Ansprache zum Potsdamer Hochschulgottesdienst, 5.7.2009 Urlicht und Sternenlicht Lutz Wisotzki Astrophysikalisches Institut Potsdam und Universität Potsdam Unsere Lebenswelt wird durch das Licht der Sonne nachhaltig bestimmt. Selbst künstliche Lichtquellen speisen sich vielfach aus gespeicherter Sonnenenergie. Die Dunkelheit der Nacht wird durchbrochen durch das Licht tausender Sterne. Das Licht – allgemeiner: die abgestrahlte Energie – der Sterne wird durch Kernfusion erzeugt, überwiegend durch die Verschmelzung von jeweils insgesamt 4 Wasserstoffkernen zu je einem Heliumatomkern. Knapp ein Prozent der Massensumme der vier Wasserstoffkerne wird dabei in Energie, also in Strahlung verwandelt. Davon wird nur etwa ein Billiardstel (10‐9) von der Erde aufgenommen, der Rest entkommt ins Weltall. Aber Sterne sind keine Ewigkeitserscheinungen. Unsere Sonne ist vor etwa 5 Milliarden Jahren entstanden und wird weitere 5 Milliarden Jahre als Stern existieren. Allein in unserer Milchstraße gibt es mehrere hundert Milliarden Sterne, und im Durchschnitt entstehen in jedem Jahr mehrere neue Sterne vergleichbar der Sonne. Ähnliches passiert in den unzähligen weiteren Galaxien im Universum. Es stellt sich die Frage, ob es irgendwann in der Vergangenheit eine Epoche gab, in der die allerersten Sterne entstanden sind? Die astrophysikalische Forschung beantwortet diese Frage eindeutig mit „Ja“. Dann schließt sich sofort die weitere Frage an, wie das das Universum aussah, bevor es Sterne gab? Was würde ein hypothetischer Beobachter, in eine solch ferne Frühzeit zurückversetzt, sehen? Zur Beantwortung dieser Fragen muss ich ein wenig ausholen. Astronomische Beobachtungen zeigen: Auch das Universum als ganzes ist nicht ewig, sondern einer zeitlichen Entwicklung unterworfen. Die Expansion des Universums, die wir als „Fluchtbewegung“ der Galaxien voneinander beobachten können, legt einen Zeitpfeil fest, den wir zurückverfolgen können. Demnach wäre zu einem Zeitpunkt vor knapp 14 Milliarden Jahren die mittlere Dichte des Universums unendlich groß gewesen, ebenso seine Temperatur. Mathematisch gesprochen, ergibt die zeitliche Rückwärts‐Extrapolation der kosmologischen Formeln eine Singularität. Den Zeitpunkt, für den sich diese Singularität ergibt, bezeichnet man häufig salopp als den „Urknall“. „Unendlich“ ist keine physikalische Größenangabe, und Singularitäten sind mathematische, keine physikalische Konzepte. Aus diesem Grund kann die Physik auch keine Aussagen über den Urknall selbst machen (und versucht dies auch nicht), sondern nur über den Zustand des Universums „kurz nach“ dem Urknall (wobei das „kurz nach“ je nach physikalischem Wagemut durchaus unterschiedlich interpretiert werden kann, aber jedenfalls bei einem sehr kleinen Bruchteil einer Sekunde liegt). Physikalische Gesetzmäßigkeiten werden in der Regel als Ursache‐Wirkungs‐ Beziehungen in Form von Differentialgleichungen ausgedrückt. Um eine solche Gleichung zu lösen, also z.B. um die Dichte oder die Temperatur des Universums (immer im Sinne eines Mittelwerts) anzugeben, braucht man Anfangs‐ oder Randbedingungen. Ohne die Angabe solcher Zusatzinformation lassen sich aus den Gleichungen keine konkreten Vorhersagen ableiten, sie sind dann also nicht empirisch überprüfbar. Für die Kosmologie bedeutet dies: Wir brauchen nicht nur Formeln zum Erfassen der physikalischen Gesetzmäßigkeiten, sondern auch die notwendigen empirisch auszumachenden Anfangsbedingungen. Ein wichtiger Aspekt ist die Umkehrbarkeit des Zeitpfeils in vielen (längst nicht allen!) physikalischen Beschreibungen. Damit können wir statt einer Anfangs­ auch eine Endbedingung setzen, nämlich unser heutiges beobachtetes Universum mit all seinen Galaxien, Sternen, Planeten, und anschließend zeitlich rückwärts rechnen. Allerdings muss klar sein: Je weiter diese Rückwärts‐ Extrapolation geht, desto unsicherer ist das Ergebnis. In den ersten Sekunden nach dem „Urknall“ war die Dichte nicht nur der Materie, sondern auch und insbesondere der (Strahlungs‐)Energie ungeheuer hoch. Eine hohe Energiedichte bedeutet auch eine hohe Temperatur. Wir sprechen hier über Billiarden oder Trillionen von Grad. Unter solchen Umständen hat Materie nicht die Form von Atomen oder gar Molekülen, sondern liegt in einzelnen Elementarteilchen getrennt vor. Häufige Stöße zwischen den Teilchen sorgen für eine ständige Umverteilung der Energie. An die Ausbildung einzelner Objekte (z.B. von Sternen) bei diesen Zuständen ist nicht zu denken. Im Zuge der Expansion des Universums sank die Dichte, also auch die Energiedichte, und damit sank die Temperatur. Aufgrund quantenphysikalischer Effekte bedeutete dies für die Materie, dass bei bestimmten Temperaturen dramatische Zustandsänderungen eintraten, die man – analog vielleicht dem Gefrieren von Wasser zu Eis – als Phasenübergänge bezeichnen kann. Es gab mehrere solcher Phasenübergänge im frühen Universum, von denen ich mich auf einen, den letzten, beschränke. Die Temperatur zu diesem Zeitpunkt von etwa 400000 Jahren nach dem Urknall betrug um die 3000–4000 Grad. Vor dem Phasenübergang bestand die Materie hauptsächlich aus Protonen und Elektronen, die sich quasi frei im Raum bewegten. Immer wieder bildeten sich Protonen‐Elektronen‐Paare (also Wasserstoff‐Atome), die aber durch die häufigen Stöße mit anderen Teilchen sofort wieder aufgespalten wurden. Zusätzlich kam auf jedes Materieteilchen etwa eine Milliarde Strahlungspartikel (Photonen), die in ständiger Wechselwirkung mit den Elektronen permanent gestreut wurden. Als nun die Temperatur unter einen kritischen Wert sank, nahmen die Stoßraten zwischen den Teilchen soweit ab, dass die Wasserstoffatome nicht mehr gleich wieder zerstört wurden. Innerhalb von etwa 60000 Jahren wurde aus dem vormaligen Protonen‐Elektronen‐Plasma ein elektrisch neutrales Gas, hauptsächlich aus Wasserstoff bestehend. Als Folge dieses Phasenübergangs (auch „kosmische Rekombination“ genannt) konnten sich die Photonen quasi frei ausbreiten, da kaum noch freie Elektronen vorhanden waren und somit kaum noch Streuung stattfand. Diese Photonen konnten sich seither weitgehend ungehindert durch den Raum bewegen und sind heute noch nachweisbar, und zwar in Form der so genannten kosmischen Hintergrundstrahlung. Man beachte: Vor diesem Phasenübergang wurde Strahlung in einem fort absorbiert und re‐emittiert, wieder absorbiert, erneut re‐emittiert und so weiter. Strahlungsquanten aus der Frühzeit des Universum können uns aus diesem Grund nicht erreichen, das Universum war vollkommen undurchsichtig. Dies wurde fast schlagartig anders durch die „kosmische Rekombination“. Wir haben mit der Hintergrundstrahlung also einen direkten Einblick in den Zustand des Universums, wie er 400000 Jahre nach dem Urknall war. Dies ist unsere Endbedingung, von der aus wir den Zeitpfeil weiter zurückverfolgen können. Weiter zurück können wir mit elektromagnetischer Strahlung nicht blicken, ein direkter Einblick in die Zustände zu noch früheren Phasen des Universums könnte allenfalls dereinst mit Neutrinos oder mittels Gravitationswellen geschehen. Aber davon sind wir technisch weit entfernt. Die kosmische Hintergrundstrahlung, die wir heute empfangen, ist während der Rekombinationsphase entstanden. Ihre Wellenlänge entsprach damals der mittleren Temperatur des Universums, also etwa 3000 Grad – was ungefähr der Temperatur eines Glühfadens in einer altmodischen Glühbirne entspricht. Das Universum war damals also hell erleuchtet, mit einem gelblich‐rötlichen Licht. (Allerdings wäre es dem hypothetischen zurückversetzten Beobachter wohl etwas zu warm gewesen, denn das ganze Universum besaß diese Temperatur.) Im Zuge der Expansion des Universums änderte sich allerdings auch die Wellenlänge der Strahlung. Wir empfangen die Hintergrundstrahlung heute im Mikrowellenbereich, das sind etwa 1000mal so große Wellenlängen. In jedem Kubikzentimeter des Universums befinden sich im Mittel einige hundert Strahlungsquanten, die bereits seit fast 14 Milliarden Jahren durch das expandierende und abkühlende Universum gereist sind. Die Energiedichte dieser kosmischen Hintergrundstrahlung beträgt ein Vielfaches des gesamten Sternenlichtes im Universum. Für ein menschliches Auge ist die Mikrowellenstrahlung aber nicht wahrnehmbar. Aufgrund der Expansion und Frequenzverschiebung der Hintergrundstrahlung wäre das Universum unserem hypothetischen Beobachter also im Laufe der Zeit zunehmend dunkler erschienen. Und was ist mit den ersten Sternen? Den Vorgang zu schildern von den winzigen Temperatur‐ und Dichtefluktuationen, die wir in der kosmischen Hintergrundstrahlung sehen, bis zur Bildung der ersten Sterne, würde hier den Rahmen sprengen. Allerdings muss auch gesagt werden, dass wir diesen Vorgang auch noch längst nicht verstanden haben. Gerade die allerersten Sterne müssen unter Bedingungen entstanden sein, die ganz anders als die in unserer heutigen Milchstraße sind. Womöglich haben diese ersten Sterne auch ganz anders ausgesehen, waren viel massereicher und leuchtkräftiger als heutige Sterne. Dies ist eines der spannendsten Forschungsgebiete der aktuellen Astrophysik. Jedenfalls kam mit dem Aufleuchten der ersten Sterne, einige hundert Millionen Jahre nach dem Urknall, eine neue Quelle des Lichts ins Universum ‐ das Sternenlicht, das u.a. die Grundbedingung für Leben auf unserer Erde darstellt. Die Parallele mit der Trennung von "`Urlicht"' und "`Sternenlicht"' im Schöpfungsbericht der Genesis ist erstaunlich. Daraus auf vorweggenommene naturwissenschaftliche Einsichten aus bereits vorchristlichen Zeiten zu schließen wäre aber ganz sicher ein schwerwiegender Fehler und Wasser auf die Mühlen derer, die naturwissenschaftliche Erkenntnisse gegen Glaubensbekenntnisse ausspielen wollen. Wir dürfen diese Parallele aber nutzen, um über unsere Möglichkeiten des Erkennens der Welt nachzudenken und uns dabei die Unterschiede zwischen Naturwissenschaft und Glauben zu verdeutlichen. Wissenschaftliche Erkenntnis ist ihrem Wesen nach fallibel. Unsere Beschreibungen der Welt haben Modellcharakter und sind ständig zu überprüfen. Daraus folgt natürlich die Selbstbeschränkung, dass wissenschaftliche Aussagen nie im strengen Sinne endgültig sind, selbst wenn sie sich als noch so stabil und nützlich erwiesen haben. Umgekehrt heißt das aber auch, dass Aussagen über die Begrenzung der naturwissenschaftlichen Erkennbarkeit ebenfalls immer als vorläufig gelten müssen. Im Rahmen der heutigen Physik ist der eigentliche Urknall nicht erfassbar, und wir können von ihm nur im Sinne einer mathematischen Extrapolation sprechen. Das muss aber nicht so für immer so bleiben: Möglicherweise werden wir irgendwann über eine Theorie der Quantengravitation verfügen, die uns sogar eine physikalische Beschreibung der eigentlichen Anfangsphase des Universums erlaubt. Eine solche Theorie würde dann wohl auch die Rede von der Singularität ersetzen können und vielleicht sogar Aussagen über das „davor“ machen können. Entscheidend bleibt, dass auch kein Anspruch der Physik auf Relevanz in Glaubensfragen abgeleitet werden könnte – genausowenig wie die Theologie aus sich heraus der Naturwissenschaft Erkenntnisgrenzen aufzuerlegen vermag. Zum Schluss diese kurzen Vortrags eine naive Frage des Laien an die anwesenden Theologen: Unser Universum ist erfüllt mit Strahlung. Wir haben gesehen, dass es vor allem zwei Quellen dieser Strahlung gibt: Zum einen die aus Kernfusion im Inneren der Sterne erzeugte, zum anderen die kosmische Hintergrundstrahlung, die noch aus der heißen Frühphase der jungen Universums stammt. Beide Strahlungsarten (die wir nur anhand ihrer Herkunft, nicht ihrer Beschaffenheit unterscheiden können) koexistieren parallel, in jedem Winkel des Universums. Was, dies nun meine Frage, sagt die theologische Tradition über den Verbleib des in der Genesis beschriebenen „Urlichts“ aus? Ist es mit der Erschaffung von Sonne und Mond aus der Welt gegangen? Und wenn ja, wohin? Oder ist es ebenso wie die kosmische Hintergrundstrahlung (mit der das „Urlicht“ ganz gewiss nicht identisch ist!) noch immer und für alle Zeiten allgegenwärtig?