Private Kartellschadensersatzklagen

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Private Kartellschadensersatzklagen
nach der 9. Novelle des deutschen
Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)
Cursus intégré franco-allemand en sciences juridiques
Potsdam – Paris Ouest Nanterre
Niveau Licence 3
Prof. Dr. Florian Bien, Maître en Droit (Aix-Marseille)
Mardi, 28 Février 2016
Professor Dr. Florian Bien
Gliederung
I.
Kartellrecht im Schnelldurchlauf
II.
Rechtsfolgen von Kartellverstößen im Überblick
III.
Private Kartellschadensersatzklagen insbesondere
IV.
Weiterwälzung des Kartellaufschlags insbesondere
V.
Kronzeugenprogramme und private Kartellschadensersatzklagen
insbesondere
Prof. Dr. Florian Bien, Maître en Droit (Aix-Marseille)
Mardi, 28 Février 2016
Professor Dr. Florian Bien
I. Kartellrecht im Schnelldurchlauf
Prof. Dr. Florian Bien, Maître en Droit (Aix-Marseille)
Mardi, 28 Février 2016
I. Kartellrecht im Schnelldurchlauf
1. Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen
a. Horizontalvereinbarungen
Hersteller
A
Händler
1
X
C
B
X
3
2
Endverbraucher
z. B. Preiskartell
X
X
I. Kartellrecht im Schnelldurchlauf
1. Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen
b. Vertikalvereinbarungen
z. B.
Preisbindung
der zweiten
Hand
Hersteller
A
Händler
1
X
C
B
X
3
2
Endverbraucher
X
X
I. Kartellrecht im Schnelldurchlauf
2. Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung
a. Ausbeutungsmissbrauch
Hersteller
A
B
C
€
Händler
1
X
X
3
2
Endverbraucher
X
X
I. Kartellrecht im Schnelldurchlauf
2. Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung
b. Behinderungsmissbrauch
Hersteller
A
B
C
z. B. Exklusivitätsvereinbarung
Händler
1
X
X
3
2
Endverbraucher
X
X
I. Kartellrecht im Schnelldurchlauf
3. Fusionskontrolle
Hersteller
B
A
Händler
1
X
X
C
3
2
Endverbraucher
X
X
I. Kartellrecht im Schnelldurchlauf
3. Fusionskontrolle
A/B
Hersteller
Händler
1
X
X
3
2
Endverbraucher
C
X
X
II. Rechtsfolgen von Kartellverstößen
II. Rechtsfolgen von Kartellverstößen
Prof. Dr. Florian Bien, Maître en Droit (Aix-Marseille)
II. Rechtsfolgen von Kartellverstößen
1. Kartellbehörden: Verwaltungsrechtliche Sanktionen, insbes.
Abstellungsverfügungen
2. Kartellbehörden: Bußgelder (gehen an den Fiskus), bis zu 10 Prozent
des Weltkonzernumsatzes
3. Staatsanwaltschaft: Strafrechtliche Sanktionen
4. Private: Zivilrechtliche Sanktionen, insbesondere Nichtigkeit und
Schadensersatz (Kompensation privater Vermögenseinbußen)
Prof. Dr. Florian Bien, Maître en Droit (Aix-Marseille)
II. Rechtsfolgen von Kartellverstößen
III. Private v. behördliche
Kartellrechtsdurchsetzung
Prof. Dr. Florian Bien, Maître en Droit (Aix-Marseille)
III. Private v. behördliche Kartellrechtsdurchsetzung
Private Kartellrechtsdurchsetzung (“Private Enforcement”)
Ergänzung der behördlichen durch die private Durchsetzung des
Kartellrechts. Private können sich vor Gericht in zwei Weisen auf
das Kartellverbot stützen:
-
Schild: Nichtigkeit verbotener Kartellvereinbarungen
und
-
Schwert: insbesondere Kartellschadensersatzklagen
III. Private v. behördliche Kartellrechtsdurchsetzung
Verhältnis von behördlicher und privater Kartellrechtsdurchsetzung
Große Bedeutung von Follow-on-Klagen (Art. 16 VO 1/2003, § 33 Abs. 4 GWB)
Kronzeugenanträge helfen bei der Aufdeckung von Kartellen, sind daher auch
für private Kartellschadensersatzkläger von Bedeutung
Problem I: Akteneinsicht in Kronzeugenanträge?
Problem II: Haftungsrechtliche Privilegierung des Kronzeugen?
Kooperation der Zivilgerichte und Kartellbehörden (§§ 90, 90a GWB, Art. 15 VO 1/2003
Behördliche Rückerstattungsanordnung (§ 32 Abs. 2a GWB 2013)
Verpflichtungszusagen (Art. 9 VO 1/2003, § 32b GWB)
Gewinnabschöpfung (§ 34 GWB), Anrechnung von Schadensersatzleistungen
Berücksichtigung von Wiedergutmachungsanstrengungen bei der Bußgeldbemessung
III. Private v. behördliche Kartellrechtsdurchsetzung
Verhältnis von behördlicher und privater Kartellrechtsdurchsetzung
– rechtspolitische Diskussion
 Vorteile der behördlichen Durchsetzung:
 Hoheitsgewalt der Behörde erleichtert Ermittlung und Sanktionierung von
Verstößen
 Spezialisierung der Beamten ist kostengünstiger als private Durchsetzung.
 Unabhängige Behörde verfolgt keine Privatinteressen, vermindertes Risiko
eines Missbrauchs der Rechtsschutzinstrumente.
 Vorteile der privaten Durchsetzung
 Bessere Marktkenntnis der betroffenen Unternehmen.
 Behördliche Durchsetzung vernachlässigt den Kompensationsgedanken.
III. Private v. behördliche Kartellrechtsdurchsetzung
Private Enforcement of Competition Law: Vorbild USA?
Besonderheiten des US-amerikanischen Zivil(prozess)rechts, die den privaten
Rechtsschutz im Kartellrecht erheblich erleichtern:
 Die pretrial discovery procedure: Pflicht zur Dokumentenvorlage reduziert
Informationsasymetrie
 Umfang des Kartellschadensersatzes: treble damages
 Erfolgshonorare für Anwälte: verringertes Kostenrisiko für Kläger
 Class Actions (opt out-Modell): effektive Geltendmachung von Streuschäden
 American Rule: auch der zu Unrecht Beklagte muss seine (häufig sehr
erheblichen) Rechtsverteidigungskosten selbst tragen.
IV. Private Kartellschadensersatzklagen
insbesondere
IV. Private Kartellschadensersatzklagen
insbesondere
Prof. Dr. Florian Bien, Maître en Droit (Aix-Marseille)
IV. Private Kartellschadensersatzklagen
insbesondere
Kartellschadensersatzklagen in Europa - Überblick
• Kartellrechtsdurchsetzung basiert weitgehend auf Tätigkeit spezialisierter
Behörden (EU-Kommission, Bundeskartellamt, Autorité de la concurrence…)
• Verhältnismäßig geringe Zahl von Klagen (außergerichtliche Vergleiche?)
• Große Unterschiede in den verschiedenen Mitgliedsstaaten
• Wettbewerb der Justizstandorte (London?)
III. Private Kartellschadensersatzklagen
insbesondere
Private Kartellschadensersatzklagen – Überblick über zentrale Fragen
 Anspruchsberechtigung, insbesondere
 indirekte Abnehmer (Schadensweiterwälzung, “pass on”)
 Umbrella Plaintiffs und kollektiver Rechtsschutz (Verbraucherschäden)

Passivlegitimation, insbesondere
 gesamtschuldnerische Haftung der Kartellanten
 Haftung der Muttergesellschaft für Verstöße ihrer Tochter aufgrund “wirtschaftlicher Einheit”?
 Umfang und Bestimmung des Schadensersatzes, insbesondere
 Berücksichtigung des Einwands der Schadensweiterwälzung (“pass on”)
• Verhältnis zwischen Kronzeugenprogrammen und privaten
Kartellschadensersatzklagen

Zugang zu Dokumenten
 Im Besitz der Kartellbehörde oder des Prozessgegners
•
Verjährung von Kartellschadensersatzansprüchen
III. Private Kartellschadensersatzklagen
insbesondere
III. Private Kartellschadensersatzklagen
insbesondere
Richtlinie 2014/104/EU betreffend Kartellschadensersatzklagen v. 26. November 2014
 Ziele
 erleichterte Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen bei Verstößen
gegen das Kartellrecht
 Verbesserte Kohärenz zwischen behördlicher und privater
Kartellrechtsdurchsetzung
 Umsetzung in mitgliedsstaatliches Recht bis zum 26.12.2016
 Deutschland: 2. und 3. Lesung im Bundestag am 9.3.2017
 Frankreich: Entwurf
III. Private Kartellschadensersatzklagen
insbesondere
Zentrale Regelungen der EU-Richtlinie:

Erleichterung privater Kartellschadensersatzklagen:
 Anspruch auf Aktenvorlage gegen Private und gegen Kartellbehörden
 Verlängerung der Verjährungsfrist auf 5 Jahre
 Klarstellung, dass indirekte Abnehmer anspruchsberechhtigt sind
 Erleichterung außergerichtlicher Vergleiche
 Vermutung eines Kartellaufschlags
III. Private Kartellschadensersatzklagen
insbesondere
Zentrale Regelungen der EU-Richtlinie – Forts.:

Kohärenz von behördlicher und privater
Kartellrechtsdurchsetzung:
 Bindungswirkung nationaler Behördenentscheidungen
 Kooperation zwischen Behörden und Zivilgerichten
 Schutz der behördlichen Kronzeugenprogramme:
o Schutz von Kronzeugenunterlagen vor Akteneinsicht
o Haftungsrechtliche Privilegierung von Kronzeugen
IV. Weiterwälzung des Kartellaufschlags
insbesondere
IV. Weiterwälzung des Kartellaufschlags
insbesondere
Prof. Dr. Florian Bien, Maître en Droit (Aix-Marseille)
IV. Weiterwälzung des Kartellaufschlags
insbesondere
Anspruchsberechtigung indirekter Abnehmer
Anspruchsberechtigt ist gemäß § 33 Abs. 3 GWB 2005 jeder, der „als
Mitbewerber oder sonstiger Marktbeteiligter durch den Verstoß
beeinträchtigt ist“.
Marktgegenseite (etwa Abnehmer und Lieferanten als Opfer eines
Anbieter- bzw. Nachfragerkartells).
Auch indirekte Abnehmer?
o Zusammenhang mit Frage nach pass-on-Einwand
o Rechtspolitische Diskussion
o Vergleich mit Rechtsprechung des US Supreme Courts:
• Hanover Shoe (17.6.1968): Pass-on-Einwand verneint
• lllinois Brick (9.6.1977): Klagebefugnis indirekter Abnehmer
verneint.
IV. Weiterwälzung des Kartellaufschlags
insbesondere
Anspruchsberechtigung indirekter Abnehmer – Forts.
 BGH, 28.6.2011 - KZR 75/10 – ORWI: auch indirekte Abnehmer sind
anspruchsberechtigt
„[Es] können sich auch indirekte Abnehmer auf § 823 Abs. 2 BGB
in Verbindung mit Art. 101 AEUV berufen, wenn sie durch das
kartellrechtswidrige Verhalten einen Schaden erlitten haben.“
 Genauso Art. 12 Abs. 1 SE-RiLi:
„Damit das Recht auf vollständigen Schadensersatz nach Artikel
3 uneingeschränkt geltend gemacht werden kann, gewährleisten
die Mitgliedstaaten, dass gemäß den Vorschriften dieses Kapitels
jeder Geschädigte unabhängig davon, ob er unmittelbarer
oder mittelbarer Abnehmer eines Rechtsverletzers ist,
Schadensersatz verlangen kann, […]“
IV. Weiterwälzung des Kartellaufschlags
insbesondere
Pass on-Einwand
 Artikel 13 der Schadensersatz-RiLi:
„Einwendung der Abwälzung des Preisaufschlags
Die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass der Beklagte in einem
Verfahren über Schadensersatzklagen als Einwendung gegen
einen Schadensersatzanspruch geltend machen kann, dass der
Kläger den sich aus der Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht ergebenden Preisaufschlag ganz oder teilweise
weitergegeben hat. Die Beweislast für die Weitergabe des
Preisaufschlags trägt der Beklagte, der in angemessener Weise
Offenlegungen von dem Kläger oder von Dritten verlangen kann.“
IV. Weiterwälzung des Kartellaufschlags
insbesondere
Pass on-Einwand – Forts.
 § 33c Entw. 9. GWB-Novelle:
„Einwand der Schadensabwälzung
(1) Wird eine Ware oder Dienstleistung zu einem überteuerten
Preis bezogen (Preisaufschlag), so ist der Schaden nicht deshalb
ausgeschlossen, weil die Ware oder Dienstleistung
weiterveräußert wurde. Dem Abnehmer ist kein Schaden
entstanden, soweit er einen Preisaufschlag, der durch einen
Verstoß nach § 33a Absatz 1 verursacht worden ist, an seine
Abnehmer (mittelbare Abnehmer) weitergegeben hat
(Schadensabwälzung). […]“
V. Kronzeugen und Private
Kartellschadensersatzklagen
V. Kronzeugenschutz und Private
Kartellschadensersatzklagen
Prof. Dr. Florian Bien, Maître en Droit (Aix-Marseille)
V. Kronzeugen und Private
Kartellschadensersatzklagen
Sonderproblem: Gefährdung der Attraktivität von
Kronzeugenprogramm
 Definition Kronzeuge
 Unternehmen, dem iRe Kronzeugenprogramms als Belohnung für
Selbstanzeige und Kooperation mit Behörde die Geldbuße
erlassen wurde (vgl. Art. 2 Nr. 19 RiLi)
 Rechtspolitisches Problem:
 Kronzeugenprogramme als erfolgreichstes Instrument der
behördlichen Kartellbekämpfung
 Indirekte Bedeutung für private Kartellschadensersatzklagen
 Risiko späterer Schadensersatzklagen verringert Attraktivität

Lösung in USA
 Detrebling: Reduktion des dreifachen auf einfachen SE.
V. Kronzeugen und Private
Kartellschadensersatzklagen
Sonderproblem: Gefährdung der Attraktivität von Kronzeugenprogramm –
Lösung durch europäischen Gesetzgeber I
 Beschränkte Akteneinsicht gemäß Art. 6 Abs. 6 SE-RiLi
„[Es sollen die] nationalen Gerichte für die Zwecke von
Schadensersatzklagen zu keinem Zeitpunkt die Offenlegung der
folgenden Beweismittelarten durch eine Partei oder einen Dritten
anordnen können:
a) Kronzeugenerklärungen und
b) Vergleichsausführungen.“
V. Kronzeugen und Private
Kartellschadensersatzklagen
Sonderproblem: Gefährdung der Attraktivität von Kronzeugenprogramm –
Lösung durch europäischen Gesetzgeber I – Forts.
 Ähnlich: § 33g Abs. 4 GWB-Entwurf
„(4) Ausgeschlossen ist die Herausgabe eines Dokuments […], wenn
und soweit darin eine freiwillige mündliche oder schriftliche Erklärung
seitens […] eines Unternehmens […] gegenüber einer Wettbewerbsbehörde enthalten ist,
1. in der das Unternehmen […] die Kenntnis von einem Kartell und
seine […] Beteiligung daran darlegt und die eigens zu dem Zweck
formuliert wurde, im Rahmen eines Kronzeugenprogramms bei der
Wettbewerbsbehörde den Erlass […] der Geldbuße zu erwirken
(Kronzeugenerklärung) oder […]“
V. Kronzeugen und Private
Kartellschadensersatzklagen
Sonderproblem: Gefährdung der Attraktivität von Kronzeugenprogramm –
Lösung durch europäischen Gesetzgeber II
Haftung primär nur den eigenen Abnehmern und deren Abnehmern gegenüber:
 Art. 11 Abs. 4 SE-RiLi
„Abweichend von Absatz 1 [gesamtschuldnerische Haftung]
gewährleisten die Mitgliedstaaten, dass ein Kronzeuge
gesamtschuldnerisch haftbar ist
a) gegenüber seinen unmittelbaren oder mittelbaren Abnehmern oder
Lieferanten und
b) gegenüber anderen Geschädigten nur dann, wenn von den anderen
Unternehmen, die an derselben Zuwiderhandlung gegen das
Wettbewerbsrecht beteiligt waren, kein vollständiger Schadensersatz
erlangt werden kann.“

Außerdem Privilegierung auch im Innenverhältnis der Kartellanten (Art. 11 Abs. 6 SE-RiLi:
Ausgleichsbetrag des Kronzeugen gegenüber den anderen Rechtsverletzern bestimmt sich anhand
seiner relativen Verantwortung für den Schaden der eigenen Abnehmer und deren Abnehmer.“
V. Kronzeugen und Private
Kartellschadensersatzklagen
Sonderproblem: Gefährdung der Attraktivität von Kronzeugenprogramm –
Lösung durch europäischen Gesetzgeber II
Haftung primär nur den eigenen Abnehmern und deren Abnehmern gegenüber:
 § 33e GWB-Entwurf
„(1) Abweichend von § 33a Absatz 1 ist ein [Kronzeuge] nur zum Ersatz
des Schadens verpflichtet, der seinen oder ihren unmittelbaren und
mittelbaren Abnehmern oder Lieferanten aus dem Verstoß entstanden
ist. Anderen Geschädigten ist der Kronzeuge nur zum [Schadensersatz]
verpflichtet, wenn sie von den übrigen Rechtsverletzern keinen Ersatz
erlangen konnten.
(3) Die übrigen Rechtsverletzer können von dem Kronzeugen Ausgleichung […] nur bis zur
Höhe des Schadens verlangen, den dieser seinen unmittelbaren und mittelbaren Abnehmern
oder Lieferanten verursacht hat. […]“
Danke für Ihr Interesse und Ihre
Aufmerksamkeit!
Prof. Dr. Florian Bien
Lehrstuhl für globales Wirtschaftsrecht,
internationale Schiedsgerichtsbarkeit und
Bürgerliches Recht
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