Dunkle Materie - Server der Fachgruppe Physik der RWTH Aachen

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Dunkle Materie
Hadron-Kollider-Experimente bei sehr hohen Energien
Dirk Lennarz ([email protected])
Betreuer: Christopher Wiebusch
Dieser Vortrag in der Seminarreihe ”Hadron-Kollider-Experimente bei sehr hohen Energien” hat als Hauptziel, angehende Teilchenphysiker in die Thematik der Dunklen Materie
einzuführen. Neue Beschleunigerexperimente werden wichtige Beiträge zur Erforschung der
Natur der Dunklen Materie liefern. Im Vordergrund des Vortrags stehen drei zentrale Fragen:
erstens über den Werdegang der Idee der Dunklen Materie, zweitens über unseren heutigen
Kenntnisstand und drittens über die Kandidaten für Dunkle Materie. Die Gliederung dieser
Ausarbeitung knüpft an die Struktur des Vortrages an.
Inhaltsverzeichnis
2
Inhaltsverzeichnis
1 Wie
1.1
1.2
1.3
1.4
kam man auf die Idee, dass es
Einleitung . . . . . . . . . . . .
Virialtheorem . . . . . . . . . .
Rotationskurven . . . . . . . . .
Gravitationslinsen . . . . . . . .
Dunkle Materie gibt?
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2 Was wissen wir über Dunkle Materie?
2.1 Materiehaushalt . . . . . . . . . . .
2.2 Grundpfeiler . . . . . . . . . . . . .
2.3 Kosmische Hintergrundstrahlung .
2.3.1 Energiedichte . . . . . . . .
2.3.2 Anisotropien . . . . . . . . .
2.3.3 Analyse . . . . . . . . . . .
2.3.4 Ergebnisse . . . . . . . . . .
2.4 Supernovae . . . . . . . . . . . . .
2.5 Nukleosynthese . . . . . . . . . . .
2.6 Strukturbildung . . . . . . . . . . .
2.7 Zusammenfassung . . . . . . . . . .
2.8 Materieformen . . . . . . . . . . . .
2.9 Zusammenfassung . . . . . . . . . .
3 Welche Kandidaten für
3.1 Kandidaten . . . .
3.2 WIMPs . . . . . .
3.2.1 Direkt . . .
3.2.2 Indirekt . .
4 Zusammenfassung
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Dunkle Materie gibt es
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und wie
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20
sucht man danach?
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21
1 Wie kam man auf die Idee, dass es Dunkle Materie gibt?
3
1 Wie kam man auf die Idee, dass es Dunkle Materie gibt?
In diesem Abschnitt möchte ich klarstellen, was man unter dem Begriff Dunkle Materie
versteht, wie man experimentell Massen im Universum bestimmen kann und welche Hinweise
auf Dunkle Materie man dabei gefunden hat.
1.1 Einleitung
Die Geschichte der Dunklen Materie beginnt schon im Jahr 1844. Damals gab es ein Problem
mit der Genauigkeit der Uranus-Bahn: auch mit Störungsrechnung aller bis dato bekannten Planten konnte man die Messdaten immer nur innerhalb eines begrenzten Zeitrahmens
beschreiben. Der Student J.C. Adams in Cambridge erklärte dies 1845 durch einen hypothetischen weiteren Planeten, der die Bahn des Uranus durch seine Gravitation stört. Beim
berühmten Astronom Airy stieß er mit diesem Vorschlag auf wenig Gegenliebe, da Airy eine
Modifikation des Newtonschen Gravitationsgesetzes zur Lösung des Problems favorisierte.
Daher wurde erst im Jahr 1846 durch erneute Berechnungen des Franzosen Le Verrier und
Beobachtungen des deutschen Astronom Galle ein neuer Planet (Neptun) entdeckt.
Was wir aus dieser Geschichte lernen können, ist eine pragmatische Definition von Dunkler Materie: unter Dunkler Materie versteht man eine nur über ihre Gravitationswirkung
wahrnehmbare, d.h. messbare, Masse.
1.2 Virialtheorem
Der erste experimentelle Hinweis auf Dunkle Materie stammt aus dem Jahr 1933 von Fritz
Zwicky. Er hat das Virialtheorem (1) auf einen Galaxienhaufen, den Coma Cluster, angewendet, um damit die Masse zu bestimmen.
1
(1)
T =− U
2
Um die kinetischen Energien zu erhalten, braucht man die Geschwindigkeiten der Galaxien. In der Astronomie werden Geschwindigkeiten üblicherweise über den Dopplereffekt
bestimmt. Es liegt eine Rotverschiebung vor, wenn sich das Objekt von uns weg und eine Blauverschiebung wenn sich das Objekt auf uns zu bewegt. Mit dieser Methode ist es
allerdings nur möglich, Geschwindigkeiten entlang unserer Sichtlinie zu berechnen. Da wir
aber annehmen können, dass die Geschwindigkeiten sich im Mittel über alle Raumrichtun√
gen gleichverteilen, können wir den Betrag der Gesamtgeschwindigkeit als das 3-fache des
Betrags der Geschwindigkeit in Sichtlinie schreiben. Für die kinetische Energie T gilt dann,
wobei hvi die mittlere Geschwindigkeit in Sichtlinie ist:
1
T = M · 3hvi2
2
Die potentielle Energie U des Galaxieclusters ist gegeben durch:
U ∼ −G
M2
R
(2)
(3)
1 Wie kam man auf die Idee, dass es Dunkle Materie gibt?
4
Dabei ist M die gesuchte Gesamtmasse und R der Gesamtradius des Galaxieclusters. In
dieser Beziehung unberücksichtigt bleiben Strukturfaktoren, die den genauen Aufbau des
Haufens beschreiben.
Aus (1) folgt dann mit (2) und (3):
M∼
3Rhvi2
G
(4)
Dem nach charakterisiert die mittlere Geschwindigkeit in Sichtlinie die Gesamtmasse des
Galaxieclusters. Mit dieser Methode konnte Fritz Zwicky 1933 die Gesamtmasse des Coma
Clusters bestimmen. Sein Ergebnis war, dass der Umrechnungsfaktor von Leuchtkraft zu
Masse etwa 500 ist (aus [1]). Dieser Wert ist sehr viel größer als für unser lokales Universum, wo er in etwa 3 beträgt. Wir haben also fast 200-mal mehr Masse, als wir durch die
Leuchtkraft erwarten würden.
1.3 Rotationskurven
Ein zweiter experimenteller Hinweis auf Dunkle Materie sind die so genannten Rotationskurven von Galaxien. Darunter versteht man die Rotationsgeschwindigkeit als Funktion des
radialen Abstands zum Zentrum. Man misst die Rotationsgeschwindigkeiten wieder über den
Dopplereffekt, indem man die Differenz zwischen Rot- und Blauverschiebung zweier Sterne
im etwa gleichen Abstand zum galaktischen Zentrum bestimmt.
Einen Zusammenhang zwischen Masse und Rotationsgeschwindigkeit erhalten wir aus der
Bedingung, dass Gravitations- und Zentripetalkraft gleich groß sein sollen. Dabei ist M (R)
die im Radius R eingeschlossene Masse:
1 mM (R)
GM (R)
1 v2
⇒ v2 =
FZ = FGrav ⇒ m = G
2
2 R
2
R
R
(5)
Um unsere Erwartung für eine Spiralgalaxie zu formulieren, schauen wir uns kurz das Modell
einer solchen Galaxie an. Eine Spiralgalaxie hat einen typischen Durchmesser von etwa 3050 kpc (pc=Parsec ist die gängige Entfernungseinheit in der Astronomie, 1pc entspricht
etwa 3,3 Lichtjahren) und ist aufgebaut aus einem sphäroidischen Kern, dem so genannten
”bulge”, der auf den inneren 3-5 kpc die Struktur dominiert und einer äußeren Scheibe,
der so genannten ”disk”. Im Kern ist die Dichte nahezu konstant, daher nimmt die Masse
mit der dritten Potenz von R zu, da man die Dichte über den Raum integriert. Setzen wir
das in (5) ein sehen wir, dass sie Rotationsgeschwindigkeit linear mit R ansteigen sollte.
Befinden wir uns hingegen im Bereich der Scheibe ändert sich M (R) nur noch gering, es ist
also effektiv schon die konstante Gesamtmasse der Galaxie. Hier wäre die Erwartung, dass
die Rotationskurve mit R−0,5 abfällt.
In Abbildung (1) aus [2] sieht man eine gemessene Rotationskurve für die Galaxie NGC3198.
Diese erfüllt unsere Erwartungen nicht, sondern die Rotationsgeschwindigkeit bleibt bis zum
sichtbaren Rand der Galaxie konstant. Dies ist nur erklärbar, falls es einen zusätzlichen kugelförmigen Halo aus Dunkler Materie gibt, dessen Dichte mit ρ ∼ R12 abfällt, dessen Masse
also linear mit dem Radius zunimmt.
1 Wie kam man auf die Idee, dass es Dunkle Materie gibt?
5
Abbildung 1: Gemessene Rotationskurve (Punkte mit Fehlerbalken) für die Galaxie NGC
3198 aus [2]. Kern und Scheibe können den Verlauf der Kurve nicht beschreiben, dazu muss man einen zusätzlichen Halo mit Materie annehmen.
Die Gesamtmasse des Dunklen Halos lässt sich nicht bestimmen, da man bis heute nicht
weiß, wie weit der Halo über die Galaxie hinausgeht. Was wir aber berechnen können, ist das
Verhältnis von Dunkler zu leuchtender Materie bis zum sichtbaren Rand der Galaxie. Dieses
Verhältnis liegt in der Größenordnung von 10:1, dass heißt es gibt mindestens zehnmal mehr
Dunkle als leuchtende Materie.
1.4 Gravitationslinsen
Die dritte und letzte Methode zur Massenbestimmung, die ich hier vorstellen möchte, sind
die so genannten Gravitationslinsen. Wir wissen, dass klassische Teilchen durch ein Gravitationsfeld von ihrer Bahn abgelenkt werden. Für den Ablenkungswinkel gilt im Falle kleiner
Ablenkungen für ein Teilchen mit Stossparameter y:
α=
2M G
yv 2
(6)
Dies gilt im Prinzip auch für Lichtstrahlen, allerdings muss man für diese Rechnung die Allgemeine Relativitätstheorie mit der Schwarzschild-Metrik bemühen. Man erhält eine ähnliche
1 Wie kam man auf die Idee, dass es Dunkle Materie gibt?
6
Formel, die sich nur um einen Faktor 2 vom klassischen Resultat unterscheidet:
α=
4M G
yc2
(7)
Wiederum war es Fritz Zwicky, der sich 1937 fragte, ob man die Galaxiehaufen als Gravitationslinse verwenden könnte und wie man heute weiß, ist das tatsächlich der Fall.
Abbildung (2) zeigt, dass je nach Beschaffenheit der Linse verschiedene Bilder möglich
sind. Für eine kugelsymmetrische Linse (Abbildung (2) oben) und den Fall, dass Quelle
und Linse auf der Sichtlinien liegen, wird das
Licht kreisförmig um die Linse ”herumgebogen”. Der Eindruck des Kreises kommt daher
zustande, dass, wenn man den Weg des Lichts
vom Beobachter aus zurückverfolgt, man den
Eindruck hat, dass das Licht von einem Kreis
emittiert worden ist. Das so entstandene Bild
nennt man auch Einsteinring. Mit dem Winkeldurchmesser eins Einsteinrings r2 ist es
möglich die Masse der Linse zu bestimmen.
Bezeichnet man DObj als Abstand zum abgebildeten Objekt, DLin als Abstand zur Linse und DObj−Lin als Abstand des Objekts zur
Linse, dann gilt (aus [3]):
DObj
c2
r2
(8)
M=
4G DLin DObj−Lin
Für eine abgeflachte Linse (Abbildung (2)
mitte), können Mehrfachbilder entstehen, wie
Abbildung 2: Veränderung der Bilder in
z.B. die vier Sterne im so genannten Einstein
Abhängigkeit von der LinsenKreuz. Für einen Galaxiehaufen (Abbildung
form von [ESA 2001]
(2) unten) werden die Bilder konfuser, man
kann aber dennoch Streifen erkennen und daraus die Masse des Haufens bestimmen.
2 Was wissen wir über Dunkle Materie?
7
2 Was wissen wir über Dunkle Materie?
In diesem Abschnitt werden wir uns anschauen, wie man den Materiehaushalt des Universums beschreibt, welche Experimente uns darüber Auskunft geben und welche Ergebnisse
man bisher erzielt hat.
2.1 Materiehaushalt
Um den Materiehaushalt des Universums zu charakterisieren bedarf es einiger Grundkenntnisse in Kosmologie. Deren Grundlage ist die Allgemeine Relativitätstheorie mit den Einsteinschen Feldgleichungen. Die Idee der Allgemeinen Relativitätstheorie ist, dass Masse den
Raum krümmt und Masse der Raumkrümmung folgt. Das fundamentale Feld ist in diesem
Falle die Metrik. Leider ist es in der Praxis sehr kompliziert mit solchen gekrümmten Metriken zu rechnen, denn die Einsteinschen Feldgleichungen sind nicht linear. Für ein isotropes,
homogenes, expandierendes Universum ist die Metrik, und damit die Berechnungen, relativ
einfach. Man nennt diese Metrik die Robertson-Walker-Metrik. Deren Idee ist, ein lokales Koordinatensystem einzuführen, welches sich nicht durch die Expansion ändert. Die Expansion
wird dadurch berücksichtigt, dass sich die Skala ändert, auf der wir Entfernungen messen.
Mit dieser Metrik erhalten wir nach Einsetzen in die Feldgleichung die beiden so genannten
Friedman-Lemaitre-Gleichungen, von denen die erste auch Friedman-Gleichung heißt.
H 2 (t) ≡
Ṙ(t)
R(t)
!2
=−
k
8πG
Λ
+
ρ+
2
R
3
3
R̈(t)
Λ 4πG
= −
(ρ + 3P )
R(t)
3
3
(9)
(10)
Hier ist R der Skalenparameter, denn wir mit der Robertson-Walker-Metrik eingeführt haben und der sich also bei der Expansion vergrößert. H heißt Hubble-Konstante, welche die
Expansionsgeschwindigkeit, also die relative Änderung des Skalenparameters, angibt. Offensichtlich hängt die von drei Termen ab. Der erste Term ist ein Beitrag der Raumkrümmung
mit dem diskreten Wert k, der -1,0,1 sein kann. Für k = 0 liegt ein euklidisches Universum
vor, dessen zweidimensionales Analogon eine Ebene wäre. Ist k = −1 spricht man von einem
geschlossenem Universum, was in zwei Dimensionen einer Kugeloberfläche entspricht und
k = 1 heißt offenes Universum, das zweidimensionale Analogon wäre hier ein Sattel. Der
zweite Term beschreibt den Beitrag der Materie- und Energiedichten im Universum. Beim
dritten Term handelt es sich um den Beitrag der so genannten kosmologischen Konstanten,
die Einstein damals eingeführt hat, um eine statische Lösung für das Universum möglich zu
Λ
lässt sie
machen. Ihren Beitrag bezeichnet man auch als ”Dunklen Energie”. Über ρV = 8πG
sich als Vakuumenergiedichte schreiben. P ist der Druck, der durch die zugehörige Dichte
erzeugt wird. Für ruhende Teilchen ist dieser identisch Null, für Strahlung und relativistische
Teilchen grade ein Drittel der Dichte und die Vakuumenergiedichte erzeugt einen genau entgegengesetzt negativen Druck, die das Universum, im Gegensatz zur Materie, auseinander
treibt (siehe zweite Gleichung in (10)).
2 Was wissen wir über Dunkle Materie?
8
Wir interessieren uns hier im Folgenden nur für die Friedman-Gleichung. Wir können sie
weiter vereinfachen, in dem wir durch H 2 dividieren und alle Dichten mit der so genannten
kritischen Dichte ρc zu dimensionslosen Größen normieren:
ρ
(11)
Ω=
ρc
Üblicherweise schreibt man auch den Beitrag der Raumkrümmung als Ωk , obwohl hier streng
genommen keine Energiedichte zugrunde liegt. Bringt man diesen nach links und fasst ihn
mit der eins als Ω0 zusammen erhält man folgende Gleichung:
1 − Ω = ΩM + ΩΛ
| {z }k
(12)
Ω0
Das ist die grundlegende Gleichung für den Materiehaushalt des Universums, auf welcher die
nachfolgende Diskussion aufbaut.
Für die heutige Zeit t = t0 schreibt man die Hubble-Konstante kürzer, indem man an das
H den Index 0 anfügt. Zusätzlich gibt man den Wert der Hubble-Konstanten mit Hilfe des
dimensionslosen Parameters h an, der einen Wert zwischen 0,5 und 1 hat. Dies hat den Sinn,
dass man nun Ergebnisse in Einheiten von h angeben und vergleichen kann, unabhängig vom
Wert und vor allem auch vom Fehler der Hubble-Konstante.
km
(13)
H0 ≡ H(t = t0 ) = 100h
s Mpc
2.2 Grundpfeiler
Schauen wir uns als erstes an, welche Komponenten wir in der Grundgleichung Ω0 = ΩM +ΩΛ
berücksichtigen müssen. Den Materie- und Energiedichteterm ΩM spalten wir auf in die
Beiträge von baryonischer Materie, Dunkler Materie, Neutrinos und Photonen:
ΩM = ΩB + ΩDM + Ων + Ωγ
(14)
Die baryonische Materiedichte unterteilt man weiter in einen leuchtenden und einen dunklen
Teil, worauf später genauer eingegangen wird.
ΩB = ΩLum + ΩD
(15)
Die Beobachtungen und Theorien, auf denen unser heutiger Kenntnisstand über den Materiehaushalt des Universums basiert, sind:
• Kosmische Hintergrundstrahlung (CMB): Aussagen über Ω0 , ΩM und ΩB
• Supernovae: Aussagen über ΩM − ΩΛ
• Nukleosynthese: Aussagen über ΩB
• Strukturbildung: Aussagen über ΩM − ΩB
Diese Punkte werden wir uns nun der Reihe nach anschauen.
2 Was wissen wir über Dunkle Materie?
9
2.3 Kosmische Hintergrundstrahlung
Die kosmische Hintergrundstrahlung wurde schon 1948 von Gamov, Alpher und Herman
als Konsequenz der Urknalltheorie vorhergesagt. Sie stammt von dem Zeitpunkt, als die
Strahlung von der Materie entkoppelte und somit ungehindert propagieren konnte. Man
spricht davon, dass das Universum durchsichtig wurde. Trotz dieser Vorhersage wurde nicht
aktiv nach dieser Strahlung gesucht, sondern die Entdeckung erfolgte zufällig im Jahre 1964
durch Penzias und Wilson. Diese stießen bei Arbeiten an einer ausgedienten Antenne zur
Entwicklung von Radioübertragungstechnik auf ein isotropes Signal, welches sie sich nicht
erklären konnten. Ihre erste Theorie war eine ”weiße, dielektrische Substanz”, mit der Tauben
die Antenne verschmutzt hatten. Aber auch nach Entfernung des Drecks (und ”dauerhafter
Entfernung” der Tauben) blieb das Signal unverändert. Erst Dicke und Peebles konnten das
Signal richtig interpretieren und ironischer Weise waren beide selber grade dabei nach dem
Signal suchen. Aber so ging der Nobelpreis 1978 dennoch an Penzias und Wilson.
Im Jahre 1989 wurde das Spektrum der Hintergrundstrahlung, welches auf der Erde
größtenteils von der Atmosphäre absorbiert wird, mit dem Satellit COBE dann zum ersten Mal in seiner Gesamtheit vermessen. Bei diesem Experiment führend waren John Mather und Georg Smoot, die für ihre Arbeit 2006 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurden.
Wir werden in Kürze sehen, warum die gewonnenen Erkenntnisse so bahnbrechend waren
um einen weiteren Nobelpreis innerhalb kurzer Zeit zu rechtfertigen. Heute liefert der 2002
gestartete Satellit WMAP die besten Daten.
2.3.1 Energiedichte
John Mather war bei COBE vor allem mit dem Experiment FIRAS vertreten. Dessen Aufgabe war es, dass Intensitätsspektrum der Hintergrundstrahlung zu vermessen. Schon im
Januar 1990 war diese Aufgabe mit dem in Abbildung (3) zu sehendem Ergebnis erfolgreich
abgeschlossen. Die Abweichungen von einem Planck Spektrum sind extrem klein, so dass
die Fehlerbalken unter der theoretischen Kurve verschwinden. Dieses Spektrum ist bis heute
unverbessert und aus diesen Daten ist es möglich die Temperatur der Hintergrundstrahlung
sehr genau zu bestimmen (aus [5] Kapitel 21):
T = (2, 725 ± 0, 001)K
(16)
Mit der Temperatur können wir die Energiedichte dieser Strahlung berechnen (aus [5] Kapitel 21):
Ωγ h2 = 2, 47 × 10−5
(17)
An der heutigen Energiedichte ist der Beitrag der Strahlung also sehr gering und kann
vernachlässigt werden.
2.3.2 Anisotropien
Das zweite wichtige COBE Experiment war DMR von George Smoot. Ziel war es, die Fluktuationen in der kosmischen Hintergrundstrahlung zu untersuchen. Diese kleinen Fluktuationen sind im Laufe der Zeit durch die Gravitation zu allen Strukturen im Universum
2 Was wissen wir über Dunkle Materie?
10
Abbildung 3: Intensitätsspektrum der Hintergrundstrahlung aus [4]. Die Fehlerbalken verschwinden unter der theoretischen Kurve
angewachsen. Sie wurden erst im April 1992, also rund zwei Jahre nach dem erfolgreichen
Abschluss von FIRAS, gefunden. Bei den Messdaten gibt es einen dominanten Dopplerdipol
bedingt durch die Bewegung des Satelliten im CMB-Bezugssystem. Außerdem muss man
zusätzlich die Emissionen aus der Ebene der Milchstraße subtrahieren.
Um die Messdaten nun analysieren zu können, entwickelt man die Temperaturanisotropien
nach Kugelflächenfunktionen:
X
alm Ylm (θ, φ)
(18)
δT (θ, φ) =
lm
Die für uns interessante kosmologische Information steckt vor allem in der Winkelseparation
zweiter Punkte. Was uns interessiert ist die Leistung einer l-Mode:
(2l + 1)Cl
4π
mit Cl ≡
l
X
|alm |2
(19)
m=−l
Dadurch ist die Winkelskala in etwa gegeben durch 180◦ /l.
2.3.3 Analyse
Die Abbildung (4) zeigt die so genannte Bandleistung für die verschiedenen l-Moden. Die
Leistung lässt sich nicht direkt messen, da man nicht den kompletten Himmel misst und es
somit zu Korrelationen der l-Moden kommt. Die Leistungen einer l-Mode werden in verschiedenen Bereichen von Modellen vorhergesagt. Es gibt zum einen den Sachs-Wolfe-Effekt, der
2 Was wissen wir über Dunkle Materie?
11
Abbildung 4: Bandleistung der l-Moden aus [6]
die Leistungen für l . 30, also große Winkel, beschreibt. Verantwortlich für das Verhalten
auf kleinen Winkelskalen (l > 1000) ist die Silk-Dämpfung. Für uns interessant sind aber
die von Andrei Sacharow beschriebenen akustischen Schwingungen. Akustische Oszillationen
der Materie im frühen Universum haben zu charakteristischen l-Moden auf kleinen Winkelskalen geführt. Dies war auch der Grund für WMAP, denn COBE hatte nur eine maximale
Winkelauflösung von 7◦ , der erste akustische Peak liegt aber bei etwa 1◦ . WMAP hat daher
eine Auflösung von 0,2◦ . Die akustischen Peaks spielen bei der weiteren Analyse eine wichtige
Rolle, denn sie sind abhängig von den Parametern des Materiehaushalts.
2.3.4 Ergebnisse
Die Position des ersten Maximums wird, wie in Abbildung (5) zu sehen, sehr stark durch
den Wert von Ωk und nur schwach durch den Wert von ΩΛ beeinflusst. Solange h nicht sehr
klein ist, lässt sich aus der Position des ersten Maximums also Ωk und damit Ω0 bestimmen.
Das Ergebnis (aus [5] Kapitel 23) lautet:
Ω0 = 1, 003+0,013
−0,017
Unser Universum ist also euklidisch, d.h. k = 0.
(20)
2 Was wissen wir über Dunkle Materie?
12
Abbildung 5: Verschiebung der akustischen Peaks mit Ωk und ΩΛ aus [6]
Abbildung 6: Verschiebung der akustischen Peaks mit ΩB und ΩM aus [6]
Aber es lässt sich noch mehr aus dem Spektrum herausholen. Für die weitere Analyse
können wir jetzt also k = 0 annehmen. Wie man in Abbildung (6) erkennt, ist die Höhe
des ersten Maximums sensitiv auf Baryonen- und Materiedichte, aber die weiteren Maxima
sind vor allem sensitiv auf die Materiedichte. Also können wir durch weitere Anpassungen
bestimmen (aus [5] Kapitel 23):
ΩB h2 = 0, 0223+0,0007
−0,0009
(21)
ΩM h2 = 0, 127+0,007
−0,010
(22)
h=
0, 73+0,03
−0,04
(23)
Die Annahme, dass h nicht zu klein ist, scheint also gerechtfertigt.
2.4 Supernovae
Eine zweite wichtige Informationsquelle über die Zusammensetzung des Materiehaushalts
des Universums sind Supernovae Explosionen. Es handelt sich dabei um gewaltige Sternexplosionen am Ende der Lebenszeit eines Sterns. Man detektiert sie, indem man alle 4 Tage
2 Was wissen wir über Dunkle Materie?
13
denselben Himmelsquadranten untersucht und ein Referenzbild abzieht. Auf diese Weise
erhält man Bilder, die nur die Helligkeitsänderung der Supernova zeigen. Für uns sind vor
allem die Supernova Explosionen vom Typ Ia (SNIa) interessant, weil aus Modellen ihre
absolute Luminosität bekannt ist. Dies macht SNIa Explosionen so interessant, da man nun
durch Vergleich mit der gemessenen Luminosität die wahre Distanz bestimmen kann. Man
spricht deshalb auch gerne von ”Standardkerzen”. Mit der wahren Distanz im Verhätnis zur
gemessenen Rotverschiebung kann man nun den zeitlichen Verlauf der Hubblekonstante, also
die Änderung der Expansionsgeschwindigkeit, bestimmen. Diese Änderung ist abhängig von
der Differenz zwischen dem Beitrag der Materiedichte und dem Beitrag der Dunklen Energie.
Dies wird anschaulich sofort klar, denn wie wir gesehen hatten beschleunigt die Dunkle Energie die Expansion, während sie durch mehr Materie gebremst wird. Einen höheren Anteil an
Dunkler Energie kann also durch einen höheren Anteil von Materie kompensiert werden und
nur die Differenz ist maßgeblich.
Abbildung 7: Korrigierte Helligkeit von SNIa Explosionen in verschiedenen Entfernungen
aus [7]
Trägt man nun, wie in Abbildung (7) links zu sehen, die korrigierte Helligkeit gegen die
Rotverschiebung, und damit die Entfernung, auf, so sieht man, dass der Verlauf dieser Kurven
von den Parametern des Materiehaushalts abhängt. Der Unterschied wird erst für größere
Rotverschiebung signifikant. Dies zeigt sich am deutlichsten im Residuenplot, siehe Abbildung (7) rechts.
Es ist also möglich ΩM und ΩΛ und den Kurvenverlauf anzupassen. Die Ergebnisse (aus
[7]) sind:
(ΩM
(ΩM , ΩΛ ) = (0, 31 ± 0, 21, 0, 80 ± 0, 31)
− ΩΛ , ΩM + ΩΛ ) = (−0, 49 ± 0, 12, 1, 11 ± 0, 52)
(24)
(25)
Man sieht, dass die einzelne Werte für ΩM und ΩΛ sehr große Fehler hat. Auch der Fehler
der Summe ist viel zu groß. Aber die Differenz konnte mit einem besseren Fehler bestimmt
werden. Die Ergebnisse stimmen sehr gut mit dem CMB-Daten überein.
2 Was wissen wir über Dunkle Materie?
14
Abbildung 8: Elementhäufigkeit als Funktion des Baryon-Photon-Verhältnisses aus [5] Kapitel 20
2.5 Nukleosynthese
Die primordiale Nukleosynthese (auch BBN für Big Bang Nukleosynthesis) ist die Theorie
zur Entstehung der leichten Elemente im frühen Universum etwa 3 min nach dem Urknall. Sie
wurde 1946 von Gamov aufgestellt. Aus der anfänglichen Elementarteilchensuppe entstehen
Protonen und Neutronen, die bei diesen hohen Temperaturen über die schwache Wechselwirkung im Gleichgewicht stehen. Bei sinkenden Temperaturen verschiebt sich das Gleichgewicht immer mehr in Richtung der Protonen, bis die Neutronen das thermische Gleichgewicht
schließlich verlassen (”freeze-out”). Die Neutronen können jetzt über β-Zerfall zerfallen. Bei
weiter sinkenden Temperaturen werden aber Kernprozesse möglich, so dass sich Deuterium
bilden kann. Dies ist der Beginn einer Nukleosynthesekette, die mit Lithium praktisch endet.
Die Abbildung (8) aus [5] Kapitel 20 zeigt die erwarteten Anteile der Elemente 4 Helium,
Deuterium, 3 Helium und Lithium im Verhältnis zu Wasserstoff als Funktion des BaryonPhoton-Verhältnisses: η ≡ nnBγ . Die Elementhäufigkeiten können wir im Universum messen
(Abbildung (8); kleine Box in Gelb: 2σ statistischer Fehler; große Box mit Punkten: 2σ
statistischer und systematischer Fehler). Da wir die Photondichte aus den CMB-Messungen
2 Was wissen wir über Dunkle Materie?
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kennen, lässt sich die Baryondichte aus η bestimmen (aus [5]):
0, 017 ≤ ΩB h2 ≤ 0, 024 (95% CL)
(26)
Dies ist in Abbildung (8) durch das senkrechte, orange Band eingezeichnet. Das blaue Band
zeigt das Ergebnis der CMB-Messung, auch hier liegt also eine gute Übereinstimmung vor.
2.6 Strukturbildung
In so genannten ”Galaxy Surveys” bestimmt man die Entfernungen und Positionen sehr
vieler Galaxien. Im 2dF Survey wurden dazu etwa 220.000 Galaxien untersucht. Ziel ist es,
die so erhaltene Verteilung der Galaxien statistisch zu analysieren. Dazu benutzt man die
Dichtekontrastfunktion, die die lokale Abweichung von der mittleren Dichte normiert auf die
mittlere Dichte angibt.
δ(~x) =
ρ(~x) − hρi
hρi
Üblicherweise interessiert man sich für die Fouriertransformierte:
X
δ(~x) =
δk exp −i~k~x
(27)
(28)
Nun schaut man sich analog zu der Analyse der CMB-Daten die Leistung einzelner k-Moden
an:
|δk |2 ≡ P (k)
(29)
Dabei ist P (k) das so genannten Leistungsspektrum. Üblicherweise schreibt man es als:
∆2 (k) ∝ k 3 P (k)
(30)
Wie man in Abbildung (9) sieht, ist das Leistungsspektrum anhängig von der Materie- und
Baryonendichte. Wir sehen, dass die Baryonen ein ”Schwingen” in der Kurve verursachen.
Wenn wir jetzt die Baryonendichte aus der Nukleosynthese (ΩB h2 = 0, 02) nehmen, können
wir die Materiedichte an die Messdaten anpassen (aus [5] Kapitel 19):
ΩM h ' 0, 2
(31)
Auch diese Messung stimmt sehr gut mit den Ergebnissen der CMB-Analyse überein. Außerdem liefert die Theorie der Strukturbildung noch eine ganz andere Einschränkung für die
Dunkle Materie: sie sollte ”kalt”, d.h. zum Zeitpunkt der Galaxiebildung nicht relativistisch
sein. Heiße Dunkle Materie würde Dichtefluktuationen ”auswaschen” und die Strukturen im
Universum hätten keine Zeit gehabt sich zu bilden.
2 Was wissen wir über Dunkle Materie?
16
Abbildung 9: Leistungsspektrum der Galaxieverteilung aus [5] Kapitel 19
2.7 Zusammenfassung
Fassen wir die bisher gewonnen Erkenntnisse zusammen. Dazu tragen wir alle Messungen wie
in Abbildung (10) zu sehen in einen Graphen ΩΛ gegen ΩM ein. Wir hatten gesehen, dass aus
den WMAP Daten vor allem Ω0 und damit die Summe aus beidem zu 1 bestimmt wurde:
in unserem Graphen erhalten wir daher eine Gerade. Durch die Supernovae Explosionen
wurde die Differenz aus beiden bestimmen, das liefert uns eine dazu senkrechte Gerade. Und
aus der Strukturbildung war es uns mit Daten der Nukleosynthese möglich ΩM einzeln zu
bestimmen. Die wichtige Erkenntnis ist nun, dass es einen Bereich gibt, in dem sich alle
drei Messungen treffen. Es gibt also eine Kombination von Parametern, die alle Messdaten
zufrieden stellend beschreibt.
Die Ergebnisse der WMAP Daten, und vor allem deren Fehler, erfahren durch Kombination mit anderen Messungen kaum eine signifikante Verbesserung. Dennoch sind sie als
unabhängige Bestätigung immens wichtig. Wenn wir das h2 ≈ (0, 73)2 einmal einsetzen,
präsentiert sich der Materiehaushalt des Universums wie folgt:
Ω0 ≈ 1
ΩB ≈ 0, 04
ΩM ≈ 0, 24
ΩΛ ≈ 0, 76
(32)
(33)
(34)
(35)
2 Was wissen wir über Dunkle Materie?
17
Abbildung 10: Kosmologische Parameter aus [ESO Press Release 15/04]
2.8 Materieformen
Wenden wir uns erneut den verschiedenen Komponenten unserer Grundgleichung zu. Bei der
Diskussion der kosmischen Hintergrundstrahlung haben wir schon gesehen das:
Ωγ ∼ 10−5
(36)
Diese Größe können wir also vernachlässigen. Ähnlich verhält es sich für die Neutrinos. Mit
einer Kombination von WMAP, Strukturbildung und Supernova Daten ist es möglich, eine
obere Grenze festzulegen (aus [5] Kapitel 23):
Ων < 0, 0072 (95% CL)
(37)
Umgekehrt lässt sich daraus für Neutrinomassen zwischen 0,0005 eV bis 1 MeV die Summe
der Neutrinomassen der drei Familien abzuschätzen (aus [5] Kapitel 23):
P
mν
Ων =
(38)
93eV
X
⇒
mν < 0, 68eV
(39)
2 Was wissen wir über Dunkle Materie?
18
Bisher konnte noch keine Neutrinomassen mit ausreichender Genauigkeit bestimmt werden,
sondern nur obere Massengrenzen. Für das Elektronneutrino liegt diese im Moment bei
2,2eV, was also mit der Forderung der Kosmologie verträglich ist
Abschließend schauen wir uns noch den Anteil der leuchtenden Materie an. Diesen erhält
man durch Messung der Gesamthelligkeit des Universums. Über eine empirische MassenLeuchtkraft-Beziehung lässt sich so die Masse bestimmen (aus [5] Kapitel 20):
ΩLum ≈ 0, 005
(40)
Offensichtlich ist ΩLum ΩB , also ist ein signifikanter Anteil der baryonischen Materie
nicht leuchtend. Die beste Erklärung, die man dafür heute hat ist Gas im intergalaktischen
Medium (IGM).
2.9 Zusammenfassung
Fassen wir also die Erkenntnisse dieses Abschnitts zusammen. Wir haben gesehen, das etwa
2/3 des Materiehaushalts des Universums bestimmt werden durch eine Dunkle Energie,
während das andere Drittel Materie zuzuschreiben ist. Der Materieanteil setzt sich zusammen
aus 4% Baryonischer Materie und etwa 24% Dunkler Materie. Die 4% Baryonischer Materie
können wir weiter aufschlüsseln zu etwa 0,5 % leuchtender Materie und einer weiteren,
nicht sichtbaren Komponente, von der man vermutet, dass es sich um intergalaktisches Gas
handelt. Diese nicht sichtbare Komponente könnte man als baryonische Dunkle Materie
bezeichnen, allerdings ist das insofern irreführend, als dass man schon weiß, woraus diese
besteht, man weiß nur nicht, wo sie sich befindet.
3 Welche Kandidaten für Dunkle Materie gibt es und wie sucht man danach?
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3 Welche Kandidaten für Dunkle Materie gibt es und wie
sucht man danach?
Nachdem wir gesehen haben, dass es deutliche Evidenzen für Dunkle Materie gibt, wollen
wir uns nun den möglichen (Teilchen-)Kandidaten zuwenden und einen von ihnen im Detail
näher untersuchen.
3.1 Kandidaten
Wir hatten gesehen, dass baryonische Materie die Materiedichte im Universum nicht erklären
kann. Also brauchen wir für den Rest nichtbaryonische Materie. Weiterhin hatten wir gesehen, dass Neutrinos viel zu leicht sind. Daraus können wir sofort schließen, dass wir neue
Teilchen brauchen. Diese Teilchen müssen vor allem zwei Voraussetzungen erfüllen: erstens
müssen sie stabil auf kosmologischen Zeitskalen sein, da sie ansonsten keinen signifikanten
Beitrag zur heutigen Materiedichte liefern könnten und zweitens dürfen sie nur gering mit
elektromagnetischer Strahlung wechselwirken, da wir sie ansonsten schon gesehen haben
müssten.
Es gibt zahlreiche Ideen für diese Teilchen. Der vielleicht am besten motivierteste Kandidat ist das WIMP, dem wir uns im nächsten Abschnitt noch zuwenden. Man hat unter
anderem aber auch Axionen, hypothetische Teilchen die die fehlende CP-Verletzung der QCD
erklären, schwere Neutrinos einer vierten Familie und so genannte topologische Defekte, wie
magnetische Monopole oder kosmische Strings als Lösung vorgeschlagen.
3.2 WIMPs
Beim Namen WIMP handelt es sich um die Abkürzung für ”weakly interacting massive
particle”. Aus der Kosmologie können wir schon einige Eigenschaften für solche Teilchen
ableiten. Sie sollten:
1. eine Masse zwischen 10 GeV und einigen TeV,
2. einen Wirkungsquerschnitt vergleichbar mit dem der schwachen Wechselwirkung und
3. das thermische Gleichgewicht schon vor der normalen Materie verlassen haben (”freeze
out”).
Erstaunlicher Weise gibt es einen natürlichen Kandidaten, der alle diese Eigenschaften erfüllen
würden: das leichteste supersymmetrische Teilchen aus der SUSY Theorie. Sollte SUSY also
eine zutreffende Beschreibung der Natur sein, ließe sich damit eine elegante Erklärung für
Dunkle Materie finden.
Nach solchen WIMPs lässt sich nach zwei konzeptionell verschiedenen Methoden suchen.
Man hat zum einen die Möglichkeit direkt nach solchen Teilchen oder indirekt nach WIMP
Annihilierungsprodukten zu suchen. Beide Möglichkeiten wollen wir uns im Folgenden kurz
anschauen.
3 Welche Kandidaten für Dunkle Materie gibt es und wie sucht man danach?
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3.2.1 Direkt
Bei der direkten Suchen nach solchen Teilchen hat man zwei Möglichkeiten. Wenn es sie gibt,
sollte es auch möglich sein sie an Beschleunigern zu erzeugen. Daher sind neue Beschleunigerexperimente für die Suche nach Dunkler Materie sehr wichtig. Schon am LHC könnte eine
wichtige Entdeckung möglich sein.
Andererseits kann man auch die Wechselwirkung kosmischer WIMPs auf der Erde nachweisen. Das wird dadurch erschwert, dass WIMPs eine sehr geringe Detektierungsrate haben.
Sie liegt bei etwa 10−1 bis 10−5 Ereignissen pro Tag und pro kg Detektormaterial. Um signifikante Raten in überschaubaren Zeiträumen zu erhalten, braucht man also eine große
Menge Detektormaterial. Weitere Schwierigkeiten entstehen durch kosmische Strahlung und
die natürliche Radioaktivität, da bei einem zu großem Rauschen das Signal untergeht. Daher muss man solche Experimente in den Untergrund verlegen, die Radioaktivität des umliegenden Gesteins abschirmen und sehr reine Detektormaterialien, z.B. vom Meeresgrund
geborgen, einsetzen.
Durch die relativ hohe Masse der WIMPs stehen bei einer Kollision zwischen WIMP und
Detektormaterial hohe Rückstoßenergien von ca. 10 bis 100 keV zur Verfügung. Diese lässt
sich über Ionisation, Hitze oder Licht nachweisen. Obwohl es eine große Menge an Experimenten gab und gibt, hat man bisher keine Signifikanz für kosmische WIMPs festgestellt.
3.2.2 Indirekt
Falls sich WIMPs in Gammas oder Neutrinos annihilieren, müsste es möglich sein die Anilierungsprodukte zu beobachten. Massive Objekte wie Sterne können durch ihre Gravitation
WIMPs einfangen. Die erhöhte Konzentration hätte daher auch eine erhöhte Annihilierung
zur Folge. Solche Neutrinos von der Sonne müssten also detektierbar sein.
Bekanntermaßen sind Neutrinos aber schwer zu detektieren. Eine Methode besteht darin,
optisches Cherenkov Licht in Wasser oder aber auch Eis nachzuweisen. Auch hier steigt die
Detektierungsrate mit der Menge an Detektormaterial, weswegen man Neutrino Teleskope
in natürlichen Materialien, wie z.B. dem Baikal-See, gebaut hat.
Das bislang größte Neutrino Teleskop wird derzeit in der Antarktis nur unweit des Südpols
gebaut und heißt demnach auch IceCube. Cherenkov Detektoren werden bis zu 2400 m in
das ewige Eis herabgelassen. Der komplette Detektor soll 2011 fertig gestellt sein.
4 Zusammenfassung
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4 Zusammenfassung
Ich hoffe in diesem Vortrag folgende Punkte klar herausgestellt zu haben:
• Es gibt experimentelle und theoretische Hinweise auf Dunkle Materie.
• Wir wissen heute schon sehr viel über Dunkle Materie. Durch verschiedene Methoden
haben wir unabhängige Hinweise auf die Menge und können sicher sein, dass es neue
Elementarteilchen geben muss.
• Durch das Standardmodell wird Dunkle Materie nicht erklärt. Daher ist es mindestens
unvollständig...
• Über Dunkle Energie wissen wir nur sehr wenig. Etwa 2/3 der Energiedichte des Universums warten also noch auf eine Erklärung.
Es ist also auch am Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts nicht zu befürchten, dass die
Physik in naher Zukunft alles erklärt kann. Es wird auch für kommende Physikergenerationen
noch interessante Aufgaben und Herausforderungen geben.
Literatur
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Literatur
[1] F. Zwicky, On the Masses of Nebulae and of Clusters of Nebulae, 10/1937,
1937ApJ....86..217Z
[2] van Albada, Bahcall, Begeman, Sancisi, Distribution of dark matter in the spiral
galaxy NGC 3198, 08/1985, 1985ApJ...295..305V
[3] S.W. Allen, Resolving the discrepancy between X-ray and gravitational lensing
mass measurements for clusters of galaxies, 2006, astroph/9710217
[4] Fixsen, Cheng, Gales, Mather, Shafer, Wright Measurement of the cosmic microwave background spectrum by the COBE FIRAS instrument, 01/1994,
1994ApJ...420..439M
[5] Physical Data Group, Review of Particle Physics, 2005-2006, http://pdg.lbl.gov/
[6] A. Lasenby, What have we learned from CMB observations?, 2006, Rencontres
de Moriond
[7] D. Fouchez, SNLS : Cosmological results from the first year dataset, 2006, Rencontres de Moriond
[8] B. Serfass, Direct Detection of Dark Matter: Status and Perspectives, 2006,
Rencontres de Moriond
[9] D.W. Sciama, Modern Cosmology and the Dark Matter Problem, 1993, Cambrige
University Press
Zugehörige Unterlagen
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