Therapeutisches Binden – von Wolfgang Kuhn 17.07.2016 Studien

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Therapeutisches Binden – von Wolfgang Kuhn
17.07.2016
Studien belegen, dass Menschen ihre wichtigsten Bindungserfahrungen im Kleinkindalter machen, die unser
Verhalten auch noch im Erwachsenenalter prägen. Dabei zeigen sich vier Bindungsstile, je nach Interaktion des
Kleinkindes, vor Allem mit der Mutter. Bereits im Mutterleib verbringt der Fötus seine Zeit in einer beengten
Umgebung, die ihm Schutz und Orientierung bietet. Versorgt wird es über die Nabelschnur. Nach der Geburt
wird es entbunden, eine zellstofflich traumatische Erfahrung (Schmidt). Der aktive Säugling sucht die verfügbar
mögliche Nähe der Mutter, wird gehalten, gepuckt oder im Tragetuch am Körper der Eltern transportiert. Im
Besten Fall werden die Bedürfnisse des Kindes wahrgenommen, richtig interpretiert und darauf adäquat
reagiert. Studien von Bolwby und Ainsworth belegen, dass Menschen ihre wichtigsten Bindungserfahrungen im
Kleinkindalter machen, die unser Verhalten auch noch im Erwachsenenalter prägen. Dabei zeigen sich vier
Bindungsstile, je nach Interaktion des Kleinkindes, vor Allem mit der Mutter. Bei gelungener Interaktion kann
im besten Fall eine sichere Bindung entstehen. Wenn die Interaktion zwischen Mutter und Kind allerdings nicht
optimal verläuft, kann es zu einem unsicheren, ambivalenten oder gar desorientierten Bindungsverhalten und
Empfinden des Menschen kommen. Dies wirkt sich auf spätere Beziehungsmuster sowie Störungen wie
beispielsweise Bindungsstörungen, Persönlichkeitsstörungen, Störungen der Autoregulation und Sucht aus.
Dies dürfte Millionen Menschen, alleine in Deutschland betreffen. Bisher hat meines Wissens nur die
Psychoanalyse eine wirksame Behandlungsmethode entwickelt, die darauf zielt, dass eine
Abhängigkeitsbeziehung zum Therapeuten aktiv durch eine hohe Stundenzahl aufgebaut wird, um die frühen
Bindungserfahrungen, die im Kleinkindalter nicht kommuniziert werden können, in der Therapeut – Patient –
Beziehung zu reinszenieren. Dieser Ansatz ist teuer, aufwändig und sorgt für ein Gefälle zwischen Therapeut
und Patient. Ich plädiere für eine symbolhafte, erfahrungsorientierte Therapieform, die die körperliche
Erfahrung der Geburt, der Abnabelung, der „verlorenen“ Bindung reinszeniert und die der Ursprungssituation
möglichst nahe kommt. Die frühe Bindungserfahrung wurde auf körperlicher, nonverbaler Ebene erfahren und
kann bei Störungen, die darauf basieren – so meine Hypothese – auch auf Körpertherapeutischer Ebene wieder
behandelt werden und im Anschluss verbal verarbeitet werden.
Welche körpertherapeutische Intervention könnte nun zur Anwendung kommen?
Wenn es sich um Abnabelung, Bindung und Halt handelt, liegt es nahe, auf symbolischer Ebene mit Materialien
zu arbeiten, die diese Erfahrungen wieder ermöglichen. Dies ist meines Erachtens vor allem mit Seilen zu
erreichen. Seile finden in der Psychotherapie schon lange Anwendung. Allerdings häufig im Kontext einer
Timeline zur Erfahrung eines Weges, der symbolisiert und in der Therapie, meist im systemischen oder
hypnotherapeutischen Kontext entlang gelaufen wird.
Warum nicht Seile zur Behandlung von Bindungsproblematiken einsetzen?
Die aus Japan stammende Kunst des Shibari nutzt Seile schon sehr lange, um die Erfahrung von Halt, gebunden
sein und getragen werden zu vermitteln. Im Europäischen Raum findet sie allerdings hauptsächlich im BDSM –
Bereich Anwendung und ging bisher durch das dunkle, verruchte Image des Sadomasochistischen für die
Behandlung oben genannter Störungsbilder vollkommen verloren.
Der große Vorteil des Shibari ist es, dass der oder die Klientin nicht an den Therapeuten, sondern nur an sich
selbst, einen stabilen Gegenstand oder an die Zimmerdecke gehängt wird. Dieser Aspekt macht das Bondage
für die Therapie attraktiv, da es für den Therapeuten nicht notwendig ist, Köperkontakt zum Klienten
herzustellen und damit sexuelle – Verstrickungen – zu suggerieren.
Was natürlich einen großen Unterschied zwischen Shibari im BDSM – Bereich und der Therapie ausmachen
MUSS, ist, dass der oder die Klientin im Gegensatz zum BDSM nicht nackt sein darf/kann, dass keine
sadomasochistischen Elemente zu Anwendung kommen und dass das Fesseln an die Decke für Klienten eher
abschreckend wirkt und hohe Kompetenzen des Therapeuten/der Therapeutin bedeuten würde.
D.h. es bedarf einer Modifikation für die Anwendung in der Therapie und einem vertrauensvollen Verhältnis
zum(r) Therapeuten/in.
Elemente, die als Interventionen für die Therapie einsetzbar sind:
Die fetale Position.
Dabei werden die Hände aneinander festgebunden und diese wiederum über den Rücken vor dem Brustkorb
festgeschnürt. Da der Klient sich nun nicht mehr abstützen kann, aber ins Liegen gebracht werden soll, benötigt
es ein wenig Hilfe, in eine liegende Position auf der linken Körperseite zu gelangen. In Familien – oder
Paartherapien können dies auch Angehörige übernehmen. Die linke Körperseite gilt in der Tradition des Shibari
als Herzseite und wird deshalb bevorzugt. Der Klient liegt nun seitlich, gebunden. Um die Situation im
Mutterleib weiter zu symbolisieren, werden nun mit einem Seil die Beine verbunden. Der Klient muss sich nun
ganz dem Therapeuten anvertrauen, da er nicht mehr bewegungsfähig ist. Er muss und kann nun nicht mehr
tun, muss nicht handeln, nicht reagieren. Dies kann entlasten oder unter Druck setzen und kann an diesem
Punkt schon verbalisiert werden.
Pucken in der fetalen Position
Ein möglicher zweiter Schritt bildet die Nachbildung des Getragen – werdens im Tragetuch oder das gepuckt
werden im Tuch (das allerdings etwas umstritten ist als Methode des Beruhigens).
Wenn sich der Klient bereits für die fetale Position auf eine Decke oder ein Tuch gelegt hat, kann der Klient mit
diesem umwickelt werden und so einige Minuten verharren. Der Therapeut ist nur mit seiner Aufmerksamkeit
präsent. In Paar – oder Familienkontexten kann es Sinn machen, dass der oder die Partnerin sich an den Rücken
des Klienten legt und ihn zusätzlich hält. Dies reinszeniert die Rolle der eigenen Mutter und kann, wenn die
Unterstützung, der Halt der eigenen Mutter in der Biografie fehlte, sehr heilsam sein. Vor allem in
Paarbeziehungen kann der Aspekt des Nichts – tun – müssens und gehalten werden sehr wichtig für den
weiteren Therapieverlauf werden.
Die Königsdisziplin: Das „Fliegen“
Der Begriff wurde von der Shibari – Künstlerin Deva Bhusha Glöckner geprägt und bedeutet das Festbinden des
Klienten an der Decke ohne Bodenkontakt. Das bedeutet, der Klient hängt in sich selbst für einige Minuten an
der Decke. Therapeutisch übersetzt sollte der Klient, der mindestens an den Händen gebunden ist in einer
Hängematte oder einem Tragetuch liegen. Dies kommt dem intrauterinen Gefühl des Sich – fallen lassens sehr
nahe und könnte auch Anwendung mit Führungspersönlichkeiten finden.
Das Ent – binden
Unabhängig davon, welche der oben gennanten Interventionen zur Anwendung kommen, ist es ein wichtiges
Element, das Ent – binden des Klienten zu zelebrieren und langsam und bewusst zu gestalten. Es reinszeniert
das Entbinden bei der Geburt und ist ein sensibler Moment. Nach der Entbildung sollte der Patient entweder in
einem Gespräch oder durch kleine Gesten ein Gefühl des Gehalten werdens erfahren, um das Trauma der
Geburt und die ersten Erfahrungen nach der Geburt nachträglich auf symbolischer Ebene aufzuarbeiten oder
eventuell neu zu erfahren.
Anmerkung: Es lohnt sich, eine Doppelstunde für diese Interventionen zu veranschlagen.
Dank: Ich danke Deva Bhusha Glöckner für die fachliche Beratung in der Kunst des Shibari.
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