PHB: Grundlagen der Vektoranalysis

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Nabla, Grad, Div, Rot und das Drumherum
1.
Gradient und Nabla
Gezeichnet ist ein Ausschnitt aus einer Landkarte mit zwei Gipfelanstiegen auf den Dôme du
Goûter (4305 m). Der Bergsteiger Otto Weichei plant vom Lager A aus zu gehen, weil dieser
Weg flacher ist, während Sepp Beinhart den steileren Weg vom Lager B aus bevorzugt (weil er
glaubt, so schneller zu sein). Daneben ist das Höhenprofil f(s) gezeichnet, das die beiden Bergsteiger dabei zurücklegen
y
A
Höhe f
Gipfel
4300 m
4200 m
4100 m
4000 m
3900 m
3800 m
Weg s
B
x
A
Sepp Beinhart hat den kürzeren Weg, weil er sich immer diejenige Richtung mit dem steilsten
Anstieg aussucht. Mathematisch ausgedrückt: der sucht sich den größten Wert der Steigungen
in x- und y-Richtung. Diese Richtung nennt man den „Gradienten“. Dieser ist ein Vektorfeld,
d.h. kann in jedem Punkt verschieden sein nach Betrag und Richtung.
In der Landkarte sind diese Gradienten als Vektoren (=nach Betrag und Richtung) an ein paar
Stellen exemplarisch eingezeichnet (übrigens: Sie stehen senkrecht auf den Höhenlinien und
sind umso länger, je kürzer der Abstand der Höhenlinien ist, d.h. je steiler der Weg ansteigt).
Aus dem Maßstab der Landkarte und dem Abstand zweier Höhenlinien kann man die Steigung
ausrechnen.
Übungsaufgabe 1: Wie groß ist die mittlere Steigung (in %) für Otto bzw. Sepp ?
Übungsaufgabe 2: Zeichnen Sie die Gradienten bei Lager A bzw. B ein (als Vektorpfeile)
B
A
1 km
Abstand zweier Höhenlinien = 25 m
Prof. Dr. H. Herberg und Prof. Dr. M. Sachs, HM, FK06, WS 13/14
1
In zwei Koordinaten definiert man den Gradienten „grad f“ einer Funktion f (x,y) als:
 f

grad f  
 f


 x, y  

x 
  f  x, y 
 x, y  

y 
Merke:
Der Gradient einer skalaren Funktion f ist ein Vektorfeld
Im allgemeinen Fall für drei Koordinaten gilt:
 f  x, y, z  


x


 f  x, y, z  
grad f  
   f  x, y , z 
y


 f  x, y, z  


z


Man kann dies auch formal schreiben als die Einwirkung des sog. „Nabla-Operators“ auf die
 
 x 


skalare Funktion f (x,y,z), wobei mit „Nabla“ =      gemeint ist.
y


 
 z 
Rechenaufgabe:
Gegeben ist eine Funktion f (x,y,z) = x2+y2 -3z3
a. Schreiben Sie den Gradienten allgemein an
b. Welchen Wert hat grad f an der Stelle x=0, y=0, z=0 ?
Denksportaufgabe:
Welchen Weg auf den Dôme du Goûter hätten Sie gewählt und welcher Weg ist schneller ???
Warum sollte man überhaupt rauf gehen ?
Prof. Dr. H. Herberg und Prof. Dr. M. Sachs, HM, FK06, WS 13/14
2
2.
Die Divergenz
Vorweg verraten: Die Divergenz hat etwas damit zu tun, ob es für irgendeine (Vektor)-Größe
irgendwo Quellen oder Senken gibt.
Zwei Schleusenwärter am Rhein-Main-DonauKanal messen sorgfältig den Volumendurchfluss Q (in m3/Std) durch die (identischen)
Querschnittsflächen A. Sie messen den gleichen Wert Q = vA mit der StrömungsgeSchleuse 1
Schleuse 2
schwindigkeit v.
Sie stellen zufrieden fest:
Was links in den Schleusenabschnitt hereinfließt, kommt auch rechts wieder raus !
Solch ein Strömungsfeld bezeichnet man in der
Physik als „quellenfrei“.
Die beiden Schleusenwärter sollen überprüfen, ob irgendwo Wasser verloren geht oder dazukommt und legen hierzu ein enges Beobachtungsnetz an Sensoren um ihre Schleusen herum
(der Physiker würde sagen: „ein Testvolumen mit einer Oberfläche A“ )
Q1
rein
Q2
raus
Die Schleusenwärter zählen alles als negativ, was in die Testfläche A hineinfließt und alles als
positiv, was heraus fließt. Sie stellen zufrieden fest: Q1 = -Q2 bzw. ∑𝑄𝑖 = ∑ 𝑣 ⋅ 𝐴 = 0
Ein Physiker/Mathematiker schreibt diese Summe etwas formaler als Integral über alle möglichen Teilflächen dA:
 v dA  0
A
d𝐴⃗ bedeutet dabei einen Vektor vom Betrag dA, der senkrecht auf der kleinen Fläche dA steht
Vektor
Fläche dA
v  dA ist also das Skalarprodukt dieser beiden Größen v und dA , und beschreibt diejenige
Komponente der Strömung, die senkrecht zur Fläche dA fließt.
nun etwas genauer:
Der Schleusenwärter 1 behauptet: „Tolles Ergebnis: wir verlieren nichts und es kommt nichts
dazu!“. Der misstrauischere Schleusenwärter 2 meint aber: „vielleicht haben wir innerhalb des
Kanals einige Quellen und gleich viele Senken und merken das bloß nicht ?“
Nun konstruieren beide ein neuartiges Messgerät, ein „Divergenzmeter“. Das ist auch so eine
kleine geschlossene Testfläche mit der man überprüfen kann, ob gleich viel rein fließt wie raus
fließt (nur eben sehr klein). Damit überprüfen die beiden im gesamten Kanal, ob irgendwo
Quellen und Senken sind.
Divergenzmeter
Prof. Dr. H. Herberg und Prof. Dr. M. Sachs, HM, FK06, WS 13/14
3
Man untersucht also mit einem immer kleineren Testvolumen, ob es einen Nettofluss durch die
Oberfläche A gibt und bezeichnet das ganze als „Divergenz“ oder „Quellstärke“.
1
(Ein Physiker würde hinschreiben: div v  lim  v dA , also „Nettofluss Q pro (kleinem)
V 0 V
A
Volumen V“)
„Quellenfeld“
quellenfreies Feld
Divergenz = 0 bedeutet immer eine lokale Erhaltungseigenschaft („es geht nichts verloren, es
kommt nichts dazu)
Sind Sie neugierig, wie das „Divergenzmeter“ funktioniert ??
Im Prototyp funktioniert es nur in einer Dimension:
v1
v1+dv
x
x+dx
Das Gerät besitzt vorne (also am Ort x) und auch hinten
(also am Ort x + dx) je einen Sensor für die Wassergeschwindigkeit v1.
Wenn sich innerhalb des Gerätevolumens V = A·dx eine
Wasserquelle dQ befindet, fließt das Wasser hinten
schneller raus als es vorne reinkommt:
dv
dv
dQ = (v1+dv1)·A – v1·A = dv1·A = 1   dx  A  1 V
dx
dx
Damit misst das Gerät die “Divergenz”= die „Quellstärke“, d.h. den „Nettofluss Q pro (kleinem) Volumen V“:
dv
div v = 1
dx
Ein professionelles Divergenzmeter misst natürlich in drei Dimensionen:
div v =
v1 v2 v3


   v (=Skalarprodukt von Nabla und v)
x
y
z
Die Schleusenwärter summieren über alle Divergenzen (=über alle volumenbezogenen Nettoflüsse) auf und erhalten das schon zu Beginn gemessene Gesamtergebnis Qges   v dA  0
A
(Physiker formulieren das so: Summiere alle einzelnen (kleinen) Nettoflüsse div v in einem
großen Testvolumen V auf und man erhält das, was netto durch die große Gesamtoberfläche A
noch hindurchgeht. Man nennt das dann „Gaußschen Satz“:
 div v dV   vdA
V
A
Fazit:
Die Schleusenwärter am Kanal kennen vielleicht Hr. Gauß nicht, aber sie können mit Divergenzen umgehen ! Schleusenwärter müsste man sein ….
Prof. Dr. H. Herberg und Prof. Dr. M. Sachs, HM, FK06, WS 13/14
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3.
Die Rotation
Vorweg verraten: Die Rotation hat etwas damit zu tun, ob ein Wasserrad bei einer alten Mühle
funktioniert ….
Der alte Fährmann Vasudeva fährt seine tägliche Strecke
ABCD und beobachtet, dass er dabei keine wirkliche Arbeit
verrichten muss, weil er ja auf der Streck BC Arbeit gewinnt, die er auf der Strecke DA wieder aufwenden muss.
(Das gilt zwar nur im physikalischen Sinn, aber Vasudeva
ist alt und abgeklärt genug, um das zu akzeptieren.)
B
C
A
D
Er probiert das auf ganz verschiedenen Wegen aus, aber kommt immer zur gleichen Erkenntnis: Gesamtarbeit = 0.
(Ein Physiker würde sagen: „Gesamtarbeit = ∮ 𝐹⃗ d𝑟⃗ = 0 , das Strömungsfeld ist konservaWeg
tiv“)
Nun baut sich der alte Fährmann Vasudeva ein kleines
Wasserrad und will damit etwas Energie gewinnen. Er setzt
das Rad mit einer Achse senkrecht zur Wasseroberfläche
ein und bemerkt, dass es sich leider nicht dreht, egal wo er
es platziert.
(Ein Physiker würde etwas lasch formulieren: „Es rotiert
nicht, die Rotation des Strömungsfeldes ist Null“)
Nun zieht der Fährmann Vasudeva weiter an einen ganz anderen Fluss (mit einer stärkeren
Strömung in der Mitte) und bemerkt, dass dort alles anders ist:
Hier ist die Gesamtarbeit auf einem geschlossenen Weg nicht mehr Null, die Wasserräder drehen sich in der Mitte der Strömung zwar immer noch nicht, aber oben und unten drehen sie sich
in verschiedene Richtungen.
(Ein Physiker würde sagen: „Hier ist die Rotation des Strömungsfeldes ungleich Null“)
Vasudeva wird nun ehrgeizig (er hat ja viel Zeit zum Meditieren…) und denkt darüber nach, ob
er den Arbeitsaufwand auf einem geschlossenen Weg nicht besser beschreiben kann. Vielleicht
gibt es ja Stellen im Fluss, wo man auf einer kleinen geschlossenen Linie besonders viel Arbeit
aufwenden muss und anderen Stellen besonders wenig ??)
Er sucht sich dazu seine Standardstrecke ABCD aus und teilt sich diese Strecke in zwei kleinere
Strecken jeweils nur bis zur Flussmitte (die Fahrgäste bleiben allerdings dann aus, weil nie einer ganz rüber kommt…)
B
C
B
C
F
H
E
G
D
A
Prof. Dr. H. Herberg und Prof. Dr. M. Sachs,
C HM, FK06, WS 13/14
A
D
C
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Vasudeva ist schlau und hat bemerkt, dass sich die Beiträge zur Arbeit auf den Strecken EF
und HG sicher aufheben. Diesen Trick baut er immer weiter aus: Er fährt immer kleinere Runden und probiert aus, wie viel Arbeit er dabei noch verrichten muss (pro umfahrener Fläche).
Er untersucht also mit immer kleineren Testflächen A, wie groß die zu verrichtende Arbeit Fds
auf einer geschlossenen Bahn C ist und bezeichnet das ganze als „Rotation“.
1
(Ein Physiker würde hinschreiben: rot 𝐹⃗ ∙ 𝑛⃗⃗ = lim𝐴→0 ∮ 𝐹⃗ d𝑟⃗, , also „Nettoarbeit auf ge𝐴 𝐶
schlossener Bahn bei sehr kleinen Bahnflächen A“.)
Zur Kontrolle summiert der Fährmann Vasudeva flächenmäßig über alle Rotationen (=über alle
flächenbezogenen Nettoarbeiten) auf und erhält die schon zu Beginn erhaltene Gesamtarbeit
auf einem großen Weg C. Man nennt das dann „Stokesschen Satz“:
∬𝑆 rot 𝐹⃗ d𝐴⃗ = ∮𝐶 𝐹⃗ d𝑟⃗
Nachdem Vasudeva nicht so gut in Mathematik ist, kauft er sich eine gute Formelsammlung
und findet für rot F in kartesischen Koordinaten folgende Formel:
 F3 F2 
 y  z 


 F1 F3 
rot F  


z
x 

 F2  F1 
 x y 


e1

Als Merkregel ist eine Determinante günstig: rot F 
x
F1
oder das Kreuzprodukt:
rot F   F
e2

y
F2
e3

z
F3
Das wird dem armen Fährmann dann doch zu viel Mathematik, er hat ja schließlich kein Hochschulstudium geplant. Er widmet sich daher wieder seinem Job als Fährmann.
Fazit:
Fährmann müsste man sein …
und wenn Sie mehr über Vasudeva erfahren und nicht dauernd Physik lernen wollen, lesen Sie
mal „Siddartha“ von Hermann Hesse !
Prof. Dr. H. Herberg und Prof. Dr. M. Sachs, HM, FK06, WS 13/14
6
Testen Sie sich:
Übung 1:
Berechnen Sie den Gradienten des skalaren Feldes f  x, y   x 2  y 2 an der Stelle r  1, 2 
2
(Ergebnis:( ))
4
T
Übung 2:
T
Berechnen Sie die Divergenz von v   xy, xz, x 2 yz 2  bei r  1, 2,3
(Ergebnis:14)
Übung 3:
T
Berechnen Sie die Rotation für: v   xy, xz, x 2 yz 2  bei r  1, 2,3
8
(Ergebnis: (−36) )
2
Übung 4:
Drei dieser Felder haben rot = ⃗⃗
0 , vier dieser Felder haben div = 0.
Welche ??
Lösungen finden Sie übrigens in „Berkeley Physik, Bd.2“ (diese Bücher sollte man als Student
schon mal gesehen haben…)
A
B
C
D
E
F
Prof. Dr. H. Herberg und Prof. Dr. M. Sachs, HM, FK06, WS 13/14
7
Zusammenfassung
nach Unterlagen von Prof. Dr. Sachs (FK06)
 x
 x
 
Sei: r :  y  bzw. r :   ein Ortsvektor im Raum oder einer Ebene
 y
z
 
Dann kann man jedem Punkt r eine Zahl f  r  oder einen Vektor F  r  zuordnen:
z.B. f  r   x  y  z
2
2
2
 xz 


F  r    zy  x 
 z 2  x2 


bzw.
Beispiele:
Kraftfeld, magn. Feld, Geschwindigkeitsfeld
einer Strömung
Beispiele:
Temperaturfeld, Potenzial
Def. des sog. „Nabla-Operators:
dies ist ein „symbolischer“ oder „formaler“ Vektor
Damit kann man definieren:
grad („Gradient“), div („Divergenz“), rot („Rotation“) und  („Delta“ bzw. Laplaceoperator)
𝜕𝑓(𝑟⃗)
𝜕𝑥
𝜕𝑓(𝑟⃗)
grad 𝑓(𝑟⃗) ≔
(
div 𝐹⃗ (𝑟⃗) ≔
𝜕𝑦
𝜕𝑓(𝑟⃗)
𝜕𝐹1
𝜕𝑥
𝜕𝑧
+
bzw. ⃗∇⃗ 𝑓(𝑟⃗)
Produkt von
und f
)
𝜕𝐹2
𝜕𝑦
+
𝜕𝐹3
𝜕𝑧
⃗⃗ ∘ 𝐹⃗ (𝑟⃗)
bzw. ∇
Skalarprodukt von  und 𝐹⃗
 F3 F2 
 y  z 


 F1 F3 
rot F  r  : 

z x 


 F2  F1 
 x y 


f  r  :
„der Operator grad
erzeugt aus einem skalaren Feld ein Vektorfeld“
bzw. =   F  r 
Kreuzprodukt von
2 f  r  2 f  r  2 f  r 


bzw. =  f  r 
x 2
y 2
z 2
Prof. Dr. H. Herberg und Prof. Dr. M. Sachs, HM, FK06, WS 13/14
„der Operator div erzeugt aus einem Vektorfeld ein skalares
Feld“
„der Operator rot erzeugt aus einem Vektorfeld wieder ein Vektorfeld“
und 𝐹⃗
„der Operator  erzeugt aus einem skalaren Feld wieder ein skalares Feld
8
symbolisch:
grad
Skalare
Felder

VektorFelder
rot
div
Rechenregeln:
Linearität:
grad  f  g   grad f  grad g und: grad    f     grad f
div(𝐹⃗ + 𝐺⃗ ) = 𝑑𝑖𝑣 𝐹⃗ + 𝑑𝑖𝑣 𝐺⃗ und: div (𝜆 ⋅ 𝐹⃗ ) = 𝜆 ∙ 𝑑𝑖𝑣 𝐹⃗
rot(𝐹⃗ + 𝐺⃗ ) = rot 𝐹⃗ + rot 𝐺⃗ und: rot (𝜆 ⋅ 𝐹⃗ ) = 𝜆 ∙ rot 𝐹⃗
Produktregeln:
div f  F   grad f   F  f  div F
 
rot  f  F    grad f   F  f  rot F
wiederholte Anwendungen:
rot (grad f )=0
„Gradientenfelder sind wirbelfrei“
div rot F  0
„Rotationsfelder sind quellenfrei“
div  grad f   f
Definition des Laplaceoperators


 F1 


rot rot F  grad div F   F2 
 F 
 3




Texte bzw. Beweise hierzu finden Sie bei
1. Meyberg, Vachenauer, Höhere Mathematik I, Seite 427
2. im Skript von Prof. Sachs
3. Merziger, Repetitorium der höheren Mathematik
Ansonsten finden Sie Infoblätter/Skripten etc von Prof. Herberg unter:
http://w3-o.hm.edu/home/fb/fb06/professoren/herberg/index.htm
Prof. Dr. H. Herberg und Prof. Dr. M. Sachs, HM, FK06, WS 13/14
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