Junghanns_Psychose_Komorbiditaet [Kompatibilitätsmodus

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Doppel- und
Mehrfachdiagnosen
Prof. Dr. Klaus Junghanns
23.02. 2017
Mögliche kausale Relationen von Psychose und 2.
Diagnose X
Diagnose X
Psychose
Prädisposition
Zufall
Psychose
Psychose
Psychoseinduktion
Diagnose
X
Psychosefolge
Psychose
Diagnose
X
Genetik
Supersensitivität
Diagnose
X
Kein
Zusammenhang
Psychiatrische Diagnosen
 Die aktuellen Psychiatrischen Diagnosesysteme sind
 syndromatologisch : es werden verschiedene (teilweise auch bei anderen
Störungen auftretende) Symptome zu Diagnosen zusammengefasst
 typologisch: es müssen eine gewisse Anzahl z.T. gewichteter Symptome aus einer
größeren Anzahl an Merkmalen erfüllt sein.
 Für eine Nosologie fehlt in der Psychiatrie
 Die Kenntnis der spezifischen, kausal wirksamen Ursachen
 Die Kenntnis einer genauen Pathogenese
 Die Kenntnis des genauen Verlaufes
 Die Kenntnis über spezifische, kausal wirksame Therapiemaßnahmen
Ist Schizophrenie überhaupt eine einzelne nosologische
Krankheit?
„Keine zwei Patienten mit Schizophrenie zeigen exakt die
gleiche Symptomkonstellation!“ (Buckley et al. 2009)
Störungsklasse
Studien
Mittlere Reliabilität
Cohen‘s Kappa (κ)
Schizophrenie
8
0,54
Neurotische Depression
5
0,21
Psychotische
Depression
1
0,19
Persönlichkeitsstörungen 7
0,29
Neurosen
7
0,36
Alkoholismus
4
0,71
Spitzer & Wilson 1975
Reliabilität um 1975
κ  0,75: ausgezeichnet, κ < 0,4: skeptisch zu betrachten
•
•
Fehlende klare und reliable diagnostische Kriterien
Prävalenzschätzungen für psychiatrische Morbidität in der
Bevölkerung: 5 bis 70% ! (Regier et al 1985)
DSM III
Revolutionäre Forderungen
• Klinisch brauchbar für Forschung, Therapie und
administrative Aspekte
• Möglichst ohne jegliche unbewiesene Theorie
– Wegfall u.a. von Begriffen wie „endogen“, „psychogen“,
„Neurose“, „Psychose“ und auch „psychosomatische
Störung“
• Vorwiegend deskriptiv, operationalisiert
• Klare Definitionen für klinische Begriffe
• Übereinstimmung mit Forschungsergebnissen
Man kann mehrere Störungen gleichzeitig haben
– eingeschränkte Priorisierung; ICD9: z.B. „SchizophrenieDiagnose schlägt Angstneurose“
Unscharfe Diagnosegrenzen
Gesamtprävalenz psychiatrischer Erkrankungen
(WHO)
20
%
15
10
5
0
Schizophrenie
bipolare PanikErkrank. störung
Zwangsstörung
Gen.
Alkohol- Depr.
Psychosomat.
Angstst abh.
Episoden Störungen
.
Positiv-Symptomatik (akut)
- Wahn
- Halluzinationen
- formale Denkstörungen
- Ich-Störungen
Negativ-Symptomatik (chronisch)
- Affektverflachung
- Antriebsarmut, sozialer Rückzug
- Verarmung Sprache/Denken
Schizophrenie
Affektive Störungen
- Psychotische Angst, Unruhe
- initiale und postpsychotische Depres.
- Parathymie, läppischer Affekt
Antrieb, Handeln
- Erregtheit, aggressives Verhalten
- gehemmt, im Extremfall Stupor
- desorganisiert, ziellos/planlos
- bizarres Verhalten
Häufige Frühwarnzeichen für Rezidiv
Ruhelosigkeit
Schlafstörungen
Nervosität, Gespanntheit
Schwierigkeiten bei d. Arbeit
Nicht verstanden werden
Sich überfordert fühlen
%
wenige Freude empfinden
wenig sozialer Kontakt
0
(nach H. Olbrich & Gierer, 1998)
50
100
Begriffe bestimmen unseren
Blick
Antipsychotika (AP),
Antidepressiva (AD)
• Haloperidol  Anhedonie, Depression
• Olanzapin, Quetiapin, Amisulprid auch bei
Manie (bipolar affektiver Störung) und
Depressionen wirksam
• Präpsychotische Jugendliche profitieren durch
AD genauso gut wie durch AP (Cornblatt et al.
2007, naturalistische Studie!)
• Unter OLZ und CLZ weniger Suizidalität
Depression bei Psychose
• häufig
• Erhöhte Rezidivrate
• Postpsychotische Depression:
möglicherweise eine Form von
depressiver Episode
• Einige Antipsychotika könnten einen
direkten Einfluss auf affektive Störungen
haben (weniger Suizidalität, bessere
Stimmung unabh. von Psychoselinderung)
Schizophrenie und komorbide
Sucht
Substanzmissbrauch/
abhängigkeit
Alkohol
Andere Substanzen
47%
33,7%
27,5%
Depression: 27%
Angststörung: 23,7%
Bipolare Störung: 56,1%
Dissoziale PS: 83,6%
Regier et al. 1990
ECA, Lebenszeit-Prävalenz.
Schizophrenie und komorbide
Sucht
Substanzmissbrauch/
abhängigkeit von
% der Pat. mit
Schizophrenie
Kokain
15-50
Amphetamin
2-25
Cannabis
12-42
Alkohol
20-60
Nikotin
70-90
Chambers et al. 2001
Lebenszeit-Prävalenz, USA
Schizophrenie und komorbide Sucht
Soyka et al. 1993, 2001 (n=637)
Substanzmissbrauch/
abhängigkeit von
% der Pat. mit
Schizophrenie
Insgesamt
29,0
Alkohol
20,8
15,4
9,6
9,1
6,7
5,3
4,9
Cannabis
Hypnotika/BZP
Halluzinogene
Kokain
Psychostimulanzien
Opiate
3 Monats-Prävalenz, München
Substanzinduktion der Schizophrenie
(Cannabis, Halluzinogene, Stimulanzien)
+ Früherer Erkrankungsbeginn bei DD
+ Substanzmissbrauch zeitlich oft vor Produktivsymptomen
+ Ohne Cannabisgebrauch könnte das Schizophrenie-Risiko um 8%
gesenkt werden (Arseneault et al. 2004: Meta-Analyse; Andreasson
et al. 1987)
+ Auf individueller Ebene verdoppelt Cannabisgebrauch das
Schizophrenie-Risiko
-
Prävalenzraten der Schizophrenie transkulturell stabil,
Missbrauchsmuster nicht
Komorbide Sucht bei Schizophrenie
•
•
•
•
•
•
•
•
Mehr positive Symptome
Mehr Rezidive
Höheres Gewaltrisiko
Höheres Suizidrisiko
Mehr somatische Erkrankungen
Mehr Konflikte mit dem Gesetz
Mehr Nbw. durch Aps
Kein Hinweis auf gemeinsame genetische
Grundlage
Supersensitivitätshypothese
(Chambers et al. 2001)
• Schizophrene reagieren empfindlicher als ‚Gesunde‘ auf
Suchtmittel.
• Störung des Dopamin (D2)-Glutamat-Gleichgewichtes als
gemeinsame, biologische Grundlage von Sucht und
Psychose (Chambers et al. 2001,)
– erhöhte Sensitivität im Ncl. Accumbens mit erhöhter
Dopaminausschüttung
– verminderte präfrontale und hippocampale Kontrolle führt zu
– erhöhter positiver Verstärkung und verminderter Steuerung durch
langfristig negative Verstärker
– trotz Auslösung einer Produktivsymptomatik.
Besonderheiten der Therapie
•
Verminderte sozio-emotionale Belastbarkeit: Gruppentherapie über 90
Minuten mit wechselnden emotional besetzten Themen und lebhafter Interaktion
überfordert leicht.
 Themenzentrierte, psychoedukative und supportive 60 MinutenAngebote besser
 Ambulante, längerfristige, weniger intensive Angebote bringen mehr
 Integrative Ansätze bevorzugen
• Ausgeprägte soziale Problemstellungen und Hilfsbedürftigkeit
 Sozio-therapeutische Begleitung, auch vor Ort, hilfreich
Overcoming Addictions
LJ Roberts, A Shaner, TA Eckman 1999
Ca. 35 Wochen
Basics
8 x 45 Min.
Skills Training
27 x 45 Min.
Practice Sessions
2 x 45 Min./Wo.
Basics Training
LJ Roberts, A Shaner, TA Eckman 1999
•
Sitzung 1: Schadensbegrenzung (Damage Control)
•
Sitzung 2: Notfall/Krisen-Karte (Emergency Card)
•
Sitzung 3: Gewohnheiten und Craving-Kontrolle
•
Sitzung 4: Hochrisikosituationen
•
Sitzung 5: (Früh-)Warnsignale (Warning Signs)
•
Sitzung 6: Gesunder Genuss und gesunde Gewohnheiten (Healthy
Pleasures and Healthy Habits)
•
Sitzung 7: Warum Schluss mit Drogen ?
•
Sitzung 8: Finanzplanung (Money Management)
Skills Training
LJ Roberts, A Shaner, TA Eckman 1999
9 Skills à 3-4 Sitzungen:
–
Skill-Rational (Sitzung 1)
–
Videofilm (exemplarisches Rollenspiel), Patientenrollenspiele (Sitzung
2-4)
1. Einen Lapse beenden
2. Einen Lapse mitteilen
3. Eine Droge von einem Dealer ablehnen
4. Ein Suchtmittel von einem Freund ablehnen
5. Einen konkreten Gesprächstermin vereinbaren
6. Unterstützung von jemandem holen (vereinbaren)
7. Seinem Arzt Symptome und Nebenwirkungen mitteilen
8. Jemanden zu einer gemeinsamen Unternehmung einladen
9. Mit seinem Betreuer Dinge aushandeln
Practice Sessions
LJ Roberts, A Shaner, TA Eckman 1999
• 2x pro Woche
• Kombination aus Problemlöse- und Skillstraining
• Erarbeitung, gezielte Vorbereitung und Durchspielen
aktuell anstehender Probleme, Problemlösungen oder
gesundheitsfördernder Aktivitäten
• Bezugnahme auf Basics und Skills
Metanalyse zu Therapie an DD Patienten
Drake et al. 1998, 2000, Witte et al. 2014
• n = 36 Studien
• Integrierte Behandlungen brachten mehr Erfolge, mäßiges
Ausmaß
• Gute Haltequoten, gute Verminderung von Substanzgebrauch
und höhere Remissionsraten, aber
• stationär-psychiatrische Behandlungen und psychiatrische
Symptomatik nicht eindeutig vermindert.
Angststörungen bei Schizophrenie
Buckley et al. 2009
• Panikstörung: ca. 15% (5% i.d.Bev.)
– Bes. bei paranoid-hall. Form
– Kein Hinweis auf pathogenetischen Zusammenhang
• Posttraumatische Belastungsstörung: ca.
29% (7,8%)
– Am ehesten Folge der Umgebungsbedingungen
Zwangsstörungen bei Schizophrenie
Buckley et al. 2009
• Zwangsstörung (ca. 2%): 12,5 fach erhöhtes Risiko
bei Schizophrenie (25%), 3,8 fach erhöhtes Risiko für
Schizophrenie bei bestehender OCD.
– Fließende Grenzen zwischen Wahn und Zwang
– Dopamin und Serotonin spielen bei beiden Störungen
eine wichtige Rolle
– Erhöhtes Suizidrisiko bei Doppeldiagnose-Pat.
– CLZ und andere AP können Zwänge fördern!
Vielen Dank!
Herr S.
Ein 45j., verheirateter Handwerker kommt nach
Alkoholentzug zur ersten Langzeit-Entwöhnungstherapie.
Unter Alkoholeinfluss immer wieder Verfolgungsideen und
ein religiös motivierter Größenwahn. Ohne Alkoholeinfluss
sei die Symptomatik stets wieder abgeklungen, auch ohne
Medikation.
Wiederholte psychiatrische Behandlungen. Letzte
Diagnosen: Schizoaffektive Psychose und
Alkoholabhängigkeit. Wdh. berufliche
Reintegrationsmaßnahmen abgebrochen.
Medikationen: Carbamazepin, Risperidon und Mirtazapin.
Herr S.
Unter der dd. Überlegung einer Alkoholpsychose wird
Mirtazapin und Risperidon reduziert, Carbamazepin ganz
ausgeschlichen.
In den nächsten 4 Wochen offener, in der Gruppe
gesprächig, begrenzt integriert.
Dann erfährt er, dass Frau und Kinder sich von ihm trennen
und jeglichen weiteren Kontakt ablehnen.
Herr S.
Über zwei Tage Niedergeschlagenheit und
Schlafstörungen, ‚fängt‘ sich dann aber rasch wieder.
Er nimmt Kontakt zu einer ehemaligen Mitpatientin auf:
intensiver Gedankenaustausch.
Erleben von Leistungsstärke, wenig Schlaf. In der GT
teilweise etwas grenzüberschreitend, aber doch
begrenzbar.
Nach psychiatrischer Vorstellung wird Risperidon 2mg
beibehalten, Mirtazapin soll abgesetzt werden.
Herr S.
Herr S. nimmt in den Folgetagen die Medikation ‚nach
gusto‘ ein, am Vortage Mirtazapin 30mg und 4mg
Risperidon.
Nun besteht er auf seiner sofortigen Entlassung: seine
baldige Ehefrau sei stationär-psychiatrisch und akut
suizidal. Er müsse sie retten. Er beherrsche den Kontakt zu
Gott und zum Teufel und habe telepathische Fähigkeiten.
Es gehe ihm gut.
Herr S.
PPB: angespannt, psychomotorisch beschleunigt und
getrieben, Größenwahn, im Gespräch nur kurzzeitig
beeinflussbar. Er ist glaubhaft alkohol- und
drogenabstinent.
Zwei Tage später wird er im anderen Krankenhaus auf
eigenen Wunsch entlassen.
Ca. weitere 4 Wo. später Wiederaufnahme dort mit akuter
psychotischer Symptomatik und Alkoholrückfall.
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