Wolfgang Lörscher Theorien der Wortbedeutung und ihre psychische Realität Series A: General & Theoretical Papers ISSN 1435-6473 Essen: LAUD 1993 (2nd ed. with divergent page numbering 2011) Paper No. 330 Universität Duisburg-Essen Wolfgang Lörscher University of Hildesheim (Germany) Theorien der Wortbedeutung und ihre psychische Realität Copyright by the author 1993 (2nd ed. with divergent page numbering 2011) Series A General and Theoretical Paper No. 330 Reproduced by LAUD Linguistic Agency University of Duisburg-Essen FB Geisteswissenschaften Universitätsstr. 12 D- 45117 Essen Order LAUD-papers online: http://www.linse.uni-due.de/linse/laud/index.html Or contact: [email protected] ii Wolfgang Lörscher THEORIEN DER WORTBEDEUTUNG UND IHRE PSYCHISCHE REALITÄT 1. EINFÜHRUNG Das Thema dieses Aufsatzes "Theorien der Wortbedeutung und ihre psychische Realität" enthält eine Ambiguität. Sie liegt im möglichen Bezug des Pronomens 'ihre' sowohl auf 'Wortbedeutung' als auch auf 'Theorien der Wortbedeutung'. Unter psycholinguistischer Perspektive - und sie werde ich in diesem Aufsatz verfolgen – löst sich die Ambiguität des Pronominalbezuges wie folgt auf: Dass Wortbedeutung psychische Realität besitzt und damit im mentalen System von Individuen ein Pendant hat, scheint mir ein selbstverständliches Faktum zu sein, ohne dass Sprachverstehensund Sprachproduktionsprozesse - und damit verbale Kommunikation schlechthin nicht stattfinden könnten. In welcher Weise aber Wortbedeutungen mental repräsentiert sind, und in welcher Beziehung diese Repräsentationen zu den Wortbedeutungen stehen, ist noch weitgehend ungeklärt und bildet einen Gegenstand psycholinguistischer Forschung. Sie schlägt sich in unterschiedlichen Theorieansätzen nieder. Diese versuchen, die psychische Realität von Wortbedeutung hypothetisch zu rekonstruieren (vgl. Lörscher 1991: 32-34; 55ff.). 2. ANFORDERUNGEN AN EINE THEORIE DER WORTBEDEUTUNG AUS PSYCHOLINGUISTISCHER SICHT In der Psycholinguistik wird Wortbedeutung hauptsächlich unter zwei Fragestellungen untersucht: (1) Wie wird/ist unser Wissen über Wortbedeutung im Gedächtnis gespeichert? Damit ist das vorab erwähnte Repräsentationsproblem angesprochen. (2) Wie wird unser Wissen über Wortbedeutung im Prozess des Verstehens und Produzierens von Sprachäußerungen aus dem Gedächtnis verfügbar gemacht? Damit wird ein Teilbereich der komplexen retrieval-Problematik benannt. Die beiden Fragestellungen thematisieren zugleich die beiden Aspekte psychischer Realität von Wortbedeutung: ihre mentale Repräsentation und ihr Verfügbarmachen für die Sprachverwendung. Ob - und wenn ja inwieweit - die derzeit propagierten Theorien der Wortbedeutung plausible und empirisch abgesicherte Antworten auf die beiden Fragen zu geben vermögen 1 und somit also psychische Realität tatsächlich modelltheoretisch rekonstruieren - soll in den nachfolgenden Teilen 3. und 4. eruiert werden. Dabei müssen die Theorien die anschließend skizzierten Erkenntnisse zur Wortbedeutung und zur menschlichen Informationsverarbeitung berücksichtigen, die von der Linguistik, der Psychologie und anderen Wissenschaften gewonnen wurden. Der Unterscheidung Tulvings (1972) nach episodischen und semantischen Gedächtnis folgend, ist unser Wortbedeutungswissen im semantischen Gedächtnis gespeichert. Eine psycholinguistische Theorie der Wortbedeutung ist demnach als Teil einer umfassenderen Theorie des semantischen Gedächtnisses anzusehen. Für die Psycholinguistik ist es von zentralem Interesse, ob bzw. welche Gemeinsamkeiten zwischen den mentalen Bedeutungsrepräsentationen von Wörtern im semantischen Gedächtnis und den Definitionen von Wörtern in Wörterbüchern bestehen (vgl. Garnham 1985: 114ff.). Einsprachige Wörterbücher definieren Wörter mithilfe anderer Wörter, während das semantische Gedächtnis auch Beziehungen zwischen Wortbedeutungen repräsentieren muss. Zudem haben semantisches Gedächtnis und einsprachige Wörterbücher unterschiedliche Aufgaben und machen unterschiedlichen Gebrauch von den Querverbindungen zwischen Wörtern. Wörterbücher werden konsultiert, um die Bedeutung(en) und/oder Verwendungsweisen von dem Benutzer unbekannten Wörtern zu ermitteln. In den Einträgen wird vorausgesetzt, dass die Benutzer die Bedeutungen anderer Wörter, die zur Erklärung der 'neuen' Wörter verwendet werden, kennen. Trifft dies, wie häufig im Falle der Benutzung einsprachig-fremdsprachlicher Wörterbücher durch Sprachlerner, nicht zu, so müssen die unbekannten Wörter der Erklärung selbst wieder unter ihren entsprechenden Einträgen nachgesehen werden. Für die sinnvolle Benutzung einsprachiger Wörterbücher setzen deren Verfasser denn auch in aller Regel voraus, dass die Benutzer über ein gewisses Maß an sprachlichem Wissen verfügen. Demzufolge erscheinen die Definitionen der geläufigsten Wörter eher unter dem Aspekt der Vollständigkeit eines Wörterbuchs als unter dem Aspekt, ihre Bedeutungen den Benutzern zu vermitteln. Darüber hinaus sollte eine Bedeutungserklärung einen sprachlichen Inhalt auf seinen Referenten bzw. sein Denotat beziehen. Dies wird in Wörterbüchern nur implizit geleistet. Wer z.B. die Bedeutung des Wortes 'Küvette' in Erfahrung bringen möchte, will wissen, welche Dinge Küvetten sind. Einsprachige Wörterbücher geben diese Informationen i.d.R. mittels Definitionen, in denen vorausgesetzt wird, dass die Benutzer mit den Referenten und Denotaten, auf die sich die Einträge beziehen, vertraut sind. Das semantische Gedächtnis kann nicht in der gleichen Weise arbeiten wie Wörterbücher. Im Verstehensprozess muss die Bedeutung eines jeden Wortes in einem Text verfügbar gemacht werden. Auch und besonders - die häufig vorkommenden Wörter müssen in ihrer Bedeutung korrekt und in einer für die Informationsverarbeitung adäquaten Weise repräsentiert sein. Metaphorisch gesprochen kann sich das semantische Gedächtnis 2 also nicht darauf verlassen, dass sein Benutzer die in ihm gespeicherten Informationen sachkundig auf die Phänomene der Welt bezieht. Es muss vielmehr selbst diese Aufgabe zumindest partiell erfüllen. In formalen semantischen Theorien (z.B. Montague 1968; 1970) werden Beziehungen zwischen sprachlichen Zeichen und Phänomenen der Welt festgelegt. Eine Theorie des semantischen Gedächtnisses kann aber solche Festlegungen nicht übernehmen. Sie muss vielmehr erklären können, wie Wörter auf Phänomene der Welt bezogen werden. Zudem nehmen Menschen die gleichen Dinge wahr, über die sie sprechen und schreiben und klassifizieren die wahrgenommenen Phänomene weitgehend so, wie sie sie beschreiben. Eine Theorie des semantischen Gedächtnisses muss deshalb mit einer Theorie hochrangiger perzeptueller Prozesse kompatibel sein. Garnharn (1985) nennt zwei weitere Anforderungen an eine psycholinguistische Theorie der Wortbedeutung: i. Eine solche Theorie muss in der Lage sein zu erklären, wie der Wahrheitswert von sprachlichen Äußerungen festgestellt und überprüft wird. Sie sollte z.B. explizieren können, wie Ambiguitäten erkannt und aufgelöst werden, d.h. wie unterschiedliche Bedingungen des Wahrheitswerts Äußerungen zuerkannt werden. ii. Eine Theorie der Wortbedeutung müsste schließlich ein Phänomenerklären können, das erstmals von dem amerikanischen Philosophen Hilary Putnam (1970; 1975) untersucht wurde: Obwohl viele Sprachbenutzer wissen, dass unterschiedliche Wörter - z.B. 'Birke' und 'Lärche' - unterschiedliche Referenten (Bäume) bezeichnen, besitzen sie keine weitere Kenntnis von den Referenzobjekten und können sie dementsprechend auch nicht voneinander unterscheiden. Wenn aber Wörter unterschiedliche Bedeutungen haben, müssen auch Unterschiede hinsichtlich ihres Gebrauchs bestehen. Es gibt 'Experten', die die Referenzobjekte kennen und unterscheiden können. Aber auch 'Laien' ohne diese Kenntnis benutzen entsprechende Wörter. Eine Theorie der Wortbedeutung muss deshalb auch die Gebrauchsbedingungen und -möglichkeiten für solche Wörter erklären können, deren Bedeutung den Wortbenutzern - wie diese auch selbst wissen – weitgehend unklar ist. 3. THEORIEN DBR WORTBBEDEUTUNG In den vergangenen Jahren wurden in so unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen wie Linguistik, Psychologie, Sprachphilosophie und Künstliche-Intelligenz-Forschung Theorien der Wortbedeutung entwickelt. Sie unterscheiden sich in ihren Ausgangspunkten z.T. erheblich voneinander hinsichtlich ihrer Vorannahmen, ihrer Zielsetzungen, ihres Erkenntnisinteresses, ihrer Terminologie und der in ihnen benutzten Methodik. Im Verlauf 3 der Weiterentwicklung dieser Theorien, die teilweise erhebliche Revisionen der ursprünglichen Konzeptionen mit sich brachte, haben sich die Wortbedeutungstheorien aber prinzipiell gegenseitig angenähert. Im Falle der Merkmals- und der semantischen Netzwerktheorien geht diese Annäherung so weit, dass heute beide Theorien experimentell nicht von einander unterschieden werden können. Im Folgenden sollen fünf einschlägige Theorien skizziert und daraufhin befragt werden, welchen Beitrag sie für die Konzeption einer psycholinguistischen Theorie der Wortbedeutung - im Sinne der vorab thematisierten Anforderungen an eine solche Theorie – zu leisten vermögen. Die Wortbedeutungstheorien sind in unterschiedlichem Maße daraufhin untersucht worden, ob und inwieweit sie die psychische Realität von Wortbedeutungen adäquat und in sich konsistent und plausibel rekonstruieren. Das am häufigsten benutzte experimentelle Paradigma in der Erforschung des semantischen Gedächtnisses ist die sogenannte Satzverifizierungsaufgabe (sentence verification task). Dabei werden den Testpersonen Sätze vorgelegt, die einfache, zutreffende oder unzutreffende, Feststellungen beinhalten. Typischerweise enthalten die Sätze Wörter, deren Bedeutungen im Verhältnis der Inklusion zueinander stehen (z.B. 'Ein Adler ist ein Vogel'; 'Eine Batterie ist ein Nahrungsmittel'), oder in ihnen werden Qualitätszuschreibungen vorgenommen (z.B. 'Ein Adler hat Federn'; 'Eine Batterie hat Räder'). Die Testpersonen müssen dann über den Wahrheitswert der Feststellungen befinden. Dabei wird die Reaktionszeit der Probanden gemessen, die Aufschluss über die Art und Dauer bestimmter Operationen bei der Verfügbarmachung von Wortbedeutung aus dem semantischen Gedächtnis geben soll. Daraus können dann wiederum Rückschlüsse über die Art der mentalen Repräsentation von Wortbedeutung gezogen werden. 3.1 MERKMALSTHEORIEN Die Anfänge einer psycholinguistischen Beschäftigung mit Wortbedeutung reichen zurück in die späten sechziger und frühen siebziger Jahre (u. a. Schaeffer/Wallace 1969; Clark 1970; Steinberg 1970). In Aspects of the Theory of Syntax (1965) propagierte Chomsky eine Version der semantischen Theorie, die von Katz und Fodor (1963) entwickelt wurde und in Einklang stand mit der Forderung Katz und Postals (1964), Transformationen dürften keine bedeutungsverändernde Wirkung besitzen. Die Grundidee der Merkmalstheorien besteht darin, Wortbedeutung als Konfiguration von atomaren Bedeutungselementen zu interpretieren. Im Ansatz von Katz und Fodor (1963) werden die Bedeutungselemente in Form von hierarchischen Baumdiagrammen angeordnet. Jeder Weg von der Wurzel des Baumes bis hin zu einem seiner Blätter entspricht einer Bedeutung des jeweiligen Wortes. In Parenthese sei gesagt, dass Katz und Podor von einer Ambiguität der meisten, wenn nicht aller, Wörter ausgehen. - Chomsky modifizierte die Konzeption der Stammbaumdarstellung, indem er aufzeigen konnte, dass 4 Wortbedeutungen exakter beschrieben werden können mittels eines Systems bivalenter Merkmale, den semantic markers. Sie lassen sich nicht in Gänze in eine Hierarchie eingliedern. So ist z.B. die Unterscheidung des Merkmalspaares MÄNNLICH/WEIBLICH der Unterscheidung nach MENSCHLICH/NICHT-MENSCHLICH weder über- noch untergeordnet. Charakteristikum bivalenter Merkmale ist es, dass sie nur zwei Wertigkeiten annehmen können: entweder das Merkmal ist vorhanden (+) oder es fehlt (-). Die hierarchischen Beziehungen, in denen semantische Merkmale zueinander stehen, werden mittels Redundanzregeln erfasst. Eine Konfiguration mit dem Merkmal + MENSCHLICH hat automatisch auch das Merkmal + BELEBT. Letzteres wird deshalb nicht eigens aufgeführt. Merkmalstheorien wurden in die Psycholinguistik durch Schaeffer und Wallace (1969) eingeführt. Sie erfuhren eine wesentliche Weiterentwicklung durch Smith, Shoben und Rips (1974), indem diese zwischen definierenden und charakteristischen Merkmalen unterscheiden. Definierende Merkmale sind solche, die ein Objekt haben muss, um unter ein bestimmtes Konzept zu fallen. So gehört z.B. HAT FLÜGEL und HAT SCHNABEL zu den definierenden Merkmalen von 'Vogel'. Charakteristische Merkmale, die den meisten, aber nicht allen Objekten eines Konzeptes zukommen, wären für 'Vogel' KANN FLIEGEN oder BAUT NESTER. Smith et al. verstehen ihre Unterscheidung nicht im Sinne eines ausschließlichen 'entweder-oder'. Sie schlagen vielmehr ein Merkmalskontinuum von notwendig definierenden bis hin zu nur charakteristischen vor. Damit ergibt sich ein wesentlicher Anknüpfungspunkt an die zur gleichen Zeit entstandenen Prototypentheorie (siehe Teil 3.3). Das von Smith et al. entwickelte Merkmalskonzept trägt einer Reihe von Ergebnissen aus Satzverifizierungsaufgaben Rechnung. Das Verfügbarmachen von Wortbedeutung im semantischen Gedächtnis erfolgt nach Auffassung der Autoren in zwei Phasen. In einer ersten Phase werden die gesamten Merkmalskonfigurationen zweier Wörter miteinander verglichen. Bei weitgehender Ähnlichkeit kann eine schnelle Ja-Antwort, bei geringer Ähnlichkeit eine schnelle Nein-Antwort erfolgen. Die zweite Phase setzt nur dann ein, wenn die Merkmalskonfigurationen zweier Wörter eine mittlere Ähnlichkeit besitzen. In diesen Fällen werden nur die definierenden Merkmale der beiden Wörter miteinander verglichen, wobei Deckungsgleichheit zu einer positiven und Nicht-Deckungsgleichheit zu einer negativen Antwort führt. In den beiden letztgenannten Fäll en ist die Reaktionszeit der Testpersonen im Vergleich zu den beiden erstgenannten Fällen deutlich länger. - Ob dieser punktuelle Befund, der zudem in nicht unerheblichem Maße vom Experimentaldesign 'Satzverifizierungsaufgabe' abhängig sein dürfte, den Anspruch der Merkmalstheorien, psychische Realität zu rekonstruieren, bestätigt, scheint mir eher zweifelhaft. Dieser Eindruck wird noch bestärkt durch die Annahme von Smith et al. die Dekomposition von Wörtern in semantische Merkmale finde in allen Wortverarbeitungsprozessen statt. Dies erscheint intuitiv wenig plausibel. Es dürfte z.B. sehr unwahrscheinlich sein, dass auf die 5 Frage 'Wie ist Ihr Name?' das Wort 'Name' in semantische Merkmale dekomponiert werden muss, um die Frage beantworten zu können. Auch die Reaktionszeiten dürften hier so gering sein, dass die Kompositionsprozesse höchst unwahrscheinlich sind. Plausibler scheint hingegen die Auffassung, dass Dekomposition nur unter bestimmten Bedingungen notwendig sei, z. B. zum Erkennen von Inklusionsverhältnissen zwischen Wörtern. Der Anspruch der psycholinguistischen Merkmalstheorien, psychische Realität hinsichtlich der mentalen Verarbeitung von Wortbedeutung adäquat abzubilden und zu erklären, erscheint deshalb äußerst zweifelhaft. 3.2 SEMANTISCHE NETZWERKTHEORIEN Die erste, in der Psycholinguistik einschlägige, Netzwerktheorie geht auf Collins und Quillian (1969) zurück und wurde durch Forschungen zur künstlichen Intelligenz stimuliert. Ziel dabei war es, eine Gedächtnisstruktur zu modellieren, sie in einen Computer einzugeben und ihn dann so zu programmieren, dass er Informationen zur Beantwortung von Fragen abrufen kann. Collins und Quillian nehmen an, dass menschliche Informationsverarbeitung weitgehend ähnlich funktioniert wie ein Computerprogramm. Die Grundannahme der Netzwerkkonzeption besagt, dass die Bedeutungen von Wörtern als Einheiten in einem Netzwerk repräsentiert sind. In einem solchen Netzwerk existieren zwei Arten von Knoten, nämlich für Konzepte und für Eigenschaften und zwei Arten von Kanten, nämlich ist-Kanten und hat-Kanten. Die Kanten werden als Relationen bezeichnet. Die ist-Relation verknüpft Konzepte zu einer kategorialen Hierarchie, z.B. 'ein Rotkehlchen ist ein Vogel'. Die hat -Relation ordnet Konzepten Eigenschaften zu, z. B. 'ein Vogel hat Flügel'. In einem Netzwerk lassen sich also Konzepte und die sie verbindenden Relationen (Kanten) unterscheiden und klassifizieren. Eine Kante ist zusammen mit den beiden Knoten, die sie verbindet, eine Aussage. Für einen gegebenen Knoten, z. B. 'Vogel', gibt ein anderer Knoten, z.B. 'Flügel', zusammen mit der hat-Relation, die die beiden Knoten verbindet, eine Eigenschaft an. Die entscheidende Annahme hinsichtlich der mentalen Verarbeitung von Wortbedeutung besagt, dass diese entlang der Netzwerkrelationen, also der ist- und der hatKanten, verläuft. Die Aussage 'ein Rotkehlchen ist ein Tier' sollte demnach langsamer verifiziert werden als die Aussage 'ein Rotkehlchen ist ein Vogel', Im ersten Fall müssen zwei Instanzen der ist-ein-Relation, nämlich 'ein Rotkehlchen ist ein Vogel' und 'ein Rotkehlchen ist ein Tier' aufgesucht und überprüft werden. Diese Vorhersage konnten Collins und Quillian experimentell bestätigen. Analog stellen sich die Autoren den Verifikationsprozess bei Sätzen mit hatRelationen vor. Sie machen aber noch die spezifische Strukturannahme, dass Eigenschaften nur einmal, und zwar bei dem hierarchisch höchsten Knoten, gespeichert sind. Dadurch wird Speicherplatz gespart; dem Gedächtnis wird eine Tendenz zur Ökonomie - in einer wenngleich naiven Sichtweise zugeschrieben Aussagen wie 'ein Tier hat eine Haut' sollen 6 folglich schneller verifiziert werden können als Aussagen wie 'ein Vogel hat eine Haut', da die Eigenschaft 'hat eine Haut' bei 'Tier' und nicht bei 'Vogel' gespeichert ist. Collins und Quillian konnten auch diese Vorhersage bestätigen, doch haben neuere Untersuchungen gezeigt, dass Eigenschaften nicht immer nach dem von den Autoren postulierten Ökonomieprinzip gespeichert sind. Wichtige Informationen, d.h. solche von großer praktischer Relevanz oder Häufigkeit werden offenbar dem betreffenden Konzept direkt zugeschrieben und nicht nur dem Oberbegriff. Diesem und weiteren Kritikpunkten an der Konzeption von Collins und Quillian trägt das Modell der Aktivierungsausbreitung von Collins und Loftus (1975) Rechnung. Die Autoren modellieren, sehr ähnlich wie Collins und Quillian, die mentale Repräsentation der Wortbedeutung als Netzwerk. Das entscheidend Neue sind die Prozessannahmen, die Aktivierung breitet sich über das Netzwerk entsprechend den unterschiedlichen Assoziaztionsstärken zwischen den Konzepten aus. Die Verifikation von Aussagen geschieht über diese Aktivierungsausbreitung. Es wird ein bestimmter Schwellenwert für die Aktivierung postuliert, wenn diese für die Verifikation wirksam sein soll. Hierbei wird angenommen, dass die Entscheidung über die Wahrheit oder Falschheit einer Aussage wie bei Collins und Quillian geschieht: Die in der Gedächtnisstruktur spezifizierten Relationen zwischen den aktivierten Konzepten und Eigenschaften werden mit der im Satz behaupteten Relation verglichen. Bei Übereinstimmung gilt der Satz als verifiziert. Bedeutungen von Wörtern als Konzepte anzusehen, die in einem Netzwerk verankert sind, hat sich insgesamt bewährt und zu der fruchtbaren Unterscheidung zwischen Konzepten und sie verbindenden Relationen geführt. Dass interkonzeptuelle Relationen sich auch als Merkmale interpretieren lassen, führt zu einer Erkenntnis, die von Hollan (1975) geäußert wurde. Demnach sind Merkmals- und Netzwerkkonzeptionen hinsichtlich ihrer Repräsentationsebene keine wechselseitig sich ausschließenden Alternativen, sondern eher unterschiedliche Betrachtungsweisen derselben Sache. Ein zentrales Problem betrifft daher beide Theorien. Es besteht in der Frage, welche interkonzeptuellen Relationen die Bedeutung eines Wortes aus machen oder in der merkmalstheoretischen Terminologie welche Merkmale und Merkmalsrelationen die Bedeutung eines Worten konstituieren. 3.3 DIE PROTOTYPENTHEORIE Die Prototypentheorie wurde von der amerikanischen Psychologin Eleanor Rosch (u. a. 1973; 1977) entwickelt und greift einen Gedanken auf, den Wittgenstein in seinen Philosophischen Untersuchungen (1953) ausgeführt hat. Nach Wittgenstein ist es häufig nicht möglich, jene notwendigen und hinreichenden Bedingungen anzugeben, die einzelne Wörter zu Mitgliedern einer bestimmten Gruppe werden lassen. Als Beispiel führt Wittgenstein das Wort 'Spiel' an. Es gebe, so argumentierter, keine Menge charakteristischer Merkmale, die allen Spielen zukommt: Nicht alle Spiele werden zu Unterhaltungszwecken gespielt oder beinhalten ein Moment an Können, Geschicklichkeit oder Glück. Ebenso gibt 7 es Spiele, die jenseits der Kategorien des Gewinnens oder Verlierens liegen. Stattdessen existieren einander überlappende Mengen von Ähnlichkeitsmerkmalen zwischen Spielen, was Wittgenstein mit dem Begriff der Familienähnlichkeit bezeichnet. Die zentrale Annahme der Prototypentheorie besagt, dass Wortbedeutungen nicht adäquat durch eine Konfiguration semantischer Merkmale mental repräsentiert sein können; dass sie vielmehr in Form von Prototypen gespeichert sind. Unter 'Prototyp' wird dabei das beste, weil typischste, Beispiel einer Gruppe verstanden, dass die vorherrschenden Ähnlichkeitsmerkmale von Mitgliedern der Gruppe maximalisiert. Unter amerikanischen Studenten, von denen die meisten der Daten für Roschs Untersuchungen stammen, gilt z. B. das Rotkehlchen als der prototypische Vogel. In anderen Kulturkreisen, unter anderen klimatischen und ökologischen Bedingungen dürften andere Vogelarten prototypischen Charakter haben. Prototypen erfassen die Eigenschaften, die einem besonders typischen Vertreter einer Gruppe zukommen, somit auch Eigenschaften, die nicht allen Gruppe Mitgliedern zukommen müssen. So ist z. B. die Eigenschaft 'kann fliegen' für Vögel prototypisch, wenngleich sie nicht für alle Vögel gilt. Strauße und Pinguine können bekanntlich nicht fliegen. Sie sind im Gegensatz zum Prototypen, der das Zentrum der Kategorie bildet, an der Peripherie angesiedelt. Für manche Konzepte gilt zudem, dass die Grenze zwischen dem, was noch und was schon nicht mehr als der Kategorie zugehörig betrachtet wird, fließend ist und somit ein Kontinuum bildet. Dies kann z.B. an Farb- oder Gradadjektiven (z.B. ' teuer', 'groß', 'gut') anschaulich dokumentiert werden. Mittels der Konzeption der sogenannten basic level category wird versucht, die Prototypentheorie mit Perzeptionstheorien und Theorien des semantischen Gedächtnisses zu verbinden. Mit Blick auf die hierarchischen Netzwerkkonzeptionen des menschlichen Gedächtnisses stellt Rosch die Behauptung auf, dass es eine Basiskategorie irgendwo im mittleren Teil der Hierarchie gebe, wie z.B. bei 'Maurerhammer, Hammer, Werkzeug ' oder bei 'Fliegenpilz, Pi1z, Pflanze'. Die Exemplare der Basiskategorie - Hammer und Pilzvereinigen mehr erkennbare, typische Eigenschaften, die die Einordnung von Exemplaren in unterschiedliche Kategorien erlaubt, als die spezifischeren Eigenschaften von Exemplaren der unteren Ebene (Maurerhammer, Fliegenpilz) und die weniger spezifischen Eigenschaften von Exemplaren der oberen Ebene (Werkzeug, Pflanze). Betrachtet man die Prototypentheorie unter der Fragestellung, inwieweit sie psychische Realität rekonstruiert, so muss zu nächst festgehalten werden, dass diese Theorie im wesentlichen nur Aussagen über die Repräsentation von Bedeutung trifft, nicht aber darüber, wie Bedeutungen aus dem Gedächtnis verfügbar gemacht werden. Insofern hat sie, im Unterschied zu den neueren Merkmals- und Netzwerktheorien, keinen ganzheitlichen Charakter und kann von daher nicht als eine Theorie angesehen werden, die die psychische Realität von Wortbedeutung angemessen und vollumfänglich wiedergeben und plausibel erklären kann. 8 Die von Rosch getroffenen Aussagen über die mentale Repräsentation von Wortbedeutung konnten indessen weitgehend experimentell bestätigt werden. Schon Berlin und Kay (1969) haben überzeugend belegt, dass für Farbbezeichnungen universelle Prinzipien gelten. Informanten höchst unterschiedlicher Sprachen und Kulturkreise sollten aus der von ihnen für eine Farbbezeichnung ausgesonderten Farbtonmenge denjenigen Farbton bestimmen, der am besten mit der Bezeichnung übereinstimmt. Berlin und Kay stellten fest, dass zwar bei der Grenzziehung eine große Variation zu beobachten war, die Bestimmung des 'besten Vertreters' fiel dagegen einheitlich aus. Die Farbbezeichnungen in den verschiedenen Sprachen unterscheiden sich also im Hinblick auf die Randbereiche desjenigen Ausschnitts aus dem Farbspektrum, das mit einem Namen belegt ist. In Bezug auf den prototypischen Vertreter gab es jedoch keine Unterschiede. Eine Erklärung für die prototypische Strukturierung im Bereich der Farbbezeichnungen sieht Rosch in der Salienz, dem spezifischen perzeptuellen Reiz, den bestimmte Farbbereiche auf das menschliche Auge ausüben. Dieser Reiz stehe in einem kausal en Zusammenhang mit der Benennung und Erinnerung solcher Farben. Rosch konnte experi mentell nachweisen, dass die perzeptuell herausragenden Farbbereiche tatsächlich am leichtesten benannt und am besten erinnert werden. Eine vergleichbare prototypische Strukturierung konnte auch für geometrische Figuren dokumentiert werden. Der Typikalitätseffekt typische Vertreter einer Kategorie werden schneller als Elemente der Gruppe identifiziert als weniger typische – gilt auch hier. Schließlich deutet auch eine Reihe experimenteller Befunde auf die psychische Realität einer basic level category hin. Verschiedene Untersuchungen haben gezeigt, dass Objekte der Basisebene am schnellsten und am häufigsten erkannt und benannt werden, und dass die Bezeichnung auf dieser Ebene am frühesten und am schnellsten gelernt wird. Wie bereits ausgeführt, macht die Prototypentheorie kaum Aussagen über die Prozesse des Verfügbarmachens von Wortbedeutung und müsste - will sie psychische Realität rekonstruieren - um eine Prozessebene erweitert werden. Die Repräsentationsebene der Prototypentheorie lässt sich aber relativ problemlos in neuere Konzeptionen von Merkmalsoder Netzwerktheorien inkorporieren beide tragen schließlich auch dem so wesentlichen Typikalitätseffekt Rechnung. Eine so entstehende hybride Theorie könnte dann die Stärken der verschiedenen beteiligten Theorien - Repräsentationebene einerseits und Prozessebene andererseits - vereinen. 3.4 DIE THEORIE DER BEDEUTUNGSPOSTULATE Bedeutungspostulate wurden von Carna (1952) in die Semantik eingeführt, um die Beziehungen zwischen Wortbedeutungen zu erfassen. Es sind analytisch wahre Implikationen , die in prädikatenlogischer Notation formalisiert werden. Auf Wörter übertragen , kann z. B. folgendes Bedeutungspostulat aufgestellt werden: "für alle x gilt: wenn x ein Junggeselle ist, dann ist x unverheiratet" 9 Daraus lässt sich die lexikalische Relation "Junggeselle unverheiratet" ableiten. Die semantische Analyse eines Wortes besteht nun darin, alle lexikalischen Relationen zu entdecken, die es zu anderen Wörtern unterhält, und diese in Form von Bedeutungspostulaten zu fassen, wie z. B. "Junggeselle unverheiratet, männlich, erwachsen etc." Bedeutungspostulate sind nach Auffassung Bar-Hillels (1967) semantischen Merkmalen überlegen, da letztere keine Argumente lexikalischer Einheiten beinhalten können, wie z.B. "für alle x,y,z gilt: x verkauft y an z dann und nur dann, wenn z von x y kauft" Im Gegensatz zu semantischen Merkmalen können Bedeutungspostulate mit ihrer prädikatenlogischen Notation Beziehungen konverser Art, wie sie im o.a. Beispiel gegeben sind, mühelos erfassen. Andererseits beruhen aber Dekompositionen und Bedeutungspostulate letztlich auf demselben, sprachlich relevanten, Wissen der Sprecher von der Welt und stellen damit zwei Spielarten derselben definitorischen Operationen dar. In der Psycholinguistik wurde die Konzeption der Bedeutungspostulate bisher kaum aufgegriffen und hat fast keine empirischen Untersuchungen stimuliert (vgl. Garnhom 1985). Lediglich Kintsch (1974) sowie - besonders - Fodor (1976) und Fodor et 81. (1975) diskutieren in größerem Rahmen di e psycho1inguistische Relevanz von Bedeutungspostul aten. Fodor verbindet sie mit seiner Konzeption einer mentalese genannten language of thought. Er nimmt an, dass Bedeutungspostulate beim Sprachverstehen eine wichtige Rolle spielen. Auf empirische Untersuchungen zur psychischen Realität von Bedeutungspostul aten sind in der relevanten Literatur keine Hinweise zu finden. Es kann je doch festgehalten werden, dass die Konzeption der Bedeutungspotenziale – ähnlich wie die Prototypentheorie – keinerlei Aussagen über das Verfügbarmachen von Wortbedeutungen trifft und somit keine Prozessebene aufweist. Während es aber recht eindeutige Hinweise dafür gibt, dass die Repräsentationsebene der Prototypentheorie tatsächlich psychische Realität rekonstruiert, kann ähnliches für die Bedeutungspostulate nicht angeführt werden. 3.5 DIE THEORIE DER PROZENDURALEN SEMANTIK Die Theorie der prozeduralen Semantik wurde im Zusammenhang mit der Fragestellung wie Sätze - also nicht Wörter - mental repräsentiert sind, entwickelt. Als Alternative zu den Konzeptionen, die eine propositionale Repräsentation annehmen, schlägt die prozedurale Semantik vor, Sätze über eine Menge von Prozeduren, das sind Instruktionsprogramme zur Ausführung bestimmter Operationen, zu repräsentieren. Unser Wissen, so die Hypothese der prozeduralen Semantik, hat zu einem wesentlichen Teil prozeduralen Charakter. Die Operationen selbst können kognitiver und/oder perzeptueller Art sein. 10 Die Unterscheidung zwischen propositionalem oder deklarativem und prozeduralem Wissen entspricht der zwischen "wissen dass" und "wissen wie". Wir wissen, dass Tirana die Hauptstadt Albaniens ist, und wir wissen, wie wir unsere Schuhe zuschnüren. Die Anhänger der prozeduralen Semantik (u . a. Miller/Johnson-Laird 1976; JohnsonLaird 1977) gehen mit Gazdar (1979) davon aus, dass die Bedeutung von Propositionen aufs engste mit ihrem Wahrheitswert verbunden ist. Die mentale Repräsentation von Propositionen wird modelliert als eine Menge von Prozeduren, um den Wahrheitswert der Propositionen im Hinblick auf die in einer Situation ausgehandelten Welt zu bestimmen. Die Repräsentation von Wörtern wird in dieser Konzeption ebenfalls über Prozeduren modelliert. Die Instruktionsprogramme geben an, wie Wörter mit anderen Wörtern kombiniert werden können, damit eine Äußerung Wahrheitswert besitzt. Prozeduren als Inhalte mentaler Repräsentation anzusehen, hat sich, nach Meinung Garnhams (1985), im Vergleich zu Merkmalen oder Bedeutungspostulate als vorteilhaft erwiesen. Mit letzteren teilen sie die Fähigkeit, Wortbedeutungen auch über andere als bloße und-Relationen von Eigenschaften zu erfassen. So kann z.B. die Bedeutung von 'Schwägerin' mittels einer prozeduralen Definition mühelos erfasst werden: Eine Schwägerin ist entweder die Ehefrau des eigenen Bruders oder die Schwester der eigenen Ehefrau. Eine solche Bedeutungsrepräsentation mittels semantischer Merkmale würde erhebliche Probleme mit sich bringen. Die Vorzüge von Prozeduren gegenüber Bedeutungspostulaten sind vor allem darin zu sehen, dass die Einheiten prozeduraler Definitionen nicht notwendigerweise den Status von Wörtern haben müssen, sondern auch über Worteinheiten hinausgehen können, wie im o.a. Beispiel zu sehen ist. Ähnlich wie die Konzeption der Bedeutungspostulate hat die prozedurale Semantik bisher kaum experimentelle Erprobung erfahren. Prozedurale Wortbedeutungsanalysen sind jedoch in zahlreiche Computerprogramme der Künstlichen-Intelligenz-Forschung eingegangen. Die detailliertesten prozeduralen Analysen liegen mit Miller und JohnsonLaird (1976) zur Wortbedeutung, sowie mit Johnson-Laird (1982) zur Bedeutung der Raumausdrücke 'in front of', 'behind', 'on the right' und 'on the left' vor. Die Theorie der prozeduralen Semantik besteht - wie die der Bedeutungspostulate lediglich aus einer Repräsentationsebene. Ob sie psychische Realität rekonstruiert, ist derzeit noch ungeklärt. Der Stellenwert, der der prozeduralen Semantik als einer Theorie der Wortbedeutung heute zuzuerkennen sein dürfte, wird m. E. nach dadurch deutlich, dass Johnson-Laird, einer der Exponenten dieser Theorie, kürzlich (1987) eine Konzeption entwickelt hat, in der Prozeduren nur noch einen relativ bescheidenen Teil einer Theorie der Wortbedeutung ausmachen. 11 4. KRITISCHE ANMERKUNGEN ZU DEN WORTBEDEUTUNGSTHEORIEN Von den fünf zuvor skizzierten Theorien der Wortbedeutung kann, das ist bereits deutlich geworden, keine beanspruchen, psychische Realität in vollem Umfang zu rekonstruieren. Dafür sind mehrere Gründe verantwortlich zu machen. Im Folgenden sollen die sechs mir gewichtigst erscheinenden angegeben und erläutert werden. 1. Die Repräsentations- und die Prozessebenen der Theorien sind in sehr unterschiedlichem Maße als adäquat zu betrachten. Aussagen zum Verfügbarmachen von Wortbedeutung treffen lediglich einige der Merkmalstheorien, so z .B. die von Smith et al. (1974), und die Netzwerktheorien. Während aber die Prozessebene bei Smith et al. ohne größere Modifikationen als wenig plausibel erscheint - es wird behauptet, semantische Dekomposition und Merkmalsvergleich finde bei allen Wortverarbeitungsprozessen statt-, können eine Reihe empirischexperimenteller Befunde für die von Collins und Loftus (1975) entwickelte Konzeption einer Aktivierungsausbreitung angeführt werden. In Bezug auf die Repräsentationsebene ergibt sich ein weitaus uneinheitlicheres Bild. Die neueren Merkmals- und Netzwerktheorien, sowie die Prototypensemantik haben zumindest partiell experimentelle Bestätigung erfahren. Der Grundgedanke der prozeduralen Semantik, ein Teil unseres Wissens um Wortbedeutungen könne in Form von Instruktionsprogrammen modelliert werden. Erscheint zumindest plausibel. 2. Abgesehen von der Prototypensemantik gehen die verschiedenen Theorien von einer. konzeptuellen. Repräsentation aus. Paivio (u.a. 1969; 1971) hat aber bereits darauf hingewiesen, dass eine solche Vorstellung gravierende Defizite beinhaltet. In seiner dualen Kode Theorie unterscheidet er zwischen zwei miteinander interagierenden Repräsentationssystemen für Wörter: einem verbalen, Konzepte betreffenden, und einem imaginalen, mentale Abbilder der Referenzobjekte betreffenden. Damit wird die Bedeutungskonzeption umfassender, indem sie auf Referenzobjekte der Außenwelt bezogen wird. Engelkamp und Zimmer (1985) schließlich postulieren darüber hinaus ein motorisches Repräsentationssystem. Es spielt insbesondere bei der mentalen Repräsentation von Verben eine bedeutende Rolle. Demnach wären z.B. beim Verb 'gehen' die motorischen Teilaktivitäten wie 'den Fuß aufsetzen, abheben' etc. repräsentiert. Eine solche 12 Konzeption mit drei interagierenden Repräsentationssystemen erscheint plausibel. Ob sie sich in der konkreten Anwendung bewährt, muss die Zukunft zeigen. 3. Bis auf die prozedurale Semantik haben die skizzierte Theorien der Wortbedeutung ausschließlich oder vorwiegend untersucht wie Nomen mit konkreter Bedeutung mental repräsentiert sein mögen. Verben, Adverben und Adjektive wurden kaum berücksichtigt, Nomen mit abstrakter Denotation sind überhaupt nicht systematisch betrachtet worden und können von den Theorien auch kaum adäquat erfasst werden. Die prozedurale Semantik hat sich mit der Repräsentation von konkreten Nomen, Verben, Adjektiven, räumlichen Präpositionen und Quantoren beschäftigt. Funkt ionswörter sind zwar nicht untersucht worden, doch dürfte ihre Bedeutung insoweit repräsentiert sein, als sie zur gesamten prozeduralen Bedeutung eines Satzes beiträgt. Nomen mit abstrakten Denotaten stellen indessen ein schwerwiegendes Problem für die prozedurale Semantik dar. 4. Die vorgestellten Theorien der Wortbedeutung sind in sehr unterschiedlichem Maße ausgearbeitet. Die Merkmals- und Netzwerktheorien dürften den höchsten Grad, die Theorie der Bedeutungspostulate und die prozedurale Semantik den niedrigsten Grad an Elaboration besitzen. Eine abschließende Beurteilung der Wortbedeutungstheorien erscheint auch aus diesem Grund weder sinnvoll noch möglich. 5. Keine der Theorien berücksichtigt angemessen das von Putnam beschriebene Phänomen, dass Wörter ohne oder mit nur partieller Kenntnis der jeweiligen Referenten oder Denotate in der Kommunikation benutzt werden können. In seinem 1987 vorgelegten Theorieansatz trägt Johnson-Laird zwar diesem Phänomen Rechnung, doch bleiben seine Ausführungen dazu zunächst noch programmatisch. Die weitere Entwicklung und Erprobung des Theorieansatzes wird zeigen, welcher Stellenwert dem Phänomen zuerkannt wird. 6. Schließlich wird von keiner der Theorien angemessen berücksichtigt, dass Wörter in kommunikativen Prozessen benutzt werden. Weder die mentale Repräsentation noch das Verfügbarmachen betrifft einzelne, isolierte Wörter sondern letztendlich den gesamten zwischen den Kommunikationspartnern entfalteten Text mit seinen vielfältigen syntaktischen, semantischen und pragmatischen Strukturen. Daraus ist die Folgerung und zugleich Forderung abzuleiten, dass eine Theorie der 13 Wortbedeutung nicht losgelöst von Satz- und Textverarbeitungstheorien (u.a. Rickheit/Strohner 1985; Strohner 1990) existieren kann. Eine Wortbedeutungstheorie muss viel mehr als ein integrativer Bestandteil einer Theorie der menschlichen Kommunikation und Informationsverarbeitung konzipiert werden. Sie muss - im Gegensatz zu den vorab skizzierten Konzeptionen - nicht nur semantisches sondern auch enzyklopädisches, pragmatisches und anderes Wissen berücksichtigen. Aus den bisher gemachten Ausführungen ist, so meine ich, deutlich geworden, dass eine Theorie der Wortbedeutung, die für sich beanspruchen kann, psychische Realität vollumfänglich zu rekonstruieren, derzeit kaum mehr als ein Desiderat darstellt. Eine solche Theorie müsste die Einseitigkeiten und Defizite der vorgestellten Konzeptionen beseitigen und ihre erhaltenswerten Eigenschaften in einem umfassenden, integrativen Theoriesystem vereinigen. 14 5. BIBLIOGRAPHIE Bar-Hille, J. 1967: "Dictionaries and meaning rules." Foundations of Language 3, 409-414. Berlin, B./Kay, P. 1969: Basic Color Terms: Their Universality and Evolution. Berkeley. Carnap, R. 1952: "Meaning Postulates." Philosophical Studies 3, 65-73. Chomsky, N. 1965: Aspects of the Theory of Syntax. Cambridge/MA. Clark, H.H. 1970: "Word associations and linguistic theory." In : Lyons 1970, 271-286. Collins, A. M./Quillian, M.R. 1969 : "Retrieval time from semantic memory." 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Based on general findings about word meaning and information processing provided by psychology, linguistics, artificial intelligence, and other disciplines, essential requirements which a psycholinguistic theory of word meaning must fulfill are formulated. The five different theories of word meaning discussed in the second part of the article are critically evaluated in light of these requirements. It becomes obvious that no single theory can fully and adequately capture the psychologica1 reality of word meaning. In the concluding part, the deficits of the theories are considered ·and arguments for a broader, integrative approach to word meaning are advanced. 17