1.2. Quanteneffekte mit Materie 1.2.1. Das Bohrsche Atommodell Die Streuexperimente von E. Rutherford (1911) mit α-Teilchen an Au-Folie brachten das Thomson‘sche Rosinenkuchenmodell zu Fall und sprachen für ein „Planetenmodell“ des Atoms. Rutherford konnte eine Streuformel für den Wirkungsquerschnitt σ in Abhängigkeit von dem Streuwinkel θ ableiten: Tafel Atome haben einen schweren positiv geladenen Kern mit einem Radius von etwa 10-15 m = 1 Femtometer [fm]. Negativ geladene Elektronen umkreisen diesen Kern. Rutherfordmodell Elektron Proton Masse 9,1 x 10-31 kg 1,67 x 10-27 kg Radius (klassischer) 3 x 10-15 m 1,6 x 10-18 m Ladung - 1,6 x 10-19 C 1,6 x 10-19 C Magn. Moment -9,3 x 10-24 J/T 1,4 x 10-26 J/T 32 Streuereignisse selbst bei grossen Winkeln! Experiment nach Geiger und Marsden Rutherford über die experimentellen Ergebnisse der Weitwinkelstreuung "Es war bestimmt das unglaublichste Ergebnis, das mir je in meinem Leben widerfuhr. Es war fast so unglaublich, als wenn einer eine 15-Zoll-Granate auf ein Stück Seidenpapier abgefeuert hätte und diese zurückgekommen wäre und ihn getroffen hätte." 33 Für ein Klassisches Modell des Wasserstoffatoms erwartet man: Coulombkraft Zentripetalkraft Gesamtenergie: Probleme: Es gibt keine bevorzugte minimale Energie, d.h. stabile Konfiguration. Die Elektronen sind beschleunigte Ladungen Abstrahlung von Energie Instabilität Das Spektrum sollte kontinuierlich sein mit Dies trifft jedoch nicht zu! Umlauffrequenz 34 Bekannter experimenteller Befund: Atomspektren bestehen aus charakteristischen diskreten Linien. Wasserstoff Helium Kohlenstoff Für Wasserstoff gilt im Sichtbaren für die Position der Linien die empirische Balmer-Formel Definition: ist die Wellenzahl Rydbergkonstante 35 Andere Zusammenhänge wurden empirisch im Infraroten (Paschen, Bracket-Serie) und im Ultravioletten (Lyman-Serie) gefunden. Die Serien folgen den Formeln: 36 Bohrsche Postulate (1913) e− 1. Elektronen bewegen sich klassisch auf Kreisbahnen, aber nur bestimmte Bahnen mit Energien En sind erlaubt. 2. Die Bewegung erfolgt strahlungslos. 3. Energieabstrahlung erfolgt durch Sprünge zwischen Bahnen gemäß: r v r r Kern n = Hauptquantenzahl Bohrsches Korrespondenzprinzip: Die Gesetzte der „quantisierten Atomphysik“ müssen für große Bahnen in die Gesetze der klassischen Physik übergehen. Frequenz des emittierten Lichtes bei einem Sprung zwischen benachbarten Bahnen: 37 Vergleich mit klassischer Gesamtenergie und Umlauffrequenz ω: Es folgt: Rydbergkonstante Die Rydbergkonstante ist eine der am genauesten gemessenen Naturkonstanten! Für den Radius der n-ten Bohrschen Bahn folgt: Und für den Bahndrehimpuls: Der Bahndrehimpuls ist ein Vielfaches von 38 Das Bohrsche Atommodell macht Aussagen über Zustände und nicht über Vorgänge! Korrekturen und Erweiterungen des Bohrschen Atommodells 1) Mitbewegung des Kerns: Um die Massen von Kern und Elektron korrekt zu berücksichtigen kann zur reduzierten Masse μ übergegangen werden: Somit: Rydbergkonstante für Wasserstoff Masse des Elektrons = 9,1 x 10-31 kg Masse des Protons = 1,67 x 10-27 kg Isotopieverschiebung Die Spektren von Wasserstoff (1 Proton) und Deuterium (1 Proton und 1 Neutron) unterscheiden sich! Folgerung: Die genaue Messung des einfachsten Atoms, des Wasserstoffs, liefert(e) immer wieder neue Erkenntnisse! Hβ 486 nm Dβ λ/nm 39 2) Sommerfeld-Erweiterung: Sommerfeld: Elektronen laufen nicht nur auf Kreisbahnen, sondern wie Planeten auch auf Ellipsen. Bei stark elliptischen Bahnen (kleiner Drehimpuls) muss die Masse relativistisch korrigiert werden: grössere Masse kleinerer Bohrradius grössere Bindungsenergie Die Energien der Bahnen im Bohr-Sommerfeld‘schen Atommodell hängen von einer zweiten Quantenzahl k ab, die den Drehimpuls berücksichtigt. Es ist: Z = Kernladungszahl k+1 = Drehimpulsquantenzahl α = Sommerfeld‘sche Feinstrukturkonstante Die Sommerfeld‘schen Korrekturen ergeben sich automatisch aus einer korrekten Beschreibung des Wasserstoffatoms in der Quantenmechanik. 40 Der Franck-Hertz Versuch Der Franck-Hertz-Versuch (1914) ist ein grundlegender Versuch zum Nachweis der quantisierten Energieniveaus (Nobelpreis 1925). Er misst die Ionisation durch Elektronenstoß. Versuchsaufbau: verbesserter Aufbau Röhre gasförmiges Hg bei geringem Druck Anode e− Glühkathode −U+ Gitter I + ΔU − Versuchsablauf: Ab einer gewissen Spannung (U>ΔU) treten Elektronen aus der Kathode und können die Anode erreichen. Ist die Beschleunigungsspannung U jedoch gross genug, so ionisieren die Elektronen die Atome. Die Elektronen verlieren Energie (U-δE/e) und können nicht mehr zur Anode gelangen. Der Anodenstrom nimmt dann sprunghaft ab. 41 Experimentelles Resultat des Franck-Hertz-Versuchs mit Raumladungszonen der positiven Ladung (Atomrümpfe): 4.9 eV Bei den charakteristischen Ionisationsspannungen von Vielfachen von 4.9 eV (bei Hg) kann gleichzeitig eine Emissionslinie im UV bei 4.9 eV = 253,7 nm beobachtet werden. 4.9 eV 4.9 eV Hg Verbesserte Versionen des Franck-HertzVersuchs können weitere Details der Energiestruktur auflösen. 42 1.2.2. Welleneigenschaften von Materie (a) Röntgenbeugung: Laue- und Bragg-Beugung Bergmann/Schaefer, „Optik“ Beugung ist als Effekt der Vielstrahlinterferenz in der Optik untersucht worden. Bei Röntgenstrahlen war man zunächst der Meinung, einen Teilchenstrom vor sich zu haben. Laue untersuchte 1912 die Beugung von Röntgenstrahlen an Kristallen (Nobelpreis 1914): 1) Beugung an einem Strichgitter: x Bedingung für konstruktive Interferenz: 1. Laue-Bedingung Diese Gleichung definiert geometrisch eine Schar von Kreiskegeln mit halbem Öffnungswinkel α um die x-Achse. Helle Punkte auf einer Photoplatte senkrecht zur z-Achse liegen dann auf Hyperbeln (Kegelschnitten). 43 2) Übergang zu zwei Dimensionen (Flächengitter) : Bedingung für konstruktive Interferenz ist nun zusätzlich: 1. Laue-Bedingung 2. Laue-Bedingung Helle Punkte auf einer Photoplatte senkrecht zur z-Achse sind nun durch Schnittpunkte der Hyperbeln bestimmt. 44 3) Übergang zu drei Dimensionen (Raumgitter): Als eine Bedingung für konstruktive Interferenz tritt nun die dritte Laue-Bedingung hinzu: 3. Laue-Bedingung Die 3. Laue-Bedingung definiert Kegel um die z-Achse, deren Schnitte mit der Detektorebene (Photoplatte) Kreise sind. Die Schnittpunkte der beiden Hyperbeln (1. und 2. Laue-Bedingung) liegen nicht mehr notwendig auf diesen Kreisen! Mit: folgt: Bei einfallendem monochromatischem Licht ist diese Bedingung i.A. nicht erfüllt. Bei einfallendem weißen Licht werden Punkte mit entsprechendem λ ausgewählt. 45 Die Bedingung für konstruktive Interferenz hängt von dem jeweiligen Raumgitter des spezifischen Kristalls ab. Zum Beispiel ist bei einem kubischen Gitter: Laue führte Versuche mit einem kontinuierlichen Röntgenspektrum durch. Typische Form eines Röntgenspektrums mit Kontinuum und charakteristischen Linien 46 Versuchsapparatur von Laue 1912 (Nobelpreis 1914) Beugungsbilder von Zinkblende (ZnS) für Zwei verschiedene Orientierungen. Nachweis der Wellennatur von Röntgenstrahlen Nachweis der Raumgitterstruktur von Kristallen Nachweis der Wärme als Gitterschwingung der Atome (Unschärfe des Beugungsbildes bei Erwärmung) Max von Laue 47 Eine andere (äquivalente) Interpretation der Beugung von Röntgenstrahlen wurde von W. H. Bragg und W. L. Bragg (1913) gegeben: Interpretation der Beugung als Reflexion an Netzebenen. Für konstruktive Interferenz muss gelten: Gangunterschied Beugung an einer Netzebene Bedingung für konstruktive Interferenz aller Netzebenen: Bragg-Bedingung Beugung an zwei Netzebenen 48 In der folgenden Abbildung sind Netzebenen in die Kristallstruktur (hier kubisches Gitter) eingezeichnet: Offensichtlich ist der Netzebenenabstand: Damit folgt mit der Bragg-Bedingung: und mit Dies ist äquivalent mit der 1. Laue-Bedingung. Analog kann man die Äquivalenz mit den anderen Laue-Bedingungen zeigen und damit die Äquivalenz der Beschreibungen von Laue und Bragg. 49 Zwei Anwendungsmöglichkeiten: 1) Untersuchung der Kristallstruktur mit monchromatischer Röntgenstrahlung und Analyse der Winkelabhängigkeit (Röntgenstrukturanalyse) Nobelpreis 1988 für J. Deisenhofer, R. Huber, H. Michel „for the determination of the three-dimensional structure of a photosynthetic reaction center“ Bsp.: Beugungsbild und rekonstruiertes Bild von ecoli [Miao et al, PNAS 700, 110 (2002)] 2) Mit bestimmtem Netzebenenabstand (bestimmter Kristall) und Winkel Anwendung als Monochromator in Analogie zum Prismen- oder Gitterspektrographen in der Optik. Braggscher Röntgenspektrograph Röntgenspektrum von Wolfram 50 Eine andere Methode ist das Kristallpulververfahren von Debye-Scherrer, bei dem ein Pulver des Kristalls (und damit alle möglichen Orientierungen vom Kristall auf einmal) mit monochromatischer Röntgenstrahlung bestrahlt wird. Dabei wird das Pulver zu einem Zylinderstäbchen gepresst und konzentrisch von einem Schirm umgeben. Man erkennt dann konzentrische Kreissegmente. Anordnung zum Debye-Scherrer-Verfahren Beugungsbild von Ni-Pulver 51 1.2.2. Welleneigenschaften von Materie (b) Elektronenbeugung Licht zeigt korpuskulare Eigenschaften. Zeigt Materie Welleneigenschaften? Antwort von de Broglie: Ja! Postulat von de Broglie (1924): „Materiewellen“ Licht Materie De Broglie-Wellenlänge Zum Beispiel für die Beschleunigung von elektrische geladenen Teilchen in Spannung U: 52 Folgerung für das Bohrsche Atommodell: Das Elektron ist eine stationäre Elektronenwelle (nichts bewegt sich, daher keine Energieabstrahlung!). Damit sich die umlaufende Welle nicht selbst auslöscht, muss konstruktive Interferenz nach einem Umlauf vorherrschen, d.h.: Bohrradius Quantisierung des Drehimpuls Drehimpuls Motivation für eine Wellentheorie der Quantenmechanik Schrödingergleichung 53 Die Welleneigenschaften der Materie können ebenso wie die der Röntgenstrahlung durch Beugung an Kristallen nachgewiesen werden (Da die Wellenlänge der de BroglieWellenlänge sehr klein ist, muss man kleine „Beugungsspalte“ benutzten!) Ein sehr wichtiger Versuch ist der Versuch von Davisson und Germer (1926) zum Nachweis der Elektronenbeugung. • „Einstellung“ der de Broglie-Wellenlänge durch die Beschleunigungsspannung • Nachweis der dreizähligen Symmetrie • Nachweis der Ablenkbarkeit des Beugungsbildes durch Magnetfelder! Wellenlängenabhängigkeit der Beugung Abhängigkeit vom Beugungswinkel 54 Es besteht eine vollständige Analogie der Beugung von Licht und der Materiewellenbeugung, siehe zum Beispiel das Beugungsbild von Röntgenstrahlen (links) oder von Elektronenstrahlen (rechts) durch Aluminium-Folie. Somit können optische Experimente mit Materiewellen durchgeführt werden. Das Experiment von Möllenstedt (links) realisiert z.B. ein Biprisma. Beugungsbild hinter dem Möllenstedt‘schen Biprisma 55 Kleine Historie der Materiewellenoptik: 1921-1926 1953 1960 1974 1991 1999 experimenteller Nachweis der Elektronenbeugung (Davisson & Germer) erstes Elektronenstrahlinterferometer mit analogem Aufbau zum MachZehnder-Interferometer Elektronenstrahlinterferometer an künstlich erzeugten Spalten (Jönsson) Interferenz von Neutronen an einem Silizium-Einkristall (Rauch, Treimer, Bonse) Interferenz von ganzen Helium- und Natrium-Atomen (Carnal & Mlynek, Keith et al.) Molekülinterferometer mit C60- und C70-Atomen (Arndt & Zeilinger) Verschiedene Neutroneninterferometer 56 Es besteht keine prinzipielle Grenze der Beobachtung von Materiewelleninterferenz With (a) and without (b) grating Interferenz von C60 Molekülen, M. Arndt et al., NATURE 401, 680 (1999) Porphyrin Interferenz von Biomolekülen, M. Arndt et al. 57 1.2.2. Welleneigenschaften von Materie (c) Elektronenoptik Bei den Experimenten von Davisson und Germer gab es eine systematische Abweichung von den theoretischen Werten. Diese kann auf die zusätzlichen elektrostatischen Wechselwirkungen zwischen Elektronen und Kernen zurückgeführt werden. Man führt eine zusätzliche potentielle Energie ein: somit: Beschleunigungsspannung In Analogie zur Optik kann man eine elektronenoptische Brechzahl einführen 58 Ein erstes Mikroskop, das die kleine Wellenlänge und damit die potentiell bessere Auflösung von Elektronenwellen nutzt, wurde 1932 von Knoll und Ruska (Nobelpreis 1932) aufgebaut. Elektronenmikroskop Um Linsen für ein solches Mikroskop zu realisieren kann die Ablenkung in elektrischen (elektrische Linsen) oder in magnetischen (magnetische Linsen) Feldern genutzt werden. elektrostatische Linse magnetische Linse Elektronen mit einer Energie von 100 keV könnten nach dem Rayleigh Kriterium 0,07 Å auflösen. Numerische Apertur 105-fache Verbesserung gegenüber optischen Mikroskopen im Sichtbaren Spektrum! aber: Größere Abbildungsfehler der Elektronenoptik kleinere Apertur reale Verbesserung der Auflösung besser als 3 Größenordnungen! 59 Es existieren verschieden Arten von Elektronenmikroskopen: Transmissionsmikroskope (TEM = transmission electron microscope): • Erfordern dünne Schichten als Proben und/oder sehr hohe Energieen Rastersondenmikroskope (SEM = scanning electron microscope): • Bildgebung durch Abrasterung einer Probe mit einem fokussierten Elektronenstrahl • Detektion von rückgestreuten und Sekundärelektronen • Vorteil neben der hohen Auflösung ist die große Tiefenschärfe (Abbildung von rauhen oder zerklüfteten Oberflächen • Elektronendiffusion beschränkt die Auflösung auf etwa 20 nm • Serielle Belichtung von Photolacken mit dem SEM-Strahl (Ebeam lithography) Skizze eines ersten Elektronen Mikroskops [aus E. Ruska, Nobel Lecture] 60 Kommerzielle Elektronenmikroskope (der HU, Prof. Neumann): SEM-Bild von der Klaue einer Stubenfliege JSM 840A, SEM 30 keV TEM JEOL JEM2200FS 200 keV TEM-Bild eines Si Kristalls 61