Kap. 6 - Fakultät für Mathematik, TU Dortmund

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6
I. Zahlen, Konvergenz und Stetigkeit
Exponentialfunktion und Logarithmus
6.1 Wachstumsprozesse. a) Bei einem Zinssatz von α > 0 (z. B. α = 0, 04 ) pro
Jahr vermehrt sich ein Kapital K ohne Zinseszinsen innerhalb von t Jahren auf
K (1 + αt) . Hat man in dieser Zeit dagegen zwei Zinstermine, so vermehrt sich K
) (1 + αt
) , bei dreien auf K (1 + αt
)3 . Allgemein vermehrt sich das
auf K (1 + αt
2
2
3
Kapital bei n ∈ N Zinsterminen auf den Betrag
Kn (t) = K (1 +
αt n
)
n
(1)
.
Analoges gilt etwa bei biologischen Wachstumsprozessen (mit meist viel größerem
α ) oder beim radioaktiven Zerfall (mit negativem α ).
b) Mit n → ∞ erhält man den Idealfall der stetigen Verzinsung“
”
K(t) = K exp (αt)
(2)
mit der Exponentialfunktion
exp (x) := lim (1 + nx )n ,
n→∞
x ∈ R.
(3)
Die Existenz dieses Grenzwertes ist nicht offensichtlich.
c) Nach (2) wächst das Kapital K in t1 Jahren auf den Betrag K exp (αt1 ) , dieser
in weiteren t2 Jahren auf K exp (αt1 ) exp (αt2 ) . Dies stimmt natürlich mit dem
Betrag K exp (α(t1 + t2 )) überein, auf den K in (t1 + t2 ) Jahren wächst. Folglich
sollte für die Exponentialfunktion die folgende Funktionalgleichung gelten:
exp (x1 + x2 ) = exp (x1 ) · exp (x2 ) ,
x1 , x2 ∈ R .
(4)
6.2 Satz und Definition. Die Exponentialfunktion exp : R 7→ R wird definiert
durch
exp (x) :=
∞
P
k=0
xk
k!
= n→∞
lim (1 + nx )n ,
x ∈ R.
(5)
Beide Grenzwerte in (5) existieren, und es gilt die Funktionalgleichung (4).
Ein Beweis ist bereits jetzt möglich (vgl. [K1], Abschnitt 11), aber etwas mühsam.
Er wird uns später leichter fallen.
6.3 Die Eulersche Zahl e wird definiert als
e := exp (1) =
∞
P
k=0
Für En :=
n
P
k=0
1
k!
1
k!
= n→∞
lim (1 + n1 )n .
gilt die Abschätzung En ≤ e ≤ En +
(6)
1
n·n!
, und diese liefert bereits
mit n = 35 die Eulersche Zahl e auf 40 Stellen genau:
e = 2, 7182818284590452353602874713526624977572 . . . .
6 Exponentialfunktion und Logarithmus
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6.4 Abschätzungen für Fakultäten. a) Man hat
n
n
3
≤ n! ≤
n
n
2
,
n ≥ 6.
(7)
Dies folgt induktiv mittels 2 ≤ (1 + n1 )n ≤ 3 .
b) Der richtige“ Nenner in (7) ist e . In der Tat gilt die Stirlingsche Formel (vgl.
”
[K1], 36.13)
1 ≤ √
n!
1
),
≤
exp
(
12n
2πn · e−n · nn
n ∈ N.
(8)
c) Für n = 100 etwa liefern (7) bzw. (8)
1, 9403 · 10152 ≤ 9, 33262154 · 10157 ≤ 7, 88861..... · 10169
9, 3248 · 10157 ≤ 9, 33262154 · 10157 ≤ 9, 33262157 · 10157 .
d) Verschärfungen von (8) findet man in [K1], 41.13.
6.5 Satz. a) Es ist exp(0) = 1 und exp(x) ≥ 1 + x für x ≥ 0 .
b) Es gilt exp(−x) = (exp(x))−1 und exp(x) > 0 für x ∈ R .
c) Es gilt die Ungleichung
| exp(x) − 1 | ≤ (e − 1) | x |
für | x | ≤ 1 .
(9)
d) Man hat lim exp(x) = 0 und exp(x) → +∞ für x → +∞ ; genauer gelten
x→−∞
sogar die Aussagen
∀ n ∈ N0 :
xn
exp(x)
x→+∞
lim
= 0,
lim xn exp(x) = 0 .
x→−∞
(10)
Die erste Aussage von (10) ist im wesentlichen äquivalent zu (4.9).
6.6 Satz. Die Exponentialfunktion exp : R → (0, ∞) ist stetig, streng monoton
wachsend und bijektiv.
6.7 Definition. Die Umkehrfunktion der Exponentialfunktion exp : R → (0, ∞)
heißt Logarithmus log : (0, ∞) → R .
6.8 Satz. Der Logarithmus log : (0, ∞) → R ist stetig, streng monoton wachsend
und bijektiv. Es gilt die Funktionalgleichung
log(xy) = log x + log y
für x, y > 0 .
(11)
Speziell gilt log 1 = 0 , log e = 1 und
log x → −∞ für x → 0+ ,
log x → +∞ für x → +∞ .
(12)
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I. Zahlen, Konvergenz und Stetigkeit
6.9 Beispiel. Für M, α > 0 bezeichne x(t) := M exp(−αt) die Masse einer zerfallenden (z. B. radioaktiven) Substanz zur Zeit t ≥ 0 . Die Halbwertszeit T des
Zerfallsprozesses wird durch die Forderung
x(T ) =
1
2
· x(0)
(13)
bestimmt. Dies bedeutet M exp(−αT ) =
M
2
, also −αT = log 21 = − log 2 oder
α T = log 2 .
(14)
Aufgrund von (4) ergibt sich nun, daß die zu irgendeinem Zeitpunkt t ≥ 0 vorhandene Masse x(t) in der Zeitspanne T auf die Hälfte 12 · x(t) fällt:
x(t + T ) = M exp(−α(t + T )) = exp(−αT ) M exp(−αt) =
1
2
· x(t) .
6.10 Reelle Potenzen. a) Für festes a > 0 erhält man durch Iteration von (4)
an = (exp(log a))n = exp(n log a)
für n ∈ N .
b) Weiter gilt für m ∈ N auch (exp( m1 log a))m = exp(m ·
√
m
a = exp( m1 log a) .
1
m
log a) = a , also
c) In der elementaren Potenzrechnung definiert man
√
√
1
n
n
für n, m ∈ N .
a /m := m an = ( m a)n , a− /m := n/
a m
Wegen exp(−x) = (exp(x))−1 gilt also
ar = exp(r log a)
für a > 0 und r ∈ Q .
d) Für a > 0 und b ∈ R definiert man daher
ab = exp(b log a) .
(15)
e) Für a = e erhält man speziell
exp(x) = ex ,
x ∈ R;
(16)
dies erklärt den Namen Exponentialfunktion für exp . Ab jetzt wird meist die Bezeichnung ex statt exp(x) verwendet.
f) Nun werden die Funktionen
expa : x 7→ ax , x ∈ R ,
pα : x 7→ xα , x > 0 ,
( für a > 0) ,
(17)
( für α ∈ R)
(18)
betrachtet. Diese sind aufgrund von 5.6 stetig. Die Funktion pα ist streng monoton
wachsend für α > 0 und streng monoton fallend für α < 0 . Weiter gilt
lim xα = 0
x→0+
für α > 0 .
(19)
Mit 0α := 0 für α > 0 ist also pα : [0, ∞) 7→ R stetig. Weiter hat man
lim+ xα log x = 0 ,
x→0
log x
= 0
x→∞ xα
lim
für α > 0 .
(20)
6 Exponentialfunktion und Logarithmus
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6.11 Wachstumshierarchien. Die in 4.13 diskutierte Wachstumshierarchie“ für
”
Folgen kann nun verfeinert werden; sie wird hier für Funktionen formuliert. Die
Funktion g : [a, ∞) 7→ R strebt schneller gegen +∞ als f : [a, ∞) 7→ R , falls
lim f (x) = 0 gilt. In der folgenden Liste strebt jede Funktion schneller nach +∞
x→+∞ g(x)
als die vorhergehende:
a) (log log x)α , α > 0 ;
c) xγ , γ > 0 ;
b) (log x)β , β > 0 ;
d) exp(δ xη ) , δ, η > 0 .
Dies folgt sofort aus oder analog zu (10) und (20). Bei den Funktionen in d) wird das
Wachstum primär von η bestimmt; erst bei gleichen η spielt δ eine Rolle. Zwischen
den Typen b) und d) liegen die Funktionen exp(γ (log x)σ ) , γ, σ > 0 , wobei c)
genau den Fall σ = 1 beschreibt. Die Funktion xx = ex log x liegt zwischen den
Funktionen eδx und exp(δ xη ) mit η > 1 .
6.12 Spezielle Grenzwerte. Es gelten die Aussagen
ex − 1
= 1,
x→0
x
√
lim n ( n x − 1) = log x ,
lim
n→∞
(21)
x > 0.
(22)
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