Diabetes mellitus

Werbung
103
14 Diabetes mellitus
R. Holl
In deutschsprachigen Ländern sind weiterhin über 90 % der Kinder
und Jugendlichen mit Diabetes dem Typ-I-Diabetes zuzuordnen,
auch wenn in den letzten Jahren andere Diabetestypen (neonataler
Diabetes, Typ-II-Diabetes bei Jugendlichen, MODY und Diabetes
bei Mukoviszidose) vermehrt in das Blickfeld gerückt sind.
zz Definition und Ätiologie
>> Diabetes mellitus ist durch eine chronische Erhöhung des Blut-
zuckers als Folge eines Insulinmangels und/oder durch eine
verminderte Wirkung des Insulins (Insulinresistenz) charakterisiert.
Eine ätiologische Einteilung des Diabetes mellitus ist in . Tab. 14.1
dargestellt.
zz Typ-I-Diabetes
In Deutschland erkranken jährlich von 100.000 Kindern unter
15 Jahren etwa 20 an einem Diabetes Typ I. In Europa wird die
höchste Inzidenz aus Finnland mit 64/100.000 berichtet, gefolgt von
Schweden und Norwegen. Die jährliche Zunahme der Inzidenz beträgt in Deutschland wie in vielen europäischen Ländern ca. 4 %, ein
stärkerer Anstieg (ca. 6 %) wird bei Kleinkindern beobachtet. Aus
Schweden wurde erstmals über einen Stopp dieser Zunahme berichtet. Aktuell ist von 17.000 Patienten mit DM Typ 1 unter 14 Jahren
in Deutschland auszugehen (ca. 2500 Neuerkrankungen/Jahr), bzw.
von 30.000 Patienten unter 20 Jahren.
Der Typ-I-Diabetes beruht auf einer schrittweisen autoimmunologischen Zerstörung der β-Zellen der Langerhans-Inseln des
Pankreas. Nach Manifestation der Erkrankung und adäquater Therapie zeigt sich oft eine Remissionsphase mit zwar verminderter,
aber noch nachweisbarer Restsekretion von Insulin und C-Peptid.
Einige Jahre nach Manifestation der Erkrankung sistiert die Sekretion des Insulins. Insulin und C-Peptid sind dann nicht mehr
stimulierbar.
zz Typ-II-Diabetes
Pathogenetisch ist der Typ-II-Diabetes durch eine verzögerte Insulinsekretion und eine verminderte Insulinwirkung gekennzeichnet.
Nach einem Typ-II-Diabetes sollte gesucht werden, wenn Jugendliche älter als 10 Jahre und adipös sind und gleichzeitig weitere
Risikofaktoren bestehen (Typ-II-Diabetes in der Familie, Zeichen
der Insulinresistenz wie z. B. Akanthosis nigricans, weitere Komorbidität wie Hypertension, Dyslipidämie oder PCO-Syndrom, oder
Patienten, die einer ethnischen Risikogruppe wie Asiaten, Indianern,
Afrikanern, Hispaniern entstammen). Diese Risikopatienten sowie
alle extrem adipösen Jugendlichen (BMI >99,5. Perzentile) sollten
2-jährlich mit HbA1c-Messung, nüchtern-BZ und/oder oralem Glukosetoleranztest (OGTT) untersucht werden.
zz Genetische Defekte der β-Zellen
MODY 1–9
Der „maturity-onset diabetes of the young“ (MODY 1–9) stellt eine
dominant vererbte, heterogene Krankheitsgruppe dar mit Krankheitsbeginn in der Regel vor dem 25. Lebensjahr. Die im Pankreas
lokalisierten Defekte betreffen bei MODY 1 und 3–6 Transskripti-
onsfaktoren und bei MODY 2 das Schlüsselenzym der Glykolyse,
die Glukokinase.
MIDD „Maternally inherited diabetes and deafness“ (MIDD) be-
ruht meistens auf einer Punktmutation der mitochondrialen DNS in
Position 3243. Da die mitochondriale DNS von der Mutter stammt,
kann die Krankheit nur mütterlich vererbt werden. Es ist bislang nicht
geklärt, warum die gleiche Punktmutation einmal zu MIDD, in anderen Fällen zum MELAS-Syndrom (mitochondriale Myopathie, Enzephalopathie, Laktazidose, schlaganfallähnliche Symptomatik) führen
kann. Bei Patienten mit MELAS-Syndrom besteht selten ein Diabetes.
zz Insulinresistenz
Die genetisch bedingte Insulinresistenz ist durch extrem hohe Insulinkonzentrationen im Plasma häufig zusammen mit einer Acanthosis nigricans und einer gesteigerten Androgenproduktion gekennzeichnet. Eine große Anzahl von Mutationen im Insulinrezeptor
wurde beschrieben.
zz Stresshyperglykämie
Im Rahmen von Virusinfekten und anderen Stressereignissen werden bei Kindern temporär erhöhte Blutzuckerwerte beobachtet, die
sich unter Infusionstherapie ohne Insulingabe rasch bessern. Immer
muss aber auch an die Möglichkeit eines beginnenden Typ-I-Diabetes gedacht werden (β-Zell-Autoantikörper-Bestimmung).
zz Genetik
Erkranken eineiige Zwillinge an einem Diabetes mellitus, so sind
bei Typ-II-Diabetes nahezu stets beide Zwillinge betroffen, während
bei Typ I in weniger als 50 % beide Zwillinge erkranken werden.
Genetik und weitgehend unbekannte Umweltfaktoren bedingen den
Typ-I-Diabetes. So sind 95 % der Typ-I-Diabetiker gegenüber 40 %
der Normalbevölkerung Träger der HLA-Allele DR3 und/oder DR4.
Diese Gene bestimmen das Risiko von Erkrankungen bei Geschwistern und Eltern. Es beträgt 10–20 %, sofern beide Haplotypen, 5 %,
sofern ein Haplotyp und 1 %, wenn kein Haplotyp mit dem an Diabetes erkrankten Geschwister übereinstimmt.
zz Immunologie
Der Typ-I-Diabetes ist eine Erkrankung der T-Zellen mit Überwiegen der TH1-Zellen gegenüber TH2-Zellen. Nach Invasion der
Langerhans-Inseln durch TH1-Zellen werden die insulinproduzierenden β-Zellen zerstört. Der Vorgang wird als Insulitis bezeichnet.
Durch die autoimmunologische Zerstörung der β-Zellen werden
Antikörper gegen Autoantigene der Langerhans-Inseln gebildet. Der
Nachweis von ICA (”islet cell antibodies”) in der Immunfluoreszenz
schließt unterschiedliche Antigene ein. Die vier wichtigsten definierten Autoantigene sind Insulin (IAA), die 65-kD-Isoform der Glutamatdecarboxylase (GAD 65), die Proteintyrosinphosphatase (IA2/
IA2B) sowie der Zinktransporter (ZnT8-AK). Durch Bestimmung
der Antikörper bei Angehörigen ersten Grades ist es möglich, Jahre
vor Manifestation des Diabetes das Erkrankungsrisiko anzugeben.
Positivität mehrerer Antikörper erhöht die Wahrscheinlichkeit der
Erkrankung. Eine gesicherte Prävention ist noch nicht möglich, jedoch werden experimentelle Studien mit diesem Ziel durchgeführt.
Interessierte Familien sollten hierüber informiert werden.
D. Reinhardt, T. Nicolai, K.-P. Zimmer (Hrsg.), Therapie der Krankheiten im Kindes- und Jugendalter,
DOI 10.1007/978-3-642-41814-3_14, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
14
Kapitel 14 • Diabetes mellitus
104
1
2
3
4
.. Tab. 14.1 Ätiologische Einteilung des Diabetes mellitus
I
Typ-I-Diabetes
A
Immunologisch bedingt
B
Idiopathisch
II
Typ-II-Diabetes
III
Andere spezifische Typen
A
Genetische Defekte der β-Zellen
5
MODY Typ 1–6
6
Neonataler Diabetes u. a.
Wolfram-Syndrom
7
B
Mitochondrialer Diabetes
C
Genetische Defekte der Insulinwirkung
Insulinresistenz Typ A
8
Leprechaunismus
Rabson-Mendenhall-Syndrom
9
Lipoatrophischer Diabetes u. a.
D
10
Verkalkende Pankreatopathie, Pankreatitis, Mukovis­
zidose, Hämochromatose u. a.
11
E
Hyperthyreose, Glukagonom, Somatostatinom u. a.
F
13
G
H
16
17
I
23
IV
zz Oraler Glukosetoleranztest
Der orale Glukosetoleranztest (OGTT) beruht auf den Empfehlungen der WHO.
1. Während der letzten 3 Tage vor Durchführung des Tests sollen
mindesten 50 % der zugeführten Kalorien aus Kohlenhydraten
bestehen.
2. Nach einer 12- bis 14-stündigen nächtlichen Fastenperiode (Minimum 10 h, Maximum 16 h) erhält der Patient 1,75 g/kgKG
Glukose oder ein Oligosaccharid wie z. B. Dextro O.G.T. Die
Höchstmenge der zugeführten Glukose von 75 g entspricht der
Dosis des Erwachsenen. Die Konzentration der Glukose- bzw.
Oligosaccharidlösung soll 25 g/dl nicht übersteigen.
3. Nach der Blutentnahme zur Bestimmung des Nüchternblutzuckers soll die Testlösung innerhalb von 5 min getrunken werden.
4. Der Test wird im Sitzen oder Liegen durchgeführt, keine Muskelanstrengung, kein Rauchen.
5. Nach 120 min wird wiederum die Blutglukose gemessen.
Die Bestimmung muss mit einer qualitätsgesicherten Methode durchgeführt werden, Teststreifenmethoden der Patienten-BZ-Selbstkontrolle sind ungeeignet. Wenn Bestimmung/Zentrifugation nicht sofort
erfolgen, müssen Röhrchen mit Natriumfluorid zur Hemmung der
Glykolyse verwendet werden (sonst falsch-niedrige Werte).
zz Blutzuckerwerte
Blutzuckerwerte werden heute fast immer auf venöses Plasma kalibriert. Ein Diabetes liegt vor, wenn eines der folgenden Kriterien
erreicht oder überschritten wird:
Seltene Ursachen des immunologisch bedingten
Diabetes
1)
Stiff-person-Syndrom, Antiinsulinrezeptor-Antikörper
= Insulinresistenz Typ B u. a.
2)
Syndrome und Diabetes
Down, Klinefelter, Turner, Wolfram, Friedreich-Ataxie,
Chorea Huntington, myotone Dystrophie, Prader-Willi,
Laurence-Moon-Bardet-Biedl, Porphyrie u. a.
18
22
Infektionen
Kongenitale Röteln, CMV u. a.
15
21
Medikamente bzw. Chemikalien
Glukokortikoide, Thyroxin, Nikotinsäure, Thiazide, Diazoxid, β-adrenerge Agonisten, α-Interferon, Vacor u. a.
14
20
Endokrinopathien
Akromegalie, Cushing-Syndrom, Phäochromozytom,
12
19
Erkrankungen des exokrinen Pankreas
Es ist nachdrücklich zu betonen, dass weder die klinischen Symptome allein noch eine einmalige Blutzuckerkonzentration über
200 mg/dl alleine es erlauben, die Diagnose eines Diabetes mellitus zu stellen. Bei einem asymptomatischen Patienten, bei dem z. B.
während einer Infusionsbehandlung stark erhöhte Blutzuckerwerte
gemessen wurden, muss zur Sicherung oder Ausschluss der Diagnose nach Abklingen der akuten Erkrankung ein oraler Glukosetoleranztest und/oder eine HbA1c-Bestimmung durchgeführt werden.
Gestationsdiabetes
zz Diagnose
Bei Kindern und Jugendlichen ist die Diagnose eines Diabetes mellitus einfach zu stellen, sofern beachtet wird, dass der Diabetes mit
und ohne klinische Symptome auftreten kann.
>> Erkranken Kinder oder Jugendliche an den auf einen Diabetes
hinweisenden Symptomen wie Polydipsie, Polyurie, erneute
Nykturie, rasche Gewichtsabnahme, Müdigkeit etc., wird
gleichzeitig eine Acetonurie nachgewiesen und liegt der zu
irgendeiner Tageszeit gemessene Blutzucker über 200 mg/
dl (11,1 mmol/l), so ist die Diagnose eines Diabetes mellitus
gesichert.
Diabetes-typische Symptome
plus ein Blutzuckerwert
≥200 mg/dl (≥11,1 mmol/l)
venöses Vollblut:
≥180 mg/dl (≥10,0 mmol/l)
Nüchternblutzucker
≥126 mg/dl (≥7,0 mmol/l)
venöses Vollblut:
≥113 mg/dl (≥6,3 mmol/l)
3)
2-Stunden-Wert im OGTT
≥200 mg/dl (≥11,1 mmol/l)
4)
HbA1c-Wert
≥6,5 % (≥48 mmol/mol)
Bei asymptomatischen Patienten muss eine zweite Untersuchung mit
einigen Tagen Abstand erneut den Grenzwert überschreiten, damit
die Diagnose Diabetes rein biochemisch gestellt werden kann. Bei
Kindern ist die diagnostische Verlässlichkeit des OGTT erheblich
höher als die Bestimmung der Nüchternglukose. Eine Diagnose
über den HbA1c-Wert wurde durch die amerikanische Diabetesgesellschaft neu eingeführt, es liegen noch wenige Erfahrungen bei
Kindern und Jugendlichen vor. Das Kriterium ist bei Neugeborenen (HbF), bei Patienten mit Hämoglobinopathien, Urämie, ASSBehandlung, Einnahme von Vitamin C oder E, und bei Patienten
mit veränderter Erythrozytenüberlebensdauer (erhöhter HbA1c nach
Splenektomie, erniedrigte Werte, z. B. bei Behandlung mit Ribavirin
oder Dapson, oder bei CF-Patienten) nicht geeignet.
Zwischen normalem Glukosestoffwechsel und Diabetes mellitus
werden unter dem Begriff „Prädiabetes“ Risikokategorien für die
zukünftige Entwicklung eines Diabetes definiert:
105
Kapitel 14 • Diabetes mellitus
Abnorme Nüchternglukose
(IFG = „impaired fasting
glucose“):
Plasmaglukose 100–125 mg/dl
(5,6–6,9 mmol/l)
Gestörte Glukosetoleranz
(IGT = „impaired glucose
tolerance“):
2-h-Wert (venöses Plasma) 140–199 mg/dl
(7,8–11,1 mmol/l)
Graubereich HbA1c-Wert:
5,7–6,4 % (39–47 mmol/mol)
Die Amerikanische Diabetes-Gesellschaft hat im Jahr 2000 die
Grenze für die normale Nüchternglukose von 110 auf 100 mg/dl
gesenkt, die Deutsche Diabetes-Gesellschaft hat dies übernommen.
Nach WHO gilt aber weiter die Grenze von 110 mg/dl.
kk Therapie
zz Therapieziel
Als Therapieziele für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen
mit Typ-I-Diabetes können formuliert werden:
1. Vermeidung akuter Komplikationen wie schwere Hypoglykämie
oder ketoazidotische Entgleisung.
2. Vermeidung von diabetischen Folgeerkrankungen, v. a. Gefäßkomplikationen. Es ist gesichert, dass deren Entwicklung
durch Diabetesdauer und langfristige Stoffwechseleinstellung
wesentlich mitbestimmt werden. Zusätzlich spielen Hypertonie, Dyslipidämie und Zigarettenrauchen, zusammen mit nicht
beeinflussbaren genetischen Faktoren, eine erhebliche Rolle.
Eine weitgehende Normalisierung der Blutglukose ist deshalb
ab Beginn der Erkrankung anzustreben.
3. Normale körperliche Entwicklung (Wachstum, Gewichtszunahme, Pubertät, körperliche Leistungsfähigkeit).
4. Normale psychosoziale Entwicklung (Familie, Kindergarten,
Schule, Ausbildung, Beruf, Partnerschaft).
zz Therapieprinzip
Die Therapie des Diabetes mellitus beruht auf 4 Säulen:
1.Insulin,
2. gesunde Ernährung,
3.Schulung,
4. körperliche Bewegung/Sport.
zz Insuline
Insulinpräparate werden in kurzwirksame Insuline und Verzögerungsinsuline eingeteilt. Heute werden entweder Humaninsuline
oder gentechnologisch veränderte Analoginsuline eingesetzt. Tierische Insuline und Zinkinsuline (z. B. Semilente) sind nicht mehr
verfügbar.
Praxistipp | | Insuline werden heute meist in der Konzentration von 100 E/ml
hergestellt (U-100-Insuline), einige Hersteller bieten in Deutschland auch noch 40 E/ml (U-40-Insuline) an. Neben Insulinpens mit
Wechselampullen werden auch Fertigpens angeboten, sowie Insulinampullen zum Aufziehen in Einmalspritzen (Achtung: Spritze
muss zur Insulinkonzentration passen! Durch Verwechslung von
U-40- mit U-100-Insulinen kann es zu schweren Hypoglykämien
kommen) oder Pumpenreservoirs. Außerhalb Deutschlands (incl.
Österreich, Schweiz) wird fast nur U-100-Insulin eingesetzt.
Kurzwirksame Insuline: Normalinsuline und Insulinanaloga Nor-
malinsuline liegen als Hexamere in gelöster Form vor. Sie werden als Dimere oder Monomere resorbiert. Die Wirkung der
Normalinsuline setzt ca. 15 min nach subkutaner (s.c.-)Injektion
ein. Der Spritz-Ess-Abstand beträgt demnach bei normalem Blutzucker ca. 15 min, bei erhöhtem Blutzucker ca. 30 min. Die maximale
Wirkung wird nach 2 h erreicht, die Wirkungsdauer beträgt 5–7 h.
Bedingt durch die Löslichkeit – Umwandlung vom Hexamer zum
Dimer/Monomer – verlängert sich die Wirkdauer, wenn eine große
Menge Normalinsulin injiziert wird. Es bestehen keine therapeutisch
bedeutsamen Unterschiede zwischen den einzelnen Normalinsulinen im Hinblick auf Wirkungsbeginn, maximaler Wirkung oder
Wirkungsdauer.
Kurzwirksame Normalinsuline (Humaninsuline) sind:
Actrapid 100 IE,
Berlinsulin H Normal,
Huminsulin Normal 100,
Insuman Rapid 40 IE/100 IE, Infusat 100 IE.
---
Durch Modifikation des Insulins gelang es, kurzwirksame Insulin­
analoga zu synthetisieren. Nach s.c.-Injektion der Insulinanaloga
steigt das Insulin im Serum sofort an. Die physiologische rasche Insulinfreisetzung des Gesunden wird durch die Insulinanaloga besser
nachgeahmt als durch Normalinsulin. Die maximale Wirkung wird
nach 60 min erreicht, die Wirkungsdauer beträgt 2–3 h. Hypoglykämien sollen nach Insulinanaloga im Vergleich zu Normalinsulin
seltener auftreten.
Kurzwirksame Insulinanaloga sind:
Insulin Aspart (NovoRapid 100 E/ml, bisher für Kinder ab
2 Jahren und während der Schwangerschaft zugelassen),
Insulin LisPro (Humalog 100 E/ml, Liprolog 100 E/ml, ohne
Altersbegrenzung und während der Schwangerschaft zugelassen),
Insulin Glulisin (Apidra 100 E/ml, bisher für Kinder ab 6 Jahren zugelassen).
-
Inhalatives Insulin ist nicht mehr verfügbar.
Verzögerungsinsuline (Basalinsuline) Die verzögerte, subkutane
Freisetzung des Insulins wird durch NPH (neutrales Protamin Hagedorn) oder durch Modifikation des Insulinmoleküls und Zink
erreicht. NPH-Insuline bieten den Vorteil der freien Mischbarkeit
mit Normalinsulin, die Variabilität der Resorption scheint bei langwirkenden Analoginsulinen geringer zu sein.
NPH-Insuline Der Wirkungsbeginn der reinen NPH-Insuline wird
mit ca. 30 min angegeben, die maximale Wirkung wird nach 4–6(–
8) h erreicht, die Wirkungsdauer beträgt ca. 20–24 h. Die einzelnen
Präparate unterscheiden sich nicht voneinander:
Berlinsulin H Basal,
Huminsulin Basal (NPH) 100,
Insuman Basal 40 I.E./ml oder 100 I.E./ml,
Protaphane 100 I.E./ml.
---
Zinkinsulin Zinkinsuline sind aktuell in Deutschland nicht mehr
verfügbar.
Langwirkende Insulinanaloga Durch Modifikation der A-Kette des
Insulins mit Substitution von Gly durch Asn in Position 21, Verlängerung der B-Kette durch Arg-Arg, Zugabe von Zink und Lösung in
schwach saurem Milieu bei pH 4,0 entstand das Insulinanalog Glargin
(Lantus) mit einer weitgehend gleichmäßigen Wirkdauer von 24 h.
Ein zweites langwirkendes Analoginsulin entsteht durch Entfernung der Aminosäure Threonin in Position 30 der B-Kette und Kopplung einer Fettsäure (Myristinsäure) an das Lysin in Position 29. Der
14
Kapitel 14 • Diabetes mellitus
106
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
Verzögerungseffekt wird durch eine hohe Albuminbindung erreicht.
Insulin Detemir (Levemir 100 IE) wirkt mit ca. 20 h etwas kürzer als
Glargin-Insulin (Lantus). Meist sind deshalb zwei Injektionen notwendig, durch die Aufteilung in die Morgen- und Abenddosis kann
der zirkadian unterschiedliche Basalinsulinbedarf angenähert werden, z. B. beim Dawn-Phänomen. Im Vergleich zu NPH-Insulin oder
Glargin-Insulin sind im Mittel höhere Detemirdosen notwendig.
Beide langwirkenden Insulinanaloga sind nicht mit anderen Insulinen mischbar, Unterschiede der Resorption von Tag zu Tag sind
im Vergleich zu NPH-Insulin geringer. In Deutschland sind Detemir
und Glargin ab dem 2. Lebensjahr zugelassen.
Mischpräparate Feste Mischungen von Normal-/schnellem Analog-
und NPH-Insulinen werden in einer Vielzahl angeboten. Das Spektrum reicht von 10–50 % schnellwirkendem Anteil. Wie zu erwarten,
unterscheiden sich feste Mischungen von reinen NPH-Insulinen in
Wirkungsbeginn, maximaler Wirkung und Wirkdauer. Dass die klare
Trennung von Mahlzeiteninsulin bzw. Korrekturinsulin und mahlzeitenunabhängigem Verzögerungsinsulin aufgegeben wird, widerspricht
dem Konzept der intensivierten Insulintherapie mit separater Dosis­
anpassung für beide Anteile. Entsprechend werden feste Mischungen
im Kindesalter meist nur in speziellen Situationen eingesetzt.
Im Folgenden ist eine Auswahl der Mischpräparate von Normal- (oder Analog-) + NPH-Insulin aufgelistet. Die Zahl entspricht
jeweils dem Anteil an schnellwirkendem Insulin. Alle Mischungen
sind als U100-Insulin verfügbar, einige auch als U40-Insulin:
Mischungen mit Humaninsulin:
Actraphane 30, Actraphane 50,
Berlinsulin 30/70 (30 % Normalinsulin),
Huminsulin Profil III (30 % Normalinsulin),
Insulin B. Braun Comb 30/70 (30 % Normalinsulin, als U40
oder U100-Insulin),
Insuman Comb 15, Insuman Comb 25 (auch als U40-Insulin), Insuman Comb 50.
Mischungen mit schnellem Analoginsulin:
Humalog Mix25, Humalog Mix50,
Liprolog Mix25, Liprolog Mix50,
NovoMix 30.
- --- --
zz Ernährung
Nach den aktuellen Richtlinien der Deutschen und der Europäischen
Diabetes-Gesellschaft entspricht die empfohlene Ernährung von jungen Menschen mit Diabetes den Empfehlungen zur Ernährung für
gesunde Kinder und Jugendliche.
>> Eine besondere Diabetesdiät existiert nicht. Die Menge und
Zusammensetzung der zugeführten Kohlenhydrate muss mit
der Insulintherapie abgestimmt werden. Die tägliche Kalorienmenge eines diabetischen Kindes entspricht der eines
gesunden Kindes. Die Gesamtkalorien sollten sich zu 50–55 %
auf Kohlenhydrate, 30–35 % auf Fett und zu 15–20 % auf
Eiweiß verteilen.
In Deutschland verwenden Patienten meist BE, KE oder KHE als
Kohlenhydratschätzeinheit mit 10–12 g Kohlenhydrat. Um zuverlässiges Schätzen zu erlernen, sollen kohlenhydrathaltige Nahrungsmittel am Anfang und für gelegentliche Kontrollen abgewogen werden;
Zucker (Saccharose) in normalen Mengen (d. h. bis 10 % der täglichen Kalorienmenge), verteilt über den Tag und verpackt in andere
Lebensmittel, ist nicht verboten. Die Zuckerersatzstoffe Saccharin,
Cyclamat, Aspartame und Acesulfan-K enthalten keine Kalorien.
Dies gilt auch für Stevia, als E960 in der EU als Süßungsmittel zu-
gelassen. Die Zuckeraustauschstoffe Fruktose, Sorbit, Mannit und
Xylit bieten keine metabolischen Vorteile und werden nicht empfohlen. Die Ernährung soll faserreich sein, einfach ungesättigte Fette
(pflanzliche Fette) sind zu bevorzugen.
Ein wichtiges Ziel der Ernährungsberatung ist es, Übergewicht
zu vermeiden, da viele Patienten, v. a. Mädchen in der Pubertät, unter einer Insulintherapie überproportional an Gewicht zunehmen.
zz Schulung
>> Das Ziel der Schulung besteht in der vollständigen Information
der Eltern und Kinder bzw. Jugendlichen über den täglichen
Umgang mit dem Diabetes. Sie müssen in der Lage sein, selbstständig und rational auf nicht planbare Ergebnisse richtig zu
reagieren und eigene Ziele im Umgang mit der Diabeteserkrankung umzusetzen (Empowerment).
Die Vermittlung praktischer Gesichtspunkte steht im Vordergrund
des Unterrichts. Die Schulung beginnt bei der Erstmanifestation
durch qualifizierte Diabetesberater, einen Ernährungsberater und
einen Arzt (Kinderdiabetologen). Bei Kindern jünger als 6 Jahre
werden ausschließlich die Eltern geschult. Eine psychologische
Beratung der gesamten Familie soll die anfänglichen Ängste und
Selbstvorwürfe überwinden helfen und zur Akzeptanz der Erkrankung beitragen. Entsprechend Alter und Entwicklungsstand der Kinder und Jugendlichen sind wiederholte Nachschulungen, meist als
Gruppenschulung mit 6–8 Teilnehmern, wobei Eltern und Kinder
getrennt unterrichtet werden, zu ermöglichen. Idealerweise sind die
Schulungsgruppen homogen nach Alter und Diabetesphase. Auch
Lehrer, Erzieherinnen, Sporttrainer etc. müssen über Diabetesgrundkenntnisse verfügen und insbesondere über die Symptome
und die Behandlung von Hypoglykämien unterrichtet werden.
Zahlreiche Schulungsprogramme sind verfügbar und orientieren
sich an Kindern oder Jugendlichen mit Typ-I-Diabetes, auch Bücher
für Eltern und Broschüren für Erzieher und Lehrer liegen vor. Für
andere Diabetestypen müssen die Inhalte modular ausgewählt und
gegebenenfalls angepasst werden.
zz Psychologische Betreuung, soziale Beratung
Patienten und Eltern benötigen häufig stützende psychologische
Hilfe bei Manifestation, aber auch im Verlauf der Diabeteserkrankung (z. B. Umgang mit Hypoglykämien, Nadelphobien, Therapieverweigerung in der Pubertät etc.). Ein mit den Herausforderungen
des Diabetes bei Kindern vertrauter Psychologe sollte im pädiatrischen Diabetesteam verfügbar sein. Idealerweise wird bereits bei
Manifestation ein erster Kontakt hergestellt. Psychologische Themen sollten auch in Gruppenschulungen angesprochen werden.
Kinderpsychologische, in Ausnahmefällen auch kinderpsychiatrische, Hilfe sollte bei allen Krisen im Diabetesverlauf verfügbar sein.
Soziale Auswirkungen des Diabetes können Familien sehr belasten.
Themen wie Schwerbehindertenausweis, Integrationshilfe in Kindergarten und Schule, Führerschein oder Berufsberatung müssen mit
allen Familien kompetent besprochen werden.
zz Sport
Körperliche Aktivität erleichtert vielen Patienten eine gute Stoffwechseleinstellung und erhöht das Selbstwertgefühl. Ein Sportverbot
für Diabetespatienten ist obsolet.
>> Durch anstrengende körperliche Aktivität nimmt die Insulin-
empfindlichkeit zu und der Insulinbedarf ab. Sport senkt nur
zusammen mit Insulin den Blutzucker.
107
14.1 • Diabetes mellitus Typ I
Beträgt der Blutzucker ca. 300 mg/dl und scheidet der Patient Aceton aus, d. h. liegt ein Insulinmangel vor, so wird unter körperlicher
Aktivität der Blutzucker weiter ansteigen. Therapeutisch ergibt sich
als Konsequenz, vor Sport den Blutzucker zu messen und bei erhöhten Werten eine geringe Menge Insulin zu injizieren. Um möglichen
Hypoglykämien bei anstrengender, körperlicher Aktivität und normalem Blutzucker vorzubeugen, kann der Patient Kohlenhydrate
zu sich nehmen oder die Dosis des Insulins vermindern (1–2 BE als
”Sport-BE”). Bei geplanten, lang andauernden und anstrengenden
Sportarten (Radtour, Tageswanderung usw.) soll die Insulindosis
morgens bzw. die Basalrate bei Insulinpumpentherapie um z. B.
40 % vermindert werden. Findet Schulsport am Vormittag statt,
erhält der Patient morgens ca. 20 % weniger Insulin (Basalrate auf
80 % absenken). Es sei besonders erwähnt, dass nicht selten wenige
Stunden nach körperlicher Anstrengung Hypoglykämien auftreten
können. Nach Vereinssport am Nachmittag muss oft auch die abendliche Dosis des Basalinsulins bzw. die nächtliche Basalrate vermindert werden, um nächtlichen Unterzuckerungen vorzubeugen. Jeder
Patient sollte vor und nach dem Sport den Blutzucker messen, um
individuell die Wirkung der körperlichen Aktivität zu bestimmen.
zz Kontrollen
Jeder Mensch mit Insulintherapie sollte Stoffwechselselbstkontrollen
durchführen. Die Bestimmung des Blutzuckers vor der Injektion des
Insulins erlaubt es, die Dosis an die aktuelle Stoffwechselsituation anzupassen und damit sowohl Unterzuckerungen als auch über längere
Zeit erhöhte Blutzuckerwerte zu vermeiden. Weitere Blutzuckermessungen sind gelegentlich postprandial, bei Verdacht auf Unterzuckerung sowie im Rahmen außergewöhnlicher Situationen (z. B. Sport,
Stress, Erkrankungen) sinnvoll. Die empfohlene Häufigkeit richtet
sich nach der individuellen Therapieform und der erzielten Stoffwechselsituation, die Zeitpunkte ergeben sich aus der Dynamik des
eingesetzten Insulins. Idealwerweise sollte der Blutzucker:
nüchtern und präpradial zwischen 90 und 145 mg/dl,
postprandial <180 mg/dl liegen.
--
!! Blutzuckerwerte <100 mg/dl vor dem Einschlafen sollten ver-
mieden werden um das Risiko nächtlicher Unterzuckerungen
zu reduzieren.
Die Messung der Uringlukose zur Steuerung der Therapie wurde
weitgehend verlassen.
Eine kontinuierliches Blutzuckermonitoring mittels subkutaner
Sensoren wird zunehmend auch in der Pädiatrie angewandt, wobei die Zuverlässigkeit der gemessenen Werte nicht immer optimal
ist. Bei Verdacht auf asymptomatische nächtliche Hypoglykämien
oder hohen postprandialen Blutzuckeranstiegen ist der Einsatz aus
diagnostischen Gründen und zur Motivationsförderung gelegentlich sinnvoll, ebenso bei rezidivierenden schweren Hypoglykämien
(fehlende Wahrnehmung). Zunehmend werden Sensoren auch zusammen mit Insulinpumpen angewandt, erste Geräte erlauben die
Unterbrechung der basalen Insulinzufuhr bei niedrigen Blutzuckerwerten (Hypo-Abschaltung, z. B. Paradigm Veo).
Bei guter Stoffwechselkontrolle wird kein Aceton im Urin ausgeschieden, sodass sich dessen regelmäßige Bestimmung erübrigt.
Bei Krankheit, hier ist besonders auf Erbrechen hinzuweisen, muss
der Urin auf Aceton untersucht werden, um die Insulindosis zu erhöhen bzw. rechtzeitig mit einer Infusionsbehandlung zu beginnen.
Auch eine Ketonkörperbestimmung im Blut durch Patient/Familie
ist möglich.
Mindestens alle 3 Monate muss im Rahmen der medizinischen
Betreuung der HbA1c-Wert bestimmt werden (Zielwert: <7,5 %,
<58 mmol/mol). Bei ärztlichen Untersuchungen sollten Patienten
mit Diabetes alle 6 Monate gemessen und gewogen (BMI-Perzentile)
sowie der Blutdruck dokumentiert werden. Serumlipidwerte sind
alle 2 Jahre indiziert. Nach den pädiatrischen Leitlinien sind weiterhin jährliche Kontrollen der Albuminausscheidung und 1- bis
2-jährliche Kontrollen des Augenhintergrunds bei Patienten vorgesehen, die >11 Jahre alt oder seit mindestens 5 Jahren an einem
Diabetes erkrankt sind. Bei langfristig schlechter Stoffwechsellage
sollte letztere Patientengruppe auch auf neuropathische Folgeerkrankungen untersucht werden.
14.1
Diabetes mellitus Typ I
kk Therapie
zz Therapieprinzip
Die Therapie muss individuell, d. h. „maßgeschneidert“ für den
einzelnen Patienten erfolgen, ein starres therapeutisches Schema
existiert nicht. Einige Grundsätze lassen sich jedoch für zahlreiche
Patienten formulieren. Nach der Remissionsphase beträgt der durchschnittliche Insulinbedarf bei Kindern und Jugendlichen mit TypI-Diabetes 0,6–0,9 E/kgKG/Tag, mit weiter individueller Variation
nach oben und unten. In der Pubertät werden häufig höhere Dosen
benötigt. Die geringste tägliche Insulindosis, die zu einer guten metabolischen Kontrolle führt, ist die optimale Dosis für den Patienten.
Sie wird empirisch ermittelt.
kk Konventionelle Therapie
zz Therapieprinzip
Die konventionelle Therapie ist prinzipiell unflexibel und retrospektiv. Die Aufnahme der Kohlenhydrate ist ebenso wie die Menge des
Insulins festgelegt. Hierbei erhalten die Patienten in der Regel 2 Injektionen pro Tag, wobei morgens ca. 60–70 % und abends 30–40 % der
Gesamtdosis appliziert werden. Die konventionelle Insulintherapie
wird in der Pädiatrie heute nur noch in Ausnahmefällen angewandt.
kk Intensivierte Therapie
zz Therapieprinzip
Die intensivierte Therapie ist prinzipiell prospektiv. Die Dosis des
Normalinsulins wird nach dem aktuell gemessenen Blutzucker und
die Dosis des Basalinsulins nach den Blutzuckerwerten der vorangegangenen Tage festgesetzt.
--
zz Normalinsulin oder Insulinanaloga
Die Dosis des Normalinsulins besteht aus 2 Teilen:
Grundbedarf („Mahlzeitenanteil“),
Korrekturanteil (Dosis für den gemessenen Blutzucker).
Mit dem Grundbedarf des Normalinsulins bleibt bei gleicher Kohlenhydratmenge der Blutzucker vor und 2 h nach der Injektion gleich.
Mit dem Korrekturanteil des Normalinsulins soll der aktuell gemessene Blutzucker normalisiert werden. Ein Blutzucker von ca. 100–
140 mg/dl 2 h nach Injektion des Normalinsulins ist anzustreben.
Der Korrekturanteil ist abhängig vom gemessenen Blutzuckerwert, aber auch von Körpergewicht und Diabetesdauer. Beim Erwachsenen senkt 1 Einheit Insulin den Blutzucker um ca. 30 mg/
dl. Für Kinder mit ihrem unterschiedlichen Körpergewicht mögen
folgende Zahlen als Richtwerte dienen:
Körpergewicht 20–30 kg: 1 E/100 mg/dl,
Körpergewicht 40–50 kg: 1 E/50 mg/dl.
Eine alternative Regel zur Berechnung des Korrekturfaktors
lautet:
--
14
Kapitel 14 • Diabetes mellitus
108
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
Korrekturfaktor =
-
1500
gesamteTagesinsulindosis
Vorgehen
Meist wird mit 2 Gaben von Basal (NPH-)Insulin pro Tag begonnen
Gleichmäßigere Insulinspiegel können erreicht werden, wenn
die tägliche NPH-Dosis auf 3 (bis 4) Injektionen verteilt wird
Die Dosis des Basalinsulins kann empirisch oder mit Fastenperioden während des Tages bestimmt werden. Die Dosis der
Abend- oder Spätinjektion richtet sich nach dem Nüchternblutzucker (unter Vermeidung nächtlicher Hypoglykämien), die
morgendliche Dosis nach dem Blutzucker vor dem Mittagessen
Die Dosisanpassung sollte in Schritten von 10–20 % erfolgen,
wobei die Dosisänderung nicht zu häufig erfolgen sollte (z. B.
neue Dosis für 3 Tage belassen, dann Entscheidung über
erneute Änderung)
Der Anteil des Basalinsulins an der täglichen Gesamtinsulindosis beträgt ca. 40–60 %
Bei Injektion am Oberschenkel wird NPH-Insulin langsamer resorbiert und hat damit eine längere Wirkdauer, was
insbesondere für die Abendinjektion und die Behandlung des
Dawn-Phänomens vorteilhaft ist
>> Für das einzelne Kind muss der Korrekturfaktor empirisch
durch gelegentliche Blutzuckermessungen vor und 2 h nach
der Injektion überprüft werden.
Beispiel: Patient, 45 kg, hat morgens einen Blutzucker von 200 mg/
dl und injiziert 10 E Normalinsulin. Der Blutzucker nach 2 h beträgt
150 mg/dl. Der Grundbedarf beträgt somit 9 E unter der Annahme,
dass 1 E Insulin bei diesem Patienten den Blutzucker um 50 mg/dl
senkt.
Mahlzeiteninsulin Durch den raschen Anstieg des Insulins im
Plasma nach Injektion eines schnellwirkenden Insulinanalogons
gelingt es oft besser, den postprandialen Blutzuckeranstieg zu
begrenzen. Der Spritz-Ess-Abstand kann wegfallen, sodass sich die
Flexibilität im Tagesablauf für viele Patienten verbessert. Bei jungen
Kindern mit schwer planbarer Nahrungsaufnahme ist auch eine
postprandiale Insulininjektion möglich. Dagegen führen größere
Zwischenmahlzeiten von 2–3 BE, wie es den Essensgewohnheiten vieler Kinder entspricht, wegen der kurzen Wirkdauer der
schnellwirkenden Analoga zu einem unerwünschten Anstieg des
Blutzuckers, sodass vor Zwischenmahlzeiten zusätzliche Dosen
schnellwirkender Insulinanaloga injiziert werden müssen. Der
Einsatz schnellwirkender Insulinanaloga führt deshalb meist zu
häufigeren Injektionen pro Tag. Während der Remissionsphase
genügen oft 2–3 Injektionen täglich, im Zustand des absoluten
Insulinmangels hingegen werden meist 4 oder mehr tägliche
Injektionen benötigt.
Mit Normalinsulin ist es oft schwieriger, den postprandialen
Blutzuckeranstieg zu begrenzen, v. a. nach dem Frühstück. Dagegen
können Zwischenmahlzeiten meist gut ohne zusätzliche Injektionen
mit abgedeckt werden.
Mit der intensivierten Insulintherapie besteht weiterhin die
Möglichkeit, die Ernährung, d. h. den Kohlenhydratanteil variabel
zu handhaben.
-
Vorgehen
Nach Bestimmung des Grundbedarfs und des Korrekturfaktors lässt sich der Insulinbedarf pro Kohlenhydrateinheit (BE,
KE, KHE) ermitteln. Ziel ist, dass der Blutzucker vor und 2 h
nach der Injektion des Mahlzeiteninsulins gleich bleibt
Die Insulinempfindlichkeit und damit die Dosis des Insulins/
BE ändern sich während des Tages: Morgens werden ca. 2 E Insulin/BE, mittags ca. 1 E/BE und abends ca. 1,5 E/BE benötigt,
diese Werte variieren aber von Patient zu Patient und müssen
individuell anhand von Blutzuckermessungen bestimmt
werden
Bei stark erhöhten präprandialen Blutzuckerwerten, die therapeutisch zu einem hohen Anteil von Normal- im Verhältnis zu
Basalinsulin führen, verändert sich die Dynamik der Insulinmischung: Eine große Dosis Normalinsulin wirkt länger als eine
durchschnittliche Dosis
-
Basalinsulin Mit Basalinsulin sollen gleichmäßige Plasmainsulin-
spiegel erreicht werden. NPH-Insuline entsprechen wegen ihres Wirkungsmaximums 4–6 h nach Injektion nur bedingt den gestellten
Anforderungen.
Wenn mit NPH-Insulin keine befriedigende Stoffwechseleinstellung
erzielt wird, so stehen langwirkende Analoginsuline oder eine Insulinpumpentherapie als Alternativen zur Auswahl. Für Kinder ab
2 Jahren sind Detemir (Levemir) und Glargin (Lantus) zugelassen.
Glargin wird meist einmal täglich abends verabreicht (auch eine
morgendliche Gabe ist möglich, ca. 20 % der Patienten benötigen
2 Injektionen pro Tag). Detemir wird fast immer in 2 Injektionen pro
Tag verabreicht, häufig ist nach Umstellung von NPH eine deutliche
Dosissteigerung notwendig. In einigen Studien waren Analoginsuline mit einer geringeren Hypoglykämierate und einer besseren
Reproduzierbarkeit der Insulinresorption assoziiert. Ob mit Analoginsulinen bessere HbA1c-Werte erzielt werden, ist umstritten, da
hier viele Faktoren eine Rolle spielen.
kk Pumpentherapie
In den letzten Jahren nahm der Anteil pädiatrischer Patienten mit
Insulinpumpentherapie rasch zu, mittlerweile verwenden über 30 %
der pädiatrischen Patienten eine Insulinpumpe, bei sehr jungen Kinder (unter 5 Jahren) sind es 75 %. Die Therapie mit Insulinpumpen
unterscheidet sich nicht prinzipiell von der intensivierten Insulintherapie, als Indikationen werden das Dawn-Phänomen, nicht beherrschbare rezidivierende schwere Hypoglykämien oder chronisch
unbefriedigende Stoffwechselergebnisse, eine Spritzenphobie, der
Wunsch von Patienten und Familien nach mehr Flexibilität sowie
eine Motivationsförderung der Patienten genannt. Es muss aber bedacht werden, dass psychosoziale Schwierigkeiten, z. B. in der Pubertät, durch eine Pumpentherapie alleine nicht gelöst werden können.
Auch liegen die Therapiekosten deutlich höher.
Im Vergleich zur Behandlung mit Insulininjektionen liegt der
tägliche Insulinbedarf unter Insulinpumpe um 10–20 % niedriger.
Fast alle Patienten verwenden heute schnellwirkende Insulinanaloga
in der Pumpe. Die erforderliche Basalrate liegt
bei jungen Kindern unter 6 Jahren bei 0,3 E/kgKG/Tag,
bei 6- bis 12-Jährigen bei ca. 0,35 E/kgKG/Tag und
bei Jugendlichen bei 0,4 E/kgKG/Tag,
wiederum mit hoher individueller Variabilität.
--
Auch die Verteilung über den Tag ist altersabhängig: Während
Jugendliche meist das typische zweigipflige Dawn-Dusk-Muster
109
14.2 • Komplikationen des Diabetes mellitus
zeigen, sind bei Kleinkindern die höchsten Basalraten oft in den
Abendstunden notwendig. Altersspezifische Basalratenschieber stehen zur Verfügung. Aufgrund der großen individuellen Variabilität
sollten die Basalraten durch Fastentests (Weglassen jeweils einer
Haupt- und ggf. der nachfolgenden Zwischenmahlzeit) überprüft
werden, sowohl bei Pumpenbeginn als auch im Verlauf, wenn Blutzuckerwerte unerklärlich schwanken.
Wie jede Insulintherapie setzt auch eine Pumpenbehandlung
eine intensive Schulung von Patienten und Familie voraus. Die Rate
der ketoazidotischen Entgleisung ist dann nicht generell erhöht,
vorausgesetzt ein Ketoazidosevermeidungsplan (akute Erkrankungen, Pumpenfehlfunktion) wurde intensiv besprochen. Telefonische
Rücksprache mit einem erfahrenen Kinderdiabetologen sollte – wie
für alle Patienten – rund um die Uhr möglich sein.
14.1.1
Initialbehandlung ohne Ketoazidose
kk Therapie
Besteht bei Erstmanifestation eines Typ-I-Diabetes keine oder nur
eine leichte Ketoazidose ohne wesentliche Dehydrierung, und erbricht der Patient nicht, kann die Therapie sofort mit einer Kombination aus Normal- und Basalinsulin begonnen werden.
--
Vorgehen
Scheidet der Patient Aceton aus, erhält er unabhängig vom
Blutzucker 1 E/kgKG/Tag
Scheidet der Patient kein oder nur wenig (+) Aceton aus,
erhält er 0,5 E/kgKG/Tag
Initiale Verteilung: ca. ⅓ Normal- und ⅔ Basalinsulin
Basalinsulin wird zu ⅔ morgens und ⅓ abends, das Mahlzeiteninsulin in der Regel vor den 3 Hauptmahlzeiten injiziert
Die Änderung der Insulindosis (um ca. 10 %) in den folgenden
Tagen richtet sich nach den gemessenen Blutzuckerwerten
Innerhalb von 3–5 Tagen lässt sich meist eine gute metabolische
Kontrolle mit einer mittleren Blutglukose unter 150 mg/dl erreichen. Die Therapie ist risikoarm. Etwa 3–5 % der Werte liegen unter
50 mg/dl, diese Hypoglykämien sind überwiegend asymptomatisch.
Die gleiche Therapie kann beim Übergang von der intravenösen zur
subkutanen Insulintherapie eingesetzt werden.
14.1.2
Operative Eingriffe
kk Therapie
Kann der operative Eingriff geplant werden, sollten Patienten mit
Diabetes am Anfang des Operationsprogramms stehen.
-
Vorgehen
Am Morgen der Operation wird die Infusionsbehandlung mit
einer NaCl-Glukose-Lösung (je zur Hälfte physiologische NaClund 5 %-Glukoselösung) begonnen; pro 1000 ml Lösung
20 mmol KCl zusetzen
Kürzere Operationen: präoperativ die Hälfte der morgendlichen Insulindosis (Normal- und Basalinsulin) s.c. injizieren, die
andere Hälfte postoperativ
-
Notfalloperationen oder längere Eingriffe: Infusionsflüssigkeit
mit 1 E Insulin pro 4 g Glukose ergänzen oder Insulin über
Perfusor infundieren
Häufige Bestimmungen des Blutzuckers sind notwendig
!! Auf den Ersatz des Flüssigkeitsverlusts während der Operation
ist zu achten.
Durch den Anstieg der gegenregulatorischen Stresshormone während der Operation ist die Gefahr von Hypoglykämien eher gering.
14.2
Komplikationen des Diabetes mellitus
14.2.1Ketoazidose
Die diabetische Ketoazidose ist eine Notfallsituation mit erheblichen
Risiken. Die Mortalität ist in der diabetischen Ketoazidose in allen
Altersgruppen erhöht und beträgt ca. 1 %. Besonders gefährdet, an
einem Hirnödem zu erkranken, sind jüngere Kinder (<5 Jahre).
Die diabetische Ketoazidose ist definiert durch:
einen erhöhten Blutzucker,
einen pH-Wert <7,3,
ein Plasmabikarbonat <15 mmol/l,
eine Aceton- und Glukosurie.
Eine schwere diabetische Ketoazidose liegt vor bei
einem pH-Wert <7,1 und
einem Plasmabikarbonat <5 mmol/l.
----
zz Diagnose
Nach der klinischen und neurologischen Untersuchung mit Bestimmung von Blutdruck, Puls, Durchblutung, Atemtyp, Temperatur,
Ausmaß der Exsikkose, Reflexstatus, Abschätzen der Wachheit (ansprechbar, verlangsamt, bewusstlos) werden gemessen:
Blut/Plasma:
Blutbild, CRP, BSG,
Blutzucker,
Kalium,
Natrium,
Harnstoff,
Osmolarität,
Säure-Basen-Status;
evtl. β-Hydroxy-Butyrat;
Urin:
Glukose,
Aceton,
Eiweiß,
Urikult.
- ----- ---
kk Therapie
zz Therapieziel
Langsamer Ausgleich der diabetischen Ketoazidose über 36–48 h,
Vermeidung eines Hirnödems, prinzipiell keine Gabe von Bikarbonat (Ausnahme s. unten).
zz Therapieprinzip
Flüssigkeit
Zur Flüssigkeitssubstitution wird physiologische Kochsalzlösung
eingesetzt, hypoosmolare Lösungen sind zu vermeiden. Bei Schockzeichen zunächst 10–20 ml/kgKG über 1–2 h, evtl. wiederholen. Da-
14
Kapitel 14 • Diabetes mellitus
110
1
nach wird der tägliche Grundbedarf plus die Hälfte des geschätzten
Verlusts über 24 h infundiert.
geschätzter Verlust =
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
Dehydratation × kgKG
Eine zu hohe Volumengabe ist zu vermeiden, deshalb die Trinkmenge abziehen und die Urinausscheidung nicht zusätzlich infundieren. Die zweite Hälfte des Verlusts wird am 2. Tag ausgeglichen.
Eine ausgeprägte Dehydratation entspricht ca. 10 %. Nach 6 h kann
– abhängig vom Serumnatrium – auf eine 0,45 % Kochsalzlösung mit
KCl gewechselt werden. Wenn der Blutzucker unter 250–300 mg/dl
abfällt, sollte 5 % Glukose zugegeben werden. Die Flüssigkeitsbilanz
sowie die Serumelektrolyte müssen engmaschig kontrolliert werden.
Kalium Ein Kaliumdefizit liegt bei Patienten mit Ketoazidose regel-
haft vor, auch wenn zu Beginn der Therapie das Serumkalium normal
oder erhöht ist. Mit Beginn der Insulingabe fällt das Kalium rasch ab.
-
Vorgehen
Initiale Hypokaliämie: sofort Kalium zur Infusionslösung zusetzen, ansonsten mit Beginn der Insulingabe
Initiale Hyperkaliämie: Kalium erst nachdem der Patient genügend Urin ausscheidet (50 ml/h) substituieren
Beginn mit 40 mmol Kalium pro Liter Infusionslösung
(5 mmol/kgKG/Tag i.v. <0,5 mmol/kgKG/h, bei Kaliumchlorid
Cave: hyperchlorämischer Azidose, evtl. 1 : 1-Mischung mit
Kaliumacetat oder –phosphat, Cave: Hypokalzämie)
Serumkalium mindestens alle 2–4 h kontrollieren und Kaliumdosis anpassen
zz Verlaufskontrollen
Ein- und Ausfuhr, Insulindosis sowie Atmung, Puls, Blutdruck und
neurologischer Status (Glasgow-Koma-Skala) sind sorgfältig zu
protokollieren, initial mindestens stündlich. Der Patient ist zumeist
intensivpflichtig.
Blutzucker, Elektrolyte, Harnstoff und Hämatokrit und der
Säure-Basen-Status sowie evtl. das β-Hydroxybutyrat oder Urin­
aceton sollen anfangs stündlich, im weiteren Verlauf in Abhängigkeit
vom Erfolg der Therapie im Abstand von 2–4 h kontrolliert werden.
Nähert sich der Blutzucker 200 mg/dl, wird die Insulinzufuhr auf
0,05 E Insulin/kgKG/h verringert oder man beginnt mit der subkutanen Injektion des Insulins.
Erbricht der Patient nicht und ist er bewusstseinsklar, und besteht nur noch eine milde Azidose, so kann mit der oralen Flüssigkeitszufuhr (Tee, Mineralwasser) begonnen werden. Die Infusionsmenge wird um die oral aufgenommene Menge reduziert und bei
ausreichender Trinkmenge beendet.
zz Hirnödem
Ein Hirnödem ist eine seltene aber lebensbedrohliche Komplikation
der diabetischen Ketoazidose. In Ausnahmefällen kann das Ereignis
vor Therapiebeginn auftreten, in aller Regel jedoch 4–12 h nach Beginn der Therapie.
>> Zeichen des Hirnödems: Eintrübung, plötzliche starke Kopf-
schmerzen, Inkontinenz, Erbrechen, Unruhe, Schielen, Pupillenreaktion asymmetrisch, träge, starr, Papillenödem, Krämpfe,
Babinski-Reflex positiv, Bradykardie, Blutdruckanstieg, Abfall
der O2-Sättigung.
---
Vorgehen
Natriumbikarbonat Da Natriumbikarbonat zur Entwicklung ei-
nes Hirnödems beitragen kann, ist Bikarbonat nur bei Kindern mit
schwerer Kreislaufinsuffizienz und drohender kardialer Dekompensation indiziert.
Insulin
-
Vorgehen
1–2 h nach Beginn der Flüssigkeitsgabe sollte Normalinsulin
zunächst mit 0,1 E Insulin/kgKG/h als Dauerinfusion über
Perfusor i.v. verabreicht werden (Perfusor: 50 E Insulin in 50 ml
NaCl ergibt 1 E/ml). Kein initialer Insulinbolus
– Hyperglykämisch-hyperosmolares Syndrom (HHS) oder
kleine Kinder <5 Jahre: 0,05 E/kgKG/h
Ziel: Abfall des Blutzuckers um ca. 40–90 mg/dl/h
– Bei rascherem Blutzuckerabfall Reduktion auf 0,05 E/
kgKG/h und Zusatz von 5 % Glukose oder mehr in die Infusionslösung
– Blutzucker <270 mg/dl: Zusatz von 5 % Glukose oder mehr
und anschließend Wechsel auf 0,45 % NaCl + 5 % Glukose
abhängig vom Serumnatriumwert
– Insulininfusion erst nach Anstieg des pH-Werts über 7,3
beenden
– Insulininfusion erst 30–60 min nach der ersten s.c.-Insulingabe beenden, um einen erneuten Blutzuckeranstieg zu
vermeiden
-
Mannitinfusion 0,5–1 g/kgKG innerhalb von 20 min bei klinischem Verdacht! Nicht den CT-Befund abwarten!
Wiederholung je nach klinischem Zustand nach 30 min bis
2 h möglich. Eine 20%ige Mannitlösung enthält 2 g Mannit
(Mannitol) pro 10 ml. Alternative: hypertone Kochsalzlösung
(3 %, 5 ml/kgKG über 30 min bis 2 h)
Kopfende des Betts hochstellen
Volumengabe um ⅓ reduzieren
Intensivstation
Hyperventilation mit CO2-Absenkung ist nicht indiziert
14.2.2Hyperglykämisch-hyperosmolares
Syndrom (HHS)
Bei Jugendlichen mit Typ-II-Diabetes wurde in den letzten Jahren
immer wieder auch über ein HHS berichtet, mit Bewusstseinstrübung, ausgeprägter Hyperglykämie (>600 mg/dl, Werte bis über
1000 mg/dl kommen vor), entsprechend erhöhter Serumosmolarität
(>320 mosmol/kg), aber keiner Azidose (pH >7,3, Serumbikarbonat
>15 mmol/l, kaum Ketonurie). Flüssigkeitssubstitution wie bei der
diabetischen Ketoazidose, niedrige Insulingabe (0,05 E/kgKG/h oder
weniger!), Monitoring und Intensivüberwachung sind indiziert.
14.2.3Hypoglykämien
Unterzuckerungen lassen sich weder mit der intensivierten Insulintherapie noch einer Insulinpumpe völlig vermeiden. Die häufigsten
111
14.3 • Besonderheiten im Verlauf des Diabetes
Symptome, die bei Kindern und Jugendlichen auf eine Hypoglykämie
hinweisen, treten im Bereich des Verhaltens auf. Hypoglykämische
Symptome sind: Wortfindungsstörungen, Konzentrationsschwäche,
Streitlust, Aggressivität, Kopfschmerzen und Koordinationsstörungen.
!! Vor einer Therapie mit z. B. Cyclosporin A oder anderen Medi-
kk Therapie
Im Rahmen eines Infekts steigt der Insulinbedarf trotz Erbrechen
und Appetitlosigkeit häufig an.
zz Therapieprinzip
-
Vorgehen
Leichtere Unterzuckerung: 1–2 BE als Obst, Kekse oder Brot
(Zufuhr schnell wirkender Kohlenhydrate)
Schwere Unterzuckerungen ohne Bewusstlosigkeit: 1–2 BE als
Traubenzucker (10–20 g), Limonade (keine Light-Getränke!)
oder Saft (keine Zuckeraustauschstoffe!). Sofortige Behandlung aufgrund des klinischen Verdachts, nicht erst den Blutzucker messen!
Bewusstlosigkeit/Krampfanfall: Glucagon-Präparat: GlucaGen
Hypokit i.m. oder s.c. Alle Eltern und andere Angehörige sollten entsprechend geschult werden, Aufziehen praktisch üben!
– <10 Jahre 0,5 mg = ½ Ampulle Glukagon i.m. oder s.c.
– >10 Jahre 1 mg = 1 Ampulle i.m. oder s.c.
Ärztliche Notfallbetreuung: Glukose 200–500 mg/kgKG als
10 % oder 20 %-Lösung langsam i.v., nach Aufwachen dem
Patienten unbedingt Kohlenhydrate p.o. oder i.v. zuführen, um
erneuten BZ-Abfall zu vermeiden
Nach jeder schweren Hypoglykämie sollte die Ursache mit der Familie geklärt werden (Fehler Insulintherapie? Fehler Ernährung? Sport?
Alkohol? etc.) und evtl. muss eine erneute Beratung bzw. Schulung
durchgeführt oder die Insulindosis bzw. das Behandlungsschema
angepasst werden. Bei unerklärten Hypoglykämien muss auch an
eine NNR-Insuffizienz oder an Manipulationen gedacht werden.
zz Fehlende Wahrnehmung von Hypoglykämien
Treten bei einem Patienten häufig niedrige Blutzuckerwerte mit
wenig oder keinen hypoglykämischen Reaktionen auf, kann dieser
die Fähigkeit zur Wahrnehmung von Unterzuckerungen verlieren
(„hypoglycemia unawareness“). In den folgenden 2–3 Monaten
müssen Blutzuckerwerte unter ca. 80 mg/dl konsequent vermieden
werden, damit sich das Wahrnehmungsvermögen für Unterzuckerungen wieder einstellt. Bei wiederholten schweren Hypoglykämien oder fortbestehender Hypowahrnehmungsstörung ist eine
Therapieumstellung sowie eine kontinuierliche Blutzuckermessung
zu erwägen.
14.3
14.3.1
Besonderheiten im Verlauf des Diabetes
Remission und Immuntherapie
Bei der Mehrzahl der Patienten mit Typ-I-Diabetes beginnt innerhalb der ersten 1–4 Wochen nach Diagnose und adäquater Therapie
die Remissionsphase, die durch einen geringen exogenen Insulinbedarf von <0,5 E/kgKG/Tag bei guter metabolischer Kontrolle und
wenigen Hypoglykämien gekennzeichnet ist. Die Remissionsphase
kann einige Wochen oder Monate (Jahre) andauern.
Bisher ist es in Studien mit zahlreichen untersuchten Substanzen
nicht gelungen, die Remissionsphase eindeutig und klinisch relevant
zu verlängern.
kamenten ist außerhalb von Studien zu warnen.
14.3.2Infekte
-
Vorgehen
Auch bei Erbrechen bzw. fehlender Nahrungsaufnahme Insulin nicht komplett absetzen (nach der Remissionsphase)
Kohlenhydratgabe: Tee mit Traubenzucker, evtl. Cola (Kohlensäure herausschütteln), Orangensaft
Bei erhöhten Blutzuckerwerten ohne Aceton: Korrektur nach
der individuellen Korrekturregel, BZ-Kontrolle nach 1–2 h
Bei hohem Blutzucker mit starker Acetonurie zusätzliche Gabe
von 20 % der Gesamttagesdosis als schnellwirkendes Insulin,
Kontrolle nach 1 h, Rücksprache mit Diabeteszentrum, evtl.
wiederholen und zusätzliche Erhöhung des Basalinsulins bzw.
temporäre Erhöhung der Basalrate bei Pumpe
Bei fehlender Besserung, Verschlechterung des AZ, Unsicherheit der Familie (kleine Kinder, kurze Diabetesdauer)
Vorstellung beim Kinderarzt, evtl. Rücksprache mit dem
Diabetesteam und ggf. stationäre Aufnahme indiziert
Das Vorgehen bei Infekten ist ein wichtiges Schulungsthema für alle
Familien. 24 h am Tag sollte das Diabetesteam telefonisch kontaktierbar sein.
14.3.3Dawn-Phänomen
und Somogyi-Effekt
Beim Dawn-Phänomen liegt in den frühen Morgenstunden ein Insulinmangel mit einer Insulinresistenz vor, die u. a. durch die nächtliche Wachstumshormonsekretion bedingt ist. Das Dawn-Phänomen
ist häufig bei Jugendlichen.
Ein Somogyi-Effekt ist gekennzeichnet durch einen hohen
Nüchternblutzucker, der als Folge einer nächtlichen Hypoglykämie
mit anschließender Ausschüttung gegenregulatorischer Hormone
auftritt, es ist insgesamt in der Pädiatrie selten.
zz Diagnose
Um ca. 2:00–3:00 h nachts wird wiederholt der Blutzucker gemessen. Ist der Blutzucker nachts erniedrigt und der Nüchternblutzucker
hoch, so liegt ein Somogyi-Effekt vor. Ist der Blutzucker nachts normal
und der Nüchternblutzucker hoch, liegt ein Dawn-Phänomen vor.
kk Therapie
-
Vorgehen
Dawn-Phänomen: Injektion des abendlichen NPH-Insulins
möglichst spät (23 Uhr), möglichst am Oberschenkel, da langsamere Resorption. Wechsel auf langwirkendes Insulinanalogon, Wechsel auf Insulinpumpentherapie
Somogyi-Effekt: Reduktion der Dosis des Verzögerungsinsulins am Abend bzw. der nächtlichen Basalrate bei Pumpentherapie
14
Kapitel 14 • Diabetes mellitus
112
1
2
Häufigkeit [%]
Antikörper
3
Zöliakie
4–10
Anti-Transglutaminase-IgA
(Endomysium)
4
Hashimoto-Thyreoiditis
4–25
TAK, TPO
Perniziöse Anämie
2–4
IFA, PCA
5
Morbus Addison
0,4–0,6
ACA, 21-OH-AK
6
TAK Thyreoglobulinantikörper, TPO Thyreoideaperoxidase-AK, IFA
Intrinsic-factor-Antikörper, PCA Parietalzellantikörper, ACA Adrenalcortex-Antikörper, 21-OH 21-Hydroxylase.
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
Praxistipp .. Tab. 14.2 Häufigkeit von immunologischen Begleiterkrankungen
bei Typ-I-Diabetes
14.3.4
Immunologische Begleiterkrankungen
Durch den Diabetes nicht erklärliche Symptome, z. B. Kleinwuchs
(V. a. Zöliakie, V. a. Hypothyreose), häufige Hypoglykämien trotz
rückläufigem Insulinbedarf (V. a. Morbus Addison) müssen an eine
immunologische Begleiterkrankung denken lassen. Ihre Diagnose
ist durch entsprechende Untersuchungen zu sichern und dann zu
behandeln. In . Tab. 14.2 sind typische immunologische Erkrankungen aufgeführt. Zu regelmäßigen Antikörperbestimmungen
und Bestimmung des TSH-Werts wird im Abstand von 1–2 Jahren
geraten.
Zöliakie ist bei Typ-I-DM etwa 10-mal häufiger als in der Allgemeinbevölkerung, ein Antikörperscreening wird deshalb generell
empfohlen. Patienten ohne HLA-DQ2/DQ8 haben jedoch ein minimales Zöliakierisiko. Die meisten Diabetespatienten mit Zöliakie
sind asymptomatisch, eine Dünndarmbiopsie ist zur Bestätigung der
Diagnose erforderlich. Bei gesicherter Zöliakie wird eine glutenfreie
Ernährung in der Regel empfohlen, aber nicht von allen Patienten
bzw. Familien akzeptiert.
14.3.5
Entwicklung von Übergewicht,
Hypertonie und Fettstoffwechselstörung
Metabolisch gut kontrollierte Jugendliche neigen zu Übergewicht,
v. a. Mädchen. Die Gewichtsentwicklung bezogen auf das Längenwachstum sollte engmaschig kontrolliert und in Perzentilenkurven
dokumentiert werden, die Berechnung des Body-Mass-Index unter
Verwendung aktueller Normwerte ist empfehlenswert. Frühzeitige
Intervention durch Überprüfung der Ernährungsgewohnheiten und
der Insulintherapie, gezielte Auffrischungsschulung, psychologische
Mitbetreuung ist indiziert.
Bei Jugendlichen mit Diabetes kann es während der Pubertät zur
Manifestation einer Hypertonie kommen, die mit oder ohne Mikroalbuminurie auftreten kann. In aller Regel entwickelt sich zuerst
eine systolische Hypertonie.
Therapeutisch steht an erster Stelle eine Normalisierung des Körpergewichts, Sport, Rauchverzicht und Beschränkung der Kochsalzzufuhr.
Wenn nichtmedikamentöse Maßnahmen zu keiner Normalisierung des Blutdrucks führen, so wird aus pathophysiologischen
Überlegungen meist mit einem ACE-Hemmer (▶ Abschn. 14.4.1)
begonnen, alternativ bei Intoleranz (chronischer Husten) mit einem
Angiotensin-Rezeptor-Antagonist (Sartan).
| | Bei Dyslipidämie (Diagnostik: Gesamtcholesterin, HDL, LDL, Triglyzeride) eine diätetische Therapie durchführen. Falls diese nicht
erfolgreich ist, sollten ab dem 8. Lebensjahr Statine gegeben werden.
14.3.6Essstörungen,
Anorexie
Atypische Essstörungen treten bei weiblichen Jugendlichen mit TypI-Diabetes gehäuft auf. Massiv erhöhte HbA1c-Werte bei Mädchen
in der Pubertät sind oft durch heimliche Reduktion der Insulindosis oder Weglassen von Injektionen bedingt, mit dem Ziel, Gewicht
abzunehmen („Insulin Purging”). Klassische Anorexien sind wohl
nicht häufiger als in der Allgemeinbevölkerung, diese Patientinnen
sind aber sehr schwer behandelbar. Besteht ein Verdacht auf Essstörung so ist ein frühzeitiger Kontakt zu erfahrenen Kinderpsychologen bzw. -psychiatern angezeigt.
14.3.7Antikonzeption
Werden Jugendliche während und nach der Pubertät behandelt,
muss eine ärztliche Beratung über die Möglichkeiten der Empfängnisverhütung angeboten werden. Barrieremethoden (Kondom) können empfohlen werden. Ovulationshemmer sind auch für Diabetikerinnen bei Beachtung folgender Gegenanzeigen geeignet:
!! Kontraindikationen: Retinopathie, Nephropathie, Hypertonie,
Rauchen, Thromboseerkrankungen der Patientin, ihrer Mutter
oder naher Verwandter.
Zu den Präparaten, die nach Abwägung der Risiken empfohlen werden, gehören die „Mikropillen“ mit Ethinylestradiol 0,02–0,03 mg
sowie einem Gestagenanteil (z. B. Drospirenon 3 mg, Dienogest
2 mg, Chlormadinonazetat 2 mg).
14.4Folgeerkrankungen
14.4.1Nephropathie
Etwa 30–40 % aller Typ-I-Diabetiker entwickeln eine Nephropathie,
die mit einer Mikroalbuminurie beginnt. Die Diagnose beruht auf
der wiederholt gemessenen erhöhten Ausscheidung des Albumins
von >20 µg/min/1,73 m² Körperoberfläche oder einer Konzentration
von >20 mg/l. Der Grenzwert für die 24-h-Urinsammlung beträgt
30 mg/24 h, für den Albumin-Kreatinin-Quotient bei männlichen
Jugendlichen 20 mg/g Urinkreatinin (2,5 mg/mmol) und bei weiblichen 30 mg/g (3,5 mg/mmol).
kk Therapie
--
Die Therapie der diabetischen Nephropathie besteht in:
Optimierung der metabolischen Kontrolle,
Nikotinabstinenz,
ACE-Hemmer (alternativ: AT-I-Blocker).
ACE-Hemmer sind auch für Patienten mit Normotonie Mittel der
ersten Wahl bei diabetischer Nephropathie. Mit Captopril liegen die
längsten Erfahrungen bei der Therapie der diabetischen Nephro-
113
14.5 • Andere Diabetestypen
pathie vor. Der Nachteil des Captoprils liegt in der 3-mal täglichen
Gabe. Enalapril kann 1-mal täglich in einer Dosierung von 5–10 mg
verabreicht werden, Ramipril 1-mal täglich mit 2,5–5,0 mg. Für
2 Wochen sollte mit halber Dosierung begonnen werden.
Bei Unverträglichkeit von ACE-Hemmern (chronischer Husten) sind Angiotensin-Rezeptor-Blocker („Sartane“) eine Alternative
(Valsartan, Candesartan, Losartan etc). Sowohl ACE-Hemmer als
auch Sartane sind in der Schwangerschaft kontraindiziert.
14.4.2Retinopathie
Bei einer Diabetesdauer unter 5 Jahren und einem Lebensalter von
weniger als 11 Jahren ist die diabetische Retinopathie selten. Ab
diesem Zeitpunkt sind ein- bis zweijährlich Kontrollen des Augenhintergrunds indiziert. Eine gute metabolische Kontrolle kann den
Beginn und die Progression der retinalen Läsionen wirksam verzögern oder verhindern.
kk Therapie
Diagnostik und Therapie der diabetischen Retinopathie erfolgt
durch einen Augenarzt. Therapieoptionen sind die Laserkoagulation bei proliferativer Retinopathie und intravitreale Injektionen bei
Makulaödem.
14.5
Andere Diabetestypen
14.5.1Typ-II-Diabetes
Zu Beginn der Erkrankung liegt bei den meist schwer übergewichtigen Jugendlichen mit einem Typ-II-Diabetes eine Insulinresistenz
mit kompensatorisch erhöhter, jedoch verzögerter, Insulinsekretion
vor. Mädchen sind deutlich häufiger betroffen. Vor Pubertätsbeginn
tritt dieser Diabetestyp kaum auf. Neben Nephropathie und Retinopathie müssen bei Jugendlichen mit Typ-II-Diabetes Risikofaktoren
der Makroangiopathie (Hypertonie, Dyslipidämie, Zigarettenrauchen) sowie PCO-Syndrom und Leberfunktionsstörungen (NAFLD)
sowie ein Schlafapnoesyndrom besonders beachtet werden. Diabetische Folgeerkrankungen scheinen beim Typ-II-Diabetes nach kürzerer Diabetesdauer aufzutreten, möglicherweise durch die asymptomatische Diabeteszeit vor Diagnosestellung bedingt. Am Beginn
der Erkrankung ist es bei Jugendlichen nicht immer einfach, den
Diabetestyp sicher zuzuordnen. Ein Typ-II-Diabetes bei Jugendlichen ist eine ernsthafte und schwerwiegende Erkrankung mit langfristig oft ungünstiger Prognose, gehäuft sind Patienten aus sozial
benachteiligten Familien oder mit Migrationshintergrund betroffen.
kk Therapie
zz Therapieziel
Als spezifische, optimale Therapieziele, die individuell angepasst
werden müssen, gelten:
Gewichtsreduktion bei Adipositas, Gewichtskonstanz bei Patienten in der Wachstumsphase,
HbA1c <7 %, Blutzucker nüchtern und präprandial <126 mg/dl,
normale Lipidwerte,
Normotonie,
Nikotinverzicht.
---
zz Verhaltensänderung
An erster Stelle der Therapie bei Jugendlichen mit Typ-II-Diabetes
steht der ernsthafte Versuch einer Verhaltensänderung („lifestyle“)
mit der Kombination aus Ernährungsumstellung und Bewegungstherapie, insbesondere Steigerung der alltäglichen körperlichen
Aktivität. Ziel dabei ist die Gewichtsstabilisierung und schrittweise
Gewichtsreduktion, ggf. mit psychologisch/psychotherapeutischer
Unterstützung. Die gesamte Familie sollte in die Verhaltensänderung
eingeschlossen werden.
Bei erfolgreicher Gewichtsreduktion bessert sich die Blutzucker­
einstellung meist deutlich, sodass oft keine zusätzlichen pharmakologischen Maßnahmen notwendig sind. Leider gelingt dies dauerhaft
nur bei einem kleinen Prozentsatz der Patienten.
zz Biguanide
Führt bei übergewichtigen Jugendlichen mit Typ-II-Diabetes ein
Therapieversuch mit Änderung des Verhaltens über 3 Monate nicht
zu einem HbA1c <7 %, ist Metformin indiziert. Metformin führt
nicht zur Gewichtszunahme und steigert nicht die Insulinsekretion
(kein Hypoglykämierisiko), sondern verbessert die Insulinresistenz
durch Hemmung der hepatischen Glukoneogenese und Steigerung
der Glukoseaufnahme im Fettgewebe und der Muskulatur.
-
Vorgehen
Metformin einschleichend beginnen mit einmal täglich
500 mg
nach 14 Tagen Steigerung auf 2-mal 500 mg, morgens und
spätabends
bei Bedarf weitere Dosissteigerung (2-mal 850 mg), maximale
Dosis: 2-mal 1000 mg
Nebenwirkungen: Übelkeit, Oberbauchschmerzen, Blähungen,
Durchfälle, metallischer Geschmack. Laktatazidose selten, meist bei
Nichtbeachten der Gegenanzeigen.
!! Gegenanzeigen: Kreatininclearance <60 ml/min, Lebererkran-
kungen, Pankreatitis, hypoxische Zustände, Reduktionsdiäten
<1000 kcal/Tag. Vor Operationen bzw. Narkosen oder Gabe von
Röntgenkontrastmitteln muss Metformin abgesetzt werden.
zz Insulin
Alle pädiatrischen Patienten mit ausgeprägten Diabetessymptomen,
mit initialer Ketose, stark erhöhten Blutzuckerwerten, einem hyperglykämischen Koma oder zunächst unklarem Diabetestyp sollten
unbedingt initial mit Insulin behandelt werden. Bei Patienten mit
Typ-II-Diabetes kann in aller Regel die Insulintherapie rasch reduziert oder ganz beendet werden.
Für pädiatrische Patienten mit Typ-II-Diabetes sind nur Metformin und Insulin zur Diabetesbehandlung offiziell zugelassen. Wenn
mit Metformin alleine über 3 Monate ein HbA1c-Wert unter 7 %
nicht erreicht wird, kann entweder als individueller Therapieversuch
eine orale Kombinationstherapie versucht oder eine Insulinbehandlung eingeleitet werden. Metformin wird beibehalten und entweder
abends ein Verzögerungsinsulin oder Langzeitinsulin gegeben oder
aber zu den Mahlzeiten ein kurzwirksames Insulin. Welches Vorgehen gewählt wird, orientiert sich an den gemessenen Blutzuckerwerten (hoher Nüchternblutzucker oder hohe postprandiale Werte).
Wenn auch hiermit die Stoffwechseleinstellung nicht befriedigend ist, dann Wechsel auf eine intensivierte Insulintherapie entsprechend dem Vorgehen beim Typ-I-Diabetes. Hauptproblem der
Insulintherapie ist neben dem Hypoglykämierisiko die Neigung zur
Gewichtszunahme bzw. die zusätzliche Erschwerung einer Gewichtsreduktion.
14
114
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
Kapitel 14 • Diabetes mellitus
zz Bariatrische Operation
Zunehmend werden auch bei Jugendlichen mit extremer Adipositas
bariatrische Operationen durchgeführt (Magenband, Schlauchmagen, Roux-en-Y-Anastomose, zahlreiche weitere Verfahren). Bei
Erwachsenen mit Typ-II-Diabetes verschwindet dieser oft wenige
Tage nach einer bariatrischen Operation. In wieweit dies auch bei
Jugendlichen zutrifft, und wie der langfristige Verlauf ist (u. a. Gewichtsverlauf, Vitaminmangel bei Malresporption, Depressivität,
Suizidalität, Lebensqualität, Folgeoperationen, soziale Integrierung)
ist zur Zeit noch nicht absehbar. Über bariatrische Operationen bei
Jugendlichen mit Typ-II-Diabetes muss individuell entschieden
werden, diese sollten nur an spezialisierten Zentren durchgeführt
werden, eine langfristige Nachbetreuung muss gesichert sein.
14.5.2MODY
Patienten mit MODY 2 (Glukokinase-Mutationen) können meistens mit einer Ernährungsumstellung alleine ausreichend behandelt
werden.
Patienten mit MODY 3 (HNF-1α-Mutationen) reagieren oft sehr
empfindlich auf Sulfonylharnstoffe, sodass mit sehr geringen Dosen
begonnen werden muss.
Patienten mit MODY 1 (HNF-4α-Mutationen) können teilweise
ebenfalls mit Sulfonylharnstoffen behandelt werden.
Patienten mit MODY 5 (HNF-1β-Mutationen) benötigen häufig
Insulin.
14.5.3Diabetes
bei Mukoviszidose
Aufgrund der verbesserten Lebenserwartung steigt die Anzahl Jugendlicher und junger Erwachsener mit Diabetes bei Mukoviszidose
(CFDM). Ein jährliches Screening ab dem 10. LJ wird empfohlen,
da die Symptomatik initial oft nicht von der Grunderkrankung getrennt werden kann (Gewichtsabnahme, Infektionen, pulmonale
Verschlechterung etc). Da HbA1c-Werte bei CF oft falsch-niedrig
sind (Hämolyse), ist ein jährlicher OGTT empfehlenswert.
kk Therapie
In der Ernährungstherapie soll bei CFDM keinesfalls die hochkalorische Kost in Frage gestellt werden oder die Kohlenhydrataufnahme
reduziert werden. Zugelassen und in Leitlinien empfohlen ist einzig
die Insulintherapie, orale Antidiabetika (Sulfonylharnstoffe, Glinide)
können nur nach Aufklärung und individueller Entscheidung eingesetzt werden. Oft reichen initial bei lediglich postprandial erhöhten
Blutzuckerwerten präprandiale Insulingaben mit Normalinsulin
(Zwischenmahlzeit mit abgedeckt) oder schnellwirkendem Analoginsulin aus. Wenn auch die Nüchternblutzuckerwerte erhöht
sind, ist zusätzlich ein Basalinsulin notwendig. In fortgeschrittenen Stadien mit komplettem Insulinmangel sind eine intensivierte
Insulintherapie oder eine Insulinpumpenbehandlung notwendig.
Temporäre Verschlechterung der Blutzuckerwerte, mit evtl. nur
zeitweiser Insulinpflichtigkeit, treten bei pulmonaler Exazerbation,
bei systemischer Steroidtherapie oder nächtlicher Sondenernährung
auf. Nach Lungentransplantation benötigt ein Großteil der Patienten
ebenfalls eine Insulintherapie.
14.5.4
Andere spezifische Diabetestypen
Bei Patienten mit anderen spezifischen Typen des Diabetes ist, wenn
immer möglich, die Grunderkrankung zu behandeln oder aber frühzeitig mit der Insulintherapie zu beginnen.
14.5.5
Diabetes des Neugeborenen
Insulin ist ein intrauteriner Wachstumsfaktor. Dies erklärt die Makrosomie von Neugeborenen diabetischer Mütter und von Neugeborenen mit hyperinsulinämischer Hypoglykämie (Nesidioblastose),
während Neugeborene mit Diabetes mellitus oft als Mangelgeborene
auffallen. Der Diabetes kann transient (TNDM) oder permanent
(PNDM) sein, nicht selten tritt nach TNDM die Erkrankung in der
Pubertät erneut auf.
In den letzten Jahren wurden mehrere Ursachen des neonatalen
Diabetes molekulargenetisch aufgeklärt: homozygote Mutationen
im Glukokinase-Gen, Mutationen in hepatischen Transkriptionsfaktoren (HNF-1), paternale uniparentale Disomie an Chomosom 6
(meist transienter neonataler Diabetes), Mutationen im Sulfonylharnstoffrezeptor (SUR1, ABCC8-Gen) bzw. dem assoziierten Kaliumkanal (KIR 6.2, KCNJ11-Gen), Mutationen im Insulingen, IPEXSyndrom (FOXP3), Pankreasaplasie (Mutationen in IPF1/PDX1),
Wolcott-Rallison-Syndrom (EIF2AK3), mitochondriale Mutationen.
Mutationen im KIR-6.2-Kanalprotein führen zu neonatalem
Diabetes oder zum DEND-Syndrom (Kombination mit Entwicklungsverzögerung und Krampfleiden). Ebenso wie Patienten mit
Mutationen im SUR1-Protein können diese Patienten mit Sulfonylharnstoffen – bezogen auf das Körpergewicht mit meist hohen Dosen – sehr erfolgreich behandelt werden, weshalb bei allen Patienten
mit Diabetesbeginn in den ersten 6–9 Monaten hieran gedacht und
ggf. eine molekulare Diagnostik eingeleitet werden sollte.
Bei anderen Formen des neonatalen Diabetes ist eine Insulintherapie notwendig. Der angestrebte Blutzuckerwert sollte 100–200 mg/
dl betragen, Unterzuckerungen sollten bei den Patienten unter allen
Umständen vermieden werden!
-
Vorgehen
Initiale Stabilisierung mit Insulininfusion i.v. (0,3–1 E/kgKG/
Tag)
2–3 Injektionen NPH-Insulin, Vorsicht mit Injektionen von
Normalinsulin
Insulinpumpe (evtl. Insulin 1:10 verdünnen); wird heute meist
bevorzugt
Literatur
Chiarelli F, Dahl-Jorgensen K, Kiess W (2005) Diabetes in childhood and adolescence. In: Pediatric and adolescent medicine, vol 10. Karger, Basel
Diabetes Control and Complications Trial Research Group (1994) Effect of intensive diabetes treatment on the development and progression of long-term
complications in adolescents with insulin-dependent diabetes mellitus:
Diabetes Control and Complications Trial. J Pediatr 125: 177
Ender S, Stachow R, Petermann F, Tiedjen U (2011) Verhaltensauffälligkeiten
bei körperlich chronisch kranken Jugendlichen: Übereinstimmungen und
Unterschiede im Selbst- und Elternurteil. Klin Pädiatr 223: 231–235
Finck H, Holl R, Ebert O (2013) Die soziale Dimension des Diabetes mellitus.
Deutscher Gesundheitsbericht Diabetes 2014. Herausgegeben von DiabetesDE. Kirchheim, Mainz
115
Literatur
Fröhlich-Reiterer EE, Borkenstein MH (2010) Typ-1-Diabetes mellitus: Spätkomplikationen im Kindes- und Jugendalter. Wien Med Wochenschr 160:
414–418
Global IDF/ISPAD Guideline for Diabetes in Childhood and Adolescence (2011)
http://www.idf.org/guidelines
Bartus B, Holder M B (2012) Diabetes bei Kindern. TRIAS, Stuttgart
Gardner DS, Tai ES (2012) Clinical features and treatment of maturity onset
diabetes of the young (MODY). Diabetes Metab Syndr Obes 5: 101–108
Heinze E, Holl RW (2003) Tests of b-cell function in childhood and adolescence.
In: Ranke MB (ed) Diagnostics of endocrine function in children and adolescents, 3rd ed. Karger, Basel
Holl RW, Grabert M (2013) Versorgung der Kinder und Jugendlichen mit Diabetes – Entwicklungen der letzten 18 Jahre. Deutscher Gesundheitsbericht
Diabetes 2014. Herausgegeben von DiabetesDE. Kirchheim, Mainz
Holl RW (2004) Hyperglykämie. In: Michalk, Schönau (Hrsg) Pädiatrische Differentialdiagnose, 2. Aufl. Urban & Schwarzenberg, München
Holterhus PM , Beyer P, Bürger-Büsing J et al. (2009) Diagnostik, Therapie und
Verlaufskontrolle des Diabetes mellitus im Kindes- und Jugendalter. In:
Haak T, Kellerer M (Hrsg.) Evidenzbasierte Diabetes-Leitlinie DDG. http://
www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de/leitlinien/EBL_Kindesalter_2009.
pdf
Hürter P, Kordonouri O, Lange K, Danne T (2007) Kompendium pädiatrische
Diabetologie. Springer, Heidelberg Berlin
Hürter P, von Schütz W, Lange K (2011) Kinder und Jugendliche mit Diabetes:
Medizinischer und psychologischer Ratgeber für Eltern. Springer, Berlin
Heidelberg New York
Karges B, Meissner T, Icks A, Kapellen T, Holl RW (2012) Management of diabetes
mellitus in infants. Nature Reviews Endocrinology 8: 201–211
Kerner W, Brückel J (2011) Definition, Klassifikation und Diagnostik des Diabetes
mellitus. Diabetologie 6: 107–110
Koletzko S (2013) Diagnose und Therapie der Zöliakie im Kindesalter. Monatsschrift Kinderheilkunde 161:63–78
Neu A (2011) Diabetes mellitus im Kindes- und Jugendalter. In: Häring HU, Gallwitz B, Müller-Wieland D, Usadel KH, Mehnert H (Hrsg.) Diabetologie in
Klinik und Praxis. 6. Auflage, Thieme Stuttgart New York
Pearson ER, Flechtner I, Njolstad P et al. (2006) Switching from insulin to oral
sulfonylureas in patients with diabetes due to Kir6.2 mutations. N Engl J
Med 355: 467
Rettig I, Schleicher E (2012) Labormethoden bei Diabetes mellitus. Diabetologie
7: R1–R16
Rosenbauer J, Stahl A (2010) Häufigkeit des Diabetes mellitus im Kindes- und
Jugendalter in Deutschland. Diabetologe 6: 177–189
Springer C et al. (2013) Technical Report: Management of Type 2 Diabetes Mellitus in Children and Adolescents. Pediatrics 131: e648–e664
Thurm U, Gehr B (2011) Das ABC der Insulinpumpentherapie (CSII) und der
kontinuierlichen Glukosemessung (CGM) Kirchheim, Mainz
Wiegand S (2005) Therapie des Diabetes mellitus Typ 2. Monatsschr Kinderheilkd 153: 936
Wolfsdorf J, Glaser N, Sperling MA (2006) Diabetic ketoacidosis in infants, children and adolescents. Diabetes Care 29: 1150
14
Herunterladen