Das Politische System Deutschlands Prof. Dr. Robert Kaiser Lehrstuhl für Vergleichende Politikwissenschaft Geschwister Scholl Institut Geschwister-Scholl-Institut Sechste Sitzung: Parteien und Parteiensystem Pflichtvorlesung im Wintersemester 2008/09 Donnerstag 10 Donnerstag, 10-12 12 Uhr Uhr, Hörsaal A 240, 240 Hauptgebäude Überblick 1. Funktionen von Parteien im bundesdeutschen politischen System 2. Die Bundesrepublik Deutschland – ein Parteienstaat? 3. Das programmatische Spektrum der bundesdeutschen Parteien 4. Das bundesdeutsche Parteiensystem im Wandel 5. Ein etabliertes Fünf Fünf-Parteiensystem? Parteiensystem? Prof. Dr. Robert Kaiser -2- 1. Funktionen von Parteien im deutschen politischen System Der Funktionskatalog nach dem Parteiengesetz von 1967: § 1 (2): „Die Parteien wirken an der Bildung des politischen Willens des Volkes auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens mit, indem sie insbesondere auf die Gestaltung der öffentlichen Meinung Einfluss nehmen [Politische Meinungs- und Willensbildungsfunktion], die politische Bildung anregen und vertiefen, die aktive Teilnahme der Bürger am politischen Leben fördern [Integrationsfunktion], zur Übernahme öffentlicher Verantwortung befähigte Bürger heranbilden, sich durch Aufstellung von Bewerbern an den Wahlen in Bund, Bund Ländern und Gemeinden beteiligen [Rekrutierungsfunktion], auf die politische Entwicklung in Parlament und Regierung Einfluss nehmen, die von ihnen erarbeiteten politischen Ziele in den Prozess der staatlichen Willensbildung einführen [Funktionen der Interessenselektion, -aggregation und -artikulation] und für eine ständige lebendige Verbindung zwischen dem Volk und den Staatsorganen sorgen [Partizipationsfunktion].“ §2 (3): „Die Die Parteien legen ihre Ziele in politischen Programmen nieder“ nieder [Programmfunktion]. Prof. Dr. Robert Kaiser -3- 2. Die Bundesrepublik Deutschland – ein Parteienstaat ? (I) Parteien als dominante Akteure im politischen System? • Parteienprivileg des Grundgesetzes? • Parteiendominanz bei der politischen Willensbildung? • Programmatische Bindung von Abgeordneten? • Monopolstellung der Parteien in der Rekrutierung politischen Personals? • Parteien als staatlich finanzierte Akteure im politischen System? Prof. Dr. Robert Kaiser -4- 2. Die Bundesrepublik Deutschland – ein Parteienstaat ? (II) Parteienprivileg des Grundgesetzes? • Inkorporierung in die Verfassung normiert keine Parteienstaatlichkeit: Parteien nehmen eine vermittelnde Stellung zwischen Staat und Gesellschaft ein. Sie wirken an der politischen Willensbildung des Volkes mit, sie monopolisieren diese aber nicht. • Parteienstaat versus Parteiendemokratie • Innerparteiliche Demokratie im demokratischen Parteienstaat (Leibholz 1951) Prof. Dr. Robert Kaiser -5- 2. Die Bundesrepublik Deutschland – ein Parteienstaat ? (III) Parteiendominanz bei der politischen Willensbildung? • Politische Willensbildung verläuft entlang von Parteipositionen • Neben den Parteien existieren weitere wichtige Akteure der politischen Meinungs- und Willensbildung: • • • • Interessenverbände und politische Bewegungen Massenmedien Inhaber öffentlicher Ämter außerhalb des unmittelbaren Parteienwettbewerbs (bspw. Rolle des Bundespräsidenten) Umfrageinstitute Prof. Dr. Robert Kaiser -6- 2. Die Bundesrepublik Deutschland – ein Parteienstaat ? (IV) Programmatische Bindung von Abgeordneten? • Das „besondere Spannungsverhältnis“ zwischen Art. 21 GG und Art. 38 GG • Die rechtliche Ausgestaltung des „Freien Mandats“ • Die Bindewirkung von Parteitagsbeschlüssen Prof. Dr. Robert Kaiser -7- 2. Die Bundesrepublik Deutschland – ein Parteienstaat ? (V) Monopolstellung der Parteien bei der Rekrutierung politischen Personals? • Parteien als alleiniger Aufstiegskanal für politisches Personal: • • • Parteilose Bundesminister nur als Ausnahme (Leussink, Müller) Parteilose Direktmandatsträger nur in der ersten Wahlperiode Monopolstellung existiert nur noch bedingt auf der kommunalen Ebene: • durch die geringe Zahl von Parteimitgliedern: ca. 1,6 Millionen Parteimitglieder aber 170.000 kommunale Mandate • durch die Direktwahl kommunaler Spitzenämter • durch die Bedeutung freier Wählervereinigungen, etc. Prof. Dr. Robert Kaiser -8- 2. Die Bundesrepublik Deutschland – ein Parteienstaat ? (VI) Parteien als staatlich finanzierte Akteure im politischen System? • Grundsatz der staatlichen Teilfinanzierung • Verteilung staatlicher Mittel entsprechend der gesellschaftlichen Verankerung: bemessen anhand der Anzahl der Wählerstimmen • Festlegung einer staatlichen Obergrenze durch Neufassung Art. 18 Abs. 2 des Parteiengesetzes: 133 Mio Mio. EUR pro Jahr • Quote des direkten staatlichen Finanzierungsanteils liegt unter 50 Prozent, bezieht man Steuerbegünstigungen für Spenden und Mitgliedsbeiträge ein, liegt der Anteil bei etwa 60 Prozent. Prof. Dr. Robert Kaiser -9- 3. Das programmatische Spektrum der bundesdeutschen Parteien (I) • CDU/CSU: christlich-demokratische CDU/CSU h i tli h d k ti h V Volksparteien lk t i mit it h heterogener t sozialer i l B Basis i und weitem politisch-ideologischem programmatischen Spektrum: von einem national-konservativen Flügel bis zu einem liberal-progressiven Arbeitnehmerflügel. g • SPD: Volkspartei mit überproportionaler Bindung gewerkschaftsnaher, protestantischer und konfessionsloser Wähler. Programmatische Heterogenität zwischen i h ttraditionalistischer diti li ti h A Ausrichtung i ht auff di die H Herstellung t ll gesellschaftlicher ll h ftli h Gleichheit und einer sozialen und ökologischen Modernisierung durch den aktivierenden Staat. • FDP: Marktliberale Partei mit überdurchschnittlicher Anhängerschaft unter Selbständigen und Wählern mit hohem Bildungsgrad. Programmatisch betont werden die individuelle Selbstverantwortung und Chancengleichheit sowie die ordn ngspolitische Z ordnungspolitische Zurückhaltung rückhalt ng des Staates und nd der Sch Schutz t der Bürgerrechte Bürgerrechte. Prof. Dr. Robert Kaiser - 10 - 3. Das programmatische Spektrum der bundesdeutschen Parteien (II) • Grüne: G ü Sozial-ökologisch S i l ök l i h und d pazifistisch-orientierte ifi ti h i ti t P Partei, t i di die neben b einer i jüngeren Wählerschicht vor allem Wähler mit hohem Bildungsstandard anspricht. Während die traditionell pazifistische Grundhaltung in Richtung einer Akzeptierung p g „humanitärer „ Interventionen“ verändert wurde,, nehmen insbesondere die Betonung von Menschen- und Bürgerrechten in der Innen- und Außenpolitik an Bedeutung zu. • Die Linke: Di Li k „Radikaldemokratisch“-sozialistische R dik ld k ti h“ i li ti h P Partei t i mit it h hohem h Wähl Wählerzuspruch h in Ostdeutschland sowie bei Arbeitern und Konfessionslosen. In ihrer Programmatik verbindet sich die Kapitalismuskritik mit starken Vorbehalten gegen die Integration g der Bundesrepublik p in EU und NATO. Prof. Dr. Robert Kaiser - 11 - 4. Das bundesdeutsche Parteiensystem im Wandel Entwicklungsphasen des bundesdeutschen Parteiensystems • 1945 – 1951: Kontinuität und Neubeginn • 1952 – 1961: Die Konzentration des Parteiensystems • 1961 – 1983: Das eingespielte Zweieinhalb-Parteiensystem • Seit 1983: Das gemäßigt bipolare Parteiensystem mit Regionalsystem Ost • Heute: ein etabliertes Fünf-Parteiensystem? Prof. Dr. Robert Kaiser - 12 - 5. Ein etabliertes Fünf-Parteiensystem? Fünf Parteiensystem? (I) Stabilität eines Entwicklungstrends? - Die abnehmende Wählerbindung der Volksparteien 100 9 91,2 90 8 86,9 80 82 70 8 88,8 90,7 87,6 87 7 81,3 81,5 77,3 74 77,8 76 77 69,4 60 65 60,2 6 5 50 4 40 4 38,7 3 30 2 2 20 12,8 10 10 11,1 1 1 9,5 0 1949 1953 1957 1961 1965 1 5,8 1969 Volksparteien Prof. Dr. Robert Kaiser 1 1 8,4 7,9 1972 1976 1 3 3 3 3 3 31 2 17,4 3 2 26,6 18,5 18,6 18 20 1 12,6 10,6 0 1980 1983 Kleinparteien 1987 1990 1994 1998 2002 2005 2008 Anzahl Kleinparteien - 13 - 5. Ein etabliertes Fünf-Parteiensystem? Fünf Parteiensystem? (II) Stabilität eines Entwicklungstrends? – Entwicklung des Wählerpotenzials der Kleinparteien 12 11 9,8 10 8,6 8 7,3 69 6,9 6 4 2 6,7 11 10 8,7 8,1 7,4 6,2 5,1 4,4 4 3,8 24 2,4 0 1990 1994 1998 FDP Prof. Dr. Robert Kaiser GRÜNE 2002 2005 2008 PDS/Die Linke - 14 - 5. Ein etabliertes Fünf-Parteiensystem? Fünf Parteiensystem? (III) Stabilität eines Entwicklungstrends? – Splitterparteien ohne Bedeutung 6 5,9 5 4,1 4 3,5 3,8 3 28 2,8 2 Größte Splitterpartei 2,1 Splitterparteien insgesamt 1,9 1 1,8 0 0,8 1,6 1990 1994 1998 2002 2005 Prof. Dr. Robert Kaiser - 15 - Literatur Korte, Karl-Rudolf / Manuel Fröhlich, 2004: Politik und Regieren g in Deutschland, Strukturen, Prozesse, Entscheidungen, Paderborn u.a.: Ferdinand Schönigh/UTB, S. 133-143. Leibholz, Gerhard, Leibholz Gerhard 1951: Parteienstaat und repräsentative Demokratie, Demokratie Deutsches Verwaltungsblatt 1, S. 1-8. Rudzio, Wolfgang, 2006: Das politische System der Bundesrepublik Deutschland, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 93-159. Schmidt, Manfred G., 2007: Das Politische System Deutschlands. Institutionen, Willensbildung und Politikfelder, Politikfelder München: C.H. C H Beck, Beck S. S 83-109. 83-109 Prof. Dr. Robert Kaiser Material Die Foliensätze zur Vorlesung g sind abrufbar unter: http://www.robert-kaiser.de/Lehre/Material/material.html Prof. Dr. Robert Kaiser