung hin; als Dauerzustand bei chronisch rezidivierende Erkrankung (z. B. Tuberkulose, Malaria). · Lymphozytär-eosinophile Heilphase mit Lymphozytose und Eosinophilie, weiterem Rückgang der absoluten Leukozytenzahlen und der Linksverschiebung. Neutrophile Leukozytopenie Definition: Verminderung der neutrophilen Granulozyten <1,5 Gpt/l bei normalen Erythrozyten- und Thrombozytenwerten. Ätiologie/Pathogenese: · Bildungsstörung im Knochenmark · Vorzeitiger Leukozytenuntergang · Verteilungsstörung Bakterielle Infektionen (u. a. disseminierte Tbc, Typhus), virale Infektionen (u. a. EBV, Masern, Röteln, Varizellen), Protozoen (Malaria), medikamenteninduziert (Zytostatika, Antibiotika, Antiphlogistika, Thyreostatika), Hypersplenie-Syndrom, immunpathologisch (idiopathisch, Lupus erythematodes), Knochenmark-Infiltration mit Verdrängung (u. a. Leukämien). Klinik: Vom Schweregrad abhängig! Asymptomatisch bei Granulozytenwerten > 1 Gpt/l; bei zunehmender Neutrozytopenie erhöht sich das Infektionsrisiko besonders für bakterielle Hämatologie 62 Infektionen (Sepsis). Je nach Ausprägung treten die klassischen Entzündungszeichen (Rubor, Calor, Dolor, Tumor, Functio laesa) dabei nur abgeschwächt auf! Häufig Staphylococcus aureus-Infektionen (Abszesse, Furunkel, Pneumonie, Sepsis). Diagnostik: Je nach auslösender Ursache! Neutrophile Granulozyten definitionsgemäß < 1,5 Gpt/l; CrP , BSG , wiederholte Blutkulturen; Abstriche von Rachen, Haut, Schleimhaut; Pilzserologie. Je nach Verdachtsdiagnose weitere gezielte Diagnostik (u. a. EKG, Sono-Abdomen, Herz-Echo, Röntgen-Thorax, Knochenmark-Punktion, Kortisontest zur Erfassung der KnochenmarkReserve, Motilitätsprüfung der Granulozyten, Granulozyten-Ak, Vit B12, Folsäure, immunologische Diagnostik). Besonderheiten : Milde Neutrozytopenie: 1,0-1,5 Gpt/l, mäßige 0,5- 1,0 Gpt/l, schwere < 0,5 Gpt/l. Extremform als Agranulozytose: Allergisch (akut) oder toxisch (langsam) einsetzende schwerste Granulozytopenie mit ausgeprägten Krankheitssymptomen. Häufige Auslöser: Analgetika/Antiphlogistika, Thyreostatika, Sulfonamide. Therapie: Intensivtherapie, Absetzen auslösender Medikamente, Antibiose, koloniestimulierende Faktoren. Im Kleinkind-Alter herrscht eine Autoimmun-Neutrozytopenie vor. Zyklische Neutrozytopenien treten in regelmäßiger Periodik (19-21 d) auf (stellen eigenes Krankheitsbild dar); ebenso die chronische Neutrozytopenie, die familiär gehäuft vorkommen kann; klinisch wegweisend sind rezidiv. Gingivitis, Lymphadenitis, Otitis. Komplikationen: Sepsis, Multiorganversagen, DIC, Komplikationen der Grunderkrankung. Therapie: Abhängig vom Schweregrad! Absetzen auslösender Medikamente (sofern möglich); Therapie der Grunderkrankung; initial Breitbandantibiotika, nach Antibiogramm gezielte Antibiose. Evtl. koloniestimulierende Faktoren. Infektionsschutz (evtl. keimarme Pflege, sofern vorhanden "Life island"), selektive Darmdekontamination (Prophylaxe einer endogenen Infektion durch orale, schwer resorbierbare Antibiotika). Antimykotische Prophylaxe in Abhängigkeit von der Klinik. Prognose: Abhängig von auslösender Ursache, mitunter infaust. Hämatologie 63 Granulozytenfunktionsstörungen Septische Granulomatose (engl.: chronic granulomatous disease) Kasuistik Heterologe Gruppe vererbbarer Erkrankungen, charakt. durch die Unfähigkeit der Granulozyten, katalasepositive Bakterien (u. a. S. aureus, E. coli) nach vollzogener Phagozytose abzutöten (Defekt des oxidativen Metabolismus). Kompensatorisch versucht der Körper über Bildung von Granulationsgewebe, die Bakterien einzudämmen. Leitsymptome sind schwere rezidiv. Infektionen (v. a. mit Staphylokokken, Enterobacteriaceae und Pilzen) z. B. als Lymphadenitis, Pneumonie, Leberabszeß, Osteomyelitis. Pränatale Diagnostik in der 20. SSW möglich; Diagnose sonst über Farbstoffreduktionsprobe ( NBT-Test)! Dauertherapie mit intrazellulär wirksamen Antibiotika z. B. Trimethoprim, gezielte antibiotische Behandlung akuter Infektionen, ggf. chir. Intervention. (z. B. Abszeßausräumung). Spezifische kurative Maßnahme ist Knochenmark-Transplantation! Neue Therapieansätze: Interferone Weitere Funktionsstörungen: Störung der Produktion chemotaktischer Stoffe bzw. Überwiegen von Chemotaxisinaktivatoren, ineffektive Opsonierung und unzureichende Phagozytose. Differentialdiagnosen klinischer Bilder bzw. praktisch relevanter Laborparameter (Auswahl): DD Leukozytose: Physiologisch (Streß, Schwangerschaft, Neugeborenes), akute Infektionen (u.a. bakteriell), metabolisch (u. a. Coma diabeticum, Azidose), Malignome (u. a. Lymphome, Karzinome), akute Blutungen, Medikamente und Hormone (u. a. Steroide, Adrenalin), Toxine (Blei), Bindegewebserkrankungen (rheumatisches Fieber), Hämatologische Erkrankungen (u. a. Leukämie, Splenomegalie) Hämatologie DD Eosinophilie: Allergisch (u. a. Asthma, Parasiten), chron. Hauterkrankungen (Ekzem), Neoplasien (Lymphome), andere (CED, Fanconi- Anämie, Post- Splenektomie, Aspergillose, kong. Vitien) DD Hypersplenismus: Akute Infektionen, chron. Infektionen (u. a. Tbc, Malaria), Entzündungen (u. a. SLE, Felty- Syndrom), kongestiv (Pfortaderhochdruck), Speicherkrankheiten, Malignome, hämolytische Anämien, myeloproliferative Erkrankungen DD erhöhte BSG: Infektionen, hämatologische Erkrankungen (u. a. Leukämie, Lymphome), Neoplasien, Kollagenosen, Nierenerkrankungen (u. a. akute GN, nephrotisches Syndrom), Verbrennungen, Operationen, CED 64 Hämatologie 65 Allgemeine Onkologie und maligne Systemerkrankungen 16.1 Besonderheiten pädiatrisch-onkologischer Erkrankungen 16.2 Leukämien 16.3 Maligne Lymphome 16.4 Histiozytosen Besonderheiten pädiatrisch-onkologischer Erkrankungen 16.1.1 Allgemeines 16.1.2 Ätiologie und Pathogenese 16.1.3 Allgemeine diagnostische Grundlagen 16.1.4 Spezielle diagnostische Verfahren 16.1.5 Therapie und Prognose 16.1.6 Nachsorge Allgemeines Epidemiologie (Jahresbericht 1995 des deutschen Kinderkrebsregisters, Bezugszeitraum 1991-1995): Niedrige Inzidenz mit ca. 13-14 Neuerkrankungen pro 100.000 Kinder (bis vollendetes 15. Lebensjahr) pro Jahr in Deutschland. Nach tödlichen Unfällen (32 %) jedoch mit 8 % zweithäufigste Todesursache im Kindes- und Jugendalter. Inzidenz im Säuglingsalter am höchsten, kontinuierliche Abnahme bis zum 10. Lebensjahr. Jungen erkranken 1,2 mal so häufig wie Mädchen. Einteilung: Im Gegensatz zu Erwachsenen, bei denen überwiegend Karzinome auftreten, dominieren im Kindesalter folgende Tumorarten (jeweils in abnehmender Häufigkeit): Maligne Systemerkrankungen des Hämatopoese- und Immunsystems (Leukämien, Lymphome, Histiozytosen): 49,5 % Embryonale Tumoren (Neuroblastome, Nephroblastome = Wilms-Tumoren, maligne Keimzelltumoren, Retinoblastome, Hepatoblastome): 20,5 % Hämatologie 66 Tumoren des ZNS (Astrozytome, Medulloblastome, Ependymome, Kraniopharyngeome, Germinome, Teratome): 16 % Mesenchymale Tumoren (Weichteilsarkome, Osteosarkome, Ewing-Sarkome): 12 % Karzinome: 1 % Sonstige Tumoren: 1 % Aufgrund der Seltenheit von onkologischen Erkrankungen im Kindesalter werden die betroffenen Patienten in spezialisierten pädiatrisch-onkologischen Zentren behandelt. Diagnostik und Therapie erfolgen nach einheitlichen Protokollen, die in prospektiven multizentrischen Studien entwickelt werden. Ziel dieser Studien ist das Erreichen von immer höheren Heilungsraten bei geringerer Toxizität. Ätiologie und Pathogenese Ursprung jeder malignen Erkrankung ist die Transformation einer Ursprungszelle durch Einwirkung chemischer oder physikalischer Noxen oder onkogener Viren. Dieser TumorInitiierung folgt nach einer variablen Latenzperiode die klinische Manifestation. Onkogenhypothese: Maligne Entartung von Zellen entsteht durch Aktivierung von Onkogenen aus Proto-Onkogenen, die insbesondere während der Embryonalentwicklung wachstumsregulierend wirken. TumorSuppressor-Gene wirken normalerweise einer Onkogen-Aktivierung entgegen. Diese Aktivierung kann durch verschiedene genetische Mechanismen (Punktmutation, Deletion, Gen-Fusion, Translokation, Amplifikation = Vervielfältigung eines Segments) direkt das Onkogen betreffen oder über einen Tumor-Suppressor-Gen-Defekt erfolgen. Endogene Ursachen: Numerische Chromosomenanomalien wie Trisomie 18, Trisomie 21, Klinefelter-Syndrom Phakomatosen = neurokutane Syndrome wie M. v. Recklinghausen, Tuberöse Hirnsklerose Multiple endokrine Neoplasien = MEN-Syndrome Immundefekt-Syndrome Chromosomale Instabilität wie bei Fanconi-Anämie DNA-Reparatur-Defekte wie Xeroderma pigmentosum Hämatologie 67 Erhöhtes Nephroblastomrisiko bei Hemihypertrophie, Wiedemann-Beckwith-Syndrom und Aniridie-Syndrom Autosomal-dominanter Erbgang bei bilateralem Retinoblastom Im Kindesalter relevante exogene Ursachen: Ionisierende Strahlen, chemische Noxen (z. B. alkylierende Zytostatika!), onkogene Viren (Retroviren wie humanes T-Zell-Leukämie-Virus > T-Zell-Leukämie, HIV > Kaposi-Sarkom, ZNSLymphome, DNA-Virus Epstein-Barr > Burkitt-Lymphom, besonders in Afrika). Die maligne Entartung einer Zelle führt zu deren ungehemmten Wachstum mit lokaler Raumforderung und entsprechenden Symptomen. Fast alle malignen Tumoren des Kindesalters zeichnen sich durch eine hohe Metastasierungsrate aus, wobei die häufig bereits bei Diagnosestellung vorhandenen Mikrometastasen oft nicht bei der Initialdiagnostik erfaßt werden. Allgemeine diagnostische Grundlagen Anamnese: Leistungsabfall, Müdigkeit, Abgeschlagenheit, unklares Fieber, Gewichtsabnahme, Nachtschweiß. Vor allem bei Systemerkrankungen Anämiesymptome (Blässe, Tachykardie, Schwindel), Infektneigung, Blutungsneigung. Bei soliden Tumoren Symptomatik in Abhängigkeit von der Lokalisation, z. B. sichtbare Schwellung, lokale Schmerzsymptomatik, Hirndrucksymptome. Klinik: Haut: Blässe, Petechien, Hämatome, Hautinfiltrate (selten)? Lymphknotenvergrößerungen, Hepatomegalie, Splenomegalie, tumorverdächtige Schwellung? Cave: jede überflüssige Palpation vermeiden wegen Gefahr der weiteren Tumoraussaat! Neurologische Defizite? Spezielle diagnostische Verfahren Die Diagnostik bei Verdacht auf eine maligne Erkrankung dient 1. der Diagnosestellung, 2. der Feststellung der lokalen Ausbreitung sowie von evtl. vorhandenen Fernmetastasen, also der Stadieneinteilung (Staging), 3. der Verlaufskontrolle von Primärtumor und Metastasen sowie 4. der Erhebung von Ausgangsbefunden der Organfunktion vor Gabe toxischer Medikamente. Hämatologie 68 Stadieneinteilung solider Tumoren im Kindesalter: Stadium I: Lokale Begrenzung auf Ursprungsorgan, radikale Operabilität Stadium II: Lokale Ausbreitung mit makroskopischer Begrenzung auf Ursprungsorgan, mikroskopisch keine radikale Entfernung, lokale Lymphknotenmetastasen Stadium III: Regionale Ausbreitung in die Umgebung ohne makroskopisch radikale Operabilität, regionaler Lymphknotenbefall Stadium IV: Fernmetastasierung Maligne Systemerkrankungen werden nach bestimmten Risikofaktoren, die bei den einzelnen Krankheitsbildern besprochen werden, in Risikogruppen eingeteilt. Stadium bzw. Risikogruppe sind von entscheidender prognostischer und daher auch therapeutischer Bedeutung! Knochenmarkpunktion/untersuchung führt bei Leukämien zur Diagnosestellung, bei allen anderen malignen Erkrankungen zur Beurteilung einer möglichen Knochenmarkinfiltration (=Metastasierung). Liquoruntersuchung (nach Ausschluß eines erhöhten Hirndrucks!): Bei ZNS-Tumoren fakultativ erhöhter Eiweißgehalt durch entzündliche Begleitreaktion der Meningen (selten Stopliquor = exzessiv erhöhtes Liquorprotein ohne zelluläre Veränderungen unterhalb einer totalen Unterbrechung der Liquorpassage, z. B. durch Rückenmarkstumor). Nachweis von Tumorzellen im Sediment bei ZNS-Tumoren oder sekundärer Beteiligung (häufig bei Leukämien!). Bildgebende Untersuchungen: Sonographie (bei fehlender Strahlenbelastung besonders gut zur Verlaufskontrolle geeignet) zur Darstellung von Hals, Abdomen, Weichteilen, Axillen, Leisten, bei SG auch des Schädels. Röntgen- Schädel (Raumforderungszeichen), -Thorax (Mediastinaltumor, thorakale Metastasen), -Skelett ( Knochentumor/-metastase), -i. v.-Urogramm (Wilms-Tumor, DD: Neuroblastom). CT / MRT alternativ oder in Ergänzung zum CT; bei kleinen Kindern häufig Narkose erforderlich, da absolutes Stilliegen Vorraussetzung ist. - Kopf (wenn möglich zur Beurteilung von Hirntumoren MRT einsetzen, zur Verlaufsbeurteilung jedoch bei einer Methode bleiben), - Hals (genaue Beurteilung der Weichteile), - Thorax (initial bei Tumorarten mit häufiger pulmonaler oder mediastinaler Beteiligung; immer bei pathologischem Röntgenbefund), Hämatologie 69 - Abdomen (in der Regel besser geeignet als MRT, da weniger Artefakte durch "Veratmen"), -Becken, -Wirbelsäule, -Extremitäten (bessere Knochen-, schlechtere Weichteildarstellung als MRT). Szintigraphie zur Darstellung von Knochentumoren/Skelettmetastasen (Technetium-99m), Knochenmarkmetastasen, Metastasen bei Neuroblastom (selektive Darstellung von sympathischem Nervengewebe durch 123-J- Meta-Jod-Benzyl-Guanidin = mIBG, Versuch der therapeutischen Anwendung mit höheren Dosen von mIBG möglich). Nieren-Funktionsszintigraphie bei Wilms-Tumoren vor OP und im Verlauf. Iod-131-Ganzkörperszintigramm bei Schilddrüsenkarzinom (im Kindesalter selten!). Histologie von Tumorgewebe obligat zur endgültigen Diagnosestellung bzgl. Tumorart und Malignitätsgrad (= Grading: Grad I = hochdifferenziert, Grad II = intermediär, Grad III = undifferenziert). Primär Probeexzision, wenn präoperative Bestrahlung und/oder Polychemotherapie erfolgversprechend ist. Sonst sofort Versuch der radikalen chirurgischen Tumorentfernung nach Schnellschnittdiagnose. Ausnahme: bei hochgradigem Verdacht auf Nephroblastom mit großem Primärtumor oder vorhandenen Fernmetastasen präoperative Chemotherapie ohne voherige histologische Diagnosesicherung. Biopsie hier streng kontraindiziert (Gefahr der peritonealen Tumoraussaat)! Immunologische Untersuchungen des Tumormaterials weisen Oberflächenantigene nach und dienen der genaueren Klassifizierung. Zytogenetik zum Nachweis von spezifischen genetischen Veränderungen in den Tumorzellen (Translokationen, Onkogene). Häufig wichtiger Prognosefaktor. Tumormarker haben im Kindesalter eine geringere Bedeutung als bei Erwachsenen. Sofern vorhanden bzw. erhöht, dienen sie der Prognoseeinschätzung und/oder der Verlaufsbeurteilung. Katecholamine und deren Metabolite in Serum und Urin bei Neuroblastom in 90 % d. F. erhöht, weitere Tumormarker bei Neuroblastom sind Ferritin und neuronenspezifische Enolase (NSE). Alpha1Fetoprotein und/oder ß-HCG bei 50-70 % der Lebermalignome und Keimzelltumoren, Alkalische Phosphatase bei ca. 50 % d. F. von Osteosarkom. LDH erhöht bei Leukämien und Lymphomen, bei Non-Hodgkin-Lymphomen prognostisch wichtig (Korrelation mit Tumormasse). Hämatologie 70 Therapiebegleitende/-überwachende Diagnostik: Leber- und Nierenfunktion können durch die zytostatische Therapie beeinträchtigt werden und müssen daher initial und im Verlauf kontrolliert werden (Transaminasen, Gamma-GT, Kreatinin). Blutgruppenbestimmung vor Therapiebeginn, da im Verlauf meist tumor- und/oder therapiebedingt mehrfache Transfusionen erforderlich werden. HLA-Typisierung, für den Fall, daß eine Knochenmarktransplantation erforderlich wird und um bei einer Antikörperbildung gegen Blutbestandteile HLA-identisch transfundieren zu können. Virusserologie, um gegebenenfalls eine transfusionsbedingte Infektion zu erkennen sowie zum Schutz des Personals bei bereits vorhandenen viralen Infektionen (Hepatitis, HIV). Echokardiographie vor, während und nach Therapie mit kardiotoxischen Medikamenten (Anthracycline sowie Ifosfamid). Therapie und Prognose Ohne Behandlung immer tödlicher Verlauf! Da bei entsprechender Therapie in ca. 70 % aller onkologischen Erkrankungen im Kindesalter mit einer dauerhaften Heilung gerechnet werden kann, ist das Therapieziel prim. immer kurativ! Erst, wenn sich im Verlauf eine infauste Prognose entwickelt, ist ein palliatives Vorgehen gerechtfertigt. Die Behandlung setzt sich zusammen aus lokaler Therapie (Operation, Bestrahlung) und systemisch wirksamer Polychemotherapie. Aufgrund der hohen Toxizität der Zytostatika ist außerdem eine umfangreiche sogenannte Supportivtherapie zur Behandlung der Nebenwirkungen erforderlich. Bei speziellen Indikationen kommt die autologe oder heterologe Knochenmarktransplantation zum Einsatz (siehe 16. 1. 4. 1). Um die Behandlungserfolge weiter zu optimieren und die Nebenwirkungen zu minimieren, werden in multizentrischen prospektiven Therapiestudien Protokolle erarbeitet und ständig weiterentwickelt. Daher werden hier die allgemeinen onkologischen Behandlungsprinzipien und bei den einzelnen Krankheitsbildern die zur Zeit gültigen Therapien beschrieben, wobei bewußt auf Einzelheiten verzichtet wurde, die man den jeweils aktuellen Protokollen entnehmen kann. Begriffe: Vollremission: Zustand nach Therapie, der eine Diagnosestellung mit den üblichen Mitteln (klinisch und laborchemisch) nicht mehr erlaubt - scheinbare Heilung. Teilremission: Deutliche Besserung von klinischen Befunden und Allgemeinzustand ohne vollständige Normalisierung. Progression: Fortschreiten des Krankheitsprozesses. Rezidiv: Wiederauftreten der Krankheit nach vorausgegangener Remission. Hämatologie 71 Eine Operation solider Tumoren bzw. lokalisierter Lymphome erfolgt je nach Tumorart primär oder nach vorausgegangener Polychemotherapie (Verbesserung der Operabilität durch Reduktion der Tumormasse, Behandlung von Mikrometastasen ohne zeitliche Verzögerung). Wichtigster Bestandteil in der pädiatrisch-onkologischen Therapie ist die Polychemotherapie, da Tumoren bei Kindern eine besonders hohe Proliferationsrate aufweisen und daher ein besseres Ansprechen auf Chemotherapie zeigen als bei Erwachsenen. Die Chemotherapie wird bei hämatologischen Systemerkrankungen primär, bei soliden Tumoren präoperativ = neoadjuvant und/oder postoperativ = adjuvant durchgeführt. Grundprinzip: Schädigung sich teilender Zellen durch Einwirkung auf den Zellstoffwechsel. Dabei greifen verschiedene Zytostatika in verschiedenen Phasen des Zellstoffwechsels an, so daß durch geeignete Abfolge eine deutliche Wirkungssteigerung gegenüber der Monotherapie zu erzielen ist. Die Wahl der jeweiligen Zytostatika bei bestimmten Erkrankungen erfolgt aufgrund von epidemiologischen Erfahrungen. Allgemeine Nebenwirkungen aller Zytostatika durch unselektive Schädigung schnell wachsender Gewebe mit hoher Proliferationsrate: Myelosuppression mit Anämie, Leukozytopenie (Immunsuppression), Thrombozytopenie (Blutungsneigung) Übelkeit, Erbrechen Schleimhautulzera, Durchfall Haarausfall Gonadendysfunktion/Fertilitätsstörungen, vorrübergehend oder bleibend, besonders nach Einsatz alkylierender Zytostatika Kanzerogene Wirkung aller Zytostatika führt zu einer (gegenüber dem spontanen Auftreten) erhöhten Rate von sekundären Malignomen! Vorraussetzungen zur Durchführung einer Chemotherapie (vor jeder Applikation von Zytostatika!): Ausreichender Allgemein- und Ernährungszustand. Infektfreiheit! Leukozyten, insbesondere Granulozyten nicht unterhalb bestimmter Grenzwerte (abhängig von Grunderkrankung und Medikament), sonst Therapieverzögerung erforderlich. Sichere Lage des intravenösen Zugangs. Bei intrathekaler Applikation vor Zytostatikagabe entsprechende Liquormenge ablassen. Während und nach jedem Zytostatikazyklus bis zur Erholung des Knochenmarks regelmäßige Blutbildkontrollen auch zur Überwachung von Erythrozyten und Thrombozyten, die rechtzeitig substituiert werden müssen, jedoch nicht limitierend sind für die Applikation von Zytostatika. Weitere Therapieüberwachung siehe 16. 1. 3 Hämatologie Wirkungsmechanismen und spezifische Nebenwirkungen der wichtigsten Zytostatika: 72 Hämatologie 73 Bestrahlungsindikationen sind mangelnde Radikalität der Operation, schlechte Zugänglichkeit bestimmter Regionen für Zytostatika (z. B. ZNS aufgrund der Blut-Hirn-Schranke), Knochenmetastasen, Nachbestrahlung bei unzureichender Wirkung der Polychemotherapie, z. B. bei M. Hodgkin. Nebenwirkungen der Strahlentherapie: A) Akut: · Übelkeit, Erbrechen, Enteritis bei abdominaler Bestrahlung · Milde Hirndruckzeichen, Erbrechen bei Schädelbestrahlung · Schleimhautulzeratitis · Strahlendermatitis Therapie mit Dexamethason Therapie siehe Supportivtherapie bestrahlte Hautregion nicht waschen, trockene Pflege mit Puder · Haarausfall bei Schädelbestrahlung (reversibel) · Strahlenpneumonitis bei Thoraxbestrahlung · Knochenmark-Depression bei Großfeld-Bestrahlung B) Subakut: Strahlenkater = Apathiesyndrom ca. 6 Wochen nach Schädel- oder Ganzkörperbestrahlung, Therapie meist nicht erforderlich. C) Spät: · Hautatrophie · Organfibrose · Wachstumsstörung bestrahlter Wachstumsfugen · Zweitneoplasien Ziel der Supportivtherapie ist es, die Nebenwirkungen der Therapie selbst, sowie des ggf. massiven Zellzerfalls so gering wie möglich zu halten. Hämatologie Nebenwirkung/Symptom Therapie 74 Hämatologie 75 Knochenmarktransplantation (KMT): Prinzip: Konditionierung = hochdosierte zytostatische Therapie und Ganzkörper-Bestrahlung mit dem Ziel der Vernichtung aller Tumorzellen. Diese wird nur überlebt, wenn anschließend Knochenmark transplantiert wird. Die Transplantation erfolgt durch intravenöse Infusion, wonach sich die transplantierten Stammzellen im Knochenmark ansiedeln. Indikationen: - Leukämien und metastasierende Malignome mit sonst sehr schlechter Prognose (KMT in der Remission) - nichtmaligne Erkrankungen wie aplastische Anämie, schwere Immunmangelerkrankungen, angeborene Stoffwechseldefekte Begriffe: Knochenmarktransplantation: Übertragung von Knochenmark (KM), welches durch Knochenmarkpunktion gewonnen wurde. Stammzelltransplantation: Übertragung von Knochenmarks-Stammzellen, die nach Stimulation durch G-CSF aus dem peripheren Blut "gesammelt" werden. Autologe KMT: Vor Konditionierung Entnahme von eigenem KM, das nach Konditionierung "zurückgegeben" wird. Sinnvoll, wenn die Myelotoxizität therapielimitierend ist. Vorteile: keine Abstoßungsreaktion, keine GvHD. Nachteil: Gefahr des Überlebens von malignen Zellen im transplantierten KM. Risikoverminderung durch sogenanntes Purging = Entfernung der malignen Zellen in vitro (nach KM- Entnahme). Syngene KMT: Transplantation des KM eines eineiigen Zwillings. Vorteile: HLA-Identität keine Abstoßungsreaktion; geringes Rezidivrisiko, da das gespendete KM tumorzellfrei ist. Nachteil: selten verfügbar! Allogene KMT: Transplantation des KM eines weitgehend HLA-identischen Spenders (möglichst Geschwister). Vorteile: häufiger verfügbar als syngene KMT, geringere Rezidivgefahr als bei autologer KMT. Nachteile: erhöhtes Risiko durch Transplantatabstoßung und / oder GvHD (s.u.). Durch immunsuppressive Therapie zur Vermeidung einer Abstoßungsreaktion erhöhte Infektionsgefahr, besonders durch opportunistische Erreger. Hämatologie 76 Komplikationen: Bei autologer und allogener KMT: Toxizität der Konditionierungstherapie (entspricht den NW der Polychemotherapie/Ganzkörperbestrahlung). Infektionen: Während der ersten drei Wochen = aplastische Phase Granulozytenmangel im Vordergrund) septische Infektionen. Während der folgenden Monate = immunsuppressive Phase (besonders nach allogener KMT) verminderte zelluläre Abwehr opportunistische Infektionen, z.B. mit CMV, VZV, HSV, Candida, Aspergillus, Pneumocystis carinii, Mykobakterien usw.. Bei allogener KMT: Graft versus host disease (=GvHD) = zelluläre Immunreaktion des Spenderknochenmarks gegen den Empfänger. Akute GvHD während der ersten drei Monate: Dermatitis, Enteritis, Hepatitis. Prophylaxe mit immunsuppressiver Therapie (Ciclosporin A und Methotrexat), Therapie mit Prednisolon, evtl. Antilymphozytenserum oder monoklonale Antikörper gegen TLymphozyten. Chronische GvHD nach >100 Tagen: Sicca-Syndrom, Lupus erythematodesähnliche Hautveränderungen, Organbeteiligung (ähnlicher Verlauf wie Kollagenose). Therapie mit Prednisolon und Immunsuppressivum (z.B. Azathioprin). Gefahr der Transplantatabstoßung (Restimmunität des Empfängers gegen gespendetes KM). Bei autologer KMT Rezidivgefahr durch "Rückübertragung" von Tumorzellen. Prognose: Abhängig von Grunderkrankung. Bei Leukämien in 50% der Fälle dauerhafte Heilung durch Knochenmarktransplantation! Nachsorge Nach Abschluß der Therapie sind zunächst engmaschige, später mittelfristige, überwiegend ambulante Kontrolluntersuchungen zur Früherkennung eines Rezidivs oder von toxisch bedingten Organschädigungen notwendig: Ausführliche körperliche Untersuchung mit genauem Lymphknotenstatus. Blutbild einschließlich Differentialblutbild. Weitere Untersuchungen, insbesondere bildgebende, abhängig von der Grunderkrankung sowie vom klinisch erhobenen Befund. Hämatologie 77 Leukämien 16.2.1 Allgemeines 16.2.2 Akute lymphatische Leukämie (ALL) 16.2.3 Akute myeloblastische Leukämie (AML) Allgemeines Definition: Bösartige Erkrankungen der weißen Blutkörperchen durch klonale Proliferation unreifer hämatopoetischer Stammzellen. Epidemiologie: 4-5 Neuerkrankungen /100.000 Kinder (bis 15 J.)/Jahr, damit häufigste maligne Erkrankung im Kindes- und Jugendalter (ca. 35 % der malignen Erkrankungen). Altersgipfel 4.-8. Lebensjahr. Kongenitales Auftreten möglich. Verhältnis Knaben : Mädchen = 1,5 : 1. Einteilung: Leukämien werden eingeteilt nach der Verlaufsform in akut und chronisch (Zuordnung nach dem natürlichen Verlauf vor Vorhandensein einer wirksamen Therapie) und nach der betroffenen Zellreihe in lymphoblastisch und myeloblastisch. Die relative Häufigkeitsverteilung im Kindesalter weicht deutlich von der bei Erwachsenen ab: Akute lymphoblastische Leukämie = ALL - 83 % Akute myeloblastische Leukämie = AML - 15 % Chronische myeloblastische Leukämie = CML - 2 % Chronische lymphoblastische Leukämie = CLL - << 1 % Außerdem erfolgt nach bekannten Risikofaktoren (siehe einzelne Krankheitsbilder) die Zuordnung zu Risikogruppen, so daß die Intensität der Therapie der Prognose angepaßt werden kann. Da die Kriterien für eine erhöhte Rezidivgefahr auch von der jeweils gültigen Therapie abhängen, können sich diese mit Weiterentwicklung der Therapie teilweise ändern. Ätiologie: Weitgehend unbekannt. Möglicherweise im Kindesalter durch hohe Aktivität des Immunsystems mit physiologischerweise starker Proliferation der Leukozyten vermehrte somatische Mutationen. Erhöhtes Erkrankungsrisiko bei angeborenen Chromosomenanomalien (Fanconi-Anämie, Down-Syndrom, Immundefekte), nach Einwirkung von ionisierenden Strahlen oder knochenmarkschädigenden Substanzen wie Benzol, Chloramphenicol, Zytostatika. Diskutiert Hämatologie 78 wird die Rolle von Viren als mögliche Auslöser von Leukämien (HTLV I > T-Zell-Leukämie, EBV > B-Zell-Leukämie). Pathogenese: Rapide Proliferation der malignen Zellen führt zu Verdrängung des gesunden Knochenmarks > Anämie mit Blässe, Leistungsabfall, Müdigkeit; Thrombozytopenie mit Hämatomneigung, Petechien, Blutungsneigung; Leukozytopenie mit Infektneigung. Organinfiltration mit Leukämiezellen > generalisierte Lymphknotenschwellung, Hepato/Splenomegalie, Thymusvergrößerung, Meningeosis leucaemica. Anamnese: Zunächst oft unspezifische Symptome wie Appetitlosigkeit, Abgeschlagenheit, Blässe, Gewichtsabnahme. Später anhaltende oder rezidivierende Infekte, Fieber mit oder ohne ersichtliche Ursache. Haut-/Schleimhautblutungen, anhaltendes Nasenbluten, Zahnfleischbluten. Bauchschmerzen, Knochen-/Gelenkschmerzen. Selten Kopfschmerzen und Erbrechen als Hirndruckzeichen bei Meningeosis. Klinik: Blässe, evtl. Haut-/ Schleimhautblutungen. Lymphknotenschwellungen, Hepatomegalie, Splenomegalie. Bei Meningeosis Hirndruckzeichen und/oder Hirnnervenausfälle. Selten Infiltration von Tränen- und Speicheldrüsen = Mikulicz-Syndrom, Gingivahyperplasie (bei AML), initiale Hodeninfiltration, Stridor und/oder obere Einflußstauung bei ausgedehntem mediastinalem Tumor (besonders bei T-ALL > Thymusinfiltration). Diagnostik: Blutbild (typische Veränderungen, die auftreten können, aber nicht notwendigerweise vorhanden sein müssen): Normochrome Anämie, Retikulozyten , Thrombozytopenie. Leukozyten normal, leicht oder massiv erhöht. Im Differentialblutbild meist Blasten = Leukämiezellen. Fehlen von Blasten: Aleukämische Leukämie. Bei akuten Leukämien/akutem Blastenschub chronischer Leukämien Hiatus leucaemicus = Auftreten von Blasten und sehr wenigen reifen Granulozyten ohne dazwischenliegende Reifungsstufen. Bei CML pathologische Linksverschiebung = Auftreten aller Reifungsstufen bis hin zu sehr unreifen Granulozytenvorstufen. Beweis oder Ausschluß einer Leukämie nur durch Knochenmarkpunktion! Verdrängung des normalen Knochenmarks, Infiltration mit Leukämiezellen (mindestens > 25 %, oft fast ausschließlich Blasten uniformes Zellbild). Klassifikation nach zytomorphologischen, immunologischen, zytochemischen, zytogenetischen und molekulargenetischen Kriterien. Zytomorphologie: Beurteilung von nach Pappenheim gefärbten Blut- und Knochenmarkausstrichen (Zellform, Kern-Plasma-Relation, Kernstruktur, Zytoplasma). Hämatologie 79 Immunologie: Nachweis von Leukozyten-Differenzierungsantigenen, die der lymphatischen oder myeloischen Reihe und jeweils bestimmten Reifungsstadien zuzuordnen sind. Besonders wichtig zur Klassifizierung der ALL sowie zur Diferenzieung lymphoblastisch/nichtlymphoblastisch. Zytochemie: Nachweis von Inhaltsstoffen der Leukämiezellen, meist von Enzymen. Wichtig zur Differenzierung ALL/AML sowie zur Abgrenzung der CML von leukämoider Reaktion (Leukozytose mit extremer Linksverschiebung, z. B. bei Sepsis). Zytogenetik: Nachweis von Veränderungen des Genoms in den Leukämiezellen, meist Translokationen. Molekulargenetik: Nachweis von sogenannten Rearrangements = DNA-Regionen, die zur Immunglobulinsynthese bzw. zur T-Zell-Rezeptor-Synthese spezifisch in der einzelnen (gesunden) Zelle zusammengefügt werden. Diese können auch in Leukämiezellen vorliegen und sind dann in allen Zellen entsprechend der klonalen Zellvermehrung identisch. Kann ein solches Rearrangement bei einem Patienten nachgewiesen werden (was in ca. 85 % der Fälle gelingt), so ist es möglich, eine patientenspezifische Gensonde herzustellen, mit deren Hilfe (mittels PCR) minimale Mengen von Leukämiezellen nachgewiesen werden können. Dies ermöglicht eine frühe Rezidiverkennung. Blutchemie: BSG , bei hohem Zellumsatz LDH , Harnsäure , Kalium , Phosphat , Kalzium . Eventuell eingeschränkte Nierenfunktion durch Zellzerfall und / oder Therapie (Kreatinin ). Bestimmung der Leberwerte (Toxizitätskontrolle) und des Gerinnungsstatus (kann bei AML pathologisch sein) vor Therapiebeginn sowie regelmäßig im Verlauf. Vor Bluttransfusionen Blutgruppe, HLA-Typisierung und Virusserologie (Ausschluß einer transfusionsbedingten Infektion). Liquoruntersuchung: Fakultativ Leukämiezellen im Liquor = Meningeosis leucaemica. Auch ohne Nachweis von Blasten im Liquor ist eine Infiltration der Meningen möglich! Sonographie aller großen Lymphknotenstationen sowie von Milz, Leber und Nieren initial und zur Verlaufsbeurteilung. Röntgen-Thorax zur Darstellung der mediastinalen Lymphknoten und des Thymus. Differentialdiagnosen: 1. Andere maligne Erkrankungen mit Knochenmarksinfiltration. 2. Nichtmaligne hämatologische Erkrankungen (idiopathische Thrombozytopenie, Panmyelopathie, aplastische Anämie). 3. Rheumatische Erkrankungen (cave: Steroidtherapie bei Verdacht auf rheumatoide Arthritis erst nach Leukämieausschluß!). 4. Osteomyelitis 5. Infektiöse Mononukleose Hämatologie 80 Therapie: Je nach Leukämieform unterschiedlich (siehe dort); allgemeine onkologische Therapieprinzipien siehe 16. 1. 4. Komplikationen: Meist aufgrund mangelnden Ansprechens auf die Therapie mit entsprechenden klinischen Erscheinungen der Grundkrankheit sowie der Therapietoxizität: Septische Infektionen, Blutungskomplikationen, seltener Zellzerfall-Syndrom mit Nierenversagen/Elektrolytentgleisungen bei extrem hohen Leukozytenzahlen, nekrotisierende Enterokolitis, sonstige Organtoxizität oder allergische Reaktionen. Rezidive können sowohl während der Therapie als auch danach auftreten. Je früher das Rezidiv, desto schlechter die Prognose! Ursprungsorte der Rezidive sind in absteigender Häufigkeit Knochenmark, ZNS, Hoden. Akute lymphatische Leukämie Kasuistik Definition: Von unreifen lymphatischen Zellen ausgehende Leukämie. Epidemiologie: Häufigste Leukämieform des Kindesalters mit 3-4 Neuerkrankungen/100.000 Kinder (bis 15 Jahre)/Jahr. Häufigkeitsgipfel 3. bis 5. Lebensjahr. Verhältnis Jungen : Mädchen 1,2 : 1. Anamnese, Klinik und Komplikationen siehe 16. 2. 1 Diagnostik: S. allgemeine Leukämiediagnostik (16. 2. 1). Zytomorphologie: Einteilung in L1-/L2-/L3-Morphologie, wahrscheinlich ohne prognostische und therapeutische Konsequenz. Immunologie: Differenzierung in B-Zell- oder T-Zell-Reihe, bei B-Zell-Vorläufer-Leukämien oft Nachweis des sogenannten common-ALL-assoziierten Antigens. Hämatologie 81 Zytochemie: PAS-positiv, Peroxidase- und Esterase-negativ. Zytogenetik (für ALL typische Translokationen, die jedoch nur in einem Teil der Fälle nachweisbarsind): t(8;14) bei B-ALL, t(1;19) bei Prä-B-ALL, t(4;11) bei Prä-Prä-B-ALL, t(11;14) bei T-ALL, t(9;22) und weitere seltene Translokationen bei verschiedenen ALL-Formen. Risikofaktoren für eine erhöhte Rezidivgefahr/ schlechte Prognose: Hohe Leukämiezellmasse bei Diagnosestellung, initialer ZNS-Befall, B-Zell-Leukämie (nicht zu verwechseln mit B-ZellVorläufer-Leukämien), T-Zell-Leukämie mit meist initial großer Tumorzellmasse, Translokationen t(9, 22) und t(4, 11), Alter < 1 Jahr oder > 6 Jahre, mangelndes initiales Ansprechen auf Prednison. Therapie: Die Therapie der ALL besteht aus einer (systemisch wirksamen) Polychemotherapie, die ergänzt wird durch lokale ZNS-Therapie; bei hohem Rezidivrisiko erfolgt bei Vorhandensein eines geeigneten Spenders die allogene Knochenmarktransplantation (s. u.). Die Non-B-ALL (alle ALL-Formen außer B-ALL) wird in vier aufeinanderfolgenden Phasen über insgesamt 2 Jahre (Ausnahme: Jungen mit Standardrisiko > 3 Jahre) behandelt. Die Patienten werden nach den oben genannten Kriterien in Gruppen mit Standard-, mittlerem und hohem Rezidivrisiko eingeteilt. Die Therapieintensität richtet sich nach der ermittelten Risikogruppe. Die B-ALL erfordert eine andere Therapie als alle anderen ALL-Formen und wird behandelt wie NonHodgkin-Lymphome der B-Zell-Reihe. Medikamente: Prednison, Dexamethason, Vincristin, Anthracycline, Asparaginase, Cytarabin, Cyclophosphamid, Methotrexat sowie 6-Mercaptopurin und 6-Thioguanin in verschiedenen Kombinationen während der einzelnen Therapiephasen. Eingeleitet wird die Therapie durch die sogenannte zytoreduktive Vorphase mit Prednison in einschleichender Dosierung. Bei hohen Zellzahlen und gutem Ansprechen Gefahr des Zellzerfall-Syndroms. Nach einer Woche beginnt die eigentliche Induktions-Therapie, deren Ziel die komplette hämatologische Remission ist. Diese ist definiert als < 5 % Blasten im Knochenmark bei Wiedereinsetzen der normalen Blutbildung. Die verbliebenen Leukämiezellen sollen während der Konsolidierungs- und der Reinduktionsphase weitgehend vernichtet werden. Da auch zu diesem Zeitpunkt (ca. 6 Monate nach Diagnosestellung) meist noch Leukämiezellen überlebt haben, die sich während der Therapie in Ruhephasen des Zellzyklus befanden, schließt sich die Remissions-Erhaltungsphase an. Nach Abschluß der intensiven Therapiephasen erfolgt bis 2 Jahre nach Diagnosestellung (bei Jungen der Standardrisikogruppe bis 3 Jahre nach Diagnose zur Vermeidung eines Hodenrezidivs) die orale Gabe von Methotrexat und 6Mercaptopurin. Patienten mit hohem Rezidivrisiko -einschließlich derjenigen, die an Tag 33 keine komplette Remission erreicht haben- erhalten nach der Induktionsphase zur Konsolidierung und Reinduktion eine besonders intensive Therapie, bestehend aus insgesamt sechs rasch aufeinander folgenden Blöcken von jeweils einer Woche Dauer. Die Therapieblöcke bestehen Hämatologie 82 aus hochdosiertem Methotrexat und/oder Cytarabin sowie einer Kombination der übrigen oben genannten Medikamente. ZNS-Therapie: Zusätzlich zur systemischen Chemotherapie, die aufgrund der Blut-LiquorSchranke das ZNS nur in geringem Ausmaß erreicht, erfolgen intrathekale MethotrexatApplikationen (bei Patienten ohne initialen ZNS-Befall prophylaktisch zur Verhinderung eines von den Meningen ausgehenden Rezidivs; therapeutisch bei initialem ZNS-Befall > häufigere Gaben erforderlich). Schädel-Bestrahlung nur noch bei initialem ZNS-Befall, T-Zell-Leukämie oder hohem Rezidivrisiko aufgrund anderer Risikofaktoren. Die früher übliche prophylaktische Schädelbestrahlung bei allen anderen Patienten wurde aufgrund des erhöhten Risikos für sekundäre Leukämien, ZNS-Tumoren und neuro-psychologische Defizite verlassen. Indikation für Knochenmarktransplantation: bei Hochrisikopatienten in erster Remission, bei frühen Rezidiven (< 6 Monate nach Therapieende) in zweiter Remission. Bei späteren Rezidiven ist eine erneute Polychemotherapie erfolgversprechend. Supportivtherapie (Transfusionen, Infektionsprophylaxe und -therapie) s. 16. 1. 5. Prognose: Erreichen einer kompletten hämatologischen Remission in ca. 95 % der Fälle, insgesamt 5Jahres-Überlebensrate von ca. 77 %. Rezidive nach 5 Jahren absolute Rarität. Hämatologie 83 Akute myeloblastische Leukämie Kasuistik Definition: Von unreifen myeloischen Zellen ausgehende Leukämie. Epidemiologie: Zweithäufigste Leukämieform des Kindesalters mit 0,6 Neuerkrankungen/100.000 Kinder (bis 15 Jahre)/Jahr. Altersgipfel im Säuglings- und Kleinkindalter. Verhältnis Jungen : Mädchen 1,1 : 1. Anamnese: S. Leukämien (16. 2. 1). Klinik: S. allgemeine Leukämiebefunde (16. 2. 1). Bei Säuglingen gehäuft Hautinfiltrationen. Selten Auftreten von Chloromen = tumoröse Blasteninfiltrationen von Haut, Gingiva, Periost. Bei Monozytenleukämie massive Lymphknotenschwellungen. Oft ausgeprägte Blutungsneigung. Diagnostik: S. allgemeine Leukämiediagnostik (16. 2. 1). Meist stark erhöhte Leukozytenzahl, selten Leukozytopenie (siehe auch peripheres Blutbild, Knochenmarkpräparate). Oft ausgeprägte Anämie und Thrombozytopenie, plasmatische Gerinnungsstörung (besonders bei Subtyp M3 durch disseminierte intravasale Gerinnung). Einteilung nach zytomorphologischen und zytochemischen Kriterien in Subtypen M1 bis M7 nach der FAB-Klassifikation (French-American-British Group). AML-Subtyp - Zytochemie M1 : AML ohne Differenzierung - Peroxidase-positiv M2 : AML mit Differenzierung - Peroxidase-positiv M3 : akute Promyelozyten-Leukämie - Peroxidase-positiv Hämatologie 84 M4 : akute myelomonozytäre Leukämie - Peroxidase- und Esterase-positiv a) mit b) ohne Eosinophilie M5 : akute Monozyten-Leukämie - Esterase-positiv M6 : akute Erythroleukämie (selten!) - negativ M7 : akute megakaryozytäre Leukämie (selten!) - negativ Fakultativ Auer-Stäbchen nachweisbar (in Pappenheim-Färbung rot-violette Zellorganellen, die in Struktur und Enzymgehalt an Lysosomen erinnern, prognostisch günstig). Zytogenetik: Bei > 80 % chromosomale Veränderungen nachweisbar (Translokationen/Inversionen), die teilweise den Subtypen zuzuordnen sind; t(8;21) bei M2, t(15;17) bei M3, inv(16) bei M4, t(9;11) bei M5. Risikofaktoren für erhöhte Rezidivgefahr: Subtyp der AML, Leukozytenzahl bei Diagnosestellung (entspricht Leukämiezellmasse), initialer ZNS-Befall, spätes Erreichen einer kompletten hämatologischen Remission. Standardrisiko: FAB M1 und M2 bei Nachweis von Auer-Stäbchen, FAB M3, FAB M4 mit Eosinophilie, < 5 % Blasten im Knochenmark am Tag 15 (außer M3). Hochrisiko: Alle anderen Patienten. Komplikationen: 1. Vor Therapie: bei Leukozytenzahlen >100 Gptl/l Gefahr des Leukostase-Syndroms durch leukozytäre Mikrothromben mit intrakraniellen oder intrapulmonalen hämorrhagischen Infarkten. Gefahr der intrakraniellen Blutung auch durch ausgeprägte Blutungsneigung. 2. Während sehr intensiver Induktionstherapie komplette Knochenmarkaplasie > schwere Sepsis, Kolitis, Mukositis. 3. 10-15 % (!) der Patienten sind bereits initial Non-Responder auf die zytostatische Therapie. Hämatologie 85 Therapie: Grundsätzlich ähnlich wie bei ALL (s. 16. 2. 1), jedoch aufgrund geringerer ChemotherapieSensibilität sehr viel intensiver. Bei Leukozytenzahlen > 50 Gpt/l zytoreduktive Vorphase mit Thioguanin und Cytarabin. Aggressive Induktionstherapie mit langanhaltender Knochenmark aplasie erfordert entsprechende Supportivtherapie mit Einzelzimmerpflege, Infektionsprophylaxe und -therapie sowie Transfusion von Thrombozyten, Gefrierfrischplasma, bei ausgeprägter Anämie auch Erythrozyten. Bei Hochrisikopatienten allogene Knochenmarktransplantation in erster Remission, sonst nach erstem Rezidiv in zweiter Remission. Ohne vorherige Remission auch durch Knochenmarktransplantation keine Heilungsaussicht! ZNS-Therapie in präventiver oder kurativer Absicht: Cytarabin intrathekal sowie hochdosiert systemisch (relativ gut liquorgängig) und ZNS-Bestrahlung bei allen Patienten. Prognose: Erreichen einer kompletten hämatologischen Remission in 80 % der Fälle, 5-JahresÜberlebensrate 45 %. Hämatologie 86 Maligne Lymphome 16.3.1 Allgemeines 16.3.2 Non-Hodgkin-Lymphom (NHL) 16.3.3 Morbus Hodgkin (Lymphogranulomatose) Allgemeines Definition: Maligne Erkrankungen, die von Zellen des lymphatischen Gewebes ausgehen. Einteilung: Unterschieden werden Non-Hodgkin-Lymphome, die im Kindesalter meist hochmaligne sind und sich hämatogen ausbreiten, vom Morbus Hodgkin, dessen Ausbreitung deutlich langsamer und überwiegend lymphogen und per continuitatem erfolgt. Non-Hodgkin-Lymphom Definition: Bösartige Erkrankungen durch klonale Proliferation von B- oder T-Lymphozyten, primär von Lymphknoten ausgehend. Bei Kindern fast ausschließlich hochmaligne mit frühzeitiger Generalisierung, Knochenmarkinfiltration definitionsgemäß < 25 %. Epidemiologie: Ca. 0,8 Neuerkrankungen/100.000 Kinder (bis 15 Jahre)/Jahr. Altersgipfel um 7. Lebensjahr, unter 5 Jahren sehr selten. Verhältnis Jungen : Mädchen 2,8 : 1. Ätiologie: Weitgehend unbekannt. Erhöhtes Erkrankungsrisiko bei angeborenen Immundefektsyndromen (z. B. Louis-Barr-, Wiskott-Aldrich-Syndrom) und erworbenem Immundefekt durch immunsuppressive Therapie oder HIV-Infektion. Enge Beziehung zwischen Ebstein-Barr-VirusInfektion und afrikanischem Typ des Burkitt-Lymphoms. Pathogenese: Im Kindesalter fast ausschließlich hochmaligne Lymphome mit schnellem Wachstum und früher hämatogener Disseminierung, u. a. in ZNS und Knochenmark. Die klinische Symptomatik Hämatologie 87 entwickelt sich aus Raumforderung, Organinfiltration und Verdrängung des Knochenmarks (fließender Übergang zu akuter Leukämie > leukämische Transformation). Anamnese: Aufgrund der hohen Malignität meist kurze Anamnese. Symptomatik abhängig von Lokalisation der Lymphome. Bei oberflächlichen Lymphknoten sicht- und tastbare Lk-Schwellungen, bei mediastinalen Lymphomen Husten, Dyspnoe, bei abdominellen Lymphomen uncharakteristische Bauchschmerzen. Bei ZNS-Befall Krampfanfälle, bei spinalem Befall Querschnittsymptomatik. Bei ausgedehntem Nierenbefall oder Harnwegsobstruktion Oligo-/Anurie möglich. Klinik: Derbe, schmerzlose Lymphknotenschwellungen. Bei generalisierter Erkrankung Hepatosplenomegalie. Oft akute Notfallsymptomatik: Bei ausgedehnten Mediastinallymphomen Dyspnoe, Stridor, evtl. Atelektasen, Pleuraerguß, obere Einflußstauung. Akutes Abdomen bei ileozökaler Invagination (bei mesenterialen Lymphomen). Bei ZNS-Befall neurologische Ausfälle. Nach leukämischer Transformation Befunde wie bei Leukämie. Diagnostik: Grundsätzlich aufgrund ähnlicher Pathogenese und Klinik nach den gleichen Gesichtspunkten wie bei Leukämie. Diagnosestellung ist möglich durch: Histologische Untersuchung einer Lymphknotenbiopsie bzw. einer Tumorbiopsie. Versuch der vollständigen Tumorentfernung nur bei kleinen, umschriebenen Tumoren, da aufgrund des hochmalignen Charakters der Erkrankung ohnehin eine (erfolgversprechende!) systemische Chemotherapie erforderlich ist. Knochenmarkuntersuchung bei vorhandener Infiltration (Hinweis für Knochenmarkbeteiligung sind Blasten im Differentialblutbild, noch bevor eine eingeschränkte Knochenmarkfunktion vorliegt). Blastenpleozytose im Liquor Zytologische Untersuchung von Pleuraerguß oder Aszites, sofern vorhanden. Die gewonnenen Zellen können auch weiterführend immunologisch und zyto-/molekulargenetisch untersucht werden. Einteilung erfolgt nach morphologischen und immunologischen Kriterien entsprechend der KielKlassifikation oder der REAL-Klassifikation, die weitgehend übereinstimmen. Erwähnt werden hier nur die im Kindesalter vorkommenden hochmalignen Lymphome! Hämatologie 88 1. Lymphoblastisch (ca. 70 % der Fälle): - Burkitt-Tumor: B-Zell-Reihe, endemisches Vorkommen in Afrika, Assoziation mit EBV, Hauptlokalisation im Kiefer. - Lymphom vom Burkitt-Typ: B-Zell-Reihe, nicht EBV-assoziiert, Hauptlokalisation ileozökal. - Convoluted-cell-Typ: T-Zell-Reihe, Hauptlokalisation im Mediastinum. - Unklassifiziert: 70 % B-Zell-Reihe / 30 % T-Zell-Reihe. 2. Immunoblastisch - B-Zell- oder T-Zell-Reihe 3. Zentroblastisch 4. Unklassifiziert hochmaligne Insgesamt 60-70 % B-Zell-Lymphome (gastrointestinale Lymphome, Knocheninfiltrate, Hiluslymphome ohne Thymusbefall sprechen für B-Zellreihe), 20-25 % T-Zell-Lymphome (bevorzugte Lokalisation in der Thymusregion), 10 % nicht klassifizierbar. Zur Stadieneinteilung sind bildgebende Untersuchungen von Schädel, Hals, Thorax und Abdomen, evtl. auch der Wirbelsäule bzw. anderer Skelettabschnitte, sowie Liquor- und Knochenmarkuntersuchung erforderlich. Zur Erfassung der Ausdehnung von Lymphomen eignet sich gut die Computertomopraphie, ein spinaler Befall sollte mittels MRT dargestellt werden. Stadieneinteilung nach Murphy: Stadium I: Befall einer Lymphknotengruppe bzw. eines lokalisierten extranodalen Herdes Stadium II: Befall von mehr als einer Lymphknotengruppe/mehr als ein lokalisierter Befall extralymphatischer Organe auf derselben Seite des Zwerchfells Stadium III: Befall von Lymphknotengruppen und/oder lokalisierte extranodale Herde beidseits des Zwerchfells Stadium IV: Zusätzlich ZNS- und/oder Knochenmark-Befall (< 25 % Blasten, sonst akute Leukämie) Zytochemie: Wie bei ALL: PAS-positiv, Peroxidase- und Esterase-negativ. Zytogenetik: Befunde wie bei ALL, typisch für Burkitt-Lymphom sind die Translokationen t(8,14), t(8,22) und t(2,8). Hämatologie 89 Differentialdiagnose: Alle Erkrankungen, die mit Lymphknotenschwellungen einhergehen: Akute lymphoblastische Leukämie Morbus Hodgkin Andere maligne Erkrankungen mit Lymphknotenmetastasen Entzündlich: Lymphadenitits, Tuberkulose, Mononukleose, Toxoplasmose, Zytomegalie Komplikationen entsprechen den unter Anamnese und Klinik beschriebenen Kompressionserscheinungen beziehungsweise bei ausgedehnter Knochenmarkinfiltration denen der akuten Leukämie (Infektionen, Blutungen). Außerdem wie bei allen malignen Erkrankungen Komplikationen der zytostatischen Therapie. Therapie: Da es sich um eine Systemerkrankung des lymphatischen Systems handelt, haben lokale Therapiemaßnahmen wie Operation und Bestrahlung keinen kurativen Effekt. Die Behandlung besteht in einer systemischen Chemotherapie nach den Richtlinien der ALLTherapie. Da sich die verschiedenen NHL-Subtypen in ihrem biologischen Verhalten unterscheiden, erfolgt die Einteilung der Patienten in 3 Therapiegruppen, die in Abhängigkeit von Ausbreitungsstadium und initialem Therapieansprechen in risikoadaptierte Therapiezweige unterteilt werden. Therapiegruppe I: Lymphoblastische Lymphome (= B- und T-Zell-Vorläufer) und periphere TZell- Lymphome. Therapie wie bei akuter lymphoblastischer Leukämie. Therapiegruppe II: Nicht-lymphoblastische periphere B-Zell-Lymphome (Burkitt-Lymphome, zentroblastische Lymphome) und B-ALL! Die Behandlung besteht aus rasch aufeinanderfolgenden, intensiven Therapieblöcken von jeweils ca. einer Woche Dauer. In Abhängigkeit vom Ausbreitungsstadium werden 2 bis 6 Blöcke verabreicht, die aus den gleichen Medikamenten zusammengesetzt sind wie bei akuter Leukämie. Therapiedauer ca. 2 bis 6 Monate. Zwischen den Blöcken oft ausgeprägte Knochenmarkdepression, die eine entsprechende Supportivtherapie erfordert. Therapiegruppe III: Großzellige anaplastische Lymphome. Therapie prinzipiell wie bei Therapiegruppe II, jedoch aufgrund der besseren Prognose weniger intensiv. Auch die Therapie eines ZNS-Befalls bzw. die Prävention eines ZNS-Rezidivs entsprechen grundsätzlich denen der ALL. Bei Therapiegruppe II und III mit prim. ZNS-Befall erfolgt die Implantation eines "Ommaya-Reservoirs" unter die Kopfhaut. Dieses ist über einen Katheter mit Hämatologie 90 einem Seitenventrikel verbunden, so daß während der Therapieblöcke tägliche intraventrikuläre Zytostatikagaben möglich sind und lediglich einen Einstich durch die Kopfhaut erfordern. Bei Auftreten von Rezidiven (ca.20 % der Fälle) ist eine erneute Remissionsinduktion, u. a. durch Einsatz von Mitoxantronen, Hydroxyharnstoff und Cisplatin, anzustreben, an die sich eine Knochenmarktransplantation (bei T-NHL allogen, bei B-NHL evtl. auch autolog mit von TumorRestzellen "gereinigtem" Knochenmark) anschließt. Prognose: Mit 80 % 5-Jahres-Überlebensrate etwas besser als bei der akuten lymphoblastischen Leukämie. Morbus Hodgkin Kasuistik Definition: Maligne Erkrankung von Zellen des zellullären Immunsystems (genaue Ursprungszelle unbekannt), die von Lymphknoten ausgeht und deren histologisches Kennzeichen einkernige Hodgkin- und mehrkernige Sternberg-Reed-Zellen sind. Epidemiologie: 0,7 Neuerkrankungen/100.000 Kinder (bis 15 Jahre)/Jahr. Vor dem 3. Lebensjahr Rarität, danach kontinuierlicher Anstieg der Inzidenz mit zunehmendem Alter. Zwei Häufigkeitsgipfel im Erwachsenenalter: 3. und 7. Lebensdekade. Androtropie (1,4 : 1). Ätiologie/Pathogenese: Die Ätiologie ist unbekannt. Ausgangsort ist fast immer ein Lymphknoten, von dort zunächst Ausbreitung per continuitatem und lymphogen, wahrscheinlich erst nach Milzbefall auch hämatogen. Anamnese: Variable Anamnesedauer bis zu einem Jahr. Verzögerung der Diagnosestellung durch begleitende Infektionen, die die Lymphknotenschwellung zunächst erklären. Leitsysmptom ist die schmerzlose, meist zervikale Lymphknotenschwellung ohne Entzündungszeichen (80 % der Fälle). Alle anderen Lymphknotenregionen können ebenfalls initial oder sekundär betroffen sein. Bei Mediastinallymphomen evtl. Husten, Dyspnoe, obere Einflußstauung. Bei abdominalen Lymphomen oder Hepatosplenomegalie Bauchschmerzen. Uncharakteristische Symptome/Beschwerden wie Müdigkeit, Blässe, Infektneigung, Juckreiz. Hämatologie 91 Bei ca. einem Drittel der Patienten Auftreten von sogenannten B-Symptomen: Fieber > 38 °C ohne erkennbare Ursache, Gewichtsabnahme >10 % in 6 Monaten, Nachtschweiß. Klinik: Indolente, derbe, unverschiebliche, häufig zu Paketen verschmolzene Lk-Schwellungen. Bei ca. 20 % der Patienten Hepato-/Splenomegalie. Diagnostik: Allgemeine Diagnostik s. 16. 1. 4. Die Diagnosestellung erfolgt durch histologische Untersuchung eines vollständig exstirpierten Lymphknotens (Punktion nicht ausreichend). Pathognomonisch sind die mehrkernigen Sternberg-Reed-Zellen sowie die einkernigen Hodgkin-Zellen. Neben diesen malignen Zellen besteht der Tumor aus reaktiven, durch Zytokine angelockten Zellen (Lymphozyten), deren Anteil am Tumor den histologischen Subtyp bestimmt. Unterschieden werden nach Rye: lymphozytenreiche Form, noduläre Sklerose, Mischtyp und lymphozytenarme Form. Je höher der Lymphozytenanteil, desto niedriger die Malignität! Die Stadieneinteilung erfolgt nach der Ann-Arbor-Klassifikation: Stadium I: Befall einer Lymphknotenregion (I) oder lokalisierter Befall eines extralymphatischen Organs (IE). Stadium II: Befall von zwei oder mehr Lymphknotenregionen auf einer Seite des Zwerchfells (II) oder lokalisierter Befall extralymphatischer Organe und von Lymphknotenregionen auf einer Seite des Zwerchfells (IIE). Stadium III: Befall von Lymphknotenregionen auf beiden Seiten des Zwerchfells ohne (III) oder mit (IIIE) extralymphatischen Herden oder mit Milzbefall (IIIS) oder mit beidem (IIIES). Stadium IV: Disseminierter Befall von Lymphknoten und einem oder mehreren extralymphatischen Organen. Stadium I-IV A: Fehlen von Allgemeinsymptomen Stadium I-IV B: Vorhandensein von mindestens einem B-Symptom (s. o.) Hämatologie 92 Folgende Untersuchungen sind für die Stadieneinteilung (Staging) erforderlich: Bildgebende Untersuchungen: Sonographie aller darstellbaren Lk-Regionen ( Hals, Axillen, Leisten, Abdomen) sowie des Oberbauches (Beurteilung von Leber und Milz). Röntgen-Thorax in zwei Ebenen, CT von Hals, Thorax und Abdomen. Bei Verdacht auf Knochenbefall Skelettszintigraphie. Bei unklaren Befunden der bildgebenden Untersuchungen des Abdomens (Lymphknotenvergrößerungen von 1- 2,5 cm, unklare Veränderungen in Leber und/oder Milz) Staging-Laparotomie mit genauer Inspektion, Biopsien aller Lymphknotenregionen und Leberbiopsie. Bei Mädchen mit makroskopisch eindeutigem Befall iliakaler Lymphknoten erfolgt die Ovaropexie (Fixierung an der Rückseite des Uterus). Ziel der Laparotomie ist die genaue Stadieneinteilung, um Gonadenschäden durch "zu viel" Therapie bei niedrigen AusbreitungsStadien zu vermeiden. Diese sind bei Jungen insbesondere durch Procarbazin-Gabe, bei Mädchen durch Beckenbestrahlung zu befürchten. Die früher übliche Splenektomie wurde inzwischen verlassen aufgrund der Gefahr der Postsplenektomie-Sepsis mit teilweise tödlichem Ausgang. Liquor- und Knochenmarkuntersuchung. Weitere typische Befunde: stark erhöhte BSG, Leukozytose mit relativer Lymphozytopenie, verminderte zelluläre Immunität (Tuberkulin-Test negativ). Differentialdiagnose: Wie bei Non-Hodgkin-Lymphomen (16. 3. 1). Im Vordergrund stehen Infektionen mit Lymphknotenschwellungen. Komplikationen: Kompression von Nachbarorganen der Lymphome Infektionen durch zellulären Immundefekt; bis zu 30 % der Hodgkin-Patienten erkranken an einem Herpes zoster! Außerdem Infektionsgefahr durch zytostatische Therapie. Folgen von zytostatischer- und Strahlentherapie, bei Jungen in Abhängigkeit von der Therapiegruppe bis zu 60 % Spermatogenesestörungen. Hämatologie 93 Therapie: Die Therapie des M. Hodgkin besteht aus einer Polychemotherapie, bei inkompletter Remission anschließend Nachbestrahlung der betroffenen Gebiete. Die Chemotherapie setzt sich zusammen aus Therapieblöcken von jeweils 15 Tagen Dauer mit nachfolgend 13 Tagen Pause. Dabei erfolgen nur an einzelnen Tagen intravenöse Zytostatikaapplikationen, so daß die Therapie im unkomplizierten Fall weitgehend ambulant durchgeführt werden kann. Therapiegruppe 1: Stadium I A / B, II A: Mädchen erhalten 2 x OPPA (Vincristin = Oncovin, Procarbazin, Prednison und Adriamycin). Jungen 2 x OEPA (Etoposid statt Procarbazin geringeres Risiko der Fertilitätsstörung). Therapiegruppe 2: Stadium IEA / B, IIEA, II B, III A: Therapie wie Gruppe 1, zusätzlich erhalten alle Patienten 2 x COPP (Cyclophosphamid, Vincristin, Procarbazin und Prednison). Therapiegruppe 3: Allehöheren Stadien. Mädchen und Jungen ab Stadium III B erhalten 2 x OPPA, 4 x COPP, Jungen mit Stadium IIEB und III A 2 x OEPA und 4 x COPP. Bei unvollständiger Remission schließt sich 2 Wochen nach Ende der Chemotherapie eine Bestrahlung der Tumorreste an. Prognose: Gut! 5-Jahres-Überlebensrate in Abhängigkeit vom Stadium 74-100 %, für alle Therapiegruppen zusammen 94 %. Hämatologie 94 Histiozytosen 16.4.1 Definition 16.4.2 Histiozytosis X 16.4.3 Maligne Histiozytose Definition Erkrankungen des Monozyten-Makrophagen-Systems mit histiozytären Infiltrationen, die reaktiv (Langerhanszell-Histiozytose = Histiozytosis X) oder maligne (Maligne Histiozytose) sein können. Histiozytosis X Definition: Nichtmaligne Erkrankung mit Proliferation abnormer Histiozyten, die Merkmale von Langerhanszellen der Haut aufweisen. Epidemiologie: 0,4 Neuerkrankungen /100.000 Kinder (bis 15 Jahre)/Jahr. Disseminierte Verlaufsform vor allem bei SG und KK, lokalisierte bei größeren Kindern. Androtropie (1,3 : 1). Ätiologie: Unklar, diskutiert werden immunologische oder infektiöse Ursachen. Einteilung: Nach klinischer Verlaufsform unterscheidet man: Eosinophiles Granulom: Herdförmiger, uni- oder multilokulärer Befall von Schädelkalotte, Wirbelkörpern, Rippen oder Becken. Vorkommen bei Schulkindern und Jugendlichen. M. Hand-Schüller-Christian: Disseminierter, chronisch-schubförmiger Verlauf. Klassische Trias: Landkarten- schädel (multiple Schädelherde), Exophthalmus (Orbitabefall), Diabetes insipidus (Befall der Sella turcica). Seltener Befall von Haut, Schleimhaut, Gehörgang, Lunge. Vorkommen bei Klein- und Schulkindern. M. Abt-Letterer-Siwe: Disseminierter, akuter Verlauf. Multiorganbefall mit Funktionsstörungen von Leber, Lunge und/oder Hämatopoese. Hautbefall mit braun-gelblichen makulo-papulösen Effloreszenzen. Auftreten nur im Säuglings- und Kleinkindalter. Hämatologie 95 Anamnese und Klinik: Symptomatik meist bestimmt durch Knochenbefall: Schwellung, Schmerzen, Funktionseinschränkung, bei entsprechender Lokalisation Zahnfehlstellungen, Otitis, Mastoiditis (Ohrenschmerzen), Exophthalmus, Krampfanfälle. Bei disseminiertem Befall Funktionsstörung der Leber mit Ikterus, Ödemen, Aszites, der Lunge mit Dyspnoe, Zyanose, Pleuraerguß, des Knochenmarks mit Anämie, Leukozytopenie, Thrombozytopenie, klinisches Bild dann wie bei schwerer Sepsis oder hämatologischer Systemerkrankung. Endokrinologische Störungen durch Infiltrationen im Bereich der Sella turcica Diabetes insipidus, Minderwuchs. Diagnostik: Diagnosestellung immer duch Histologie! Bei allen Verlaufsformen exaktes Staging obligat! Ausführliche körperliche Untersuchung. Skelettszintigraphie und Röntgenstatus des gesamten Skelettsystems; typischer Befund ist der wie ausgestanzt wirkende Knochendefekt ohne Randsklerose, bei multifokalem Schädelbefall sogenannter Landkartenschädel, an den langen Röhrenknochen periostale Reaktionen, Keilwirbelbildungen. Röntgen- Thorax (Lungenbefall?), Sonographie Abdomen (Vergrößerung und/oder Strukturveränderungen von Leber, Milz, Lymphknoten?) Bestimmung von Blutbild, Leberwerten und Hormonen. Bei disseminiertem Befall auch Knochenmark- und Lumbalpunktion. Weiterführende Diagnostik nach klinischem Bedarf (z. B. Lungenfunktion, Hörtest, MRT des Kopfes). Differentialdiagnose: Vielfältig, abhängig von vorrangig betroffenem Organsystem. Komplikationen: Bei chron. Krankheitsverlauf Entwicklung einer Leberzirrhose und/oder Lungenfibrose mit entsprechenden Komplikationen. Therapie: Bei unifokalem Knochenbefall ohne Frakturgefahr zunächst Abwarten des Spontanverlaufs. Bei ausgedehnten Herden intraläsionale Injektion von Methylprednisolon, bei ausbleibendem Erfolg Kürettage und Spongiosaauffüllung. Bei solitärem Wirbelkörperbefall Bestrahlung, evtl. kurzzeitig milde systemische Chemotherapie mit Kortikoid und Vinblastin. Bei Säuglingen mit isoliertem Hautbefall ebenfalls zunächst Abwarten, bei ausbleibender Spontanheilung topische Kortikoide, falls erforderlich systemisch Kortikoide, evtl. zusätzlich Vinblastin. Hämatologie 96 Bei disseminierter Erkrankung risikoadaptierte systemische Chemotherapie. Mit zunehmender Disseminierung kommen zum Einsatz: Prednison, Etoposid, Vincaalkaloide, Antimetabolite/Alkylantien. Behandlungsdauer abhängig vom Verlauf. Prognose: Isolierter Knochenherd: 90% Ausheilung, Rezidive selten, Dissemination sehr selten. Isolierter Hautbefall im Säuglingsalter: Meist Spontanremission. Multiorganbefall: Prognose abhängig von der Zahl der betroffenen Organe und vom Alter (>2 Jahre deutlich bessere Prognose). Insgesamt bei ca. 2/3 der Patienten zunächst Erreichen einer Remission, bei ca. 50% Auftreten von Spätschäden (Diabetes insipidus, neuropsychologische Störungen, endokrin bedingter Minderwuchs, Defektheilungen der Knochenläsionen). Bei M. Abt-Letterer-Siwe Letalität von 40-50%. Maligne Histiozytose Definition: Maligne Proliferation atypischer Zellen des Monozyten-Makrophagen-Systems. Ätiologie: Unbekannt. Pathogenese: Disseminierte Erkrankung mit Infiltration von Lunge, Herz, Knochen, Leber, Milz. Klinik: Wie bei hämatologischer Systemerkrankung. Häufig Auftreten von Fieberschüben. Therapie: Polychemotherapie in Anlehnung an NHL- oder AML-Protokolle. Prognose: 5-Jahres-Überlebensrate ca. 50 %.