Stärkster Aufschwung seit drei Jahren

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20 Samstag, 4. März 2017 · Nr. 17
Stärkster Aufschwung seit drei Jahren
Die globalen Industrieumfragen deuten auf eine kräftige, breit abgestützte Erholung hin. Das Wirtschaftswachstum könnte 2017 von 3 auf 4% steigen.
PETER ROHNER
E
s gibt wahrlich genug Gründe, sich
um den Gang der Weltwirtschaft
Sorgen zu machen: ein unberechen­
barer US-Präsident mit protektionisti­
schen Plänen, richtungsweisende Wahlen
in der Eurozone und eine tickende Schul­
denzeitbombe in China.
Doch die Gegenwart ist alles andere als
düster. Das globale Wirtschaftswachstum
beschleunigt sich. Das beste Indiz dafür
sind die Frühindikatoren der Industrie. Sie
befinden sich weltweit auf Erholungskurs
und deuten auf eine kräftige Dynamik
hin. Der globale, nach Wirtschaftskraft
der Länder gewichtete Einkaufsmanager­
index (Purchasing Managers Index, PMI)
ist im Februar auf 52,9 Punkte gestiegen.
So hoch war das Barometer seit drei Jah­
ren nicht mehr. Werte über 50 signalisie­
ren eine anziehende Geschäftsdynamik,
Werte darunter eine Kontraktion im jewei­
ligen Sektor. Historisch entsprechen solch
hohe PMI-Werte einem Weltwirtschafts­
wachstum von 4%. Das wäre rund 1 Pro­
zentpunkt mehr als im vergangenen Jahr.
Boomende US-Industrie
Stark aufgedreht hat der Konjunktur­
motor in den USA. Der Manufacturing
PMI des Institute for Supply Management
(ISM) notiert mit 57,7 auf dem höchsten
Niveau seit August 2014. Noch im letzten
Sommer war der Index unter die kritische
Grenze von 50 gefallen. Die Erholung hat
schon vor den Präsidentschaftswahlen
eingesetzt, nach dem Sieg von Trump hat
sie sich nochmals beschleunigt.
Auch die europäischen PMI können
sich sehen lassen; keine Spur von einer
lähmenden Unsicherheit im Vorfeld der
französischen Präsidentschaftswahlen. In
der Eurozone ist das Industriebarometer
im Februar von 55,2 auf 55,4 gestiegen
und hat damit das höchste Niveau seit
Ausbruch der Eurokrise im Jahr 2011 er­
reicht. In Deutschland, Italien und den
Niederlanden war das Umfrageergebnis
besser als im Vormonat, während die
Frühindikatoren in Spanien und Frank­
reich leicht gesunken sind.
In der Schweiz notiert der IndustriePMI ebenfalls klar in der Wachstumszone.
Im Februar ist der von der Credit Suisse
und dem Branchenverband Procure.ch
herausgegebene Konjunkturindikator auf
57,8 Punkte geklettert. Übertroffen wird
das Schweizer Ergebnis innerhalb Euro­
pas nur noch von den Niederlanden und
Schweden. Besonders erfreulich ist der
Anstieg der Subkomponente «Produk­
tion» auf 59,9 bei gleichzeitiger Abnahme
des Lagerbestands. Das lässt auf eine be­
sonders hohe Nachfrage schliessen.
China schlägt sich besser
Auch in den grossen Volkswirtschaften
Asiens fasst die Industrie Tritt. In Japan ist
der PMI um 0,5 Punkte auf 53,3 gestiegen
und liegt zum sechsten Mal in Folge über
der Wachstumsgrenze. In China konnten
die beiden Industriebarometer die Delle
vom Vormonat wettmachen. Der offizielle
Einkaufsmanagerindex des Statistikbüros,
bei dem die Staatskonzerne ein grösseres
Gewicht haben, hat sich von 51,3 auf 51,6
verbessert. Der alternative PMI des Me­
Gefahrenkarte der Weltwirtschaft: Monatliche Einkaufsmanagerindizes (PMI) der Industrie in den letzten sechs Jahren
2011
F M A M J J A S O N D
2012
J F M A M J J A S O N D
2013
2014
J F M A M J J A S O N D
2015
J F M A M J J A S O N D
PMI erklärt
2016
J F M A M J J A S O N D
Jan. Feb.
J F M A M J J A S O N D
Global
Globaler PMI
52,7 52,9 Globaler PMI
Nordamerika
USA (ISM)
Kanada
56,0 57,7 USA (ISM)
53,5 54,7 Kanada
Eurozone
Deutschland
UK
Frankreich
Niederlande
Italien
Spanien
Schweden
Schweiz
Europa
55,2
56,4
55,7
53,6
56,5
53,0
55,6
62,0
54,6
55,4
56,8
54,6
52,2
58,3
55,0
54,8
60,9
57,8
Eurozone
Deutschland
UK
Frankreich
Niederlande
Italien
Spanien
Schweden
Schweiz
China (offiziell)
China Caixin
Japan
Südkorea
Taiwan
Australien
Brasilien
Mexiko
Russland
Indien
Südafrika
Asien und Schwellenländer
51,3
51,0
52,7
49,0
55,6
51,2
44,0
50,8
54,7
50,4
50,9
51,6
51,7
53,3
49,2
54,5
59,3
46,9
50,6
52,5
50,7
52,5
China (offiziell)
China Caixin
Japan
Südkorea
Taiwan
Australien
Brasilien
Mexiko
Russland
Indien
Südafrika
Kontraktion
Quelle: Ineichen Research & Management, Bloomberg, Markit/Grafik: FuW
Wachstum
dienunternehmens Caixin und des Daten­
anbieters IHS Markit hat sich von 51 auf
51,7 erholt. Die besseren Umfragewerte
deuten darauf hin, dass die chinesische
Industrie einen positiven Beitrag zum
Wirtschaftswachstum leistet, nachdem sie
in den vergangenen Jahren das Wachstum
gebremst hatte. Da sich das Momentum
im Dienstleistungssektor etwas verlang­
samt hat, ist der Composite PMI, der die
Aktivität über beide Sektoren misst, nur
wenig von 52,2 auf 52,6 gestiegen.
Auch in anderen Schwellenländern ist
die Industrie auf Erholungskurs, ausser in
Brasilien. Dort setzt sich der Abwärtstrend
fort, wenn auch mit etwas weniger Tempo,
wie der Anstieg des PMI von 44 auf 46,9
­signalisiert. Im Bereich der Kapitalgüter
wurde sogar zum ersten Mal seit zwei Jah­
ren etwas mehr produziert.
40 44 46 48 49 50 51 52 54 56 60
Der Einkaufsmanagerindex oder Purchasing Managers Index (PMI) misst die Veränderung der wirtschaftlichen Aktivität.
Monatlich werden die Chefeinkäufer von
Hunderten Unternehmen über Leistung und
Preise im Vergleich zum Vormonat befragt.
Die Umfrageteilnehmer müssen angeben,
ob die Bedingungen in einzelnen Bereichen
besser, gleich oder schlechter sind. Zu den
wichtigsten Themen gehören Auftrags­
eingang, Produktion, Beschäftigung, erhal­
tene Lieferungen und Lagerbestand. Aus der
Zahl positiver, neutraler und negativer Ant­
worten wird ein Index berechnet, der zwi­
schen 0 und 100 liegt. 50 bedeutet keine
Veränderung zum Vormonat, Werte darüber oder darunter eine Verbesserung
bzw. eine Verschlechterung. Der älteste
und bekannteste PMI ist der ISM-PMI für das
verarbeitende Gewerbe. Er bildet die Ent­
wicklung der US-Industrieproduktion mit
einem Vorlauf von drei Monaten ab. Zwar si­
gnalisieren Werte unter 50 eine Kontraktion.
Sie ist aber nicht mit einer gesamtwirtschaft­
lichen Schrumpfung gleichzusetzen –
schliesslich repräsentiert die Industrie nur
einen kleinen Teil einer modernen Wirt­
schaft. Erst wenn der ISM-Index unter 43 fiel,
folgte jeweils eine Rezession. Industrie-PMI
werden für 28 Länder nach der gleichen Me­
thodik erhoben.
Technologie als der Feind der Arbeit
Der Anteil der Arbeitseinkommen am BIP ist im langfristigen Abwärtstrend. Der Zürcher Ökonom David Dorn sieht dahinter technische Entwicklungen.
ALEXANDER TRENTIN
Am ­Arbeitsmarkt tun
sich Gräben auf.
Während die Ein­
kommen gut aus­
gebildeter Arbeits­
kräfte in vielen In­
dustrieländern stetig
steigen, sind die
Löhne für einfache
Tätigkeiten gesun­
ken. Die Lohnun­
David Dorn
gleichheit hat sich so
ausgeweitet. Doch
nicht nur die Ungleichheit zwischen den
Löhnen ist gewachsen. Auch der Anteil
der Löhne an der Wirtschaftsleistung ist in
den letzten Jahrzehnten vielerorts gesun­
ken. Damit fällt Eigentümern von Kapital
ein grösserer Anteil des Gesamteinkom­
mens zu. David Dorn von der Universität
Zürich erklärt: «In den Sechzigerjahren
wurde postuliert, dass die Verteilung der
Einkommen zwischen Arbeit und Kapital
konstant ist. Das Problem ist, dass man
wegen dieser Annahme lange Zeit nicht
mehr genau hingeschaut hat.»
In den USA lag die Lohnquote am
Bruttoinlandprodukt (BIP) Anfang der
­
Neunzigerjahre bei 61%, heute sind es
nur 58%. Wie konstant die Zahl zuvor
war, zeigt ein Blick auf die Nachkriegszeit:
Zwischen 1961 und 1982 hielt sich die
Lohnquote immer zwischen 61 und 64%.
Noch stärker ging sie in Japan und Italien
zurück (vgl. Grafik 1). Die Schweiz ist von
diesem Trend eine Ausnahme: Hier hält
sich die Lohnquote konstant.
Doch was ist genau der Grund für den
starken Rückgang der Lohnquote? Eine
Studie von Forschern um David Autor
vom MIT und David Dorn hat Daten ein­
zelner Sektoren ausgewertet, um den
Rückgang der Lohnquote zu erklären.
Dazu brauchte es detaillierte Firmen- und
Branchendaten: «Wir haben begonnen,
eine riesige Datenbasis für die USA und
andere Länder aufzubauen», sagt Dorn.
So will man verschiedene Thesen be­
werten, welche die sinkende Lohnquote
erklären wollen. Eine Erklärung ist, dass
die Globalisierung dahinter steckt. Doch
Dorn ist skeptisch: «Wir finden, dass der
Rückgang nicht nur in Industriesektoren,
sondern auch in Dienstleistungsbranchen
auftritt, die nicht international konkurrie­
ren. Damit ist die Evidenz dünn, dass Glo­
balisierung hinter dem Effekt steckt.»
der Achtzigerjahre sehen die Forscher um
Dorn gar noch einen positiven Zu­
sammenhang (vgl. Grafik 3).
Aber warum nimmt die Konzentration
jetzt zu? «Unsere These ist, dass etwa
Technologien wie Computer und das
Internet grossen Konzernen einen Vorteil
geben», sagt Dorn. Kunden könnten z. B.
Angebote leichter vergleichen – grosse
Unternehmen hätten dank effizienterer
Produktion und günstigeren Preisen so
einen Vorteil. Auch auf Firmenseite helfe
Informationstechnologie: Es sei einfacher,
eine grosse Organisation zu managen.
Eine modellhafte Erklärung: Baut ein
Unternehmen Marktmacht auf, indem es
effizienter produziert, hat es auch einen
geringeren Anteil von Fixkosten. Damit ist
der Gewinn für die Firmeneigentümer hö­
her und der Anteil der Löhne fällt. Dorn
führt aus: «Grossunternehmen gelingt es,
ihre Marktanteile zu vergrössern. Damit
steigt das Einkommen von dominieren­
den Firmen, in denen der Lohnanteil am
Gesamtumsatz geringer ist.»
Deswegen müssen technische Entwick­
lungen und damit eine höhere Marktkon­
zentration nicht heissen, dass die Löhne
sinken, wenn der Anteil des Kapitalein­
kommens steigt. Dorn erklärt: «Arbeits­
plätze in Grosskonzernen sind meist bes­
ser bezahlt. Wenn ein Unternehmen sei­
nen Umsatz vergrössert, fliesst jedoch
häufig ein grosser Teil der zusätzlichen
Einnahmen an die Kapitalbesitzer.»
Die Abfolge von technischer Neuerung,
höherer Marktkonzentration und einem
fallenden Anteil der Arbeitseinkommen
könnte sich fortsetzen. «Haben dystopi­
sche Szenarien recht, dass wir in Zukunft
dank Robotern ohne Arbeitseinsatz pro­
duzieren, würde noch mehr Einkommen
dem Kapital zufliessen», sagt Dorn.
Wie soll man dieser Entwicklung ent­
gegenhalten – etwa grosse Unternehmen
an der Expansion hindern? «Es ist eine
knifflige Diskussion, ob die zunehmende
Konzentration schlecht ist», meint Dorn.
Die Produkte würden ja von Konsumen­
ten nachgefragt, gibt er zu bedenken:
­«Davon sollte man Konsumenten nicht
abhalten. Es wäre kein guter Ansatz, etwa
eine iPhone-Quote einzuführen.» Statt die
Einkommensverteilung über das Wettbe­
werbsrecht anzugehen, gibt es die Option
einer «nachgelagerten Umverteilung»: die
Besteuerung von Kapitaleinkommen.
1 Lohnquote
2 Wachsende Marktkonzentration
3 Lohnquote und Sektorkonzentration
Wachsende Konzentration
in % des Bruttoinlandprodukts
1991
Das Ergebnis der Studie: Branchen, die
den höchsten Rückgang des Anteils
der Arbeitnehmereinkommen vorweisen,
sind zunehmend durch die marktführen­
den Unternehmen dominiert. In den USA
tritt diese wachsende Konzentration in
immer mehr Sektoren auf (vgl. Grafik 2).
Diese Entwicklung hat sich in den
vergangenen Jahrzehnten beschleunigt.
­
Die Korrelation – Gleichläufigkeit – von
höherer Konzentration und niedrigerer
Lohnquote hat sich verstärkt. Anfang
2016
Veränderung Marktanteil (in Prozentpunkten)
der vier grössten Unternehmen von 1982 bis 2012
60
0
Finanzen
40
–0,1
Dienstleistungen
30
–0,2
Versorger
20
Fünfjährige Korrelation
0,1
Industrie
50
–0,3
Einzelhandel
–0,4
10
0
Sinkende Löhne kein Muss
Grosshandel
Deutschland Italien
Japan
Schweiz
USA
Quelle: Internationale Organisation für Arbeit / Grafik: FuW, sm
–2
0
2
4
6
8 10 12 14
Quelle: David Autor et al. (2017) / Grafik: FuW, ls
–0,5
1982–86 87–91 92–96 97–01 02–06 06–11
Quelle: David Autor et al. (2017) / Grafik: FuW, sm
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