Personen-Wahrnehmung Selbstwahrnehmung Identität ist eine soziale Konstruktion! • Das Selbstkonzept, Selbstbild wird aufgebaut in der Interaktion und Kommunikation mit anderen: Ähnlichkeit zwischen Fremd- und Selbstbild • Anfänglich wird keine Grenze erlebt zwischen Innen und Außen, zwischen Körper und Welt, zwischen Ich und Du. Das eigene Ich, also die Ich-Bewusstheit sowie später dann das Selbstkonzept bauen sich auf in der Wahrnehmung eigener Körperreize sowie der Wahrnehmung des anderen, auch durch die Differenz zum anderen; durch Nachahmung, Imitation, Mimetik und Zeigefunktionen lernt man: Es gibt den anderen als ein konstantes Ich, der auf mich reagiert als wäre ich ein Ich und bei dem ich mir auch für mich ein Ich abschauen kann... Dr. Fox, 2016 1 Selbst - Konzept Selbst als soziale Konstruktion • • • • • • • • Zunächst entwickelt sich eine Ich-Bewusstheit dadurch, dass der Säugling allmählich lernt, dass er eine Urheberschaft besitzt über die „eigenen“ Sinneswahrnehmungen und Handlungen; „das Ich ist ein körperliches“ (S.Freud) Der andere löst Emotionen bei mir aus, die ich körperlich spüre; Körpererfahrungen als Quelle des Aufbaus einer Ich-Bewusstheit, die als Basis dient für die spätere und lebenslang modifizierbare Konstruktion eines Selbstkonzepts (=eine erzählerische, biografische Beschreibung und Bewertung des Ichs) Der andere löst durch Berührungen, durch Körperkontakt an der Haut, also an der Grenze zwischen Innen und Außen, Ich und Du, ein Spüren der eigenen körperlichen Identität als Basis für eine Selbstkonzept aus Der andere löst durch seine Kommunikation und Interaktion mit mir erste Vorstellungen (z. B. Bewertung meiner Person durch andere; emotionale Konditionierungen; Rollen-Konzept, etc.) über mein Ich aus; diese Narrationen bilden die Grundlage der Konstruktion des Selbstkonzepts; das Selbst ist also eine narrative Konstruktion Die Beziehung zum Du ist für das Ich konstitutiv; aus der Ich-Bewusstheit entsteht durch Kommunikation das Selbstkonzept In der Kommunikation und Interaktion in bedeutsamen (Liebes-) Beziehungen wird permanent über die Konstruktion der Selbstkonzepte verhandelt, meist nichtbewusst Der andere bietet mir über Beziehung und die Kommunikation, wie er mich wahrnimmt, eine Identität an; Identität wird bei Trennungen intimer Beziehungen stets beschädigt, daher ist jede Trennung vom relevanten Anderen auch eine Trennung von meinem bisherigen Selbst Kommunikation ist selten ein direkter Austausch von Information, sondern eher eine wechselseitige Anregung zur Konstruktion von Bedeutungen, Bedeutungen des Kommunizierten, wobei diese Bedeutungen/ Deutungen/ Bewertungen immer aus der jeweiligen individuellen Biografie (emotionale Konditionierungen) generiert werden und oft auf das Selbstkonzept einwirken. Dr. Fox, 2016 2 Selbst - Konzept Selbst als soziale Konstruktion • • • • Empathie ist die Fähigkeit, sich in das subjektive Erleben des anderen hineinzuversetzen; damit ist Empathie die Grundvoraussetzung für jedes soziale Miteinander; für dieses Miteinander ist unverzichtbar die Fähigkeit, nicht nur die eigenen Wahrnehmungen und Erlebnisse zu erkennen, sondern auch die der anderen Spiegelneurone (vornehmlich im prämotorischen und präfrontalen Kortex) simulieren nicht die geistigen, aber die motorischen Aktivitäten des anderen und ermöglichen dadurch das Nachempfinden der Empfindungen und Absichten des anderen Spiegelneurone bilden im Verbund mit den Systemen für Gestik, Mimik und Zeigen den biologischen Ort für das Imitationslernen (theory of mind, kommunikative Absicht, Kooperationsabsicht, prosoziales Verhalten, Modelllernen, Unterricht) Empathie ermöglicht sogar eine Resonanz für Empfindungen des anderen, die für diesen noch nicht bewusstseinsfähig sind (z. B. in Beratung und Therapie) Dr. Fox, 2016 3 Selbst - Konzept Selbst als soziale Konstruktion • • • Das Imitationslernen ist für die Konstruktion eines SelbstKonzepts unerlässlich Selbst-Bewusstsein hängt eng zusammen mit Empathie: Das Selbst-Konzept konstruiert sich darüber, den anderen als ein Selbst wahrzunehmen sowie vom anderen als ein Selbst wahrgenommen zu werden; das gewonnene Selbstverständnis erlaubt dann wieder eine komplettere Wahrnehmung der Person des anderen; es gibt hier eine wechselseitige Abhängigkeit. überlebensnotwendig ist die Fähigkeit, die Absichten und die Kooperationswürdigkeit der anderen zu erkennen (wesentliche Informationsquelle ist die nonverbale Kommunikation, speziell die Mimik als Expression der die Handlung motivierenden Emotionen); Empathie ist die Voraussetzung für Strategiebildung, Handlungsplanung und Kooperation Dr. Fox, 2016 4 Selbst - Konzept Was ist das Selbst? 3 erforschbare Teilaspekte • Urheberschaft: „Ich-Bewusstheit“, d.h.: Ich bin überzeugt, auf Grund meiner eigenen Wahrnehmungen, Einstellungen, Erinnerungen zu handeln; Überzeugung von der Selbsterzeugung meiner Wahrnehmungen, Handlungen und Gedanken (anders z. B. bei Schizophrenie, beim Stimmenhören). • • Transtemporale Einheit, Zeit-Identität: konstante Reizinformationen; „IchBewusstheit“, die über längere Zeit weiter besteht; als konstant und konsistent wahrgenommene biografische Erfahrungen und Erinnerungen konstituieren die Identität (anders bei Amnesien, keine Identität des Ichs in der Zeit) und das Selbst-Konzept. Perspektivität: alle Informationen aus dem eigenen Erlebens- und Handlungsraum werden um den eigenen Körper herum zentriert; Wahrnehmungen und Handlungen stets aus der Ich-Perspektive; das Ich ist in der Welt zentriert, der eigene Körper als Weltmitte (anders beim Neglect-Syndrom: die eigene Mitte ist verloren, die meist linke Hälfte von Objekten, Raum und eigenem Körper wird nicht mehr wahrgenommen). Dr. Fox, 2016 5 Selbstkonzept und Selbstbewusstheit • 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. In der biopsychologischen Forschung werden zurzeit etwa neun Bewusstseinszustände voneinander unterschieden: Körperorientiertes und relativ stabiles Ich-Bewusstsein: „ich nehme Sinnesreize wahr“, „ich reagiere“, etc. Bewusstsein über den Grad der Erfüllung von Grund-Bedürfnissen: Hunger, Durst, Schmerz, etc. „Meinigkeits“- Bewusstsein: „meine Beine“, „mein Gesicht“, etc. Urheberschafts- Bewusstsein: „Ich steuere meine Handlungen“; „meine Bewegungen habe ich veranlasst“, etc. Mentale Bewusstseinszustände wie Denken („ich denke, also bin ich“) , Erinnern, Vorstellen, Planen, etc. Identitätsbewusstsein, Bewusstsein über Kontinuität: „ich bin der, der ich auch gestern war“, „ich habe eine Biografie“, „ich habe eine Zugehörigkeit“, etc. Bewusstsein über Zeit und Ort, Ichverortung Bewusstsein über Vorstellung und Wirklichkeit Selbst-Bewusstsein: das Bild, das man sich vom Ich macht; das selbstreflexive Ich: „Was macht mich aus“, „Wie sehen andere mich“; „wie habe ich mich entwickelt“, also das fluide Selbstkonzept, etc. Neurologische Störungen zeigen, dass einzelne dieser Bewusstseins-Zustände ausfallen können, ohne dass auch die anderen ausfallen müssen. Diese unterscheidbaren Bewusstseinszustände sind nicht immer gleichermaßen präsent; sie ziehen je nach Situation unterschiedliche Aufmerksamkeitsstärken an sich; diesen ständigen Bewusstseinswandel integriert das Gehirn zu einer scheinbar bruchlosen Geschichte, der SelbstBiografie. Daher ist das Selbstkonzept ein narratives Konstrukt. Merke: Das Selbstbewusstsein ist eine schöne Geschichte, die das Gehirn über sich selbst erzählt! Dr. Fox, 2016 6 Selbst-Wahrnehmung • das Selbstbild ist ein machtolles Motivationssystem; es bedingt und erklärt das Verhalten, auch das Verhalten anderen gegenüber • es ist abhängig von Beziehungserfahrungen, von der Wahrnehmung der eigenen Person durch den anderen („Fremdbild“ und „Selbstbild hängen wechselseitig von einander ab) • die Selbstwahrnehmung erfolgt auch durch Ableitungen aus dem eigenen Verhalten, das in Abhängigkeit von der sozialen Situation interpretiert wird • verhaltensabhängige Selbstwahrnehmung gilt insbesondere für schwach oder mittel ausgeprägte sowie mehrdeutige innere Zustände • unmittelbar wahrgenommen werden innere Zustände dann, wenn sie stark und eindeutig sind und werden dann eher eigenen stabilen Persönlichkeitsmerkmalen zugeschrieben Dr. Fox, 2016 7 Selbstkonzept • Öffentliches Selbstbild • Blinder Fleck Selbstöffnung Feedback Was ich und die anderen über mich wissen Was nur die anderen über mich wissen Was nur ich über mich weiß Was niemand von mir weiß, auch ich nicht • Privates Selbstbild • Nichtbewusste Anteile des Selbst JOHARI-Fenster: Analyseschema nach Luft und Ingham Luft, Joseph: Klett, Stuttgart, 1971 Dr. Fox, 2016 8 Selbst-Wahrnehmung Selbst- Bewertung • positive Selbstbewertung ist auch abhängig von positiver Bewertung der eigenen Person durch eine Person, die man selbst positiv bewertet • negative Selbstbewertung wird wesentlich verursacht durch negative Bewertungen der eigenen Person durch geschätzte Personen • negativ bewertete Personen haben kaum Einfluss auf das eigene Selbstwertgefühl; Ausnahme: negativ bewertete Personen, die Macht (über Belohnungsund Bestrafungsreize) ausüben Dr. Fox, 2016 9 Selbst-Wahrnehmung Kriterien der Selbstbewertung • positive Selbstbewertung ist lerntheoretisch abhängig davon, dass man sich selbst oft in positiven Situationen erlebt: – eigene Beliebtheit bei anderen – eigene Fähigkeit der Lebensbewältigung (internale Kontrollüberzeugung, Selbstständigkeit) • negatives Selbstbild: – Ablehnung durch andere – eigene Unfähigkeit der Lebensbewältigung (externale Kontrollüberzeugung, Abhängigkeit) Dr. Fox, 2016 10 Selbstwahrnehmung Selbstwahrnehmung auch abhängig von Verhaltenskonsequenzen: bei hoher Belohnung wird das eigene Verhalten eher der Belohnung zugeschrieben und nicht mehr der eigenen Einstellung, d. h.: stabile Einstellungen werden intrinsisch erworben, nicht durch Belohnungen! Dr. Fox, 2016 11 Selbstbewertung - Selbstkonzept Wirkungen des negativen Selbstwerts • • • • • • • • • • • • leichter zu beeinflussen, subalternes Verhalten stärkeres Zuwendungs- und Bestätigungsbedürfnis, leicht kränkbar Ablehnung und Abwendung wird als besonders beeinträchtigend erlebt, als Bestätigung des negativen Selbstwerts Selbstunsicherheit, Mutlosigkeit, Resignation, Erschöpfbarkeit bei niedrigem Selbstwert bewirkt sozialer Druck (Macht über Belohnung und Bestrafung) erwünschtes und konformes Verhalten hohes Risiko für stressbedingte Erkrankungen gesundheitsschädigendes Verhalten, Drogenanfälligkeit wenig Impulskontrolle, Gewaltbereitschaft hohe emotionale Durchlässigkeit, mangelnde Emotionskontrolle rigides, ideologieanfälliges, autoritäres Verhalten externales Kontrollbedürfnis, passiv, den anderen als Führer suchend wenig beziehungsfähig, egozentrisch, schnell beleidigt, kränkbar Dr. Fox, 2016 12 Selbstbewertung - Selbstkonzept Wirkungen des positiven Selbstwerts • • • • • • • • • • • • • • schwerer zu beeinflussen, eher nonkonformes Verhalten Selbstvertrauen: unabhängiger, selbstständiger, selbstverantwortlicher höhere Bereitschaft, sich auf Neues einzulassen weniger ängstlich, misstrauisch oder aggressiv, kooperativer intrinsische Lernbereitschaft höhere Kreativität, Gestaltungskraft, Problemlösefähigkeit höhere Frustrationstoleranz, kritikfähiger (auch gegenüber sich selbst) bessere Empathiefähigkeit, bessere Bindungs- und Liebesfähigkeit größere Fürsorglichkeit anderen gegenüber Erwiderung von Sympathie (und Ablehnung) erfolgreichere Lebensbewältigung, Durchsetzungsfähigkeit höhere Lebenszufriedenheit mehr psychische und körperliche Gesundheit, weniger stressbelastet weniger drogenanfällig, weniger gesundheitsschädigendes Verhalten Dr. Fox, 2016 13 Attributionstendenzen Ursachenzuschreibungen für Verhalten • Bei der Selbstwahrnehmung wird das eigene Verhalten eher als abhängig von situativen Bedingungen (externale Attribution) interpretiert, also als situationsangepasst, variabel und zielgerichtet: Ich reagiere flexibel auf jeweilige Situationsbedingungen! • Bei der Fremdwahrnehmung wird das Verhalten des anderen eher auf innere Faktoren wie Persönlichkeitsmerkmale (internale Attribution) zurückgeführt: Der ist immer so! Dr. Fox, 2016 14 Attributionstendenzen Ursachenzuschreibungen für eigenes Verhalten Tendenz zu selbstwerterhaltenden Attributionen – eigene Erfolge werden internal attribuiert und zwar auf stabile und globale Persönlichkeitsmerkmale – eigene Misserfolge werden external attribuiert und internal auf instabile und spezifische Merkmale – Personen, die mit eigenen Bewertungen übereinstimmen, werden als intelligenter eingeschätzt als solche, die nicht übereinstimmen Funktion: Durch Selbstwerterhalt wenig Entmutigung bei Misserfolgen. Man bleibt eher dran... Dr. Fox, 2016 15 Attributionstendenzen Ursachenzuschreibungen für fremdes Verhalten • die situativen Einflüsse auf den anderen werden systematisch unterschätzt • Ursachen werden auf vermeintlich stabile persönliche Eigenschaften und Einstellungen attribuiert Gründe: dem Beurteiler sind situative Kontexte beim anderen wenig bekannt Abhilfe: um das Verhalten des anderen besser beurteilen zu können, bedarf es Kompetenz, Bewusstheit der prinzipiellen Fehleranfälligkeit von Personenbeurteilungen, Selbstbewusstheit, Empathie und die Beschränkung der Beurteilung auf das Verhalten der Person: nicht die Persönlichkeit beurteilen, sondern das Verhalten in einem bestimmten situativen Kontext! Dr. Fox, 2016 16 Attributionstendenzen weitere dysfunktionale Attributionsstile • depressiver AS: eigene Erfolge werden situativen, glücklichen Umstände attribuiert; eigene Misserfolge werden stabilen und globalen Persönlichkeitsmerkmalen zugeschrieben Funktion: Abschiebung von Eigenverantwortlichkeit; legitimiert mangelndes Engagement • feindseliger AS: misstrauisch, anderen feindselige oder egoistische Absichten unterstellen Funktion: dient der Rechtfertigung eigener Aggressionen; stabilisiert Aggressionen; legitimiert Ab- und Ausgrenzungen sowie mangelnde Kooperationsbereitschaft; erhält die Gruppenkohäsion in Bedrohungssituationen Dr. Fox, 2016 17 Attributionsmuster in beschädigten Beziehungen • positives Verhalten des anderen wird instabilen zufälligen Umstände zugeschrieben, seiner eigentlichen Nichtabsicht, egoistischen oder anderen vermeintlich negativen Motivationen • negatives Verhalten wird stabilen und globalen persönliche Eigenschaften des anderen zugeschrieben, einer Absicht sowie egoistischen oder anderen negativen Motivationen Dieses Attributionsmuster ist nicht nur Folge negativer Beziehungen, sondern hat auch den Status einer Prognose und eines Risikofaktors! Dr. Fox, 2016 18 Attributionen von Verantwortlichkeit Personen werden für negative Folgen ihres Verhaltens umso mehr persönlich verantwortlich (und nicht als situationsabhängig) beurteilt, • je größer der Schaden • je fremder und entfernter sie dem Beurteiler erscheinen • je weniger attraktiv Funktion: die eigene Bedrohtheit zu beschwichtigen sowie der Erhalt des Glaubens an eine „gerechte Welt“ erklärt das Phänomen, z. B. Gewaltopfern eine Mitschuld zuzuschreiben Dr. Fox, 2016 19 Gehorsamkeit und Autoritätsgläubigkeit Ergebnisse des Milgram-Experiments • zwei Drittel der VPn gehorchten dem Versuchsleiter als Autoritätsperson, indem sie - eigene moralische Werte negierend - höchst körperschädigende Bestrafungen an „Opfern“ vollstreckten • fühlen sich die „Bestrafer“ als „Rädchen im Getriebe“ erhöht sich die Gehorsamsrate auf 92,5% • diese Gehorsamsrate reduziert sich drastisch auf 10%, wenn zwei Vorbilder inhumanen Gehorsam verweigern • mit zunehmender Nähe zum Opfer fällt die Gehorsamsrate kontinuierlich ab Fazit: Personen werden in ihrem Verhalten von situativen Einflüssen geleitet; sie verlieren ihre moralischen Motivationen, wenn sie die Eigenverantwortlichkeit für ihr Handeln an eine Autorität abschieben Dr. Fox, 2016 20 Wahrnehmung Was ist Wahrnehmung? • eine aktiv gestaltete Rekonstruktion der Welt mit dem Ziel der Verhaltensanpassung an die Umwelt • durch Selektion wird eine drastische Reduktion der Datenmenge erreicht, wodurch Wahrnehmung erst möglich wird • Sinnesreizen werden durch Informationsverarbeitungsprozesse subjektive Bedeutungen abgerungen • diese Bedeutungsverleihung von Sinneseindrücken gelingt im Abgleich mit bereits abgespeicherten Erfahrungsbeständen • Wahrnehmung als Motivation für Erleben und Verhalten ist abhängig von der Biografie; Vergangenheit erklärt Gegenwart Dr. Fox, 2016 21 Wahrnehmung • • • • die Selektion der Wahrnehmung ist abhängig von den Fähigkeiten der Sinnesorgane, den neurophysiologischen Reizweiterleitungen (Transmitterprozesse) und der aktiv interpretierenden, (be-)deutenden Informationsverarbeitung diese Informationsherstellung verläuft eher datengesteuert (bottom-up) in unbekannten und uneindeutigen Situationen sie verläuft eher konzeptgesteuert (top-down) in bekannten Situationen: Erwartungshaltungen lenken durch bereits vorhandene Konzepte die aktuelle Wahrnehmung (z. B. in bekannten Räumen, in langjährigen Beziehungen das Bild vom anderen, etc.) und erschweren Detailwahrnehmungen je stärker die Erwartungshaltung, desto geringer die differenziertere Wahrnehmung, desto stärker die rigide Vorurteilsbildung Dr. Fox, 2016 22 Einstellungen • Einstellung: Bewertung (negativ, positiv, neutral) von Verhaltensweisen, Begriffssystemen, Personen, Reizen, Erfahrungen... • Kognitive Dissonanz: widersprüchliche Einstellungen gegenüber einem Einstellungsobjekt erzeugen innere Spannungszustände; die darauf üblichen Reaktion sind Dissonanzreduktionsstrategien: • Rationalisierungen, Verharmlosungen missliebiger Argumente, Anpassung der Einstellung an das Verhalten • Aufnahme neuer Informationen, die den missliebigen entgegengesetzt sind, bis zur Dissonanzauflösung Merke Der Mensch ist nicht ein rationales, sondern ein rationalisierendes Wesen ! Dr. Fox, 2016 23 Vorurteile Vorurteile sind emotional gefärbte, irrationale negative Einstellungen meist gegenüber Angehörigen anderer Gruppen • Vorurteile sind Rückschlüsse von einem oder mehrerer Mitglieder einer Gruppe auf die Gesamtheit der Gruppe und von der Gruppe auch wieder zurück auf einzelne Mitglieder- es ist also ein Beurteilungssystem zweier sich wechselseitig aufschaukelnder Fehlschlüsse • Stereotypen sind dann die Verfestigungen der behaupteten Gemeinsamkeit dieser beiden Fehlschlüsse; Stereotypen sind dann die kognitiven Komponenten • Emotionalität äußert sich dann oft in Feindseligkeit und entzieht sich rationaler Argumentationen • die entsprechende Handlungsebene zeigt sich in Diskriminierungen, ungerechten Behandlungen bis hin zu Gettoisierungen, Ausgrenzungen und Gewalthandlungen Dr. Fox, 2016 24 Vorurteile Funktionen der Vorurteile • • • • Selbstwerterhöhung bei geringem SW Gruppenkohäsion, „Wir-Gefühl“ Sicherung von Macht und Dominanz Aggressionsbereitschaft im Kampf um begrenzte Ressourcen • Reaktion auf Frustration von Bedürfnissen • Der Selbsthass wird als Hass auf die vermeintlich Hassenswerteren projiziert Dr. Fox, 2016 25 Vorurteilsbildung • Stereotypisierungen sind Urteilssimplifizierungen (dienen der Ökonomisierung von Beurteilungen, der Reduktion von komplexen Phänomenen auf wenige, selektive Signalreize) oder Wahrnehmungsverzerrungen: – Kategorisierung/ Typisierung: Einordnung von Menschen in Typen, Geschlecht, Gruppen, Berufsgruppen, Nationen, Organisationen – Stereotyp: auf alle Gruppenmitglieder werden ungeprüft zugeordnete und verfestigte Merkmalskomplexe übertragen: Die sind alle so! – Stereotypisierung: Übertragung des Stereotyps auf ein einzelnes Gruppenmitglied Dr. Fox, 2016 26 Vorurteilsbildung: Fremdenfeindlichkeit Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus sind ethnische Vorurteile; abwertende stereotype Einstellungen gegenüber einer Ethnie; sind abhängig von: • Ethnozentrismus (eigene Gruppe gilt als höherwertig) • wenig tatsächliche intergruppale persönliche Kontakte • niedriger Sozialstatus, soziale Benachteiligungen, keine Bildungsteilhabe, Opfer elterlicher Misshandlungen, autoritäres Familienklima • niedriges Selbstwertgefühl, niedrige Intelligenz, Intoleranz gegenüber der Mehrdeutigkeit und Wechselhaftigkeit des Daseins, wenig Selbstreflexion • Der autoritäre Charakter, der Fromm (1932) und Adorno (1950) als Nährboden der Vorurteilsbildung gilt, ist zugleich autoritär und autoritätshörig; er gibt die Repression, die er durch andere erfahren hat, an die weiter, die er mittels Vorurteile unter sich gestellt wahrnimmt; in einer verteilungsungerechten Gesellschaft kämpfen die Verlierer gegen die Verlierer und werden so zu den Stabilisatoren des Systems, das sie zu Verlieren gemacht hat • Angst der „Satten“, etwas zu verlieren bei Erhöhung der Verteilungsgerechtigkeit Die glücklichen Sklaven sind die erbittertsten Feinde der Freiheit. (Ebner-Eschenbach, um 1860) Dr. Fox, 2016 27 Erwartungshaltungen Selbsterfüllende Prophezeiung Pygmalion Effekt oder Rosenthal- Experiment • Der Pygmalion Effekt zeigt die Macht, die eine Erwartung an den Anderen hat über dessen Selbstbild-Konstruktion; in Folgeexperimenten des klassischen Rosenthal Experiment (mit Studenten, die die Lernleistungen genetisch vergleichbarer Ratten nichtbewusst beeinflussten in Abhängigkeit ihrer positiven bzw. negativen Leistungserwartung) zeigte sich, wie sich die • • (unbegründete) vorweggenommene positive Einschätzung einer Person (Schüler) durch einen Beurteiler (Lehrer) im späteren Verlauf bestätigt. Der Grund für die faktische Leistungssteigerung (bis zu 20 IQ-Punkte Zugewinn innerhalb eines Schuljahres) bei etwa 40% der positiv etikettierten Schüler (in den unteren Schulklassen, in höheren verliert sich der Effekt) kann im Rosenthal Experiment nur in den Erwartungen der Lehrer gegenüber diesen Schülern gelegen haben. Hier zeigt sich die Macht der wechselseitigen Beeinflussung auf das Selbstkonzept und die Entwicklung von Persönlichkeitsmerkmalen (hier: Intelligenz) in Abhängigkeit von der Erwartung des Anderen an die eigene Person Dr. Fox, 2016 28 Effekte von Merkmalsreihenfolgen und zentralen Merkmalen bei der Personenwahrnehmung Tests nach Asch Reihenfolgeneffekt intelligent-fleißig-impulsiv-kritisch-hartnäckig- neidisch neidisch-hartnäckig-kritisch-impulsiv-fleißig-intelligent zentrales Merkmal intelligent- geschickt-fleißig-warmherzig-entschlossen-praktisch-vorsichtig intelligent- geschickt-fleißig-kalt-entschlossen-praktisch-vorsichtig jeweils anschließend nach Sympathie einschätzen oder nach der Ausprägung anderer Merkmale beurteilen Dr. Fox, 2016 29 Soziale Wahrnehmung Untersuchung sozialer Einflussfaktoren auf die Wahrnehmung des Einzelnen Asch-Experiment durch soziale Vergleichsprozesse passen Individuen ihre zunächst individuellen Wahrnehmungen der majoren Gruppenwahrnehmung an und entwickeln eine Gruppenkonformität in Wahrnehmung und Bewertung – Linienlänge wird bei drei Referenzlinien zunächst korrekt bewertet, wenn aber 5-7 eingeweihte Vpn bewusst falsche Urteile abgeben, sinkt die Rate der korrekten Bewertungen auf ca. 25% Fazit: es gibt eine soziale Konformität, eine Beurteilungstendenz in Richtung Mehrheitsmeinung Grund: Beseitigung kognitiver Dissonanzen, Zugehörigkeitsbedürfnis Dr. Fox, 2016 30 Beurteilungsfehler Systematische Verzerrungen bei Personen-Wahrnehmung • • • • • • • Konditionierungen, kontext- und rollenabhängige Bewertungen Assimilationseffekte/ projektive Ähnlichkeit: Einstellungen der anderen erscheinen den eigenen ähnlicher als tatsächlich Kontrasteffekte: verschiedener als tatsächlich implizite Persönlichkeitstheorien inferieren nach zentralen Merkmalen zum Beispiel: warm-kaltherzig, intelligent-dumm generelle Merkmal-Bewertungsmaßstäbe: soziale und intellektuelle Kriterien Halo-Effekt: Tendenz zur fälschlicherweise konsistenten Bewertung von unterschiedlichen Merkmale: generell positiv oder generell negativ Positionseffekt: Dominanz des ersten Eindrucks; Dominanz des letzten Eindrucks bei längerem Zeitabstand zwischen verschiedenen Eindrücken Stimmungseffekt: negative Stimmung verstärkt negative Beurteilung v.v. • • Urteilsgenauigkeit unterliegt vielfältigen Fehlern: – Unter-Überschätzung der interpersonalen Konstanz, Variabilität und Stereotypie von Merkmalen Fazit: Der Mensch ist ein schlechter Menschenkenner! Dr. Fox, 2016 31 Änderung von Einstellungen durch Kommunikation Sympathie des Senders als größter Einflussfaktor • bewirkt Appetenzverhalten beim Empfänger • Verhaltensänderungen beim Empfänger sind schneller, bedeutsamer und nachhaltiger • Modell- und Imitationslernen effektiv • auch Unterricht ist effektiver bei Begeisterung des Senders für sein Fach • Kritik wird eher angenommen Dr. Fox, 2016 32 Anzeichen von Sympathie • • • • • • Dauer des Blickkontakts länger Pupillendurchmesser größer geringere räumliche Distanz häufigeres Ansprechen häufigerer (beiläufiger) Körperkontakt Synchronizität der Körperbewegungen und Haltungen Dr. Fox, 2016 33 Änderung von Einstellungen durch Kommunikation Einflussfaktoren beim Empfänger Beeinflussbarkeit • unterschiedliche Suggestibilität, allerdings situations- und senderabhängig • Geschlecht • Selbstkonzept, Selbstwertgefühl: Menschen, die einem Sympathie entgegenbringen, werden ebenfalls sympathisch bewertet- aber nur bei positiven Selbstbild des Empfängers, bei negativen Selbstbild gegenläufig (Tendenz zur Bewertungskonsistenz) Dr. Fox, 2016 34 Kooperation Definition kooperatives Verhalten zielt auf den gemeinsamen Nutzen der Interaktionspartner altruistisches oder prosoziales Verhalten zielt auf den Nutzen des Partners (ist aber niemals „selbstlos“, da soziale Anerkennung, evolutionäre Vorteile oder Erhabenheitsgefühle in der Folge belohnend wirken) wettbewerb- oder konkurrenzorientiertes Verhalten zielt vor allem auf Eigennutz Dr. Fox, 2016 35 Kooperation • Kooperation ist für den Menschen überlebensnotwendig • Kooperation als Evolutionsvorteil, erhöht Effektivität und Schutz für die Gruppe • Kooperatives Verhalten setzt Vertrauen voraus, dass sich auch der andere kooperativ verhält • Kooperationswürdigkeit des anderen wird spontan im ersten Eindruck eingeschätzt Dr. Fox, 2016 36 Kooperation prosoziales und kooperatives Verhalten • entspringt dem Bedürfnis nach Gruppenzugehörigkeit und Selbstwerterhöhung • Reflexe, zu helfen, entwicklungspsychologisch schon sehr früh (Hinweis auf biopsychologische Grundlage) • wird vermittelt über Lernen: Modelllernen, Nachahmung, Imitation, Erfolgslernen, Botschaften, Internalisierung von Normen sozialer Verantwortung Aber: Erfolg ist hier nicht materieller Art, sondern wird erlebt inform positiven sozialen Feedbacks! Dr. Fox, 2016 37 Kooperation Einstellungen als Kooperationsbedingungen • generelle Einstellungen (Bewertungen) zur Kooperation: konkurrenz- und statusorientierte Personen kooperieren generell seltener als kooperationseingestellte • liberale versus autoritäre Einstellungen (familiär erworben): liberale Personen sind überwiegend vertrauensvoll und vertrauenswürdig deutlich autoritär eingestellte sind überwiegend misstrauisch und vertrauensunwürdig • bei internaler Kontrollüberzeugung höhere Kooperation Merke: Kooperation ist nicht selbstverständlich. Unkooperatives Verhalten ist zunächst häufiger. Kooperation wird über Erfolg stabilisiert Dr. Fox, 2016 38 Kooperation • • • • Kooperationsförderlich: kommunikativer Austausch vor der Kooperationssituation: erhöht deutlich die Kooperationsrate bei zunächst kooperationsunwilligen Interaktionspartnern selektive Belohnungen für kooperatives Verhalten konsekutives Kooperationsverhalten: – konstruktiv ist ein bedingt kooperatives Verhalten: weitere Kooperation nur dann, wenn Partner kooperiert hat – bedingungslose Kooperation oder Nichtkooperation senkt die Kooperationsrate des Partners erwartetes Kooperationsverhalten des Partners: – erwartete Kooperation erhöht eigene K – erwartete Nichtkooperation erhöht eigene NK – kooperativ eingestellte Partner erwarten eher Kooperation – konkurrenzorientierte erwarten eher Nichtkooperation Dr. Fox, 2016 39 Kooperation • Situationsfaktoren als Kooperationsbedingungen möglicher Gewinn und Verlust: – je höher der mögliche Gewinn für beide Interaktionspartner bei Kooperation beider, desto stärker die Kooperationsneigung – je höher der mögliche Verlust für beide bei Egoismus beider, desto stärker die Kooperationsneigung – je höher die mögliche Gewinnerwartung bei eigenem Egoismus und gleichzeitiger Kooperation des Partners, desto schwächer die KN – je höher der mögliche Verlust bei eigener Kooperation und gleichzeitigem Egoismus des Partners, desto schwächer die KN Merke: Wenn nur ein Partner egoistisch handelt, senkt sich die Kooperationsneigung aller! Und: Zunächst ist der Mensch eigennützig motiviert! Aber: sich als fair behandelt fühlende Personen handeln kooperativer! Dr. Fox, 2016 40 Fairness • Der Mensch hat– ebenso die großen Menschenaffen (vgl. Experimente von Frans de Waal an Primaten)- bereits frühkindlich- einen Sinn für Fairness: Der Mensch handelt nicht ökonomisch-rational, sondern auch moralisch oder nach einem Empfinden für Gerechtigkeit: Das Verhalten in entsprechenden Versuchen (Menschen spielen dabei meist um Geld) zeigt, dass Menschen beim Ultimatum-Spiel (vgl. Fehrs) ihren Spielpartnern in der Regel die Hälfte der Belohnung zukommen lassen. Sie sichern sich allerdings einen größeren Anteil des Gewinns, wenn ihr Partner keine Möglichkeit des Einspruchs hat. • Sinn für Fairness hat die Funktion der besseren Kooperation und der Reduktion von Egoismus • • PS: Erleben von Unfairness zeigt sich hirnphysiologisch in den neuronalen Netzwerken (Insula) , in denen auch Schmerzen erlebt werden PSS: Ein unbegrenztes Wachstum führt zu Krebsgeschwüren, ein unbegrenztes Wachstum von Egoisten würde das Verderben aller bedeuten Dr. Fox, 2016 41 Kooperation Situationsfaktoren als Kooperationsbedingungen • Macht in asymmetrischen Beziehungen: – der machtvolle Partner zeigt weniger Kooperationsneigung als der schwächere Partner – der machtvolle Partner kann den schwachen Partner eher zur Kooperation veranlassen als umgekehrt • Macht in symmetrischen Beziehungen: – bei zweiseitigen Drohungspotenzialen erhöht sich das Risiko für Verluste bei beiden, vor allem dann, wenn die Drohungspotenziale nicht exakt gleichwertig sind Dr. Fox, 2016 42 Altruismus Altruismus wird verstärkt durch • selektive Belohnung • soziale Normen • Selbstverstärkung, Gefühl der Erhabenheit • Lernen durch Beobachtung einer beliebten Modellperson • Beobachtung anderer Hilfe leistender Personen • gegenseitige Hilfeleistungen, Reziprozität des Altruismus • Training von Empathie: – Empathie erhöht Hilfeleistungen – Empathie nimmt zu bei Ähnlichkeit und Nähe zum Hilfsbedürftigen Dr. Fox, 2016 43 Altruismus • • • • Altruismus wird geschwächt durch Partner verhält sich nicht ebenfalls hilfsbereit aversive Konsequenzen bei geleisteter Hilfe, Misserfolg, eigener Schaden, Stigmatisierungen, Ausgenutzt werden hoher Aufwand, Zeitdruck nichtreagierende Zuschauer: die Wahrscheinlichkeit prosozialen Handelns nimmt mit der Anzahl anwesender Personen ab Gründe: Abschiebung der Verantwortung; auch die fälschliche Annahme, man würde die Situation angesichts der Passivität der Interaktionspartner dramatisieren und sich bei Eingreifen blamieren Abhilfe: Verantwortung laut ansprechen und verteilen, eigenes Eingreifen laut ankündigen und das der anderen einfordern! Dr. Fox, 2016 44 Prosoziales Handeln Prozessmodell prosozialen Handelns Stufe 1: Wahrnehmung, Aufmerksamkeit Stufe 2: Bewusstheit eigener sozialer Verantwortung Stufe 3: Kosten-Nutzen-Abwägung Stufe 4: Konsequenz – überwiegt erwarteter Nutzen, tritt prosoziales Handel auf – überwiegen erwartete Kosten, erfolgen zum Selbstwertschutz Rationalisierungen auf den Stufen 1-3 • Stufe1: „ich hab nichts gesehen“ „alles halb so schlimm“ • Stufe2: “warum gerade ich?“ • Stufe3: „ich schaff das nicht“ „man kann nichts dagegen tun“ Dr. Fox, 2016 45