Erfahrungen mit der Leitlinie »Brennen beim Wasser

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Keime in der Praxis
Erfahrungen mit der Leitlinie »Brennen beim Wasserlassen«
Eine Anwendungsbeobachtung
G. Egidi, K. Gebhardt
Zusammenfassung
Die Intention unserer Verlaufsbeobachtung war, die Anwendungshäufigkeit und Effektivität der DEGAM-Leitlinie »Brennen
beim Wasserlassen« zu prüfen. Vom Frühjahr 2001 bis Frühjahr
2002 wurden 212 Harnwegsinfekte in neun Arztpraxen in Bremen
und Umgebung behandelt. Der Verordnungsanteil von Trimethoprim (TMP) lag mit 67,9 % relativ hoch. Es konnte gezeigt werden,
dass Harnwegsinfekte entsprechend der Leitlinie in einem hohen
Prozentsatz erfolgreich behandelt werden konnten.
Die Antibiogramme ergaben für TMP eine fast genauso hohe Sensibilität wie für Cotrimoxazol (81,7 % versus 82,5 %). Eine Sensibilität gegenüber Ciprofloxacin fanden wir in 90 %. Die Umsetzung
der Leitlinie erwies sich in einigen Praxen als schwierig, insgesamt
führte jedoch unsere Untersuchung zu positiven Erfahrungen mit
der Leitlinie und damit zu einer Steigerung der TMP-Verordnungshäufigkeit.
Summary
Experience with the guideline »burning sensation when passsing water«
The intention of our course observation was to investigate the
application and effectiveness of the German Society of General
Practice and Family Medicine (DEGAM) guideline »burning sensa tion when passing water«. 212 cases of urinary tract infection
were treated in nine practices in Bremen and its environs from early 2001 to early 2002. The prescription share of trimethoprime
(TMP) at 67,9 % was relatively high. The results indicate that the
urinary tract infection was successfully treatable at a high rate in
line with the guidelines.
The antibiogrammes indicated just as much sensitiveness to TMP
as to cotrimoxazol (81,7 % versus 82,5 %). Sensitiveness to ciprofloxacin was at 90 %. The application of the guidelines in certain
practices proved difficult. Generally, however, our research indicated some positive experience with the guidelines and thus the
increase in the prescription of TMP.
Key words
General practitioner guidelines, urinary tract infection, trimethoprime
Einleitung
Im September 1999 erschien die erste vorrangig nach
den Prinzipien evidenzbasierter Medizin erstellte Leitlinie (LL) der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM) zum Thema »Brennen beim Wasserlassen«
(1).
Die Leitlinienentwicklung hatte 1997 begonnen. 36 Ärztinnen und Ärzte in 25 Praxen hatten im sich anschließenden Praxistest zur Anwendbarkeit der Leitlinie letztlich positiv Stellung genommen (2).
Im Text der Leitlinie heißt es auf S. 28: »Die Leitlinie wird
… auf Anwendungsgrad und Einfluss auf das Behandlungsergebnis evaluiert. Die Anwendung … soll zunächst
innerhalb neuer Versorgungsformen (wie z.B. Praxisnetze) oder in Qualitätszirkeln überprüft werden. Eine regionale Anpassung aufgrund lokaler Besonderheiten
und zur Steigerung der Akzeptanz ist empfehlenswert«.
Im Praxistest wurde festgestellt, dass während der 7wöchigen Erprobung nur 42 % der Teilnehmenden ihr
Verordnungsverhalten entsprechend der LL-Empfehlung
verändert hatten (2).
Bereits im Erscheinungsjahr 1999 wurde die Anwendung der Leitlinie durch sechs süddeutsche Allgemeinarztpraxen an 229 Patienten geprüft. Verglichen wurde
das reale Verhalten der Kolleginnen und Kollegen mit
den LL-Empfehlungen. Entgegen der LL-Empfehlung
wurde die makroskopische Harnschau in den beteiligten
Praxen erheblich häufiger, die Anfertigung von Urin-Resistogrammen wesentlich seltener veranlasst. Die Dauer
der antibiotischen Behandlung war länger als von der LL
empfohlen, das Spektrum eingesetzter Antibiotika wesentlich breiter (Verordnungsanteil von Trimethoprim
bei lediglich 28,6 %) (3).
Günther Egidi, Arzt für Allgemeinmedizin
Huchtinger Heerstraße 41, 28259 Bremen
E-Mail: [email protected]
Klaus Gebhardt
Neuwieder Straße 14, 28325 Bremen
E-Mail: [email protected]
Z. Allg. Med. 2003; 79: 181–186. © Hippokrates Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG, Stuttgart 2003
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Keime in der Praxis
Anfang 2000 berichteten zwischen fünf und zwölf Teilnehmerinnen und Teilnehmer eines PharmakotherapieQualitätszirkels aus Sachsen-Anhalt sowie zwölf Ärztinnen und Ärzte des Qualitätszirkels Riedstadt darüber,
wie häufig die LL-Empfehlungen in der täglichen Praxis
befolgt wurden und wie sich dies nach entsprechender
Informations-Intervention veränderte (4).
Trotz prinzipieller Zustimmung zur LL durch die meisten
Kolleginnen und Kollegen tauchte die Reinsubstanz Trimethoprim (TMP) unter den Verordnungen praktisch
nicht auf.
Eine intensivere Schulung vermochte in Riedstadt immmerhin die Verordnungshäufigkeit von TMP von 11 auf
69 Fälle bei gleichzeitigem Rückgang der Kombination
Cotrimoxazol von 188 auf 160 zu steigern, während in
nicht geschulten Vergleichspraxen die Situation unverändert blieb (4).
Ziel unserer Untersuchung
In einer Arbeitsgruppe von sechs Bremer Allgemeinmedizinern aus vier Praxen diskutierten wir die LL »Brennen beim Wasserlassen«. Bereits bei der Diskussion zeigten sich einige Kollegen stärker, andere weniger stark
interessiert. Die Autoren beispielsweise empfanden und
empfinden eine strukturierte Grundlage als Erleichterung für die tägliche Arbeit. Andere hatten zwar keine
inhaltlichen Einwände, konnten sich aber – beide Verhaltensweisen sicher auch Ausdruck der individuellen
Persönlichkeitsstruktur – nicht recht zu einer systematischeren Arbeit durchringen.
Im Gegensatz zu den zuvor durchgeführten, oben zitierten Arbeiten interessierte uns neben der faktischen
Akzeptanz der LL durch die Verordnenden vor allem das
Ergebnis der jeweiligen Behandlungen selbst. Entsprechend dem Ansatz der Autoren der LL, nicht eine Krankheit, sondern ein Symptom in den Vordergrund zu stelllen, wollten wir – zumindest im Rahmen einer Art Anwendungsbeobachtung – wissen, ob dieses Symptom
am Ende einer Behandlung beseitigt war.
Fragestellungen
1. Wie häufig können wir unter LL-Therapie Harnwegsinfekte
erfolgreich behandeln?
2. Wie ist die Relation zwischen komplizierten und unkomplizierten Infekten?
3. Wie ist das Keimspektrum, wie die Resistenzsituation bei
komplizierten und Rezidiv-Infekten?
4. Sind TMP und Nitrofurantoin auch für die Behandlung von
Männern geeignet?
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5. Ist Cefaclor als Ausweichantibiotikum für Schwangere eine
gute Wahl?
6. Wie ist es um die Akzeptanz der LL in der Allgemeinmedizinischen Praxis bestellt? Lässt sich die Akzeptanz durch
unsere Auseinandersetzung mit dem Problem erhöhen?
Wo liegen die Schwächen der Leitlinien-Empfehlungen?
Wie können diese beseitigt werden?
Durchführung
Alle Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer sollten
sich verpflichten, ausschließlich nach Leitlinien-Empfehlung zu behandeln.
1. Der unkomplizierte Harnwegsinfekt der Frau sollte
mit TMP oder Nitrofurantoin jeweils 2x100 mg über drei
Tage, der von Jungen und Männern mit denselben Substanzen, aber über sieben Tage behandelt werden. Als
Rezidiv wurde ein Infekt gewertet, der innerhalb von
zwei Wochen nach Behandlungsbeginn auftrat. Anders
als von der LL empfohlen sollte in unserer Studie zunächst eine Kultur angelegt werden, um in diesem Fall
etwas über die Resistenzlage zu erfahren, dann (gemäß
der LL) mit dem jeweils anderen empfohlenen LL-Medikament behandelt werden. Infekte jenseits dieser ZweiWochen-Grenze wurden als Neuinfekt wie jeder unkomplizierte Infekt behandelt. Bettlägerige und sonst
immobile Frauen wurden über sieben Tage behandelt.
2. Bei allen komplizierten Infekten oder bei Rezidiven
sollte vor Therapie eine Urinkultur angelegt und im positiven Fall ein Antibiogramm mit Prüfung der Substanzen TMP, Cotrimoxazol, Amoxicillin, Amoxi+Clavulansäure, Nitrofurantoin, Cefaclor, Cefixim (war in der ersten LL-Version noch für Schwangere empfohlen worden), Ciprofloxacin und Norfloxacin durchgeführt
werden. Unser Antrag auf Herausnahme der im Rahmen
der Studie anfallenden Kosten aus dem O-III-Laborbudget wurde von der KV abgelehnt, so dass wir die Kosten
mit unserem O-III-Budget, z.T. unter Verzicht auf einen
Laborbonus trugen.
3. In die Auswertung wurden nur Patienten, die sich ein
bis vier Tage nach Therapieende in der Praxis vorstellten,
einbezogen. Dieses Vorgehen weicht von der LL-Empfehlung (die LL spricht nicht von erneutem PatientenKontakt bei erfolgreicher Behandlung) ab und dient dem
Ziel, die LL-adaptierte Therapie in ihrer Wirksamkeit zu
untersuchen.
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Keime in der Praxis
Einschlusskriterien:
Symptomatischer Harnwegsinfekt (typische Beschwerden, positives Resultat von Urin-Stix bzw. Urinmikroskopie oder -kultur)
Ausschlusskriterien:
Patienten mit Dauerkatheter
Patienten mit neurogener Blasenlähmung
Von allen Patienten wurden Kennziffer, Geburtsdatum,
Geschlecht, Daten von Therapiebeginn und -ende sowie
Therapiekontrolle, Stix-Ergebnis (Leukozyten, Nitrit und
Blut), die Existenz von Komplikationsfaktoren, das Ergebnis der Antibiogramme, des Kontroll-Stix sowie der
Befragung auf Symptomfreiheit nach Behandlung in Tabellen dokumentiert.
Im Fall eines Antibiotikum-Wechsels bei Therapieversagen wurde ein neuer Behandlungsfall angelegt, berichtet
wurde hinterher aber zusammengefasst über die Anzahl
der behandelten Harnwegsinfekte.
36 ursprünglich angesprochene Praxen
9 Praxen nahmen teil
25 Praxen lehnten ab
4 Praxen lieferten Daten
über den geplanten Zeitabschnitt
1 Praxis stellte nur stark lückenhafte Daten, 4 Praxen Daten
über einen eingeschränkten
Zeitraum zur Verfügung
3 Praxen behandelten
während der Untersuchung nach Leitlinie
1 Praxis behandelte nicht
leitliniengerecht
Abbildung 1: Verlauf der Studie
Ergebnisse
Anfang 2001 wurden Lang- und Kurzfassung der Leitlinie an 34 Praxen von Allgemeinmedizinern, Internisten
und Gynäkologen in Bremen und Umgebung verschickt.
Trotz intensiver telefonischer Kontakte lehnten 25 Praxen, überwiegend aus Gründen des Zeitmangels, nur zu
geringem Teil aus inhaltlichen Vorbehalten, eine Teilnahme ab.
Neun Praxen nahmen an der Studie teil, davon haben
vier Praxen alle Patienten dokumentiert, eine Praxis
schickte uns nicht auswertbare Daten, weitere vier Praxen schleusten nur 10–20 % ihrer Patienten mit Harn wegsinfekt (Zahl von den Kollegen geschätzt) in unsere
Untersuchung ein.
Von Frühjahr 2001 bis Frühjahr 2002 wurden 198 Patienten in die Studie eingeschleust. Bei diesen 198 Patienten wurden 212 Harnwegsinfekte behandelt (Diffe renz durch Neuinfektionen).
Bedauerlicherweise haben wir die Zahl derjenigen Patienten nicht festgehalten, die wegen einer anderen Diagnose als der eines Harnwegsinfektes (Urethritis, Urolithiasis …), oder weil sie zur vereinbarten Kontrolluntersuchung nicht kamen, von der Auswertung ausgeschlossen wurden.
86,8 % der Untersuchten waren Frauen. Schwangere Patientinnen wurden während des Studienzeitraumes
nicht behandelt.
Von den insgesamt 212 Harnwegsinfekten waren 158
(74,5 %) unkompliziert und 54 (25,5 %) kompliziert.
Abbildung 2: Häufigkeit der verschiedenen Komplikationsfaktoren
Rezidive traten nicht auf. Wir sahen bei 212 Harnwegsinfekten jedoch 14 Neuinfekte (Zeit zwischen Erst- und
Zweitinfektion stets größer als drei Wochen).
Bei 100 Infekten (entspricht 47 %) wurden Antibiogramme mit Resistenzprüfung erstellt. In 20 Fällen fanden wir Mischinfekte. Das Keimspektrum (einschließlich Mischbesiedelung) zeigte 72 E. coli (60 %), 19 Enterokokken (15,8 %), 9 Proteus (7,5 %) und 20 andere Keime
(16,6 %).
Auffallend war ein etwas höherer Anteil von Enterokokken bei den Frauen (18,9 % gegenüber 4 % bei den
Männern). In 144 Fällen (67,9 % aller Infekte) wurde mit
Trimethoprim (TMP) behandelt. Die TMP-Verordnungs-
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Keime in der Praxis
ten wegen persistierender Beschwerden und positivem
Urin-Stix bei der Kontrolluntersuchung.
Bei den Frauen fiel mit nur 44,2 % insbesondere eine
ungünstige Wirksamkeit des Cefaclor auf.
Diskussion
Abbildung 2: Anteil der verschiedenen verwendeten Antibiotika
häufigkeit schwankte von 42 bis 100 % in den einzelnen
Praxen.
In zwei Fällen musste die TMP-Behandlung abgebrochen
werden – einmal wegen Übelkeit/Sodbrennen, einmal
wegen Durchfall. Ansonsten wurde sie in allen Fällen gut
vertragen. Die Autoren sahen nach Abschluss der Studie
bei einer 75-jährigen Diabetikerin nach TMP ein schweres fixes blasenbildendes Arzneimittel-Exanthem, das
zur Krankenhaus-Behandlung führte.
In 80,9 % der ausgewerteten unkomplizierten Harnwegsinfekte bei Frauen waren diese bei Kontrolle beschwerdefrei.
In 6,7 % waren die Patientinnen nach Behandlung zwar
ohne Beschwerden, aber das Stix-Resultat war noch
nicht normal. Diese Situation ging mit in die Zahl der erfolgreich Behandelten in die Auswertung ein, da die Leitlinie nur die Behandlung des symptomatischen Harnwegsinfektes vorsieht.
Einen Antibiotikumwechsel gab es bei 9,0 % der unkomplizierten, primär mit TMP behandelten sowie bei 6,3 %
der komplizierten, primär mit TMP behandelten Patien-
Erste und bitterste Erkenntnis für uns war die Erfahrung,
wie mühsam und oft frustrierend die Durchführung einer solchen Untersuchung ist, zumal wenn sie absolut
ehrenamtlich und neben der normalen Praxis-Tätigkeit
erfolgt.
Besonders frustrierend war es, zu versuchen, Kolleginnnen und Kollegen zur Teilnahme an der Untersuchung zu
gewinnen. Wenn man überlegt, dass es sich bei den Angesprochenen bereits um eine Positiv-Auswahl eher kritischer und engagierter Ärztinnen und Ärzte handelte,
ist die Ablehnungsquote von nahezu 75 % aller Angesprochenen sehr hoch.
Die Daten von den neun teilnehmenden Praxen waren
nur zum Teil brauchbar – die Ergebnisse einer Praxis
konnten aufgrund fehlender Dokumentation von Verordnungen nicht bezüglich des Therapieverfahrens und
-erfolges ausgewertet werden. Zudem waren hier und in
vier weiteren Praxen offenbar nur einzelne, ausgewählte Fälle eingeschlossen worden (nur jeweils fünf Datensätze).
Zudem haben wir versäumt, die Zahlen derjenigen Patienten zu erfassen, die zur Kontroll-Untersuchung nicht
erschienen waren bzw. die zwar Beschwerden, aber keinen Harnwegsinfekt hatten. Daher können wir über die
Frage ergänzender Diagnostik bei typischen klinischen
Zeichen eines Infektes und zugleich negativem Urin-Stix
nicht Stellung nehmen. Die genannten Selektionseffekte
schränken die Validität unserer Aussagen sicher ein.
Unser ursprüngliches Ziel einer Evaluationsstudie musssten wir daher fallen lassen, zumal uns auch die Möglichkeit des Vergleichs von Behandlungsergebnissen mit
Tabelle 1: Übersicht über die Resistenzsituation bei verschiedenen Antibiotika
Anzahl Keime
Anzahl Harnwegsinfekte
TMP
Cotrim
Cefixim
Nitrofurantoin
Amoxicillin
Cefaclor
Amoxi/Clavulan
Ciprofloxacin
Norfloxacin
184
Alle Keime
Keime Männer
Keime Frauen
120
100
81,7 %
82,5 %
66,7 %
67,5 %
49,2 %
50,8 %
61,7 %
90,0 %
85,0 %
25
22
96,0 %
96,0 %
84,0 %
76,0 %
56,0 %
76,0 %
68,0 %
96,0 %
92,0 %
95
78
77,9 %
78,9 %
62,1 %
65,3 %
47,4 %
44,2 %
60,0 %
88,4 %
83,2 %
Keime komplizierter Infekte
46
37
82,6 %
80,4 %
78,3 %
65,2 %
50,0 %
63,0 %
60,9 %
89,1 %
84,8 %
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Keime in der Praxis
einer Kontrollgruppe von herkömmlich, also nicht nach
LL behandelten Patienten fehlte. Ein solches Vorhaben
ist so aufwändig, dass es die Möglichkeiten nebenberuflich Forschender in jedem Fall übersteigen würde.
Statt dessen verstehen wir unser Projekt als eine Art An wendungsbeobachtung. Wir können hier also in erster
Linie nur von unseren persönlichen Erfahrungen berichten.
Die Behandlung des asymptomatischen Harnwegsinfektes mit TMP war in unserer Beobachtung sicher, effektiv
und gut verträglich.
Die Auswertung der Resistogramme legt folgende
Einschätzungen nahe:
Nitrofurantoin erschien weniger häufig wirksam als TMP.
Cotrimoxazol scheint auch nach unserer Untersuchung
keinen Vorteil vor TMP zu besitzen.
Amoxicillin scheint häufiger auf Resistenzen zu stoßen.
Auch die Kombination mit dem Penicillinasehemmer Clavulansäure, die zudem nicht selten lebertoxisch ist,
scheint nicht viel besser zu wirken.
Die Gyrasehemmer erscheinen hoch wirksam, wenn auch
nicht wesentlich über die Wirkung des TMP hinausgehend.
Auffallend war die schlechte Wirksamkeit von Cefaclor
bei Frauen. Das Ergebnis unserer Resistenzprüfungen bei
Nichtschwangeren (Sensibilität gegenüber Cefaclor 61 %
gegenüber Cefixim 80 %) wie auch die Informationen eines Bremer Labors (5), in dem die Resistenzsituation von
828 Frauen zwischen 15 und 50 Jahren mit einer CefaclorEmpfindlichkeit von nur 33,61 % dargestellt worden war,
lassen daran denken, das zwar teurere, aber offensichtlich
wirksamere Cefixim (das auch in der ersten LeitlinienFassung noch empfohlen worden war) an Stelle von Cefaclor bei Schwangeren zu verwenden.
TMP konnten wir auch bei Infekten von Jungen und
Männern sowie bei komplizierten Infekten als Substanz
der ersten Wahl einsetzen.
In den eingangs zitierten Untersuchungen (2–4) war be reits gezeigt worden, wie schwerfällig sich ärztliches
Verhalten offensichtlich verändert. Wir machten teils bei
uns selbst, teils bei den Kolleginnen und Kollegen, mit
denen wir Kontakt hatten, folgende Erfahrungen: einige
hatten offensichtlich große Mühe, sich auf ein standardisiertes Verfahren einzulassen. Ausgesprochen oder
nicht, steckt dahinter u.a. der Vorbehalt gegen eine den
einzelnen Patienten angeblich nicht berücksichtigende
Rigidität.
Manchen war es auch einfach zu viel Arbeit, sich einmal
den gefragten Therapiestandard so anzueignen, dass in
der Folge viele Entscheidungen quasi automatisch ableitbar werden (wodurch, nebenbei gesagt, die Arbeit erheblich erleichtert wird!).
Schließlich waren einige Kollegen von der Masse der Tag
für Tag zu bewältigenden Arbeit auch so sehr überfordert, dass schlicht die Zeit und die Kraft zum Studium
der Behandlungsstandards fehlte.
Im Vergleich zu den zitierten Untersuchungen liegt der
Anteil von TMP an den Verordnungen im Verlauf dieser
Studie außerordentlich hoch. Wir legen damit erste Eindrücke darüber vor, wie wirksam die Leitlinie möglicherweise sein kann.
Ein Ziel unseres Engagements haben wir im lokalen
Rahmen in jedem Fall erreicht: TMP wird von uns regelmäßig, von vielen Kolleginnen und Kollegen häufiger
verordnet.
Die Diskussion der Leitlinie und im Weiteren die Durchführung unserer Untersuchung waren für unsere Arbeitsgruppe mit konstitutiv. Sie förderte die Kenntnis
und Akzeptanz der LL, so dass mittlerweile die Behandlung mit TMP unwidersprochener Standard geworden
ist. (Inzwischen gibt es auch im Zentralen Ärztlichen
Notdienst weniger Rückmeldungen aus den Apotheken,
dass TMP nicht lieferbar sei – die Substanz wird ganz offfensichtlich vermehrt verordnet.)
Probleme mit der Verständlichkeit gab es vor allem mit
der LL-Definition eines Rezidivs im Vergleich zu einer
Neu-Infektion. Hier bleibt noch einige sprachliche Präzisierung zu leisten.
Danksagung
Unterstützung erhielten wir von der Firma Ratiopharm
in Form von 5 N1-Packungen TMP ratiopharm 100 und
von der DEGAM durch Zusendung von 25 Exemplaren
der Leitlinie.
Die Untersuchung wurde nahezu ohne akademische
oder statistische Unterstützung geplant und durchgeführt. Die Auswertung und kritische Sichtung unserer
Arbeit wäre ohne den engagiert beratenden Einsatz von
Eva Hummers-Pradier nicht möglich gewesen. Sie hat
uns vermittelt, dass unser ursprüngliches Ziel einer Evaluation mit dem von uns gewählten Studiendesign nicht
durchführbar war, dass nichtsdestotrotz unsere Arbeit
alles andere als vergebens war. Wir danken ihr an dieser
Stelle sehr für ihre engagierte Hilfe.
Teilnehmende Praxen: Bernau (Hambergen), Bringmann/Drees/Werner, Egidi/Schelp, Gebhardt/Thielen,
Kaufmann/Landwehr, Knaup, von Olshausen, Petrera
und von Rotenhan (alle Bremen).
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Keime in der Praxis
Literatur
1. Hummers-Pradier E, Kochen MM: DEGAM-Leitlinie Nr. 1 »Brennen beim Wasserlassen.« Z Allg Med 2000; 76: 35–48
2. Hummers-Pradier E, Beyer M, Gerlach F, Kochen MM: A feasibility study as part of guideline development for general practice in
Germany, Eur J Gen Pract 2001; 7: A 6
3. Gulich M, Bux C, Zeitler H-P: Die DEGAM-Leitlinie »Brennen
beim Wasserlassen« – mögliche Konsequenzen der Umsetzung in
der allgemeinärztlichen Praxis, ZaeFQ 2001; 95: 141–145
4. Reh M, Gerlach F, Beyer M, Hummers-Pradier E, Kochen MM,
Kaufmann-Kolle P, Magdeburg K, Broge B, Szecsenyi J: Erste Evaluationsergebnisse zur Leitlinie »Brennen beim Wasserlassen« in
Sachsen-Anhalt und Riedstadt in Hessen: Analysen, Barrieren und
Interventionsmöglichkeiten. Kiel/Göttingen/Heidelberg 2001
5. Resistenzprüfungen von jeweils über 800 Urinproben von
Frauen zwischen 15 und 50 und von Männern über 50 Jahren,
Labor Schiwara, Bremen 1999
Zur Person
Günther Egidi, seit 31/2 Jahren in
einem Arbeitervorort Bremens in
Gemeinschaftspraxis als Allgemeinarzt
niedergelassen. 46 Jahre alt, verheiratet, drei Kinder. Leidenschaftlicher
Fahrradfahrer und schon immer an
kritischer Pharmakologie interessiert.
Klaus Gebhardt, seit 10 Jahren als Allgemeinarzt in Bremen niedergelassen,
45 Jahre alt, verheiratet, ein Kind.
Buchtipp
Atemwegsinfektionen
Grundlagen und Praxis der Antibiotikatherapie
D. Adam, H. Lode, Thieme Verlag 2002, 2.Aufl., 200 St.,
5 Abb., 24,95 Euro
Auf 180 Seiten in kleinem Format werden gut gegliedert zunächst kurz Grundlagen der Antibiotika-Therapie gestreift.
Die verschiedenen verwendbaren Substanzen werden
gruppenweise dargestellt. Weiter wird recht gut über therapeutische Strategien sowie mikrobiologische Grundlagen einer
antimikrobiellen Behandlung informiert. Eine Übersicht über
die wichtigsten aktuellen Resistenzen rundet den allgemeinen
Teil ab.
Der 2. Buchteil stellt die einzelnen Krankheitsbilder von der
Tracheitis bis zur Angina tonsillaris kapitelweise dar. Die Kapitel
sind überschaubar, trotzdem geht die Darstellung genügend in
die Tiefe, und es finden sich sehr brauchbare Hinweise wie die,
dass bei 1–2-jährigen Kindern eine Atemfrequenz <40' eine
Pneumonie zu 98% ausschließt, dass in der Behandlung der
Sinusitis zu häufig mit Antibiotika und zu selten mit Nasentropfen behandelt wird und dass die Basis der Behandlung der
Tracheobronchitis in der Regel nicht aus einer Antibiotikagabe
besteht.
Die ambulante Antibiotika-Behandlung der Pneumonie wird an
Altersgruppen und Vorhandensein schwerer Grunderkrankungen gebunden, die der chronisch obstruktiven Lungenkrankheit an die Häufigkeit von Exazerbationen und die Schwere der
Obstruktion.
186
Erhebliche Mängel stehen den beschriebenen Vorteilen entgegen:
So wird nicht erwähnt, wie neu die verschiedenen Substanzen
auf dem Markt sind. Es ist bekannt, dass die meisten Antibioti ka mit der Dauer ihrer Verwendung ihre Wirksamkeit verlieren.
Eine tabellarische Darstellung der zunehmenden Resistenzen
der verschiedenen Mittel über die Zeit wäre da sehr hilfreich
gewesen, um nicht jeweils auf das neueste Präparat hereinzufallen. Überhaupt wird die Notwendigkeit des sparsamen Umgangs mit neuen Mitteln als Reservesubstanzen nicht formuliert. Dass diese schwere Leber-Störwirkungen unter Amoxicilllin/Clavulansäure in einem 2002 erschienen Buch nicht einmal
erwähnt werden, halte ich für befremdlich.
Die besondere Häufung pseudomembranöser Colitiden unter
Clindamycin wird nicht erwähnt – kein Wort zu der möglichen
Beeinflussung Vitamin-K-abhängiger Gerinnungsfaktoren
durch die neueren Cefalosporine.
Dass Adam im Kapitel über die Streptokokken-Pharyngitis nur
die von ihm selbst durchgeführte und im Deutschen Ärzteblatt
heftig kritisierte DGPI-Studie zur 5-Tages-Behandlung mit
neuen Cefalosporinen oder Augmentan, nicht aber niederländische Studien zu Penicillin V über 5 Tage zitiert, spricht nicht
unbedingt für Souveränität.
Zusammenfassend kann das Buch nur mit den genannten
erheblichen Einschränkungen empfohlen werden.
G. Egidi, Facharzt für Allgemeinmedizin, Bremen
Z. Allg. Med. 2003; 79: 181–186. © Hippokrates Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG, Stuttgart 2003
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