6 Methoden zur Lösung des elektrostatischen Randwertproblems Die generelle Strategie zur Lösung des elektrostatischen Randwertproblems umfaßt zwei Schritte: 1. Finde eine spezielle Lösung der Poisson-Gleichung für die vorgegebene Geometrie: Bildladungsmethode, Green’sche Funktion. 2. Finde harmonische Funktion, welche der Randbedingungen Rechnung trägt. 6.1 Bildladungsmethode 6.1.1 Punktladung vor metallischer Platte z>0 P r r’ -q a O II a q I unendliche geerdete Metallplatte Randbedingungen: φ(z = 0) = 0 φ(∞) = 0 Finde das elektrostatische Potential im Halbraum rechts von der Platte (I): Die Ladung q befinde sich im Abstand a von der Metallplatte. Plaziere eine Bildladung q 0 = −q gegenüber von q im “irrelevanten Bereich” (II). ⇒ Potential am Punkt P : φ(P ) = 1 1 1 − 0 . 4π0 r r Für Punkte P auf der Metallplatte ist r = r 0 ⇒ φ(z = 0) = 0. Für die Poisson-Gleichung in Gebiet (I) ergibt sich: 1 q 1 ∆ − 0 ∆φ = 4π0 r r q [δ(r) − δ(r 0 )] 0 q = δ(r), 0 = da δ(r 0 ) = 0 im Gebiet (I). Das Potential ergibt sich damit zu: q 4π0 rechtes Gebiet (I): φ(r) = linkes Gebiet (II): φ(r) = 0 h 1 r − 1 r0 i Induzierte Oberflächenladung ∂φ ∂φ = −0 σ = −0 ∂n ∂z z=0 Wähle Ursprung bei O: 1 1 q q −q φ(r k , z) = 2 2 4π0 rk + (z + a)2 rk + (z − a)2 σ ⇒ σ(r k ) = −qa + a2 )3/2 2π(rk2 x y 6.2 Punktladung vor Metallkugel r a axial symmetry r’ ϑ y’ q’ q field free y erste Situtation: geerdete Kugel Randedingung: 1. φ = 0 auf der Oberfläche der Kugel 2. φ = 0 innerhalb der Kugel 3. φ = 0 im Unendlichen Finde φ(r) außerhalb der Kugel Geometrie: wenn es eine Bildladung gibt, dann sitzt sie auf der Linie, die q und den Kugelmittelpunkt verbindet. Annahme: q q0 1 φ= + . 4π0 r r 0 " # Für einen Punkt auf der Kugeloberfläche gilt dann: ⇒ Cosinussatz: r 02 = r2 = q 02 r 02 = q2 r2 a2 + y 02 − 2ay 0 cos ϑ a2 + y 2 − 2ay cos ϑ ⇒ q 02 r 02 a2 + y 02 − 2ay 0 cos ϑ = = q2 r2 a2 + y 2 − 2ay cos ϑ Die rechte Seite der Gleichung muss von ϑ unabhängig sein, da die linke Seite der Gleichung nicht von ϑ abhängen darf ⇒ a2 + y 02 a y0 a y a2 + y 2 = ⇔ + = + ay ay 0 y0 a y a ⇒ y0 = a2 y (Die zweite Lösung – y 0 = y – kommt nicht in Frage, da die Bildladung innerhalb der Kugel sitzen muß.) q0 y0 a2 = = q2 y y2 a ⇒ q0 = − q y ⇒ Potential: 0 φ= innerhalb der Kugel 1 4π0 h q r + i 0 q r0 ausserhalb der Kugel Auf der Oberfläche der Kugel induzierte Ladung: Qind = q 0 (Gauss’sches Gesetz). Zweite Situation: isolierte Metallkugel mit Ladung Q P r d a axial symmetry r’ q’’ y’ q’ q field free y Lösung mit Hilfe des Superpositionsprinzips: wie oben: Die erste Bildladung q 0 erzeugt φ = 0 auf der Kugeloberfläche Plaziere zweite Bildladung q 00 im Zentrum der Kugel (andernfalls ist die Kugeloberfläche keine Äquipotentialfläche mehr). a Forderung: Q = q 0 + q 00 ⇒ q 00 = Q + q y φ= const = 1 q 4π0 a 1 q 00 q 0 q + 0+ 4π0 d r r " innnerhalb der Kugel # außerhalb der Kugel Beachte: Bildladungen müssen immer außerhalb des relevanten Volumens plaziert werden! 6.3 6.3.1 Green’sche Funktion Definition und allgemeine Eigenschaften Die Bildladungsmethode hat spezielle Lösungen der Poisson-Gleichung für elektrostatische Randwertprobleme geliefert, bei denen die Ladungsverteilung aus einer einzelnen Punktladung besteht. Sind diese Lösungen für allgemeinere Probleme von Nutzen? (Superpositionsprinzip?) Definition: Als Green’sche Funktion bezeichnet man eine Lösung der PoissonGleichung mit punktförmiger Ladungsverteilung, ∆0 G(r, r 0 ) = −δ(r − r 0 ), wobei G oder Dirichlet: ∂G den spezifischen Randbedingungen genügt. ∂n0 G(r, r 0 ) = φ0 (r)|r0 ∈∂V von Neumann: ∂G σ(r) =− ∂n r0 ∈∂V 0 Das erste Argument der Green’schen Funktion (r) gibt den Ort einer Testladung an, das zweite Argument (r 0 ) den Ort der Quellladung. Die allgemeine Form der Green’schen Funktion ist also G(r, r 0 ) = 1 1 + F (r, r0 ), 0 4π |r − r | wobei F (r, r 0 ) eine Lösung der Laplace-Gleichung ∆F (r, r 0 ) = 0 ist. D.h. F ist eine harmonische Funktion im relevanten Gebiet, die auf dem Rand des Volumens den Randbedingungen Rechnung trägt. Kennt man die Green’sche Funktion G(r, r 0 ), so kann man die Lösung des Randwertproblems für eine beliebige Ladungsverteilung ρ konstruieren. Benutze dazu Green’s zweite Identität mit ψ(r 0 ) = G(r, r0 ): 1 Z dV 0 ρ(r 0 )G(r, r0 ) ⇒ φ(r) = 0 V # " I 0 ∂φ 0 0 ∂G(r, r ) 0 − − 0 G(r, r ) df φ(r ) ∂n0 ∂n ∂V Die Green’sche Funktion erfüllt die Reziprozitätsrelation G(r, r0 ) = G(r0 , r), d.h. für ein Paar von Punktladungen kann man in der Green’schen Funktion die Quellladung und die Testladung vertauschen. (Beachte: diese Aussage ist nicht trivial, da das Problem in den Randbedingungen nicht symmetrisch ist.) Anschaulich gibt die Green’sche Funktion die Wechselwirkungsenergie zwischen zwei Punktladungen wieder, welche durch Bildladungen abgeschirmt wird. 6.4 Green’sche Funktion für den unendlichen Raum (R 3 ) Hier liegen die Randbedingungen im Unendlichen vor, i.e. 1 lim G(r, r0 ) <= . r r→∞ Dann gilt nach dem Helmholtz-Theorem φ(r) = 1 4π0 Z dV 0 V ⇒ G(r, r 0 ) = ρ(r 0 ) |r − r 0 | 1 1 4π |r − r0 | Beachte: Das Oberflächenintegral ∂V . . . liefert keinen Beitrag, da der Integrand für grosse r 0 mindestens wie r 0 −3 verschwindet, während die Oberfläche nur wie r 0 2 anwächst. H 6.4.1 Dirichlet-Randbedingungen Wähle GD (r, r0 ) = 1 + F (r, r0 ) 4π|r − r0 | so, dass GD (r, r0 ) = 0 für r 0 aus ∂V . (Beispiel: geerdefte Metallplatte/kugel) Dann gilt: φ(r) = I 1 Z ∂G dV 0 ρ(r 0 )GD (r, r0 ) − df 0 φ(r 0 ) 0 0 V ∂n ∂V Beachte: die unbekannte Normalkomponente des elektrischen Feldes tritt in dem Oberflächenintegral nicht mehr auf. Beispiel: Green’sche Funktion des Halbraums P r’ finde GD (r, r 0 ) for z > 0 betrachte Einheitsladung n’ (n’ r) -1 n’ vor einer geerdeten metallischen Platte q=1 r z Potential am Punkt P = r0 : " # 1 1 1 1 − 0 φ(r ) = = GD (r − r0 ), 0 0 0 0 4π0 |r − r | |r − r + 2n (n · r )| 0 0 da GD (r, r0 ) = 0 für r 0 aus der z = 0-Ebene (= ∂V ). Überprüfe die Reziprozitätsrelation: q |r0 − r + 2n0 (n0 · r 0 )| = q = (r0 − r)2 + 4(n0 · r)2 + 4(n0 · r)n0 (r 0 − r) (r0 − r)2 + 4(n0 · r)(n0 · r0 ) ⇒ GD (r, r 0 ) = GD (r 0 , r) nun muss noch berechnet werden: 4π = (n0 · ∇0 ) q = ∂GD (r, r 0 ) ∂n0 1 (r0 − r)2 −q 1 (r 0 − r)2 + 4(n0 · r)(n0 · r 0 ) 2n0 · (r 0 − r) 2n0 [(r 0 − r) + 2n0 (n0 · r)] . − −2[(r 0 − r)2 ]3/2 −2[(r 0 − r)2 + 4(n0 · r)(n0 · r0 )]3/2 Auf der Metallplatte gilt: n0 · r 0 = 0 ⇒ 1 2n0 · r ∂GD (r, r 0 ) = . ∂n0 4π |r0 − r|3 Damit ergibt sich die allgemeine Lösung des Potentialproblems für eine beliebige Ladungverteilung ρ(r 0 ) im Halbraum (z > 0) und für vorgegebenes Potential φ0 (r 0 ) in der z = 0-Ebene zu: Z 1 dV 0 ρ(r 0 )gD (r, r0 ) φ(r) = 0 V =z>0−space I 1 2n0 · r − df 0 φ(r0 ) 0 4π z=0−plane |r − r|3 Beachte: Obwohl die Green’sche Funktion die Randbedingung φ0 = 0 auf der z = 0Ebene erfüllt, kann man mit dieser Green’schen Funktion auch Randwertprobleme lösen, bei denen φ 6= 0, auf dem Rand des betrachteten Volumens, i.e. bei denen der Rand nicht von einer Metallplatte gebildet wird. 6.5 Kapazität Betrachte n geladene Leiter in einem sonst ladungsfreien Volumen φ ( r i ) = Vi = const ni Si E Sei GD die Green’sche Funktion dieser Anordnung: ⇒ φ(r) = n X i ! ∂GD (r, r i ) −( dfi φi ∂ni Si I Das elektrische Feld auf der j-ten Leiteroberfläche beträgt: E(rj ) = −∇ φ(r)|r=rj Das elektrische Feld steht senkrecht auf der Leiteroberfläche: 1 −nj · E(r j ) = σ(r j ) 0 Die Gesamtladung auf dem j-ten Leiter beträgt: Qj = I Sj dfj σ(r j ) = 0 I dfj ∂φ(r j ) ∂nj ⇒ Qj = n X Cji Vi , i=1 wobei ∂ 2 GD (r j , ri ) Cji = −0 dfj dfi . ∂nj ∂ni Beachte: Die Cji hängen nur von der Geometrie der Anordnung ab, nicht aber von den aufgebrachten Ladungen! I I Notation: Cii : Kapazität Cji = Cij , (i 6= j): Induktionskoeffizient X I X ∂GD (rj , ri ) ∂ dfi ∂nj ∂ni i I I X ∂ −0 dfj df i ∇i GD (r j , r i ) ∂nj i I ∂ Z dV ∆GD (rj , r) −0 dfj ∂nj I ∂ Z dV δ(r − r j ) 0 dfj ∂nj I ∂ 1 0 dfj ∂nj 2 0 Cij = −0 i = = = = = I dfj Elektrostatische Energie der Anordnung W = = = = = 1 dV 0 ρ(r 0 )φ(r 0 ) 2I 1 dfi σ(ri )φ(ri ) 2 Si Ladungen sitzen nur auf den Leiteroberflächen I n 1X Vi dfi σ(r i ) 2 i=1 n 1X Q i Vi 2 i=1 Z n 1 X Cji Vi Vj ≥ 0 2 i,j=1 Die elektrostatische Energie der Anordnung ist positiv. ⇒ C = {C}ij ist eine positiv definite Matrix. Speziell sind die Cii > 0. 6.6 Thomson’sches Theorem Betrachte n beliebig angeordnete elektrische Leiter mit festen Ladungen Qi (i = 1 . . . n). Das elektrostatische Potential Vi stellt sich so ein, dass die elektrostatische Energie W ihr Minimum einnimmt. 6.7 Kapazitäten im engeren Sinne Ein isolierter Leiter, der eine Ladung Q trägt und sich daher (gegenüber der Erdung im Unendlichen) auf dem Potential V befindet, besitzt eine Kapazität C= Q . V Ein Kondensator besteht aus zwei Leitern. Dann gilt: C11 = −C21 = −C12 = C22 ≡ C. Die Kapazität C dieser Anordnung bestimmt wie groß die Ladung auf den Leitern bei vorgegebener Spannungsdifferenz V ist, Q1 = −Q2 = C(φ1 − φ2 ) = CV. Die Energie, die in einem Kondensator gespeichert ist, beträgt E= 1X 1 φi Cij φj = CV 2 . 2 ij 2 Beispiel: Kapazität zweier konzentrischer Kugelschalen -Q Q a b a ≤ r ≤ b: φ(r) = V1 Q 4πr Q 1 1 − 4π0 a b Q ab ⇒C= = 4π0 V1 − V 2 b−a ⇒ V1 − V2 = V2