SS04 4. Sitzung 27.4.2004 Ansagen - Fragen zu den Tutorien - Anmeldeliste und Formulare - Arbeitsunterlagen/Ausdrucke - Weitere Bibliotheksführungen im Germanistischen Seminar ? - Protokolle – Protokoll – Liste - Heute: Dienstag, 27.4.04, 18.30 Uhr in SR 010: Ibsen: Die Wildente Hausaufgaben für Donnerstag, 29.4.: - Hilfsmittel (in den Arbeitsunterlagen) - Versanalyse, S. 1 - 5 vorbereiten Wiederholung: Ursprung der Dichtung: Gesang – Tanz – Gesprochenes Wort Ursprung der Philologie – zu den Anfängen der Grammatik und der Verslehre Sprechen und Erklären von Versdichtung in der Lyrik, im Epos, im Drama Rhythmen (Metrik) und Melodie (Klangsymmetrie): Endreim als Sonderfall Hör', es klagt die Flöte wieder, Und die kühlen Brunnen rauschen. Golden wehn die Töne nieder, Stille, stille, laß uns lauschen! Holdes Bitten, mild Verlangen, Wie es süß zum Herzen spricht! Durch die Nacht, die mich umfangen, Blickt zu mir der Töne Licht. Der daktylische Hexameter als Erzählvers und das Distichon als lyrischer Vers Der griechische Name beschreibt eine aus sechs Daktylen gefügte Verszeile. Wir bilden diese Verszeile ab, indem wir die metrischen Schemata für die sechs Daktylen durch Taktstriche voneinander abgrenzen. Im sechsten, letzten Daktylus entfällt die ungewichtete (kurze oder tonschwache) Silbe regelmäßig. Der sechste bildet mit dem vorausgehenden fünften Daktylus eine metrisch rhythmisch untrennbar einheitliche Figur ( - v v | - v ), die oft durch eine Zäsur1, die die antiken Verslehrer bukolische Diärese nannten, von den vorausgehenden Takten abgehoben wird. Zäsuren, Einschnitte, bilden Sinn-, Bewegungs-, Klang-, Bild- und logische Einheiten, die man ein Kolon nennt, ebenso im Satz wie in der durch den Vers gebundenen Dichtung. Neben den 1 Der daktylische Hexameter ist das Versmaß des antiken Epos, der ILIAS und der ODYSSEE von Homer, der AENEIS von Vergil und der METAMORPHOSEN von Ovid. Goethe leitet sein großes satirisches Hexameter-Epos Reineke Fuchs mit einer Verszeile ein, die den gegenüber Homer - zweieinhalbtausend Jahre jüngeren Lesern und Hörern für das Ohr und für die mitschwingende Bewegung einprägt, wie ein Hexameter klingt, wenn er mit voller Silbenzahl erfüllt ist: Pfingsten, das liebliche Fest, war gekommen; es grünten und blühten v v| - v v| - v v|- v v | - v v | - v Der Dichter fährt fort, indem er mit zwei weiteren Verszeilen den Satz zu Ende bringt, bei denen der Ungeübte aber, wenn er dem Vortrag folgen möchte, ins Stolpern geraten könnte: Feld und Wald; auf Hügeln und Höhn, in Büschen und Hecken - - | - - |- v v | - - |- v v | - v Übten ein fröhliches Lied die neuermunterten Vögel. - v v |- v v| - - | - -| - v v | - v Es fällt auf, daß in der zweiten Verszeile im ersten, im zweiten und im vierten Takt, in der dritten Verszeile neben dem vierten auch im dritten Takt, jeweils eines der ungewichteten Elemente (Silben), die den Daktylus zu einem Versmaß machen, das drei Silben integriert, fehlt, und daß an der Stelle der Symbole für zwei ungewichtete Silben das Symbol für eine gewichtete - im Hinblick auf das antike Versmaß spricht man von einer weiteren Länge - getreten ist. Im Deutschen muss diese ersatzweise Länge gegebenenfalls im Vortrag gedehnt, aber natürlich muss sie tonschwächer artikuliert werden als die erste gewichtete Silbe, die den fallenden Charakter des Versmaßes prägt. Solches Ersetzen der beiden ungewichteten Silben ist aber allein in den ersten vier Takten des daktylischen Hexameters erlaubt. Gerade Goethes Beispiel inspiriert uns, auf die dem Deutschen eigenen Möglichkeiten, mit diesem Versmaß umzugehen, aufmerksam zu werden, durch Silbendehnungen und – verkürzungen, kombiniert mit der Vielfalt der Pausierungen, wie wir sie von der Musik her kennen. Daneben können wir uns antike Verse einprägen wie folgendes Sprichwort: Quidquid agis, prudenter agas et respice finem! - v v| - - | - v v| - - | - v v - v oder Goethes Hexameter mit einem bekannten Juwel der Verskunst von Ovid vergleichen, den Verszeilen 89 und 90 aus dem I. Buch der Metamorphosen Aurea prima sata (e)st, aetas, quae, vindice nullo sponte sua sine lege, fidem rectumque colebat. Pfingsten, das liebliche Fest, war gekommen; es grünten und blühten Feld und Wald; auf Hügeln und Höhn, in Büschen und Hecken Übten ein fröhliches Lied die neuermunterten Vögel; Jede Wiese sproßte von Blumen in duftenden Gründen, bukolischen Diärese kennt die antike Metrik noch folgende Zäsuren: 1. Trithemimeres = nach dem dritten Halbmaß;2. Penthemimeres = nach dem fünften; 3. Hephthemimeres = nach dem siebten Halbmaß und 4. Kata triton Trochaion = nach dem dritten Trochäus. Das Verszeilenende kann aber auch mit dem Anfang der folgenden Zeile in einem Atem verbunden werden, durch Zeilenbrechung, was für die antike mit dem Endreim unbekannte Dichtung Synaphie, für die neuere reimende Dichtung Enjambement genannt wird. Festlich heiter glänzte der Himmel und farbig die Erde. (Goethe: Reineke Fuchs, Vers1-5)