Hämatologie und Hämostaseologie

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Hämatologie und Hämostaseologie
15.1 Physiologie
15.2 Anämien
15.3 Erkrankungen des leukozytären Systems
15.4 Gerinnungssystem
15.5 Thrombozytäre Erkrankungen
Physiologie
Intrauterine Blutbildung:
In den ersten Entwicklungswochen extramedulläre Blutbildung in Dottersack, Leber und geringer
in der Milz.
Ab 5. Entwicklungsmonat Beginn der medullären Blutbildung.
Fetales Hämoglobin (Hb F) wird bereits intrauterin durch das bleibende adulte Hämoglobin (Hb
A) ersetzt; bis zum 4. bzw. 5. Lebensmonaten ist der Austausch abgeschlossen, d. h. bei
termingerechter Geburt liegen nur noch 60 bis 80 % des Hämoglobins als Hb F vor.
Blutbild des Neugeborenen:
In den ersten Tagen neutrophile Leukozytose mit Linksverschiebung im Sinne einer StreßSituation durch die Geburt; nach einer Woche Rückgang der Neutrophilie und jetzt zunehmende
Lymphozytose (typisch für das frühe Kindesalter).
Anstieg der roten Blutwerte durch Volumenreduktion des Blutes, d. h. Plasma wird in das
Interstitium abgegeben Polyglobulie; unter der Geburt kommt es evtl. zum Übertritt größerer
Blutmengen von der Plazenta zum Neugeborenen (plazentare Transfusion). Die Überladung des
Neugeborenen mit Erythrozyten stellt eine wichtige Eisenreserve für die ersten Lebensmonaten
dar (s. Kapitel Referenzwerte).
Trimenonreduktion:
Physiologischer Abbau der Erythrozyten bei noch sehr unreifer Erythropoese, niedrigste HbWerte bei reifen Säuglingen ab der 10. Lebenswoche (bis 11,5g/dl).
Bei Frühgeborenen-Anämie gleicher Vorgang, aber hier noch niedrigere Hb-Werte (bis auf 8 -10
g/dl abfallend); eine starke Verminderung der Sauerstoffträger versucht der Körper durch eine
verbesserte Sauerstoffabgabe und -aufnahme im Gewebe zu kompensieren; bei Hb-Werten
unter 8,5 g/dl muß allerdings im Regelfall transfundiert werden.
Eisenmangelphase:
Durch erhebliche Zunahme des zirkulierenden Hb am Ende des 1. Lebensjahres besteht ein
relativer Eisenmangel (Serumeisen , Eisenbindungskapazität , MCH ). Die Eisenabsorption
Hämatologie
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aus der meist eisenarmen Nahrung ist nicht ausreichend, und Eisenreserven sind schon in den
ersten 4 Lebensmonaten aufgebraucht!
Blutgruppen:
Blutgruppensubstanzen sind Antigene, die die Bildung spezifischer Antikörper auslösen.
Unterscheidung: An Zellen gebundene und in Körperflüssigkeiten vorkommende "Antigene". Die
bedeutendsten machen das ABO-System (1900 von Landsteiner entdeckt) und das RhesusSystem (1940 von Landsteiner und Wiener beschrieben) aus. Blutgruppenmerkmale werden
nach den Mendel-Gesetzen vererbt.
Eine Blutgruppeninkompatibilität (v. a. Rhesus, ABO) zwischen einer Schwangeren und ihrem
ungeborenen Kind kann einen M. haemolyticus neonatorum verursachen.
Blutgruppensysteme:
· ABO-System: Frühestens 3 Monate postpartal völlig ausgereift. Anti-A/-B-Antikörper sind
bevorzugt IgM- Antikörper, die nicht plazentagängig sind. Es können aber auch IgG gebildet
werden, die plazentagängig sind und damit ebenfalls einen M. haemolyticus auslösen können.
Rhesus-System: System mehrerer Antigene (CcDdEe); schon pränatal ausgebildet. Antikörper
gegen Rhesus-Antigene (meist anti-D) sind zumeist IgG- Ak und damit plazentagängig.
· Weitere Blutgruppensysteme: Kell, NMS, Duffy u. a..
Diagnostik: Blutgruppenbestimmung: Die Erythrozytenantigene werden mit Testseren
(Testserum Anti B der Blutgruppe A, Testserum Anti A der Blutgruppe B und Testserum Anti A
und Anti B der Blutgruppe O) und die Allo-Ak (Serumeigenschaften) mit entsprechenden
Testerythrozyten bestimmt.
· Direkter Coombs-Test: Nachweis inkompletter Antikörper, die schon in vivo an Erythrozyten
gebunden sind; daher Agglutination nach Zugabe von Coombs-Serum (AntiHumanglobulinserum), z. B. bei M. haemolyticus neonatorum oder hämolytischer Anämie.
· Indirekter Coombs-Test: Zu untersuchendes Serum (z. B. der Mutter) wird mit bekannten
Testerythrozyten gemischt. Bei Vorliegen inkompletter Ak (z. B. bei einer Rh-sensibilisierten
Mutter) haften diese an den Erythrozyten, ohne zu agglutinieren! Bei Zugabe von CoombsSerum erfolgt Agglutination. Inkomplette Ak (IgG) sind plazentagängig!
· Kreuzprobe: Jeder Transfusion voranzustellen ist die serologische Verträglichkeitsprobe
(Kreuzprobe). Durch Inkubation der Spendererythrozyten mit Empfängerserum (Major-Test) wird
geprüft, ob sich beide serologisch neutral verhalten oder ob eine Antigen-Ak-Reaktion abläuft.
· Antikörperscreening (Suchtest): Menschliches Serum enthält entsprechend der ABOBlutgruppenzugehörigkeit (Landsteiner Regel) nur die Alloagglutinine Anti A und Anti B.
Bluttransfusionen, Schwangerschaften und die Übertragung körperfremder Antigene können die
Bildung sog. irregulärer Ak induzieren. Der Suchtest dient zum orientierenden Nachweis und
gibt Auskunft über die Natur der Ak (komplett/inkomplett).
Hämatologie
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Anämie
15.2.0 Allgemeines
15.2.1 Veränderungen des Blutfarbstoffes
15.2.2 Hämoglobinanomalien
15.2.3 Angeborene Störungen der Hämoglobinsynthese
15.2.4 Reaktive Veränderungen des Blutfarbstoffs
15.2.5 Anämien durch mangelhafte Neubildungen
15.2.6 Hämolytische Anämien
15.2.7 Anämie durch Blutverlust
15.2.8 Infektanämie
15.2.9 Einteilung der Anämien nach dem Erythrozytenvolumen (MCV)
Allgemeines
Grundlagen der Anämiediagnostik
Erythrozytenindices mit Referenzwerten für ältere Kinder, Jugendliche und Erwachsene
MCV (Mean Corpuscular Volume) - Mittleres Erythrozytenvolumen
80 - 96 fl
MCH (Mean Corpuscular Hemoglobin) - Mittlerer Hämoglobingehalt der Erythrozyten
27 - 33 pg bzw. 1,5-2,0 fmol
MCHC (Mean Corpuscular Hemoglobin Concentration) - Mittlere, auf das Volumen der
Erythrozyten bezogene Hb-Konzentration
32 - 36 g% bzw.18,5-21,5 mmol/l
Indikationen spezieller Bestimmungsmethoden
Bestimmung der Serumeisen-Konzentration: Nur indiziert bei hypochromer Anämie (MCH und
MCV ); Bestimmung bei Infektionen sinnlos. Beachte: Serumeisen macht nur ca. 1 % des
Gesamtkörpereisens aus und darf daher diagnostisch nicht überbewertet werden!
Vitamin B12 und Folsäure: Bei makrozytären Anämien (MCV ) und megaloblastären
Veränderungen im Knochenmark (KM).
Hämatologie
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Osmotische Resistenz: Bei V. a. hereditäre Sphärozytose und andere hämolytische Anämien.
Haptoglobin: Als Transportprotein für freies Hämoglobin bei Hämolyse erniedrigt (in den ersten
drei Lebensmonaten zur Interpretation nicht geeignet, da physiologisch schon ).
Hb-Elektrophorese: Bei Thalassämie, Sichelzellanämie und anderen Hämoglobinopathien.
Methämoglobin (Met-Hb): Enthält Eisen in III-wertiger Form (als Hämiglobin) > keine O2Übertragung. Bes. Neugeborene können anfallendes MetHb nicht zu II-wertigem Eisen
("normales" Hämoglobin) reduzieren! Bei V. a. hämatologisch bedingter Zyanose, unklarer
hämolytischer Anämie, Intoxikation durch Met-Hb-Bildner (z. B. Nitrate), Polyglobulie,
hypochromer Anämie.
Erythrozytenenzyme: Nicht zu klärende hämolytische Anämien.
Knochenmark: Wichtige Aussage über Erythropoese (normal, , , ineffektiv, normozytär,
hypochrom, megaloblastär, dyserythropoetisch). Diagnostik von Leukämien, aplastischen
Anämien oder Myelodysplasie-Syndrom.
Im weiteren erfolgt die Einteilung der Anämien nach pathogenetischen Gesichtspunkten!
Veränderung des Blutfarbstoffes
Hämoglobin (Blutfarbstoff) kommt in bis zu 200 erblichen Varianten vor. Das Hämoglobinmolekül
besteht aus 4 Polypeptidketten, von denen jeweils 2 identisch sind. 3 physiologische
Hämoglobine:
· Hb A1 mit Polypeptidkettenformel a2b2 macht über 95 % des Blutfarbstoffes ab dem 6.
Lebensmonat aus
· Hb A2 mit Polypeptidkettenformel a2d2 , Anteil am gesamten Blutfarbstoff von 1,5 - 3 % ab 6.
Lebensmonat
· Hb F (a2c2), fetales Hämoglobin beim Erwachsenen nur noch in Spuren nachweisbar
Anomale Hämoglobine sind oft bevölkerungsgruppenspezifisch (z. B. Hb S in Zentralafrika, Hb C
in Westafrika, Hb E in Ostasien gehäuft).
Heterozygote Träger einer Hb-Anomalie haben neben Hb A meist eine geringe Menge an
anomalem Hb, sind aber hämatologisch und klinisch meist gesund. Ausnahmen:
· Sichelzellträger in hypoxischen Situationen wie Tauchen, Fliegen in hohen Höhen,
Narkosezwischenfälle (Hb S "erstarrt" bei Sauerstoffentzug)
· Bei Hb M durch Methämoglobinämie Zyanose
· Bei instabilen Hämoglobinen hämolytische Anämien
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Homozygote Hb-Anomalieträger besitzen nur anomales Hb und gel. noch ein wenig Hb F.
Bei Hb S und Hb C tritt das klinische Bild einer hämolytischen Anämie auf, andere Anomalien
können allerdings trotz Homozygotie auch klinisch erscheinungsfrei sein (Nachweis anomaler
Hb-Varianten in der Elektrophorese).
Hämoglobinanomalien
Sichelzellanämien (engl.: Sickle cell anaemia)
Pathogenese: Austausch der Aminosäure Glutaminsäure auf Position 6 der Beta-Kette durch
Valin
(Hb S =a2b26 Glu >Val ).
Klinik: Bei Homozygotie schwere hämolytische Anämie; Konglomerate von Sichelzellen können
zu Infarkten in Gefäßen führen (akute Schmerzen in Abdomen, Knochen, Muskeln, Gelenken;
Hämaturien, pulmonale Störungen, zerebrale Anfälle).
"Hand- und Fußsyndrom" bei Gefäßverschlüssen in den Metacarpalia, Metatarsalia und
Phalangen mit Hyperämie und Schwellung. Durch Sichelzellinfarkte werden Osteomyelitiden
oder Sequestrationen begünstigt.
Primär Splenomegalie, danach Schrumpfung durch Infarkte.
Vorkommen: Bestimmte Stämme farbiger Afrikaner, auch bei nicht-negroider Bevölkerung in
Sizilien, Griechenland, Türkei, Indien.
Diagnostik: Da Hb S unter Sauerstoffentzug "erstarrt", Nachweis mit dem Sicheltest möglich:
Blutstropfen unter Deckglas liegen lassen > Entstehung von stab- und sichelförmig verformten
Erythrozyten (Drepanozyten) und Targetzellen.
Therapie: Bei Krisen reichliche Flüssigkeitszufuhr, Analgesie, sparsame Transfusion,
Immunisierung gegen Pneumokokken und HIB obligat.
HbS Träger erkranken weniger schwerwiegend an tropischer Malaria (plasmodienbefallene
Erythrozyten "sicheln" leichter und werden phagozytiert)!
Hämatologie
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Angeborene Störungen der Hämoglobunsynthse
Da zu wenig Blutfarbstoff gebildet wird, erfolgt eine Minderbeladung der Erythrozyten mit
Blutfarbstoff (Hypochromie).
Thalassämien (engl.: Thalassaemia) KASUISTIK
Pathogenese: Beta-Thalassämie häufigste Form infolge Störung der Synthese der BetaPolypeptidkette. MCH aufgrund ungenügender Produktion von Beta-Ketten vermindert.
Überschüssige Alpha-Ketten präzipitieren und verursachen erhöhten Zelluntergang. Bei AlphaThalassämie gleiche Klinik, jedoch kommt diese wesentlich seltener vor (keine Erhöhung von Hb
F und Hb A2 ).
Vorkommen: Mittelmeerländer, Kleinasien, Indochina, auch Deutschland.
Klinik:
· Thalassaemia major: Homozygoter Status, schwere hämolytische Anämie mit erheblicher
Splenomegalie, mongoloide Veränderungen des Gesichtes durch Markraumwucherung.
· Thalassaemia minor: Heterozygoter Status, mäßige hämolytische Erscheinungen.
· Thalassaemia minima: Klinisch erscheinungsfrei.
Diagnostik: Im Blutausstrich hypochrome flache Mikrozyten, Kokardenzellen
(Schießscheibenzellen), basophil punktierte Erythrozyten, Anisozytose (verschieden große
Erythrozyten) mit Poikilozytose (Vielgestaltigkeit). Osmotische Resistenz der Erythrozyten
erhöht, verbreiterter Resistenzbereich.
Hb-Analyse: Verdopplung von Hb A2 (3,5 - 7 % statt 1,5 - 3 %). Bei Thalassaemia major 30 bis
90 % Hb F, bei Thalassaemia minor und minima nur geringe Hb F-Vermehrung (2 - 10 %).
Therapie: Symptomatisch: Die Anämie erfordert regelmäßige Transfusionen, dadurch wird die
hyperplastische Erythropoese weitgehend unterdrückt und die enteral gesteigerte
Eisenabsorption normalisiert! Behandlung der Eisenüberladung durch nächtliche (s. c.) Gaben
von Desferoxamin (Eisenchelatbildner) und hohe Dosen von Vit. C (Eisenmobilisierung und ausscheidung ).
Bei Hypochromie bei Thalassaemia major ist eine Eisenmedikation kontraindiziert
(Serumeisenwert ist meist normal bis erhöht). Allogene KM-Transplantation oder Gentherapie
bei der Majorform. Bei Thalassaemia minor keine Therapie erforderlich.
Prognose bei Thalassaemia major ernst. Milzexstirpation kann hämolytische Erscheinungen
vermindern und Transfusionsfrequenz herabsetzen. Häufige Transfusionen bergen die Gefahr
einer Hämosiderose!
Sideroachrestische Anämien:
Störung der Hämsynthese (nicht Globinsynthese wie bei der Thalassämie). Mikrozytose,
Hypochromie, hoher Serumeisenwert; absorbiertes, nicht verwertbares Eisen führt zur
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Hämosiderose. Im KM Nachweis von Sideroblasten (Erythroblasten mit Granula von nicht
verwertetem Eisen).
Hb A2 und Hb F normal; kontraindiziert sind Eisenpräparate und Bluttransfusionen!
Bleianämie:
Durch Bleivergiftung Schäden an Nieren und ZNS; hämolytische Anämie mit mikrozytärer
Hypochromasie und basophiler Punktierung der Erythrozyten. Störung der Porphyrin- und damit
Hämsynthese mit starker Ausscheidung von Aminolävulinsäure und Koproporphyrin im Harn.
Porphyrien:
Angeb. Stoffwechselerkrankung mit Bildungsstörung von Protoporphyrin 9, der Grundsubstanz
für die Bildung von Hämoglobin, Myoglobin und Hämfermenten; weitere Formen s. "Hereditäre
hämolytische Anämien".
Reaktive Veränderungen des Blutfarbstoffes
Methämoglobinämie:
Vergiftung durch Nitrobenzol, Nitrit, phenacetinhaltige Medikamente (z. B. "Fieberzäpfchen");
historisch: "Windelstempel-Methämoglobinämie" durch anilinhaltige Wäschetinte oder
"Brunnenwasser-Methämoglobinämie" durch hohen Nitratgehalt des Wassers (Bakterien im
Gastroenteron reduzieren Nitrat zu giftigem Nitrit).
Klinik: Haut bietet bräunliche Zyanose; erst bei Umwandlung von mehr als 2/3 des roten
Blutfarbstoffes in Methämoglobin gefährliche Situation (>rasche i. v. Applikation von
Methylenblau oder Thionin).
Angeb. familiäre Methämoglobinämie durch das pathologische Hb M oder durch Defekt des
Enzyms Cytochrom b5-Reduktase (keine Reduktion des Hämoglobins, sondern
Spontanoxidation zu Methämoglobin).
CO-Hämoglobin:
Entstehung durch Kohlenmonoxidvergiftung (CO-Hb entsteht durch die im Vergleich zu O2
250mal höhere Affinität von CO zu Hämoglobin >kirschrotes Blut); CO-Konzentration von 0,05
Vol. % in der Atemluft führt nach mehreren Stunden zu heftigen Kopfschmerzen, Schwindel,
Ohnmachtsneigung. 0,1-0,2 Vol % nach 30 min zum Tod!
Hämatologie
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Anämien durch mangelhafte Neubildungen
15.2.5.1 Eisenmangelanämie
15.2.5.2 Megaloblastische Anämien
15.2.5.3 Hypo- und aregeneratorische Anämien
15.2.5.4 Störung der Produktion des Erythropoetins
Eisenmangelanämie
Kasuistik
Vorkommen:
Mit Abstand häufigste Anämieform bei Kindern, bevorzugt 1. - 3. Lebensjahr. Prädisponiert sind
FG, Zwillinge (feto-fetale Transfusion), Kinder von Müttern mit Eisenmangel, NG mit Blutverlust
(feto-maternale Transfusion, Blutungen bei vorzeitiger Plazentalösung oder bei Placenta
praevia).
Ätiologie/ Pathogenese:
"Kuhmilchanämie" infolge Kuhmilchallergie: Chronische Mikroblutverluste über das Enteron,
patchförmige Mukosaläsionen >unzureichende Eisenabsorption.
Bei älteren Kindern finden sich vorwiegend Blutverluste durch Wurminfektionen, Darmpolypen,
rezidiv. Nasenbluten sowie Störungen der Eisenbilanz durch eisenarme Ernährung,
Verdauungsstörungen, chronisch entzündlichen Darmerkrankungen bzw. chron. Infektionen.
Klinik:
Haut-, Schleimhaut blässe, "Infektanfälligkeit" (Teufelskreis: "Infekt" >Eisen > Infektanfälligkeit
), Appetitlosigkeit, schnelle körperliche Ermüdbarkeit, Mundwinkelrhagaden. In schweren
Fällen ist ein systolisches Herzgeräusch auskultierbar (Still-Geräusch).
Diagnostik:
Hypochrome Mikrozyten mit Anisozytose, Erythrozytenzahl normal bis  (4-5 Mill/l), stark  HbWerte bis < 8 g/dl. MCV , MCH , MCHC ; im KM vermehrt Normoblasten. Serumeisen (< 6
µmol/l), Eisenbindungskapazität , Ferritin , Plasmakupfer .
Therapie:
Ursache klären und beheben! Orale Eisensubstitution mit 5-6 mg/kg KG über 2 bis 3 Monate.
Hämatologie
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Megaloblastische Anämien
Pathogenese:
Störung der Erythropoese am häufigsten durch Mangel an Vitamin B12 und Folsäure (seltener
spielen Mangel an Kupfer und Vitamin C eine Rolle).
Häufige Ursache in Industrienationen: Streng vegetarische oder gar veganische Ernährung!
Folsäuremangel z. B. durch Ziegenmilch, Brustmilch von unterernährten Müttern. Selten aut.rez. ererbte Vitamin B12-Malabsorption durch Defekt des Rezeptors für das Vitamin B12 in der
Darmschleimhaut.
Absorptionsstörungen von Vitamin B12 bzw. Folsäure durch enterale Dysbiose,
Folsäureantagonisten (Methotrexat) oder Antiepileptika (z.B. Phenytoin).
Klinik:
Graue Blässe, Appetitlosigkeit, schlechtes Gedeihen, Infektanfälligkeit, psychische Labilität;
Leber leicht, Milz gel. vergrößert; bei chron. Vitamin B12-Mangel > atrophische Glossitis (HunterGlossitis), Parästhesien, Ataxie und Erlöschen von Sehnenreflexen.
Diagnostik:
Normochrome bis hyperchrome Anämie, Erythrozytenzahl , Makrozytose (MCV ),
Anisozytose mit Poikilozytose, basophile Punktierung, gel. Jolly-Körper (Kernrest in
Erythrozyten), Retikulozyten , Granulozyten oft , Thrombozyten selten .
Knochenmark: Megaloblasten, ungewöhnlich große Metamyelozyten und "Riesenstabkernige"
mit lockerem Chromatin.
Neben serologischer Untersuchung auch Absorptionstest von Vitamin B12 aus dem Darm ohne
und mit Intrinsic-Faktor (Schilling-Test).
Therapie:
Vitamin B12 1000 µg i. m. zunächst wöchentlich, später alle 4 Wochen. Folsäure 5 mg/d i. m. für
4 - 6 d, danach 2,5 mg/d per os für 14 d. Bei Bedarf Vitamin C 500 mg/d für 4 d per os. Bei
raschem Anstieg der Erythrozyten Hypochromie; in diesem Fall Eisensubstitution.
Hypo- und aregeneratorische Anämien
Dyserythropoetische Anämie:
Angeb. Störung der Erythropoese mit Kernatypien, z. B. Mehrkernigkeit der Erythroblasten im
Knochenmark. Hohe ineffektive Erythropoese mit leichter Bilirubinämie, Aniso-, Poikilozytose
und Neigung zur Hämosiderose.
Akute Erythroblastopenie:
Hämatologie
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Akuter Produktionsstop von Erythroblasten durch Teilungshemmung von Proerythroblasten im
Knochenmark infolge von Infektionen, allergischen Reaktionen oder Toxinen. Retikulozytenzahl
sinkt auf 0. Knochenmark arbeitet nach einigen Tagen wieder normal; deshalb tritt bei normaler
Erythrozytenlebensdauer von ca. 120 d keine klinische Symptomatik auf. Bei hämolytischer
Anämie kann jedoch eine aplastische Krise auftreten (Hb-Sturz).
Hyporegeneratorische Anämie:
Erythropoesehemmung durch unterschiedliche Erkrankungen wie chron. infektiöse Prozesse (z.
B. Pyelonephritis), chron. Niereninsuffizienz, Hypothyreose. Therapie: Grundkrankheit
behandeln, Bluttransfusionen selten erforderlich.
Hypersplenismus:
Beeinträchtigung der Knochenmark-Funktion durch humorale Wirkstoffe der Milz, verstärkter
Abbau von Erythrozyten in der vergrößerten Milz > Anämie, Granulozytopenie und
Thrombozytopenie bei hyperplastischem KM.
Aplastische Anämie (Panmyelopathie):
Pathogenese: Anämie, Granulo- und Thrombozytopenie infolge toxischer Schädigungen des
Knochenmarks durch Medikamente (Chloramphenicol, Überdosierung von Zytostatika) und
Infektionen; Knochenmark-Verödung und Ersatz durch Fettgewebe. CAVE DD beginnende
Leukämie erwägen!
Eine Panmyelopathie kann sowohl final in eine unreifzellige Leukämie übergehen als auch
Begleiterscheinung einer außerhalb des Knochenmarks im lymphatischen Gewebe ablaufenden
Leukämie sein.
Klinik: Blässe, Apathie, Appetitlosigkeit, thrombozytopenische Blutungen, HbF .
Therapie: Bluttransfusionen, Infektionsbehandlung durch Antibiotika. Prednisolon, Cyclosporin
A, humanes Anti-Lymphozytenglobulin, Knochenmark-Transplantation.
Familiäre kongenitale aplastische Anämie (Fanconi):
Progredient verlaufende Panmyelopathie mit multiplen Fehlbildungen. Kleinwuchs, Schwäche,
abnorme Hautpigmentierung und Fehlbildungen im Skelett (Daumen- oder Radiusaplasie) sowie
im Urogenitaltrakt, Mikrozephalie. Erhöhtes Risiko einer Leukämie-Entwicklung.
Kongenitale hypoplastische Anämie (Blackfan-Diamond-Erythrogenesis
imperfecta): Isolierte Anämie, keine Störung von Granulo- und Thrombozytopoese. Im
Knochenmark fehlen Erythroblasten, im peripheren Blut die Retikulozyten.
Klinisch neben Blässe Gedeihstörung und Wachstumsverzögerung.
Hämatologie
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Osteopetrose (Marmorknochenkrankheit):
Angeb. Störung der Osteoklastenfunktion bei erhaltener Knochenbildung. Bei
Röntgenaufnahmen homogene Knochenverschattung, Einengung des Markraumes.
Rezessiv erblich, maligner Typ manifestiert sich bereits im frühen Säuglings-Alter >
Knochenmark-Dysfunktion mit Anämie, Erythroblastose, Myeloblastose und
Hepatosplenomegalie. Knochenschmerzen, Spontanfrakturen. Weitere Symptome: Erblindung
durch Einklemmung des Fasciculus opticus, Schwerhörigkeit, Fazialislähmung,
hypokalzämische Tetanie.
Therapie: Knochenmark-Transplantation.
Störung der Produktion des Erythropoetins
Das Erythropoetin ist ein die Erythropoese im Knochenmark stimulierendes Glykoprotein, das
normalerweise zu 90 % in der Niere gebildet wird.
Gewebshypoxie, Hypernephrome, Zystennieren, Nierenkarzinome, auch Tumore der Leber, des
ZNS, der endokrinen Drüsen und des Uterus als ektope Bildungsstätten können zur
Stimulierung der Synthese (Polyglobulie) führen. Bei Niereninsuffizienz kommt es regelmäßig
zur unzureichenden Erythropoetin-Produktion (renale Anämie).
Therapie: Rekombinantes Erythropoetin, bes. bei Nierenersatztherapie (Hämo-,
Peritonealdialyse).
Hämatologie
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Hämolytische Anämien
15.2.6.0 Allgemein
15.2.6.1 Hereditäre hämolytische Anämien
15.2.6.2 Erworbene hämolytische Anämien
Allgemein
Klinik: Ikterus, meist Splenomegalie.
Hämolysezeichen:
Indirektes Bilirubin , Retikulozyten , Polychromasie, Anisozytose, LDH  und HBDH (LDHIsoenzym 1) , Haptoglobin . Hämoglobinämie und Hämoglobinurie möglich. Nachweis von
Urobilinogen und Urobilin im Harn; Urobilin im Stuhl.
Hereditäre hämolytische Anämien
Membrandefekte der Erythrozyten
Hereditäre Sphärozytose (Kugelzellanämie): Kasuistik
Kugelförmige Erythrozyten = Sphärozyten (siehe auch Bild 1, Bild 2, Bild 3) werden verstärkt
durch die Milz eliminiert; ein in Deutschland rel. häufiges dominantes Erbleiden (etwa 1 : 5000
Geburten).
Klinik: Blässe bei Kleinkindern, dezenter Haut- und Sklerenikterus; bei älteren Schulkindern:
Ausprägung und damit klinische Symptomatik unterschiedlich stark. Meist Diagnosestellung erst
im Kleinkind- und Schulkind-Alter. Bei schwerer Verlaufsform auch schon im Säuglingsalter
Transfusionen erforderlich!
Schubweiser Verlauf mit hämolytischen, z. T. auch aplastischen Krisen und oft stark
ausgeprägter Splenomegalie; stark erhöhter Anfall von Bilirubin kann zur Gallensteinbildung
auch schon im frühen Kindesalter oder später zu einer Leberschädigung führen! Infektionen
oder körperliche Streßsituationen können hämolytische Krisen auslösen.
Diagnostik: Normochrome Anämie, Anisozytose; Retikulozytenzahl meist  (außer in
aplastischer Krise); bei verstärkter Regeneration polychromatische Makrozyten auch neben
normalen Erythrozyten; z. T. auch kernhaltige Zellen peripher; MCV normal; osmotische
Resistenz der Erythrozyten , indirektes Bilirubin !
Therapie: Vermeidung von rezidivierenden Infektionen oder körperlichem Streß; durch
Milzexstirpation Aufhebung der Hämolysen und Erreichen einer normalen
Erythrozytenüberlebensdauer. Im Vorschulalter zurückhaltend mit Milzexstirpation hinsichtlich
der Ausreifung des Immunsystems (vor Milzexstirpation Pneumokokken- und HIB-Vakzination
obligatorisch!)
Hämatologie
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Erythropoetische Porphyrie (Günther-Krankheit):
Porphyrinreiche Erythrozyten fluoreszieren und haben eine verkürzte Lebensdauer;
hämolytische Anämie mit Milztumor; im Überschuß vorhandenes Porphyrin bewirkt
Lichtüberempfindlichkeit der Haut mit Blasen- und Narbenbildung (Hydroa vacciniformis).
Rotfärbung der Zähne (Erythrodontie) und des Urins durch Uro- und Koproporphyrin I.
Besserung der Klinik durch Splenektomie möglich.
Erythropoetische Protoporphyrie:
Leichte Krankheitserscheinungen mit Lichtüberempfindlichkeit der Haut. Rot fluoreszierende
Erythrozyten, aber ohne Anämie, ohne Erythrodontie und ohne Porphyrinausscheidung im Harn.
Überschüssige Bildung von Protoporphyrin 9 in den Erythrozyten.
Hepatische Porphyrie (akute intermittierende Porphyrie):
Meist nach Pubertät abdominelle Schmerzanfälle. Störung im Aufbau der Leberkatalase. HbSynthese im Knochenmark nicht gestört!
Hereditäre Elliptozytose:
50 bis 90 % der Erythrozyten mit Ellipsenform; Überlebensdauer nur mäßig verkürzt.
Enzymdefekte der Erythrozyten
Meist aut.-rez. Erbgang, Makrozyten möglich, osmotische Resistenz der Erythrozyten normal
Defekte der Glykolyse:
Durch Glykolysestörung wird zu wenig ATP produziert; Auswahl von Enzymdefekten:
· Hexokinasedefekt
· Hexoseisomerasedefekt
· Pyruvatkinasedefekt
Pyruvatkinasedefekt ist der häufigste Defekt; Manifestation schon im Säuglings-Alter, in
schweren Fällen Splenektomie!
Defekte des Pentosephosphatzyklus:
Zu wenig NADPH produziert; Defekte:
· 6-Phosphoglukonatdehydrogenase-Defekt
· Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase-Defekt:
Besonders betroffen sind farbige Afrikaner, Bewohner aus dem Mittelmeerraum, Orient und
Ostasien; spontane hämolytische Anämien selten; häufige akute hämolytische Krisen, ausgelöst
Hämatologie
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durch Substanzen, die eine oxidative Schädigung am Erythrozyten auslösen (z. B. Sulfonamide,
Phenacetin, Nitrofurantoine), Blutfarbstoffdenaturierung mit Innenkörperausfällung (HeinzKörper).
Defekte des Glutathionstoffwechsels:
Kompensierte Hämolyse. Arzneimittel können Krisen auslösen z. B. beim GlutathionreduktaseDefekt.
Erworbene hämolytische Anämien
Immunologisch bedingte Membranschäden
Hämolytische Anämien durch Autoantikörper ("autoimmun-hämolytische Anämien")
Pathogenese: Auslöser: Infektionen (Hepatitis, infektiöse Mononukleose, MykoplasmenPneumonie), maligne Lymphome, Kollagenosen. Inkomplette Wärmeagglutinine der IgG-Klasse;
Wärmehämolysine; Kälteagglutinine der IgM-Klasse (z. B. bei Mykoplasmen-Pneumonie
möglich). Kältehämolysine (z. B. paroxysmale Hämoglobinurie-Ak haften bei Kälte und führen
bei Erwärmung zur Hämolyse).
Spontane Entstehung von Auto-Ak im Zusammenhang mit Medikamenteneinnahme. Klinik:
Akute, subakute oder chron. Verläufe > Erbrechen, Bauch- und Rückenschmerzen, Fieber,
Blässe, dezenter Ikterus, Abgeschlagenheit, Splenomegalie.
Diagnostik: Anisozytose, Kugelzellen (Ak-Einwirkung), kernhaltige rote Zellen; Hämoglobinurie,
manchmal zusätzl. immunpathogene Thrombozytopenie (Evans-Syndrom). Coombs-Test meist
positiv.
Therapie: In schweren Fällen Transfusion, aber Vorsicht, da durch Komplementzufuhr im
Blutplasma erneute hämolytische Krisen ausgelöst werden können (Erythrozyten sollen deshalb
gewaschen sein!). Kortikosteroide (2 mg/kg Körpergewicht initial); Immunsuppressiva (z. B.
Azathioprin), Immunadsorption. Bei Therapieresistenz und weiterer Hämolyse auch
Splenektomie!
Paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie
Pathogenese: Erworbene, erythrozytär bedingte hämolytische Anämie mit verstärkter Hämolyse
während des Schlafes. Infolge veränderter Oberflächenstrukturen der Erythrozyten (defekter
Membranverankerungs- mechanismus für komplementregulierende Proteine) kommt es zur
Aktivierung von Komplement und somit zur Hämolyse.
Klinik: Tief dunkelgefärbter Morgenurin (Hämoglobinurie); hämolytische oder aplastische Krisen,
ausgelöst durch OP, Bluttransfusion, Medikamente, Infektionen oder Streß. Neben
unterschiedlich schweren Anämien häufig auch Leuko- und Thrombozytopenie.
Diagnostik: Positiver Säure-Serum-Test. Normochrome makrozytäre Anämie (bei Eisenmangel
jedoch hypochrom mikrozytär) mit Hämolysezeichen. Hämosiderin im Harnsediment;
osmotische Resistenz der Erythrozyten vermindert.
Hämatologie
15
Therapie: Transfusion gewaschener Erythrozyten; zur Thromboseprophylaxe evtl.
Cumarinderivate; Splenektomie unwirksam. In schweren Fällen Knochenmark-Transplantation.
Komplikationen: Thrombose und Thromboembolie (Lebervenen, Pfortader, mesenteriale und
zerebrale Venen); Niereninsuffizienz; Infektionen;
Prognose: Abnahme der Hämolyse mit zunehmendem Lebensalter; annähernd normale
Lebenserwartung bei etwa 50 % der Patienten.
Hämolytische Anämie des Neugeborenen durch Blutgruppen-Inkompatibilität
Erythroblastose (M. haemolyticus neonatorum) s. Neonatologie
Kasuistik
Definition:
Induktion einer Hämolyse beim Neugeborenen durch Blutgruppeninkompatibilität!
· Rhesus-Inkompatibilität bei Rh-negativer Mutter und Rh-positivem Kind
· AB0-Inkompatibilität bei Mutter = 0 und Kind = A, B, oder AB
· Iso-Immunisierung gegenüber selteneren Blutgruppenfaktoren (Kell, Duffy, Kidd u. a.)
Pathogenese der Rhesus-Inkompatibilität:
Rh-(d)-negative Mutter (d. h. Fehlen der Antigeneigenschaft D auf der Erythrozytenoberfläche).
Übertritt von Erythrozyten mit der Eigenschaft D in den mütterlichen Kreislauf:
1. Bei vorausgegangener Geburt eines Rh-(D)-positiven Kindes
2. Während eines Abortes eines Rh-(D)-positiven Feten
3. Im Rahmen einer vorausgegangenen Transfusion von Blutkonserven (D) an die Mutter
4. Während der Frühschwangerschaft eines Rh-(D)-positiven Kindes (sehr selten)
Folgen:
Bildung von Allo-Ak der Klasse IgG durch die Mutter gegen die antigene Blutgruppeneigenschaft
D ( = Sensibilisierung, dazu genügen ca. 0,1 ml Blut). Diaplazentarer Übergang der Ak in den
Kreislauf des Feten. Auslösung einer Hämolyse durch:
Hämatologie
16
Bindung der inkompletten IgG-Ak an das Erythrozytenantigen der Erythrozytenoberfläche beim
Patienten Aktivierung des Monozyten-Makrophagen-System vorzeitiger und vermehrter
Abbau der fetalen
Erythrozyten (Hämolyse).
Anämie
und Anstieg des Bilirubins, kompensatorische Steigerung der Erythropoese (in Leber
und Milz),
Hepatosplenomegalie (=extramedulläre Blutbildung) und Anstieg der Erythroblasten und
Retikulozyten!
Schweregrade:
1. Anaemia neonatorum (leichte Erkrankung Hb < 12 g/l, Hk 0,35-0,45)
2. Icterus gravis (mittelschwere Erkrankung Bilirubin > 270 µmol/l, Hk 0,28- 0,35)
3. Hydrops fetalis (schwere Erkrankung Hb < 9 g/l, Hk < 0,27)
Entwicklung eines Hydrops fetalis universalis durch schwere Anämie, Gewebshypoxie
(Entwicklung einer Azidose) und Hypoproteinämie (erhöhte Gefäßpermeabilität besonders für
Proteine, verminderte Albuminsynthese in der Leber Entwicklung generalisierter Ödeme mit
Aszites, Pleuraerguß und Lungenödem), Herzinsuffizienz.
Pathogenese der AB0-Inkompatibilität:
Isoantikörper der Klasse IgM gegen die Blutgruppen A oder B sind nicht plazentagängig!
Zusätzlich kann jedoch eine Mutter mit Blutgruppe O Ak der Klasse IgG gegen fetale
erythrozytäre Antigene bilden: Übergetretene Erythrozyten, inkompatible Bluttransfusion,
Injektion von Impfstoffen oder Seren (-enthalten häufig A-ähnliche Bestandteile), Aufnahme
von A- oder B-ähnlichen Substanzen (vermutlich Bakterien-bestandteile), humorale
Sezernierung von Blutgruppensubstanzen, welche diaplazentar übertreten.
Folge:
Geringere Hämolyse im Vergleich zur Rhesusinkompatibilität infolge
1. Neutralisierung der AB-Ak durch AB-Antigene der Plazenta
2. Unvollständig ausgebildete A- bzw. B-Antigentität auf den Erythrozyten des Kindes, d. h. nur
leichte Anämie, geringe Retikulozytose und Erythroblastose, Icterus praecox, selten Icterus
gravis kein intrauteriner Hydrops fetalis!
Hämatologie
17
Anamnese:
Ausführliche mütterliche Anamnese bei entsprechender Blutgruppenkonstellation über
vorrausgegangene Schwangerschaften, Aborte, Bluttransfusionen oder bekannte Ak-Befunde.
Klinik:
Abhängig vom Schweregrad der Erkrankung. AB0-Inkompatibilität macht weniger
schwerwiegende Symptome als eine Rhesus-Inkompatibilität. Das NG kann durch folgende
typische Symptome auffallen:
Tachykardie/Tachypnoe, Blässe. Hepatosplenomegalie; Icterus praecox und Icterus gravis
(Gefahr eines Kernikterus!)
Diagnostik:
Pränatal:
Blutgruppe der Mutter = Rh-(d)-negativ  indirekter Coombstest zum Nachweis irregulärer Ak
und deren Identifikation sorgfältige Überwachung der Schwangerschaft mit spektroskopischer
Untersuchung des Fruchtwasser auf Bilirubin (Extinktion bei 450nm)  Klassifikation des
Schweregrads n. LILEY.
Engmaschige Ultraschalluntersuchung (Hydrops?).
Postnatal aus Nabelschnurblut:
Blutgruppe des Kindes mit Rhesusfaktor, direkter Coombstest (Nachweis von an Erythrozyten
haftenden irregulären Ak). Bei AB0-Inkompatibilität aufgrund der Antigenunreife meist negativ!
Bilirubin (indirektes Bilirubin ), BB (Anämie Hb < 12-15 g/dl, Retikulozytose (> 50 %),
Kugelzellen (im Fall einer AB0-Inkompatibilität), Protein , Albumin , BZ (Hypoglykämie durch
Hyperinsulinismus).
Komplikationen:
Kernikterus (Bilirubinenzephalopathie) Eindringen von unkonjugiertem, nicht an Albumin
gebundenem Bilirubin in das ZNS aufgrund seiner lipophilen Eigenschaft. Irreversible
Schädigung im Bereich der Basalganglien, des Globus pallidus, Nucleus caudatus,
Hypothalamus und einiger Kerngebiete von Hirnnerven!
Zusätzliche Risikofaktoren: Hypoxie, Hyperkapnie, Azidose, Hypalbuminämie, Hypothermie,
Unreife.
Hämatologie
18
Klinik: Fieber, muskuläre Hypertonie, Opisthotonus, zerebrale Anfälle, Lethargie, schrilles
Schreien; Defektheilung mit mentaler Retardierung, Taubheit, Choreoathetose.
Therapie:
Pränatal je nach Schweregrad:
1. Abwartend und postnatale Therapie
2. Intrauterine Transfusion (via Nabelvene) von 0, Rh-(d)-negativem Blut, vorzeitige Entbindung
(Kaiserschnittentbindung ab 32. SSW).
Postnatal:
1. Eiweißsubstitution bei Hypoproteinämie (BisekoR 10 ml/kg KM)
2. Immunglobuline (500 mg/kg KM als Kurzinfusion über 2 Std.) bei Rh-Inkompatibilität
3. Phototherapie bei leichten Verläufen (nach Indikationswerten)
4. Blutaustauschtransfusion (nach Indikationswerten)
Therapie des Hydrops fetalis:
- Primärversorgung sorgfältig vorbereiten (Reanimationsplatz, Kontrolle aller Geräte,
Instrumente, Medikamente, ausreichend Personal)!
- Primäre Intubation und Beatmung
- Punktion und Entlastung von Ergüssen (besonders pleural) und Aszites
- Schaffung eines zentralen ( NVK) und mehrere periphere Zugänge
- Kreislauftherapie (Eiweißsubstitution, Volumen, Katecholamine)
- Transfusion bzw. Austauschtransfusion
- Korrektur von Azidose und Gerinnungsstörungen
- Überwachung aller vitalen Parameter, s. a. Reanimation!
Hämatologie
19
Prophylaxe:
Gabe von Anti-D-Immunglobulin (= Anti-D-Prophylaxe) an eine Rh-(d)-negative Mutter nach der
Geburt eines Rh-positiven Kindes, auch nach Aborten und Amnionzentese oder
unsachgemäßen Transfusionen mit Rh-positivem Blut.
Präpartale Anti-D-Prophylaxe in der 28.-29. SSW einer Rh-(d)-negativen Schwangeren.
Hämolytischer Transfusionszwischenfall:
Entweder besitzt der Empfänger natürliche Ak in Form von Isoagglutininen oder erworbene Ak
gegen die transfundierten Erythrozyten oder im Spenderplasma können Immun-Ak gegen A
oder B bei Spendern der Gruppe O enthalten sein. Klinik: Fieber, Dyspnoe, Schüttelfrost,
Hypotonie, Tachykardie, Urtikaria, Übelkeit, Erbrechen.
Therapie: Transfusion sofort stoppen! Weiteres Prozedere gemäß den Richtlinien der
Schockbehandlung (Volumenersatz, Kortikosteroide, ggf. Katecholamine, Azidoseausgleich,
Diuresesteigerung).
Toxische Membranschäden:
Auslösung durch Toxine oder Arzneimittel (Resorcin, Phenothiazin in Wurmmitteln, Naphthalin in
Mottenkugeln). Innenkörperanämien > Hämoglobinämie und Hämoglobinurie; Bilirubinämie kann
zum Kernikterus führen (Austauschtransfusion angezeigt in schweren Fällen). Anisozytose,
Poikilozytose mit Erythrozytenfragmenten.
Bleivergiftung:
Leichte Hämolyse, Störung der Hb-Synthese; Hypochromie, Koproporphyrinurie; basophil
punktierte Erythrozyten.
Parasitäre und bakterielle hämolytische Anämien:
Durch Plasmodien, Streptokokokken, Staphylokokken, Choleravibrionen, Chlostridien,
Salmonellen.
Hämatologie
20
Hämolytisch-urämisches Syndrom:
S. Nephrologie u Kasuistik
Definition:
Akute Erkrankung mit hämolytischer Anämie, Thrombozytopenie und akuter Niereninsuffizienz.
Häufigste Ursache der akuten Niereninsuffizienz im Kindesalter. Unterteilung in
typische Form: Enteropathisches HUS mit Nachweis von enterohämorrhagischen E. coli (EHEC)
= E+-HUS; atypische Form: Nicht enteropathisches HUS = E-HUS.
Epidemiologie:
Säuglinge und Kleinkinder : 80-90 %, Vorkommen epidemisch, ländliche Gebiete.
Schulkinder: Vorkommen sporadisch, meist ohne Prodromi.
Ätiologie:
Der Ätiologie folgend wird unterschieden in (modifiziert nach Misselwitz)
Typisches HUS (enteropathisches HUS, E+-HUS, D+-HUS); ~ 80 – 90 % aller HUS, ausgelöst
durch shigatoxinproduzierende Bakterien; Durchfall meist hämorrhagisch als Prodrom
Atypisches HUS (E--HUS, D--HUS); ~ 10 – 20 % aller HUS), kein Durchfall in der Anamnese
hcsihtapoidI ‫ﻌ‬
- familiär, genetisch bedingt (Faktor H-Defizit)
- sporadisch, rezidivierend
rädnukeS ‫ﻌ‬
- bei nicht enteritischen Infektionen (Pneumokokken)
- bei primären Glomerulopathien
- bei Medikamenten (Cyclosporin A, Tacrolimus, Kontrazeptiva, Kokain, Mitomycin)
- während der Schwangerschaft
- nach Knochenmarktransplantation
- bei Malignomen
- bei Kollagenosen/Vaskulitiden
- bei AIDS
Hämatologie
21
Pathogenese bei „typischem“ HUS (D+-HUS):
01( negnemneiretkaB negnireg tim semraD sed gnureisinoloK ‫ ە‬2 Keime/ml), die sich durch hohe
Säurestabilität und ausgeprägte Adhärenz auszeichnen.
8 ruN ‫ –ە‬14 % der mit EHEC Infizierten entwickeln ein HUS
d nerutkurtS etmmitseb na enixoT red nekcodnA saD ‫ە‬er Erythrozytenoberfläche und an
spezifische Glykolipidrezeptoren (Gb3) der Endo- und Epithelzellen in der Nierenrinde und in
den Tubuluszellen führt zur Hemmung der Proteinsynthese und damit zur Zellschädigung mit
konsekutivem Zelltod. Die Endothelläsionen begünstigten die Entstehung einer lokalen
Thrombose. Diese prägt zusammen mit einer Wandverdickung von Arteriolen und Kapillaren das
morphologische Bild der thrombotischen Mikroangiopathie ( Thrombozytenablagerung).
a SUH nehcsipyta mieb ssezorP enebeirhcseb red exoN ehclew hcruD ‫ ە‬usgelöst wird und damit
der Weg für die thrombotische Mikroangiopathie gebahnt wird, ist noch unbekannt.
SUH edieb rüf dnediehcstnE ‫ە‬-Formen, im Mittelpunkt steht eine lokale intravasale Gerinnung,
ausgelöst durch Läsion des vaskulären Endothels mehrerer Organe oder Organsysteme
Klinik:
Meist infolge Gastroenteritis durch verotoxinproduzierende E. coli, Shigellen, Viren > perakut
hämolytische Krisen mit schwerer Anämie, Blässe, Ikterus, Hautblutungen. Akute
Niereninsuffizienz mit Oligurie oder Anurie. Hypertonus, Ödeme, Lungenödem; akutes Abdomen
bei Nekrotisierender Enterokolitis. Enzephalopathie mit Hirnödem, Somnolenz, zerebralen
Anfällen, Paresen, Koma.
Diagnostik:
Blut: Normochrome Anämie mit Fragmentozyten (entstehen durch mechanische Zerstörung der
Erythrozyten an Thromben), Thrombozytopenie, Retikulozyten , Retentionsparameter ,
Entzündungsparameter , Elektrolytstörungen (Hyperkaliämie), metabolische Azidose,
Laktatdehydrogenase  ( Hämolyseparameter), Bilirubin, Aminotransferasen, freiem
Hämoglobin, Haptoglobin .
Urin: Harnmenge, Harndichte, Proteinurie, freies Hämoglobin, Alaninaminopeptidase, N-azetylglukuronidase (Tubulusenzyme, Ausdruck der tubulären Schädigung).
Stuhl: pH, okkultes Blut, Erreger.
Sonographie (deutlich erhöhte Echogenität), Dopplersonographie: verminderte
Nierendurchblutung; EEG initial und im Verlauf (zur Beurteilung der Grundaktivität,
Spitzenpotentiale, Herdbefund), EKG, Röntgen-Thorax (Lungenödem).
Therapie:
Behandlung der Gastroenteritis, bei septischem Verlauf Antibiose. Genaue
Flüssigkeitsbilanzierung (Harnmenge des Vortages + Perspiratio insensibilis).
Hämatologie
22
Versuch der Gabe von Diuretika, um Diurese zu erhalten (Furosemid); Elektrolytkorrektur
(kaliumfreie Lösungen, evtl. Kationenaustauscher). Puffer-Therapie (leichte Alkalisierung
unterstützt die Nierenfunktion!). Transfusion nur bei lebensbedrohlicher Anämie (unterhält
Hämolyse, keine Verkürzung der Krankheitsdauer). Frischplasma, AT III zur Normalisierung der
plasmatischen Gerinnung; antihypertensive Therapie. Ggf. akute Hämodialyse,
Peritonealdialyse.
Verlauf:
Anurie im Regelfall 6-8 Tage. Marker für Aktivität der Erkrankung: Fragmentozyten,
Thrombozyten, LDH. Anämie persistiert noch Wochen; Hypertonus inkonstant.
Prognose:
In ca. 70 % Heilung; in ca. 20 % Defektheilung mit chron. Niereninsuffizienz, Hypertonus.
Letalität < 10 %. Günstig sind kurze Prodromi, saisonales Auftreten, Erkrankung von
Kleinkindern.
Mechanische Membranschäden
Schädigung der Erythrozyten durch Kunststoff (z. B. künstliche Herzklappen,
Gefäßendoprothesen); häufig unklares Fieber. Erhöhte Eisenausscheidung im Harn mit
Entstehung eines Eisenmangels; Anisozytose, Poikilozytose, Erythrozytenfragmente.
Oxydative Membranschäden
Infantile Pyknozytose:
Bei Säuglingen mit Vitamin E-Mangel; mäßige Hämolyse durch Peroxid, bizarre Erythrozyten
Anämie durch Blutverlust
Akute Blutungsanämie:
Pathogenese: Placenta praevia, vorzeitige Plazentalösung, M. haemorrhagicus neonatorum (Vit.
K-Mangel -Blutung), fetomaternale Transfusion. Zustand nach Tonsill- oder Adenotomie,
Nasenbluten, Darmblutungen (z. B. Polypen, Meckel-Divertikel, Ulkus).
Kompensatorischer Einstrom von Gewebsflüssigkeit in die Blutbahn und gleichzeitig erhöhte
Markproduktion, so daß in 4 bis 5 Tagen Retikulozyten verstärkt ins periphere Blut
ausgeschwemmt werden. Therapie: Lokale Blutstillung, Bluttransfusion, in schweren Fällen
zunächst Volumenersatz, Eisensubstitution im Bedarfsfall.
Chronische Blutungsanämie:
Pathogenese: Meist infolge Magen-Darm-Blutungen (z. B. chron. Ösophagitis (GÖR),
Erosionen, Kuhmilchallergie, Magen- und Duodenalulkus, Hiatushernie, Meckel-Divertikel,
Hämatologie
23
chron. entzündliche Darmerkrankungen, Polypen, Oesophagusvarizen, Darmparasiten).
Geringgradige chron. Blutungen können durch verstärkte Erythropoese kompensiert werden.
Diagnostik: Eisenmangel mit Hypochromie und Mikrozytose; Serumeisen  und
Eisenbindungskapazität , okkultes Blut im Stuhl!
Infektanämie
Pathogenese:
· Störung des Eisenstoffwechsels: Eisenspiegel , da Eisen im RES (retikuloendotheliales
System) gebunden wird und somit weniger Eisen zur Hb-Synthese zur Verfügung steht; gel.
auch Störung des Eiseneinbaus in das Häm.
· Hemmung der Erythropoese: Störung des Stoffwechsels und damit auch der Absorption
erythropoetisch wirksamer Vitaminen.
· Verkürzung der Lebensdauer der Erythrozyten: Infektionsbedingte Hämolysen und Bildung von
Auto-Ak möglich.
· Akute Teilungsstörung der Erythroblasten
Therapie:
Bekämpfung der Infektion; bei schweren Infektionen kann selten eine Transfusion erforderlich
sein (Hämolyse, Aplasie). Eisentherapie nutzlos!
Hämatologie
Einteilung der Anämien nach dem Erythrozytenvolumen
1. Mikrozytäre Anämien (MCV , MCH oft )
1. Eisenmangelanämie
2. Thalassämiesyndrome
3. Sideroachrestische Anämien
4. Chronische Infektanämien
5. Chronische Bleivergiftung
6. M. Gaucher
7. Einige kong. hämolytische Anämien
8. Nicht klassifizierbare Formen
2. Makrozytäre Anämien (MCV , MCH nicht immer )
1. Mit megaloblastären Veränderungen im Knochenmark
Vitamin B12-Mangel
Folsäuremangel
2. Ohne megaloblastäre Veränderungen im Knochenmark
Aplastische Anämien
Diamond-Blackfan-Anämie
Dyserythropoetische Anämien
Einige hämolytische Anämien mit starker Retikulozytose
Lebererkrankungen
Hypothyreose
24
Hämatologie
25
3. Normozytäre Anämien (MCV in der Regel normal, MCH normal)
1. Hämolytische Anämien
Kong. Formen ( Membrandefekte, Enzymdefekte, anomale Hämoglobine)
Erworbene Formen (immunhämolytische Anämien, mikroangiopathische hämolytische
Anämien)
2. Akuter Blutverlust
3. Bildungsstörungen bei Markverdrängung (können auch makrozytär sein)
4. Bildungsstörungen bei chron. Nierenerkrankung
Interpretationshilfen
Zu 1: Mikrozytäre Anämien (MCV , MCH meist , Retikulozyten normal bis
gering )
Eisenmangel häufigste Ursache; bei normalem Eisen an Thalassämie denken (HbA2, HbF);
selten anomale Hämoglobine. Extrem selten: Sideroachrestische Anämien, Bleivergiftung. M.
Gaucher bei zunehmender Hepatosplenomegalie.
Zu 2: Makrozytäre Anämien (MCV )
Lebererkrankung, Hyperthyreose; Megaloblasten im Knochenmark > Vitamin B12- und FolsäureMangel.
Zu 3: Normozytäre Anämien (MCV normal, MCH normal)
a) Retikulozyten , Leuko- und Thrombozyten normal
- isolierte Erythropoesestörung > meist erworbene passagere aregeneratorische Anämie
(angeb. Form: Diamond-Blackfan sehr selten)
- aplastische Krisen bei hereditären hämolytischen Anämien; häufig durch die Erythropoese
supprimierende Parvoviren (akute Anämie, fehlende Retikulozyten, fehlende Verstärkung des
Ikterus)
b) Retikulozyten , häufig Thrombozytopenie, Leukozyten variabel
- Aplastische Anämie, Leukämie, Hyperspleniesyndrom
Knochenmark-Beurteilung erforderlich.
Hämatologie
26
c) Retikulozyten 
- Regeneration nach hämolytischer Anämie oder Blutverlust
- Peripherer Blutausstrich bei hämolytischer Anämie: Kugelzellen, Elliptozyten, Stomatozyten
- Kugelzellen bei hereditärer Sphärozytose (osmotische Resistenz!) und bei
immunhämolytischen Anämien (Coombs-Test)
- Fragmentozyten (Eierschalenformen), typisch für das hämolytisch-urämische Syndrom (HUS),
die thrombotische thrombozytopenische Purpura (Moschcowitz-Syndr.) und die disseminierte
intravasale Koagulopathie (DIC)
- Targetzellen und Sichelzellen bei anomalen Hämoglobinen und Thalassämie-Syndromen (HbAnalyse)
- normale Erythrozytenmorphologie > Enzymdefekte, instabile Hämoglobine, kong.
dyserythropoetische Anämie
- Innenkörper in Retikulozyten > instabile Hämoglobine, Glukose-6-PhosphatDehydrogenasemangel oder toxische Hämoglobinschäden.
Hämatologie
27
Gerinnungssystem
15.4.0 Allgemeines
15.4.1 Hämorrhagische Diathesen
Allgemein
Das Gerinnungssystem des Körpers schützt vor Blutverlusten sowie vor überschießender
Gerinnung (Hypo- bzw. Hyperkoagulation). Ein physiologisches Gleichgewicht ermöglicht im
Normalfall die komplexen Funktionen des Gerinnungsystems. Störungen führen hingegen zu
einem Ungleichgewicht zwischen Aktivatoren und Inaktivatoren des Gerinnungssystems und
verursachen entsprechende Symptome.
Physiologie der Blutstillung (Hämostase):
· Primäre Blutstillung:
Vasokonstriktion und Plättchenaggregation nach Gefäßwandverletzung (Kollagenfreilegung und
freiwerdendes ADP initiieren die Aggregation). Mitwirkung von v.Willebrand-Faktor,
Arachidonsäure, Thromboxan > Bildung des "weißen Plättchenthrombus =
Abscheidungsthrombus"; prim. Phase ist nach ca. 3-7 Min. beendet (Bestimmung durch
Blutungszeit n. IVY)!
· Sekundäre Blutstillung:
Aktivierung des plasmatischen Gerinnungssystems ausgelöst durch Gewebsthromboplastin
(exogenes System) oder negativ geladene Fremdoberflächen (endogenes System). >Verklebung
des weißen Plättchenthrombus durch Fibrin und Retraktion durch ein Thrombozytenprotein
(Thrombasthenin).
Sekundäre Blutstillung:
endogene Aktivierung
Faktoren I, II, V, VIII, IX, X, XI, XII; langsame Gerinnung, Kontrolle durch PTT
exogene Aktivierung
Faktoren I, II, V, VII, X, schnelle Gerinnung, Kontrolle durch Thromboplastinzeit = Quick)
Aktivierung des endogenen Systems über Kontaktaktivierung von F XII unter Beteiligung von
Plättchenfaktor 3, exogenes System über Gewebsverletzung (Gewebsthromboplastin).
Hämatologie
Blutgerinnungsfaktoren:
I
Fibrinogen
II
Prothrombin
(III)
Gewebethromboplastin (III nicht üblich)
(IV)
Kalziumionen (Ca2+ )
V
Proakzelerin, Plasma-Akzelerator-Globulin, labiler Faktor
(VI)
Akzelerin
VII
Prokonvertin, stabiler Faktor, Prothrombinogen, Serum prothrombin conversion
accelerator (SPCA)
VIII
antihämophiles Globulin (AGH), antihämophiler Faktor (AHF)
IX
Christmas-Faktor, Plasma thromboplastin component (PTC)
X
Stuart-Prower-Faktor
XI
Rosenthal-Faktor, Plasma thromboplastin antecedent (PTA)
XII
Hageman-Faktor
XIII
fibrinstabilisierender Faktor (FSF), Laki-Lorand-Faktor, Fibrinoligase
PF 3
Plättchenfaktor 3 (Phospholipide)
Die Faktoren II, VII, IX, X, XI, XII, XIII sind Proenzyme, die zu den aktiven Faktoren in der
Kaskade umgewandelt werden. Va und VIIIa sind Akzeleratoren!
28
Hämatologie
29
Plasmatische Gerinnung
Inhibitoren des Gerinnungssystems:
Antithrombin III:
Inhibiert die Serumproteasen Thrombin und F Xa durch Komplexbildung, in erster Linie mit
Thrombin. Bei AT III-Mangel steigt das Thromboserisiko, da intravasal anfallendes Thrombin nur
unzureichend inaktiviert wird.
Protein C:
Vit. K-abhängige Synthese; zerstört die Akzeleratoren Va und VIIIa.
Protein S:
Vit. K-abhängige Synthese; Co-Faktor des Protein C.
Heparin:
Aktivierung von AT III und damit indirekte Thrombinhemmung (s. o.); bei AT III-Defizit
mangelnde Wirksamkeit. Ind.: Thrombembolieprophylaxe, -therapie, extrakorporaler Kreislauf,
DIC. Als Antidot wirkt Protaminsulfat >1 mg neutralisiert ca. 100 IE Heparin!
Hämatologie
30
Cumarin:
Vit. K-Antagonist; hemmt die Synthese der Faktoren des Prothrombinkomplexes (II, VII, IX, X)
und Protein C bzw. S.
Ind.: Z. n. Herzklappenersatz, bei hereditärer Thromboseneigung, Sekundärprophylaxe n.
venösen Thrombosen.
Wechselwirkung zwischen Gerinnungssystem und Fibrinolyse
Hämatologie
31
Thrombozyten:
Von Megakaryozyten im Knochenmark gebildete kernlose Blutbestandteile.
Hauptfunktion: Aufrechterhaltung der Hämostase.
Durch Einwirkung verschiedener Substanzen (Kollagen, Thrombin, Immunkomplexe u. a.)
aggregieren und degranulieren Thrombozyten. Dabei geben sie ihre Plättchenfaktoren frei, die
die Blutgerinnung im endogenen System einleiten, und einen Thrombus bilden, der sich durch
Aktivierung von Thrombasthenin kontrahiert. Abbau der Thrombozyten in der Milz;
Lebensdauer 8-12 d (ca. 66 % der Thrombozyten befinden sich in der Blutbahn, ca. 33 %
"abrufbereit" gepoolt in der Milz).
Hämatologie
32
Hämorrhagische Diathesen
15.4.1.0 Allgemein
15.4.1.1 Angeborene Koagulopathien
15.4.1.2 Erworbene Koagulopathien
15.4.1.3 Vaskulopathien
Allgemein
Sammelbezeichnung für Krankheitszustände, die durch Blutungsneigung bzw. Auftreten
spontaner, schwer stillbarer Blutungen gekennzeichnet sind. Unterscheidung angeb. (primären)
von erworbenen (sekundären) hämorrhagischen·Diathesen in Abhängigkeit von der
zugrundeliegenden Störung:
· Koagulopathien (Störungen der Plasmafaktoren)
· Vasopathie
· Thrombozytopenie, -pathie; häufigste Ursache einer Blutungsneigung
Koagulopathien:
Angeb. Defektkoagulopathie (u. a. Hämophilie, v. Willebrand-Jürgens-Syndrom,
Dysfibrinogenämie), erworben bei Lebersynthesestörungen oder Vit. K-Mangel (M.
haemorrhagicus neonatorum); Immunkoagulopathie (u. a. SLE, Hemmkörperhämophilie);
Verbrauchskoagulopathie.
Vaskulopathie:
Angeb. (u. a. M. Osler, Ehlers-Danlos-Syndrom),
erworben (u. a. Purpura Schoenlein-Henoch).
Thrombozytopenie bzw. -pathie:
Bildungs-, Reifungsstörungen, Verbrauch, gesteigerter Abbau, Immunthrombozytopenie.
Diagnostik
Hämatologie
33
Anamnese: Epistaxis, Medikamenteneinnahme (u. a. ASS), Blutung nach Minimaltraumen (z. B.
Zahnextraktion, Impfung), familiäre Belastung.
Blutungstypen:
· Punktförmige Blutungen (Petechien) bes. bei vaskulärer bzw. thrombozytärer Diathese.
· Großflächige Blutungen, scharf begrenzt (Ekchymosen) und Hämatome (auch Hämarthros) bei
Koagulopathien.
· Schleimhautblutungen bei Thrombozytopenie
Orientierende Laboruntersuchungen bei Gerinnungsstörungen
Hämatologie
34
Angeborene Koagulopathien
15.4.1.1.1 Hämophilie
15.4.1.1.2 v. Willebrandt-Jürgens-Syndrom
Hämophilie
Kasuistik
Definition:
X-chrom. vererbbare Erkrankung mit pathologischer Blutungsneigung aufgrund einer Störung
der plasmatischen Gerinnung.
Ätiologie/Pathogenese:
Hämophilie A (Fehlen bzw. Inaktivität von Faktor VIII) oder Hämophilie B (Fehlen bzw. Inaktivität
von Faktor IX). Ca. 25-40 % Spontanmutationen; sonst X-chrom. rez. vererbt, d. h. nur
männliche Bluter (Mädchen bzw. Frauen können Konduktorinnen sein und haben in ca. 30 %
der Fälle Gerinnungsstörungen untersch. Ausprägung. Bei der sehr seltenen Konstellation:
Vater Bluter, Mutter Konduktorin können auch Mädchen Bluter sein!).
Faktoren VIII und IX sind wesentlicher Bestandteil der endogenen Gerinnungskaskade, d. h. bei
intakter prim. Blutstillung kommt es zu sek. Nachblutungen bei verlängerter Gerinnungszeit!
Bildung der Blutthrombokinase ist gestört, die Bildung der Gewebethrombokinase (exogenes
System) dagegen nicht.
Anamnese:
Positive Familienanamnese; Hautblutungen, nur bei schweren Verlaufsformen schon in der
Säuglings-Zeit auffällig; selten "roter Urin".
Klinik:
Blutungssymptomatik ist abhängig vom Schweregrad der Erkrankung (s. u.); Gelenk-,
Muskeleinblutungen, Nabelschnurblutung, Sugillationen ( großflächige Hautblutungen), selten
Hämaturie.
Diagnostik:
Typische Anamnese! Thrombozytenzahl, Blutungszeit, Quick-Test normal, PTT ,
Gerinnungszeit . Gerinnungsfaktoren VIII oder IX . Harnstatus (evtl. Mikrohämaturie); Sono (
Abdomen, Muskulatur, Gelenke).
Hämatologie
35
Durch Gerinnungsfaktorenbestimmung kann der Defekt gezielt ermittelt werden. Die
molekulargen. Bestimmung heterozygoter Mütter und kranker männlicher Feten ist möglich
(Pränataldiagnostik).
Differentialdiagnosen:
V. Willebrand-Jürgens-Syndrom, isolierter anderer Faktorenmangel. Bei Einblutung in den
Musculus iliopsoas Appendizitis-ähnliches Beschwerdebild.
Besonderheiten:
Häufigste Koagulopathie, Prävalenz 1: 10000 männlicher Patienten.
Schweregrade:
· Subhämophilie (15-30 % Faktorenkonzentration) Blutungsneigung nur bei schweren
Verletzungen und Operationen.
· Leichte H. (5- 15 %) Gelenk- und Muskelblutungen nur nach schwereren Verletzungen.
· Mittelschwere H. (1-5 %), bei über 2 % keine Spontanblutungen; Gelenk- und Muskelblutungen
(n.Traumen).
· Schwere H. (< 1 %); zunehmende Blutungsneigung, Spontanblutungen!
Hämophilie A ca. 85 %, Hämophilie B ca. 15 % der Hämophiliepatienten.
Hemmkörperhämophilie bei bis zu 10 % der Hämophilie-A-Patienten durch Bildung von
Antikörpern (IgG) gegen den externen Gerinnungsfaktor. Eliminierung dieser "Hemmkörper"
durch hochdosierte Faktor VIII-Therapie oder kombinierten Einsatz von Faktor VIII mit FEIBAR
(sog. Immuntoleranztherapie).
Blutungen entstehen fast immer traumatisch, häufig nach banalen Mikrotraumen durch Stoßen,
Zahnextraktionen u. ä. Mit zunehmender motorischer Aktivität der Kinder treten
Gelenkblutungen in den Vordergrund und führen zum sog. Blutergelenk mit Erguß und z. T.
erheblicher Bewegungseinschränkung.
Komplikationen:
Selten lebensbedrohliche Blutungen. Übertragung infektiöser Antigene bei Substitutionstherapie
(u. a. HIV, Hepatitisviren). Spätblutungen (nach Std. bis Tagen erneut einsetzende Blutungen,
nachdem es bereits zur Blutstillung gekommen war, z. B. 3-5 d nach Zahnextraktion).
Hämatologie
36
Therapie:
1. Notversorgung akuter Blutungen. Adäquate und sorgfältige lokale Blutstillung; zur aktuellen
Blutstillung eignet sich Substitution mit gerinnungsaktiven Plasmakonzentraten; bei Hämophilie
A Faktor-VIII-Konzentrate, bei Hämophilie B Faktor-IX-Konzentrate. Die Wirkdauer dieser
Plasmaseparationen wird von der biologischen Halbwertzeit der antihämophilen Globuline
bestimmt (A 6-12 h, B 12-24 h).
2. Langfristige Betreuung von Hämophiliepatienten. Ersatz von Gerinnungsfaktoren
(hochgereinigt, virusinaktiviert) als Dauerbehandlung oder bei weniger schweren Fällen im
Bedarfall (Die Indikation zur Substitutionstherapie muß sehr streng gestellt werden, da mit der
parenteralen Anwendung von Plasmakonzentraten stets Risiken verbunden sind: Übertragung
von infektiösen Krankheitserregern -Hepatitis-Viren, HIV, Bildung von Antikörpern mit der Folge
einer Hemmkörperhämophilie und andere Transfusionszwischenfälle).
Keine intramuskulären Injektionen (außer Impfungen; bei schwerer Form zuvor
Faktorensubstitution!); Thrombozytenaggregationshemmer (z. B. Acetylsalizylsäure) sind
kontraindiziert.
Prognose:
Blutungsprophylaxe auch zur Verhütung von Spätschäden (u. a. Gonarthros). Optimale
Betreuung mit qualitativ hochwertigen Therapeutika ermöglicht "fast normale" Lebensqualität!
Willebrandt-Jürgens-Syndrom
v. Willebrand-Jürgens-Syndrom (engl.: v. Willebrand´s disease)
Definition:
Häufigste, aut.-dom. vererbte hämorrhagische Diathese mit stark variierendem Auftreten und
Ausprägungsgrad bedingt durch einen Mangel an v.Willebrand-Faktor (vWF); Genlokalisation
Chromosom 12.
Ätiologie/ Pathogenese:
Meist angeborene qualitative oder quantitative Störung des Faktor-VIII-Trägerproteins (vWF =
Untereinheit des Faktor VIII), die zu pathologisch veränderter Thrombozytenadhäsionsfähigkeit
am Gefäßendothel führt zu Blutungszeit  (vWF beschleunigt normalerweise über spezifische
Rezeptorbindung die Thrombozytenadhäsion am verletzten Gefäßendothel; die
plättchenagglutinierenden Eigenschaften des vWF werden auch Ristocetin-Cofaktor genannt).
Als zweite Funktion schützt vWF den Faktor VIII vor vorzeitigem proteolytischen Abbau; daher
wirkt sich der Defekt auch auf die plasmatische Gerinnung aus.
Selten erworben, z. B. im Verlauf des systemischen Lupus erythematodes (SLE).
Hämatologie
37
Anamnese:
Zahnfleisch-, Nasen-, Hautblutungen, selten "roter Urin".
Klinik:
Blutungssymptomatik abhängig von Schwere der Erkrankung. Hautblutung, typischerweise
Schleimhautblutungen, Hämaturie, Menorrhagien (bei schwerer Ausprägung von Hämophilie
klinisch nicht zu unterscheiden). Oft zufälliges Entdecken bei Adeno-, Tonsillektomie bzw.
Zahnextraktion.
Diagnostik:
Blutungszeit (n. IVY)! vWF: Ag , vWF : RCo ; FVIII: C ; evtl. PTT . Thrombozytenzahl,
Quick, Thrombinzeit, andere Gerinnungsfaktoren normal; Harnstatus (evtl. Mikrohämturie).
Differentialdiagnose:
Hämophilie.
Besonderheiten:
Häufigkeit 1,3% (d.h. ca. 1:100)! Unterscheidung in 3 Haupttypen möglich: Typ I und II werden
aut.-dom. vererbt, Typ III aut.-rez. (schwere Verlaufsform, da vWF fehlt), Ca. 80% aller Patienten
leiden an Typ I; Gelenkblutung tritt nur bei sehr schweren Verläufen auf.
Komplikationen:
Selten lebensbedrohliche Blutungen.
Therapie:
Lokal Kühlung, Druckverband; Desmopressin (=Vasopressin Ausschüttung des im Endothel
gespeicherten WF), ggf. Gabe von Faktor VIII-Präparaten mit WF-Anreicherung. (Bei weiniger
als 5 % der Patienten mit WJS -Typ II B- ist Desmopressin kontraindiziert, da es dadurch zur
Thrombozytopenie kommen kann).
Prognose:
Gut; vitale Gefährdung nur bei Patienten mit schwerer Verlaufsform.
Hämatologie
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Erworbene Koagulopathien
Disseminierte intravasale Gerinnung (Verbrauchskoagulopathie, engl.: disseminated
intravascular coagulation, DIC)
Definition:
Blutgerinnungsstörung mitunter als massiver Zusammenbruch der Hämostase infolge des
Verbrauchs von Thrombozyten und plasmatischen Gerinnungsfaktoren mit Symptomen einer
plasmatisch-thrombozytär bedingten hämorrhagischen Diathese.
Ätiologie/Pathogenese:
Auftreten im Rahmen verschiedenener Grunderkrankungen:
Gynäkologisch (u. a. Fruchtwasser-Embolie, EPH-Gestose),
infektiös (u. a. Meningokokken-, Pneumokokkensepsis),
vaskulär ( HUS, Moschcowitz-Syndrom),
idiopathisches Atemnotsyndrom (IRDS),
Erythroblastosis fetalis,
Malignome (Leukämien).
Aktivierung des exogenen Gerinnungssystems durch Gewebsthromboplastin (z. B. freigesetzt
bei Fruchtwasser-Embolie) > Mikrothromben in der Endstrombahn unter Verbrauch von
Thrombozyten und Gerinnungsfaktoren > Mißverhältnis zwischen Verbrauch und Produktion von
Thrombozyten und Gerinnungsfaktoren führt zu Hypokoagulabilität (verminderte Gerinnbarkeit)
und letztlich zu Blutungen. Kompensatorisch (da Thrombosierung der Endstrombahn) kommt es
zu einer sek. Hyperfibrinolyse, die jedoch die Blutungsneigung weiter verstärkt!
Klinik:
· Stadium I (Hyperkoagulopathie): Klinisch wenig erfaßbar
· Stadium II (Hypokoagulopathie): Dekompensation > Blutungen aus frischen Wunden (z. B.
Schleimhäute durch Verbrauch der Gerinnungsfaktoren); petechiale Blutungen bei
Thrombozytenabfall; nicht selten bei Organversagen (Schocklunge, akutes Nierenversagen,
Leberversagen durch Mikrothrombosierung), Hypoxie, Azidose u. a..
· Stadium III (Zusammenbruch der Gerinnung mit Hypokoagulopathie und sek.
Hyperfibrinolyse): Zusätzl. zu Stadium II: Blutungen aus älteren Verletzungen bzw. Wunden.
Ferner: Abhängig von der Grunderkrankung; gastrointestinale-, Nebennieren-, intrakranielle
Blutungen, Schocksymptome, zerebrale Anfälle, marmorierte Haut, evtl. Hepatosplenomegalie.
Hämatologie
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Diagnostik:
Diagnostik der Grunderkrankung!
· Stadium I: PTT , AT III , Absinken der Thrombozytenzahl
· Stadium II: Quick , Thrombozyten , Fibrinogen , AT III , D-Dimere , Fibrinmonomere ,
Abfall der Gerinnungsfaktoren
· Stadium III: Reptilase , TZ , D-Dimere , Fibrinogenspaltprodukte , Fibrinogen 
Nachweis von Fibrinmonomeren beweist eine intravasale Gerinnung; Fibrinspaltprodukte eine
Hyperfibrinolyse (bei sek. Hyperfibrinolyse).
Weitere Diagnostik i. R. der Grunderkrankung (z. B. Sono-Abdomen, EEG, Röntgen-Thorax).
Differentialdiagnosen:
Schwerer Blutverlust, z. B. perioperativ (Verlustkoagulopathie), schwerer Leberschaden mit
Proteinbiosynthese-Insuffizienz.
Besonderheiten:
Begünstigend sind: Schock, Azidose, Hypoxie und Stase (eingeschränkte "Klärfunktion" für DICauslösende Substanzen). Ausprägung der DIC läßt sich gut an Fibrinogen- bzw.
Thrombozytenwerten abschätzen!
Komplikationen:
I. R. der Grunderkrankung, ferner Blutungen, Thrombosen, Schocklunge, akutes
Nierenversagen, Multiorganversagen.
Therapie:
Schnelle und adäquate Therapie der Grunderkrankung - Vermeiden einer Hypovolämie! Lokale
Blutstillung. Ferner: "Low-dose"-Heparinisierung 100-150 IE/kg KG, AT III-Substitution
(Zielspiegel > 75 %), Frischplasma, Thrombozyten- und Erythrozytenkonzentrate (bei
Thrombozyten < 20Gpt/l bzw. Hk < 0,3), evtl. Fibrinogen- und Faktor XIII-Substitution; bei
Thrombose Vollheparinisierung! Bei Blutungsneigung infolge Hyperfibrinolyse Aprotiningabe in
Ausnahmefällen erwägen.
Therapieerfolg am Anstieg der Fibrinogenkonzentration und Thrombozyten meßbar.
Prophylaxe:
"Low-dose"-Heparinisierung!
Prognose:
Abhängig von der Grunderkrankung und aufgetretenen Komplikationen!
Hämatologie
40
Weitere erworbene Koagulopathien
· Im Rahmen von Leberfunktionsstörungen mit Proteinbiosynthese (Störungen des
plasmatischen Systems)
· Bei Therapie mit Vit. K-Antagonisten
Vaskulopathien
Purpura Schoenlein-Henoch (Hypersensitivitätsvaskulitis, anaphylaktoide Purpura , engl.:
Schoenlein- Henoch purpura)
Kasuistik
Definition:
Gehäuft bei Jungen auftretende (Infekt-, Arzneimittel-, Nahrungsmittel-, evtl. autoimmun-)
allergische Vaskulitis der kleinen Blutgefäße und Kapillaren mit typischem Hautbefund.
Ätiologie/Pathogenese:
Vaskulitis (allergisch) vom Immunreaktionstyp III (Arthus-Reaktion) mit subendothelialer
Ablagerung von Antigen-Antikörper-Komplexen und Aktivierung der Komplementkaskade.
Häufig im Zusammenhang mit vorangegangener Influenza-Virus-Infektion.
Anamnese/Klinik:
Kopfschmerzen, Fieber, makulo-papulöse Hautpurpura ( Streckseiten der Extremitäten, Gesäß),
Arthralgien, kolikartige Bauchschmerzen, Erbrechen, evtl. Darmblutungen ( Purpura
abdominalis) oder Ileus, Mikro-/ Makrohämaturie (mesangioproliferative GN), Ödeme.
Diagnostik:
Thrombozytenzahl, Quick, PTT, Thrombinzeit, Gerinnungsfaktoren normal. Blutungszeit meist
normal. Positiver Rumpel-Leede-Test (Prüfung der Kapillarresistenz, die abhängig ist von der
Funktion der Gefäße und von Zahl und Funktion der Thrombozyten; Prinzip: Mit einer
Blutdruckmanschette, die um den Oberarm des Pat. gelegt ist, wird 5 Min. lang ein Druck, der 10
mmHg über dem diastol. Blutdruck liegt, aufrechterhalten > Petechien sind ein Hinweis auf
Kapillarstörungen und evtl. Thrombozytopenie). Nachweis zirkulierender Immunkomplexe und
Auto-Ak möglich; Histologie (Haut) mit perivaskulären IgA- und Komplement-Ablagerungen.
Harnstatus (Mikrohämturie); selten pathologisches EEG (i. R. eines zerebralen Anfalls).
Differentialdiagnosen:
Meningokokkensepsis, bei kolikartigen Bauchschmerzen auch Hodentorsion bzw.
Nebenhodenentzündung. Schwere GI-Manifestationen ohne Hautbefund möglich > imponiert als
Appendizitis acuta.
Hämatologie
Besonderheiten:
Manifestation meist im Vorschulalter. Auftreten bes. im Frühjahr und Herbst. Zugehörig als
hämorrhagischer Typ zur Gruppe der Purpurae anaphylactoides.
Komplikationen:
Darmblutung, Invagination; Übergang in chron. Glomerulonephritis möglich.
Therapie:
Symptomatisch; Vit.C-Gabe (pos. Einfluß auf Gefäßleckage), ggf. Glukokortikoide bei
Arthralgien oder Darmkoliken.
Prognose:
Im allgemeinen gut; selten chron. Glomerulopathie.
Weitere Vaskulopathien:
M. Osler,
Skorbut,
Ehlers-Danlos-Syndrom.
41
Hämatologie
42
Thrombozytäre Erkrankung
15.5.1 Thrombozytopenien
15.5.2 Thrombozytopathien
15.5.3 Thrombophilie - Hyperkoagulabilität
15.5.4 Thrombozytose
Thrombozytopenien
15.5.1.0 Allgemein
15.5.1.1 Immunthrombozytopenie (Idiopathische thrombozytopenische Purpura, ITP)
Allgemein
Definition:
Verminderte Zahl der Thrombozyten (< 150 Gpt/l)
Ätiologie:
Bildungsstörung:
angeboren:
Wiskott-Aldrich-Syndrom, Fanconi-Syndrom,
erworben:
Medikamentös (u. a. Zytostatika, Valproinsäure), chemisch-toxisch (z. B.
Benzol), maligne Knochenmarks-Infiltration mit Verdrängung,
Reifungsstörung mit ineffekt. Thrombozytopoese bei Vitamin-B12- und
Folsäuremangel.
Vermehrter Umsatz / Verkürzte Thrombozytenlebensdauer:
Immunpathologie
Immunthrombozytopenie, i. R. von Systemerkrankungen wie SLE,
Heparin-induziert, neonatal bei feto-maternaler Inkompatibilität)
Andere
HUS, Moschcowitz-Syndrom
Verteilungsstörung: Vergrößerter Thrombozytenmilzpool bei Splenomegalie (Hypersplenismus).
Ferner begleitend zu konnatalen Virusinfektionen (TORCH) oder später erworben, z. B. im
Rahmen von Masern, EBV-Infektionen oder Röteln (erworbene Virusinfekte führen meist zu
kurzer, passagerer Thrombozytopenie, kong. hingegen eher zu länger andauernden
Thrombozytopenien).
Hämatologie
43
Immunthrombozytopenie
Kasuistik
Definition:
Isolierte Thrombozytopenie infolge verkürzter Thrombozytenlebensdauer, induziert durch
antithrombozytäre Autoantikörper.
Formen:
· Akut passager: Plötzlicher Beginn, meist nach Virusinfekt, seltener nach Einnahme von
Medikamenten (z. B. Antibiotika, Chinin, Chinidin, Digitoxin, Barbiturate); kurzer Verlauf,
spontane Besserung; Altersgipfel 2-6 Jahre.
· Chronisch: Autoimmunkrankheit ohne erkennbare Ursache, verläuft schubweise über Monate
bis Jahre; Gynäkotropie.
Ätiologie/Pathogenese:
Gegen Thrombozyten gerichtete IgG-Auto-Ak sind für eine verkürzte Plättchenüberlebenszeit
und vorzeitigen Abbau in der Milz verantwortlich (èkompensatorisch ist die
Megakaryozytenbildung im Knochenmark verstärkt).
Anamnese:
Häufig Infektion der oberen Luftwege vorausgegangen, Hautblutungen, "roter Urin".
Klinik:
Generalisierte Purpura an Haut und Schleimhaut (Epistaxis, GI-, urogenitale Blutung),
Petechien, verlängerte Menstruation. Bei Thrombozytenzahlen >30·Gpt/l meist keine manifeste
hämorrhagische Diathese; schwere Blutungen <10 Gpt/l.
Diagnostik:
Thrombozyten , Blutungszeit , sek. hypochrome Anämie (MCH ); als
Kompensationsmechanismus: Vergrößerte Thrombozyten (2- 3µm) im Blutausstrich. Im
Knochenmark vermehrt jugendliche Megakaryozyten (Knochenmark-Punktion lediglich aus
differentialdiagnostischen Gründen)! Ferner: Ak-Suche (an Kollagenosen denken), Harnstatus
(Erythrozyturie).
Differentialdiagnosen:
Immunthrombozytopenien anderer Genese (s.o.). Erkrankung mit Knochenmarks-Verdrängung
(u.a. Leukämie), HUS.
Besonderheiten:
Häufigste Ursache einer Thrombozytopenie im Kindesalter. Antikörper in ca. 30% der Fälle
diagnostizierbar.
Hämatologie
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ITP ist eine Ausschlußdiagnose!
Dauert die Thrombozytopenie >6 Monate, spricht man von einer chronischen Verlaufsform,
Gynäkotropie (M. Werlhof genannt).
Lk-Schwellung und Splenomegalie machen eine andere Erkrankung wahrscheinlich (z.B.
Leukämie)!
Komplikationen:
Hirnblutungen, schwere GI- Blutungen.
Therapie:
Bei akuter Form, sofern möglich, abwarten (häufig selbstlimitierend)! Absetzen aller
Medikamente; zur lokalen Blutungsstillung: Druckverband, Kühlung. Weitere Maßnahmen
abhängig vom Schweregrad der Blutungssymptomatik:
Glukokortikoid-Gaben 2 mg/kgKG/d; (Glukokortikoide > Thrombozytose, Endothelstabilisation,
Suppression der Ak-Bildung, Einschränkung der Phagozytoseaktivität der Makrophagen) oder,
sofern ein rascher Thrombozytenanstieg gewünscht ist: Immunglobulin-Gabe 2 g/kgKG ED
(alternativ 0,4 g/kgKG/d für 5 Tage). Bei Notfällen (z.B. ZNS-Blutung): Glukokortikoide
hochdosiert (bis 20 mg/kgKG), Immunglobuline (1-2 g/kgKG), Thrombozytenkonzentrate!
Bei chron. Form und positivem Rhesusfaktor Therapieversuch mit Anti-D-Immunglobulin, da ca.
50% dieser Patienten Thrombozytenanstiege zeigen.
Bei spezieller Indikation: Splenektomie: Zuvor Pneumokokken- und HIB-Vakzination zur
Vermeidung eines OPSI-Syndroms (overwhelming postsplenectomy syndrome)!
Kontraindikation für: Acetylsalizylsäure (Thrombozytenaggregationshemmer).
Prognose:
Gut; akute Form ist häufig selbstlimitierend (85% Spontanheilung innerhalb von 6 Monaten);
Letalität ca. 1-4% (akute Hirnblutungen).
Weitere Thrombozytopenien:
Wiskott-Aldrich-Syndrom, Fanconi-Syndrom, HUS, Moschcowitz-Syndrom, Hypersplenismus,
Kasabach-Merritt-Syndrom (s.a. Syndrome und seltene Erkrankungen).
Hämatologie
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Thrombozytopathien
Definition: Störung der Thrombozytenfunktion verschiedener Ursache bei normaler
Thrombozytenzahl.
Krankheitsbilder:
Glanzmann-Naegeli-Syndrom Schleimhautblutungen Aut.-rez., Blutungszeit , Quick, PTT
normal; (Thrombasthenie) (Epistaxis, GI- Blutungen) Thrombozyten normal oder leicht
vermindert, therapeutisch Thrombozytenkonzentrate b. Bed., fehlende Bindungsstelle für
Fibrinogen an Thrombozyten.
Bernard-Soulier-Syndrom s. Glanzmann-Naegeli-S.(Riesenplättchenthrombozytopathie Fehlende Bindungsstelle für v. Willebrand-Faktor)
Weitere Ursachen: Erworbene Störungen durch Urämietoxine (chron. NI), ASS, akute Leukämie.
Hämatologie
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Thrombophilie - Hyperkoagilabilität
15.5.3.1 Allgemeines
15.5.3.2 Thrombophilie - Hyperkoagulabilität - Thrombose
Allgemeines
Definition:
Dysfunktion des Gerinnungssystems mit erhöhtem Risiko thrombembolischer Prozesse. Liegt
eine verminderte Gerinnungsfähigkeit vor, spricht man von Hypokoagulabilität, anderenfalls von
Hyperkoagulabilität (Thrombophilie).
Auswahl präsdisponierender Faktoren für Thromboseneigung:
1. Resistenz gegen aktiviertes Protein C
2. Hereditärer Antithrombin-III-Mangel
3. Protein-C-, -S-Mangel
4. Erworbene Ursachen
· Prädisposition bei schweren Erkrankungen wie Diabetes mellitus, SLE, Malignomen
(prokoagulatorische Wirkung von malignem Gewebe), HUS, Schock, Infektionen, nephrotischem
Syndrom, Herzfehlern, Polyglobulie, Homozystinurie, Sepsis (Bakterien, Pilze), hormoneller
Kontrazeption.
· Diagnostische und therapeutische Eingriffe wie Katheteruntersuchungen, Transplantationen,
Transfusionen, nach L-Asparaginasebehandlung (bei ALL).
· Physikalische Ursachen z. B. Ruhigstellung, Gipsverband.
Anamnese:
Zeitdauer der ersten Beschwerden (Thrombosealter), prädisponierende Faktoren (Rauchen,
Pille, Bewegungsarmut, Adipositas), Familienanamnese.
Klinik:
Purpura fulminans mit schwerer hämorrhagischer Diathese. Venenthrombosen,
Lungenembolien.
Hämatologie
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Diagnostik:
Labor: Globale Gerinnungstests mit PTT, TZ, Thromboplastinzeit (TPZ). Protein-S-Aktivität,
freies Protein S, Gesamtprotein S. Protein-C-Aktivität, Protein-C-Konzentration; Antithrombin-IIIAktivität.
Lupusantikoagulans; Kardiolipin-Antikörper (IgG, IgM); Plasminogenaktivität. Gerinnbares
Fibrinogen; t-PA (tissue type plasminogen activator); PAI 1 (Plasminogenaktivator-Inhibitor).
Histidinreiches Glykoprotein; Faktor XII-Aktivität.
Bildgebende Diagnostik: Ultraschall-Dopplersonographie; Phlebographie. Venöse/arterielle
digitale Subtraktionsangiographie. Ventilations-/ Perfusionsszintigraphie (Lungenembolie);
CT/MRT (bei großen Gefäßen).
Ferner: Ausschluß möglicher Ursachen, z. B. maligne hämatologische Erkrankungen.
Differentialdiagnose:
Arterielle Durchblutungsstörungen
Besonderheiten:
Thrombosen sind im Kindesalter selten, sie häufen sich jedoch im Neugeborenen-Alter und in
der Adoleszenz (überwiegend bei Einnahme oraler Kontrazeptiva). Meist liegt bei spontaner
Thromboseneigung ein Mangel an antithrombotisch wirkenden Faktoren vor, denen sich ein
weiterer Risikofaktor zugesellt. Beim nephrotischen Syndrom kommt es u. a. zum AT III-Verlust
und dadurch gehäuft zu Nierenvenenthrombosen!
Komplikationen:
Chronisch venöse Insuffizienz, Ulkus, Stauungsdermatitis, Blutungen, Verlängerung der
Regelblutung.
Therapie:
Operative Intervention mit
Embolektomie; Bypass-Transplantation; Resektion und Rekonstruktion.
Nicht-operative Intervention:
· Perkutane transluminale Angioplastik (bei Stenosen der Nieren- und Koronararterien oder
peripheren Arterien)
Hämatologie
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· Abwarten der spontanen Auflösung
· Antikoagulantientherapie mit Heparin
· Fibrinolytische Therapie (bei Thrombosen, die nicht älter als 10-14 Tage sind) mit rt-PA
(rekombinanter Gewebe-Plasminogenaktivator), Streptokinase, Urokinase.
Indikation zur Thrombolysetherapie:
Zur Abwendung einer unmittelbaren Lebensbedrohung durch den Thrombus
Abwendung des Verlustes von Extremitäten
Vermeidung eines Dauerschadens
Direkte Schmerzlinderung durch Besserung der lokalen Symptomatik
Wichtig: Reokklusionstherapie:
· Cumarinderivate
· Heparin
· Thrombozytenaggregationshemmer (Azetylsalizylsäure, Ticlopidin): Wirkung: Hemmung der
Zyklooxygenase in den Thrombozyten, Hemmung des aggregationsfördernden Thromboxans.
Ind.: Bei Thrombophilie, drohender arterieller Durchblutungsstörung (TIA, Amaurosis fugax),
Sekundärprophylaxe nach arteriellen Verschlüssen.
· Physikalische Therapie, aktive und passive Bewegung, Kompressionstherapie mit angepaßten
Stützstrümpfen.
Die Dauer dieser präventiven Therapie ist abhängig von der Thromboseausprägung, deren
Lokalisation, dem Erfolg der Therapie sowie von patienteneigenen Merkmalen
(zugrundeliegende Ursache, Varikosis...) abhängig. Sie ist im Kindesalter meist kurzzeitig (3-12
Monate), teilweise aber lebenslang (z. B. angeb. Thrombophilie, Herzklappenersatz).
Prognose:
Abhängig von Grad und Sitz der Thrombose sowie deren Therapiemöglichkeit. Meist jedoch gut.
Wichtig: Langzeitantikoagulation über Monate, evtl. lebenslang notwendig!
Hämatologie
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Thrombophilie-Hyperkoagulabilität - Thrombose
Kasuistik
Definition:
Thrombophilie kann als ein Zustand definiert werden, bei dem das Risiko des Auftretens
thrombembolischer Erkrankungen erhöht ist. Bei Hyperkoagulabilität oder Übergerinnbarkeit
sind laborchemisch Zeichen einer erhöhten Gerinnungsaktivierung zu finden.
Allgemeines:
Venöse Thrombosen im Kindesalter sind selten, werden aber wegen ihrer unspezifischen
Symptome häufig spät erkannt. Sie häufen sich im Neugeborenenalter und in der Adoleszenz.
Häufig liegt bei einer Thrombose eine Störung der plasmatischen Gerinnung oder Fibrinolyse
vor, zu der ein weiterer prothrombogener Risikofaktor beschrieben wird. Arterielle Thrombosen
sind extrem selten, meist findet man sie nach gefäßschädigenden Eingriffen (z. B.
Herzkatheter).
Die klinische Diagnostik hat bei der Früherkennung tiefer Beinvenenthrombosen eine
ausgesprochen unbefriedigende Treffsicherheit.
Epidemiologie:
Phlebothrombosen zeigen zwei Häufigkeitsgipfel: bei Neugeborenen und Säuglingen 2,4/1000,
bei Kindern: 2,5-5/10000, Rezidivrate 7-18 %; Mortalität 2 %.
Pathogenese einer Thrombose:
Physiologischerweise befindet sich die Blutgerinnung in einem fließenden Gleichgewicht
zwischen gerinnungsfördernden und inhibierenden Abläufen, da zum einen das Gefäßendothel
geschützt, zum anderen bei Verletzung eine Gerinnselbildung und damit Blutstillung erreicht
werden soll. Dabei muß ein gesundes Zusammenspiel der Gefäßwände, der Thrombozyten
sowie der fördernden und hemmenden plasmatischen Gerinngungsfaktoren gewährleistet sein.
Die Virchow-Trias bezeichnet die Kombination dreier wesentlicher pathogenetischer Faktoren:
1. Endothelschaden (durch Entzündung, Arteriosklerose, Trauma) mit Aktivierung des
Blutgerinnungsfaktors XIIa, Thrombozytenaggregation und Bildung eines weißen
Abscheidungsthrombus
2. Veränderte Blutströmung (Aneurysma od. Stenose, Strömungsverlangsamung bei
Herzinsuffizienz, Stase im Schock, Wirbelbildung durch Varizen, Ruhigstellung durch Gips)
Hämatologie
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3. Veränderte Blutzusammensetzung (pathologische Zellvermehrung z. B. bei Leukämien,
Thrombozythämie, Polyglobulie; Imbalance zwischen pro- (postoperativ, postpartal) und
antikoagulatorischen Faktoren (z. B. bei Lebererkrankungen)
Präsdispositionsfaktoren für eine Thrombophilie (= Thromboseneigung)
· Resistenz gegen aktiviertes Protein C (APC-Resistenz): Häufigste Ursache aller hereditärer
Thrombophiliepatienten, Autosomal dominante Vererbung (Punktmutation des Gerinnungsfaktor
V-Gens), wobei Arginin durch Glutamin ersetzt wird (Leiden- Mutation); Ungefähr 2-7% der
Bevölkerung sind heterozygoten Träger
· Antithrombin-III-Mangel: homozygot: bisher nicht beobachtet, wohl Letalfaktor heterozygot: Typ
I: AT III - Mangel; Typ II: Normale Konzentration bei verminderter Funktion Häufigkeit 0,05 % der
Bevölkerung.
· Protein-C-Mangel: homozygot: Meist in den ersten Lebenstagen ausgeprägte
Thromboseneigung (Purpura fulminans). Keine Protein-C-Aktivität nachweisbar.
heterozygot: Manifestation meist in der Adoleszenz. Aktivität zwischen 35-65% Typ I (echter
Mangel), Typ II (normale immunologische Konzentrationsbestimmung bei verminderter Aktivität)
Erworbener Mangel z. B. bei abnormem Verbrauch bei intravasaler Gerinnung,
Verlustkoagulopathie, Proteinurie. Verminderte Synthese bei Leberversagen od.
Asparaginasetherapie.
· Protein-S-Mangel
· Faktor XII-Mangel
· Heparin Cofaktor II-Mangel
· Kongenitale Dysfibrinogenämie
· Lupusantikoagulanzien (Antikörper gegen gerinnungsaktive Phospholipide)
· Kryofibrinogenämie (Erhöhte Gerinnbarkeit bei abkühlendem Blut)
· Gestörte Fibrinolyseaktivierung
· Vermindertes fibinolytisches Potential (wahrscheinlich durch verminderte Freisetzung von t-PA
und vermehrte Freisetzung von PAI 1 (Plasminogenaktivator-Inhibitor))
· Erhöhte Konzentration an gerinnungsaktiven Faktoren (bei mangelhafter Funktion des RES,
iatrogen durch Substitution)
· Dysplasminogenämie
Hämatologie
51
· Hyperhomozysteinämie (dadurch Endothelschädigung)
· Erworbene Ursachen
Prädisposition bei schweren Erkrankungen wie Diabetes mellitus, Systemischer Lupus
erythematodes, Malignome (z. B. Pankreas- und Prostatakarzinom), Hämolytisch-urämisches
Syndrom, Schock, Infektionen, nephrotisches Syndrom, Herzfehlern, Polyglobulie, Polyglobulie,
Homozystinurie, Polyglobulie, Schock, Infektionen, Sepsis (Bakterien, Pilze), hormonelle
Kontrazeption. Adipositas, Bewegungsarmut. Diagnostische und therapeutische Eingriffe wie
Katheteruntersuchungen, Transplantationen, Transfusionen, nach L-Asparaginasebehandlung
(bei ALL)
Physikalische Ursachen: z. B. Ruhigstellung, Gipsverband.
Anamnese:
Wichtig: Nach Altersgruppe Eruierung möglicher Risikofaktoren wie Rauchen, Bluthochdruck,
Hyperlipidämie, Bewegungsmangel, hormonelle Kontrazeption (bei vorliegender APC-Resistenz
erhöht sich bei Heterozygoten das Thromboserisiko bei Einnahme östrogenhaltiger
Kontrazeptiva um das 40 fache, bei Homozygoten um das 100 fache).
Bei (meist autosomal dominanter) Vererbung häufen sich Thrombosen bei Verwandten.
Klinik einer (Phlebo-) Thrombose:
· Ziehende Schmerzen (Lokalisation, Charakter, Ausstrahlung; vgl. Abb. 1= Thrombosezeichen),
Muskelkatergefühl, Spannungsgefühl, Bewegungseinschränkung
· Schwellung der betroffenen Extremität (vgl. Gegenseite, Beinumfangsdifferenz?)
· Livide Hautverfärbung, Glanzhaut, Überwärmung
· Pratt-Warnvenen durch Kollateralenbildung der epifaszialen Venengeflechte
· evtl. Allgemeinsymptome wie Tachykardie, Fieber, Leukozytose, BKS-Anstieg
· Thrombosezeichen
Merke: In nur ca. 10 % findet man die typische Trias Zyanose, Schwellung, Schmerz.
Differentialdiagnosen: Thrombophlebitis, kardial bedingtes Ödem, Lymphödem, Venenstauung,
Tumor, Aneurysma, Hämatom, Muskelverletzung
Hämatologie
52
Diagnostik:
Labor:
· bei Thrombose: HK, Thrombozyten, Quick, aPTT, TZ, Antithrombin III, Faktor I, Plasminogen,
Protein C, Protein S, Prothrombinfragment F1+F2, D-Dimere (ELISA). ·
Thrombophiliediagnostik: APC-Resistenz, Thrombomodulin, Gewebe-Plasminogen-Aktivator (tPA), 2- Antiplasmin-Plasmin-Komplex (APP), Plasminogenaktivatorinhibitor 1 (PAI-1),
Lupusantikoagulans, Cardiolipin-Antikörper, Cholesterin, Triglyceride, Lipoprotein (a),
Homozystein. Molekularbiologische Untersuchung des Faktors V (sog. "Leiden-Mutation").
· Weitere Diagnostik: Ausschluß anderer Ursachen (s. o.)
Bildgebende Diagnostik:
· Kompressions-/Farbdoppler-Sonographie
· Phlebographie
· Arterielle/venöse digitale Subtraktionsangiographie
· Bei Thrombosen großer Gefäße: Angio-MRT / CCT
· selten Ventilations-/Perfusionsszintigraphie (Lungenembolie)
Besonderheiten:
Therapieziel ist die Verhinderung der Ausbreitung der Thrombose, die Vermeidung einer
Lungenembolie sowie die Rekanalisation des Gefäßlumens und Vermeidung möglicher
Spätschäden (postthrombotisches Syndrom)
Therapie:
Basismaßnahmen:
· Bettruhe, bis Emboliegefahr minimiert (Wandhaftigkeit des Thrombus). Meist ca. 1 Woche
· Hochlagern der betroffenen Extremität (ohne Abknicken) zur Förderung des venösen
Rückstroms bei venöser Thrombose. Bei arterieller Thrombose Besserung der Durchblutung
durch tiefere Lagerung (z. B. Hängenlassen des Beines)
· Kompressionsbehandlung: anfangs elastische Binden, dann Kompressionsstrümpfe (am Bein
bis Oberschenkel reichend)
Hämatologie
53
· Stuhlregulierung zur Vermeidung hoher intraabdomineller Drücke (Blutrückstau,
Thrombusmobilisation)
Grundsätzlich gibt es auch im Kindes- und Jugendalter verschiedene therapeutische Ansätze:
1. Operative Intervention (sehr selten): Embolektomie, Bypass-Transplantation, Resektion und
Rekonstruktion, perkutane transluminale Angioplastik
2. Nicht-operative Intervention:
-Antikoagulantientherapie mit Heparin,
fibrinolytische Therapie mit Fibrinolytika (rt-PA (rekombinanter Gewebe-Plasminogenaktivator), Streptokinase, Urokinase)
Die jeweils bestmögliche Methode muß individuell in Abhängigkeit der klinischen Gegebenheiten
eruiert werden. Die thrombolytische Therapie gewinnt zunehmend an Aktualität, da dadurch
häufig eine Rekanalisation und damit bessere Langzeitprognose erreicht werden kann.
Initial Antikoagulantientherapie:
· Effektive Heparinisierung mittels unfraktioniertem Heparin i. v., s. c. PTT-Verlängerung um 1,5
- 2,5 fach), bei niedermolekularem Heparin s.c. Nachteil: Wiedereröffnung der thrombosierten
Vene seltener im Vgl. zur Lysetherapie (beachte Spätfolgen des postthrombotischen Syndroms)
Vorteil: Geringeres Blutungsrisiko
Fibrinolytische Therapie: Bedingung: Thromben sollten möglichst nicht älter als 7-10 Tage sein.
Bei fehlender Kontraindikation evtl. Indikation gegeben zur
· Abwendung einer unmittelbaren Lebensbedrohung durch den Thrombus
· Abwendung des Verlustes von Extremitäten
· Vermeidung eines Dauerschadens
· Direkten Schmerzlinderung durch Besserung der lokalen Durchblutung
Durchführung der Thrombolysetherapie (siehe auch Rostocker Schema zur lokalen Lysetherapie
mit rt-PA): Im Kindes- und Jugendalter häufig mit rt-PA. Vorteil des rt-PA ist dessen
Fibrinspezifität. Fast nur an Fibrin gebundenes Plasminogen wird in Plasmin überführt, die
Thrombolyse dort eingeleitet. z.B. Initial: 0,1-0,5 mg/kg KM über 30 Minuten, dann 1-3,5 mg/kg
KM/d (Fallberichte gehen bis 16,8 mg/kg KM/d). Dabei begleitende Reokklusionstherapie mit
Heparin (Kontrolle nach Lysetherapie)
Hämatologie
54
Wichtig für den Langzeitverlauf: Reokklusionstherapie zur Vermeidung von Rethrombosen mit:
unfraktioniertem Heparin:
Wirkung: über Antithrombin-III-vermittelte Inaktivierung der Faktoren Xa und IIa.
Indikation: vor/bei/nach Thrombolysetherapie; wenn Lysetherapie wegen Blutungsrisiko
kontraindiziert.
· niedermolekularem Heparin (low molecular weight heparin):
Wirkung: über Antithrombin-III-vermittelte Inaktivierung des Faktors Xa.
Indikation: bei Immobilisation, passager bei Thrombophilie
· Cumarinderivaten: Reokklusionstherapie mit Phenprocoumon
Wirkung: über verminderte Bildung der Faktoren II, VII, IX, X. Protein C, Protein S.
Indikation: Sekundärprophylaxe nach venösen Thrombosen, Z. n. Herzklappenersatz, bei
hereditärer Thromboseneigung
· Thrombozytenaggregationshemmer:
1. Azetylsalizylsäure Wirkung: Hemmung der Zyklooxygenase in den Thrombozyten, Hemmung
des aggregationsfördernden Thromboxans
2. Ticlopidin, Clopidogrel Wirkung: Hemmung der ADP- und kollageninduzierten
Thrombozytenaggregation
3. Abciximab, Lamofiban (wenig Erfahrung im Kindesalter) Wirkung:
Thrombozytenaggegationshemmung durch Verhinderung der Bindung von Fibrinogen und vonWillebrand-Faktor an den GP IIb/IIIa-Rezeptor Indikation: bei Thrombophilie, drohender
arterieller Durchblutungsstörung (TIA, Amaurosis fugax),
Sekundärprophylaxe nach arteriellen Verschlüssen
· Substitution von Protein C: Hierüber existieren bei Kindern und Jugendlichen kaum
Erfahrungen
· Physikalischer Therapie, aktive und passive Bewegung, Kompressionstherapie mit angepaßten
Stützstrümpfen
Hämatologie
55
Die Dauer der Reokklusionstherapie ist abhängig von vielen Faktoren (z. B. der
Thromboseausprägung, deren Sitz, dem Erfolg der durchgeführten Therapie, von
patienteneigenen Merkmalen wie Varicosis, Thrombophilie etc.). Meist wir sie im Kindesalter
kurzzeitig (3-12 Monate), selten auch lebenslang durchgeführt.
Prognose:
Sie ist wesentlich abhängig von der Wiedereröffnung des Gefäßes und der vorliegenden
Grunderkrankung. Meist jedoch besser wie im Erwachsenenalter durch gute Ausbildung von
Kollateralkreisläufen. Spätkomplikation auch hier postthrombotisches Syndrom.
Hämatologie
56
Thrombozytose
Definition:
Reaktive, vorübergehende Vermehrung der Thrombozytenzahl im Blut.
Ätiologie:
Entzündungen (u. a. akute Infektionen, rheumatoide Arthritis),
medikamenteninduziert (u. a. Adrenalin, Steroide),
hämatologische Erkrankungen (u. a. hämolytische Anämien, CML),
Neoplasien (u. a. Neuroblastome, Lymphome),
myeloproliferative Syndrome,
Kawasaki-Syndrom,
Kollagenosen,
nephrotisches Syndrom.
Definition:
Dysfunktion des Gerinnungssystems mit erhöhtem Risiko thrombembolischer Prozesse. Liegt
eine verminderte Gerinnungsfähigkeit vor, spricht man von Hypokoagulabilität, anderenfalls von
Hyperkoagulabilität (Thrombophilie).
Auswahl präsdisponierender Faktoren für Thromboseneigung:
1. Resistenz gegen aktiviertes Protein C
2. Hereditärer Antithrombin-III-Mangel
3. Protein-C-, -S-Mangel
4. Erworbene Ursachen
· Prädisposition bei schweren Erkrankungen wie Diabetes mellitus, SLE, Malignome
(prokoagulatorische Wirkung von malignem Gewebe), HUS, Schock, Infektionen, nephrotisches
Hämatologie
57
Syndrom, Herzfehlern, Polyglobulie, Homozystinurie, Infektionen, Sepsis (Bakterien, Pilze),
hormonelle Kontrazeption.
· Diagnostische und therapeutische Eingriffe wie Katheteruntersuchungen, Transplantationen,
Transfusionen, nach L-Asparaginasebehandlung (bei ALL).
· Physikalische Ursachen z. B. Ruhigstellung, Gipsverband.
Anamnese:
Zeitdauer der ersten Beschwerden (Thrombosealter), prädisponierende Faktoren (Rauchen,
Pille, Bewegungsarmut, Adipositas), Familienanamnese.
Klinik:
Purpura fulminans mit schwerer hämorrhagischer Diathese. Venenthrombosen,
Lungenembolien.
Diagnostik:
Labor: Globale Gerinnungstests mit PTT, TZ, Thromboplastinzeit (TPZ). Protein-S-Aktivität,
freies Protein S, Gesamtprotein S. Protein-C-Aktivität, Protein-C-Konzentration; Antithrombin-IIIAktivität.
Lupusantikoagulans; Kardiolipin-Antikörper (IgG, IgM); Plasminogenaktivität. Gerinnbares
Fibrinogen; t-PA (tissue type plasminogen activator); PAI 1 (Plasminogenaktivator-Inhibitor).
Histidinreiches Glykoprotein; Faktor XII-Aktivität.
Bildgebende Diagnostik: Ultraschall-Dopplersonographie; Phlebographie. Venöse/arterielle
digitale Subtraktionsangiographie. Ventilations-/ Perfusionsszintigraphie (Lungenembolie);
CT/MRT (bei großen Gefäßen).
Ferner: Ausschluß möglicher Ursachen, z. B. maligne hämatologische Erkrankungen.
Differentialdiagnose:
Arterielle Durchblutungsstörungen
Besonderheiten:
Thrombosen sind im Kindesalter selten, sie häufen sich jedoch im Neugeborenen-Alter und in
der Adoleszenz. Meist liegt bei spontaner Thromboseneigung ein Mangel an antithrombotisch
wirkenden Faktoren vor, denen sich ein weiterer Risikofaktor zugesellt. Beim nephrotischen
Syndrom kommt es u. a. zum AT III-Verlust und dadurch gehäuft zu Nierenvenenthrombosen!
Hämatologie
58
Komplikationen:
Chronisch venöse Insuffizienz, Ulkus, Stauungsdermatitis, Blutungen, Verlängerung der
Regelblutung.
Therapie:
Operative Intervention mit
Embolektomie; Bypass-Transplantation; Resektion und Rekonstruktion.
Nicht-operative Intervention:
· Perkutane transluminale Angioplastik (bei Stenosen der Nieren- und Koronararterien oder
peripheren Arterien
· Abwarten der spontanen Auflösung
· Antikoagulantientherapie mit Heparin
· Fibrinolytische Therapie (bei Thrombosen, die nicht älter als 10-14 Tage sind) mit rt-PA
(rekombinanter Gewebe-Plasminogenaktivator), Streptokinase, Urokinase.
Indikation zur Thrombolysetherapie:
Zur Abwendung einer unmittelbaren Lebensbedrohung durch den Thrombus
Abwendung des Verlustes von Extremitäten
Vermeidung eines Dauerschadens
Direkte Schmerzlinderung durch Besserung der lokalen Symptomatik
Wichtig: Reokklusionstherapie:
· Cumarinderivate
· Heparin
· Thrombozytenaggregationshemmer (Azetylsalizylsäure, Ticlopidin): Wirkung: Hemmung der
Zyklooxygenase in den Thrombozyten, Hemmung des aggregationsfördernden Thromboxans.
Ind.: Bei Thrombophilie, drohender arterieller Durchblutungsstörung (TIA, Amaurosis fugax),
Sekundärprophylaxe nach arteriellen Verschlüssen.
Hämatologie
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· Physikalische Therapie, aktive und passive Bewegung, Kompressionstherapie mit angepaßten
Stützstrümpfen.
Die Dauer der Reokklusionstherapie ist abhängig von der Thromboseausprägung, deren
Lokalisation, dem Erfolg der Therapie sowie von patienteneigenen Merkmalen
(zugrundeliegende Ursache, Varikosis...) abhängig. Sie ist im Kindesalter meist kurzzeitig (3-12
Monate), teilweise aber lebenslang (z. B. angeb. Thrombophilie, Herzklappenersatz).
Prognose:
Abhänig von Grad und Sitz der Thrombose sowie deren Therapiemöglichkeit. Meist jedoch gut.
Wichtig: Langzeitantikoagulation über Monate, evtl. lebenslang notwendig!
Hämatologie
60
Erkrankungen des leukozytären Systems
15.3.0 Allgemeines
15.3.1 Neutrophile Leukozytopenie
15.3.2 Granulozytenfunktionsstörungen
15.3.3 Differentialdiagnosen klinischer Bilder bzw. praktisch relevanter Laborparameter
(Auswahl)
Allgemein
Physiologie
Leukozyten (weiße Blutkörperchen) werden eingeteilt in Granulozyten (60-70 % der
Leukozyten), Lymphozyten (20-30 %) und Monozyten (2-6 %).
Granulozyten:
Abstammung von unipotenten Stammzellen im Knochenmark unter Einwirkung
koloniestimulierender Faktoren > Myeloblasten > neutro-, eosino- und basophile Promyelozyten,
Myelozyten und Metamyelozyten (jugendliche Granulozyten) > Reifungsphase > Stabkernige und
Segmentkernige (nach der Reifungsphase werden pro Tag mehr als 100 Milliarden
Granulozyten aus dem Knochenmark in das Blut freigesetzt). Granulozyten sind wichtige
Komponente der unspezifischen zellulären Abwehr (Fähigkeit zur Adhärenz am vaskulären
Endothel, Chemotaxis, Migration bzw. Diapedese, Phagozytose und Keimabtötung durch
intrazelluläre Enzyme).
Lymphozyten:
Abstammung von unipotenten (lymphoiden) Stammzellen im Knochenmark. Bildung in Lk,
Thymus, Milz. Nur ca. 4 % gelangen über Lymphbahnen in das Blut, etwa 70 % befinden sich in
den Organen des lymphatischen Systems. Besitzen spezifische Rezeptoren für ein bestimmtes
Antigen, durch das sie aktiviert werden können (immunologisch aktive Effektor- oder
Gedächtniszellen). In Abhängigkeit von ihrer Funktion werden B-Lymphozyten (Träger der
spezifischen humoralen Immunität und Vorläufer der Plasmazellen) und T-Lymphozyten (Träger
der zellvermittelten Immunität) unterschieden.
Monozyten:
Zur Phagozytose und Migration befähigt und besitzen auf ihrer Membranoberfläche u. a.
Rezeptoren für Komplementproteine (z. B. C3b) und Fc-Rezeptoren für IgG (wichtig für
Anlagerung und Phagozytose von Mikroorganismen). Die im Blut 1-2 Tage zirkulierenden
Monozyten differenzieren sich nach Auswanderung in verschiedene Organe bzw. Gewebe
(Systeme) zu ortsständigen gewebetypischen Makrophagen. Aus der granulopoetisch
determinierten myeloischen Stammzelle (Myeloblast) können sich unter Einfluß humoraler
Hämatologie
61
Faktoren (z. B. koloniestimulierende Faktoren) Monozyten (aus Promonozyten) oder neutrophile
Granulozyten entwickeln.
Bei infektiösen Erkrankungen kommt es zu phasenhaft ablaufenden Veränderungen der
Leukozytenverteilung, die im Differentialblutbild erfaßt werden können und einen Rückschluß
auf den Krankheitsverlauf ermöglichen:
· Neutrophile Kampfphase (Abwehr eingedrungener Erreger) mit Vermehrung der neutrophilen
Granulozyten, Linksverschiebung, Verminderung der eosinophilen Granulo- und der
Lymphozyten.
· Monozytäre Abwehr- oder Überwindungsphase mit Monozytose als Zeichen der Aktivierung
des Monozyten-Makrophagen-Systems, tritt bei beginnender Immunisierung auf und deutet
meist auf einen Verlauf mit Heilung hin; als Dauerzustand bei chronisch rezidivierende
Erkrankung (z. B. Tuberkulose, Malaria).
· Lymphozytär-eosinophile Heilphase mit Lymphozytose und Eosinophilie, weiterem Rückgang
der absoluten Leukozytenzahlen und der Linksverschiebung.
Neutrophile Leukozytopenie
Definition:
Verminderung der neutrophilen Granulozyten <1,5 Gpt/l bei normalen Erythrozyten- und
Thrombozytenwerten.
Ätiologie/Pathogenese:
· Bildungsstörung im Knochenmark
· Vorzeitiger Leukozytenuntergang
· Verteilungsstörung
Bakterielle Infektionen (u. a. disseminierte Tbc, Typhus), virale Infektionen (u. a. EBV, Masern,
Röteln, Varizellen), Protozoen (Malaria), medikamenteninduziert (Zytostatika, Antibiotika,
Antiphlogistika, Thyreostatika), Hypersplenie-Syndrom, immunpathologisch (idiopathisch, Lupus
erythematodes), Knochenmark-Infiltration mit Verdrängung (u. a. Leukämien).
Klinik:
Vom Schweregrad abhängig! Asymptomatisch bei Granulozytenwerten > 1 Gpt/l; bei
zunehmender Neutrozytopenie erhöht sich das Infektionsrisiko besonders für bakterielle
Hämatologie
62
Infektionen (Sepsis). Je nach Ausprägung treten die klassischen Entzündungszeichen (Rubor,
Calor, Dolor, Tumor, Functio laesa) dabei nur abgeschwächt auf!
Häufig Staphylococcus aureus-Infektionen (Abszesse, Furunkel, Pneumonie, Sepsis).
Diagnostik:
Je nach auslösender Ursache! Neutrophile Granulozyten definitionsgemäß < 1,5 Gpt/l; CrP ,
BSG , wiederholte Blutkulturen; Abstriche von Rachen, Haut, Schleimhaut; Pilzserologie.
Je nach Verdachtsdiagnose weitere gezielte Diagnostik (u. a. EKG, Sono-Abdomen, Herz-Echo,
Röntgen-Thorax, Knochenmark-Punktion, Kortisontest zur Erfassung der KnochenmarkReserve, Motilitätsprüfung der Granulozyten, Granulozyten-Ak, Vit B12, Folsäure,
immunologische Diagnostik).
Besonderheiten :
Milde Neutrozytopenie: 1,0-1,5 Gpt/l, mäßige 0,5- 1,0 Gpt/l, schwere < 0,5 Gpt/l.
Extremform als Agranulozytose: Allergisch (akut) oder toxisch (langsam) einsetzende schwerste
Granulozytopenie mit ausgeprägten Krankheitssymptomen. Häufige Auslöser:
Analgetika/Antiphlogistika, Thyreostatika, Sulfonamide. Therapie: Intensivtherapie, Absetzen
auslösender Medikamente, Antibiose, koloniestimulierende Faktoren.
Im Kleinkind-Alter herrscht eine Autoimmun-Neutrozytopenie vor.
Zyklische Neutrozytopenien treten in regelmäßiger Periodik (19-21 d) auf (stellen eigenes
Krankheitsbild dar); ebenso die chronische Neutrozytopenie, die familiär gehäuft vorkommen
kann; klinisch wegweisend sind rezidiv. Gingivitis, Lymphadenitis, Otitis.
Komplikationen:
Sepsis, Multiorganversagen, DIC, Komplikationen der Grunderkrankung.
Therapie:
Abhängig vom Schweregrad! Absetzen auslösender Medikamente (sofern möglich); Therapie
der Grunderkrankung; initial Breitbandantibiotika, nach Antibiogramm gezielte Antibiose. Evtl.
koloniestimulierende Faktoren. Infektionsschutz (evtl. keimarme Pflege, sofern vorhanden "Life
island"), selektive Darmdekontamination (Prophylaxe einer endogenen Infektion durch orale,
schwer resorbierbare Antibiotika). Antimykotische Prophylaxe in Abhängigkeit von der Klinik.
Prognose:
Abhängig von auslösender Ursache, mitunter infaust.
Hämatologie
63
Granulozytenfunktionsstörungen
Septische Granulomatose (engl.: chronic granulomatous disease) Kasuistik
Heterologe Gruppe vererbbarer Erkrankungen, charakt. durch die Unfähigkeit der Granulozyten,
katalasepositive Bakterien (u. a. S. aureus, E. coli) nach vollzogener Phagozytose abzutöten
(Defekt des oxidativen Metabolismus). Kompensatorisch versucht der Körper über Bildung von
Granulationsgewebe, die Bakterien einzudämmen. Leitsymptome sind schwere rezidiv.
Infektionen (v. a. mit Staphylokokken, Enterobacteriaceae und Pilzen) z. B. als Lymphadenitis,
Pneumonie, Leberabszeß, Osteomyelitis. Pränatale Diagnostik in der 20. SSW möglich;
Diagnose sonst über Farbstoffreduktionsprobe ( NBT-Test)!
Dauertherapie mit intrazellulär wirksamen Antibiotika z. B. Trimethoprim, gezielte antibiotische
Behandlung akuter Infektionen, ggf. chir. Intervention. (z. B. Abszeßausräumung). Spezifische
kurative Maßnahme ist Knochenmark-Transplantation!
Neue Therapieansätze: Interferone
Weitere Funktionsstörungen:
Störung der Produktion chemotaktischer Stoffe bzw. Überwiegen von Chemotaxisinaktivatoren,
ineffektive Opsonierung und unzureichende Phagozytose.
Differentialdiagnosen klinischer Bilder bzw. praktisch relevanter
Laborparameter (Auswahl):
DD Leukozytose:
Physiologisch (Streß, Schwangerschaft, Neugeborenes),
akute Infektionen (u.a. bakteriell),
metabolisch (u. a. Coma diabeticum, Azidose),
Malignome (u. a. Lymphome, Karzinome),
akute Blutungen,
Medikamente und Hormone (u. a. Steroide, Adrenalin),
Toxine (Blei),
Bindegewebserkrankungen (rheumatisches Fieber),
Hämatologische Erkrankungen (u. a. Leukämie, Splenomegalie)
Hämatologie
DD Eosinophilie:
Allergisch (u. a. Asthma, Parasiten),
chron. Hauterkrankungen (Ekzem),
Neoplasien (Lymphome),
andere (CED, Fanconi- Anämie, Post- Splenektomie, Aspergillose, kong. Vitien)
DD Hypersplenismus:
Akute Infektionen,
chron. Infektionen (u. a. Tbc, Malaria),
Entzündungen (u. a. SLE, Felty- Syndrom),
kongestiv (Pfortaderhochdruck),
Speicherkrankheiten,
Malignome,
hämolytische Anämien,
myeloproliferative Erkrankungen
DD erhöhte BSG:
Infektionen,
hämatologische Erkrankungen (u. a. Leukämie, Lymphome),
Neoplasien,
Kollagenosen,
Nierenerkrankungen (u. a. akute GN, nephrotisches Syndrom),
Verbrennungen, Operationen, CED
64
Hämatologie
65
Allgemeine Onkologie und maligne Systemerkrankungen
16.1 Besonderheiten pädiatrisch-onkologischer Erkrankungen
16.2 Leukämien
16.3 Maligne Lymphome
16.4 Histiozytosen
Besonderheiten pädiatrisch-onkologischer Erkrankungen
16.1.1 Allgemeines
16.1.2 Ätiologie und Pathogenese
16.1.3 Allgemeine diagnostische Grundlagen
16.1.4 Spezielle diagnostische Verfahren
16.1.5 Therapie und Prognose
16.1.6 Nachsorge
Allgemeines
Epidemiologie
(Jahresbericht 1995 des deutschen Kinderkrebsregisters, Bezugszeitraum 1991-1995):
Niedrige Inzidenz mit ca. 13-14 Neuerkrankungen pro 100.000 Kinder (bis vollendetes 15.
Lebensjahr) pro Jahr in Deutschland. Nach tödlichen Unfällen (32 %) jedoch mit 8 %
zweithäufigste Todesursache im Kindes- und Jugendalter. Inzidenz im Säuglingsalter am
höchsten, kontinuierliche Abnahme bis zum 10. Lebensjahr. Jungen erkranken 1,2 mal so häufig
wie Mädchen.
Einteilung:
Im Gegensatz zu Erwachsenen, bei denen überwiegend Karzinome auftreten, dominieren im
Kindesalter folgende Tumorarten (jeweils in abnehmender Häufigkeit):
Maligne Systemerkrankungen des Hämatopoese- und Immunsystems (Leukämien, Lymphome,
Histiozytosen): 49,5 %
Embryonale Tumoren (Neuroblastome, Nephroblastome = Wilms-Tumoren, maligne
Keimzelltumoren, Retinoblastome, Hepatoblastome): 20,5 %
Hämatologie
66
Tumoren des ZNS (Astrozytome, Medulloblastome, Ependymome, Kraniopharyngeome,
Germinome, Teratome): 16 %
Mesenchymale Tumoren (Weichteilsarkome, Osteosarkome, Ewing-Sarkome): 12 %
Karzinome: 1 %
Sonstige Tumoren: 1 %
Aufgrund der Seltenheit von onkologischen Erkrankungen im Kindesalter werden die betroffenen
Patienten in spezialisierten pädiatrisch-onkologischen Zentren behandelt. Diagnostik und
Therapie erfolgen nach einheitlichen Protokollen, die in prospektiven multizentrischen Studien
entwickelt werden. Ziel dieser Studien ist das Erreichen von immer höheren Heilungsraten bei
geringerer Toxizität.
Ätiologie und Pathogenese
Ursprung jeder malignen Erkrankung ist die Transformation einer Ursprungszelle durch
Einwirkung chemischer oder physikalischer Noxen oder onkogener Viren. Dieser TumorInitiierung folgt nach einer variablen Latenzperiode die klinische Manifestation.
Onkogenhypothese:
Maligne Entartung von Zellen entsteht durch Aktivierung von Onkogenen aus Proto-Onkogenen,
die insbesondere während der Embryonalentwicklung wachstumsregulierend wirken. TumorSuppressor-Gene wirken normalerweise einer Onkogen-Aktivierung entgegen. Diese Aktivierung
kann durch verschiedene genetische Mechanismen (Punktmutation, Deletion, Gen-Fusion,
Translokation, Amplifikation = Vervielfältigung eines Segments) direkt das Onkogen betreffen
oder über einen Tumor-Suppressor-Gen-Defekt erfolgen.
Endogene Ursachen:
Numerische Chromosomenanomalien wie Trisomie 18, Trisomie 21, Klinefelter-Syndrom
Phakomatosen = neurokutane Syndrome wie M. v. Recklinghausen, Tuberöse Hirnsklerose
Multiple endokrine Neoplasien = MEN-Syndrome
Immundefekt-Syndrome
Chromosomale Instabilität wie bei Fanconi-Anämie
DNA-Reparatur-Defekte wie Xeroderma pigmentosum
Hämatologie
67
Erhöhtes Nephroblastomrisiko bei Hemihypertrophie, Wiedemann-Beckwith-Syndrom und
Aniridie-Syndrom
Autosomal-dominanter Erbgang bei bilateralem Retinoblastom
Im Kindesalter relevante exogene Ursachen:
Ionisierende Strahlen, chemische Noxen (z. B. alkylierende Zytostatika!), onkogene Viren
(Retroviren wie humanes T-Zell-Leukämie-Virus > T-Zell-Leukämie, HIV > Kaposi-Sarkom, ZNSLymphome, DNA-Virus Epstein-Barr > Burkitt-Lymphom, besonders in Afrika).
Die maligne Entartung einer Zelle führt zu deren ungehemmten Wachstum mit lokaler
Raumforderung und entsprechenden Symptomen. Fast alle malignen Tumoren des Kindesalters
zeichnen sich durch eine hohe Metastasierungsrate aus, wobei die häufig bereits bei
Diagnosestellung vorhandenen Mikrometastasen oft nicht bei der Initialdiagnostik erfaßt werden.
Allgemeine diagnostische Grundlagen
Anamnese:
Leistungsabfall, Müdigkeit, Abgeschlagenheit, unklares Fieber, Gewichtsabnahme,
Nachtschweiß. Vor allem bei Systemerkrankungen Anämiesymptome (Blässe, Tachykardie,
Schwindel), Infektneigung, Blutungsneigung. Bei soliden Tumoren Symptomatik in Abhängigkeit
von der Lokalisation, z. B. sichtbare Schwellung, lokale Schmerzsymptomatik,
Hirndrucksymptome.
Klinik:
Haut: Blässe, Petechien, Hämatome, Hautinfiltrate (selten)?
Lymphknotenvergrößerungen, Hepatomegalie, Splenomegalie, tumorverdächtige Schwellung?
Cave: jede überflüssige Palpation vermeiden wegen Gefahr der weiteren Tumoraussaat!
Neurologische Defizite?
Spezielle diagnostische Verfahren
Die Diagnostik bei Verdacht auf eine maligne Erkrankung dient
1. der Diagnosestellung,
2. der Feststellung der lokalen Ausbreitung sowie von evtl. vorhandenen Fernmetastasen, also
der Stadieneinteilung (Staging),
3. der Verlaufskontrolle von Primärtumor und Metastasen sowie
4. der Erhebung von Ausgangsbefunden der Organfunktion vor Gabe toxischer Medikamente.
Hämatologie
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Stadieneinteilung solider Tumoren im Kindesalter:
Stadium I: Lokale Begrenzung auf Ursprungsorgan, radikale Operabilität
Stadium II: Lokale Ausbreitung mit makroskopischer Begrenzung auf Ursprungsorgan,
mikroskopisch keine radikale Entfernung, lokale Lymphknotenmetastasen
Stadium III: Regionale Ausbreitung in die Umgebung ohne makroskopisch radikale Operabilität,
regionaler Lymphknotenbefall
Stadium IV: Fernmetastasierung
Maligne Systemerkrankungen werden nach bestimmten Risikofaktoren, die bei den einzelnen
Krankheitsbildern besprochen werden, in Risikogruppen eingeteilt. Stadium bzw. Risikogruppe
sind von entscheidender prognostischer und daher auch therapeutischer Bedeutung!
Knochenmarkpunktion/untersuchung
führt bei Leukämien zur Diagnosestellung, bei allen anderen malignen Erkrankungen zur
Beurteilung einer möglichen Knochenmarkinfiltration (=Metastasierung).
Liquoruntersuchung (nach Ausschluß eines erhöhten Hirndrucks!):
Bei ZNS-Tumoren fakultativ erhöhter Eiweißgehalt durch entzündliche Begleitreaktion der
Meningen (selten Stopliquor = exzessiv erhöhtes Liquorprotein ohne zelluläre Veränderungen
unterhalb einer totalen Unterbrechung der Liquorpassage, z. B. durch Rückenmarkstumor).
Nachweis von Tumorzellen im Sediment bei ZNS-Tumoren oder sekundärer Beteiligung (häufig
bei Leukämien!).
Bildgebende Untersuchungen:
Sonographie (bei fehlender Strahlenbelastung besonders gut zur Verlaufskontrolle geeignet) zur
Darstellung von Hals, Abdomen, Weichteilen, Axillen, Leisten, bei SG auch des Schädels.
Röntgen- Schädel (Raumforderungszeichen),
-Thorax (Mediastinaltumor, thorakale Metastasen),
-Skelett ( Knochentumor/-metastase),
-i. v.-Urogramm (Wilms-Tumor, DD: Neuroblastom).
CT / MRT alternativ oder in Ergänzung zum CT; bei kleinen Kindern häufig Narkose erforderlich,
da absolutes Stilliegen Vorraussetzung ist.
- Kopf (wenn möglich zur Beurteilung von Hirntumoren MRT einsetzen, zur Verlaufsbeurteilung
jedoch bei einer Methode bleiben),
- Hals (genaue Beurteilung der Weichteile),
- Thorax (initial bei Tumorarten mit häufiger pulmonaler oder mediastinaler Beteiligung; immer
bei pathologischem Röntgenbefund),
Hämatologie
69
- Abdomen (in der Regel besser geeignet als MRT, da weniger Artefakte durch "Veratmen"),
-Becken, -Wirbelsäule, -Extremitäten (bessere Knochen-, schlechtere Weichteildarstellung als
MRT).
Szintigraphie zur Darstellung von
Knochentumoren/Skelettmetastasen (Technetium-99m), Knochenmarkmetastasen,
Metastasen bei Neuroblastom (selektive Darstellung von sympathischem Nervengewebe durch
123-J- Meta-Jod-Benzyl-Guanidin = mIBG, Versuch der therapeutischen Anwendung mit
höheren Dosen von mIBG möglich).
Nieren-Funktionsszintigraphie bei Wilms-Tumoren vor OP und im Verlauf.
Iod-131-Ganzkörperszintigramm bei Schilddrüsenkarzinom (im Kindesalter selten!).
Histologie
von Tumorgewebe obligat zur endgültigen Diagnosestellung bzgl. Tumorart und Malignitätsgrad
(= Grading: Grad I = hochdifferenziert, Grad II = intermediär, Grad III = undifferenziert).
Primär Probeexzision, wenn präoperative Bestrahlung und/oder Polychemotherapie
erfolgversprechend ist. Sonst sofort Versuch der radikalen chirurgischen Tumorentfernung nach
Schnellschnittdiagnose.
Ausnahme: bei hochgradigem Verdacht auf Nephroblastom mit großem Primärtumor oder
vorhandenen Fernmetastasen präoperative Chemotherapie ohne voherige histologische
Diagnosesicherung. Biopsie hier streng kontraindiziert (Gefahr der peritonealen Tumoraussaat)!
Immunologische Untersuchungen
des Tumormaterials weisen Oberflächenantigene nach und dienen der genaueren
Klassifizierung.
Zytogenetik zum Nachweis von spezifischen genetischen Veränderungen in den Tumorzellen
(Translokationen, Onkogene). Häufig wichtiger Prognosefaktor.
Tumormarker
haben im Kindesalter eine geringere Bedeutung als bei Erwachsenen. Sofern vorhanden bzw.
erhöht, dienen sie der Prognoseeinschätzung und/oder der Verlaufsbeurteilung. Katecholamine
und deren Metabolite in Serum und Urin bei Neuroblastom in 90 % d. F. erhöht, weitere
Tumormarker bei Neuroblastom sind Ferritin und neuronenspezifische Enolase (NSE). Alpha1Fetoprotein und/oder ß-HCG bei 50-70 % der Lebermalignome und Keimzelltumoren, Alkalische
Phosphatase bei ca. 50 % d. F. von Osteosarkom. LDH erhöht bei Leukämien und Lymphomen,
bei Non-Hodgkin-Lymphomen prognostisch wichtig (Korrelation mit Tumormasse).
Hämatologie
70
Therapiebegleitende/-überwachende Diagnostik:
Leber- und Nierenfunktion können durch die zytostatische Therapie beeinträchtigt werden und
müssen daher initial und im Verlauf kontrolliert werden (Transaminasen, Gamma-GT, Kreatinin).
Blutgruppenbestimmung vor Therapiebeginn, da im Verlauf meist tumor- und/oder
therapiebedingt mehrfache Transfusionen erforderlich werden.
HLA-Typisierung, für den Fall, daß eine Knochenmarktransplantation erforderlich wird und um
bei einer Antikörperbildung gegen Blutbestandteile HLA-identisch transfundieren zu können.
Virusserologie, um gegebenenfalls eine transfusionsbedingte Infektion zu erkennen sowie zum
Schutz des Personals bei bereits vorhandenen viralen Infektionen (Hepatitis, HIV).
Echokardiographie vor, während und nach Therapie mit kardiotoxischen Medikamenten
(Anthracycline sowie Ifosfamid).
Therapie und Prognose
Ohne Behandlung immer tödlicher Verlauf! Da bei entsprechender Therapie in ca. 70 % aller
onkologischen Erkrankungen im Kindesalter mit einer dauerhaften Heilung gerechnet werden
kann, ist das Therapieziel prim. immer kurativ! Erst, wenn sich im Verlauf eine infauste Prognose
entwickelt, ist ein palliatives Vorgehen gerechtfertigt. Die Behandlung setzt sich zusammen aus
lokaler Therapie (Operation, Bestrahlung) und systemisch wirksamer Polychemotherapie.
Aufgrund der hohen Toxizität der Zytostatika ist außerdem eine umfangreiche sogenannte
Supportivtherapie zur Behandlung der Nebenwirkungen erforderlich. Bei speziellen Indikationen
kommt die autologe oder heterologe Knochenmarktransplantation zum Einsatz (siehe 16. 1. 4.
1).
Um die Behandlungserfolge weiter zu optimieren und die Nebenwirkungen zu minimieren,
werden in multizentrischen prospektiven Therapiestudien Protokolle erarbeitet und ständig
weiterentwickelt. Daher werden hier die allgemeinen onkologischen Behandlungsprinzipien und
bei den einzelnen Krankheitsbildern die zur Zeit gültigen Therapien beschrieben, wobei bewußt
auf Einzelheiten verzichtet wurde, die man den jeweils aktuellen Protokollen entnehmen kann.
Begriffe:
Vollremission: Zustand nach Therapie, der eine Diagnosestellung mit den üblichen Mitteln
(klinisch und laborchemisch) nicht mehr erlaubt - scheinbare Heilung.
Teilremission: Deutliche Besserung von klinischen Befunden und Allgemeinzustand ohne
vollständige Normalisierung.
Progression: Fortschreiten des Krankheitsprozesses.
Rezidiv: Wiederauftreten der Krankheit nach vorausgegangener Remission.
Hämatologie
71
Eine Operation solider Tumoren bzw. lokalisierter Lymphome erfolgt je nach Tumorart primär
oder nach vorausgegangener Polychemotherapie (Verbesserung der Operabilität durch
Reduktion der Tumormasse, Behandlung von Mikrometastasen ohne zeitliche Verzögerung).
Wichtigster Bestandteil in der pädiatrisch-onkologischen Therapie ist die Polychemotherapie, da
Tumoren bei Kindern eine besonders hohe Proliferationsrate aufweisen und daher ein besseres
Ansprechen auf Chemotherapie zeigen als bei Erwachsenen. Die Chemotherapie wird bei
hämatologischen Systemerkrankungen primär, bei soliden Tumoren präoperativ = neoadjuvant
und/oder postoperativ = adjuvant durchgeführt.
Grundprinzip: Schädigung sich teilender Zellen durch Einwirkung auf den Zellstoffwechsel.
Dabei greifen verschiedene Zytostatika in verschiedenen Phasen des Zellstoffwechsels an, so
daß durch geeignete Abfolge eine deutliche Wirkungssteigerung gegenüber der Monotherapie
zu erzielen ist. Die Wahl der jeweiligen Zytostatika bei bestimmten Erkrankungen erfolgt
aufgrund von epidemiologischen Erfahrungen.
Allgemeine Nebenwirkungen aller Zytostatika durch unselektive Schädigung schnell wachsender
Gewebe mit hoher Proliferationsrate:
Myelosuppression mit Anämie, Leukozytopenie (Immunsuppression), Thrombozytopenie
(Blutungsneigung)
Übelkeit, Erbrechen
Schleimhautulzera, Durchfall
Haarausfall
Gonadendysfunktion/Fertilitätsstörungen, vorrübergehend oder bleibend, besonders nach
Einsatz alkylierender Zytostatika
Kanzerogene Wirkung aller Zytostatika führt zu einer (gegenüber dem spontanen Auftreten)
erhöhten Rate von sekundären Malignomen!
Vorraussetzungen zur Durchführung einer Chemotherapie (vor jeder Applikation von
Zytostatika!):
Ausreichender Allgemein- und Ernährungszustand.
Infektfreiheit!
Leukozyten, insbesondere Granulozyten nicht unterhalb bestimmter Grenzwerte (abhängig von
Grunderkrankung und Medikament), sonst Therapieverzögerung erforderlich.
Sichere Lage des intravenösen Zugangs.
Bei intrathekaler Applikation vor Zytostatikagabe entsprechende Liquormenge ablassen.
Während und nach jedem Zytostatikazyklus bis zur Erholung des Knochenmarks regelmäßige
Blutbildkontrollen auch zur Überwachung von Erythrozyten und Thrombozyten, die rechtzeitig
substituiert werden müssen, jedoch nicht limitierend sind für die Applikation von Zytostatika.
Weitere Therapieüberwachung siehe 16. 1. 3
Hämatologie
Wirkungsmechanismen und spezifische Nebenwirkungen der wichtigsten
Zytostatika:
72
Hämatologie
73
Bestrahlungsindikationen sind mangelnde Radikalität der Operation, schlechte Zugänglichkeit
bestimmter Regionen für Zytostatika (z. B. ZNS aufgrund der Blut-Hirn-Schranke),
Knochenmetastasen, Nachbestrahlung bei unzureichender Wirkung der Polychemotherapie, z.
B. bei M. Hodgkin.
Nebenwirkungen der Strahlentherapie:
A) Akut:
· Übelkeit, Erbrechen, Enteritis bei abdominaler Bestrahlung
· Milde Hirndruckzeichen, Erbrechen bei Schädelbestrahlung
· Schleimhautulzeratitis
· Strahlendermatitis
Therapie mit Dexamethason
Therapie siehe Supportivtherapie
bestrahlte Hautregion nicht waschen, trockene Pflege mit Puder
· Haarausfall bei Schädelbestrahlung (reversibel)
· Strahlenpneumonitis bei Thoraxbestrahlung
· Knochenmark-Depression bei Großfeld-Bestrahlung
B) Subakut: Strahlenkater = Apathiesyndrom ca. 6 Wochen nach Schädel- oder
Ganzkörperbestrahlung, Therapie meist nicht erforderlich.
C) Spät:
· Hautatrophie
· Organfibrose
· Wachstumsstörung bestrahlter Wachstumsfugen
· Zweitneoplasien
Ziel der Supportivtherapie ist es, die Nebenwirkungen der Therapie selbst, sowie des ggf.
massiven Zellzerfalls so gering wie möglich zu halten.
Hämatologie
Nebenwirkung/Symptom Therapie
74
Hämatologie
75
Knochenmarktransplantation (KMT):
Prinzip:
Konditionierung = hochdosierte zytostatische Therapie und Ganzkörper-Bestrahlung mit dem
Ziel der Vernichtung aller Tumorzellen. Diese wird nur überlebt, wenn anschließend
Knochenmark transplantiert wird. Die Transplantation erfolgt durch intravenöse Infusion, wonach
sich die transplantierten Stammzellen im Knochenmark ansiedeln.
Indikationen:
- Leukämien und metastasierende Malignome mit sonst sehr schlechter Prognose (KMT in der
Remission)
- nichtmaligne Erkrankungen wie aplastische Anämie, schwere Immunmangelerkrankungen,
angeborene
Stoffwechseldefekte
Begriffe:
Knochenmarktransplantation: Übertragung von Knochenmark (KM), welches durch
Knochenmarkpunktion gewonnen wurde.
Stammzelltransplantation: Übertragung von Knochenmarks-Stammzellen, die nach Stimulation
durch G-CSF aus dem peripheren Blut "gesammelt" werden.
Autologe KMT: Vor Konditionierung Entnahme von eigenem KM, das nach Konditionierung
"zurückgegeben" wird. Sinnvoll, wenn die Myelotoxizität therapielimitierend ist. Vorteile: keine
Abstoßungsreaktion, keine GvHD. Nachteil: Gefahr des Überlebens von malignen Zellen im
transplantierten KM. Risikoverminderung durch sogenanntes Purging = Entfernung der malignen
Zellen in vitro (nach KM- Entnahme).
Syngene KMT: Transplantation des KM eines eineiigen Zwillings. Vorteile: HLA-Identität keine
Abstoßungsreaktion; geringes Rezidivrisiko, da das gespendete KM tumorzellfrei ist. Nachteil:
selten verfügbar!
Allogene KMT: Transplantation des KM eines weitgehend HLA-identischen Spenders (möglichst
Geschwister). Vorteile: häufiger verfügbar als syngene KMT, geringere Rezidivgefahr als bei
autologer KMT. Nachteile: erhöhtes Risiko durch Transplantatabstoßung und / oder GvHD (s.u.).
Durch immunsuppressive Therapie zur Vermeidung einer Abstoßungsreaktion erhöhte
Infektionsgefahr, besonders durch opportunistische Erreger.
Hämatologie
76
Komplikationen:
Bei autologer und allogener KMT:
Toxizität der Konditionierungstherapie (entspricht den NW der
Polychemotherapie/Ganzkörperbestrahlung).
Infektionen: Während der ersten drei Wochen = aplastische Phase Granulozytenmangel im
Vordergrund) septische Infektionen. Während der folgenden Monate = immunsuppressive
Phase (besonders nach allogener KMT) verminderte zelluläre Abwehr opportunistische
Infektionen, z.B. mit CMV, VZV, HSV, Candida, Aspergillus, Pneumocystis carinii,
Mykobakterien usw..
Bei allogener KMT:
Graft versus host disease (=GvHD) = zelluläre Immunreaktion des Spenderknochenmarks
gegen den Empfänger. Akute GvHD während der ersten drei Monate: Dermatitis, Enteritis,
Hepatitis. Prophylaxe mit immunsuppressiver Therapie (Ciclosporin A und Methotrexat),
Therapie mit Prednisolon, evtl. Antilymphozytenserum oder monoklonale Antikörper gegen TLymphozyten. Chronische GvHD nach >100 Tagen: Sicca-Syndrom, Lupus erythematodesähnliche Hautveränderungen, Organbeteiligung (ähnlicher Verlauf wie Kollagenose). Therapie
mit Prednisolon und Immunsuppressivum (z.B. Azathioprin).
Gefahr der Transplantatabstoßung (Restimmunität des Empfängers gegen gespendetes KM).
Bei autologer KMT Rezidivgefahr durch "Rückübertragung" von Tumorzellen.
Prognose:
Abhängig von Grunderkrankung. Bei Leukämien in 50% der Fälle dauerhafte Heilung durch
Knochenmarktransplantation!
Nachsorge
Nach Abschluß der Therapie sind zunächst engmaschige, später mittelfristige, überwiegend
ambulante Kontrolluntersuchungen zur Früherkennung eines Rezidivs oder von toxisch
bedingten Organschädigungen notwendig:
Ausführliche körperliche Untersuchung mit genauem Lymphknotenstatus.
Blutbild einschließlich Differentialblutbild.
Weitere Untersuchungen, insbesondere bildgebende, abhängig von der Grunderkrankung sowie
vom klinisch erhobenen Befund.
Hämatologie
77
Leukämien
16.2.1 Allgemeines
16.2.2 Akute lymphatische Leukämie (ALL)
16.2.3 Akute myeloblastische Leukämie (AML)
Allgemeines
Definition:
Bösartige Erkrankungen der weißen Blutkörperchen durch klonale Proliferation unreifer
hämatopoetischer Stammzellen.
Epidemiologie:
4-5 Neuerkrankungen /100.000 Kinder (bis 15 J.)/Jahr, damit häufigste maligne Erkrankung im
Kindes- und Jugendalter (ca. 35 % der malignen Erkrankungen). Altersgipfel 4.-8. Lebensjahr.
Kongenitales Auftreten möglich. Verhältnis Knaben : Mädchen = 1,5 : 1.
Einteilung:
Leukämien werden eingeteilt nach der Verlaufsform in akut und chronisch (Zuordnung nach dem
natürlichen Verlauf vor Vorhandensein einer wirksamen Therapie) und nach der betroffenen
Zellreihe in lymphoblastisch und myeloblastisch. Die relative Häufigkeitsverteilung im
Kindesalter weicht deutlich von der bei Erwachsenen ab:
Akute lymphoblastische Leukämie = ALL - 83 %
Akute myeloblastische Leukämie = AML - 15 %
Chronische myeloblastische Leukämie = CML - 2 %
Chronische lymphoblastische Leukämie = CLL - << 1 %
Außerdem erfolgt nach bekannten Risikofaktoren (siehe einzelne Krankheitsbilder) die
Zuordnung zu Risikogruppen, so daß die Intensität der Therapie der Prognose angepaßt werden
kann. Da die Kriterien für eine erhöhte Rezidivgefahr auch von der jeweils gültigen Therapie
abhängen, können sich diese mit Weiterentwicklung der Therapie teilweise ändern.
Ätiologie:
Weitgehend unbekannt. Möglicherweise im Kindesalter durch hohe Aktivität des Immunsystems
mit physiologischerweise starker Proliferation der Leukozyten vermehrte somatische Mutationen.
Erhöhtes Erkrankungsrisiko bei angeborenen Chromosomenanomalien (Fanconi-Anämie,
Down-Syndrom, Immundefekte), nach Einwirkung von ionisierenden Strahlen oder
knochenmarkschädigenden Substanzen wie Benzol, Chloramphenicol, Zytostatika. Diskutiert
Hämatologie
78
wird die Rolle von Viren als mögliche Auslöser von Leukämien (HTLV I > T-Zell-Leukämie, EBV >
B-Zell-Leukämie).
Pathogenese:
Rapide Proliferation der malignen Zellen führt zu Verdrängung des gesunden Knochenmarks >
Anämie mit Blässe, Leistungsabfall, Müdigkeit; Thrombozytopenie mit Hämatomneigung,
Petechien, Blutungsneigung; Leukozytopenie mit Infektneigung.
Organinfiltration mit Leukämiezellen > generalisierte Lymphknotenschwellung, Hepato/Splenomegalie, Thymusvergrößerung, Meningeosis leucaemica.
Anamnese:
Zunächst oft unspezifische Symptome wie Appetitlosigkeit, Abgeschlagenheit, Blässe,
Gewichtsabnahme. Später anhaltende oder rezidivierende Infekte, Fieber mit oder ohne
ersichtliche Ursache. Haut-/Schleimhautblutungen, anhaltendes Nasenbluten,
Zahnfleischbluten. Bauchschmerzen, Knochen-/Gelenkschmerzen. Selten Kopfschmerzen und
Erbrechen als Hirndruckzeichen bei Meningeosis.
Klinik:
Blässe, evtl. Haut-/ Schleimhautblutungen. Lymphknotenschwellungen, Hepatomegalie,
Splenomegalie. Bei Meningeosis Hirndruckzeichen und/oder Hirnnervenausfälle. Selten
Infiltration von Tränen- und Speicheldrüsen = Mikulicz-Syndrom, Gingivahyperplasie (bei AML),
initiale Hodeninfiltration, Stridor und/oder obere Einflußstauung bei ausgedehntem
mediastinalem Tumor (besonders bei T-ALL > Thymusinfiltration).
Diagnostik:
Blutbild (typische Veränderungen, die auftreten können, aber nicht notwendigerweise vorhanden
sein müssen): Normochrome Anämie, Retikulozyten , Thrombozytopenie. Leukozyten normal,
leicht oder massiv erhöht. Im Differentialblutbild meist Blasten = Leukämiezellen. Fehlen von
Blasten: Aleukämische Leukämie. Bei akuten Leukämien/akutem Blastenschub chronischer
Leukämien Hiatus leucaemicus = Auftreten von Blasten und sehr wenigen reifen Granulozyten
ohne dazwischenliegende Reifungsstufen. Bei CML pathologische Linksverschiebung =
Auftreten aller Reifungsstufen bis hin zu sehr unreifen Granulozytenvorstufen.
Beweis oder Ausschluß einer Leukämie nur durch Knochenmarkpunktion!
Verdrängung des normalen Knochenmarks, Infiltration mit Leukämiezellen (mindestens > 25 %,
oft fast ausschließlich Blasten uniformes Zellbild). Klassifikation nach zytomorphologischen,
immunologischen, zytochemischen, zytogenetischen und molekulargenetischen Kriterien.
Zytomorphologie: Beurteilung von nach Pappenheim gefärbten Blut- und
Knochenmarkausstrichen (Zellform, Kern-Plasma-Relation, Kernstruktur, Zytoplasma).
Hämatologie
79
Immunologie: Nachweis von Leukozyten-Differenzierungsantigenen, die der lymphatischen oder
myeloischen Reihe und jeweils bestimmten Reifungsstadien zuzuordnen sind. Besonders
wichtig zur Klassifizierung der ALL sowie zur Diferenzieung lymphoblastisch/nichtlymphoblastisch. Zytochemie: Nachweis von Inhaltsstoffen der Leukämiezellen, meist von
Enzymen. Wichtig zur Differenzierung ALL/AML sowie zur Abgrenzung der CML von
leukämoider Reaktion (Leukozytose mit extremer Linksverschiebung, z. B. bei Sepsis).
Zytogenetik: Nachweis von Veränderungen des Genoms in den Leukämiezellen, meist
Translokationen.
Molekulargenetik: Nachweis von sogenannten Rearrangements = DNA-Regionen, die zur
Immunglobulinsynthese bzw. zur T-Zell-Rezeptor-Synthese spezifisch in der einzelnen
(gesunden) Zelle zusammengefügt werden. Diese können auch in Leukämiezellen vorliegen und
sind dann in allen Zellen entsprechend der klonalen Zellvermehrung identisch. Kann ein solches
Rearrangement bei einem Patienten nachgewiesen werden (was in ca. 85 % der Fälle gelingt),
so ist es möglich, eine patientenspezifische Gensonde herzustellen, mit deren Hilfe (mittels
PCR) minimale Mengen von Leukämiezellen nachgewiesen werden können. Dies ermöglicht
eine frühe Rezidiverkennung.
Blutchemie: BSG , bei hohem Zellumsatz LDH , Harnsäure , Kalium , Phosphat , Kalzium
. Eventuell eingeschränkte Nierenfunktion durch Zellzerfall und / oder Therapie (Kreatinin ).
Bestimmung der Leberwerte (Toxizitätskontrolle) und des Gerinnungsstatus (kann bei AML
pathologisch sein) vor Therapiebeginn sowie regelmäßig im Verlauf.
Vor Bluttransfusionen Blutgruppe, HLA-Typisierung und Virusserologie (Ausschluß einer
transfusionsbedingten Infektion).
Liquoruntersuchung: Fakultativ Leukämiezellen im Liquor = Meningeosis leucaemica. Auch ohne
Nachweis von Blasten im Liquor ist eine Infiltration der Meningen möglich!
Sonographie aller großen Lymphknotenstationen sowie von Milz, Leber und Nieren initial und
zur Verlaufsbeurteilung.
Röntgen-Thorax zur Darstellung der mediastinalen Lymphknoten und des Thymus.
Differentialdiagnosen:
1. Andere maligne Erkrankungen mit Knochenmarksinfiltration.
2. Nichtmaligne hämatologische Erkrankungen (idiopathische Thrombozytopenie,
Panmyelopathie, aplastische Anämie).
3. Rheumatische Erkrankungen (cave: Steroidtherapie bei Verdacht auf rheumatoide Arthritis
erst nach Leukämieausschluß!).
4. Osteomyelitis
5. Infektiöse Mononukleose
Hämatologie
80
Therapie:
Je nach Leukämieform unterschiedlich (siehe dort); allgemeine onkologische Therapieprinzipien
siehe 16. 1. 4.
Komplikationen:
Meist aufgrund mangelnden Ansprechens auf die Therapie mit entsprechenden klinischen
Erscheinungen der Grundkrankheit sowie der Therapietoxizität: Septische Infektionen,
Blutungskomplikationen, seltener Zellzerfall-Syndrom mit
Nierenversagen/Elektrolytentgleisungen bei extrem hohen Leukozytenzahlen, nekrotisierende
Enterokolitis, sonstige Organtoxizität oder allergische Reaktionen.
Rezidive können sowohl während der Therapie als auch danach auftreten. Je früher das
Rezidiv, desto schlechter die Prognose! Ursprungsorte der Rezidive sind in absteigender
Häufigkeit Knochenmark, ZNS, Hoden.
Akute lymphatische Leukämie
Kasuistik
Definition:
Von unreifen lymphatischen Zellen ausgehende Leukämie.
Epidemiologie:
Häufigste Leukämieform des Kindesalters mit 3-4 Neuerkrankungen/100.000 Kinder (bis 15
Jahre)/Jahr. Häufigkeitsgipfel 3. bis 5. Lebensjahr. Verhältnis Jungen : Mädchen 1,2 : 1.
Anamnese, Klinik und Komplikationen
siehe 16. 2. 1
Diagnostik:
S. allgemeine Leukämiediagnostik (16. 2. 1).
Zytomorphologie: Einteilung in L1-/L2-/L3-Morphologie, wahrscheinlich ohne prognostische und
therapeutische Konsequenz.
Immunologie: Differenzierung in B-Zell- oder T-Zell-Reihe, bei B-Zell-Vorläufer-Leukämien oft
Nachweis des sogenannten common-ALL-assoziierten Antigens.
Hämatologie
81
Zytochemie: PAS-positiv, Peroxidase- und Esterase-negativ.
Zytogenetik (für ALL typische Translokationen, die jedoch nur in einem Teil der Fälle
nachweisbarsind):
t(8;14) bei B-ALL,
t(1;19) bei Prä-B-ALL,
t(4;11) bei Prä-Prä-B-ALL,
t(11;14) bei T-ALL,
t(9;22) und weitere seltene Translokationen bei verschiedenen ALL-Formen.
Risikofaktoren für eine erhöhte Rezidivgefahr/ schlechte Prognose: Hohe Leukämiezellmasse
bei Diagnosestellung, initialer ZNS-Befall, B-Zell-Leukämie (nicht zu verwechseln mit B-ZellVorläufer-Leukämien), T-Zell-Leukämie mit meist initial großer Tumorzellmasse, Translokationen
t(9, 22) und t(4, 11), Alter < 1 Jahr oder > 6 Jahre, mangelndes initiales Ansprechen auf
Prednison.
Therapie:
Die Therapie der ALL besteht aus einer (systemisch wirksamen) Polychemotherapie, die ergänzt
wird durch lokale ZNS-Therapie; bei hohem Rezidivrisiko erfolgt bei Vorhandensein eines
geeigneten Spenders die allogene Knochenmarktransplantation (s. u.). Die Non-B-ALL (alle
ALL-Formen außer B-ALL) wird in vier aufeinanderfolgenden Phasen über insgesamt 2 Jahre
(Ausnahme: Jungen mit Standardrisiko > 3 Jahre) behandelt. Die Patienten werden nach den
oben genannten Kriterien in Gruppen mit Standard-, mittlerem und hohem Rezidivrisiko
eingeteilt. Die Therapieintensität richtet sich nach der ermittelten Risikogruppe. Die B-ALL
erfordert eine andere Therapie als alle anderen ALL-Formen und wird behandelt wie NonHodgkin-Lymphome der B-Zell-Reihe.
Medikamente: Prednison, Dexamethason, Vincristin, Anthracycline, Asparaginase, Cytarabin,
Cyclophosphamid, Methotrexat sowie 6-Mercaptopurin und 6-Thioguanin in verschiedenen
Kombinationen während der einzelnen Therapiephasen.
Eingeleitet wird die Therapie durch die sogenannte zytoreduktive Vorphase mit Prednison in
einschleichender Dosierung. Bei hohen Zellzahlen und gutem Ansprechen Gefahr des
Zellzerfall-Syndroms. Nach einer Woche beginnt die eigentliche Induktions-Therapie, deren Ziel
die komplette hämatologische Remission ist. Diese ist definiert als < 5 % Blasten im
Knochenmark bei Wiedereinsetzen der normalen Blutbildung. Die verbliebenen Leukämiezellen
sollen während der Konsolidierungs- und der Reinduktionsphase weitgehend vernichtet werden.
Da auch zu diesem Zeitpunkt (ca. 6 Monate nach Diagnosestellung) meist noch Leukämiezellen
überlebt haben, die sich während der Therapie in Ruhephasen des Zellzyklus befanden, schließt
sich die Remissions-Erhaltungsphase an. Nach Abschluß der intensiven Therapiephasen erfolgt
bis 2 Jahre nach Diagnosestellung (bei Jungen der Standardrisikogruppe bis 3 Jahre nach
Diagnose zur Vermeidung eines Hodenrezidivs) die orale Gabe von Methotrexat und 6Mercaptopurin.
Patienten mit hohem Rezidivrisiko -einschließlich derjenigen, die an Tag 33 keine komplette
Remission erreicht haben- erhalten nach der Induktionsphase zur Konsolidierung und
Reinduktion eine besonders intensive Therapie, bestehend aus insgesamt sechs rasch
aufeinander folgenden Blöcken von jeweils einer Woche Dauer. Die Therapieblöcke bestehen
Hämatologie
82
aus hochdosiertem Methotrexat und/oder Cytarabin sowie einer Kombination der übrigen oben
genannten Medikamente.
ZNS-Therapie: Zusätzlich zur systemischen Chemotherapie, die aufgrund der Blut-LiquorSchranke das ZNS nur in geringem Ausmaß erreicht, erfolgen intrathekale MethotrexatApplikationen (bei Patienten ohne initialen ZNS-Befall prophylaktisch zur Verhinderung eines
von den Meningen ausgehenden Rezidivs; therapeutisch bei initialem ZNS-Befall > häufigere
Gaben erforderlich). Schädel-Bestrahlung nur noch bei initialem ZNS-Befall, T-Zell-Leukämie
oder hohem Rezidivrisiko aufgrund anderer Risikofaktoren. Die früher übliche prophylaktische
Schädelbestrahlung bei allen anderen Patienten wurde aufgrund des erhöhten Risikos für
sekundäre Leukämien, ZNS-Tumoren und neuro-psychologische Defizite verlassen.
Indikation für Knochenmarktransplantation: bei Hochrisikopatienten in erster Remission, bei
frühen Rezidiven (< 6 Monate nach Therapieende) in zweiter Remission. Bei späteren Rezidiven
ist eine erneute Polychemotherapie erfolgversprechend.
Supportivtherapie (Transfusionen, Infektionsprophylaxe und -therapie) s. 16. 1. 5.
Prognose:
Erreichen einer kompletten hämatologischen Remission in ca. 95 % der Fälle, insgesamt 5Jahres-Überlebensrate von ca. 77 %. Rezidive nach 5 Jahren absolute Rarität.
Hämatologie
83
Akute myeloblastische Leukämie
Kasuistik
Definition:
Von unreifen myeloischen Zellen ausgehende Leukämie.
Epidemiologie:
Zweithäufigste Leukämieform des Kindesalters mit 0,6 Neuerkrankungen/100.000 Kinder (bis 15
Jahre)/Jahr. Altersgipfel im Säuglings- und Kleinkindalter. Verhältnis Jungen : Mädchen 1,1 : 1.
Anamnese:
S. Leukämien (16. 2. 1).
Klinik:
S. allgemeine Leukämiebefunde (16. 2. 1). Bei Säuglingen gehäuft Hautinfiltrationen. Selten
Auftreten von Chloromen = tumoröse Blasteninfiltrationen von Haut, Gingiva, Periost. Bei
Monozytenleukämie massive Lymphknotenschwellungen. Oft ausgeprägte Blutungsneigung.
Diagnostik:
S. allgemeine Leukämiediagnostik (16. 2. 1). Meist stark erhöhte Leukozytenzahl, selten
Leukozytopenie (siehe auch peripheres Blutbild, Knochenmarkpräparate). Oft ausgeprägte
Anämie und Thrombozytopenie, plasmatische Gerinnungsstörung (besonders bei Subtyp M3
durch disseminierte intravasale Gerinnung).
Einteilung nach zytomorphologischen und zytochemischen Kriterien in Subtypen M1 bis M7
nach der
FAB-Klassifikation (French-American-British Group).
AML-Subtyp - Zytochemie
M1 : AML ohne Differenzierung - Peroxidase-positiv
M2 : AML mit Differenzierung - Peroxidase-positiv
M3 : akute Promyelozyten-Leukämie - Peroxidase-positiv
Hämatologie
84
M4 : akute myelomonozytäre Leukämie - Peroxidase- und Esterase-positiv
a) mit b) ohne Eosinophilie
M5 : akute Monozyten-Leukämie - Esterase-positiv
M6 : akute Erythroleukämie (selten!) - negativ
M7 : akute megakaryozytäre Leukämie (selten!) - negativ
Fakultativ Auer-Stäbchen nachweisbar (in Pappenheim-Färbung rot-violette Zellorganellen, die
in Struktur und Enzymgehalt an Lysosomen erinnern, prognostisch günstig).
Zytogenetik: Bei > 80 % chromosomale Veränderungen nachweisbar
(Translokationen/Inversionen), die teilweise den Subtypen zuzuordnen sind; t(8;21) bei M2,
t(15;17) bei M3, inv(16) bei M4, t(9;11) bei M5.
Risikofaktoren für erhöhte Rezidivgefahr: Subtyp der AML, Leukozytenzahl bei Diagnosestellung
(entspricht Leukämiezellmasse), initialer ZNS-Befall, spätes Erreichen einer kompletten
hämatologischen Remission.
Standardrisiko: FAB M1 und M2 bei Nachweis von Auer-Stäbchen, FAB M3, FAB M4 mit
Eosinophilie, < 5 %
Blasten im Knochenmark am Tag 15 (außer M3).
Hochrisiko: Alle anderen Patienten.
Komplikationen:
1. Vor Therapie: bei Leukozytenzahlen >100 Gptl/l Gefahr des Leukostase-Syndroms durch
leukozytäre Mikrothromben mit intrakraniellen oder intrapulmonalen hämorrhagischen Infarkten.
Gefahr der intrakraniellen Blutung auch durch ausgeprägte Blutungsneigung.
2. Während sehr intensiver Induktionstherapie komplette Knochenmarkaplasie > schwere
Sepsis, Kolitis, Mukositis.
3. 10-15 % (!) der Patienten sind bereits initial Non-Responder auf die zytostatische Therapie.
Hämatologie
85
Therapie:
Grundsätzlich ähnlich wie bei ALL (s. 16. 2. 1), jedoch aufgrund geringerer ChemotherapieSensibilität sehr viel intensiver. Bei Leukozytenzahlen > 50 Gpt/l zytoreduktive Vorphase mit
Thioguanin und Cytarabin. Aggressive Induktionstherapie mit langanhaltender Knochenmark
aplasie erfordert entsprechende Supportivtherapie mit Einzelzimmerpflege, Infektionsprophylaxe
und -therapie sowie Transfusion von Thrombozyten, Gefrierfrischplasma, bei ausgeprägter
Anämie auch Erythrozyten.
Bei Hochrisikopatienten allogene Knochenmarktransplantation in erster Remission, sonst nach
erstem Rezidiv in zweiter Remission. Ohne vorherige Remission auch durch
Knochenmarktransplantation keine Heilungsaussicht!
ZNS-Therapie in präventiver oder kurativer Absicht: Cytarabin intrathekal sowie hochdosiert
systemisch (relativ gut liquorgängig) und ZNS-Bestrahlung bei allen Patienten.
Prognose:
Erreichen einer kompletten hämatologischen Remission in 80 % der Fälle, 5-JahresÜberlebensrate 45 %.
Hämatologie
86
Maligne Lymphome
16.3.1 Allgemeines
16.3.2 Non-Hodgkin-Lymphom (NHL)
16.3.3 Morbus Hodgkin (Lymphogranulomatose)
Allgemeines
Definition:
Maligne Erkrankungen, die von Zellen des lymphatischen Gewebes ausgehen.
Einteilung:
Unterschieden werden Non-Hodgkin-Lymphome, die im Kindesalter meist hochmaligne sind und
sich hämatogen ausbreiten, vom Morbus Hodgkin, dessen Ausbreitung deutlich langsamer und
überwiegend lymphogen und per continuitatem erfolgt.
Non-Hodgkin-Lymphom
Definition:
Bösartige Erkrankungen durch klonale Proliferation von B- oder T-Lymphozyten, primär von
Lymphknoten ausgehend. Bei Kindern fast ausschließlich hochmaligne mit frühzeitiger
Generalisierung, Knochenmarkinfiltration definitionsgemäß < 25 %.
Epidemiologie:
Ca. 0,8 Neuerkrankungen/100.000 Kinder (bis 15 Jahre)/Jahr. Altersgipfel um 7. Lebensjahr,
unter 5 Jahren sehr selten. Verhältnis Jungen : Mädchen 2,8 : 1.
Ätiologie:
Weitgehend unbekannt. Erhöhtes Erkrankungsrisiko bei angeborenen Immundefektsyndromen
(z. B. Louis-Barr-, Wiskott-Aldrich-Syndrom) und erworbenem Immundefekt durch
immunsuppressive Therapie oder HIV-Infektion. Enge Beziehung zwischen Ebstein-Barr-VirusInfektion und afrikanischem Typ des Burkitt-Lymphoms.
Pathogenese:
Im Kindesalter fast ausschließlich hochmaligne Lymphome mit schnellem Wachstum und früher
hämatogener Disseminierung, u. a. in ZNS und Knochenmark. Die klinische Symptomatik
Hämatologie
87
entwickelt sich aus Raumforderung, Organinfiltration und Verdrängung des Knochenmarks
(fließender Übergang zu akuter Leukämie > leukämische Transformation).
Anamnese:
Aufgrund der hohen Malignität meist kurze Anamnese. Symptomatik abhängig von Lokalisation
der Lymphome. Bei oberflächlichen Lymphknoten sicht- und tastbare Lk-Schwellungen, bei
mediastinalen Lymphomen Husten, Dyspnoe, bei abdominellen Lymphomen uncharakteristische
Bauchschmerzen. Bei ZNS-Befall Krampfanfälle, bei spinalem Befall Querschnittsymptomatik.
Bei ausgedehntem Nierenbefall oder Harnwegsobstruktion Oligo-/Anurie möglich.
Klinik:
Derbe, schmerzlose Lymphknotenschwellungen. Bei generalisierter Erkrankung
Hepatosplenomegalie.
Oft akute Notfallsymptomatik: Bei ausgedehnten Mediastinallymphomen Dyspnoe, Stridor, evtl.
Atelektasen, Pleuraerguß, obere Einflußstauung. Akutes Abdomen bei ileozökaler Invagination
(bei mesenterialen Lymphomen). Bei ZNS-Befall neurologische Ausfälle. Nach leukämischer
Transformation Befunde wie bei Leukämie.
Diagnostik:
Grundsätzlich aufgrund ähnlicher Pathogenese und Klinik nach den gleichen Gesichtspunkten
wie bei Leukämie.
Diagnosestellung ist möglich durch:
Histologische Untersuchung einer Lymphknotenbiopsie bzw. einer Tumorbiopsie. Versuch der
vollständigen Tumorentfernung nur bei kleinen, umschriebenen Tumoren, da aufgrund des
hochmalignen Charakters der Erkrankung ohnehin eine (erfolgversprechende!) systemische
Chemotherapie erforderlich ist.
Knochenmarkuntersuchung bei vorhandener Infiltration (Hinweis für Knochenmarkbeteiligung
sind Blasten im Differentialblutbild, noch bevor eine eingeschränkte Knochenmarkfunktion
vorliegt).
Blastenpleozytose im Liquor
Zytologische Untersuchung von Pleuraerguß oder Aszites, sofern vorhanden. Die gewonnenen
Zellen können auch weiterführend immunologisch und zyto-/molekulargenetisch untersucht
werden.
Einteilung erfolgt nach morphologischen und immunologischen Kriterien entsprechend der KielKlassifikation oder der REAL-Klassifikation, die weitgehend übereinstimmen. Erwähnt werden
hier nur die im Kindesalter vorkommenden hochmalignen Lymphome!
Hämatologie
88
1. Lymphoblastisch (ca. 70 % der Fälle):
- Burkitt-Tumor: B-Zell-Reihe, endemisches Vorkommen in Afrika, Assoziation mit EBV,
Hauptlokalisation im Kiefer.
- Lymphom vom Burkitt-Typ: B-Zell-Reihe, nicht EBV-assoziiert, Hauptlokalisation ileozökal.
- Convoluted-cell-Typ: T-Zell-Reihe, Hauptlokalisation im Mediastinum.
- Unklassifiziert: 70 % B-Zell-Reihe / 30 % T-Zell-Reihe.
2. Immunoblastisch
- B-Zell- oder T-Zell-Reihe
3. Zentroblastisch
4. Unklassifiziert hochmaligne
Insgesamt 60-70 % B-Zell-Lymphome (gastrointestinale Lymphome, Knocheninfiltrate,
Hiluslymphome ohne Thymusbefall sprechen für B-Zellreihe), 20-25 % T-Zell-Lymphome
(bevorzugte Lokalisation in der Thymusregion), 10 % nicht klassifizierbar.
Zur Stadieneinteilung sind bildgebende Untersuchungen von Schädel, Hals, Thorax und
Abdomen, evtl. auch der Wirbelsäule bzw. anderer Skelettabschnitte, sowie Liquor- und
Knochenmarkuntersuchung erforderlich. Zur Erfassung der Ausdehnung von Lymphomen eignet
sich gut die Computertomopraphie, ein spinaler Befall sollte mittels MRT dargestellt werden.
Stadieneinteilung nach Murphy:
Stadium I:
Befall einer Lymphknotengruppe bzw. eines lokalisierten extranodalen Herdes
Stadium II:
Befall von mehr als einer Lymphknotengruppe/mehr als ein lokalisierter Befall
extralymphatischer Organe auf derselben Seite des Zwerchfells
Stadium III:
Befall von Lymphknotengruppen und/oder lokalisierte extranodale Herde
beidseits des Zwerchfells
Stadium IV:
Zusätzlich ZNS- und/oder Knochenmark-Befall (< 25 % Blasten, sonst akute
Leukämie)
Zytochemie: Wie bei ALL: PAS-positiv, Peroxidase- und Esterase-negativ.
Zytogenetik: Befunde wie bei ALL, typisch für Burkitt-Lymphom sind die Translokationen t(8,14),
t(8,22) und t(2,8).
Hämatologie
89
Differentialdiagnose:
Alle Erkrankungen, die mit Lymphknotenschwellungen einhergehen:
Akute lymphoblastische Leukämie
Morbus Hodgkin
Andere maligne Erkrankungen mit Lymphknotenmetastasen
Entzündlich: Lymphadenitits, Tuberkulose, Mononukleose, Toxoplasmose, Zytomegalie
Komplikationen
entsprechen den unter Anamnese und Klinik beschriebenen Kompressionserscheinungen
beziehungsweise bei ausgedehnter Knochenmarkinfiltration denen der akuten Leukämie
(Infektionen, Blutungen). Außerdem wie bei allen malignen Erkrankungen Komplikationen der
zytostatischen Therapie.
Therapie:
Da es sich um eine Systemerkrankung des lymphatischen Systems handelt, haben lokale
Therapiemaßnahmen wie Operation und Bestrahlung keinen kurativen Effekt.
Die Behandlung besteht in einer systemischen Chemotherapie nach den Richtlinien der ALLTherapie. Da sich die verschiedenen NHL-Subtypen in ihrem biologischen Verhalten
unterscheiden, erfolgt die Einteilung der Patienten in 3 Therapiegruppen, die in Abhängigkeit
von Ausbreitungsstadium und initialem Therapieansprechen in risikoadaptierte Therapiezweige
unterteilt werden.
Therapiegruppe I: Lymphoblastische Lymphome (= B- und T-Zell-Vorläufer) und periphere TZell- Lymphome. Therapie wie bei akuter lymphoblastischer Leukämie.
Therapiegruppe II: Nicht-lymphoblastische periphere B-Zell-Lymphome (Burkitt-Lymphome,
zentroblastische Lymphome) und B-ALL!
Die Behandlung besteht aus rasch aufeinanderfolgenden, intensiven Therapieblöcken von
jeweils ca. einer Woche Dauer. In Abhängigkeit vom Ausbreitungsstadium werden 2 bis 6
Blöcke verabreicht, die aus den gleichen Medikamenten zusammengesetzt sind wie bei akuter
Leukämie. Therapiedauer ca. 2 bis 6 Monate. Zwischen den Blöcken oft ausgeprägte
Knochenmarkdepression, die eine entsprechende Supportivtherapie erfordert.
Therapiegruppe III: Großzellige anaplastische Lymphome.
Therapie prinzipiell wie bei Therapiegruppe II, jedoch aufgrund der besseren Prognose weniger
intensiv.
Auch die Therapie eines ZNS-Befalls bzw. die Prävention eines ZNS-Rezidivs entsprechen
grundsätzlich denen der ALL. Bei Therapiegruppe II und III mit prim. ZNS-Befall erfolgt die
Implantation eines "Ommaya-Reservoirs" unter die Kopfhaut. Dieses ist über einen Katheter mit
Hämatologie
90
einem Seitenventrikel verbunden, so daß während der Therapieblöcke tägliche intraventrikuläre
Zytostatikagaben möglich sind und lediglich einen Einstich durch die Kopfhaut erfordern.
Bei Auftreten von Rezidiven (ca.20 % der Fälle) ist eine erneute Remissionsinduktion, u. a.
durch Einsatz von Mitoxantronen, Hydroxyharnstoff und Cisplatin, anzustreben, an die sich eine
Knochenmarktransplantation (bei T-NHL allogen, bei B-NHL evtl. auch autolog mit von TumorRestzellen "gereinigtem" Knochenmark) anschließt.
Prognose:
Mit 80 % 5-Jahres-Überlebensrate etwas besser als bei der akuten lymphoblastischen
Leukämie.
Morbus Hodgkin
Kasuistik
Definition:
Maligne Erkrankung von Zellen des zellullären Immunsystems (genaue Ursprungszelle
unbekannt), die von Lymphknoten ausgeht und deren histologisches Kennzeichen einkernige
Hodgkin- und mehrkernige Sternberg-Reed-Zellen sind.
Epidemiologie:
0,7 Neuerkrankungen/100.000 Kinder (bis 15 Jahre)/Jahr. Vor dem 3. Lebensjahr Rarität,
danach kontinuierlicher Anstieg der Inzidenz mit zunehmendem Alter. Zwei Häufigkeitsgipfel im
Erwachsenenalter: 3. und 7. Lebensdekade. Androtropie (1,4 : 1).
Ätiologie/Pathogenese:
Die Ätiologie ist unbekannt. Ausgangsort ist fast immer ein Lymphknoten, von dort zunächst
Ausbreitung per continuitatem und lymphogen, wahrscheinlich erst nach Milzbefall auch
hämatogen.
Anamnese:
Variable Anamnesedauer bis zu einem Jahr. Verzögerung der Diagnosestellung durch
begleitende Infektionen, die die Lymphknotenschwellung zunächst erklären. Leitsysmptom ist
die schmerzlose, meist zervikale Lymphknotenschwellung ohne Entzündungszeichen (80 % der
Fälle). Alle anderen Lymphknotenregionen können ebenfalls initial oder sekundär betroffen sein.
Bei Mediastinallymphomen evtl. Husten, Dyspnoe, obere Einflußstauung. Bei abdominalen
Lymphomen oder Hepatosplenomegalie Bauchschmerzen. Uncharakteristische
Symptome/Beschwerden wie Müdigkeit, Blässe, Infektneigung, Juckreiz.
Hämatologie
91
Bei ca. einem Drittel der Patienten Auftreten von sogenannten B-Symptomen: Fieber > 38 °C
ohne erkennbare Ursache, Gewichtsabnahme >10 % in 6 Monaten, Nachtschweiß.
Klinik:
Indolente, derbe, unverschiebliche, häufig zu Paketen verschmolzene Lk-Schwellungen. Bei ca.
20 % der Patienten Hepato-/Splenomegalie.
Diagnostik:
Allgemeine Diagnostik s. 16. 1. 4.
Die Diagnosestellung erfolgt durch histologische Untersuchung eines vollständig exstirpierten
Lymphknotens (Punktion nicht ausreichend). Pathognomonisch sind die mehrkernigen
Sternberg-Reed-Zellen sowie die einkernigen Hodgkin-Zellen. Neben diesen malignen Zellen
besteht der Tumor aus reaktiven, durch Zytokine angelockten Zellen (Lymphozyten), deren
Anteil am Tumor den histologischen Subtyp bestimmt.
Unterschieden werden nach Rye: lymphozytenreiche Form, noduläre Sklerose, Mischtyp und
lymphozytenarme Form.
Je höher der Lymphozytenanteil, desto niedriger die Malignität!
Die Stadieneinteilung erfolgt nach der Ann-Arbor-Klassifikation:
Stadium I:
Befall einer Lymphknotenregion (I) oder lokalisierter Befall eines
extralymphatischen Organs (IE).
Stadium II:
Befall von zwei oder mehr Lymphknotenregionen auf einer Seite des Zwerchfells
(II) oder lokalisierter Befall extralymphatischer Organe und von
Lymphknotenregionen auf einer Seite des Zwerchfells (IIE).
Stadium III:
Befall von Lymphknotenregionen auf beiden Seiten des Zwerchfells ohne (III)
oder mit (IIIE) extralymphatischen Herden oder mit Milzbefall (IIIS) oder mit
beidem (IIIES).
Stadium IV:
Disseminierter Befall von Lymphknoten und einem oder mehreren
extralymphatischen Organen.
Stadium I-IV A: Fehlen von Allgemeinsymptomen
Stadium I-IV B: Vorhandensein von mindestens einem B-Symptom (s. o.)
Hämatologie
92
Folgende Untersuchungen sind für die Stadieneinteilung (Staging) erforderlich:
Bildgebende Untersuchungen: Sonographie aller darstellbaren Lk-Regionen ( Hals, Axillen,
Leisten, Abdomen) sowie des Oberbauches (Beurteilung von Leber und Milz). Röntgen-Thorax
in zwei Ebenen, CT von Hals, Thorax und Abdomen.
Bei Verdacht auf Knochenbefall Skelettszintigraphie.
Bei unklaren Befunden der bildgebenden Untersuchungen des Abdomens
(Lymphknotenvergrößerungen von 1- 2,5 cm, unklare Veränderungen in Leber und/oder Milz)
Staging-Laparotomie mit genauer Inspektion, Biopsien aller Lymphknotenregionen und
Leberbiopsie. Bei Mädchen mit makroskopisch eindeutigem Befall iliakaler Lymphknoten erfolgt
die Ovaropexie (Fixierung an der Rückseite des Uterus). Ziel der Laparotomie ist die genaue
Stadieneinteilung, um Gonadenschäden durch "zu viel" Therapie bei niedrigen AusbreitungsStadien zu vermeiden. Diese sind bei Jungen insbesondere durch Procarbazin-Gabe, bei
Mädchen durch Beckenbestrahlung zu befürchten. Die früher übliche Splenektomie wurde
inzwischen verlassen aufgrund der Gefahr der Postsplenektomie-Sepsis mit teilweise tödlichem
Ausgang.
Liquor- und Knochenmarkuntersuchung.
Weitere typische Befunde: stark erhöhte BSG, Leukozytose mit relativer Lymphozytopenie,
verminderte zelluläre Immunität (Tuberkulin-Test negativ).
Differentialdiagnose:
Wie bei Non-Hodgkin-Lymphomen (16. 3. 1). Im Vordergrund stehen Infektionen mit
Lymphknotenschwellungen.
Komplikationen:
Kompression von Nachbarorganen der Lymphome
Infektionen durch zellulären Immundefekt; bis zu 30 % der Hodgkin-Patienten erkranken an
einem Herpes zoster! Außerdem Infektionsgefahr durch zytostatische Therapie.
Folgen von zytostatischer- und Strahlentherapie, bei Jungen in Abhängigkeit von der
Therapiegruppe bis zu 60 % Spermatogenesestörungen.
Hämatologie
93
Therapie:
Die Therapie des M. Hodgkin besteht aus einer Polychemotherapie, bei inkompletter Remission
anschließend Nachbestrahlung der betroffenen Gebiete.
Die Chemotherapie setzt sich zusammen aus Therapieblöcken von jeweils 15 Tagen Dauer mit
nachfolgend 13 Tagen Pause. Dabei erfolgen nur an einzelnen Tagen intravenöse
Zytostatikaapplikationen, so daß die Therapie im unkomplizierten Fall weitgehend ambulant
durchgeführt werden kann.
Therapiegruppe 1: Stadium I A / B, II A:
Mädchen erhalten 2 x OPPA (Vincristin = Oncovin, Procarbazin, Prednison und Adriamycin).
Jungen 2 x OEPA (Etoposid statt Procarbazin geringeres Risiko der Fertilitätsstörung).
Therapiegruppe 2: Stadium IEA / B, IIEA, II B, III A:
Therapie wie Gruppe 1, zusätzlich erhalten alle Patienten 2 x COPP (Cyclophosphamid,
Vincristin, Procarbazin und Prednison).
Therapiegruppe 3: Allehöheren Stadien.
Mädchen und Jungen ab Stadium III B erhalten 2 x OPPA, 4 x COPP,
Jungen mit Stadium IIEB und III A 2 x OEPA und 4 x COPP.
Bei unvollständiger Remission schließt sich 2 Wochen nach Ende der Chemotherapie eine
Bestrahlung der Tumorreste an.
Prognose:
Gut! 5-Jahres-Überlebensrate in Abhängigkeit vom Stadium 74-100 %, für alle Therapiegruppen
zusammen 94 %.
Hämatologie
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Histiozytosen
16.4.1 Definition
16.4.2 Histiozytosis X
16.4.3 Maligne Histiozytose
Definition
Erkrankungen des Monozyten-Makrophagen-Systems mit histiozytären Infiltrationen, die reaktiv
(Langerhanszell-Histiozytose = Histiozytosis X) oder maligne (Maligne Histiozytose) sein
können.
Histiozytosis X
Definition:
Nichtmaligne Erkrankung mit Proliferation abnormer Histiozyten, die Merkmale von
Langerhanszellen der Haut aufweisen.
Epidemiologie:
0,4 Neuerkrankungen /100.000 Kinder (bis 15 Jahre)/Jahr. Disseminierte Verlaufsform vor allem
bei SG und KK, lokalisierte bei größeren Kindern. Androtropie (1,3 : 1).
Ätiologie:
Unklar, diskutiert werden immunologische oder infektiöse Ursachen.
Einteilung:
Nach klinischer Verlaufsform unterscheidet man:
Eosinophiles Granulom: Herdförmiger, uni- oder multilokulärer Befall von Schädelkalotte,
Wirbelkörpern, Rippen oder Becken. Vorkommen bei Schulkindern und Jugendlichen.
M. Hand-Schüller-Christian: Disseminierter, chronisch-schubförmiger Verlauf. Klassische Trias:
Landkarten- schädel (multiple Schädelherde), Exophthalmus (Orbitabefall), Diabetes insipidus
(Befall der Sella turcica). Seltener Befall von Haut, Schleimhaut, Gehörgang, Lunge.
Vorkommen bei Klein- und Schulkindern.
M. Abt-Letterer-Siwe: Disseminierter, akuter Verlauf. Multiorganbefall mit Funktionsstörungen
von Leber, Lunge und/oder Hämatopoese. Hautbefall mit braun-gelblichen makulo-papulösen
Effloreszenzen. Auftreten nur im Säuglings- und Kleinkindalter.
Hämatologie
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Anamnese und Klinik:
Symptomatik meist bestimmt durch Knochenbefall: Schwellung, Schmerzen,
Funktionseinschränkung, bei entsprechender Lokalisation Zahnfehlstellungen, Otitis, Mastoiditis
(Ohrenschmerzen), Exophthalmus, Krampfanfälle. Bei disseminiertem Befall Funktionsstörung
der Leber mit Ikterus, Ödemen, Aszites, der Lunge mit Dyspnoe, Zyanose, Pleuraerguß, des
Knochenmarks mit Anämie, Leukozytopenie, Thrombozytopenie, klinisches Bild dann wie bei
schwerer Sepsis oder hämatologischer Systemerkrankung. Endokrinologische Störungen durch
Infiltrationen im Bereich der Sella turcica Diabetes insipidus, Minderwuchs.
Diagnostik:
Diagnosestellung immer duch Histologie!
Bei allen Verlaufsformen exaktes Staging obligat! Ausführliche körperliche Untersuchung.
Skelettszintigraphie und Röntgenstatus des gesamten Skelettsystems; typischer Befund ist der
wie ausgestanzt wirkende Knochendefekt ohne Randsklerose, bei multifokalem Schädelbefall
sogenannter Landkartenschädel, an den langen Röhrenknochen periostale Reaktionen,
Keilwirbelbildungen. Röntgen- Thorax (Lungenbefall?), Sonographie Abdomen (Vergrößerung
und/oder Strukturveränderungen von Leber, Milz, Lymphknoten?) Bestimmung von Blutbild,
Leberwerten und Hormonen. Bei disseminiertem Befall auch Knochenmark- und
Lumbalpunktion. Weiterführende Diagnostik nach klinischem Bedarf (z. B. Lungenfunktion,
Hörtest, MRT des Kopfes).
Differentialdiagnose:
Vielfältig, abhängig von vorrangig betroffenem Organsystem.
Komplikationen:
Bei chron. Krankheitsverlauf Entwicklung einer Leberzirrhose und/oder Lungenfibrose mit
entsprechenden Komplikationen.
Therapie:
Bei unifokalem Knochenbefall ohne Frakturgefahr zunächst Abwarten des Spontanverlaufs. Bei
ausgedehnten Herden intraläsionale Injektion von Methylprednisolon, bei ausbleibendem Erfolg
Kürettage und Spongiosaauffüllung. Bei solitärem Wirbelkörperbefall Bestrahlung, evtl.
kurzzeitig milde systemische Chemotherapie mit Kortikoid und Vinblastin.
Bei Säuglingen mit isoliertem Hautbefall ebenfalls zunächst Abwarten, bei ausbleibender
Spontanheilung topische Kortikoide, falls erforderlich systemisch Kortikoide, evtl. zusätzlich
Vinblastin.
Hämatologie
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Bei disseminierter Erkrankung risikoadaptierte systemische Chemotherapie. Mit zunehmender
Disseminierung kommen zum Einsatz: Prednison, Etoposid, Vincaalkaloide,
Antimetabolite/Alkylantien. Behandlungsdauer abhängig vom Verlauf.
Prognose:
Isolierter Knochenherd: 90% Ausheilung, Rezidive selten, Dissemination sehr selten.
Isolierter Hautbefall im Säuglingsalter: Meist Spontanremission.
Multiorganbefall: Prognose abhängig von der Zahl der betroffenen Organe und vom Alter (>2
Jahre deutlich bessere Prognose). Insgesamt bei ca. 2/3 der Patienten zunächst Erreichen einer
Remission, bei ca. 50% Auftreten von Spätschäden (Diabetes insipidus, neuropsychologische
Störungen, endokrin bedingter Minderwuchs, Defektheilungen der Knochenläsionen). Bei M.
Abt-Letterer-Siwe Letalität von 40-50%.
Maligne Histiozytose
Definition:
Maligne Proliferation atypischer Zellen des Monozyten-Makrophagen-Systems.
Ätiologie:
Unbekannt.
Pathogenese:
Disseminierte Erkrankung mit Infiltration von Lunge, Herz, Knochen, Leber, Milz.
Klinik:
Wie bei hämatologischer Systemerkrankung. Häufig Auftreten von Fieberschüben.
Therapie:
Polychemotherapie in Anlehnung an NHL- oder AML-Protokolle.
Prognose:
5-Jahres-Überlebensrate ca. 50 %.
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