Lineare Algebra II – Sommersemester 2015 3.5 c Rudolf Scharlau 219 Invariante Unterräume und Trigonalisierbarkeit Das Problem der Normalformen“ für Endomorphismen handelt kurz gesprochen ” davon, für einen gegebenen Endomorphismus eine möglichst einfache“ und je” denfalls in geeigneter Weise normierte Darstellungsmatrix zu finden. Ein Beispiel hierfür ist die in den vorigen Abschnitten besprochene Diagonalisierbarkeit, die sich allerdings in der Regel nicht erreichen läßt. In diesem und dem nächsten Abschnitt gehen wir das Normalformen-Problem systematisch und in größerer Allgemeinheit an. Es werden zunächst, für einen gegebenen Endomorphismus, invariante Unterräume und invariante Zerlegungen des zugrundeliegenden Vektorraumes eingeführt und der Zusammenhang mit Darstellungsmatrizen geklärt. Weiter wird die Trigonalisierbarkeit eines Endomorphismus eingeführt und gezeigt, dass sie genau dann vorliegt, wenn das charakteristische Polynom in Linearfaktoren zerfällt. Definition 3.5.1 Es sei V ein K-Vektorraum und F : V → V ein Endomorphismus von V . Ein Untervektorraum U ⊆ V heißt invariant unter F oder kurz F -invariant, falls F (U ) ⊆ U ist. Invariante Unterräume können als Verallgemeinerung von Eigenvektoren aufgefasst werden: Ein eindimensionaler Unterraum U = Kv, v ∈ V ist genau dann invariant, wenn v ein Eigenvektor ist. Bemerkung: Wenn U ein F -invarianter Unterraum ist, dann kann die Einschränkung F|U von F auf U auch als Abbildung von U in U aufgefasst werden: F|U : U → U . Statt F|U werden wir gelegentlich auch F |U schreiben, wenn dieses typographisch übersichtlicher erscheint (etwa beim Gebrauch als Index). Invariante Unterräume tragen auf folgende Weise zum Problem der Vereinfachung von Darstellungsmatrizen bei: Lemma 3.5.2 Es sei F ∈ End V und U ⊆ V ein F -invarianter Unterraum. a) Wenn B = (v1 , v2 , . . . , vk , . . . , vn ) eine Basis von V ist derart, dass v1 , v2 , . . . , vk eine Basis von U ist, dann hat die Darstellungsmatrix MBB (F ) die Block” Gestalt” ! A C MBB (F ) = , 0 B wobei A eine k × k-Matrix ist, B eine (n − k) × (n − k)-Matrix, C eine k × (n − k)-Matrix und 0 die (n − k) × k-Nullmatrix. c Rudolf Scharlau 220 Lineare Algebra II – Sommersemester 2015 b) Wenn M= A C 0 B ! , eine Blockmatrix wie unter a) ist, dann gilt für die charakteristischen Polynome die Zerlegung PM = PA · PB . c) Das charakteristische Polynom PF |U teilt das charakteristische Polynom PF . Beweis: Teil a) ergibt sich unmittelbar aus den Definitionen, wobei man sieht, dass der Block“ A der obigen Matrix genau die Darstellungsmatrix von F |U ” bezüglich v1 , . . . , vk ist. Man sieht hier, dass genauso auch die Umkehrung der Aussage a) gilt: Wenn eine Basis B = (v1 , v2 , . . . , vk , . . . , vn ) eine Darstellungsmatrix in der angegebenen Blockform liefert, dann ist Lin{v1 , v2 , . . . , vk } ein F invarianter Unterraum. Die Aussage b) ergibt sich sofort aus Beispiel 3.2.13.2. Die Aussage c) folgt wegen PF |U = PA (siehe a)) sofort aus b). Definition 3.5.3 Es sei F ∈ End(V ). Eine F -invariante Zerlegung von V besteht aus zwei oder mehr Untervektorräumen U1 , U2 , . . . , Ur derart, dass - V = U1 ⊕ U2 ⊕ · · · ⊕ Ur - Jedes Ui ist F -invariant und nicht-trivial, d.h. {0} ( Ui ( V . Im Fall einer invarianten Zerlegung haben wir die folgende offensichtliche Verbesserung der obigen Aussage 3.5.2 a) über Darstellungsmatrizen: Bemerkung 3.5.4 Wenn F ein Endomorphismus eines endlich-dimensionalen Vektorraumes V und U1 ⊕ U2 ⊕ · · · ⊕ Ur eine F -invariante Zerlegung von V ist, dann ist die Darstellungsmatrix von F bezüglich einer geeigneten Basis eine Blockmatrix A1 A2 , .. . Ar wobei Ai eine Darstellungsmatrix für F |Ui ist. Weiter gilt PF = r Y i=1 P Ai = r Y PF |Ui . i=1 Wenn es umgekehrt eine Basis gibt, so dass die zugehörige Darstellungsmatrix die angegebene Blockgestalt hat, dann ist V die direkte Summe von F -invarianten Unterräumen V1 , . . . , Vr , wobei Vi der von denjenigen Basisvektoren erzeugte Unterraum ist, deren Indices zum i-ten Block gehören. Lineare Algebra II – Sommersemester 2015 c Rudolf Scharlau 221 Wir kehren nun zum Problem der Normalformen von Endomorphismen bzw. quadratischen Matrizen zurück, bei dem es um möglichst einfache“ Darstellungs” matrizen geht. Wir formulieren die Fragestellung präzise wie folgt: Das Normalformenproblem. Gegeben ein Körper K, so gebe man eine Liste von quadratischen Matrizen an, die Matrizen in Normalform, derart dass jeder Endomorphismus eines endlich-dimensionalen K-Vektorraumes genau eine Darstellungsmatrix aus dieser Liste besitzt (bezüglich einer passenden Basis). Anders ausgedrückt: Diese Liste von Matrizen soll ein Vertretersystem für die Äquivalenzrelation der Ähnlichkeit (siehe 2.8.12) sein. Dabei sollen die Matrizen in Normalform soweit wie möglich in Blöcke (siehe 3.5.4) zerlegt sein. Folgende Fälle können für einen gegebenen Endomorphismus F ∈ End V unterschieden werden: I Es gibt keinen nicht-trivialen (d.h. {0} = 6 U 6= V ) F -invarianten Unterraum U ⊆V. II Es gibt einen nicht-trivialen F -invarianten Unterraum U , aber keine nichttriviale F -invariante Zerlegung V = U1 ⊕ U2 (also {0} = 6 U1 , {0} = 6 U2 ). III Es gibt eine nicht-triviale F -invariante Zerlegung V = U1 ⊕ U2 . Beispiele hierfür: I Drehung im R2 um einen Winkel 6= 0, π ! 0 1 II F = FA : K 2 → K 2 mit A = 0 0 III F = FA : K 2 → K 2 , wobei A eine beliebige 2 × 2 -Matrix mit zwei verschiedenen Eigenwerten in K ist. Die Bedingung III ist für viele Endomorphismen nicht erfüllt. Deshalb ist die folgende Definition wichtig, die eine Verschärfung von II beinhaltet, ohne dass III gelten muss: Definition und Bemerkung 3.5.5 a) Ein Endomorphismus eines endlichdimensionalen K-Vektorraumes heißt trigonalisierbar, falls eine Basis B von V existiert, für die MBB (F ) eine obere Dreiecksmatrix ist. b) Eine Matrix A ∈ K n×n heißt trigonalisierbar, falls der Endomorphismus FA : K n → K n es ist. Dieses ist genau dann der Fall, wenn A ähnlich zu einer oberen Dreiecksmatrix ist. 222 Lineare Algebra II – Sommersemester 2015 c Rudolf Scharlau Satz 3.5.6 Ein Endomorphismus F von V ist genau dann trigonalisierbar, wenn in V eine sog. Fahne F -invarianter Unterräume V0 = {0} ⊂ V1 ⊂ · · · ⊂ Vi ⊂ . . . Vn−1 ⊂ Vn = V, dim Vi = i, existiert. Der Beweis bleibt nah an den Definitionen und ist deshalb nicht besonders schwierig. Der folgende Satz liefert eine glatte und im Prinzip abschließende Antwort auf die Frage, wann ein Endomorphismus trigonalisierbar ist. Satz 3.5.7 Ein Endomorphismus oder eine quadratische Matrix F ist genau dann trigonalisierbar, wenn das charakteristische Polynom PF in Linearfaktoren zerfällt. Bemerkung 3.5.8 Der Beweis zeigt genauer folgendes: Seien λ1 , λ2 , . . . , λn die Eigenwerte von F (mehrfache Eigenwerte entsprechend ihrer Vielfachheit aufgeführt) in irgendeiner Reihenfolge. Dann gibt es eine Darstellungsmatrix von F in oberer Dreiecksform, deren Diagonalelemente λ1 , λ2 , . . . , λn in dieser Reihenfolge sind.