ORTHOPÄDISCHE RHEUMATOLOGIE Dr. med. M. Dienst, Orthopädische Universitätsklinik Homburg/Saar Vorlesungsskript 2004/2005 1. Allgemeines und Übersicht Erkrankungen des rheumatologischen Formenkreises haben folgende Gemeinsamkeiten: -sie gehören zu den entzündlichen Systemerkrankungen -es besteht eine genetische Disposition -pathogenetisch spielen Autoimmunmechanismen mit verbotener Aktivierung autoreaktiver Helferzellen eine entscheidende Rolle Zu diesen Erkrankungen zählen: a. Rheumatoide Arthritis b. Seronegative Spondylarthritiden -M. Bechterew -Reaktive Arthritis und Reiter-Syndrom -Arthritis psoriatica -Enteropathische Arthritidien c. Kollagenose -Systemischer Lupus erythematodes -Sklerodermie -Polymyositis und Dermatomyositis -Sjörgren-Syndrom -Mischkollagenosen d. Vaskulitiden 2. Rheumatoide Arthritis = RA 2.1 Definition, Epidemiologie und Ätiopathogenese Die RA wird auch als Chronische Polyarthritis bezeichnet. Pathogenetisch spielt die entzündliche Infiltration der Schleimhäute, insbesondere der Gelenkschleimhaut und Sehnenscheidenschleimhaut mit nachfolgender Arthritis, Bursitis und Tendovaginitis die entscheidende Rolle. Fakultativ kommt es zu extraartikulären Organmanifestationen. Die RA befällt immerhin 1-2 % der Bevölkerung, es sind zu ca. 70-80% Frauen betroffen. Der Häufigkeitsgipfel liegt im 4. Lebensjahrzehnt. Es besteht eine genetische Disposition mit dem HLA-Antigen DR4, welches mit 70% deutlich häufiger vorkommt als mit 25% in der gesunden Bevölkerung. DR4 Homozygote haben oft einen schweren Verlauf.. Die Faktoren zur Aktivierung der RA sind unbekannt, evtl. sind hier virale oder bakterielle Antigene kausal. Es kommt zur Infiltration der Schleimhaut mit autoreaktiven T-HelferLymphozyten, welche zur Produktion von Rheumafaktoren (Auto-Antikörper gegen das FcFragment des IgG) durch B-Zellen führen (s. Abb. 1). Es kommt zur Aktivierung von Komplement und Freisetzung von Entzündungsmediatoren. Mit Fortschreiten der Erkankung wuchert und verdickt sich die entzündliche Schleimhaut zu sog. Pannus, welcher schließlich den Gelenkknorpel überwuchert, diesen und den darunterliegenden Knochen zerstört. Im Bereich der Sehnenscheiden kommt es zur Arrosion der Sehnen mit nachfolgenden Rupturen. Abb. 1: Pathogenese Abb. 2: Rheumaknoten 2.2 Klinik Die RA verläuft in ¾ der Fälle chronisch progredient, bei fast 10% trotz Behandlung unaufhaltsam bis zur völligen Invalidität. Unspezifische Symptome wie Fieber, Abgeschlagenheit etc. sind nicht selten. Die RA befällt vorzugsweise die Gelenke symmetrisch! Häufigste Manifestationen sind die Finder und Handgelenke. Nicht selten kommt es zu einem Karpaltunnelsyndrom, Rheumaknoten in Sehnen und subkutan insbesondere an der Streckseiten der Gelenke (s. Abb. 2). Extraartikulär werden insbesondere solche Strukturen betroffen, wo Schleimhäute sind: Perikard, Pleura, Keratokonjunktiva, Gefäße. Im Bereich der Wirbelsäule wird typischerweise die HWS betroffen, eigentlich nie die BWS oder LWS (im Gegensatz zu den seronegativen Erkrankungen!!). Es gibt einige Sonderformen wie das Caplan-Syndrom, das Felty-Syndrom, die Alters-RA und eine maligne Verlaufsform. Auch im Kindesalter kann die RA auftreten, man bezeichnet sie hier als juvenile RA (JRA). Es werden hier 3 Formen unterschieden, die systemische JRA (sog. M. Still), der mit hohem Fieber, Exanthemen und Perikard- und Pleurabeteiligung einhergeht. Die 2. Form ist die polyartikuläre JRA, welche mehr als 4 Gelenke betrifft. Die 3. Form ist die oligoartikuläre Form, die oft mit Augen- und mit ISG-Beteiligung verläuft. Die JRA betrifft Jungen wie Mädchen. 2.3 Diagnose Labor: Laborchemisch sind die „allgemeinen“ Entzündungszeichen wie die BSG und CRP erhöht, es kann eine Anämie vorhanden sein. Die RA wird als seropositiv bezeichnet, das in 70-80 % Rheumafaktoren nachgewiesen werden können (im Gegensatz zu 5% bei Gesunden). In 25% können auch antinukleäre Antikörper gefunden werden. Sono: Mit dem Ultraschall kann man einen Gelenkerguss nachweisen, was nicht selten als Therapiekontrolle verwendet wird. Röntgen: Als typisches Zeichen gilt die gelenknahe Osteoporose. Im Gegensatz zu primären oder sekundären Arthrose, bei der eine Gelenkspaltverschmälerung insbesondere in den belasteten Gelenkbereichen auftritt, ist die Gelenkspaltverschmälerung bei der RA panartikulär. Es kommt häufig zu Erosionen und Signalzysten. Eine allgemein verbreitete Röntgenklassifikation ist die Einteilung nach Larsen, der die Veränderungen in die Stadien 0 bis 5 eingeteilt hat, vom Normalbefund bis zur Gelenkdestruktion mit Subluxation. Als weiterführende Diagnostik eignet sich die Skelettszintigraphie zum frühzeitigen Nachweis einer erhöhten Aktivität in den betroffenen Gelenken. Sie kann gut solche Gelenke darstellen, die betroffen sind, ist aber nicht spezifisch, d.h. es können auch andere Erkrankungen ursächlich sein. Die MRT kann gut den Pannus und die Zerstörung der Gelenke und Ligamente zeigen. Eine Gelenkpunktion dient zur Analyse der Gelenkflüssigkeit. Hierbei können Rhagozyten (bes. Makrophagen) und Rheumafaktoren nachgewiesen werden. Arthroskopisch lässt sich die Schleimhaut inspizieren und biopsieren. ACR/ARA-Kriterien: Nicht selten ist es nicht einfach, die Diagnose einer RA zu stellen. Aus diesem Grund hat das American College of Rheumatology Kriterien aufgestellt, die erfüllt sein sollten, um die Diagnose zu stellen. 4 der 7 Kriterien sollten erfüllt sein: -Morgensteifigkeit für ≥ 1 h -Arthritis von 3 oder mehr Gelenkbereichen -Hand- oder Fingergelenke -symmetrisch -Rheumaknoten -RF -typ. Röntgenzeichen der Hände 2.5 RA – Besondere Gelenke/Bereiche Handgelenk: Das Handgelenk ist sehr häufig betroffen (s. Abb. 3). Wichtig ist auf den Befall der Strecksehnen zu achten, da diese rupturgefährdet sind (s. Abb. 4). Therapeutisch besteht die Möglichkeit einer Schleimhautentfernung (sog. Frühsynovektomie), in fortgeschritteneren Stadien die der Versteifung (Arthrodese) oder Prothese. Fingergelenke: Mit am häufigsten sind die Fingergelenke betroffen, typischerweise die Fingergrundgelenke (MCP) II-V und die proximalen Interphalangealgelenke (PIP). Bei der Arthrose sind es eher die Fingerendgelenke (DIP, sog. Heberden-Arthrose), auch die PIP (Bouchard-Arthrose) und das Daumensattelgelenk (Rhiz-Arthrose). Typisch sind folgende Deformitäten (s. Abb. 5): Ulnare Deviation, Knopflochdeformität, Schwanenhalsdeformität, Daumendeformitäten. Operativ stehen auch hier Frühsynovektomien (MCP, PIP), Endoprothesen (MCP) und Arthrodesen (PIP, DIP) im Vordergrund. Abb. 3: Szintigramm der Hände Abb. 4: Sehnenscheidensynovitis Abb.5: Fingerdeformitäten HWS: Im Gegensatz zu den seronegativen Spondylarthritiden ist bei der RA die HWS betroffen. Hier ist es wichtig auf die mögliche Komplikation durch die Destruktion der kapsuloligamentären Strukturen und Knochendestruktion mit sekundärer Instabilität zu achten. Röntgenfunktionsaufnahmen stellen eine Instabilität dar, das MRT die Destruktion und den Pannus. Insbesondere im Bereich zwischen Atlas und Axis ist durch die Zerstörung des Lig. transversum atlantis auf eine Instabilität zu achten (atlanto-dentale Instabilität), die sich auf Röntgenfunktionsaufnahmen durch einen vermehrten Abstand zwischen vorderem Atlasbogen und dem Dens zu sehen ist. Mögliche Komplikationen sind hier eine Myelomalazie und basiläre Impression. Andere Gelenke/Bereiche: Im Bereich der Hüfte findet man typischerweise eine Protrusio acetabuli. Auch die Füße zeigen nicht selten erhebliche Destruktionen von weniger ausgeprägten Spreiz-Senk-Füßen bis hin zur deutlichen Deformitäten wie dem „Dreieck-Fuß“ und „Windmühlen-Fuß“. 2.6 Therapie Im Vordergrund steht zunächst die physiotherapeutische und antiphlogistische Behandlung. Bei leichter bis mäßiger Aktivität der RA sollten gut verträgliche nichtsteroidale Antiphlogistika zum Einsatz kommen. Im akuten Schub bietet sich eine kurzfristige Cortisonstoßbehandlung an, bei andauernder mittelschwerer bis hoher Aktivität der RA eine medikamentöse Therapie mit Basistherapeutika wie Metotrexat (MTX), Leflunomid, Sulfasalazin, Chloroquin, Gold und Kombinationen sowie neuerdings auch mit TNF-alpha Antikörpern (Infliximab) oder TNF-alpha-Rezeptorblockern (Etanercept). Bei persistierender Aktivität kann ergänzend z.B. bei kleineren Gelenken oder einem Rezidiv nach einer operativen Schleimhautentfernung eine Radiosynoviorthese durch Injektion von beta-Strahlern ins Gelenk erfolgen. Bei der operativen Therapie sind im Hinblick auf das oft jüngere Patientenalter, Beteiligung angrenzender Gelenke, die oft schlechte Qualität von Knochen und periartikulären Strukturen und die bleibende Therapie mit Immunsuppressiva verschiedene Aspekte zu berücksichtigen. Im Vordergrund sollte die Schmerzbefreiung und Verbesserung der Funktion stehen, welche aber auch anhaltend und komplikationsarm sein sollten. Grundsätzlich kommen gelenkerhaltende, -versteifende und –ersetzende Verfahren zum Einsatz. Je jünger der Patient und je besser erhalten das Gelenk, desto eher sollte man gelenkerhaltend vorgehen, also die Schleimhaut entfernen (z.B. JRA bei Kind). Die Vorteile der Gelenkversteifung (Arthrodese) liegen im anhaltenden Erfolg und der Schmerzfreiheit des Gelenks, nachteilig sind aber die schlechte Funktion und Ästhetik, die Mehrbeanspruchung der Nachbargelenke. Vorteile der prothetischen Versorgung liegen in der besseren Funktion und Ästhetik, nachteilig ist jedoch die begrenzte Haltbarkeit zu werten, welches nicht selten spätere Komplikationen mit sich zieht. 3. Seronegative Spondylarthritiden 3.1 Allgemeines, Definition und Einteilung Im Gegensatz zur RA betreffen diese Erkrankungen typischerweise das Achsenskelett, hier vor allem das ISG, die LWS und BWS. Auch hier besteht eine genetische Disposition, häufig besteht eine Assoziation mit dem HLA-B27-Antigen. Rheumafaktoren können nicht gehäuft nachgewiesen werden, man bezeichnet diese Erkrankungen daher auch als seronegativ. Sie werden eingeteilt in: -M. Bechterew -Reaktive Arthritis und Reiter-Syndrom -Arthritis psoriatica -Enteropathische Arthritidien 3.2 Spondylitis ankylosans - M. Bechterew Seine Häufigkeit liegt bei ca. 1%, er betrifft vor allem Männer und manifestiert sich hier schon im 20.-40. Lj. Eine Assoziation mit dem HLA-B27 findest sich bei 95% der Patienten (8% in der gesunden Bev.). Die Erkrankung schreitet meist von kaudal nach kranial fort, typische Manifestation ist das ISG, die LWS und BWS. Im Verlauf der Erkrankung kommt es zu einer mehr oder weniger zunehmenden Bewegungseinschränkung der Wirbelsäule. Häufig findet man auch schmerzhafte Sehnenansätze wie z.B. im Bereich des Achillessehnenansatzes. Laborchemisch sind allg. Entzündungszeichen erhöhte, das HLA-B27 meist positiv. Bei der Untersuchung zeigt die Inspektion im fortgeschrittenen Fall typische Veränderungen wie die Kyphosierung der gesamten WS (s. Abb. 6). Über dem ISG lässt sich häufig eine Klopf- und Verschiebeschmerz finden, der Provokationstest (Menell´sches Zeichen, s. Abb. 7) ist dann positiv. Typisch ist auch eine Fersenfallschmerz und DS über dem Achillessehnenansatz sowie eine Abnahme der Atemexkursion und Lungenfunktion. Röntgenologisch findet man typische Veränderungen im Bereich der Wirbelsäule: Kastenwirbel, Verkalkungen der Längsbänder und im Endstadium eine Bambusrohrform (s. Abb. 8). Das ISG zeigt nicht selten Sklerosierungen bis hin zu „Perlschnurartigen“ Erosionen und einer Fusion. Szintigraphisch reichern beide Areale an (s. Abb. 9). Therapeutisch steht die KG im Vordergrund („Bechterewgymnastik“), um die WS beweglich zu halten. Bei Fortschreiten der Erkrankung kommen die für die RA typischen Medikamente zu Einsatz, gfs. kann bei schwerer Einschränkung der WS eine lordosierende Osteotomie indiziert sein. Abb.6: Bechterew-Patient mit WS-Kyphose Abb.7: Mennell-Zeichen Abb. 8: Bambusstab-WS Abb.9: Skelettszintigramm bei M. Bechterew 3.3 Reaktive Arthritis und Reiter-Syndrom Auch bei der reaktiven Arthritis findet sich bei 80% der Patienten ein HLA-B27 Antigen. Meist kommt es mit einer Latenz von ca. 2 Wochen nach einem gastrointestinalen (Salmonellen, Shigellen, Yersininen, etc.) oder urogenitalen (Gonokokken, Clamydien, etc.) zur Reiter Trias: -Arthritis: asymmetrisch, oligoartikulär, insbes. Knie/Sprunggelenk -Urethritis -Keratokonjunktivitis, Iritis + Reiter-Dermatose: Balanitis = Reiter – Tetrade 3.4 Psoriasisarthritis Ein Gelenkbefall bei Psoriasis ist nicht selten. Neben einer Sakroiliitis ist ein asymmetrischer Befall der peripheren Gelenke und ein sog. Strahlbefall der Hände (Wurstfinger, Teleskopfinger) typisch (s. Abb. 10 und 11). Abb. 10: Psoriasis Abb. 11: Wurstfinger 3.5 Enteropathische Arthritiden Bei der Anamneseerhebung eines Patienten muss stets auch nach chronischen Darmerkrankungen gefragt werden. Beim M. Crohn, M. Whipple und der Colitis ulcerose kommen Arthritiden vor. 4. Kollagenosen Aus orthopädischer Sicht sind hier insbesondere der Lupus erythematodes und die Poly/Dermatomyositis zu nennen. Bei beiden Erkrankungen führen die Beschwerden im Bereich der Muskulatur den Patienten zunächst zum Orthopäden. Beim Lupus ist zu beachten, dass die Verteilung wie bei der RA symmetrisch ist. 5. Vaskulitiden Hier soll aus orthopädischer Sicht insbesondere die Polymyalgia rheumatica berücksichtigt werden. Meist ältere Patienten über 60 Jahre stellen sich mit einen starken allgemeinen Krankheitsgefühl und symmetrisch heftigen Schmerzen im Schulter- und Beckengürtel vor.