3 Diagnostische Kriterien - Deutsche Gesellschaft für

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3 Diagnostische Kriterien
3.1 Vorbemerkungen
z
3.1 Vorbemerkungen
Bei rheumatischen Erkrankungen ist nur selten die Ursache bekannt. Dort, wo
dies der Fall ist, erfolgt die Klassifikation und Beschreibung der Erkrankung
ursachenbezogen (z. B. infektiöse Arthritis).
Rheumatische Erkrankungen unklarer Ursache lassen sich in der Regel
nicht aufgrund eines Krankheitsmerkmals unterscheiden. Die Identifikation
dieser Erkrankungen ist meist nur auf der Grundlage einer Kombination von
klinischen, röntgenologischen, labormedizinischen und anderen Merkmalen
möglich. Zur Definition rheumatischer Erkrankungen, des aktuellen klinischen Zustands, der Prognose und der Folgen wurden auf der Basis eines
Expertenkonsensus anhand von ausgewählten Patientengruppen Kriterien für
unterschiedliche Zwecke erarbeitet.
z Klassifikationskriterien unterscheiden Patienten mit einer bestimmten Erkrankung von Patienten ohne diese Krankheit und von Gesunden.
z Subklassifikationskriterien unterscheiden Erkrankungen oder Untergruppen
(Subsets, Varianten) innerhalb einer Krankheitsgruppe.
z Prognostische Kriterien erlauben es, Patienten mit leichten oder schweren
Krankheitsverläufen voneinander zu trennen.
z Statusindizes beschreiben die aktuelle Krankheitsaktivität und den Grad irreversibler Schäden.
z Outcomekriterien messen die Gesamtheit der Folgen einer Erkrankung.
Klassifikationskriterien sind ein Kompromiss aus Sensitivität und Spezifität
zur Identifizierung einer Erkrankung. Sie dienen in erster Linie wissenschaftlichen Untersuchungen (epidemiologische Untersuchungen, Therapiestudien),
sie werden jedoch in der Praxis häufig als diagnostische Kriterien verwendet.
Klassifikationskriterien bestehen aus einer definierten Anzahl von klinischen,
röntgenmorphologischen, labormedizinischen oder sonstigen Merkmalen, von
denen eine Mindestanzahl nachgewiesen werden soll, um von einer gesicherten Diagnose ausgehen zu können. Sensitivität und Spezifität der Kriterien
sind für diese Mindestanzahl von Merkmalen definiert. Alternativ werden sog.
Entscheidungsbäume verwendet, die innerhalb eines definierten Katalogs von
Kriterien Sensitivität und Spezifität verschiedener Merkmalsgruppen definieren. Die Sensitivität beschreibt dabei die Häufigkeit eines Merkmals oder einer
Merkmalsgruppe bei der betreffenden Erkrankung und die Spezifität die Häufigkeit des Fehlens dieses Merkmals oder dieser Merkmalsgruppe bei Patienten
mit differenzialdiagnostisch relevanten Erkrankungen oder bei Gesunden.
Eine Besonderheit rheumatischer Erkrankungen ist es, dass einzelne Patienten wesentliche Krankheitssymptome verschiedener Erkrankungen aufweisen
können bzw. dass Erkrankungen nicht klar voneinander abgegrenzt werden
können. Hinzu kommt, dass das Krankheitsbild oft zu Beginn nicht hinrei-
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z
3 Diagnostische Kriterien
Tabelle 1. Übersicht über Klassifikationskriterien in der Rheumatologie
Rheumatische Erkrankungen
Klassifikationskriterien
z Rheumatoide Arthritis
ACR-(ARA-)Kriterien 1987
z Juvenile idiopathische Arthritis
EULAR-WHO 1977; ARA/ACR 1977; ILAR 1997
z Spondyloarthropathien
ESSG-Kriterien 1991
z Ankylosierende Spondylitis
New-York-Kriterien 1968
z Sjögren-Syndrom
EEC-Kriterien 1993
z SLE
ACR-(ARA-)Kriterien 1982
z Systemische Sklerose
Vorläufige ACR-(ARA-)Kriterien 1980
z Poly-/Dermatomyositis
Kriterien von Bohan und Peter 1975
z Vaskulitissyndrome
ACR-Kriterien 1990
z Polymyalgia rheumatica
BIRD-Kriterien 1979
z Behçet-Syndrom
Kriterien der „International study group for Behçets
disease“ 1990
z Arthritis urica
New-York-Kriterien 1966
z Arthrosen der Hände
ACR-Kriterien 1990
z Arthrose des Kniegelenks
ACR-Kriterien 1991
z Arthrose des Hüftgelenks
ACR-Kriterien 1991
z Fibromyalgiesyndrom
ACR-Kriterien 1990
chend differenziert ist, sodass eine Zuordnung zu einer bestimmten Erkrankung nicht gelingt. Bei den Spondyloarthritiden hat dies dazu geführt, dass
Klassifikationskriterien für eine Krankheitsgruppe definiert wurden, die es
auch erlauben, „undifferenzierte“ Fälle einer Krankheitsgruppe zuzuordnen,
wo die Zuordnung zu Einzelerkrankungen nicht gelingt.
Einen Überblick über die international gebräuchlichen und in diesem Manual verwendeten Klassifikations-(Diagnose-)kriterien rheumatischer Erkrankungen gibt die Tabelle 1.
z Literatur
1. Fries JF, Hochberg MC, Medsger Jr TA, Hunder GG, Bombardier C and the American College of Rheumatology Diagnostic and Therapeutic Criteria Committee
(1994) Criteria for rheumatic disease: different types and different functions.
Arthritis Rheum 37:454–462
2. Mathies H (Hrsg) (1984) Leitfaden für Diagnose und Therapie rheumatischer Erkrankungen. EULAR, Basel
3.2 Rheumatoide Arthritis
z
3.2 Rheumatoide Arthritis
(ICD-Nr. M 05.0 bis .9, M 06.0)
z Synonyma. Chronische Polyarthritis, Rheumatoidarthritis.
z Definition
Die rheumatoide Arthritis (RA) ist eine chronische, unter Umständen remittierend oder schubweise verlaufende entzündliche, destruierende Gelenkerkrankung (Synovialitis) mit Schwellung, Schmerzen, Tendenz zur Bewegungseinschränkung bis zur Ankylosierung, auch Stabilitätsverlust, Deformierung und Deviationen mehrerer peripherer Gelenke mit entsprechenden Folgezuständen (z. B.
Muskelatrophien), oft unter Beteiligung der Sehnenscheiden und der Halswirbelsäule und mit möglichen Manifestationen außerhalb des Bewegungsapparates.
Tabelle 1. Kriterien zur Klassifikation der RA der American Rheumatism Association (jetzt American
College of Rheumatology) in der Revision von 1987
Kriterium
Definition
1. Morgensteifigkeit
Morgensteifigkeit in und um die Gelenke von mindestens einer
Stunde Dauer bis zur maximalen Besserung.
2. Arthritis von 3 oder
mehr Gelenkregionen
Mindestens 3 Gelenkregionen gleichzeitig mit Weichteilschwellung
und Erguss (nicht allein knöcherne Verdickung), Arztbeobachtung.
Die 14 möglichen Regionen sind die rechten oder linken Interphalangeal-(PIP-), Metacarpophalangeal-(MCP-) Gelenke, Hand-, Ellenbogen-, Knie-, Sprung- und Metatarsophalangeal-(MTP-) Gelenke.
3. Arthritis der Hand
Mindestens eine Gelenkregion geschwollen (wie oben definiert)
in einem Hand-, MCP- oder PIP-Gelenk.
4. Symmetrische Arthritis
Simultane Beteiligung der gleichen Gelenkregionen (wie unter 2.
definiert) auf beiden Körperseiten (bilaterale Beteiligung der PIP-,
MCP- oder MTP-Gelenke gilt auch ohne absolute Symmetrie).
5. Rheumaknoten
Subkutane Knoten über Knochenvorsprüngen, an den Streckseiten
oder in Gelenknähe durch Arztbeobachtung.
6. Rheumafaktor im
Serum nachweisbar
Befund abnormaler Titer des Serumrheumafaktors mit irgendeiner
Methode, die in weniger als 5% von normalen Kontrollpersonen
positiv ist.
7. Radiologische
Veränderungen
Für die chronische Polyarthritis typische radiologische Veränderungen auf einer P.-a.-Aufnahme der Hand und der Handgelenke,
Erosionen oder eindeutige Knochenentkalkung lokalisiert and den
betroffenen Gelenken oder unmittelbar an diese angrenzend
(arthrotische Veränderungen allein gelten nicht).
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z
3 Diagnostische Kriterien
z Kriterien
Aus Klassifikationsgründen wird ein Patient als rheumatoide Arthritis diagnostiziert, wenn mindestens 4 dieser 7 Kriterien erfüllt sind. Die Kriterien 1
bis 4 müssen für mindestens 6 Wochen bestanden haben. Patienten mit 2 klinischen Diagnosen sind nicht ausgeschlossen.
Anmerkung zu den Kriterien
z Die Verdachtsdiagnose einer RA ist auch schon bei Vorliegen einer Monarthritis oder Oligoarthritis ohne Erfüllung der Kriterien möglich. Zu Beginn manifestieren sich ca. 15% der Fälle in dieser Form. Wenn allerdings
ausschließlich Arthralgien – d. h. Gelenkschmerzen ohne jede objektivierbare Veränderungen – bestehen, sollte auch eine Verdachtsdiagnose nicht gestellt werden.
z Andererseits können die Kriterien erfüllt sein, ohne dass eine RA vorliegt
(häufigste Beispiele: Psoriasisarthritis oder Kollagenosen). In früheren Kriterien – ARA-Kriterien von 1958 – waren daher eine Reihe von Ausschlusskriterien enthalten, die bei der jetzigen Revision weggelassen wurden, aber
aus didaktischen Gründen nachfolgend aufgeführt sind.
z Sehr wichtig ist die Beachtung des Grundsatzes, bei jeder Atypie des klinischen Bildes einer vermeintlichen RA eine intensive Differenzialdiagnostik
zu betreiben (s. u.).
Ausschlusskriterien der RA [2]
z typische Hautveränderungen des SLE,
z Nachweis krankheitstypischer, definierter antinukleärer oder antizytoplasmatischer Autoantikörper,
z histologischer Nachweis einer Panarteriitis nodosa,
z klinische Symptome der Polymyositis/Dermatomyositis,
z systemische Sklerose,
z rheumatisches Fieber,
z Gichtarthritis,
z Tophi,
z akute infektiöse Arthritis,
z tuberkulöse Arthritis,
z Reiter-Syndrom,
z Schulter-Hand-Syndrom,
z hypertrophische Osteoarthropatie,
z neuropathische Arthropathie,
z Ochronose,
z Sarkoidose,
z multiples Myelom,
z Erythema nodosum,
z Leukämie oder Lymphome,
z Agammaglobulinämie.
3.2 Rheumatoide Arthritis
z
z Diagnostisch wichtige Krankheitssymptome
Gelenkbeteiligungen
Am häufigsten (über 40% der Fälle) erfolgt die Erstlokalisation an den PIPund MCP-Gelenken, die im späteren Verlauf fast immer involviert sind. Charakteristisch ist ferner der Befall der Handgelenke (Erstlokalisation 15%/spätere Beteiligung 85%), der Kniegelenke (15/80%), Sprunggelenke (12/40%),
Ellenbogen- und Schultergelenke (je 10/60%). Sehr früh, häufig noch vor den
Gelenken im Handbereich, werden auch die Zehengrundgelenke in den Prozess einbezogen, sodass auch bei Patienten ohne Vorfußschmerzen röntgenologisch oft schon die diagnostisch charakteristischen Osteolysen am Metatarsaleköpfchen V nachgewiesen werden. Hüft- (2/25%), Kiefergelenke (4/20%) und
HWS (4/60%) stehen in den Anfangsstadien weniger im Vordergrund. Ein ausgeprägter Befall der Fingerend- und Zehengelenke ist ungewöhnlich.
Extraartikuläre Befunde am Bewegungsapparat
Eine Tenosynovialitis der Fingerbeuger und -strecker wird in je 25%, eine Tenosynovialitis sonstiger Sehnen in bis zu 7% beobachtet. Karpaltunnelsyndrome finden sich bei bis zu 60%, Muskelatrophien praktisch bei jedem Patienten.
Symptomatologie außerhalb des Bewegungsapparates
Viszerale Beteiligungen sind, vor allem bei Frühfällen, insgesamt selten. Bei
manifesten Formen können sie gelegentlich krankheitsdominant werden. Im
Mittelpunkt steht die Vaskulitis, einzelne Organe können wie folgt betroffen
werden:
z Haut (Ulzera, Nekrosen, Gangrän),
z Herz (vorwiegend Perikarditis, Endokarditis),
z Lunge (relativ häufig Pleuritis, seltener interstitielle Lungenfibrose, Rheumaknoten der Lunge, Bronchiolitis),
z Neuropathie,
z Befall der Nieren- und Mesenterialgefäße.
Weitere extraartikuläre Manifestationen sind Rheumaknoten (ca. 20%), eine
Sicca-Symptomatik (ca. 10%), Augensymptome (Episkleritis, Skleritis) und eine heute klinisch seltene Amyloidose.
Laborwerte
z Rheumafaktorennachweis: Am Krankheitsbeginn wird er nur zu etwa 40%,
im weiteren Verlauf in bis zu 85% positiv gefunden. Für die Diagnose einer
seronegativen RA sind mindestens 3 negative Tests im Zeitraum über 3 Jahre
erforderlich.
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z
3 Diagnostische Kriterien
Tabelle 2. Differenzialdiagnostisch relevante Symptome
Symptom
Mögliche Differenzialdiagnose
z Monarthritis oder
asymmetrische
Oligoarthritis
Psoriasisarthritis – Reaktive Arthritis – periphere Arthritis bei
Spondylitis ankylosans – Gelenkinfektion – Kristallarthropathien
(Arthritis urica, Chondrokalzinose) – Villonoduläre Synovialitis –
Hämarthros – Symptomatische Arthropathien u. a. bei Stoffwechselerkrankungen, Neuropathien, Enteropathien, Endokrinopathien
– Arthrosen – Gelenknahe Knochenprozesse
z Fingerendgelenksbefall
Psoriasisarthritis – Fingerpolyarthrose – Hypertrophische Osteoarthropathie
z Anfallsartige Gelenksymptome (Entwicklung
in wenigen Stunden,
Dauer bis eine Woche)
Kristallarthropathien – Palindromer Rheumatismus – Hämarthros
z Beginn nach Infekten
Reaktive Arthritiden – Rheumatisches Fieber – Gelenkinfektionen
z Durchfallsanamese
Enteropathische Arthritiden (z. B. bei M. Crohn, Colitis ulcerosa)
– Reaktive (z. B. Yersinia-) Arthritis
z Fieber
Kollagenosen – Reaktive Arthritiden – Gelenkinfektionen –
Adulter M. Still – Arthritis urica
z Hautbeteiligung
Psoriasisarthritis – Kollagenosen – Reaktive und enteropathische
Arthritiden – Arthritis bei Sarkoidose – Purpura rheumatica
z Schleimhautbeteiligung
Reaktive Arthritiden – Kollagenosen – M. Behçet
z Sicca-Symptomatik
Kollagenosen
z Augenbeteiligung
Arthritis bei Spondylitis ankylosans – Reaktive Arthritis –
M. Behçet
z Raynaud-Symptomatik
Kollagenosen
z „Atypische“ Knoten
Arthritis urica – Arthropathie bei Hyperlipoproteinämien –
Fingerpolyarthrose – Fingerknöchelpolster
z Ausgeprägte viszerale
Beteiligung (u. a. Herz,
Lunge, Lymphknoten)
Kollagenosen – Reaktive Arthritiden – Adulter M. Still –
M. Behçet – paraneoplastische Arthritis
z BSG über 100 mm
Polymyalgia rheumatica – Kollagenosen – Arthritiden bei Paraproteinämien – Gelenkinfektionen – paraneoplastische Arthritis
z Leuko-, Thrombozytopenie
Systemischer Lupus erythematodes – Felty-Syndrom –
Arthritis bei Leukosen bzw. Koagulopathien
z Leukozytose
Infektiöse und reaktive Arthritiden – Adulter M. Still –
Arthritis bei Leukosen
3.2 Rheumatoide Arthritis
z
z Antikörper gegen cyklisches, citrulliniertes Peptid (CCP-Antikörper): Die
Spezifität der CCP-Antikörper für die RA ist deutlich höher als die des
Rheumafaktors. Sie liegt bei ca. 98%. Für Früh-Fälle wird ihre Sensitivität
ebenfalls höher als die des Rheumafaktors angegeben (ca. 60%).
z Antinukleäre Antikörper: In Abhängigkeit von der Technik findet man in
20 bis 30% positive Ausfälle in niedrigem Titer.
z Die BSG ist in der Regel mittel bis stark erhöht. Werte unter 10 mm kommen nur bei weniger als 15% der Kranken vor. Entsprechend positiv ist der
Ausfall des CrP (in der Regel über 20 mg/l).
z Eine Anämie (Hämoglobin von unter 6,5 mmol/l) tritt nach 3-jährigem
Krankheitsverlauf in 25%, nach 10-jähriger Krankheitsdauer in 30% auf. Eine Thrombozytose tritt vor allem bei hoher Krankheitsaktivität auf.
z Gelenkergusszytologie: In Abhängigkeit von der Krankheitsaktivität werden
Leukozytenwerte von etwa 4000 bis 50 000/mm3, ein Rhagozytenanteil der
aktiven Fälle von über 35% gefunden (s. Kap. 2.2).
z Differenzialdiagnose
Die in Tabelle 2 aufgeführten Symptome können bei RA vorkommen, sind jedoch eher für andere Krankheitsbilder typisch. Sie sollten bei jedem Verdacht
einer RA abgefragt oder gesucht werden, im positiven Falle sind die genannten
Entitäten auszuschließen.
z Kriterien der Krankheitsaktivität
Es gibt verschiedene unterschiedlich aufwendige Indizes zur Beurteilung der
Krankheitsaktivität. In Forschung und Praxis wird am häufigsten der Disease
Activity Score (DAS) angewendet [3].
z Literatur
1. Arnett FC, Edworthy SM, Bloch DA, McShane DJ, Fries JF, Cooper NS, Healey LA,
Kaplan SR, Liang MH, Luthra HS, Medsger TA Jr, Mitchell DM, Neustadt DH, Pinals RS, Schaller JG, Sharp JT, Wilder RL, Hunder GG (1988) The American Rheumatism Association 1987 revised criteria for the classification of rheumatoid arthritis. Arthr Rheum 31:315–324
2. Ropes MW, Bennett EA, Cobb S, Jacox R, Jessar R (1958) Revision of diagnostic
criteria for rheumatoid arthritis. Bull Rheum Dis 9:175–176
3. Prevoo ML, van’t Hof MA, Kuper HH, van Leeuwen MA, van de Putte LB, van Riel
PL (1995) Modified disease activity scores that include twenty-eight-joint counts.
Development and validation in a prospective longitudinal study of patients with
rheumatoid arthritis. Arthritis Rheum 38:44–48
63
64
z
3 Diagnostische Kriterien
3.3 Chronische Arthritis im Kindesalter
(ICD-Nr. M 08)
z Synonyma. Juvenile chronische Arthritis, juvenile idiopathische Arthritis,
juvenile rheumatoide Arthritis.
z International gültige Kriterien
z EULAR/WHO 1977 – Juvenile chronische Arthritis (JCA) [6]
1. Beginn vor Vollendung des 16. Lebensjahres
2. Persistierende oder rezidivierende Arthritis, Dauer mindestens 3 Monate
3. Ausschluss aller ähnlichen Erkrankungen (s. Exklusionen), juvenile
Spondarthritis bzw. Spondylitis, juvenile Psoriasisarthritis, Arthritis bei
chronisch entzündlichen Darmerkrankungen in der Diagnose JCA enthalten
z ARA/ACR 1977 – Juvenile rheumatoide Arthritis (JRA) [1]
1. Persistierende Arthritis an einem oder mehreren Gelenken, Arthritis =
Gelenkschwellung oder Funktionseinschränkung mit Überwärmung oder
Schmerz, Dauer mindestens 6 Wochen
2. Ausschluss aller ähnlichen Erkrankungen (s. Exklusionen)
In der Diagnose JRA nicht enthalten und somit zu den Exklusionen
gehörend: Juvenile Spondarthritis bzw. Spondylitis, juvenile Psoriasisarthritis, Arthritis bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen.
z ILAR 1997 – Juvenile idiopathische Arthritis (JIA) [4]
1. Beginn vor dem 16. Geburtstag
2. Arthritis = Gelenkschwellung oder Funktionseinschränkung mit Schmerzen. Dauer mindestens 6 Wochen
3. Ausschluss aller ähnlichen Erkrankungen (s. Exklusionen).
Bis vor wenigen Jahren waren in Europa und Amerika unterschiedliche Klassifikationen gültig. Deshalb wurde 1994 vom Pediatric Standing Committee der
ILAR eine „classification taskforce“ berufen mit der Aufgabe, eine einheitliche
Nomenklatur und Klassifikation zu erarbeiten. Die überarbeitete, zur Zeit
gültige Version dieser ILAR-Kriterien wurde 1998 veröffentlicht [4]. Seither
haben sich mehrere europäische Zentren an einer Validierung beteiligt und
dabei einige Schwachpunkte der neuen Klassifikation aufgezeigt [2]. In Europa
werden derzeit sowohl die EULAR- als auch die ILAR-Kriterien angewandt.
Die meisten amerikanischen Kinderrheumatologen halten an ihren ACR-Kriterien fest. Somit bleibt das Ziel einer einheitlichen internationalen Klassifikation weiterhin eine Aufgabe für die Zukunft.
3.3 Chronische Arthritis im Kindesalter
z
z Juvenile chronische Arthritis –
Einteilung in Subgruppen
Die Einteilung in Subgruppen erfolgt entsprechend der Symptomatik der ersten 6 Monate. Diagnostisch wichtige Symptome und Befunde sind im Folgenden aufgeführt:
Oligoarthritis Typ I (25 bis 35% der JCA)
z Mädchen häufiger als Jungen (etwa 70 : 30),
z Beginnalter unter 6 Jahre,
z asymmetrische Arthritis meist 1 bis 4 Gelenke, in einer erweiterten Form,
bis 9 Gelenke betreffend, bevorzugt sind Knie- und Sprunggelenke befallen,
z chronische Iridozyklitis (30 bis 50%),
z BKS und CrP sind meist nur leicht oder mäßig erhöht, sie können aber
auch im Normbereich liegen,
z antinukleäre Antikörper positiv (70 bis 80%).
Oligoarthritis Typ II (25 bis 30% der JCA)
z Jungen häufiger als Mädchen betroffen (etwa 80 : 20),
z Beginnalter über 6 Jahre,
z asymmetrische Arthritis mit bevorzugtem Befall der Hüft-, Knie-, Sprunggelenke,
z Enthesopathien (40 bis 50%),
z akute Iridozyklitis (10 bis 15%),
z Rückenschmerzen (30 bis 40%),
z positive Familienanamnese (20 bis 30%),
z aktuelle Entzündungszeichen (BKS, CrP) ähnlich wie Oligoarthritis Typ I,
z HLA-B27 positiv (70 bis 80%).
Ein Übergang in die juvenile Spondarthritis ist bei röntgenologisch manifester
Sakroiliitis gegeben.
Seronegative Polyarthritis (20 bis 30% der JCA)
z Mädchen häufiger als Jungen befallen (etwa 60 : 40),
z kein Altersgipfel – alle Altersgruppen sind gleichmäßig betroffen,
z symmetrische Arthritis der großen und kleinen Gelenke einschließlich Kiefergelenke, HWS,
z IgM-Rheumafaktor ist definitionsgemäß negativ,
z allgemeine Entzündungszeichen (BKS, CrP) sind häufig nachweisbar, gelegentlich normal.
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66
z
3 Diagnostische Kriterien
Seropositive Polyarthritis (5% der JCA)
z Mädchen häufiger als Jungen betroffen (70 : 30),
z Beginnalter meist über 10 Jahre,
z überwiegend symmetrische Arthritis der großen und kleinen Gelenke, bevorzugt der Hand-, Fingergelenke,
z subkutane Rheumaknoten (20 bis 30%),
z BSG und CrP sind im akuten Stadium erhöht,
z IgM-Rheumafaktor definitionsgemäß positiv (mindestens 3 unabhängige
positive Ergebnisse),
z CCP-Antikörper positiv über 70%.
Systemische juvenile chronische Arthritis (10 bis 15% der JCA)
z
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z
z
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z
z
z
Mädchen ebenso häufig wie Jungen betroffen,
Beginnalter meist unter 6 Jahre,
Fieber über 39 Grad mindestens 2 Wochen anhaltend,
Exanthem (90 bis 95%),
Polyarthritis (60%), Oligoarthritis (40%, die Arthritis kann den Fieberattacken Wochen, Monate oder auch Jahre später nachfolgen),
Hepato-/Splenomegalie (60 bis 70%),
Peri- bzw. Perimyokarditis (30 bis 40%),
Pleuritis, Peritonitis (10 bis 20%),
ausgeprägte allgemeine Entzündungszeichen: BKS, CrP sind stark erhöht, es
besteht eine Leukozytose mit Linksverschiebung, Thrombozytose,
Entwicklung einer Amyloidose (5 bis 10%).
Sonderformen
Zur juvenilen chronischen Arthritis nach EULAR/WHO gehört auch die juvenile Psoriasisarthritis. Folgende Definitionen sind gebräuchlich:
z Arthritis mit Beginn vor dem 17. Lebensjahr, verbunden mit Psoriasis, welche der Arthritis entweder vorausgeht oder innerhalb von 15 Jahren nachfolgt [3].
z Arthritis verbunden mit typischer Hautpsoriasis, nicht unbedingt im zeitlichen Zusammenhang oder
Arthritis mit mindestens 3 von 4 Nebenkriterien: Daktylitis, Tüpfelnägel,
psoriasisähnliche Hautveränderungen oder Familienanamnese mit Psoriasis
(wahrscheinliche juvenile Psoriasisarthritis definiert als Arthritis plus 2 Nebenkriterien) [5].
z Juvenile idiopathische Arthritis –
Einteilung in Kategorien
Die Einteilung erfolgt entsprechend der Symptomatik der ersten 6 Monaten.
Die 7 Kategorien sind wie folgt definiert:
3.3 Chronische Arthritis im Kindesalter
z
Systemische Arthritis
Arthritis und tägliches Fieber über mindestens 2 Wochen anhaltend sowie
eines oder mehrere der folgenden Symptome:
z flüchtiges Exanthem,
z generalisierte Lymphknotenschwellungen,
z Hepato- oder Splenomegalie,
z Serositis.
Oligoarthritis
Arthritis an 1 bis 4 Gelenken während der ersten 6 Monate. Zwei Subkategorien werden unterschieden:
1. Persistierende Oligoarthritis: Im gesamten Verlauf sind nicht mehr als 4 Gelenke betroffen.
2. Erweiterte Oligoarthritis: Eine kumulative Anzahl von 5 oder mehr Gelenken erkranken im Verlauf nach den ersten 6 Monaten.
Exklusionen:
z familiäre Psoriasis bei einem Verwandten ersten oder zweiten Grades,
z familiäre Belastung mit einer HLA-B27-assoziierten Erkrankung bei mindestens einem Verwandten ersten oder zweiten Grades,
z positiver Rheumafaktor,
z HLA-B27-positiver Junge mit Erkrankungsbeginn nach dem 8. Lebensjahr,
z systemische Arthritis wie oben definiert.
Polyarthritis (Rheumafaktor negativ)
Arthritis an 5 oder mehr Gelenken während der ersten 6 Monate; Rheumafaktor negativ.
Exklusionen:
z Nachweis des Rheumafaktors,
z systemische Arthritis wie oben definiert.
Polyarthritis (Rheumafaktor positiv)
Arthritis an 5 oder mehr Gelenken während der ersten 6 Monate, verbunden
mit positivem Rheumafaktor, 2-mal im Abstand von mindestens 3 Monaten
gemessen.
Exklusionen:
z bei 2-maliger Testung kein Rheumafaktor nachgewiesen,
z systemische Arthritis wie oben definiert.
Psoriasisarthritis
1. Arthritis und Psoriasis oder
2. Arthritis und mindestens 2 der folgenden Kritierien:
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z
3 Diagnostische Kriterien
– Daktylitis,
– Nagelveränderungen (Tüpfel oder Onycholyse),
– familiäre Psoriasis, vom Dermatologen bestätigt, bei mindestens einem
Verwandten ersten Grades.
Exklusionen:
z Nachweis des Rheumafaktors,
z systemische Arthritis wie oben definiert.
Enthesitisassoziierte Arthritis
1. Arthritis und Enthesitis oder
2. Arthritis oder Enthesitis mit mindestens 2 der folgenden Kriterien:
– sakroiliakale Beschwerden und/oder entzündliche Wirbelsäulenschmerzen,
– Nachweis von HLA-B27,
– familiäre Belastung mit einer HLA-B27-assoziierten Erkrankung bei mindestens einem Verwandten ersten oder zweiten Grades,
– anteriore Uveitis, verbunden mit Schmerz, Rötung oder Photophobie,
– Beginn der Arthritis bei einem Jungen älter als 8 Jahre.
Exklusionen:
z Psoriasis, von einem Dermatologen bestätigt, bei mindestens einem Verwandten ersten oder zweiten Grades,
z systemische Arthritis wie oben definiert.
Andere Arthritis
Kinder mit Arthritis unbekannter Ursache, die über mindestens 6 Wochen
persistiert, aber
1. Kriterien für irgendeine der anderen Kategorien nicht erfüllt oder
2. Kriterien für mehr als eine der anderen Kategorien erfüllt.
Exklusionen:
Wichtigste Differenzialdiagnosen zur juvenilen chronischen bzw. idiopathischen
Arthritis sind
z andere rheumatische Erkrankungen: reaktive Arthritis (= akute rheumatische Arthritiden, einschließlich rheumatisches Fieber), Kollagenosen, systemische Vaskulitissyndrome einschließlich M. Behçet, infantile Sarkoidose,
familiäres Mittelmeerfieber;
z Infektionen: septische Arthritis mit oder ohne Osteomyelitis, einschließlich
TBC, Lyme-Borreliose, Virusinfektionen (insbesondere EBV, Röteln, Zytomegalie, Hepatitis B), Mykosen;
z maligne Erkrankungen: Leukosen und andere maligne Systemerkrankungen,
Tumore (Metastasen);
z Stoffwechselstörungen/Immundefekte: diabetische Cheiropathie, Arthritis
bei Mukoviszidose, Arthritis bei Fettstoffwechselstörungen, Speicherkrankheiten, Agammaglobulinämie, septische Granulomatose;
z hämatologische Erkrankungen: Sichelzellanämie, Hämophilie/Blutergelenk;
3.3 Chronische Arthritis im Kindesalter
z
z weitere Erkrankungen des Skelettsystems/Bewegungsapparates: Coxitis fugax, Fremdkörpersynovialitis, Trauma (Unfälle und Misshandlungen), aseptische Nekrosen (M. Perthes u. a.), Osteochondritis dissecans, Chondropathia patellae, Epiphysiolysis capitis, Adoleszentenchondrolyse, Algodystrophie, gutartige Tumore (Osteoid-Osteom u. a.), villonoduläre Synovialitis,
intraartikuläres Hämangiom, synoviale Chondromatose, Skelettdysplasien,
juveniles Fibromyalgiesyndrom, Hypermobilitätssyndrom.
z Literatur
1. Brewer EJ, Bass J, Baum J, Cassidy JT, Fink CW, Jacobs JC, Hanson V, Levinson JF,
Schaller JG, Stillman JS (1977) Current proposed revision of JRA criteria. Arthr
Rheum 20 (suppl):195–199
2. Häfner R (2002) Juvenile idiopathische Arthritis. Die neue Nomenklatur und Klassifikation der chronischen Arthritis im Kindesalter. Akt Rheumatol 27:18–21
3. Lambert JR, Ansell BM, Stephenson E, Wright V (1976) Psoriatic arthritis in
childhood. Clin Rheum Dis 2:339–352
4. Petty RE, Southwood TR, Baum J, Bhettay E, Glass DN, Manners P, MaldonadoCocco J, Suarez-Almazor M, Orozco-Alcala J, Prieur AM (1998) Revision of the
proposed classification criteria for juvenile idiopathic arthritis: Durban 1997. J
Rheumatol 25:1991–1994
5. Southwood TR, Petty RE, Malleson PN, Delgado EA, Hunt DW, Wood B, Schroeder ML (1989) Psoriatic arthritis in children. Arthr Rheum 32:1007–1013
6. Wood PHN (1978) Special meeting on nomenclature and classification of arthritis
in children. In: Munthe E (ed) The care of rheumatic children. EULAR publishers,
pp 47–50
69
70
z
3 Diagnostische Kriterien
3.4 Spondyloarthritiden
(ICD-Nr. M 46.8*/. . .+, M 46.9)
z Synonyma. Seronegative Spondarthritiden, seronegative Spondylarthropathien, Spondylarthritiden, Spondarthritiden.
z Definition
Unter den Spondyloarthritiden werden eine Gruppe von Erkrankungen zusammengefasst, die sich gegenüber der chronischen Polyarthritis durch das Fehlen
von Rheumafaktoren und Rheumaknoten abgrenzen und welche die Gemeinsamkeiten des Sakroiliitis-Spondylitis-Arthritis-Syndroms, der familiären Häufung und der Assoziation mit dem HLA-B27 aufweisen. Folgende gemeinsame
Manifestationen charakterisieren die Spondyloarthritiden:
z klinischer und röntgenologischer Befall der Iliosakralgelenke (Sakroiliitis)
und Wirbelsäule (Syndesmophyten, Spondylitis);
z periphere Arthritis, meist mit asymmetrischem Befall der Gelenke und besonders an den unteren Extremitäten;
z entzündliche Veränderungen der Insertionen von Sehnen und Bändern (Enthesiopathien);
z gemeinsame extraartikuläre Manifestationen wie Augenentzündungen (Iridozyklitis, Konjunktivitis, selten Episkleritis), Schleimhautentzündungen (Stomatitis aphthosa, Urethritis), Hautveränderungen (psoriasiform, Erythema
nodosum, Pyoderma gangraenosum);
z familiäre Häufung und hohe Assoziation mit HLA-B27.
Zu den Spondyloarthritiden werden folgende Erkrankungen gezählt:
z Spondylitis ankylosans,
z Arthritis psoriatica,
z infektreaktive Arthritiden,
z intestinale Arthropatien bei Morbus Crohn, Colitis ulcerosa oder Morbus
Whipple,
z SAPHO-Syndrom,
z juvenile Oligoarthritis Typ 2.
Die juvenile Oligoarthritis Typ 2 zählt wegen des häufigen Übergangs in eine
Spondylitis ankylosans zu den Spondyloarthritiden. Fraglich ist noch die Zuordnung des SAPHO-Syndroms (Synovialitis, Akne, Pustulosis, Hyperostose,
Osteitis), da keine ausgeprägte HLA-B27-Assoziation besteht und die Hautveränderungen in ihrer Klassifikation als mögliche Psoriasis noch zur Diskussion stehen.
3.4 Spondyloarthritiden
z
Erkrankungen, die aufgrund der Symptome als Spondyloarthritis klassifiziert werden, sich jedoch nicht einer der oben genannten definitiven Diagnosen zuordnen lassen, werden als undifferenzierte Spondyloarthritis bezeichnet.
z Kriterien
Von der European Spondylarthropathy Study Group (ESSG) wurden kürzlich
Klassifikationskriterien für die gesamte Gruppe der Spondyloarthritiden erarbeitet, die als Hauptkriterien vom entzündlichen Wirbelsäulenschmerz (s. Tabelle 1, Tabelle 2) oder einer asymmetrischen Arthritis, vorwiegend der unteren Extremitäten, ausgehen. Zusätzlich muss ein weiteres Kriterium erfüllt sein. Das
HLA-B27 wurde nicht in den Kriterienkatalog aufgenommen, da es die diagnostische Wertigkeit nicht steigert.
Demnach wäre auch u. a. bei alleiniger asymmetrischer peripherer Arthritis
und einer positiven Familienanamnese eines M. Crohn die diagnostische Ein-
Tabelle 1. Klassifikationskriterien der Spondylarthropathy Study Group (ESSG)
ESSG-Kriterien der Spondyloarthritiden
z Wirbelsäulenschmerzen vom entzündlichen Typ
oder
z Arthritis
– asymmetrisch oder
– vorwiegend an den unteren
Extremitäten
z und eines der folgenden Kriterien:
– positive Familienanamnese für Spondylitis ankylosans, Psoriasis, reaktive Arthritis, M. Crohn
oder Colitis ulcerosa,
– Befund oder Anamnese einer Psoriasis,
– M. Crohn oder Colitis ulcerosa,
– beidseits wechselnde Gesäßschmerzen,
– Fersenschmerzen,
– Sakroiliitis.
Tabelle 2. Charakteristika des entzündlichen Rückenschmerzes (mod. n. [1])
1. Beginn der Rückenschmerzen vor dem 40. Lebensjahr,
2. schleichender Beginn,
3. Dauer seit mindestens 3 Monaten,
4. Morgensteifigkeit,
5. Besserung der Schmerzen bei BewegungMindestens 4 Kriterien müssen erfüllt sein.
Weitere wichtige Charakteristika:
z Aufwachen in der 2. Nachthälfte sowie Akzentuierung der Symptomatik am Morgen und nach
einer längeren Ruhephase,
z zum Teil ausstrahlender Schmerz, vor allem Oberschenkel dorsal bis zum Knie,
z keine neurologischen Symptome.
71
72
z
3 Diagnostische Kriterien
ordnung als Spondyloarthritis möglich. Spondylitis und Arthritis sind zwar
häufig gemeinsam auftretende Teilaspekte der o. g. Entitäten, im Einzelfall
muss aber nur ein einziges der beiden Grundsymptome nachweisbar sein.
Die Sensitivität der ESSG-Kriterien beträgt in verschiedenen Untersuchungen 87 bis 99% und die Spezifität 87 bis 100%.
Auch ohne Röntgenbefund einer Sakroiliitis wird allein mit den anamnestischen und klinischen Daten noch eine Sensitivität von 77% und eine unveränderte Spezifität von 89% erreicht. Die Variationsbreite der Sensitivität für
die einzelnen Erkrankungen der Spondyloarthritiden beträgt 78 bis 100%.
Auch für die undifferenzierten Spondyloarthritiden erweisen sich die Kriterien
mit einer Sensitivität von 78% als praktisch brauchbar.
z Zusätzliche diagnostisch wichtige Krankheitssymptome
z Gastrointestinale Symptome. Das Spektrum bei Spondyloarthritiden reicht
von nur diskreten, asymptomatischen makroskopischen und mikroskopischen Veränderungen der Kolonschleimhaut und des terminalen Ileums bei
undifferenzierten Spondyloarthritiden bis hin zu den typischen Darmsymptomen bei Colitis ulcerosa (blutige, schleimige Durchfälle, häufig mit Tenesmen), Morbus Crohn (schleimig-eitrige, nur selten blutige Durchfälle, selten
Tenesmen, anale Abszesse und Analfisteln, Pseudoappendizitis) und Morbus
Whipple (voluminöse Fettstühle, Malabsorptionssyndrom).
z Urogenitale Symptome. Eine Urethritis, Prostatitis, Cervicitis können auf
die den Spondyloarthritiden zugehörige sexuell aquirierte reaktive Arthritis
hinweisen (Kap. 3.6).
z Haut- und Schleimhautveränderungen. Neben den bereits genannten Symptomen der Psoriasis, der Pustulosis palmaris et plantaris, des Erythema
nodosum und des Pyoderma gangraenosum können sehr selten auch vaskulitische Veränderungen gefunden werden.
Tabelle 3. Häufigkeit des Nachweises des HLA-B27 bei Spondyloarthritiden
% positiv
z Spondylitis ankylosans
z Reaktive Arthritiden/Morbus Reiter
z Intestinale Arthropathien
– mit Sakroriliitis
– ohne Sakroiliitis
z Psoriasisarthropathie
– mit Sakroiliitis
– ohne Sakroiliitis
z Juvenile Oligoarthritis Typ 2
z Chronische Polyarthritis
z Gesunde Kontrollpersonen
90–100
50–80
50–70
6
35–100
14–24
40–60
6–10
6–8
3.4 Spondyloarthritiden
z
z Sonstige viszerale Beteiligungen: Selten sind kardiale Manifestationen (Aorteninsuffizienz, Myokarditis, Perikarditis, AV-Überleitungsstörungen), unspezifische Begleithepatitiden, Myositis und Amyloidose.
Die Häufigkeit der HLA-B27-Assoziation ist mit ca. 40 bis 85% niedriger als
bei der idiopathischen Spondylitis ankylosans (Tabelle 3). Bei den peripherartikulären Formen der Spondyloarthritis findet sich das HLA-B27 seltener,
bei Nachweis einer röntgenologischen Sakroiliitis und anderen axialen Symptomen häufiger.
z Differenzialdiagnose
In Frühstadien ist die Differenzierung der Spondyloarthritiden in die einzelnen Krankheitsbilder oft schwierig. Vor allem die frühzeitige Abgrenzung einer Spondylitis ankylosans und Arthritis psoriatica gelingt vielfach nicht. Besonders wichtig ist die Differenzialdiagnose zur rheumatoiden Arthritis, wobei
den Rheumafaktoren eine wichtige Rolle zukommt.
Bezüglich weiterer differenzialdiagnostischer Überlegungen wird auf die
entsprechenden Abschnitte der Diagnosekriterien der Spondylitis ankylosans
(Kap. 3.4) und der Psoriasisarthritis (Kap. 3.5) hingewiesen.
z Literatur
1. Calin A, Parta J, Fries JF, Schurmann DJ (1977) Clinical history as a screening test
for ankylosing spondylitis. J Am Med Assn 237:2613–2614
2. Dougados M, Van der Linden S, Julien R, Huitfeldt B, Amor B, Calin A, Cats A,
Dijkmans I, Olivieri I, Pasero G, Veys E, Zeidler H and the European Spondylarthropathy Study Group (1991) The European Spondylarthropathy Study Group
preliminary criteria for the classification of spondylarthropathy. Arthr Rheum
34:1218–1230
3. Mau W, Zeidler H (2001) Sonstige entzündliche Spondylarthropathien. In: Zeidler,
Zacher, Hiepe (Hrsg) Interdisziplinäre klinische Rheumatologie. Springer, Berlin,
Heidelberg, New York, S 1019–1025
4. Moll JM, Haseler J, Macral IF, Wright V (1974) Association between ankylosing
spondylitis, psoriatic arthritis, Reiter’s disease, the intestinal arthropathies and Behçet-syndrome. Medicine 53:343–357
5. Silman A (2001) Ankylosing spondylitis and spondylarthropathies. In: Silman A,
Hochberg MC (eds) Epidemiology of rheumatic diseases. University Press, Oxford,
pp 100–111
6. Zeidler H, Mau W, Kahn MA (1992) Undifferentiated spondylarthropathies.
Rheum Dis Clin North Am 18:187–198
73
74
3 Diagnostische Kriterien
z
3.5 Spondylitis ankylosans
(ICD-Nr. M 45)
z Synonym. Morbus Bechterew.
z Definition
Die Spondylitis ankylosans (Sp. a.) ist eine chronische entzündlich-rheumatische Systemerkrankung, die sich vorzugsweise mit ankylosierenden und destruierenden Veränderungen am Achsenskelett, aber auch häufig mit peripheren Arthritiden, Enthesiopathien und seltener viszeralen Organbeteiligungen
manifestiert.
z Kriterien
Weltweit anerkannt als Klassifikationskriterien der Sp. a. sind die New YorkKriterien (Tabelle 1).
Tabelle 1. New-York-Kriterien der Spondylitis ankylosans
1. Deutlich eingeschränkte Beweglichkeit der Lendenwirbelsäule (LWS) in allen Ebenen.
2. Frühere oder aktuelle Schmerzen im Bereich des dorsolumbalen Übergangs oder der LWS.
3. Eingeschränkte Atembreite (£ 2,5 cm) in Höhe des 4. Interkostalraumes.
Sichere Sp. a., wenn
z eine beidseitige Sakroiliitis Grad 3 oder 4 und ein klinisches Kriterium oder
z eine beidseitige Sakroiliitis Grad 2 oder eine einseitige Sakroiliitis Grad 3 oder 4 und
– Kriterium 1 oder
– beide Kriterien 2 und 3 vorliegen.
z Wahrscheinliche Sp. a. bei beidseitiger Sakroiliitis Grad 3 oder 4.
Tabelle 2. Gradeinteilung der Sakroiliitis
Grad
Pathologische Veränderung im Röntgenbild
0
1
2
normal
verwaschener Gelenkspalt, Pseudoerweiterung, mäßige Sklerosierung
unregelmäßige Gelenkspalterweiterung, ausgeprägte Sklerosierung, Erosionen, „Perlschnurbild“
Gelenkspalterweiterung oder -verengung, Erosionen
Sklerosierung, partielle Ankylosierung, totale Ankylose
3
4
3.5 Spondylitis ankylosans
z
Tabelle 3. Frühdiagnosekriterien der Spondylitis ankylosans
Kriterien
Punkte
Genetisch:
z HLA-B27 positiv
1,5
Klinisch:
z Wirbelsäulenschmerz (entzündlicher Typ)
z Ischialgiformer Schmerz oder positive Mennell-Zeichen
z Thoraxschmerz oder eingeschränkte Atembreite (2,5 cm)
z Periphere Arthritis oder Fersenschmerz
z Uveitis anterior
z Eingeschränkte HWS/LWS-Beweglichkeit
1
1
1
1
1
1
Labor:
z Erhöhte BKS – Alter unter 50 J.: M = 15 mm/Stunde, F = 20 mm/Stunde
– Alter über 50 J.: M = 20 mm/Stunde, F = 30 mm/Stunde
1
Röntgen:
z Syndesmophyten, Kasten-, Tonnenwirbel, Romanus-, Anderson-Läsion, Arthritis
der Kostovertebral- und/oder Intervertebralgelenke
1
Ab mindestens 3,5 Punkten ist die Frühdiagnose einer Spondylitis ankylosans zu stellen.
Ausschlusskriterien: Traumatische, degenerative oder andere nichtentzündliche Wirbelsäulenveränderungen; Arthritis psoriatica oder reaktive Arthritis; maligne, infektiöse, metabolische oder
endokrinologische Erkrankungen; andere Gründe für eine erhöhte BKS; positiver Rheumafaktor.
Voraussetzung für die Diagnose einer sicheren Sp. a. ist eine Sakroiliitis
mindestens Grad 2 entsprechend der Graduierung röntgenologischer Veränderungen der Sakroiliakalgelenke (Tabelle 2).
Da bis zum röntgenologischen Nachweis einer Sakroiliitis durchschnittlich
2,5 bis 11 Jahre vergehen, sind die New-York-Kriterien nicht für die Frühdiagnose der Sp. a. geeignet. Bei Frühformen der Sp. a. noch ohne röntgenologisch nachweisbare Sakroiliitis können die Kriterien des Kreuzschmerzes vom
entzündlichen Typ (Tabelle 2, Kap. 3.4) und die Frühdiagnosekriterien der
Sp. a. (Tabelle 3) hilfreich sein für die Formulierung einer Verdachts- bzw. Arbeitsdiagnose.
Ein positiver HLA-B27-Test für sich allein ohne entsprechende klinische
Zeichen erlaubt nicht die Diagnose einer Sp. a., da er auch in etwa 7% der
Normalbevölkerung positiv ausfällt (s. auch Tabelle 3, Kap. 3.4).
z Krankheitssymptome des Bewegungsapparates
z Wirbelsäule. Der Rückenschmerz vom entzündlichen Typ ist durch einen
nächtlichen tief sitzenden Rückenschmerz mit Erwachen in der 2. Nachthälfte
und am Morgen sowie den Ruheschmerz charakterisiert. Eine Besserung der
Symptomatik ist durch Aufstehen und Bewegung zu erzielen. Eine Ausstrah-
75
76
z
3 Diagnostische Kriterien
lung des tief sitzenden Rückenschmerzes in Gesäß und Oberschenkel dorsal
höchstens bis zum Knie kommt bei etwa 20% der Patienten vor. Auch im Rahmen der Spondylitis sämtlicher Wirbelsäulenabschnitte (LWS, BWS, HWS)
kommt es zu nächtlichen Schmerzen, die bei Beteiligung der Kostotransversalgelenke zu gürtelförmigen Thoraxschmerzen führen können.
z Arthritis. Eine periphere Mon- oder Oligoarthritis vorzugsweise der großen
Gelenke an der unteren Extremität wird bei 25 bis 75% der Patienten mit
Sp. a. im Krankheitsverlauf beobachtet. In 30% tritt sie als Erstsymptom vor
den Rückenschmerzen auf. Üblicherweise handelt es sich um eine transiente,
selten chronische und erosive Arthritis.
z Enthesiopathien. Hyperostotische und resorptive Veränderungen an den Sehnenansätzen im Sinne einer Enthesiopathie manifestieren sich vor allem im
Bereich des Fersenbeines plantar und am Achillessehnenansatz, aber auch im
Bereich der Sitzbeinhöcker, der Beckenkämme, der Trochanteren sowie im Bereich der Übergänge von Rippen, Rippenknorpel und Sternum.
z Extraartikuläre Manifestationen
Nachfolgend sind die wichtigsten viszeralen Beteiligungen aufgeführt:
z Eine einseitige, im Verlauf oft wechselseitige Iritis/Iridozyklitis in 4 bis 40%.
z Kardiovaskuläre Manifestationen finden sich in 2 bis 10% als Aorteninsuffizienz in Folge einer Aortitis, als echokardiografisch nachweisbare Kardiomyopathie sowie als Reizleitungsstörung mit AV-Blockierung unterschiedlichen Schweregrades bis hin zum totalen AV-Block mit Adams-Stokes-Anfällen. Peri- und Myokarditiden sind ausgesprochen selten.
z Eine verminderte Vitalkapazität ist in fortgeschrittenen Fällen wegen der
ausgeprägten Thoraxsperre und Wirbelsäulenkyphosierung nachweisbar.
Extrem selten findet sich eine zystische Oberlappenfibrose, die sich klinisch
nach langer Krankheitsdauer mit Dyspnoe und Hämoptoe äußert und radiologisch dem Bild einer Tuberkulose ähneln kann.
z Eine Nierenbeteiligung findet sich in Form einer sekundären Amyloidose in
bis zu 8%, andere renale Veränderungen wie interstitielle Nephritis und
IgA-Nephropathie in bis zu 10%.
z Als neurologische Komplikationen von Spätstadien der Sp. a. sind ein Cauda-equina-Syndrom sowie Rückenmarkskompressionen durch atlantodentale
Dislokationen zu nennen. Frakturen der ankylosierten Wirbelsäule können
selbst bei geringen Traumen auftreten und zu einer Querschnittssymptomatik führen.
z Labor
Wichtige Laborbefunde sind positive Entzündungsparameter (BKS, CrP; bei
ca. 25% jedoch normal), negative Rheumafaktoren und ein positives HLA-B27
(in 88 bis 96%); zur Bewertung des HLA-B27 s. o.
3.5 Spondylitis ankylosans
z
z Differenzialdiagnose
Die Sp. a. ist vor allem gegen andere entzündliche und degenerative Wirbelund Iliosakralgelenkserkrankungen abzugrenzen, darüber hinaus aber auch
gegenüber internistischen, neurologischen und gynäkologischen Ursachen für
Wirbelsäulenschmerzen. Bei Beginn der Erkrankung im Bereich der peripheren Gelenke kommt das breite Spektrum der Differenzialdiagnose der Monund Oligoarthritis hinzu.
Bei Vorliegen einer entzündlichen Symptomatik des Achsenbefalls ist in erster Linie an eine der übrigen Erkrankungen aus der Gruppe der Spondyloarthritiden zu denken. Für die Differenzialdiagnose maßgebend sind die Krankheitsmanifestationen außerhalb des Achsenskeletts, durch die Spondyloarthritiden voneinander abgegrenzt werden können (s. Kap. 3.4).
Geht die Sp. a. mit einer Diszitis oder Spondylodiszitis einher, stellt sich die
Differenzialdiagnose gegenüber bakteriellen, mykotischen und parasitären
Spondylitiden. Für die Sp. a. typisch ist das Auftreten der Spondylodiszitis in
späteren Krankheitsstadien, das Fehlen stärkerer Allgemeinsymptome (Leukozytose, Fieber) und der Nachweis einer Sakroiliitis. Für die seltene Differenzialdiagnose gegenüber einer Wirbelsäulenbeteiligung bei Chondrokalzinose
und Hydroxylapatiterkrankung, deren Verkalkungen zu Verwechslungen mit
Syndesmophyten führen können, hilft vor allem der röntgenologische Nachweis der typischen Verkalkung im Bereich der Hände, Knie und Hüften.
Speziell für die Iliosakralgelenke kommt neben den bereits genannten
entzündlichen Wirbelsäulenaffektionen noch die Differenzialdiagnostik der
Osteosis triangularis condensans (meist klinisch stumme, röntgenologisch
nachweisbare dreieckige, paraartikuläre Sklerosezone im distalen Iliumabschnitt, bevorzugt Frauen) und der Morbus Paget (röntgenologisch Knochenumbau, erhöhte alkalische Phosphatase) hinzu.
Bei der Abgrenzung gegenüber degenerativen Wirbelsäulenveränderungen
ist die Spondylitis hyperostotica besonders wichtig, da mitunter die brückenbildende Hyperostose an den Wirbelkörpern röntgenologisch mit der Syndesmophytenbildung und Ankylosierung der Sp. a. verwechselt werden kann. Typisch für die Spondylitis hyperostotica ist die nur geringe Schmerzhaftigkeit,
das Auftreten nach dem 50. Lebensjahr, die röntgenologisch unauffälligen Iliosakralgelenke, das Fehlen einer Mitbeteiligung der Extremitätengelenke und
die normale BKS. Die gleichen Unterscheidungsmerkmale gelten im Wesentlichen auch für die Differenzialdiagnose gegenüber der Osteochondrose.
Arthritische Frühstadien der Sp. a. fordern das gesamte Spektrum der Differenzialdiagnostik entzündlich-rheumatischer Erkrankungen, wobei in erster
Linie die reaktiven Arthritiden und anderen Spondyloarthritiden wegen der
gemeinsamen Assoziation mit dem HLA-B27 zu nennen sind. Die rheumatoide
Arthritis kann durch ihr symmetrisches Befallsmuster der Finger- und Zehengelenke sowie positive Rheumafaktoren und das Fehlen von HLA-B27 abgegrenzt werden.
77
78
z
3 Diagnostische Kriterien
z Literatur
1. Mau W, Zeidler H, Mau R, Majewski A, Freyschmidt J, Stangel W, Deicher H
(1990) Evaluation of early diagnostic criteria for ankylosing spondylitis in a
10 year follow-up. Z Rheumatol 49:82–87
2. Mau W, Zeidler H (2001) Spondylitis ankylosans. In: Zeidler H, Zacher J, Hiepe F
(Hrsg) Interdisziplinäre klinische Rheumatologie. Springer, Berlin, Heidelberg,
New York, S 1004–1019
3.6 Psoriasisarthritis
z
3.6 Psoriasisarthritis
(ICD-Nr. M 0.7*/L 40)
z Synonyma. Arthritis psoriatica, Arthritis und Spondylitis bei Psoriasis.
z Definition
Die Arthritis psoriatica (PA) ist charakterisiert durch das Vorhandensein einer
rheumafaktornegativen Arthritis der peripheren Gelenke und/oder einer Spondylitis in Zusammenhang mit einer Psoriasis der Haut oder Nägel. Aufgrund
der Manifestation des Spondylitis-Arthritis-Komplexes wird die PA den Spondyloarthritiden zugeordnet.
z Kriterien
International verbindliche, evaluierte Klassifikations- und Diagnosekriterien
für die PA liegen nicht vor. Von englischen Atuoren vorgeschlagene Diagnosekriterien fordern den Befall von mindestens 3 Gelenken, wodurch jedoch monarthritische Formen nicht erfasst werden.
Diagnostische Kriterien nach Moll und Wright:
z Arthritis von 3 oder mehr Gelenken,
z Rheumafaktoren negativ,
z Rheumaknoten negativ,
z Befund oder Anamnese von psoriatischen Veränderungen der Haut oder
Nägel.
Nach den ESSG-Kriterien kann jedoch bei Vorliegen des Rückenschmerzes
vom entzündlichen Typ und/oder einer peripheren asymmetrischen oder die
untere Extremität bevorzugenden Arthritis in Kombination mit der Psoriasis
vulgaris die Erkrankung als PA klassifiziert werden (s. Kap. 3.4).
z Diagnostisch wichtige Krankheitsmerkmale
Symptome aus der Krankheitsgruppe Spondyloarthritiden können einzeln und
in Kombination vorkommen (s. Kap. 3.5: Gemeinsame Manifestationen der
Spondyloarthritiden). Die PA weist jedoch einige Besonderheiten auf, die die
PA von anderen Spondyloarthritiden abgrenzt:
z Schmerz und Schwellung aller 3 Gelenke eines Fingers oder einer Zehe als
„Strahlbefall“ (Daktylitis);
79
80
z
3 Diagnostische Kriterien
z Befall der dostalen Interphalangealgelenke mit fast immer vorkommenden
psoriatischen Veränderungen der beteiligten Nägel;
z symmetrische Polyarthritis mit einem der rheumatoiden Arthritis gleichenden Befallsmuster;
z Arthritis mutilans mit teleskopartig veränderten Fingern und/oder Zehen;
z Psoriasis beim Patienten oder in der nahen Verwandtschaft;
z Röntgenologisch an den Gelenken Nebeneinander von erosiv-destruierenden Veränderungen und periostalen Randanbauten („Protuberanzen“) sowie
Periostitis, Akroosteolysen und Ankylosen.
z Zusätzliche wichtige Krankheitssymptome
z Charakteristische extraartikuläre und viszerale Manifestationen. Am häufigsten sind Enthesiopathien (dorsaler und plantarer Calcaneus, Patella,
Trochanter major, Clavicula), Bursitiden (z. B. Achillo-Bursitis), Tenosynovialitiden (z. B. Fingerstrecker und -beuger) und Synchondritiden (Synchondrose zwischen Manubrium und Corpus sterni, Symphyse). Nicht selten sind auch Augenmanifestationen in Form einer Iridozyklitis (5 bis 18%)
und Konjunktivitis (12 bis 20%). Selten werden eine Amyloidose, Aortenklappenbeteiligung und Myositis beobachtet.
z Hautmanifestationen der Psoriasis. Das Spektrum umfasst neben der Psoriasis vulgaris mit vorzugsweisem Befall der Streckseiten auch die Psoriasis
inversa mit bevorzugtem Befall der Beugeseiten und die generalisierte
Erythrodermie. Nicht selten ist die Psoriasis nur gering ausgeprägt an versteckten Stellen zu finden wie retroaurikulär, am behaarten Kopf, Nabel und
in der Rima ani. In der Mehrzahl der Fälle (75%) geht die Psoriasis der
rheumatologischen Manifestation im Mittel um 15 Jahre voraus. Seltener
tritt die Psoriasis gleichzeitig (15%) oder nach (10%) Beginn der rheumatologischen Symptome auf.
Die Psoriasisarthritis weist in bis zu 80% psoriatische Nagelveränderungen auf im Gegensatz zur Psoriasis ohne Arthritis mit Nagelbefall nur in 15
bis 30%. Diese Nagelveränderungen können auch alleiniges Symptom der
Psoriasis sein. Als typische Nagelveränderungen finden sich partielle oder
totale weiße Nagelflecken (Leukonychie), Querfurchen, Tüpfelungen, Krümelnägel und selten eine totale Onycholyse.
z Labor
Es gibt keine spezifischen Parameter. Die Entzündungsparameter (BKS, CrP)
können oft normal sein. Bei den axialen Formen der Sakroiliitis ist das
HLA-B27 gehäuft vorhanden, jedoch seltener (etwa 35%) als bei der Spondylitis ankylosans. Bei der arthritischen Form ohne Sakroiliitis ist das HLA-B27
nur in 14 bis 24% positiv. Weitere beschriebene Assoziationen zum HLA-System sind ohne diagnostische Bedeutung.
3.6 Psoriasisarthritis
z
z Differenzialdiagnose
Ein mono- und oligoartikulärer Beginn der PA macht vor allem eine Abgrenzung gegenüber den reaktiven Arthritiden und anderen Spondyloarthritiden
notwendig. Bei palmoplantarer Pustulosis kann die Differenzialdiagnose gegenüber dem SAPHO-Syndrom und dem Keratoderma blenorrhagicum der reaktiven Arthritiden schwierig sein.
Bei polyartikulärem Befall hilft für die Abgrenzung gegenüber der chronischen Polyarthritis das für die PA charakteristische Fehlen der Rheumafaktoren, CCP-Antikörpern und Rheumaknoten. Die Kombination von positiven
Rheumafaktoren, Polyarthritis und Psoriasis spricht eher für eine zufällige
Kombination einer rheumatiden Arthritis und Psoriasis. Nur bei dem Vorhandensein der charakteristischen Röntgenveränderungen der PA würde in solchen Fällen die Diagnose einer psoriatischen Arthritis gerechtfertigt sein.
Da die Harnsäurewerte nicht selten erhöht gefunden werden, kann bei
akuter Monarthritis die Differenzialdiagnose gegenüber einer Arthritis urica
schwierig sein. Gegebenenfalls ist allein der Nachweis von Natriumuratkristallen im Gelenkpunktat das entscheidende differenzialdiagnostische Kriterium
für eine Gichtmanifestation.
Wegen des Fingerendgelenkbefalles kommt es gelegentlich zu Schwierigkeiten in der Abgrenzung gegenüber einer Fingerpolyarthrose.
Die Daktylitis kommt sowohl bei der PA als auch bei der reaktiven Arthritis
vor.
Die Spondyloarthritis psoriatica muss gegenüber der Spondylitis ankylosans
und anderen Spondyloarthritiden abgegrenzt werden, mit denen sie monooder oligosegmentäre und häufige asymmetrische Syndesmophyten gemeinsam hat. Ein röntgenmorphologischer Hinweis auf eine Spondyloarthritis psoriatica sind Parasyndesmophyten, spangenförmige, paravertebrale Verknöcherungen, die im Gegensatz zu den Syndesmophyten unterhalb der Wirbelkante
abgehen und manchmal bis auf die Höhe des darüber liegenden Querfortsatzes reichen bzw. ohne Kontakt mit den Wirbeln entstehen. Parasyndesmophyten sind jedoch auch bei reaktiven Arthritiden anzutreffen.
z Literatur
1. Mathies H (1984) Arthritis psoriatica. In: Mathies H, Schneider P (Hrsg) Rheumatische Krankheiten. Kompendium für die Praxis Deutscher Ärzte-Verlag, Köln
2. Genth E (2001) Arthritis psoriatica. In: Zeidler H, Zacher J, Hiepe F (Hrsg) Interdisziplinäre klinische Rheumatologie. Springer, Berlin, Heidelberg, New York,
S 662–669
81
82
z
3 Diagnostische Kriterien
3.7 Reaktive Arthritiden
(ICD-Nr. M 02)
z Definition
Reaktive Arthritiden sind bakteriell induzierte Gelenkerkrankungen, die mit
einer Latenzzeit von wenigen Tagen bis wenigen Wochen nach einer extraartikulären Infektion auftreten. Die auslösenden Erreger sind nicht aus der Synovia oder Synovialis anzüchtbar.
Die periphere Arthritis kann prinzipiell jedes Gelenk mit mon- oder polyartikulärem Befallsmuster betreffen, manifestiert sich aber überwiegend als asymmetrische Oligarthritis mit bevorzugtem Befall der unteren Extremität. Das Reiter-Syndrom (Arthritis, Urethritis, Konjunktivitis) stellt in der Regel eine spezifische Manifestationsform reaktiver Arthritiden dar. Rein spondylarthritische
Verläufe sind möglich, in die Definition jedoch derzeit noch nicht eingeschlossen.
z Diagnostische Kriterien
International akzeptierte Kriterien gibt es noch nicht, entsprechende Vorschläge werden jedoch von verschiedenen Gremien erarbeitet.
Die Diagnostik der reaktiven Arthritiden stützt sich in erster Linie auf die
Anamnese einer vorausgegangenen Infektion und einen typischen Gelenkbefall
sowie ggf. auf extraartikuläre Manifestationen im Sinne eines Reiter-Syndroms.
Die ätiologische Sicherung dieser Diagnose ist nur durch den Direktnachweis
des Erregers möglich. Da die auslösende Infektion asymptomatisch sein kann
und auch der direkte Nachweis des Erregers im Stadium der Arthritis oft nicht
gelingt, muss der Nachweis der Infektätiologie evtl. indirekt auf serologische Befunde gestützt werden. Die Sensitivität und Spezifität der verschiedenen serologischen Methoden sind jedoch unbefriedigend; daher können nur 4fache Titeranstiege als signifikant gewertet werden. Ein negativer serologischer Befund
schließt die Diagnose einer reaktiven Arthritis nicht aus. Der Nachweis des
HLA-B27 kann nur als ein Indiz für eine reaktive Arthritis gelten.
Vorschlag diagnostischer Kriterien mit einer Unterscheidung
zwischen sicherer und wahrscheinlicher reaktiver Arthritis
1. Typischer Gelenkbefall (peripher, asymmetrisch, oligoartikulär, untere Extremität, insbesondere Knie-, Sprunggelenke).
2. Typische Anamnese (Diarrhö, Urethritis) und/oder klinische Manifestation
der Infektion an der Eintrittspforte.
3. Erregerdirektnachweis an der Eintrittspforte (z. B. Urethralabstrich auf
Chlamydien).
3.7 Reaktive Arthritiden
z
4. Nachweis spezifischer agglutinierender Antikörper mit signifikantem Titeranstieg (z. B. gegenüber enteropathischen Erregern).
5. Vorliegen des HLA-B27-Antigens.
6. Nachweis von Erregermaterial mittels Polymerasekettenreaktion oder spezifischen monoklonalen Antikörpern (beide sind noch überwiegend experimentelle Verfahren und nicht für die Routinediagnostik geeignet!).
Eine sichere reaktive Arthritis liegt vor bei den Kriterien 1 plus 3 oder 4 oder
6. Eine wahrscheinliche reaktive Arthritis besteht bei den Kriterien 1 plus 2
und/oder plus 5. Eine mögliche reaktive Arthritis wird bei Vorliegen des Kriteriums 1 angenommen.
z Erreger
z
z
z
z
z
Salmonellen (Spezies der Gruppen B, C und D),
Shigellen (S. flexneri und S. dysenteriae),
Yersinien (Y. enterocolitica und Y. pseudotuberculosis),
Campylobacter jejuni,
Chlamydia trachomatis (Serotyp D-K).
z Klinische Merkmale
z
z
z
z
z
z
z
Akuter bis subakuter Beginn,
Mon- oder Oligoarthritis,
asymmetrisches Befallsmuster,
bevorzugter Befall großer Gelenke der unteren Extremitäten,
Wurstfinger, Wurstzehen (Daktylitis),
Enthesopathie,
akute Iliosakralarthritis.
Neben den klinischen extraartikulären Manifestationen der Konjunktivitis und
Urethritis gibt es weitere Manifestationen wie Iridozyklitis, Stomatitis, Balanitis circinata, pustulöse Dermatosen, Keratoderma blenorrhagicum, Erythema
nodosum, Myokarditis, Aortitis.
Der diagnostische Algorithmus für eine vermutete posturethritische oder
postenteritische reaktive Arthritis ist in den folgenden Schemata dargestellt
[4].
83
84
z
3 Diagnostische Kriterien
Differenzialdiagnose
Bei unsicheren Diagnosekriterien, d. h. insbesondere bei fehlendem Erregernachweis und fehlender Anamnese einer vorausgegangenen typischen Infektsymptomatik, ist eine Vielzahl von Differenzialdiagnosen zu erwägen, die mit
einer ähnlichen Gelenksymptomatik einhergehen können:
z Spondylitis ankylosans mit peripherem Gelenkbefall,
z enteropathische Arthritiden bei M. Crohn, Colitis ulcerosa, M. Whipple,
z Arthritis psoriatica,
z M. Behçet,
z Lyme-Arthritis,
z akute Sarkoidose (Löfgren-Syndrom),
3.7 Reaktive Arthritiden
z
z septische Arthritis,
z Kristallarthropathien (Gicht, Chondrokalzinose),
z atypisch beginnende rheumatoide Arthritis.
z Literatur
1. Aho K, Leirisalo-Repo M, Repo H (1985) Reactive arthritis. Clin Rheumat Dis
11:25–40
2. Fan PT, Yü DTH (1993) Reiter’s syndrome. In: Schumacher RD (ed) Primer on the
rheumatic diseases. Arthritis Foundation, Atlanta Georgia, pp 158–161
3. Inman RD (1993) Reactive arthritis after infectious enteritis. In: Schumacher RD
(ed) Primer on the rheumatic diseases. Arthritis Foundation, Atlanta, Georgia, pp
166–168
4. Sieper J, Rudwaleit M, Braun J, van der Heijde D (2002) Diagnosing reactive arthritis: role of clinical setting in the value of serologic and microbiologic assays.
Arthritis Rheum 46:319–327
85
86
z
3 Diagnostische Kriterien
3.8 Rheumatisches Fieber
(ICD-Nr. I 00)
z Definition
Das rheumatische Fieber ist eine durch b-hämolysierende Streptokokken der
Gruppe A induzierte entzündliche Systemerkrankung mit Gelenkentzündungen, Karditis, Hauterscheinungen (subkutane Knötchen, Erythema marginatum), Chorea und anderen Manifestationen, die mit einer Latenzzeit von wenigen Tagen bis wenigen Wochen nach einer Nasen-Rachen-Infektion auftritt.
Die auslösenden Erreger sind im Gelenk nicht nachweisbar. Die Erkrankung
tritt vorwiegend im Schulkindalter auf. Bei Erwachsenen findet sich oft nur eine periphere Arthritis (streptokokkenreaktive Arthritis). Die periphere Arthritis mit mon- oder polyartikulärem Befallsmuster hat oft migratorischen Charakter.
z Diagnostische Kriterien
Bis heute sind die diagnostischen Kriterien nach Jones gültig. Als Hauptkriterien der Krankheit gelten die Karditis, die Polyarthritis, die Chorea und das
Erythema marginatum sowie die typischen subkutanen Knoten. Minorkriterien sind Fieber, Arthralgien, verlängertes P-Q-Intervall im EKG und frühere
Episoden des gleichen Krankheitsbildes. Die Diagnose ist gesichert bei nachgewiesener vorausgegangener Infektion mit b-hämolysierenden Streptokokken
und Vorhandensein von 2 Hauptkriterien oder einem Hauptkriterium und 2
Nebenkriterien. Sensitivtät und Spezifität dieser Kriterien sind nicht bekannt.
Mit Hilfe der Echokardiographie kann bei vielen klinisch unauffälligen Patienten die kardiale Mitbeteiligung nachgewiesen werden.
Von einer vorausgegangenen Streptokokkeninfektion kann ausgegangen
werden, wenn ein Scharlach aufgetreten ist und/oder b-hämolysierende Streptokokken im Rachenabstrich nachgewiesen wurden und/oder erhöhte Antikörpertiter gegen Streptokokkenexoenzyme (mit Titeranstieg) nachgewiesen
werden können (Antistreptolysin-O, Antihyaluronidase, Anti-DNase-B, AntiNADase, Antistreptokonase). Die Sensitivität eines positiven Rachenabstrichs
zum Zeitpunkt des Auftretens des rheumatischen Fiebers liegt bei etwa 50%.
Zum Ausschluss einer vorausgegangenen Streptokokkeninfektion sind Untersuchungen auf verschiedene Antikörper gegen Streptokokkenexoenzyme erforderlich (z. B. Antistreptolysin-O-Titer, Anti-DNase-B-Titer, Antihyaluronidase).
3.8 Rheumatisches Fieber
z
z Differenzialdiagnose
Bei der Seltenheit des rheumatischen Fiebers im mitteleuropäischen Raum ist
vor allen Dingen die Ausschlussdiagnostik wichtig. Hierzu eignen sich besonders Kombinationen serologischer Tests (s. o.) zum Ausschluss einer vorausgegangenen Streptokokkeninfektion. Differenzialdiagnostisch kommt eine Vielzahl von anderen entzündlichen Gelenkerkrankungen in Betracht, insbesondere
z Spondylitis ankylosans mit peripherem Gelenkbefall (dort finden sich in ca.
der Hälfte der Fälle auch erhöhte Streptokokkenantikörpertiter),
z Arthritis psoriatica,
z enteropathische Arthritiden bei Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa,
z Morbus Whipple,
z Morbus Behçet,
z virusinduzierte Arthritiden (durch Parvovirus B19, Rötelnvirus u.a.)
z Lyme-Arthritis,
z septische Arthritis,
z atypisch beginnende rheumatoide Arthritis,
z juvenile idiopathische Arthritis.
z Literatur
1. Stollerman GH, Markowitz M, Taranta A, Wannamake LW, Whittemore R (1965)
Jones Criteria (revised) for guidance in the diagnosis of rheumatic fever. Circulation: pp 664–668
2. Stollerman GH (1997) Rheumatic fever. Lancet 349(9056):935–942
3. Carapetis JR, McDonald M, Wilson NJ (2005) Acute rheumatic fever. Lancet
366:155–168
87
88
z
3 Diagnostische Kriterien
3.9 Lyme-Arthritis
(ICD-Nr. A 69.2)
z Definition
Die Lyme-Borreliose ist eine vielgestaltige Multisystemkrankheit infolge einer
vorwiegend durch Zeckenstiche übertragenen Borrelieninfektion. In Europa ist
die Schildzecke Ixodes ricinus der wichtigste Vektor. Der Erreger Borrelia
burgdorferi sensu lato kommt in verschiedenen Genospezies vor. Als humanpathogen gelten Borrelia burgdorferi sensu stricto, Borrelia afzelii und Borrelia
garinii.
In erster Linie kommt es zu Krankheitserscheinungen der Haut, des Nervensystems und der Gelenke. Entsprechend der Aufeinanderfolge potenzieller
Krankheitserscheinungen bzw. unterschiedlicher Latenzzeiten wird die LymeBorreliose in 3 Stadien eingeteilt (Tabelle 1). Die verschiedenen Stadien sind
oft durch symptomfreie Intervalle getrennt, andererseits kann es auch zu
Überlappungen kommen. Darüber hinaus kommt es nicht bei jedem Patienten
zu Krankheitserscheinungen aller Stadien; so kann sich die Erkrankung z. B.
auch erstmals mit einer Manifestation des Stadiums 3 wie z. B. der Lyme-Arthritis bemerkbar machen.
Bei der Lyme-Borreliose kann es zu einer Vielzahl rheumatologischer Symptome und Befunde kommen. Arthralgien und Myalgien kommen häufig im
Stadium der Erregerdissemination vor. Nur gelegentlich kommt es bereits im
Stadium 2 der Erkrankung zu flüchtigen Gelenkschwellungen. In der Regel ist
die Lyme-Arthritis eine späte Krankheitsmanifestation, die Monate bis zu 2
Jahre nach der Infektion beginnt. Ihre charakteristischen klinischen Symptome
sind in der Tabelle 2 dargestellt. Bei der Akrodermatitis chronica atrophicans
kann es im Bereich befallener Haut zu ausgeprägten Finger- und Zehendeformitäten entsprechend einer Jaccoud-Arthropathie kommen.
z Diagnostische Kriterien
International validierte Diagnosekriterien liegen nicht vor. Die Zusammenfassung klinischer und labormedizinischer Untersuchungen bzw. Befunde führen
aber zu den in Tabelle 3 rational erscheinenden Kriterien.
Anmerkungen
Viele Patienten mit einer Lyme-Borreliose können sich nicht an einen Zeckenstich erinnern. Nur noch gelegentlich werden pathognomonische extraartikuläre Frühmanifestationen einer Lyme-Borreliose nicht erkannt bzw. behandelt
3.9 Lyme-Arthritis
z
Tabelle 1. Stadien der Lyme-Borreliose
Frühmanifestationen
Stadium I (lokal) Stadium II (disseminiert)
nach Tagen
?
Wochen
Spätmanifestationen
Stadium III (chronisch)
?
Erythema migrans
Borrelienlymphozytom
Allgemeinsymptome
Meningopolyneuritis
Enzephalitis, Myelitis
Perimyokarditis
Konjunktivitis, Uveitis
Papillitis, Panophthalmie
Myalgien, Myositis
Arthralgien, Enthesopathien
Arthritis (intermittierend ?
Monaten
?
Jahren
Chronische Enzephalomyelitis
Polyneuropathie
Kardiomyopathie
Keratitis
chronisch)
Acrodermatitis chronica atrophicans
Tabelle 2. Klinische Kennzeichen der Lyme-Arthritis
z Verlauf
Intermittierend, selten chronisch
z Befallsmuster
Mon- oder Oligoarthritis
Vorwiegender Befall des Kniegelenkes (meist massiver Gelenkerguss, oft wenig schmerzhaft, häufig Baker-Zysten)
Tabelle 3. Diagnostische Kriterien der Lyme-Arthritis
1. Zeckenstich und/oder extraartikuläre Manifestationen einer Lyme-Borreliose (insbesondere Erythema migrans oder Neuroborreliose in der Anamnese, ggf. manifeste Akrodermatitis chronica
atrophicans)
2. Typisches Gelenkbefallsmuster (Mon- oder Oligoarthritis)
3. IgG-Antikörper gegen Borrelia burgdorferi
(Eine positive Borrelien-PCR aus dem Gelenkpunktat kann die Diagnose unterstützen)
4. Ausschluss möglicher Differenzialdiagnosen
1: fakultativ, 2–4: obligat
PCR Polymerasekettenreaktion
und können somit ein anamnestisches Indiz für eine Lyme-Arthritis sein. Die
klinisch meist einfach zu erkennende Akrodermatitis chronica atrophicans
kann der einfachste Schlüssel zur Diagnose einer gleichzeitig manifesten Lyme-Arthritis sein. In der Mehrzahl der Fälle stellt sich die Frage einer LymeArthritis als erste und einzige Manifestation einer Borrelieninfektion.
89
90
z
3 Diagnostische Kriterien
z Labordiagnostik
Serologie
Die Routinediagnostik stützt sich außerdem auf den Nachweis spezifischer Antikörper. Positive und v. a. grenzwertige Befunde z. B. mit dem ELISA sollen
mit einem Immunblot überprüft werden, um unspezifische Befunde oder
Kreuzreaktionen nach Möglichkeit auszuschließen. Während im Frühstadium
der Infektion die klinische Symptomatik der humoralen Immunantwort vorausgehen kann (insbesondere bei mehr als 50% der Fälle eines Erythema migrans sind keine spezifischen Antikörper nachzuweisen), finden sich bei der
Lyme-Arthritis in aller Regel signifikant erhöhte IgG-Antikörper gegen Borrelia burgdorferi. Entsprechende Befunde unterscheiden sich aber nicht von IgGTitern bei asymptomatisch verlaufenen Infektionen (Durchseuchungstiter), sodass sie isoliert betrachtet nicht als Beweis für eine klinisch manifeste LymeBorreliose gewertet werden können. Ein negativer IgG-Befund im ELISA (oder
IFT) schließt eine Lyme-Arthritis mit großer Sicherheit aus. Bei Verwendung
eines sensitiven Screeningtests bedarf es dann auch keiner weiteren Absicherung im Immunblot. Gelegentlich sind bei der Lyme-Arthritis auch noch spezifische IgM-Antikörper nachzuweisen. Die Konstellation positiver IgM-Antikörper ohne IgG-Antikörper ist aber nicht vereinbar mit einer Spätmanifestation; bei einer solchen Fragestellung sind diese nicht seltenen Befunde als
falsch-positiv zu erachten und bedingen v. a. keine therapeutische Konsequenz.
Erregernachweis und PCR
Der kulturelle Direktnachweis gelingt bei der Lyme-Arthritis in der Regel
nicht. Mit der Polymerasekettenreaktion (PCR) lässt sich jedoch BorrelienDNS in der Synovia und Synovialis von Patienten mit Lyme-Arthritis nachweisen. Somit kann eine solche Untersuchung zur weiteren Absicherung der Diagnose beitragen. Prinzipiell sind hierbei jedoch falsch-positive Befunde möglich. Eine positive Borrelien-PCR erlaubt auch keinen sicheren Rückschluss auf
vitale Erreger oder eine aktive Erkrankung. Somit kann weder die Diagnose
noch die Notwendigkeit einer antibiotischen Therapie mit der isolierten Betrachtung einer positiven PCR begründet werden.
z Differenzialdiagnostik
Die Differenzialdiagnostik der Lyme-Arthritis umfasst insbesondere alle entzündlich rheumatischen Erkrankungen mit einem mon- oder oligoartikulären
Befallsmuster. Hervorzuheben sind die Spondyloarthritiden, insbesondere die
reaktiven Arthritiden, die Arthritis psoriatica und auch die undifferenzierten
Spondyloarthritiden. Bei der Unterscheidung zu einer rheumatoiden Arthritis
könnte ein hierbei initial oligoartikulärer Befall kritisch sein; ansonsten führt
die Lyme-Arthritis nicht zu einem symmetrisch polyartikulären Befall.
3.9 Lyme-Arthritis
z
Im Hinblick auf die eher flüchtigen und wandernden Gelenksymptome im
Frühstadium der Lyme-Borreliose sind ähnliche Symptome z. B. bei viralen
Arthritiden wie einer Parvovirusarthropahie zu bedenken.
Der Ausschluss möglicher Differenzialdiagnosen ist ein wichtiges Kriterium
bei der Diagnostik der Lyme-Arthritis. In einigen Fällen kann aber keine eindeutige Differenzierung begründet werden. Bei einer Gonarthritis könnten z. B. eine
Psoriasis und eine positive Borrelienserologie 2 gleichwertige diagnostische Kriterien sein.
z Literatur
Herzer P (1991) Joint manifestations of Lyme borreliosis in Europe. Scand J Infect
Dis (suppl) 77:55–63
Krause A, Burmester G (1999) Lyme-Borreliose. Thieme, Stuttgart, New York
Krause A, Herzer P (2005) Frühdiagnose der Lyme-Arthritis. Z Rheumatol 64:
531–537
Steere AC (1987) The clinical evolution of Lyme arthritis. Ann Intern Med 107:725–731
Steere AC (2001) Lyme disease. N Engl J Med 345:115–125
Informationen der „European Union Concerted Action on Lyme Borreliosis“ unter der
Internetadresse: http://www.dis.strath.ac.uk/vie/LymeEU
91
92
z
3 Diagnostische Kriterien
3.10 Sjögren-Syndrom
(ICD-Nr. M 35.0)
z Synonyma. Siccasyndrom, autoimmune Exokrinopathie, autoimmune Epitheliitis.
z Definition
Das Sjögren-Syndrom ist eine langsam progressiv verlaufende entzündliche multisystemische Autoimmunerkrankung, die primär die exokrinen Drüsen betrifft.
Lymphozyteninfiltrate verdrängen das Drüsengewebe, es resultiert eine verminderte Sekretproduktion. Im Vordergrund stehen Keratoconjunctivits sicca und/
oder Xerostomie. Ein Drittel der Patienten entwickelt systemische extraglanduläre Manifestationen. Charakteristische Autoantikörper (Ro/SS-A und La/SS-B)
werden produziert. Das Sjögren-Syndrom kann primär (primäres Sjögren-Syndrom) oder in Verbindung mit anderen Autoimmunerkrankungen (sekundäres
Sjögren-Syndrom) auftreten. Die Assoziation folgender Autoimmunerkrankungen mit einem sekundären Sjögren-Syndrom ist möglich: rheumatoide Arthritis,
systemischer Lupus erythematodes, systemische Sklerose, „mixed connective
tissue disease“, primäre biliäre Zirrhose, Polymyositis, Vaskulitis, Thyreoiditis,
chronische aktive Hepatitis, gemischte Kryoglobulinämie.
z Kriterien
1993 wurden die vorläufigen Kriterien einer europäischen Studiengruppe für
die Klassifikation des Sjögren-Syndroms vorgelegt [8], die 1996 von der gleichen Gruppe validiert werden konnten [9].
Eine „Amerikanisch-Europäische Konsensusgruppe“ hat diese Kriterien erneut überarbeitet und einige Modifikationen eingefügt sowie klarere Regeln
für die Klassifikation der Patienten mit primärem und sekundärem SjögrenSyndrom erstellt. Weiterhin wurden die Ausschlusskriterien überarbeitet, sodass jetzt revidierte internationale Klassifikationskriterien für das SjögrenSyndrom vorliegen [10].
Internationale Kriterien für das Sjögren-Syndrom [10]
1. Augensymptome: Eine positive Antwort auf eine der folgenden Fragen:
z Leiden Sie täglich an anhaltend trockenen Augen seit mindestens 3 Monaten?
z Haben Sie wiederholt ein Sand- oder Fremdkörpergefühl in den Augen?
z Verwenden Sie mehr als 3-mal täglich Tränenersatzlösung?
3.10 Sjögren-Syndrom
z
2. Orale Symptome: Eine positive Antwort auf eine der folgenden Fragen:
z Haben Sie seit mehr als 3 Monaten täglich das Gefühl, einen trockenen
Mund zu haben?
z Haben Sie als Erwachsener wiederholt oder anhaltend geschwollene Speicheldrüsen?
z Trinken Sie oft beim Essen, um trockene Speisen besser schlucken zu
können?
3. Augenbefunde: Ein objektiver Nachweis der Augenbeteiligung liegt vor,
wenn einer der folgenden Befunde positiv ist:
z Schirmer-I-Test, durchgeführt ohne Anästhesie (£ 5 min),
z Bengalrosascore oder andere entsprechende Score ³ 4 nach dem VanBijsterveld-Score (Abb. 1).
4. Histopathologie: Durch einen Histopathologieexperten nachgewiesene fokale lymphozytäre Sialoadenitis der kleinen Speicheldrüsen mit einem Fokusscore ³ 1, der durch die Anzahl der lymphozytären Foci (mehr als 50 Lymphozyten) pro 4 mm2 glandulären Gewebes definiert wird [1].
5. Speicheldrüsenbeteiligung: Der objektive Nachweis einer Speicheldrüsenbeteiligung ist definiert durch mindestens einen positiven Befund der folgenden Tests:
z unstimulierter Speichelfluss £ 1,5 ml/15 min,
z Parotissialografie mit Nachweis einer diffusen Sialektasie ohne Hinweis
auf einen Verschluss des Speicheldrüsenhauptgangs [5],
z Speicheldrüsenszintigrafie mit verspätetem Uptake, reduzierter Konzentration und/oder verlängerter Exkretion des Tracers [6].
6. Autoantikörper: serologischer Nachweis der folgenden Autoantikörper:
z Autoantikörper gegen Ro (SS-A) oder La (SS-B) oder gegen beide.
Abb. 1. Van-Bijsterveld-Score. Semiquantitative Bestimmung epithelialer Defekte durch Anfärbung der
Bindehaut und Hornhaut mit Bengalrosa. Es wird eine Punktbewertung mit maximal 9 Punkten für jedes Auge zugrunde gelegt
93
94
z
3 Diagnostische Kriterien
Revidierte Klassifikationsregeln
Primäres Sjögren-Syndrom (ohne potenziell assoziierte Erkrankungen)
1. 4 von 6 Kriterien sind positiv unter Einschluss von entweder Kriterium 4
oder 6 (Sensitivität 89,5%, Spezifität 95,2%);
2. 3 der 4 objektiven Kriterien (3, 4, 5, 6) sind positiv (Sensitivität 84,2%, Spezifität 95,2%);
3. die Entscheidungsbaummethode (Abb. 2) stellt eine alternative Methode der
Klassifikation dar, ist aber mehr klinisch-epidemiologischen Untersuchungen vorbehalten (Sensitivität 96,1%, Spezifität 94,2%).
Sekundäres Sjögren-Syndrom (mit Nachweis einer potenziell assoziierten Erkrankung, z. B. einer anderen definierten Kollagenose)
z Nachweis von Kriterium 1 oder 2 plus 2 der Kriterien 3, 4 oder 5 (Sensitivität 97,2%, Spezifität 90,2% beim Vergleich mit Kollagenosen ohne SjögrenSyndrom).
Ausschlusskriterien:
z Zustand nach Kopf- oder Halsbestrahlungstherapie,
z Hepatitis-C-Infektion,
z AIDS,
z vorbestehendes Lymphom,
Abb. 2. Entscheidungsbaum für die Klassifikationskriterien des Sjögren-Syndroms (nach [10]). Arabische Zahlen: Klassifikationskriterien (s. Tabelle). SSneg.= kein Sjögren-Syndrom, SS = Sjögren-Syndrom
* path. Speicheldrüsenbefunde
** anti-SS-A und ± anti-SS-B positiv
3.10 Sjögren-Syndrom
z
z Sarkoidose,
z Graft-vs.-host-Erkrankung,
z Gebrauch von anticholinergen Pharmaka (Zeitabstand der Einnahme kürzer
als ein Vierfaches der Halbwertszeit des Pharmakons).
Weitere Symptome
z Allgemein: Müdigkeit, Leistungsinsuffizienz, subfebrile Temperaturen;
z Augen: Lichtempfindlichkeit, schnelle Ermüdbarkeit der Augen, Hornhautulzerationen und -perforation;
z Speicheldrüsen: Geschmacksstörungen, Unfähigkeit über längere Zeit ununterbrochen zu sprechen. Schlafstörungen, um durch Trinken die Xerostomie
zu lindern;
z Bewegungsapparat: Arthralgien, Arthritis (nichterosiv, außer bei sekundärem Sjögren-Syndrom mit rheumatoider Arthritis), Myalgien, Myositis;
z Gefäßsystem: Raynaud-Phänomen, leukozytoklastische und lymphozytäre
Vaskulitiden;
z Haut: trocken, Pruritus, palpable Purpura;
z Subklinische Thyreoiditis;
z Respirationstrakt: Rhinitis sicca, Xerotracheitis, interstitielle lymphoide
Pneumonie, Lungenfibrose;
z Gastrointestinaltrakt: Dysphagie, chronische Gastritis mit lymphozytären
Infiltraten, akute oder chronische lymphozytäre Pankreatitis;
z Urogenitaltrakt: tubuläre Azidose, interstitielle Nephritis, seltener membranöse oder membranoproliferative Glomerulonephritis: trockene Scheide;
z Nervensystem: periphere Neuropathie, Enzephalopathie;
z Lymphsystem: Lymphknotenvergrößerung, Splenomegalie. Beim SjögrenSyndrom besteht ein erhöhtes Lymphomrisiko (B-Zell-Lymphom, einschließlich MALT-Lymphom), das ca. 5% der Patienten betrifft. Als ungünstige Prognosefaktoren gelten palpable Purpura und vermindertes C4!
z Paraklinische Befunde: BSG-Beschleunigung, Anämie, Leukozytopenie,
Thrombozytopenie, Hypergammaglobulinämie, Kryoglobulinämie, weitere
Autoantikörper (ANA, Rheumafaktor, organspezifische Autoantikörper wie
Parietalzellantikörper, Antithyreoglobulinantikörper, mikrosomale Autoantikörper, mitochondrale Autoantikörper u. a.).
Der Verdacht auf ein Sjögren-Syndrom besteht bei vorliegender Siccasymptomatik. Er sollte durch objektive Untersuchungsmethoden gesichert werden.
Neben den Methoden, die in den Klassifikationskriterien aufgezeigt sind, hat
sich auch die Sonografie der Speicheldrüsen bewährt. Das bedeutsamste Diagnostikum ist die Lippenspeicheldrüsenbiopsie.
95
96
z
3 Diagnostische Kriterien
z Differenzialdiagnosen
Sarkoidose, virale Infektionen (Mumps, Influenza, Epstein-Barr, CMV, HIV,
Hepatitis C), Hyperlipoproteinämie, Neoplasmen, chronische Graft-vs.-host-Erkrankung, bakterielle Sialadenitis, Amyloidose.
z Literatur
1. Daniels TE, Whitcher JP (1994) Association of patterns of labial salivary gland
inflammation with keratoconjunctivitis sicca. Analysis of 618 patients with
suspected Sjögren’s syndrome. Arthritis Rheum 37:869–877
2. Fox RI, Robinson CA, Curd JG, Kozin F, Howell FV (1986) Sjögrens syndrome:
proposed criteria for classification. Arthritis Rheum 29:577–585
3. Homma M, Tojo T, Akizuki M, Yagomata H (1986) Criteria für Sjögren’s syndrome
in Japan. Scand J Rheumatol (Suppl) 61:26–27
4. Manthorpe R, Oxholm P, Prause JU, Schiödt M (1986) The Copenhagen criteria
for Sjögren’s syndrome. Scand J Rheumatol (Suppl) 61:19–21
5. Rubin H, Holt M (1957) Secretory sialography in diseases of the major salivary
glands. Am J Roentgenol 77:575–598
6. Shall GL, Anderson LG, Wolf RO et al (1971) Xerostomia in Sjögren’s syndrome:
evaluation by sequential scintigraphy. JAMA 216:2109–2116
7. Skopouli FN, Drosos AA, Papioannou T, Moutsopoulos HM (1986) Preliminary
diagnostic criteria for Sjögren’s syndrome. Scand J Rheumatol (Suppl) 61:22–25
8. Vitali C, Bombardieri S, Moutsopoulos HM et al (1993) Preliminary criteria for
the classification of Sjögren’s syndrome. Arthritis Rheum 36:340–347
9. Viali C, Bombardieri S, Moutsopoulos HM et al (1996) Assessment of the European classification criteria for Sjögren’s syndrome in a series of slinically defined
cases. Results of a prospective multicentre study. Ann Rheum Dis 55:116–121
10. Vitali C, Bombardieri S, Jonsson R, Moutsopoulos HM et al (2002) Classification
criteria for Sjögren’s syndrome: a revised version of the European criteria proposed by the American-European Consensus Group. Ann Rheum Dis 61:554–558
3.11 Systemischer Lupus erythematodes
3.11
z
Systemischer Lupus erythematodes
(ICD-Nr. M 32.9)
z Definition
Der systemische Lupus erythematodes (SLE) ist eine chronisch-entzündliche,
systemische Autoimmunerkrankung, die Haut und Gelenke, Nieren, Nervensystem sowie seröse Häute und viszerale Organe des menschlichen Körpers
befallen kann. Die Krankheitssymptomatik basiert auf einer lokal oder systemisch ablaufenden Vaskulitis.
z Klassifikationskriterien
Als Klassifikationskriterien für den SLE sind weltweit die Kriterien der American Rheumatism Association (jetzt ACR) von 1982 anerkannt, die 1997 letztmalig modifiziert wurden (Tabelle 1). Voraussetzung für die Etablierung der
Diagnose eines SLE ist, dass 4 oder mehr der in Tabelle 1 aufgeführten 11 Kriterien erfüllt sind, entweder gleichzeitig oder im Verlauf über einen nicht definierten Zeitraum.
z Zusätzliche diagnostische Parameter
Bei einem Vollbild der Erkrankung erlauben die ARA-Kriterien eine sichere
Diagnose mit einer Sensitivität von 83% und einer Spezifität von 89% gegenüber anderen systemischen Autoimmunerkrankungen und Erkrankungen des
rheumatischen Formenkreises. Schwierigkeiten ergeben sich vor allem in der
Diagnostik zu Beginn der Erkrankung, wenn nur etwa 70% der Patienten die
Klassifikationskriterien erfüllen. Bei diesen Patienten ist die Beobachtung des
Krankheitsverlaufs von mitentscheidender Bedeutung für die Etablierung der
Diagnose.
Das Krankheitsbild ist initial charakterisiert durch eine Allgemeinsymptomatik mit Fieber, Müdigkeit und Abgeschlagenheit, 30% der Patienten haben
eine Lymphadenopathie, vor allem im zervikalen Bereich. Überwiegend sind
junge Frauen in der dritten Lebensdekade betroffen. Häufig manifestiert sich
ein SLE im Anschluss an eine Schwangerschaft oder an die Einnahme von oralen Antikonzeptiva. Ein Raynaud-Phänomen mit einer zweiphasigen Farbreaktion sowie eine Alopezie und eine Photosensibilität gehörten 1971 noch mit zu
den Klassifikationskriterien.
Von den labormedizinischen Befunden sind in den ARA-Kriterien von 1982
Antikörper gegen Nukleoproteine (SS-A und SS-B) nicht berücksichtigt. Sie
97
98
z
3 Diagnostische Kriterien
Tabelle 1. Klassifikationskriterien der ARA von 1982 für den systemischen Lupus erythematodes
1 Schmetterlingserythem
2 Discoide Hautveränderungen
3 Photosensitivität
4 Orale Ulzerationen
5 Arthritis
6 Serositis
7 Nierenerkrankung
8 Neurologische
Erkrankung
9 Hämatologische
Erkrankung
10 Immunologische
Erkrankung
11 Antinukleäre
Antikörper
fixiertes Erythem, flach oder erhaben im Bereich der Wangen, meist
unter Aussparung der nasolabialen Falten
erythematöse, erhabene Hautflecken mit adhärenten keratotischen Anteilen und follikulärem Verschluss; atrophische Narben können in älteren Läsionen auftreten
Hautrötungen, die infolge einer ungewöhnlichen Reaktion auf Sonnenlicht auftreten – vom Patienten anamnestisch angegeben
orale oder nasopharyngeale Ulkusbildungen, gewöhnlich schmerzlos
festgestellt durch einen Arzt
nichterosive Arthritis mit dem Befall von 2 oder mehr peripheren Gelenken, charakterisiert durch Steifigkeit, Schwellung oder Gelenkerguss
a) Pleuritis: typische Anamnese für einen Pleuraschmerz oder ein Reiben, das auskultatorisch durch einen Arzt festgestellt wird, oder
Nachweis eines Pleuraergusses, oder
b) Perikarditis: gesichert durch ein EKG oder durch ein Reibegeräusch
oder durch den Nachweis eines perikardialen Ergusses
a) persistierende Proteinurie von mehr als 0,5 g/Tag oder größer als 3+,
wenn eine Quantifizierung nicht durchgeführt wird, oder
b) zelluläre Zylinder, Erythrozyten-, Hämoglobin-, granuläre,
tubuläre oder gemischte Zylinder
a) Krampfanfälle: Ausschluss einer medikamentösen Induktion oder
einer metabolischen Stoffwechselstörung; z. B. Urämie, Ketoazidose
oder Elektrolytentgleisung oder
b) Psychose: ohne offensichtliche Medikamenteninduktion und Ausschluss einer metabolischen Stoffwechselstörung, z. B. Urämie,
Ketoazidose oder Elektrolytstörungen
a) hämolytische Anämie: mit Retikulozytose oder
b) Leukozytopenie: weniger als 4 000 Leukozyten/ll – 2- oder mehrmaliger Nachweis oder
c) Lymphozytopenie: weniger als 1500/ll bei 2 oder mehr Untersuchungen oder
d) Thrombozytopenie: weniger als 100 000/ll ohne die Einnahme
eines möglicherweise ursächlichen Medikamentes
a) Anti-DNS: AK gegen native ds-DNS in einem erhöhten Titer oder
b) Anti-Sm: Nachweis von AK gegen Sm-Antigene oder
c) positiver Nachweis von Antiphospholipidantikörpern (mindestens
2-mal im Abstand von mindestens 6 Wochen):
– erhöhte IgG oder deutlich erhöhte IgM Kardiolipin-Ak oder
– positives Lupusantikoagulans mittels Standardmethode oder
– falsch-positiver Test für Syphilis
Nachweis eines erhöhten antinukleären Antikörpertiters in der Immunfluoreszenz oder einem gleichwertigen Test zu einem bestimmten
Zeitpunkt, ohne Zusammenhang zu einem Medikament, das mit einem sog. medikamentös induzierten Lupussyndrom assoziiert sein
kann
3.11 Systemischer Lupus erythematodes
z
haben eine Sensititivät von etwa 30–35%, sind jedoch wegen ihres Vorkommens auch bei anderen rheumatologischen Erkrankungen, so besonders beim
Sjögren-Syndrom, weniger spezifisch als Krankheitsmarker. Kinder von Patientinnen mit Anti-SS-A bzw. Anti-SS-B können einen kongenitalen Herzblock in 5–10% aufweisen.
Serologisch ist der SLE gekennzeichnet durch eine Vielzahl von Autoantikörperphänomenen, wobei neben den erwähnten Antikörpern gegen Nukleoproteine SS-A und SS-B vor allem Antikörper gegen Doppelstrang-DNS (dsDNS) und gegen Kardiolipin sowie gegen Blutzellen von pathogenetischer Bedeutung sind. Antinukleäre Antikörper im indirekten Immunfluoreszenztest
werden in 100% der Patienten mit einem systemischen Lupus erythematodes
gefunden und stellen damit den sensitivsten Parameter dar, wobei die Antikörper in der Regel sehr hochtitrig sind. Anti-ds-DNS-Antikörper finden
sich in bis zu 90% von Patienten mit einem aktiven SLE, wobei Antikörper
des IgG-Isotyps besonders mit einer Nierenmanifestation in ihrem Titer zu korrelieren sind. Die Analyse von Anti-ds-DNS-Antikörpertitern im Serum sowie
die Analyse des Komplementverbrauchs stellen wertvolle Parameter für die Beurteilung einer Therapieeffizienz dar. Antikardiolipinantikörper sind assoziiert
mit thromboembolischen Komplikationen, Antikörper gegen unterschiedliche
Blutzellen bewirken Anämien, Leukopenien und Thrombozytopenien.
Bei der Analyse von antinukleären Antikörpern im indirekten Immunfluoreszenztest ist zu berücksichtigen, dass diese Antikörper bei einer Reihe von
anderen rheumatologischen Erkrankungen nachgewiesen werden und im Rahmen von Lungenfibrosen, infektiösen Krankheitsbildern und Malignomen auftreten können. Auch im höheren Alter werden antinukleäre Antikörper in bis
zu 15% beobachtet.
Nur in seltenen Fällen sind Hautbiopsien mit einer Ablagerung von C4Komplement und IgA und der dermalen-epidermalen Grenze für die Diagnostik notwendig. Ein Lupusbandtest kann auch bei anderen systemischen Autoimmunerkrankungen positiv sein.
Für die Beurteilung der im Rahmen eines SLE auftretenden Glomerulonephritis kann eine histologische Sicherung hilfreich sein, auch als Entscheidungshilfe für eine einzuschlagende immunsuppressive Therapie. Fünf verschiedene Typen einer Nierenbeteiligung werden nach der WHO-Klassifikation
unterschieden.
Bei der sehr heterogenen Ausprägung eines SLE ist die frühzeitige Erfassung von Organmanifestationen wesentlicher Bestandteil sowohl der primären
Diagnostik als auch der Aktivitätsbeurteilung im Verlauf. Als ausgeprägte Aktivitätszeichen müssen eine aktive Glomerulonephritis, eine Beteiligung des
ZNS in Form von Infarkten, Epilepsie, Psychose oder einer Myelitis, eine Myokarditis sowie in selteneren Fällen eine Pankreatitis angesehen werden. Wesentlich von der Ausprägung hängt die Aktivitätseinschätzung ab bei Hautmanifestationen (z. B. diskretes Schmetterlingserythem), ausgeprägter Vaskulitis/
Serositis und Verminderung von Blutzellen im Sinne von Anämie, Thrombozytopenie und Leukopenien. Arthralgien und Arthritiden sind als milde Aktivitätsparameter anzusehen, können jedoch Vorboten einer sich ausbreitenden
Krankheitsentwicklung sein.
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100
z
3 Diagnostische Kriterien
Klinische und labormedizinische Befunde einer Krankheitsaktivität wurden
für eine allgemeingültige Analyse in verschiedenen Aktivitätsindizes, z. B. SLEDAI, SLAM, BILAG und ECLAM zusammengefasst.
z Differenzialdiagnose
Der SLE ist gegenüber anderen systemischen Autoimmunerkrankungen und
von systemischen Vaskulitiden abzugrenzen, insbesondere von der progressiven systemischen Sklerose, der Polymyositis, der rheumatoiden Arthritis und
der Mischkollagenose sowie dem primären Antiphospholipidsyndrom (s. u.).
Zu erwähnen ist, dass die Gelenkbeteiligung beim SLE in der Regel nicht mit
Gelenkdestruktionen einhergeht, typisch sind Subluxationen. In der Regel lässt
sich der SLE aufgrund anamnestischer Daten, des klinischen Befundes und
der Laborparameter gut definieren, schwierig ist häufig die Abgrenzung von
der sog. Mischkollagenose (Sharp-Syndrom), für welche hochtitrige Antikörper gegen U1RNP charakteristisch sind.
z Literatur
1. Tan EM, Cohen AS, Fries JF, Masi AT, McShane DJ, Rothfield NF, Schaller JG, Talal
N, Winchester RJ (1982) The 1982 revised criteria for the classification of systemic
lupus erythematosus. Arthritis Rheum 25:1271–1277
2. Hochberg MC (1997) Updating the American College of Rheumatology revised
criteria for the classification of systemic lupus erythematosus. Arthritis Rheum
40:1725
3. Gaubitz M, Schotte H (2005) Frühdiagnose des systemischen Lupus erythematodes
(SLE). Z Rheumatol 64:547–552
3.12 Antiphospholipidsyndrom
z
3.12 Antiphospholipidsyndrom
(ICD-Nr. D 68.8)
z Synonyma. Hughes-Syndrom, Antikardiolipinsyndrom.
z Definition
Das Antiphospholipidsyndrom (APS) ist eine Autoimmunerkrankung unbekannter Ätiologie mit venösen und arteriellen Thrombosen und/oder Schwangerschaftskomplikationen, meist rezidivierenden Aborten, bei wiederholtem
Nachweis von Antiphospholipidantikörpern (aPL), die gegen Phospholipidproteinkomplexe gerichtet sind.
Das APS kann mit weiteren Autoimmunerkrankungen, meist dem systemischen Lupus erythematodes (SLE), assoziiert sein (sekundäres APS) oder isoliert als primäres APS (PAPS) auftreten.
Hughes beschrieb 1983 als erster ein klinisches Syndrom, bestehend aus
Thrombosen, rezidivierenden Aborten, neurologischen Symptomen und dem
Nachweis von aPL [7]. Die Geschichte des APS geht jedoch bis 1952 zurück,
als Conley und Hartmann ein zirkulierendes Antikoagulans bei SLE-Patienten
beschrieben [5].
z Klassifikationskriterien
Die Klassifikationskriterien des APS wurden auf einer Konsensuskonferenz
1998 in Sapporo 1998 vorgeschlagen [9] und 2006 aktualisiert [8].
Vorläufige Kriterien für die Klassifikation des Antiphospholipidsyndroms [8]
Klinische Kriterien
1. Gefäßverschlüsse
³ 1 klinisches Ereignis einer arteriellen, venösen oder „Small-vessel-Thrombose“ (Bestätigung
durch Angiographie, Dopplersonographie oder histologischen Befund)
2. Schwangerschaftskomplikationen
³ 1 Abort in oder nach der 10. SSW
oder
³ 1 Frühgeburt in oder vor der 34. SSW
oder
³ 3 Aborte (konsekutiv) vor der 10. SSW
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z
3 Diagnostische Kriterien
Laborkriterien
1. Antikardiolipinantikörper (aCL) vom IgG- oder IgM-Subtyp in mittlerem oder hohem Titer (³ 40
GPL oder MPL), bei 2 oder mehr Bestimmungen von mindestens 12 Wochen Abstand, gemessen mit einem Standard-ELISA
2. Lupusantikoagulans bei 2 oder mehr Bestimmungen von mindestens 12 Wochen Abstand, gemessen in Übereinstimmung mit den Richtlinien der International Society on Thrombosis and
Hemostasis in den folgenden Schritten:
– Verlängerung eines phospholipidabhängigen Gerinnungstests als Screeningtest, z. B. PTT, KCT,
dRVVT, Textarintest
– Keine Korrektur der verlängerten Gerinnungszeit durch Zusatz von normalem thrombozytenarmen Plasma
– Verkürzung oder Korrektur der verlängerten Gerinnungszeit durch Zusatz von Phospholipiden
– Ausschluss anderer Koagulopathien, z. B. F-VIII-Inhibitor oder Heparin
3. Anti-b2-Glykoprotein-1-Antikörper vom IgG- und/oder IgM-Typ bei ³ 2 Messungen in mindestens 12 Wochen Abstand
Ein definitives APS liegt vor, wenn mindestens ein klinisches und ein Laborkriterium erfüllt sind.
z Wichtige diagnostische Krankheitssymptome
Thrombosen: 2,5 bis 3,5% der Patienten mit APS erleiden pro Jahr eine
Thrombose. Phlebothrombosen (32% *) sind häufiger als arterielle Okklusionen. Bei 10% aller Patienten mit venösen Verschlüssen sind aPL nachweisbar.
Die venösen Thrombosen betreffen meist die unteren Extremitäten, in einem
Drittel kompliziert durch Lungenembolien. Pulmonale Gefäßverschlüsse können aber auch primär in der Lungenstrombahn auftreten und zur pulmonalen
Hypertonie führen. Okklusionen der Axillarvenen, der V. subclavia, der Vv.
cava inferior et superior und verschiedener Organvenen sind ebenso möglich.
In 9% * treten Thrombophlebitiden auf. Arterielle Thrombosen betreffen bevorzugt die Zerebralarterien, aber auch Koronar-, Extremitäten- und andere
Organarterien. 80% der Patienten erleiden entweder rezidivierende venöse
oder rezidivierende arterielle Verschlüsse. Nur bei 20% tritt ein Wechsel zwischen einem arteriellen und venösen Verschluss und vice versa auf. Die
Thromboserezidivrate liegt in prospektiven Studien zwischen 9 und 31%.
z Eine disseminierte Thrombenbildung in zahlreichen Gefäßen mit Multiorganversagen und Thrombozytopenie wird als „catastrophic“ APS bezeichnet [2]. Es kann letal enden.
z Schwangerschaftskomplikationen: Mehr als die Hälfte der Thrombosen bei
Frauen mit APS treten in der Gravidität, im Wochenbett oder bei der Einnahme oraler Kontrazeptiva auf. Eine EPH-Gestose kommt bei Frauen mit APS
häufiger vor. Rezidivierende Aborte (Spätaborte sind typischer als Frühaborte), intrauteriner Fruchttod, Frühgeburten und Wachstumsretardierung sind
häufige APS-Komplikationen, die den Fetus betreffen. Für die Schwangerschaftskomplikationen sind Plazentagefäßverschlüsse verantwortlich.
* Die Prozentangaben beziehen sich auf die Angaben in einer multizentrischen europäischen Studie an 1000 APS-Patienten [4]
3.12 Antiphospholipidsyndrom
z
z Hämozytopenien: Thrombozytopenie (22% *) – häufiger leicht –, hämolytische Anämie (7% *) und selten Leukozytopenie werden beobachtet. Es bestehen Beziehungen zwischen einem APS und einer thrombotisch-thrombozytopenischen Purpura bzw. einem hämolytisch-urämischen Syndrom.
z Neurologische Manifestationen: Schlaganfälle (13% *) bei jungen Menschen,
transitorische ischämische Attacken (7% *), Sinusthrombose, Amaurosis fugax, Demenz, Migräne, Epilepsie, Chorea, Querschnittsmyelitis, GuillainBarré-Syndrom, transitorische globale Amnesie und sogar Verhaltensstörungen können Symptome des APS sein. Neurologische Symptome eines SLE
gehen häufig auf ein APS zurück.
z Herzmanifestationen: Herzklappenerkrankungen, Koronararterienverschluss,
intrakardiale Thromben, dilatative Kardiomyopathie und frühzeitige Bypassokklusionen nach koronarchirurgischen Eingriffen werden bei APS beobachtet.
z Nierenmanifestationen: thrombotische Mikroangiopathie (3% *), Nierenvenenthrombose, Niereninfarkt, Nierenarterienstenose mit Hypertonie und
verminderte Transplantatüberlebenszeit nach Nierentransplantation sind
mögliche Komplikationen des APS.
z Hautmanifestationen: Livedo reticularis (20% *), Hautulzera, große Hautnekrosen, Finger- und Zehengangrän, multiple subunguale „splinter hemorrhages“, Anetoderma und Melanoderma werden bei einem APS gesehen.
z Weitere Organmanifestationen sind: M. Addison durch Thrombose der Nebennierengefäße, Darmnekrosen durch Verschlüsse der Darmgefäße, BuddChiari-Syndrom durch Lebervenenthrombosen, Leberinfarkte und Milzinfarkte.
z Zirkulierende oxidierte „low density“ Lipoproteine bilden mit b2GP1 Komplexe und wirken als atherogenes Antigen, sodass zwischen APS und Arteriosklerose eine Assoziation besteht.
z Bei Infektionskrankheiten können aPL nachweisbar sein. Diese bedürfen zu
ihrer Bindung im ELISA nicht des b2GP1 und sind nicht mit den klinischen
Symptomen des APS assoziiert.
z Labordiagnostik
Als Kriterium im Sinne eines APS wird der zweimalige Nachweis von aPL entweder als Lupusantikoagulans (LA) mittels hämostaseologischer Tests oder als
Antikardiolipinantikörper (aCL) durch immunologische Tests im Abstand von
mindestens 12 Wochen gefordert. Für die Bestimmung des LA liegen Richtlinien vor, die seinen Nachweis in mehreren Schritten empfehlen [3]. Als Screeningtest zum Nachweis des LA sind in Deutschland vor allem die Bestimmung
der aktivierten partiellen Thromboplastinzeit (APTT), die „Kaolin Clotting
Time“ (KCT) und die „diluted Russell Viper Venom Time“ (dRVVT) gebräuchlich. Allerdings können diese Tests in Abhängigkeit von verschiedenen Herstellern hinsichtlich Sensitivität und Spezifität erhebliche Unterschiede aufweisen
[1]. Die Identifizierung des LA als Inhibitor erfolgt im Plasmatauschverfahren.
Hierbei lässt sich bei Vorliegen eines LA die verlängerte Gerinnungszeit, z. B.
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z
3 Diagnostische Kriterien
APTT, nicht durch Zusatz von Normalplasma korrigieren. Als Bestätigungstest
für das LA muss die Phospholipidabhängigkeit nachgewiesen werden. Der Zusatz von Phospholipiden zu den Screeningtests des LA normalisiert die verlängerten Gerinnungszeiten. Dazu sind jetzt kommerzielle Testkits vorhanden.
Andere Hämostasestörungen wie Hämophilie A oder B sowie Hemmkörperhämophilien müssen ausgeschlossen werden. Zusätzlich zu den Gerinnungstests
sind immunologische Bestimmungen der aPL (meistens aCL, aber auch andere
aPL, bevorzugt Antiphosphatidylserinantikörper) notwendig [6]. b2GP1 muss
in diesen Bestimmungen als Kofaktor verwandt werden. Die Standardisierung
der vorhandenen anti-b26P1-ELISA ist noch nicht optimal. Grundsätzlich
können auch IgA-aCL und Antikörper gegen andere Phospholipide oder isolierte Anti-b2GP1-Antikörper vorliegen. Den höchsten Vorhersagewert bezüglich einer Thrombose haben LA und hohe Titer der aCL-IgG.
z Differenzialdiagnose
Andere – meist angeborene – Gerinnungs- und Fibrinolysedefekte müssen
ausgeschlossen sein. Kombinationen mit aPL kommen jedoch vor.
z Literatur
1. Arnout J, Meijer P, Vermylen J (1999) Lupus anticoagulant testing in Europe: an
analysis of results from the first European Concerted Action on Thrombophilia
(ECAT) survey using plasmas spiked with monoclonal antibodies against human
beta2-glycoprotein I. Thromb Haemost 81:929–934
2. Asherson RA, Cervera R, Piette JC et al (2001) Catastrophic antiphospholipid syndrome: clues to the pathogenesis from a series of 80 patients. Medicine 80:355–377
3. Brandt JT, Barna LK, Triplett DA (1995) Laboratory identification of lupus anticoagulants: results of the Second International Workshop for Identification of
Lupus Anticoagulants. On behalf of the Subcommittee on Lupus Anticoagulants/
Antiphospholipid Antibodies of the ISTH. Thromb Haemost 74:1597–1603
4. Cervera R, Piette JC, Font J et al (2002) Antiphospholipid syndrome: clinical and
immunologic manifestations and patterns of disease expression in a cohort of
1000 patients. Arthritis Rheum 46:1019–1027
5. Conley CL, Hartmann RC (1952) A haemorrhagic disorder caused by circulating
anticoagulant in patients with disseminated lupus erythematodes. J Clin Invest
31:621–622
6. Gromnica-Ihle E, Schößler W (2000) Antiphospholipid syndrome. Int Arch Allergy
Immunol 123:67–76
7. Hughes GRV (1983) Thrombosis, abortion, cerebral disease and lupus anticoagulant. Br Med J 187:1088–1089
8. Miyakis S, Lockshin MD, Atsumi T et al (2006) International consensus statement
on an update of the classification criteria for definite antiphospholipid syndrome
(APS). J Thromb Haemost 4:295–306
9. Wilson WA, Gharavi AE, Koike T et al (1999) International consensus statement
on preliminary classification criteria for definite antiphospholipid syndrome: report of an international workshop. Arthritis Rheum 42:1309–1311
3.13 Systemische Sklerose
z
3.13 Systemische Sklerose
(ICD-Nr. M 34.9)
z Definition
Die systemische Sklerose ist eine Multiorganerkrankung (2 und mehr Organsysteme betroffen) mit Entzündung und Fibrose, die regelmäßig die Haut und die
Blutgefäße (Arterien, kleine Blutgefäße), oft auch Lunge, Magen-Darm-Trakt
(Ösophagus, Magen, Duodenum, Jejunum und Ileum), seltener Niere und Herz
betrifft und fast immer mit der Bildung von antinukleären Antikörpern einhergeht.
z Klassifikation
Klassifikationskriterien der Amerikanischen Rheumagesellschaft [1]:
1. Sklerodermie proximal der Fingergrundgelenke (Hauptkriterium),
2. Sklerodaktylie,
3. grübchenförmige Narben oder Substanzverlust der distalen Fingerweichteile,
4. bilaterale basale Lungenfibrose.
Beurteilung: Die Diagnose ist gesichert, wenn entweder Kriterium 1 oder mindestens 2 der Kriterien 2 bis 4 erfüllt sind.
Diese Kriterien sind wenig sensitiv für die frühe systemische Sklerose!
z Diagnostisch hinweisende Frühsymptome
z Sklerodermietypische antinukleäre Antikörper (im direkten Immunfluoreszenztest an HEp-2-Zellen in über 95% positiv):
– Anti-DNS-Topoisomerase 1,
– Anti-Centromer,
– Anti-Fibrillarin,
– Anti-Th (To),
– Anti-RNS-Polymerase I, III,
– Anti-PmScl,
– Anti-Ul-RNP,
– Anti-Ku.
z Sklerodermietypische strukturelle oder funktionelle Veränderungen:
– Raynaud-Phänomen (mindestens bicolor) anamnestisch, spontan oder
nach Kälteprovokation,
– kapillarmikroskopische Veränderungen der Nagelfalz (Megakapillaren,
avaskuläre Zonen, Blutungen),
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z
3 Diagnostische Kriterien
– pulmonale Gasaustauschstörung und/oder restriktive Ventilationsstörungen,
– Ösophagusmotilitätsstörung (Szintigraphie, Manometrie).
z Weitere Symptome der systemischen Sklerose
z Teleangiektasien
z arteriographischer Nachweis von Stenosen oder Verschlüssen (Hände, Füße,
Niere)
z arterielle Hypertonie
z pulmonale Hypertonie
z Sklerödem
z Mikrostomie
z Calcinosis cutis
z Frenulumsklerose
z Dysphagie
z Sklerosiphonie
z Belastungsdyspnoe
z Malabsorptionssyndrom
z Perikarditis
z Arthralgien/Arthritis
z Sehnenreiben
z dermogene (arthrogene) Kontrakturen
z Akroosteolyse
z entzündliche Veränderungen im Blut (Erhöhung von BSG, CrP, Immunglobulinen).
z Differenzialdiagnose
Ausschlusskritieren sind nicht definiert. Eine Differenzialdiagnostik zum Ausschluss lokaler Sklerodermien mit multifokalem oder disseminiertem Hautbefall, der diffusen Fasziitis (Shulman-Syndrom), und von Pseudosklerodermien
ist im Einzelfall erforderlich. Hier bestehen keine sklerodermietypischen Organsymptome, keine Sklerodaktylie, es fehlen ANA bzw. sklerodermietypische
Autoantikörper.
z Klinische Varianten
z Systemische Sklerose mit limitiertem Hautbefall (Sklerodermie des Gesichts
und distal der Ellenbogengelenke bzw. Kniegelenke; entspricht meist dem
Bild des CREST-Syndroms: Calcinosis cutis, Raynaud-Phänomen, Ösophagusmotilitätsstörung, Sklerodaktylie, Teleangiektasie);
z systemische Sklerose mit diffusem Hautbefall (auch proximal der Ellenbogengelenke und insbesondere am Stamm);
3.13 Systemische Sklerose
z
z systemische Sklerose sine scleroderma;
z systemische Sklerose bzw. Sklerodermie als Overlapsyndrom
– mit Poly-/Dermatomyositis,
– mit systemischem Lupus erythematodes,
– mit Sjögren-Syndrom,
– mit Vaskulitis,
– mit anderen Krankheiten;
z undifferenzierte Kollagenose (klinische Symptome und sklerodermieassoziierte Autoantikörper; Klassifikationskriterien nicht erfüllt).
z Literatur
1. Masi AT, Rodnan GP, Medsger TA, Altman RD, D’Angelo WA, Fries JF, LeRoy EC,
Kirsner AB, MacKenzie AH, McShane DJ, Myers AR, Sharf GC (1980) Preliminary
criteria for the classification of systemic sclerosis (scleroderma). Arthritis Rheum
23:581–590
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z
3 Diagnostische Kriterien
3.14 Idiopathische Myositiden
(ICD-Nr. M 33.0, M 33.1, M 33.2)
z Definition
Idiopathische Myositiden sind entzündliche Krankheiten der Skelettmuskulatur, die klinisch mit Muskelschwäche, Muskelatrophien, gelegentlich auch Muskelschmerzen einhergehen bei Nachweis von Muskelschädigungszeichen (elektromyografisch, labormedizinisch mit Erhöhung skelettmuskeltypischer Enzyme im Serum, Erhöhung von Myoglobin u. a.) und entzündlichen Infiltraten in
der Muskulatur (Muskelbiopsie). Die wichtigsten klinischen Krankheitsformen
sind die Polymyositis, die Dermatomyositis und die Einschlusskörpermyositis.
Die Polymyositis betrifft vorwiegend die Muskulatur des Schulter- und Beckengürtels. Mit Ausnahme der Haut finden sich häufig extramuskuläre Symptome an inneren Organen (Lunge, Ösophagus), Gelenken (Synovitis) und Blutgefäßen.
Eine Dermatomyositis liegt vor, wenn neben typischen entzündlichen Muskelveränderungen charakteristische Hautläsionen nachweisbar sind (dermatomyositistypisches generalisiertes Exanthem, livide, leicht schuppende Erytheme an Stirn, Wangen, Halsausschnitt, Nacken, Gottron-Effloreszenzen an den
Händen, Ellbogen oder Kniegelenken, periunguale Erytheme, Poikilodermie).
Die Einschlusskörpermyositis [5] ist eine schleichend, meist nach dem 50.
Lebensjahr beginnende chronische entzündliche Skelettmuskelerkrankung mit
Schwäche und Atrophie sowohl der Muskulatur der proximalen wie der distalen Extremitätenabschnitte, charakteristischen histologischen Veränderungen
der Skelettmuskelzellen (Nachweis von Einschlusskörpern mit Vakuolen wie
Ubiquitin, hyperphosphoryliertes tau-Protein und Filamenten von 15 bis
21 nm Größe) und schlechtem therapeutischem Ansprechen auf immunsuppressive Medikamente.
z Klassifikation
Für die Poly- und Dermatomyositis werden am häufigsten die 1975 von Bohan
und Peter beschriebenen Klassifikationskriterien verwendet [1, 2]:
1. klinisch symmetrische proximal betonte Muskelschwäche;
2. histologisch Nekrosen von Typ-I- und Typ-II-Muskelfasern, Myophagie, perifaszikuläre Atrophie, entzündliches Infiltrat (endomysial oder perivaskulär);
3. labormedizinisch Erhöhung skelettmuskeltypischer Enzyme im Serum
(Kreatinkinase u. a.) und/oder Myoglobin im Serum oder Urin;
4. elektromyographisch kurze, kleine polyphasische Aktionspotenziale, Fibrillationen, positive scharfe Wellen, insertionale Irritabilität und bizarre hochfrequente Entladungen;
3.14 Idiopathische Myositiden
z
5. dermatomyositistypische Hautveränderungen: periorbitale livide Erytheme
und Ödeme, erythematöse Dermatitis (Gesicht, Hals, Hände, Nagelfalz).
Diagnose
gesichert
wahrscheinlich
möglich
Polymyositis
Dermatomyositis
Kriterium 1–4 +
3 der Kriterien 1–4 + *
3 der Kriterien 1–4 +
2 der Kriterien + *
2 der Kriterien 1–4 +
1 der Kriterien 1–4 + *
* In Verbindung mit typischen Hautmanifestationen
Die Diagnosekriterien sind nicht validiert (Sensitivität und Spezifität nicht bekannt).
z Muskuläre Symptome der idiopathischen Myositis (Nachweishäufigkeit) sind:
– Muskelschwäche (über 90%),
– Erhöhung skelettmuskeltypischer Enzyme im Serum (64 bis 97%),
– Erhöhung von Myoglobin im Serum/Urin,
– Ödem der Skelettmuskulatur im MRT (89%),
– EMG myositistypisch (50 bis 74%),
– histologischer Nachweis einer Myositis (64 bis 85%).
z Häufige extramuskuläre Symptome sind:
– Herzbeteiligung (Herzinsuffizienz, Herzrhythmusstörungen; 37 bis 49%),
– fibrosierende Alveolitis/Lungenfibrose (25 bis 47%);
– Dysphagie (12 bis 39%),
– Arthralgien/Arthritis (10 bis 25%),
– Raynaud-Phänomen (15 bis 25%),
– akute Vaskulitis (3 bis 19%).
Bei der Dermatomyositis des Erwachsenen, geringer ausgeprägt auch bei der
Polymyositis und der Einschlusskörpermyositis, findet sich eine erhöhte Rate
von Neoplasien. Die Polymyositis ist bei Kindern selten. Die Dermatomyositis
im Kindes- und Jugenalter geht oft mit subkutanen Kalzifikationen einher.
Für die Einschlusskörpermyositis sind keine Klassifikations- oder Diagnosekriterien definiert.
Zwei Formen werden unterschieden: die sporadische Einschlusskörpermyositis, die bevorzugt Männer nach dem fünfzigsten Lebensjahr betrifft und zu fortschreitender proximaler und distaler Muskelschwäche und -atrophie führt, und
die selteneren hereditären Formen der Einschlusskörpermyositis, die zwar Einschlusskörper in der Muskulatur, jedoch keine lymphozytären Infiltrate zeigen.
Seltene histologische Sonderformen der idiopathischen Myositis sind die
granulomatöse Myositis und die eosinophile Myositis.
Autoantikörperassoziierte myositische Syndrome
Bei der Poly- und Dermatomyositis finden sich in über 80% der Fälle Antikörper gegen nukleäre oder zytoplasmatische Antigene [3, 4]. Die Autoantikörper sind meist typisch für ein myositisassoziiertes Syndrom (Tabelle 1). Bei
der Einschlusskörpermyositis finden sich keine Autoantikörper.
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z
3 Diagnostische Kriterien
Tabelle 1. Serologisch-klinische Korrelation bei myositisassoziierten Syndromen
Autoantikörper
Klinisches Bild (häufige Manifestationen)
Antisynthetaseantikörper
(Jo-1, PI-7, PI-12, OJ, EJ)
Anti-SRP
Anti-Mi-2
Anti-PmScl
Anti-U1-RNP
Anti-Ku
Myositis, fibrosierende Alveolitis, Arthritis
akute und subakute Polymyositis
meist chronische Dermatomyositis
oft Sklerodermie-Myositis-Overlap (PmScl-Syndrom)
„mixed connective tissue disease“ (ca. 50%)
oft Sklerodermie-Myositis-Overlap
z Differenzialdiagnose
Auszuschließen sind:
z infektiöse und parainfektiöse Myositiden,
z arzneimittelinduzierte Myositiden,
z paraneoplastische Myositiden,
z Myositiden bei definierten systemischen Autoimmunkrankheiten (Kollagenosen).
z Literatur
1. Bohan A, Peter JB (1975) Polymyositis and dermatomyositis (first of two parts).
N Engl J Med 292:344–347
2. Bohan A, Peter JB (1975) Polymyositis and dermatomyositis (second of two parts).
N Engl J Med 292:403–407
3. Genth E, Mierau R (1995) Diagnostische Bedeutung Sklerodermie- und Myositisassoziierter Autoantikörper. Z Rheumatol 54:39–49
4. Targoff IN (1992) Autoantibodies in polymyositis. Rheum Dis Clin North Am
18:455–482
5. Vogel H (1998) Inclusion body myositis – a review. Adv Anat Pathol 5:164–169
3.15 Polymyalgia rheumatica
z
3.15 Polymyalgia rheumatica
(ICD-Nr. M 35.5)
z Definition
Die Polymyalgia rheumatica (PMR) ist ein ätiologisch unklares Krankheitsbild
älterer Menschen, charakterisiert durch Schmerzen und Steifheit mit Bewegungseinschränkungen muskulären Ursprungs im Bereich des Nackens und bilateral von Schulter- und/oder Beckengürtel, verbunden mit beeinträchtigtem
Allgemeinzustand, Gewichtsverlust, subfebrilen Temperaturen und dem Nachweis von Entzündungsparametern. Es besteht ein gutes Ansprechen auf eine
Glukokortikoidmedikation.
z Diagnosekriterien
Bisher existieren keine international anerkannten diagnostischen Kriterien.
Aus einer in England durchgeführten multizentrischen Studie wurde eine
Rangfolge von 7 Diagnosekriterien abgeleitet, aus der sich im Vergleich mit
PMR-ähnlichen Krankheitsbildern die höchste Sensibilität und Spezifität für
die PMR ergab [1].
1. Beidseitige Schulterschmerzen und/oder beidseitige Steifigkeit (alternativ
auch Schmerzen in folgenden Regionen: Nacken, Oberarme, Gesäß, Oberschenkel);
2. akuter Krankheitsbeginn (innerhalb von 2 Wochen);
3. initiale BSG-Beschleunigung von über 40 mm in der ersten Stunde;
4. morgendliche Steifigkeit von mehr als einer Stunde;
5. Alter über 65 Jahre;
6. Depression und/oder Gewichtsverlust;
7. beidseitiger Oberarmdruckschmerz.
Der Schulterschmerz ist der beste Diskriminator gegenüber PMR-ähnlichen
Symptomen. Eine wahrscheinliche PMR wird angenommen, wenn 3 Kriterien
positiv sind oder ein Kriterium zusammen mit einer Temporalarteriitis auftritt.
z Zusätzliche Symptome und Befunde
Frauen sind 2- bis 3-mal häufiger als Männer von einer PMR betroffen. Der
Krankheitsbeginn liegt in der Regel jenseits des 50. Lebensjahres.
z Allgemeinsymptome: Sie sind sehr vieldeutig und bestehen in Abgeschlagenheit, Gewichtsabnahme, Appetitlosigkeit, subfebrilen Temperaturen und/
oder psychischen Veränderungen (depressive Verstimmung).
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z
3 Diagnostische Kriterien
z Untersuchungsbefund: Es findet sich eine schmerzhaft eingeschränkte aktive Beweglichkeit der betroffenen Regionen und gelegentlich eine druckschmerzhafte Muskulatur, jedoch ohne Muskelschwäche und Atrophie.
z Gelenkveränderungen: Sonografisch, kernspintomografisch oder szintigrafisch können sich oligoartikuläre Synovialitiden (z. B. der Hand-, Schulter-,
Hüft- und/oder Kniegelenke) zeigen, die zum Ausschluss einer entzündlichen Gelenkerkrankung (z. B. Altersform der rheumatoiden Arthritis)
zwingen. Bilaterale Bursitiden (B. subacromialis, subdeltoidea) lassen sich
bei der PMR mittels Ultraschall oder MR häufig finden. Das sog. RS3PESyndrom kann differenzialdiagnostisch zur PMR als eigenständige Erkrankung in Betracht kommen, wurde jedoch auch als Begleitmanifestation einer sonst typischen PMR beschrieben.
z Kopfschmerzen sind als Leitsymptom einer Temporalarteriitis zu beachten.
z Augensymptome: plötzliche Visusverschlechterung, Schleiersehen, Doppelbilder (Temporalarteriitis).
z Histologie: Bei der Biopsie der A. temporalis findet sich in ca. 20% gleichzeitig eine Riesenzellarteriitis. Ein negatives bioptisches Ergebnis schliesst
aber eine PMR nicht aus (segmentaler, multilokulärer Gefäßbefall). Muskelbiopsien fallen normal aus und sollten nur bei begründetem Verdacht auf
eine Polymyositis erfolgen.
z Bei Ganzkörper-FDG-PET-Untersuchungen, die z. B. in der Differenzialdiagnose paraneoplastischer Myalgien durchgeführt werden, können entzündliche Anreicherungen großer Gefäße (z. B. Aorta und aortennahe Arterien)
als Ausdruck einer okkulten Riesenzellarteriitis nachweisbar sein.
z Elektromyografie: Typischerweise findet sich ebenfalls ein Normalbefund,
was ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal zur Polymyositis darstellt.
z Labormedizin: Spezifische Veränderungen fehlen. Typisch sind jedoch meist
ausgeprägte Akute-Phase-Veränderungen: Die BSG ist fast immer deutlich
beschleunigt. Alpha-1 und Alpha-2-Globuline im Serum sowie das CRP sind
erhöht. Bei bis zu 30% der Patienten findet sich eine Erhöhung der Cholestaseenzyme (alkalische Phosphatase, c-GT). Charakteristischerweise sind
die Muskelenzyme im Serum (CK, GOT) normal.
z Differenzialdiagnose
Das polymyalgische Beschwerdebild lässt an eine große Zahl unterschiedlicher
Krankheitsbilder denken, deren Leitbefunde sich aus Tabelle 1 ergeben. Bei
fehlenden Hinweisen auf eine infektiöse (z. B. subakute Endokarditis) oder
neoplastische Erkrankung kann ein promptes Ansprechen auf eine Glukokortikoidmedikation diagnoseweisend sein.
3.15 Polymyalgia rheumatica
Tabelle 1. Wichtige Differenzialdiagnosen der Polymyalgia rheumatica
Erkrankung
Unterscheidungskriterien
rheumatoide Arthritis
mit Beginn im Alter
chronisch-symmetrische Synovialitiden
chronisch-erosive Gelenkveränderungen
Rheumafaktornachweis, CCP-Antikörper positiv
RS3PE-Syndrom
remittierende, seronegative, symmetrische Synovialitis mit eindrückbaren Ödemen
Aktivierte Omarthrosen
Gelenkdruckschmerz
radiologische Gelenkveränderungen
geringere serologische Entzündungszeichen
Periarthropathia
humeroscapularis (PHS)
klinische, sonografische oder radiologische Veränderungen der
Schultergelenke/Rotatorenmanschette (cave: Kombination aus PHS
und PMR)
Fibromyalgie
fehlende systemische Entzündungszeichen
klinischer Nachweis typischer Druckpunkte (tender points)
Para- oder postinfektiöse
Myalgien
flüchtige Myalgien (Virusinfekte)
Virustiter (z. B. Influenza, Röteln, Hepatitis)
Bakterienserologie (z. B. Gruber-Widal, Lyme-Borreliose, AST, Chlamydien)
Bakterielle Endokarditis
Blutkulturen, Echokardiogramm
Paraneoplastische Syndrome
Tumornachweis
evtl. Glukokortikoidversuch
Polymyositis
Muskelschwäche ausgeprägter als Myalgien
Muskelenzyme (CK, GOT) erhöht
Elektromyogramm pathologisch
Muskelbiopsie diagnoseweisend
Kollagenosen (SLE)
Autoantikörper (ANA) positiv
Komplementstatus verändert
Multiorganbefall (Haut, Nieren, Lunge, ZNS)
Systemische Vaskulitiden
Autoantikörper (z. B. ANCA) positiv
Kryoglobuline, Komplementverminderung
Multiorganbefall
Haut-, Muskelbiopsie
Plasmozytom
Immunelektrophorese, Bence-Jones-Proteine, Beckenkammbiopsie,
röntgenologische Skelettveränderungen
Schilddrüsenerkrankungen
T3, T4, TSH, Schilddrüsenautoantikörper
z
113
114
z
3 Diagnostische Kriterien
z Literatur
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3.16 Riesenzellarteriitis
z
3.16 Riesenzellarteriitis
(ICD-Nr. M 35.5)
z Definition
Bei der Riesenzellarteriitis (RZA) handelt es sich um eine ätiologisch ungeklärte, meist riesenzellige granulomatöse, panarteriitische, nekrotisierende
Vaskulitis der großen und mittelgroßen Gefäße, insbesondere des Kopfes. Formal lassen sich 3 Syndromgruppen abgrenzen: arteriitische Gefäßkomplikationen, polymyalgische Beschwerden und Allgemeinsymptome.
z Klassifikationskriterien
Die Klassifikationskriterien des American College of Rheumatology (ACR)
ermöglichen eine gute Abgrenzung von anderen Vaskulitiden, sind aber wegen
ihrer relativ geringen Sensitivität und Spezifität zur klinischen Diagnosestellung einer RZA nur begrenzt geeignet (Tabelle 1).
Tabelle 1. Die Klassifikationskriterien des American College of Rheumatology (ACR) für die Riesenzellarteriitis [4]
1. Alter bei Erkrankungsbeginn mindestens 50 Jahre;
2. Neuauftreten lokalisierter Kopfschmerzen;
3. lokaler Druckschmerz oder abgeschwächte Pulsation einer Temporalarterie (ohne offensichtliche
arteriosklerotische Ursache);
4. BSG-Beschleunigung von über 50 mm/Stunde;
5. bioptischer Nachweis (Vaskulitis durch mononukleäre Zellinfiltration oder granulomatöse Gefäßentzündung meist mit Nachweis von Riesenzellen).
Bei Vorliegen von mindestens 3 Kriterien kann die Diagnose einer RZA gestellt werden. Die dargestellten Kriterien haben gegenüber anderen Vaskulitiden eine Sensitivität von 93,5% und eine
Spezifität von 91,2%.
z Zusätzliche Symptome und Befunde
z Arteriitische Gefäßkomplikationen: Bei der RZA sind am häufigsten die
extrakraniellen Kopfarterien (A. carotis externa) involviert, einschließlich
der klinisch und bioptisch gut zugänglichen A. temporalis superficialis
(Temporalarteriitis). Häufigstes Symptom ist der Kopfschmerz, oft der
Schläfenareale, aber auch diffus im Bereich der behaarten Kopfhaut. Die
115
116
z
z
z
z
z
3 Diagnostische Kriterien
Temporalarterien können druckschmerzhaft sein und abgeschwächte Pulsationen aufweisen. Bei Befall von Ästen der A. carotis interna besteht Erblindungsgefahr (etwa 10 bis 20%). Weiter äußern sich die arteriitischen Symptome in ischämischen Beschwerden der jeweils betroffenen Gefäßregion
(z. B. Schmerzen in der Kau- und Schlundmuskulatur, transitorisch-ischämische Attacken) bis hin zum Untergang der minderversorgten Organe
(z. B. Gangrän der Kopfhaut, Zungengeschwüre, apoplektischer Insult, Myokardinfarkt, periphere arterielle Verschlusskrankheit). Aortenaneurysmen,
vor allem der thorakalen Aorta, und Aortenrupturen infolge Aortitis kommen vor. Das individuelle klinische Bild kann entsprechend dem arteriitischen Verteilungsmuster sehr vielgestaltig sein. Eine gründliche angiologische Untersuchung der großen und mittelgroßen Arterien ist daher obligat
(Palpation, Auskultation, beidseitige Blutdruckmessung, Dopplersonographie und ggf. bildgebende Gefäßdiagnostik mit 18-FDG-PET, Angio-MRT).
Sonstige neuroophthalmologische Symptome: Schleiersehen, Diplopie, Amaurosis fugax.
Polymyalgische Beschwerden: Symptome einer Polymyalgia rheumatica
(PMR, s. Kap. 3.12) können einer RZA vorausgehen, sie begleiten oder ihr erst
nach Monaten oder Jahren folgen. Die Häufigkeitsangaben für die PMR bei
histologisch gesicherter RZA schwanken in der Literatur erheblich (6 bis
82%).
Allgemeinsymptome: Sie werden von etwa der Hälfte der RZA-Patienten angegeben und unterscheiden sich nicht von denen einer PMR. Die Labordiagnostik (positive Entzündungsparameter) entspricht der PMR. RZA-Patienten mit ausgeprägter Thrombozytose und/oder starker Fibrinogenerhöhung scheinen mit einem erhöhten Erblindungsrisiko einherzugehen.
Histologie: Die Diagnose wird in aller Regel histologisch mittels Temporalarterienbiopsie gestellt. Es empfiehlt sich, jeder Biopsie (vorzugsweise an
den parietalen Ästen der A. temporalis) eine dopplersonografische Untersuchung der Karotiden vorauszuschicken, um Kollateralkreisläufe bei Verschluss der A. carotis interna über die A. temporalis superficialis auszuschließen. Histologisch finden sich die charakteristischen mehrkernigen
Riesenzellen unregelmäßig verteilt in der segmental-lokalisiert entzündeten
Gefäßwand. Der fehlende Nachweis von Riesenzellen in einer sonst typisch
granulomatös infiltrierten Gefäßwand ist daher mit der Diagnose einer RZA
vereinbar. Ein negatives Biopsieergebnis der Temporalarterien schließt eine
RZA anderer Lokalisation nicht aus.
z Differenzialdiagnose
Die vielfältigen Erscheinungsformen der RZA in unterschiedlichen Kombinationen und zeitlicher Abfolge lassen ein großes Spektrum möglicher Differenzialdiagnosen zu. Infolge der häufigen Überschneidung der RZA mit einer
PMR kommen die dort genannten Differenzialdiagnosen in Betracht
(s. Kap. 3.15). Für die Symptome vonseiten des Kopfes ist eine interdisziplinäre
Abklärung (Ophthalmologie, Neurologie, HNO) einschließlich fallbezogener
3.16 Riesenzellarteriitis
z
bildgebender Diagnostik (Duplexsonografie, Schädel-CT, MRT) ratsam. Bei
der sog. okkulten RZA stehen systemische Entzündungszeichen ohne erkennbaren Organbezug im Vordergrund („Malignoidsyndrom“, Fieber unklarer Genese). Bis zu 10% der RZA-Patienten geben initial Symptome seitens des Respirationstraktes an (meist trockener Husten). Bei positiver Temporalarterienbiopsie entfällt eine differenzialdiagnostische Abklärung weitgehend. Auch andere systemische Vaskulitiden (z. B. Wegener-Granulomatose, Churg-StraussSyndrom, Panarteriitis nodosa) können jedoch mit granulomatösen Infiltraten
der Temporalarterien – auch mit Riesenzellen – einhergehen. In diesen Fällen
sollten die ACR-Klassifikationskriterien und laborchemischen Besonderheiten
der anderen Vaskulitiden (z. B. ANCA-Nachweis, Eosinophilie) eine Abgrenzung von der RZA erlauben.
z Literatur
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117
118
z
3 Diagnostische Kriterien
3.17 Takayasu-Arteriitis
(ICD-Nr. 177.6)
z Synonyma. Entzündliches Aortenbogensyndrom, „pulseless disease“.
z Definition
Die Takayasu-Arteriitis (TA) ist eine chronisch-entzündliche, granulomatöse,
panarteriitische Erkrankung der Aorta und deren großer Äste, seltener auch
der Pulmonalarterie, die überwiegend junge Frauen betrifft.
z Klassifikationskriterien
Es existieren japanische [2] und amerikanische [1] Klassifikationskriterien.
Die des American College of Rheumatology (ACR) seien dargestellt.
Tabelle 1. Klassifikationskriterien des American College of Rheumatology (ACR) für die Takayasu-Arteriitis [1]
1. Alter bei Krankheitsbeginn unter 40 Jahre;
2. Durchblutungsstörungen der Extremitäten (bewegungsabhängige Muskelbeschwerden mindestens einer Extremität, insbesondere der Arme);
3. abgeschwächte Pulsationen der A. radialis und/oder A. ulnaris;
4. systolische Blutdruckdifferenz von mehr als 10 mmHg zwischen beiden Armen;
5. auskultierbare Gefäßgeräusche über der A. subclavia (ein- oder beidseits) oder über der abdominellen Aorta;
6. arteriografischer Nachweis typischer Gefäßveränderungen der Aorta, der aortalen Äste oder der
großen proximalen Extremitätenarterien (meist fokal-segmentale, stenosierende oder okkludierende Veränderungen ohne Hinweise auf Arteriosklerose, fibromuskuläre Dysplasie o. ä.).
Für eine TA müssen mindestens 3 der 6 Kriterien erfüllt sein. Es besteht eine Sensitivität von
90,5% und eine Spezifität von 97,8% bei der Abgrenzung von anderen Vaskulitiden.
z Zusätzliche Symptome und Befunde
z Allgemeinsymptome: Fieber, Nachtschweiss, Gewichtsabnahme, Myalgien
und Arthralgien sind relativ uncharakteristisch.
z Durchblutungsstörungen der jeweils betroffenen Gefäßregionen: RaynaudSymptome, Claudicatiobeschwerden der Arme und Beine, zerebrovaskuläre
Insuffizienzen einschließlich visueller Symptome, pulmonale, renale, koro-
3.17 Takayasu-Arteriitis
z
z
z
z
z
nare und viszerale Ischämien. Bei der klinischen Untersuchung muss neben
tastbarer Pulsabschwächung auf Blutdruckdifferenzen zwischen den Armen
sowie zwischen den Armen und Beinen geachtet werden. Im Falle einer arteriellen Hypertonie müssen renovaskuläre Ursachen (Nierenarterienstenose) ausgeschlossen werden. Neben Stenosegeräuschen über den großen Arterien ist bei der Auskultation des Herzens auf Insuffizienzgeräusche der
Aorta (Aortenklappeninsuffizienz) zu achten.
Unterschiedliche Hautveränderungen: Erythema nodosum, Pannikulitis, Urtikaria.
Angiografische Befunde: Sie bestätigen die klinische Diagnose. Es werden
häufig segmental stenosierende, seltener aneurysmatische Veränderungen
gefunden. Dabei kann die konventionelle angiografische Diagnostik abhängig von der vaskulitischen Lokalisation heute meist durch moderne bildgebende Verfahren (Duplexsonographie, DSA, MRT, CT, 18-FDG-PET) ersetzt bzw. ergänzt werden. Die MR-Methoden erlauben nach Kontrastmittelgabe zusätzliche Aussagen zur Aktivität der Gefäßentzündungen wie Wandverdickung und Wandödem in den T2-gewichteten Sequenzen. Auch der
Befall der Pulmonalarterien lässt sich mittels nicht-invasiver MR-Methoden
darstellen.
Szintigrafische Techniken: Sie können zum Nachweis einer Beteiligung der
Lungenstrombahn (Ventilations-Perfusions-Szintigrafie) oder der Koronarien
(Thalliumszintigrafie) eingesetzt werden.
Laborbefunde: Spezifische Befunde sind nicht bekannt. Akutphasereaktionen, kenntlich an einer BSG-Beschleunigung und CRP-Erhöhung, sind häufig vorhanden, spiegeln aber die vaskulitische Aktivität der TA nur unzuverlässig wider.
z Differenzialdiagnose
Hinsichtlich des arteriitischen Befalls der großen und mittelgroßen Gefäße
und der gleichartigen histologischen Veränderungen erlaubt in erster Linie
das Alter des Patienten eine Unterscheidung zwischen einer TA (unter 40 Jahre) und einer Riesenzellarteriitis (über 40 Jahre). Eine Abgrenzung von anderen vaskulitischen Erkrankungen (z. B. Wegener-Granulomatose, Polyarteriitis
nodosa) lässt sich neben charakteristischen klinischen Befundmustern (ACRKriterien) meist auch serologisch (ANCA-Diagnostik) treffen. Dazu wird auch
auf die Kapitel der übrigen Vaskulitissyndrome verwiesen. Zum Ausschluss einer Aortitis luetica, die typischerweise einen kontinuierlichen Befall der thorakalen Aorta zeigt, dient die Bestimmung der Luesserologie, wobei auf falsch
positive Screeningtests durch Kardiolipinantikörper, die bei der TA vorkommen können, zu achten ist.
119
120
z
3 Diagnostische Kriterien
z Literatur
1. Arend WP, Michel BA, Bloch DA, Hunder GG, Calabrese LH, Edworthy SM, Fauci
AS, Leavitt RY, Lie JT, Lightfoot RW, Masi AT, McShane DJ, Mills JA, Stevens MB,
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3.18 Klassische Polyarteriitis nodosa (Kussmaul-Maier)
z
3.18 Klassische Polyarteriitis nodosa
(Kussmaul-Maier)
(ICD-Nr. M 30.0)
z Definition
Die klassische Polyarteriitis nodosa (cPAN) ist eine entweder schleichend oder
post- bzw. parainfektiös auftretende schwere Allgemeinerkrankung (Gewichtsabnahme, Fieber, Nachtschweiß, „chlorotischer Marasmus“) mit vaskulitischem
Multiorganfall kleinerer und mittelgroßer Gefäße unter Aussparung der Kapillaren, wobei nekrotisierende kutane Läsionen (seltener Knoten), Arthralgien, Myalgien, ZNS-Beteiligung (Insulte, Polyneuropathie, Mononeuritis multiplex),
Kardiomyopathie, Hodenschmerzen und vaskulitische Darmnekrosen im Vordergrund stehen. Eine Lungenbeteiligung ist untypisch.
Die Ätiologie der seltenen Erkrankung ist unklar. Eine infektallergische
Reaktion bei immungenetischer Prädisposition wird vermutet. Autoantikörper
sind normalerweise nicht nachweisbar. Eine Untergruppe von 5 bis 40% der
Patienten weist eine persistierende Hepatitis-B-Virus-Infektion auf („HBV carrier Status“).
z Klassifikation
Klassifikationskriterien des American College of Rheumatology [4]:
1. Gewichtsverlust von über 4 kg, Allgemeinsymptome;
2. Livedo reticularis;
3. Hodenschmerz und -schwellung;
4. Myalgien, Schwäche, Druckschmerz der Beinmuskulatur;
5. Mono- oder Polyneuropathie, ZNS-Symptome;
6. Hypertonus (diastolischer Blutdruck von über 90 mmHg);
7. Serumkreatinin von über 1,5 mg/dl;
8. HBV-carrier-Status;
9. arteriografische Befunde: Aneurysmen, Verschlüsse;
10. typische Histologie von gefäßwandinfiltrierenden Granulozyten oder Granulozyten mit mononukleären Leukozyten in kleinen und mittleren Arterien.
Beurteilung: Mindestens 3 der 10 Kriterien sollten vorliegen, um die Diagnose
cPAN zu stellen. Die Sensitivität beträgt 82,2%, Spezifität 86,6%.
Anmerkung: Nach der Chapel Hill Consensus Conference 1992 [2] wurde die
Definition der cPAN wesentlich eingeengt gegenüber der ursprünglichen Beschreibung des Krankheitsbildes durch Kussmaul und Maier [3]. Es wird nur
noch ein Befall mittlerer und kleiner Arterien angenommen, eine Nierenbetei-
121
122
z
3 Diagnostische Kriterien
ligung ist nicht vorgesehen. Serologisch ist die cPAN typischerweise ANCAnegativ, während die mikroskopische Polyangiitis – ursprünglich beschrieben
von Wohlwill [6], s. Kap. 3.22 – mit einer rapid progredienten Glomerulonephritis einhergeht, oft irreguläre Lungeninfiltrate aufweist (pulmorenales Syndrom) und Autoantikörper gegen Myeloperoxidase (MPO) in Form der sog.
pANCA aufweist.
z Weitere klinische Symptome
z
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z
z
z
dilatative Kardiomyopathie,
Lebermitbeteiligung,
Epididymitis,
Abdominalkoliken, nekrotisierende Magen-Darm-Läsionen und Cholezystitis,
Arthralgien.
Eine Lungenbeteiligung fehlt typischerweise. Die auf die Haut begrenzte Variante ist eine prognostisch gutartige Sonderform der cPAN [5].
z Laborbefunde
z Deutliche Akute-Phase-Reaktion mit stark beschleunigter BSG und hohem
CrP.
z ANCA, ANA und Rheumafaktoren sind typischerweise negativ.
z Kryoglobuline und Kryofibrinogen können positiv sein.
z Bei 5 bis 40% der Betroffenen können persistierende HBV- und HCV-Infektionen nachgewiesen werden.
z Manchmal finden sich deutlich erhöhte Streptokokkenantikörper.
z Differenzialdiagnose
z Riesenzellarteriitis,
z ANCA-positive Vaskulitiden: M. Wegener, mikroskopische Polyangiitis,
Churg-Strauss-Vaskulitis,
z isolierte Angiitis des ZNS,
z sekundäre Vaskulitiden im Rahmen von Infektionen, Malignomen, Kryoglobulinämien, medikamentenallergischen Reaktionen, ferner u. a. M. Winiwarter-Bürger.
3.18 Klassische Polyarteriitis nodosa (Kussmaul-Maier)
z
z Literatur
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fortschreitender allgemeiner Muskellähmung einhergeht. Dtsch Arch Klin Med I:
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4. Lightfoot RW, Michel BA, Bloch DA, Hunder GG, Zvaifler NJ, McShane DJ, Arend
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123
124
z
3 Diagnostische Kriterien
3.19 Morbus Kawasaki
(ICD-Nr. M 30.3)
z Synonym. Mukokutanes Lymphknotensyndrom.
z Definition
Akute, hochfieberhafte Erkrankung des Kleinkindesalters (vor dem 5. Lebensjahr) unbekannter Ätiologie mit polymorphem Exanthem, Palmar- und
Plantarerythem mit membranöser Desquamation, Schleimhautläsionen (Konjunktivitis, Lippenfissuren, Erdbeerzunge und Pharyngitis), schmerzhafter zervikaler Lymphadenopathie und häufigen kardiovaskulären Komplikationen
(Koronaritis, Myokardinfarkte, Arrhythmien, Aneurysmabildung). Knaben
sind bevorzugt betroffen. Die Erkrankung tritt häufiger in Südostasien und
unter der afrokaribischen Bevölkerung auf als bei Kaukasiern.
z Klassifikation
Diagnostische Kriterien
1. antibiotikaresistentes Fieber von über 5 Tagen Dauer;
2. polymorphes Exanthem;
3. Veränderungen an den Extremitäten: Erythem der Hand- und Fußsohlen,
Ödem, membranöse Desquamation in der Rekonvaleszenz;
4. bilaterale konjunktivale Injektion;
5. Veränderungen im Mundbereich: rissige gerötete Lippen, Erdbeerzunge,
Pharyngitis, Exanthem;
6. akute, nichteitrige zervikale Lymphadenopathie.
Beurteilung: Mindestens 5 der 6 Kriterien sollten zutreffen, wobei das Fieber
obligat ist. Andere Erkrankungen sind auszuschließen. Patienten mit 4 Kriterien können als Kawasaki-Syndrom diagnostiziert werden, wenn in der zweidimensionalen Echokardiografie oder der Koronarangiografie Aneurysmen
nachweisbar sind.
3.19 Morbus Kawasaki
z
z Weitere häufige Symptome
z Kardiovaskuläre Komplikationen treten 12 bis 28 Tage nach Krankheitsbeginn
bei 20 bis 35% der Fälle auf: Herzgeräusche, Galopprhythmus, Angina pectoris,
EKG-Veränderungen, Kardiomegalie, Peri- und Myokarditis, Aneurysmen von
Koronararterien, seltener von peripheren Arterien, Stenosen, Myokardinfarkte.
z Gastrointestinale Symptome: Enteritis, abdominelle Schmerzen, Erbrechen,
Ikterus, Hydrops der Gallenblase, Ileus.
z Urethritis: Leukozyturie, Proteinurie.
z Haut: Querrillen an den Fingernägeln.
z Gelenke: Arthralgien und Schwellungen als Symptome einer Arthritis.
z Respirationstrakt: Husten und Rhinorrhoe.
z ZNS: Meningeale Reizung mit Pleozytose im Liquor, Krampfanfällen und
transienter Fazialisparese.
z Laborbefunde
z Leukozytose, Thrombozytose, Anämie,
z massive Akute-Phase-Reaktionen mit stark beschleunigter BSG und hohen
CrP-Werten,
z Serologie: Antiendothelzellantikörper (AECA) sind oft positiv, das IgE ist
erhöht, ebenso die thrombozytenaggregierenden Faktoren und Immunkomplexe. Die Virus-, Streptokokken- und Kollagenoseserologie fällt negativ
aus.
z Differenzialdiagnose
z
z
z
z
z
z
Scharlach,
akutes rheumatisches Fieber (betahämolysierende A-Streptokokken),
systemische juvenile chronische Arthritis (s. Kap. 3.3),
Masern,
Steven-Johnson-Syndrom,
infektiöse Mononukleose.
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Allergologie und Immunologie. Fischer, Stuttgart New York, S 507–522
125
126
z
3 Diagnostische Kriterien
3.20 Wegener-Granulomatose
(ICD-Nr. M 31.3, 177.6)
z Synonyma. Rhinogene Granulomatose, Wegener’s (patherge) Granulomatose,
Morbus Wegener.
z Definition [2]
Beim Vollbild der Wegener-Granulomatose (WG) findet sich eine granulomatöse Entzündung des Respirationstraktes und eine nekrotisierende Vaskulitis kleiner bis mittelgroßer Gefäße, z. B. der Kapillaren, Venolen, Arteriolen
und Arterien sowie meist eine nekrotisierende Glomerulonephritis. Ablagerungen von Immundepots in situ fehlen („pauci-immune“ Vaskulitis).
Beachte: Das Frühstadium der WG („Initialphase“/localized WG) kann
auch ohne klinische Zeichen einer Vaskulitis auftreten.
z Klassifikation
Klassifikationskriterien der Amerikanischen Gesellschaft für Rheumatologie
(ACR) [3]:
1. Entzündung in Nase oder Mund (ulzerierend – hämorrhagisch – purulent);
2. Infiltrationen der Lunge im Röntgenthoraxbild (Rundherde, Kavernen, „fixe“ Infiltrationen);
3. nephritisches Urinsediment (Erythrozyturie von mehr als 5 Erythrozyten
pro Gesichtsfeld, Erythrozytenzylinder);
4. histologisch granulomatöse Entzündung (in der Gefäßwand, peri- und extravaskulär).
Beurteilung: Bei 2 von 4 Kriterien kann die Erkrankung als WG klassifiziert
werden, wenn darüber hinaus Zeichen einer Vaskulitis gesichert sind.
(cave: keine diagnostischen Kriterien)
Bemerkungen
z Für das Vollbild der WG (Generalisationsphase) geht man bei Anwendung
der ACR-Kriterien [3] von einer Spezifität von 92% und einer Sensitivität
von 88% aus.
z Diese Kriterien sind diagnostisch wenig sensitiv für Frühformen (Initialphase).
3.20 Wegener-Granulomatose
z
z Diagnostisch hinweisende Frühsymptome sind z. B. charakterisiert durch
die in den o. g. Kriterien unter 1. und 2. genannten Symptome vonseiten
des oberen und unteren Respirationstraktes.
z Immunologisch hinweisende Frühsymptome sind die mit der WG assoziierten antineutrophilen zytoplasmatischen Antikörper (cANCA; im indirekten
Immunfluoreszenztest an alkoholfixierten Granulozyten über 60% positiv).
Ein Sicherungstest ist der Nachweis von Proteinase-3-Autoantikörpern
(PR3-ANCA; gemessen im ELISA oder noch sensitiveren Capture-ELISA).
z Weitere Symptome bzw. Organbeteiligungen
Beschwerden sowie Krankheitszeichen finden sich
z im gesamten Respirationstrakt einschließlich der Nasennebenhöhlen, des
Mastoid, der Mundhöhle, im Subglottisbereich sowie in der Trachea und
den Bronchien;
z im ophthalmologischen Bereich mit Zeichen der Vaskulitis (Skleritis, Episkleritis, Retinavaskulitis usw.) und Granulommanifestation (Protrusio bulbi
usw.);
z in der Lunge mit granulomatösen Veränderungen (Rundherden, z. T. einschmelzend) sowie vaskulitischen Läsionen (z. B. Kapillaritis mit Haemoptysen);
z in der Niere mit fokaler Glomerulonephritis (nephritisches Urinsediment),
diffuser nekrotisierender Glomerulonephritis (zunehmende Nierenfunktionseinschränkung) und rapidprogressiver Glomerulonephritis (RPGN) mit
rasch progredienter Niereninsuffizienz;
z am Nervensystem überwiegend mit peripherer (Mononeuritis multiplex
usw.) oder auch zentraler (intrazerebrales Granulom bzw. Kleingefäßvaskulitis) Beteiligung, selten auch meningeale Beteiligung;
z als rheumatischer Beschwerdekomplex (Myalgie, Arthralgie z. T. übergehend
in Oligo- bis Polyarthritis), nicht selten nach dem Manifestationstyp der
Spondyloarthritiden (s. Kap. 3.3);
z als Hautbeteiligung (leukozytoklastische Vaskulitis; Urtikariavaskulitis, Pyoderma gangraenosum usw.) sowie
z in Form von Allgemeinsymptomen mit Gewichtsverlust, Nachtschweiß, subfebrilen Temperaturen („B-Symptomatik“).
z Differenzialdiagnose
Das Vollbild ist bei der dann im Vordergrund stehenden Vaskulitis von anderen
(primären und sekundären) Vaskulitiden durch die charakteristische ELK-Manifestation („WG-Trias“ – E = HNO-Region; L = Lunge; K = Niere) abzutrennen.
Klinische Ähnlichkeit besteht mit den anderen ANCA-assoziierten Kleingefäßvaskulitiden (MPA – fehlender Granulomnachweis, MPO-ANCA-assoziiert;
s. Kap. 3.22; CSS – Asthma, Eosinophilie, MPO- oder PR3-ANCA-assoziiert).
Darüber hinaus kann das klinische Bild der Hepatitis-C-assoziierten Vaskulitis
127
128
z
3 Diagnostische Kriterien
ähneln (mit oder ohne Kryoglobulinnachweis; sorgfältige Erregerdiagnostik!
Meist mit C-Verbrauch einhergehend; cave: auch gelegentlich ANCA-Nachweis). Selten werden WG-ähnliche Bilder auch bei Immundefekten beobachtet
(z. B. TAP1-Defekt), die dann in aller Regel ANCA-negativ sind [4].
Bei Frühfällen bzw. noch nicht voll ausgeprägtem Krankheitsbild stellt sich in
aller Regel eine sehr breite Differenzialdiagnose, z. B.: Rundherd – Bronchialkarzinom – nekrotisierende Entzündung in der Nasenhaupthöhle – Granuloma
gangraenescens – pulmorenales Syndrom – Goodpasture-Syndrom.
z Literatur
1. Gross WL (1999) Primär systemische Vaskulitiden Teil I/II. Der Internist
40:779–794, 951–968
2. Jennette JC, Falk RJ, Andrassy K, Bacon PA, Churg J, Gross WL, Hagen EC, Hoffman GS, Hunder GG, Kallenberg CGM, McCluskey RT, Sinico RA, Rees AJ, van Es
LA, Waldherr R, Wiik A (1994) Nomenclature of systemic vasculitides. Proposal of
an International Consensus Conference. Arthr Rheum 37:187–192
3. Leavitt RY, Fauci AS, Bloch DA, Michel BA, Hunder GG, Arend WP, Calabrese LH,
Fries JF, Lie JT, Lightfoot RW, Masi AT, McShane DJ, Mills JA, Stevens MB, Wallace
SL, Zvaifler NJ (1990) The American College of Rheumatology 1990 criteria for
the classification of Wegener’s Granulomatosis. Arthr Rheum 33:1101–1107
4. Moins-Teisserenc HT, Gadola SD, Cella M, Dunbar PR, Exley A, Blake N, Baykal
C, Lambert J, Bigliardi P, Willemsen M, Jones M, Buechner S, Colonna M, Gross
WL, Cerundolo V, Baycal C (1999) Association of a syndrome resembling Wegener’s granulomatosis with low surface expression of HLA class-I molecules. Lancet
6, 354(9190):1598–1603
3.21 Churg-Strauss-Syndrom
z
3.21 Churg-Strauss-Syndrom
(ICD-Nr. M 30.1)
z Synonyma. Allergische granulomatöse Vaskulitis, allergische Granulomatose
und Angiitis.
z Definition
Die Churg-Strauss-Vaskulitis ist eine eosinophilenreiche und granulomatöse
Entzündung des Respirationstraktes und nekrotisierende Vaskulitis der kleinen
bis mittelgroßen Gefäße, die mit Asthma und einer Bluteosinophilie assoziiert
ist.
z Klassifikation
Klassifikationskriterien des American College of Rheumatology [4]:
1. Asthmaanamnese,
2. Eosinophilie von über 10% im Differenzialblutbild,
3. Polyneuropathie oder Mononeuritis multiplex,
4. flüchtige pulmonale Infiltrate,
5. akute oder chronische Nasennebenhöhlenaffektionen,
6. bioptischer Nachweis von Eosinophilen im extravaskulären Gewebe.
Beurteilung: Bei Zutreffen von 4 dieser 6 Kriterien ist eine Vaskulitis als
Churg-Strauss-Vaskulitis zu klassifizieren.
Bemerkungen
z Diese Kriterien dienen als Unterscheidungshilfe innerhalb der Gruppe der
Vaskulitiden.
z Diagnostisch richtungsweisend ist der zeitliche Ablauf mit der Entwicklung
einer systemischen Erkrankung bei Patienten mit langjähriger Anamnese
von Allergien, Asthma, Sinusitis und/oder Bluteosinophilie, wobei dann die
Atemwegssymptomatik häufig mehr in den Hintergrund tritt.
z Der histologische Nachweis von Granulomen gelingt nur etwa in 10 bis 20%
und ist nicht zur Diagnosestellung erforderlich.
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130
z
3 Diagnostische Kriterien
z Zusätzliche Symptome
Allgemeinsymptome wie Fieber, Abgeschlagenheit, Gewichtsverlust,
Petechien, palpable Purpura, Hautulzerationen,
Thoraxschmerzen und Dyspnoe, Kardiomyopathie, Coronariitis
Abdominalschmerzen und Durchfälle, Infarzierungen von Abdominalorganen,
z Glomerulonephritis (selten).
z
z
z
z
z Laborbefunde
z Eosinophilie mit Absolutwerten von über 1500/mm3,
z Erhöhung des Gesamt-IgE-Wertes,
z Nachweis von pANCA (in der Minorität der Fälle), in Einzelfällen auch von
cANCA.
z Differenzialdiagnose
Eine Differenzialdiagnostik zum Ausschluss eines Löffler-Syndroms oder anderer Ursachen der Eosinophilie bzw. sonstiger Vaskulitiden wie Polyarteriitis
nodosa, Wegener-Granulomatose, mikroskopische Polyangiitis oder kutane
leukozytoklastische Angiitis (s. Kap. 3.18, 3.20, 3.22, 3.23) ist im Einzelfall erforderlich.
z Literatur
1. Chumbley LC, Harrison EG Jr, DeRemee RA (1977) Allergic granulomatosis and
angiitis (Churg-Strauss syndrome): Report and analysis of 30 cases. Mayo Clin
Proc 52:477–484
2. Churg J, Strauss L (1951) Allergic granulomatosis, allergic angiitis, and periarteritis nodosa. Am J Pathol 27:277–301
3. Jennette JC, Palk RJ, Andrassy K, Bacon PA, Churg J, Gross WL, Hagen C, Hoffman GS, Hunder GG, Kallenberg CGM, McCluskey RT, Sinico A, Rees AJ, van Es
LA, Waldherr R, Wiik A (1994) Nomenclature of systemic vasculitides. Proposal of
an International Consensus Conference. Arthr Rheum 37:187–192
4. Masi A, Hunder GG, Lie JT, Michel BA, Bloch DA, Arend WP, Calabrese LA, Edworthy
SM, Fauci AS, Leavitt RY, Lightfoot RW Jr, McShane DJ, Mills JA, Stevens MB, Wallace
SL, Zvaifler NJ (1990) The American College of Rheumatology 1990 criteria for the
classification of Churg-Strauss syndrome (allergic granulomatosis and angiitis).
Arthr Rheum 33:1094–1100
3.22 Mikroskopische Polyangiitis
z
3.22 Mikroskopische Polyangiitis
(ICD-Nr. M 31.9)
z Synonyma. Mikroskopische Polyarteriitis, mikroskopisch erkennbare Periarteriitis.
z Definition
Die mikroskopische Polyangiitis (mPA) ist eine nekrotisierende Vaskulitis kleiner Gefäße (z. B. Kapillaren, Venolen, Arteriolen) mit keinen bzw. minimalen
Immundepots in situ. Ferner besteht z. T. eine nekrotisierende Arteriitis der
kleinen und mittelgroßen Arterien und meist eine nekrotisierende Glomerulonephritis sowie häufig eine pulmonale Kapillaritis [1].
z Klassifikation
Klassifikationskriterien der mPA gibt es nicht.
z Klinik
z Vollbild. Das lebensbedrohliche pulmorenale Vollbild, welches oft eine intensivtherapeutische Betreuung erfordert, beruht auf
– der Kapillaritis der Lunge mit alveolärem Hämorrhagiesyndrom und
– der Kapillaritis der Nieren, die sich morphologisch als nekrotisierende
Glomerulonephritis mit Halbmondbildung und klinisch als rasch progredientes Nierenversagen durch die rapidprogressive Glomerulonephritis
(RPGN) manifestiert.
Beide Organfunktionseinschränkungen können isoliert auftreten.
z Abortivformen. Zunehmend häufiger finden sich Krankheitsbilder, bei denen entweder nur eine leichte Lungenkapillaritis festzustellen ist, die dann
zu Hämoptysen führt oder eine mehr fokal sich manifestierende Glomerulonephritis, die zu einer blanden Mikrohämaturie führt.
z Vorläufersymptome. Häufig geht den vaskulitischen Bildern eine monatebis jahrelange Prodromalphase voraus, die z. T. durch HNO-Symptome –
ähnlich der Wegener-Granulomatose (s. Kap. 3.20) – und z. T. durch einen
uncharakteristischen Beschwerdekomplex vonseiten des Bewegungsapparates mit Myalgien und Myositiden, Arthralgien und auch Arthritiden charakterisiert ist.
131
132
z
3 Diagnostische Kriterien
Immunserologisch wegweisend sind ANCA (anti-Neutrophilen-Zytoplasma Antikörper) mit perinukleärem Fluoreszenzmuster (pANCA) in der indirekten
Immunfluoreszenz und Nachweis von Myeloperoxidase (MPO) als Zielstruktur
im ELISA (MPO-ANCA).
z Differenzialdiagnose
In erster Linie sind andere Kleingefäßvaskulitiden auszuschließen (kutane leukozytoklastische Angiitis, Kap. 3.25), ferner die Schönlein-Henoch-Purpura
(Kap. 3.23), die Urtikariavaskulitis, die nekrotisierende Venulitis bei gemischter Kryoglobulinämie (Kap. 3.24) und die Purpura hyperglobulinaemica Waldenström. Weiterhin auszuschließen sind andere primäre (ANCA-assoziierte)
Vaskulitiden, pANCA-assoziierte Autoimmunerkrankungen (SLE) und andere
Ursachen eines pulmorenalen Syndroms. Kleingefäßvaskulitiden im Gefolge einer Virusinfektion (meist Hepatitis C- oder CMV-Infektion), medikamentös
ausgelöste Vaskulitiden (Thyreostatika, Antirheumatika, Antibiotika, Antihypertensiva etc.) können ein der MPA klinisch ähnliches Bild machen.
z Literatur
1. Jennette JC, Falk RJ, Andrassy K, Bacon PA, Churg J, Gross WL, Hagen C, Hoffman GS, Hunder GG, Kallenberg CGM, McCluskey RT, Sinico A, Rees AJ, van Es
LA, Waldherr R, Wiik A (1994) Nomenclature of systemic vasculitides. Proposal of
an International Consensus Conference. Arthr Rheum 37:187–192
2. Savage COS, Winearls CG, Evans DJ, Rees AJ, Lockwood CM (1985) Microscopic
polyarteritis: presentation, pathology and prognosis. Quart J Med 220:467–483
3. Guillevin L, Durand-Gasselin B, Cevallos R, Gayraud M, Lhote F, Callard P, Amouroux J, Casassus P, Jarrousse B (1999) Microscopic polyangiitis: clinical and laboratory findings in eighty-five patients. Arthr Rheum 42:421–430
4. Jennette JC, Thomas DB, Falk RJ (2001) Microscopic polyangiitis (microscopic polyarteritis). Semin Diagn Pathol 18:3–13
3.23 Schönlein-Henoch-Purpura
z
3.23 Schönlein-Henoch-Purpura
(ICD-Nr. 177.9)
z Definition
Es handelt sich um eine systemische Vaskulitis kleiner Gefäße (präkapilläre
Arteriolen, Kapillaren, postkapilläre Venolen). Die Krankheit beginnt bevorzugt bei Knaben im Kindes- und Adoleszentenalter. Meist geht eine Infektion
des Respirationstraktes voraus. Klinisch imponieren neben Fieber und schwerem Krankheitsgefühl vor allem eine distal betonte palpable Purpura, Arthralgien, Abdominalkoliken mit blutigen Stühlen und eine Nephritis mit Hämaturie und Proteinurie. 10 bis 20% der Kinder entwickeln ein nephrotisches Syndrom, 5% eine terminale Niereninsuffizienz. In der Nierenbiopsie finden sich
IgA-Ablagerungen ähnlich der IgA-Nephropathie. Die Ätiologie ist unklar, virale Auslöser werden bei immungenetischer Prädisposition diskutiert.
z Klassifikation
Klassifikationskriterien des American College of Rheumatology [4]:
1. Palpable Purpura,
2. Manifestationsalter vor dem 21. Lebensjahr,
3. Angina abdominalis,
4. bioptisch gesicherte leukozytoklastische Vaskulitis.
Beurteilung: Eine Schönlein-Henoch-Purpura kann klassifiziert werden, wenn
mindestens 2 der 4 Kriterien vorliegen. Die Sensitivität beträgt 87,1%, die Spezifität 87,7%.
Anmerkung: Die ACR-Kriterien differenzieren nicht gut gegen die kutane leukozytoklastische Angiitis, wenn nur Kriterium 1 und 4 positiv sind.
z Zusätzliche klinische Symptome
z
z
z
z
z
z
Beginn oft in den Wintermonaten nach grippalem Infekt,
schweres Krankheitsgefühl mit Fieber,
Arthralgien/Myalgien,
transiente sensible Polyneuropathie,
blutige Durchfälle,
Glomerulonephritis.
133
134
z
3 Diagnostische Kriterien
z Laborbefunde
z
z
z
z
ausgeprägte Akute-Phase-Reaktionen (BSG, CrP),
oft isolierte Serum-IgA-Erhöhung,
Nachweis IgA-haltiger Immunkomplexe im Serum,
IgA-Ablagerungen in vaskulitischen Läsionen (Haut, Niere).
z Differenzialdiagnose
z
z
z
z
z
kutane leukozytoklastische Angiitis (s. Kap. 3.25),
Urtikariavaskulitis,
Vaskulitis bei Kryoglobulinämie (s. Kap. 3.24),
medikamentenallergische Reaktionen (sekundäre Vaskulitis),
andere systemische Kleingefäßvaskulitiden.
z Literatur
1. Henoch EH (1874) Über eine eigenthümliche Form von Purpura. Berliner Klin
Wschr 11:641–643
2. Dillon MJ (1993) Primary vasculitis in children. In: Maddison PJ (ed) Oxford
Textbook of Rheumatology. Oxford University Press, pp 889–894
3. Gross WL (1996) Primäre Vaskulitiden. In: Peter HH, Pichler W (Hrsg) Klinik der
Gegenwart. Urban & Schwarzenberg, München
4. Mills JA, Michel BA, Bloch DA, Calabrese LH, Hunder GG, Arend WP, Edworthy
SM, Fauci AS, Leavitt RY, Lie JT, Lightfoot RW Jr, Masi AT, McShane DJ, Stevens
MB, Wallace SL, Zvaifler NJ (1990) The American College of Rheumatology 1990
criteria for the classification of Henoch-Schönlein purpura. Arthr Rheum 33:
1114–1121
3.24 Vaskulitiden bei Nachweis kältelabiler Serum- und Plasmaeiweiße
z
3.24 Vaskulitiden bei Nachweis kältelabiler Serumund Plasmaeiweiße (Kryoglobuline, Kryofibrinogen)
(ICD-Nr. 177.9)
z Definition
Kryoglobulinämien oder Kryofibrinogenämien können zu vaskulitisch bedingten Multiorganerkrankungen führen mit meist akral betonten kutanen oder
systemischen vaskulitischen Läsionen, Arthralgien, Myalgien, Glomerulonephritis, Polyneuropathie, kardialen und zerebralen Manifestationen, hervorgerufen durch kältelabile Bluteiweiße (Kryoglobuline, Kryofibrinogen), die insbesondere bei Abkühlung zu Viskositätserhöhung, Eiweißpräzipitation oder
Gelifikation, Komplementaktivierung, Gerinnungsaktivierung und Endothelschädigung führen können.
z Klassifikation
Klassifikationskriterien:
1. Akral betonte leukozytoklastische und/oder nekrotisierende kutane Läsionen;
2. Auslösung oder Verstärkung durch Kälte;
3. histologischer Nachweis einer Vaskulopathie kleiner Gefäße (Arteriolen, Kapillaren, Venolen);
4. Nachweis eines deutlichen, kältelabilen Serum- oder Plasmaeiweißes (Kryoglobulin, Kryofibrinogen).
Alle 4 Kriterien sollten für die sichere Diagnosestellung erfüllt sein.
Klassifikation der kältelabilen Bluteiweiße
z Kryoglobuline: Fallen im Serum bei unterschiedlichem Abkühlungsgrad
(0 bis 30 8C) aus und lösen sich bei 37 8C wieder auf.
z Kryofibrinogene: Fallen im Plasma bei unterschiedlichem Abkühlungsgrad
(0–30 8C) aus und lösen sich bei 37 8C wieder auf.
Klassifikation der Kryoglobuline
Basierend auf der Eiweißzusammensetzung des Kryoglobulinpräzipitates in
der Immunelektrophorese wurde folgende Einteilung der Kryoglobuline vorgeschlagen [3].
z Typ 1. Monoklonale Immunglobuline, meist IgM, seltener IgG oder IgA. Sie
kommen vor bei M. Waldenström, Myelom, B-Zell-Non-Hodgkin-Lymphom,
monoklonalen Gammopathien unbestimmter Wertigkeit.
135
136
z
3 Diagnostische Kriterien
z Typ 2. Gemischte Kryoglobulinämie mit monoklonalem IgM-Rheumafaktor
und polyklonalem IgG. Seltener sind monoklonale IgG- oder IgA-Rheumafaktoren im Präzipitat nachweisbar. Der Typ 2 kann eine schwere chronische Vaskulitis mit Purpura, Arthritis, Nephritis (= PAN-Syndrom) und
Polyneuropathien verursachen und wird nach der Chapel-Hill-Consensus
Conference [4] zu den primären Vaskulitiden gerechnet, soweit keine chronische HCV- oder HBV-Infektion zugrunde liegt.
z Typ 3. Es handelt sich um polyklonales IgG plus polyklonales IgM oder IgA
oder undefinierbares Protein X. Dieser Typ kommt besonders parainfektiös
(u. a. HCV, HBV, HIV, Lues, Borreliose), bei Kollagenosen (SLE, SjögrenSyndrom) und rheumatoider Arthritis mit hohem Rheumafaktortiter vor.
Anmerkung: Persistierende HCV-Infektionen sind bei den Kryoglobulin-Typen
2 und 3 in 30 bis 50% nachweisbar.
z Krankheitsbilder mit Nachweis von Kryofibrinogenen [6]
z essenzielle Kryofibrinogenämie,
z Karzinome u. a. der Lunge, des Magens, des Pankreas, der Gallenblase, des
Kolon; Fibrosarkom,
z hämatopoetische und lymphatische Neoplasien: u. a. Myelom, chronische
lymphatische Leukämie, Non-Hodgkin-Lymphom, M. Hodgkin,
z Infektionen
z Medikamente: u. a. Ovulationshemmer, Isoniacid,
z Schwangerschaft,
z Fehltransfusion,
z arterielle Verschlusskrankheit, venöse Thrombosen,
z Kollagenosen,
z Leberzirrhose,
z metallische Fremdkörper.
z Diagnostik
Sie erfordert ein umfangreiches Laborprogramm.
z Nachweis von Kryoglobulinen oder Kryofibrinogen. Technisch geht man wie
folgt vor: Abnahme von 10 ml Nativblut und 10 ml Zitratblut; Transport bei
37 8C ins Labor; Gewinnung von Serum und Plasma bei 37 8C; Inkubation
von Serum- und Plasmaprobe im temperierten Wasserbad bei 37 8C, 20 8C
und 0 8C für 2 und 24 Stunden, ggf. für 48 und 72 Stunden. Bei Auftreten
einer Trübung, eines Präzipitates oder einer Gelifikation Abzentrifugieren
des Präzipitates und Bestimmung des „Kryokrits“; Test auf Wärmereversibilität; Freiwaschen des Präzipitates durch wiederholtes Umfällen (Wiederauflösen bei 37 8C und nochmaliges Ausfällen bei 0 8C mit anschließendem
Waschen); Bestimmung der Eiweißkomponenten im Präzipitat mittels Immunfixation.
3.24 Vaskulitiden bei Nachweis kältelabiler Serum- und Plasmaeiweiße
z
z Komplementdiagnostik. Die Bestimmung von CH50, C3d, C3, C4 ist erforderlich, da ein Teil der Kryoglobuline – besonders Typ 2 und 3 – das Komplementsystem aktiviert.
z Akute-Phase-Proteine. Fibrinogen, CrP, Elektrophorese.
z Quantitative Bestimmung von IgG, IgA, IgM und IgE; Nachweis monoklonaler Immunglobuline.
z ANA, ANCA, Rheumafaktoren. Bei Typ-2-Kryoglobulinämien ist der Rheumafaktor-Titer mit human-IgG typischerweise sehr hoch, im Waaler-RoseTest eher niedrig bis normal.
z Virustiter und Antigennachweis (HCV, HBV, HIV, EBV, CMV).
z Borrelien- und Luesserologie, im Einzelfall auch Nachweis von Antikörpern
gegen Protozoen und Parasiten, z. B. Leishmanien.
z Literatur
1. Abel G, Zhang QX, Agnello V (1993) Hepatitis C virus infection in type II mixed
cryoglobulinemia. Arthr Rheum 36:1341–1349
2. Bartels M, Ellendorf C, Peter HH, Schedel I (1980) Hämorrhagische Diathese bei
Kryofibrinogenämie. In: Schimpf K (Hrsg) Fibrinogen, Fibrin und Fibrinkleber.
Schattauer, Stuttgart, S 175–183
3. Brouet JC (1974) Biological and clinical significance of cryoglobulins. Am J Med
57:775–788
4. Jennette JC, Falk RJ, Andrassy K, Bacon PA, Churg J, Gross WL, Hagen EC, Hoffman GS, Hunder GG, Kallenberg CGM, McCluskey RT, Sinico RA, Rees AJ, van Es
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an International Consensus Conference. Arthr Rheum 37:187–192
5. Meltzer M, Franklin EC (1966) Cryoglobulinemia – a study of 29 patients. Am J
Med 40:628–635
6. Moroz LA, Rose B (1978) The cryopathies. In: Samter M (ed) Immunological
Diseases, Vol I, 3rd ed. Little Brown, Boston, pp 570–591
137
138
z
3 Diagnostische Kriterien
3.25 Kutane leukozytoklastische Angiitis
(ICD-Nr. 177.9)
z Synonyma. Früher: Hypersensitivitätsangiitis, Vasculitis allergica.
z Definition
Isolierte leukozytoklastische Angiitis der kleinen Hautgefäße (KLA) ohne systemische Vaskulitis oder Glomerulonephritis, die sich klinisch als nicht wegdrückbare, palpable Purpura äußert, manchmal im Zusammenhang mit Infektionen
und/oder Medikamenteneinnahmen. Die Prognose ist in der Regel gut.
z Klassifikationskriterien
für die kutane leukozytoklastische Angiitis gibt es nicht!
Klassifikationskriterien des American College of Rheumatology [2] für die Hypersensitivitäts-Angiitis:
1. Alter bei Krankheitsmanifestation über 16 Jahre,
2. Medikamenteneinnahme zur Zeit der Erstsymptome,
3. palpable Purpura,
4. makulopapulöses Exanthem,
5. bioptisch nachweisbare leukozytoklastische Vaskulitis an kleinen Hautgefäßen (Arteriolen, Kapillaren, Venolen).
Beurteilung: Mindestens 3 der 5 Kriterien sollten vorhanden sein, um die Diagnose zu stellen. Die Sensitivität beträgt 71%, die Spezifität 84%.
Anmerkung: Die Abgrenzung gegenüber der Schönlein-Henoch-Purpura und
einer leukozytoklastischen Vaskulitis im Rahmen von Kryoglobulinämien kann
anhand der ACR-Kriterien schwierig sein. Die Chapel Hill Consensus Conference grenzt die KLA klar von der Purpura Schönlein-Henoch ab.
z Weitere Symptome
z Oft gehen akute virale Infekte mit entsprechenden Allgemeinsymptomen voraus (u. a. HSV, EBV, HIV, HBV, HCV).
z Die Purpura ist distal betont, in schweren Fällen kann das ganze Integument betroffen sein. Schleimhäute sind in der Regel ausgespart.
z Arthralgien/Myalgien kommen vor.
z Systemische Manifestationen sind definitionsgemäß auszuschließen.
3.25 Kutane leukozytoklastische Angiitis
z
z Diagnostik
Aus Gründen der Diagnostik und Differenzialdiagnostik sollten die folgenden
Untersuchungen durchgeführt werden:
z Erhebung einer genauen Medikamentenanamnese, evtl. Testung (RAST,
Haut-Test),
z Bestimmung von ANCA, ANA, Rheumafaktoren,
z Ausschluss einer viralen Genese (z. B. HCV)
z Nachweis kältelabiler Serumproteine (Kryoglobuline, Kryofibrinogen;
s. Kap. 3.24),
z Komplementdiagnostik (CH50, C3d, C3, C4).
Hyperkomplementämische Formen treten bei Infekten oder im Rahmen von
Medikamentenallergien auf; hypokomplementämische Formen finden sich bei
SLE und Urtikariavaskulitis.
z Differenzialdiagnose
z Schönlein-Henoch-Purpura (meist jüngere Patienten),
z Leukozytoklastische Vaskulitis bei Kollagenosen und Kryoglobulinämien
(s. Kap. 3.24),
z Urtikariavaskulitis mit zusätzlich brennendem und juckendem urtikariellem
Exanthem bei der Entstehung der Effloreszenzen,
z Steven-Johnson-Syndrom,
z Systemische juvenile chronische Arthritis (s. Kap. 3.3),
z Andere Kleingefäßvaskulitiden.
z Literatur
1. Braverman IM (ed) (1970) Skin Signs of Systemic Diseases. Saunders, Philadelphia, pp 199–238
2. Calabrese LH, Michel BA, Bloch DA, Arend WP, Edworthy SM, Fauci AS, Fries JF,
Hunder GG, Leavitt RY, Lie JT, Lightfoot RW Jr, Masi AT, McShane DJ, Mills JA,
Stevens MB, Wallace SL, Zvaifler NJ (1990) The American College of Rheumatology 1990 criteria for the classification of hypersensitivity vasculities. Arthr Rheum
33:1108–1113
3. Grattan CH (1993) Small vessel vasculitis. In: Maddison PJ, Oxford Textbook of
Rheumatology. Oxford University Press, pp 860–863
4. Gross WL (1994) Nicht ANCA-assoziierte Vaskulitiden. Klinik der Gegenwart.
Urban & Schwarzenberg, München
5. Jennette JC, Falk RJ, Andrassy K, Bacon PA, Churg J, Gross WL, Hagen EC, Hoffman GS, Hunder GG, Kallenberg CGM, McCluskey RT, Sinico RA, Rees AJ, van Es
LA, Waldherr R, Wiik A (1994) Nomenclature of systemic vasculitides. Proposal of
an International Consensus Conference. Arthr Rheum 37:187–192
6. Peter HH (1991) Vaskulitiden. In: Peter HH (Hrsg) Klinische Immunologie. Urban
& Schwarzenberg, München, S 401–414
139
140
z
3 Diagnostische Kriterien
3.26 M. Behçet
(ICD-Nr. M 35.2)
z Synonyma. M. Adamantiades-Behçet, Behçet-Syndrom.
z Definition
Der M. Behçet ist ein vaskulitisches Syndrom unbekannter Ätiologie mit
Schleimhaut- und Hautbefall sowie häufiger Manifestation an Augen, Gelenken
und/oder Muskulatur. Die Erkrankung weist die höchsten Prävalenzen in der
Türkei, dem Iran und in Japan auf.
z Diagnostische Kriterien der International Study Group
for Behçet’s Disease [2]
Obligates Symptom: rezidivierende orale Aphthen (mindestens 3-mal jährlich)
plus 2 der 4 folgenden Kriterien:
1. genitale Ulzera (ca. 100%),
2. Uveitis/Iritis mit Hypopyon, Retinitis (80%),
3. Hautveränderungen (Erythema nodosum, Follikulitis, sterile Pusteln, 80%),
4. positiver Pathergietest (25 bis 75%), d. h. Auftreten einer papulopustulösen
Effloreszenz an der Stelle eines einfachen Nadelstiches in die Haut oder einer intrakutanen Injektion von Kochsalz nach einer Latenzzeit von 24 bis
48 Stunden [1].
In einem anderen Kriterienvorschlag [5] wurde unter die Hauptkriterien auch
eine oberflächliche Thrombophlebitis, als Nebenkriterien eine Arthritis oder
Arthralgien, eine Epididymitis, vaskuläre Symptome und eine ZNS-Beteiligung
aufgenommen.
z Zusätzliche Krankheitssymptome
z Haut: extragenitale Ulzera, multiforme Erytheme.
z Augen: Keratitis, Retinaexsudate und -blutungen.
z Arthritiden: rekurrierende oder chronische Oligo- bzw. Polyarthritis (50%).
Sie manifestieren sich meist Wochen, Monate oder Jahre nach Krankheitsbeginn; selten tritt eine Sakroiliitis auf.
3.26 M. Behçet
z
z Vaskulitis (10 bis 40%): oberflächliche und tiefe Thrombophlebitiden, oft
mit Verschluss der unteren und oberen Hohlvene, selten Aneurysmen der
Pulmonalarterien, Vaskulitis kleiner Gefäße.
z ZNS-Beteiligung (30%): sog. Neuro-Behçet u. a. mit Hirnstammsyndrom,
Pyramidenzeichen, Meningoenzephalitis, anamnestischem Syndrom (Desorientiertheit usw.).
z Gastrointestinal: Ulcus duodeni, Ösophagusulzerationen, intestinale Blutungen, Enteritis und Rektokolitis mit Ähnlichkeiten zum M. Crohn, weniger
zur Colitis ulcerosa.
z Sonstige: Epidydimitis, inguinale Lymphknotenschwellungen. In etwa je
10% der Erkrankten tritt eine Glomerulonephritis bzw. Pneumonitis auf, in
Einzelfällen kommt es zu Pleuritis, Perikarditis, Beteiligung der Muskulatur.
Krankheitsspezifische Laborbefunde gibt es nicht. Die BSG ist meist, aber
nicht immer beschleunigt. Die Entzündungsparameter gelten auch als Aktivitätskriterien [3]. Eine Assoziation mit HLA-B51 ist in den Endemieländern
des Mittelmeerraumes und in Ostasien mit einem relativen Risiko von 4 bis 37
enger als bei Mitteleuropäern.
Beachte: Die einzelnen Symptome entwickeln sich oft episodisch in größeren Zeitabständen hintereinander, sodass die Erhebung einer gezielten
Anamnese wichtig ist und ein Kriterium auch dann zählt, wenn es nur in
der Vorgeschichte erfasst werden kann.
z Differenzialdiagnose
Reaktive Arthritiden (Reiter-Syndrom) – M. Crohn – Pemphigoid der Schleimhäute – Lichen planus – Hypereosinophiliesyndrom.
z Literatur
1. Dilsen N, Konica M, Aral O, Öcal L, Inanc M, Gül A (1993) Comparative study of
the skin pathergy test with blunt and sharp needles in Behçet’s disease: confirmed
specifity but decreased sensitivity with sharp needles. An Rheum Dis 52:823–825
2. International Study Group for Behçet’s Disease (1990) Criteria for diagnosis of
Behçet’s disease. Lancet 335:1078–1080
3. Lawton G, Chamberlain MA, Bhakta B, Tennant A (2002) The Behçet’s disease
activity index (BDAI). 10th Internat Conf on Beḩcet’s Disease, Berlin, Abstr No 009
4. Lee S, Bang D, Lee E-S, Sohn S (2001) Behçet’s Disease. Textbook and Atlas. Springer, Berlin Heidelberg New York
5. Shimizu T, Ehrlich GE, Inawa G, Hayashi K (1979) Behçet disease (Behçet syndrome). Semin Arthr Rheum 8:223–260
6. Zouboulis ChC (1996) Morbus Adamantiades-Behçet in Deutschland: Historischer
Rückblick und aktueller Kenntnisstand. Z Hautkr 71:491–501
141
142
z
3 Diagnostische Kriterien
3.27 Gicht
(ICD-Nr. M 10)
z Definition, Synonyma
Die Gicht ist Folge einer entzündlichen Reaktion auf die Bildung von Uratkristallen bei bestehender Hyperurikämie. Das klinische Spektrum reicht von der
akuten Kristallsynovialitis bis zur chronischen Arthropathie. Die Hyperurikämie ist in über 99% der Fälle durch eine familiär gehäuft vorkommende renale
Ausscheidungsstörung, sehr selten durch einen Enzymdefekt bedingt.
Gicht
Arthritis urica
= Störung des Purinstoffwechsels als Allgemeinerkrankung.
= Gelenkentzündung, die durch Harnsäurekristalle verursacht
wird.
Hyperurikämie = Erhöhung der Harnsäurewerte über die Löslichkeitsgrenze
im Plasmawasser von 6,4 mg/100 ml (= 380 lmol/l).
Als Ergebnis epidemiologischer Studien wurden geschlechtsspezifische Referenzwerte festgelegt:
Frauen = 6,2 mg/100 ml (= 360 lmol/l)
Männer = 7,4 mg/100 ml (= 420 lmol/l)
z Epidemiologische Kriterien zur Diagnostik der Arthritis urica
(New York 1966)
Die Diagnose der Arthritis urica kann gestellt werden bei einer Arthritis mit:
1. chemischem oder mikroskopischem Nachweis von Harnsäurekristallen in
der Synovialflüssigkeit oder Ablagerung von Uraten in den Geweben;
2. Vorhandensein von 2 oder mehr der folgenden Kriterien:
– eindeutige Anamnese und/oder Beobachtung von wenigstens 2 typischen
Anfällen (s. u.) an den Extremitätengelenken;
– eindeutige Anamnese und/oder Beobachtung von Podagra (= einer Attacke
mit Befall der Großzehe);
– klinisch nachgewiesene Tophi;
– eindeutige Anamnese und/oder Beobachtung einer prompten Reaktion
auf Colchicin, d. h. Verminderung der objektiven Entzündungszeichen innerhalb von 48 Stunden nach Therapiebeginn.
Die Hyperurikämie wird hier nicht als Kriterium geführt. Dies bedeutet, dass
bei Anwendung der Kriterien die Diagnose nicht schon nach dem ersten Anfall gestellt werden kann, wenn nicht die Großzehe befallen ist (was im Erstanfall nur bei 60% vorkommt), ein Kristallnachweis erfolgte und mit Colchicin
behandelt wurde. Daher ist folgendes Vorgehen zu empfehlen.
3.27 Gicht
z
z Wahrscheinlichkeitsdiagnose
Sie wird gestellt bei typischem Anfall mit den 3 Kennzeichen
z der Akuität (Entwicklung vom Beginn der Beschwerden bis zu ihrem Maximum innerhalb weniger Stunden),
z des monartikulären Befalls (auch bei Angaben über eine polyartikuläre
Arthritis im Erstanfall stellt sich bei genauer Befragung meist heraus, dass
die Gelenke nacheinander betroffen waren) sowie
z der Spontanremission (in der Mehrzahl der Fälle Rückbildung innerhalb
von 1 bis 2 Wochen).
Die Wahrscheinlichkeitsdiagnose kann als abgesichert gelten, wenn zusätzlich
mehrfach erhöhte Harnsäurewerte nachgewiesen werden oder eine prompte
Colchicinwirkung eintritt; sie ist weitgehend gesichert bei eindeutigem Nachweis von (phagozytierten) Harnsäurekristallen in der Gelenkflüssigkeit oder
im Gewebe (Tophi).
z Zusätzliche diagnostische Regeln
z Eine Hyperurikämie ist im Gichtanfall nicht obligat. Bei mindestens 5% der
Patienten werden Normwerte gefunden. Dazu kommt, dass viele Patienten
mit Beginn der Beschwerden ein Medikament einnehmen, was schon vor
der Blutentnahme den Harnsäurespiegel gesenkt haben kann. Die statistische Wahrscheinlichkeit, einen Gichtanfall zu erleiden, nimmt mit der Höhe
des Harnsäurespiegels zu.
z Der negative Kristallbefund im Gelenkpunktat schließt die Diagnose der
Arthritis urica ebenfalls nicht völlig aus; insbesondere bei längerem Bestehen eines Ergusses können sich die Kristalle auflösen.
z Eine akute Arthritis an der unteren Extremität beim Mann sollte bis zum
Beweis des Gegenteiles als Verdachtsfall einer Arthritis urica betrachtet werden.
z Bei Frauen kommt eine Arthritis urica vor der Menopause nur extrem selten vor.
z Auslösende Ursache für den Anfall (reichliche Mahlzeiten, Alkoholgenuss,
Überanstrengungen, Traumen) sind eher selten zu eruieren; zu den anfallsauslösenden Medikamenten gehören vor allem Saluretika, Urikosurika (in
der Therapieeinleitungsphase) und Penicillin.
z Die Gelenklokalisation bei der Erstattacke betrifft in über 80% der Fälle die
untere Extremität (Großzehengrundgelenk 60%, Sprunggelenk 14%, Knie
6%, Fußweichteile und übrige Zehen 2%). Der Rest der Erstlokalisationen verteilt sich etwa zu gleichen Teilen auf Ellenbogen-, Hand- und Fingergelenke.
z Tophi (Prädilektionsstellen Ohren, Ellenbogen, Füße, Hände) sind nur sehr
selten im Erstanfall nachweisbar. Ihre Häufigkeit erhöht sich bei über
20-jährigem Krankheitsverlauf auf 70%, die mittlere Latenzzeit beträgt –
143
144
z
3 Diagnostische Kriterien
wie die der ersten röntgenologischen Knochen- und Weichteilveränderungen – 5 bis 7 Jahre.
z Atypische Verläufe ohne Anfallscharakter (Weichteilschmerz, Arthralgie,
akuter Rückenschmerz z. B. durch Befall der Iliosakralgelenke) werden gelegentlich beschrieben.
z Sekundäre Gicht
Als sekundäre Gicht bezeichnet man Zustände, bei denen die Hyperurikämie
Folge einer Erkrankung außerhalb des Purinstoffwechsels oder einer medikamentösen Therapie ist. Sie führen selten zu einem typischen Gichtanfall. Als
Erkrankungen kommen solche mit einem vermehrten Umsatz von Nukleoproteiden (Polyzythämien, Leukämien, Psoriasis), eine chronische Nephropathie
oder Bleiintoxikation infrage. Medikamentös induzierte Hyperurikämien werden am häufigsten durch Saluretika und Zytostatika verursacht.
z Sonstige Symptome und Begleiterkrankungen
z Übergewicht (bei 75% der Fälle mindestens +25% des Normalgewichtes),
z Nierensteine (7 bis 20%),
z Nephropathie (bei langdauernden Verläufen klinisch bis 50%, autoptisch
häufiger),
z Diabetes mellitus (manifest 10 bis 25%),
z Hyperlipoproteinämie (über 40%),
z Leberveränderungen (Fettleber über 60%),
z Hochdruck, frühzeitige Arteriosklerose (über 40%).
Zur erweiterten Gichtdiagnostik gehören daher auch Maßnahmen zum Ausschluss dieser Begleiterkrankungen.
z Differenzialdiagnose
Auszuschließen sind alle akut beginnenden monartikulären Prozesse, die
Chondrokalzinose (eher Befall großer Gelenke, andere Kristallform, s. Kap. 1.4,
3.28), die Hydroxylapatitkristallarthropathie (bei Frauen mit akuter Entzündung im Großzehengrundgelenk), eine infektiöse oder reaktive Arthritis, eine
Hallux-rigidus-Arthrose, statische Beschwerden, ein Erysipel, eine Phlegmone,
Thrombophlebitis. Bei Veränderungen an den Fingerendgelenken handelt es
sich fast immer um die Heberden-Arthrose, bei Frauen kann sich bei primärer
Arthrose dort in seltenen Fällen auch eine Arthritis urica manifestieren.
3.27 Gicht
z
z Primäre kindliche Gicht (Lesch-Nyhan-Syndrom)
Es handelt sich um eine seltene, geschlechtsgebunden-rezessiv vererbte, ausschließlich das männliche Geschlecht betreffende, auf einem Mangel an Hypoxanthinphosphoribosyltransferase (HPRT) beruhende Erkrankung. Neben den
Symptomen der Gicht (u. a. Nephrolithiasis, Tophi) finden sich charakteristische, aber variabel auftretende Zeichen vonseiten des ZNS: Choreaathetose,
spastische Krämpfe, Automutilation, geistige Retardierung.
z Literatur
1. Mertz DP (1993) Gicht, 6. Aufl. Thieme, Stuttgart New York
2. Pascual E (2000) Gout update: from lab to the clinic and back. Current Opin
Rheumatol 12:211–212
3. Schattenkirchner M, Gröbner W (2000) Arthropathia urica. In: Miehle W, Fehr K,
Schattenkirchner M, Tillmann K (Hrsg) Rheumatologie in Praxis und Klinik.
Thieme, Stuttgart New York
4. Wallace SL, Robinson H, Masi AT, Decker JL, McCarty DJ, Yü T-F (1977) Preliminary criteria for the classification of the acute arthritis of primary gout. Arthr
Rheum 20:895–900
145
146
z
3 Diagnostische Kriterien
3.28 Chondrokalzinose
(ICD-Nr. M 11.2)
z Synonyma. Kalziumpyrophosphatdihydrat-(CPPD-)Kristallarthropathie, Pseudogicht, Pyrophosphatarthropathie
z Definition
Der Begriff der Chondrokalzinose beschreibt Verkalkungen des Gelenkknorpels, die mit bildgebenden Verfahren nachweisbar sind. Die Kalziumpyrophosphatdihydratkristallarthropathie umfasst alle klinischen Manifestationen, die
mit der intraartikulären Kristallablagerung verbunden sind.
Das Krankheitsbild tritt in 3 Formen auf:
z hereditär (Endemiegebiete vor allem Slowakei, Chile, Niederlande),
z sporadisch-idiopathisch,
z sekundär (u. a. Hyperparathyreoidismus, Hämochromatose, Hypothyreose,
Amyloidose, Gicht, Hypomagnesiämie, Hypophosphatasie); auslösend wirkt
oft ein Trauma.
Die klinische Symptomatik ist sehr variabel, die wichtigsten Formen sind in
der Tabelle 1 dargestellt.
z Diagnose
Sie wird röntgenologisch oder über den Kristallbefund gestellt. Laborparameter besitzen keinen diagnostischen Wert, ggf. sind die als Primärerkrankungen
bekannten Störungen auszuschließen.
Röntgenbild
Der röntgenologische Nachweis von Knorpel-, seltener Weichteilverkalkungen
ist sehr von den technischen Aufnahmebedingungen abhängig. Er ist im positiven Fall beweisend. Typisch sind lineare und punktierte, „monstranzartige“
Verschattungen parallel zur Knorpeloberfläche in den Knie- und/oder Schultergelenken sowie gröbere schollige oder streifige Ablagerungen im Faserknorpel der Menisken, der Disci articulares, im Anulus fibrosus der Disci intervertebrales sowie in der Synovialmembran, der fibrösen Gelenkkapsel, in Sehnen
und Bändern.
3.28 Chondrokalzinose
z
Tabelle 1. Verlaufsformen und Häufigkeiten der artikulären Chondrokalzinose
Verlaufsform
Häufigkeit (%)
Klinik
Pseudoarthrose
50
Wie Gonarthrose oder Arthrose anderer
Lokalisation; zu je der Hälfte der Fälle mit bzw.
ohne akute Entzündungsschübe
Pseudogicht
25
Akute o. subakute Mon- bzw. Oligoarthritis;
oft Beginn in einem „Muttergelenk“ (50% = Knie)
und Übergang auf „Tochtergelenke“
Asymptomatisch
20
Röntgenologischer Zufallsbefund in
zunehmender Frequenz bei Personen über
55 Jahre
Pseudorheumatoidarthritis
5
Akute oder chronische Polyarthritis mit
Morgensteifigkeit
Pseudoneuropathie
<1
Schnelle Destruktion großer Knochenpartien
ohne neurologische Defekte
Pseudoseptikämie
<1
Verlauf mit Fieber und Leukozytose
Pseudomeningitis
<1
Nackensteife, Fieber, akutes Zervikalsyndrom
Pseudospondylodiszitis
<1
Bei Lokalisation in anderen Wirbelsäulenabschnitten
Kristallnachweis
Die sichere Identifizierung eines CPPD-Kristalles beweist die Diagnose, dies
gelingt aber nicht in jedem Fall. Das wechselnde klinische Bild der Chondrokalzinose nach Gelenkerguss zu fahnden, ihn abzupunktieren, polarisationsoptisch ergibt die Notwendigkeit, bei jeder diagnostisch unklaren Arthropathie
auf Kristalle zu untersuchen. Zur Unterscheidung von den Uratkristallen der
Gicht siehe Tabelle 2.
Tabelle 2. Differenzierung zwischen Urat- und CPPD-Kristallen
Uratkristalle
CPPD-Kristalle
Form
Nadelförmige, spitze oder
abgerundete Stäbchen
Rhomben, Stäbchen mit
rechteckigen Rändern
Größe
Meist über 10 lm
Meist unter 5 lm
Polarisation
Stark negative Doppelbrechung
Schwach positive Doppelbrechung
147
148
z
3 Diagnostische Kriterien
z Differenzialdiagnose
Die Abgrenzung von der Arthritis urica erfolgt neben dem Kristallbefund
durch die längere Anfallsdauer von 3 bis 4 Wochen oder den chronischen Verlauf, den vorwiegenden Befall größerer Gelenke und die nicht so prompte Reaktion auf Colchicin. Im Übrigen sind Arthrosen, die auch sekundär auftreten
können [3], die rheumatoide Arthritis und je nach Klinik weitere Arthro- oder
Spondylopathien (Spondarthritiden, reaktive, septische, neuropathische Arthritiden, akutes HWS-Syndrom), eine akute Tendinitis calcarea oder andere
Kristallarthropathien (Hydroxylapatitkrankheit, Oxalatkristallarthritis) auszuschließen.
z Literatur
1. Dihlmann W (1987) Gelenke – Wirbelverbindungen, 3. Aufl. Thieme, Stuttgart
New York
2. Keitel W (1993) Differentialdiagnostik der Gelenkerkrankungen, 4. Aufl. Fischer,
Jena
3. Jaovesidha K, Rosenthal AK (2002) Calcium crystals in osteoarthritis. Curr Opin
Rheumatol 14:298–302
4. Schneider M (2001) Sonstige Kristallarthropathien. In: Zeidler H, Zacher J, Hiepe
F (Hrsg) Interdisziplinäre klinische Rheumatologie. Springer, Berlin Heidelberg
3.29 Infektiöse Arthritiden
z
3.29 Infektiöse Arthritiden
(ICD-Nr. M 00.0 bis .9)
z Definition
Die infektiöse Arthritis ist eine meist akute Entzündung eines oder mehrerer
Gelenke, die durch Bakterien im Gelenk ausgelöst wird.
z Klassifikation
International validierte Klassifikationskriterien existieren nicht. Die oben angegebene Definition wird allgemein akzeptiert. Eine infektiöse Arthritis liegt
vor, wenn folgende Kriterien erfüllt sind:
1. Arthritis eines oder mehrerer Gelenke,
2. Nachweis von Bakterien im Gelenk (positive Bakterienkultur oder mikroskopischer Nachweis in der Synovialflüssigkeit).
Bemerkungen:
z Der Verdacht auf eine infektiöse Arthritis ist bei jeder akuten Arthritis bzw.
jeder Arthritis bisher unklarer Ätiologie oder Zuordnung gegeben.
z Prädisponierende Faktoren einer infektiösen Arthritis sind Diabetes mellitus, Alkoholkrankheit, intravenöser Drogenabusus, häufige Gelenkinjektionen (Gelenkoperationen), fortgeschrittene rheumatoide Arthritis, insbesondere unter immunsuppressiver Therapie, selten Immundefekte.
z Die infektiöse Arthritis ist in der Regel eine akute Entzündung eines oder
mehrerer Gelenke mit Schwellung, Rötung, Überwärmung, Ergussbildung
und schmerzhafter Bewegungseinschränkung, häufig begleitet von Fieber
und anderen Allgemeinerscheinungen. Akut entzündliche Erscheinungen
können bei immunsuppressiv behandelten Patienten fehlen.
z Labormedizinisch finden sich im Blut meist eine Leukozytose mit Linksverschiebung, eine hohe Blutsenkungsgeschwindigkeit und hohe Akute-PhaseProteine (CrP meist über 100 mg/l).
z Die Synovialflüssigkeit ist eitrig (Zellzahl meist über 50 000 mm3 erhöht;
überwiegend segmentkernige Granulozyten), im Grampräparat sind bei ca.
50% der Fälle Bakterien nachweisbar. Die Bakterienkultur sollte zur Vermeidung falsch negativer Ergebnisse so rasch wie möglich angelegt werden
(schneller Transport in Transportmedium). Aerobe und anaerobe Kultivierung sind erforderlich.
z Das Erregerspektrum ist altersabhängig. Am häufigsten findet sich Staphylococcus aureus und Streptococcus pyogenes (Gruppe B), bei Säuglingen
meist Haemophilus influenzae, im früheren Erwachsenenalter nicht selten
auch Neisseria gonorrhoeae (oft zweizeitiger Verlauf).
149
150
z
3 Diagnostische Kriterien
z Röntgendiagnostik, Kernspintomografie oder Szintigrafie sind eventuell zur
Beurteilung des Verlaufs (Gelenk- oder Knochendestruktion, Osteomyelitis,
Abszedierung) erforderlich.
z Die Differenzialdiagnose der infektiösen Arthritis umfasst alle Mon- oder
Oligoarthritiden mit akutem Beginn (akute Kristallsynovitis durch Harnsäurekristalle, Kalziumpyrophosphatdihydratkristalle oder Apatitkristalle,
reaktive Arthritis, Psoriasisarthritis, juvenile chronische Arthritis, rheumatoide Arthritis, Trauma u. a.).
z Literatur
1. Genth E (1989) Infektionsbedingte Arthritiden. Internist 30:664–672
2. Hedström SA, Lidgren L (1994) Septic bone and joint lesions. In: Klippel JH,
Dieppe PA (eds) Rheumatology. Mosby-Year Book Europe Limited, London,
pp 3.1–3.10
3.30 Arthrosen der Hand
z
3.30 Arthrosen der Hand
(ICD-Nr. 15.1)
z Definition
Arthrosen an den Gelenken im Handbereich sind mit wenigen Ausnahmen
primäre Erkrankungen des Gelenkknorpels mit Schmerzen und Bewegungseinschränkungen, die vorwiegend an den Fingerend- und -mittelgelenken, den
Daumensattelgelenken, seltener an den Fingergrundgelenken, den Interkarpalund den Radiokarpalgelenken auftreten [2]. Handarthrosen entwickeln sich
allmählich im Verlauf von Jahren aus einer klinisch asymptomatischen (stumme Arthrose) zur manifesten Arthrose, gelegentlich mit Begleitsynovialitis
(aktivierte Arthrose).
z Klassifikationskriterien
Klassifikation der Handarthrose [1]:
1. Handschmerz, Beschwerden oder Steifigkeitsgefühl an den meisten Tagen
des zurückliegenden Monats und
2. harte Verdickung an 2 oder mehreren Gelenken von 10 * und
3. weniger als 3 geschwollene Metakarpophalangealgelenke und entweder
4 a. harte Verdickung an 2 oder mehreren distalen Interphalangealgelenken oder
4 b. Fehlstellung von einem oder mehreren Gelenken von 10 *
Die Sensitivität beträgt 93%, die Spezifität 97%.
z Heberden-Arthrose (Arthrose der distalen Interphalangealgelenke)
Es handelt sich um degenerative Veränderungen der distalen Interphalangealgelenke (DIP) mit Knotenbildung. Betroffen sind zumeist ältere Patienten
(Frauen : Männer = 4 : 1), häufig zuerst das distale Interphalangealgelenk des
Zeigefingers. Eine familiäre Häufung als Hinweis auf eine genetische Prädisposition ist ausgeprägt; häufig assoziiert mit Gonarthrosen.
z Klinische Symptomatik. Anfangs besteht ein Steifigkeits- und Spannungsgefühl in den DIP-Gelenken, ein Bewegungs-, selten ein Ruheschmerz. Die
Beugung ist eingeschränkt, die „kleine Faust“ behindert. Gelegentlich treten
lokale Entzündungszeichen mit Kapselschwellung und Druckschmerzhaftigkeit auf, zunehmend kommt es später zur harten Schwellung, zu Achsenfehlstellungen und Beugekontrakturen.
* = II- und III-DIP; II- und III-PIP; I-Karpometakarpalgelenk an beiden Händen
151
152
z
3 Diagnostische Kriterien
z Röntgenbefunde. Sie manifestieren sich als subchondrale Sklerosierung,
Verschmälerung des Gelenkspaltes, osteophytäre Ausziehungen an den Gelenkrändern und Geröllzysten. Fehlstellungen treten nach medial (DIP II
und III) oder lateral (DIP V) auf.
z Differenzialdiagnose. Auszuschließen sind Psoriasisarthritis, selten rheumatoide Arthritis, die subluxierende Arthropathie bei Antisynthetasesyndrom
sowie Trommelschlegelfinger bei hypertropher Osteoarthropathie.
z Bouchard-Arthrose (Arthrose der proximalen Interphalangealgelenke)
Sie ist seltener als die Heberden-Arthrose. Meist sind mehrere Mittelgelenke
gleichzeitig befallen, oft und früh entwickelt sich eine Begleitsynovialitis.
z Klinische Symptomatik. Es bestehen ein Steifigkeits- und Spannungsgefühl
in den PIP-Gelenken, ein Bewegungs- und Ruheschmerz, oft lokale Entzündungszeichen (Druckschmerz). Später treten harte Schwellungen mit meist
geringen Achsenfehlstellungen auf.
z Röntgenbefunde. Es finden sich subchondrale Sklerosierungen, Verschmälerungen des Gelenkspaltes, osteophytäre Ausziehungen an den Gelenkrändern
und Geröllzysten. Fehlstellungen sind an PIP II und III häufig.
z Differenzialdiagnose. Sie betrifft in erster Linie die rheumatoide Arthritis,
Arthritiden bei Kollagenosen, seltener postinfektiöse Arthritiden und die
Psoriasisarthritis.
z Rhizarthrose
(Arthrose der Karpometakarpalgelenke, Daumensattelgelenke)
Sie tritt meist beidseitig, oft in Kombination mit der Heberden- und BouchardArthrose, vorwiegend bei Frauen nach der Menopause und überwiegend primär,
selten sekundär – nach Metacarpale-I-Basisfraktur (Rolando- und Bennet-Fraktur) – auf.
z Klinische Symptomatik. Am Anfang besteht ein belastungsabhängiger
Schmerz, besonders bei Oppositionsbewegungen des Daumens. Im weiteren
Verlauf treten ein lokaler Druckschmerz, zunehmender Ruheschmerz
(Nachtschmerz), Kapselschwellungen, Bewegungseinschränkungen und Adduktionskontrakturen (häufig mit Überstreckung im Daumengrundgelenk),
Subluxationen und Krepitationen auf.
z Röntgenbefunde. Charakteristisch ist eine subchondrale Sklerosierung mit
Verschmälerung des Gelenkspaltes, später eine Subluxation der Basis des Os
metacarpale I nach dorso-radial, osteophytäre Ausziehungen an den Gelenkrändern und Geröllzysten. Oft entwickeln sich zusätzliche arthrotische
Veränderungen zwischen Os trapezium und Os trapezoideum.
z Differenzialdiagnose. Sie erfordert den Ausschluss einer isolierten Arthrose
zwischen Os scaphoideum und trapezium bzw. trapezoideum (SST-Arthrose), einer Tendovaginitis de Quervain, Arthritis des Karpometakarpalgelen-
3.30 Arthrosen der Hand
z
kes und der Handwurzelgelenke im Rahmen entzündlich-rheumatischer Erkrankungen (rheumatoide Arthritis, Kollagenosen u. a.) sowie von Kristallarthropathien (Chondrokalzinose u. a.).
z Literatur
1. Altman R, Alarcon G, Appelrouth D, Bloch D, Borenstein D, Brandt K, Brown C,
Cooke TD, Daniel W, Gray R, Greenwald R, Hochberg M, Howell D (1990) The
American College of Rheumatology criteria for the classification and reporting of
osteoarthritis of the hand. Arthr Rheum 33:1601–1610
2. Buckland-Wright JC, Macfarlane DG, Clark B (1991) Osteophytes in the osteoarthritic hand: their incidence, size, distribution, and progression. Ann Rheum
Dis 50:627–630
153
154
z
3 Diagnostische Kriterien
3.31 Coxarthrose
(ICD-Nr. M 16.0/16.1)
z Synonyma. Arthrosis deformans oder Osteoarthrose des Hüftgelenkes.
z Definition
Die Arthrose des Hüftgelenks ist ein degenerativer, nichtentzündlich bedingter
Gelenkdestruktionsprozess der Hüfte. Die primäre Coxarthrose findet sich in
einem nur geringen Anteil aller Hüftgelenksarthrosen. In der überwiegenden
Zahl handelt es sich um sekundäre Arthrosen mit nachweisbar gelenkspezifischer Ätiologie als häufige Folge sog. präarthrotischer Gelenkdeformitäten
(residuelle Hüftdysplasie, Epiphyseolysis capitis femoris, M. Perthes, Hüftkopfnekrose, Coxitis, posttraumatisch etc.).
z Klassifikation [1]
Klinisch
1. Hüftschmerz und
2 a. Innenrotation unter 15 Grad und
2 b. Blutsenkungsgeschwindigkeit unter 45 mm/Stunde
(wenn BSG fehlt, (ersatzweise) Hüftbeugung unter 115 Grad) oder
3 a. Innenrotation unter 15 Grad und
3 b. Schmerz bei Innenrotation und
3 c. Morgensteifigkeit unter 60 Minuten und
3 d. Alter über 50 Jahre.
Die Sensitivität beträgt 86%, die Spezifität 75%.
Klinisch und radiologisch
1. Hüftschmerz und
mindestens 2 der 3 folgenden Merkmale:
– BSG unter 20 mm/Stunde,
– radiologisch Osteophyten (Kopf und Pfanne),
– radiologisch Gelenkspaltverschmälerung (oben, lateral und/oder medial).
Hier beträgt die Sensitivität 89%, die Spezifität 91%.
3.31 Coxarthrose
z
z Sonstige Symptomatik
z Klinik. Anfänglich kommt es zu Ermüdungserscheinungen, Schweregefühl
in der betroffenen Extremität, Schmerzen in der Endphase der Bewegung
(Abduktion), muskulärer Beschwerdesymptomatik (hüftumgreifende Muskulatur; cave: pseudoradikuläre Symptomatik!), Bewegungseinschränkung
für Streckung, Beugung, Abduktion, insbesondere Innenrotation. Im Verlauf
treten Anlaufschmerzen auf, belastungsabhängiger Schmerz, später auch
Ruheschmerz, gelegentlich Schmerzempfindung in der Knieregion. Später
entwickelt sich eine zunehmende Insuffizienz der Glutealmuskulatur (Abduktion) mit positivem Trendelenburg-Zeichen und Duchenne-Hinken, gefolgt von progressiver Bewegungseinschränkung (Innenrotation), Beugekontraktur (Thomas-Handgriff) mit kompensatorischer Hyperlordosierung der
Lendenwirbelsäule, funktioneller Beinverkürzung durch Kontrakturen.
z Röntgenbefunde (s. Kap. 1.3). Die anfängliche Verschmälerung des Gelenkspaltes tritt konzentrisch (primäre Arthrose oder entzündliche Vorerkrankung) oder kraniolateral (Coxa valga, residuelle Hüftdysplasie – Dysplasiecoxarthrose) bzw. mediokaudal (Coxa vara – Protrusionscoxarthrose) betont
bei biomechanisch induzierter Coxarthrose auf. Weitere Symptome sind eine subchondrale Sklerosierung (meist kraniolateral), Osteophyten (meist
kraniolateral, weniger medial, frühzeitig in der Fovea centralis) sowie eine
Wulstbildung an der Schenkelhalsbasis. Meist erst im Spätstadium kommt
es zu einer subchondralen Zystenbildung.
z Sonografie. Sie gestattet einen frühzeitigen Ergussnachweis im Gelenk, der
ggf. ultraschallgesteuert punktiert werden kann.
z Synovialflüssigkeit. Der Aspekt ist klar bis leicht trübe, farblos bis hellgelb,
die Viskosität hoch. Die Leukozytenzahl liegt unter 1000/ll (Grenzwert
3000/ll), der Granulozytenanteil unter 25%, der Eiweißgehalt unter 32 g/l.
z Differenzialdiagnose
Hier sind zu berücksichtigen die Insertionstendopathien am Trochanter major,
Tuber ossis ischii oder am Tuberculum pubicum, ferner eine Bursitis trochanterica,
ein Wurzelreizsyndrom L1/L2, die Sakroiliitis und Coxitis. Schließlich sind von Fall
zu Fall eine Hüftkopfnekrose, transitorische Osteoporose, ein Ermüdungsbruch
des Schenkelhalses, eine Lumboischialgie (Wurzelreizsyndrom), pseudoradikulär
ausstrahlende Schmerzsyndrome der Lendenwirbelsäule/Kreuzdarmbeingelenke,
eine periphere arterielle Verschlusskrankheit, eine Leistenhernie, ein Musculuspiriformis-Syndrom und eine Meralgia paraesthetica auszuschließen.
z Literatur
1. Altman RD, Alarcon G, Appelrouth D, Bloch D, Borenstein D, Brandt K, Brown C,
Cooke TD, Daniel W, Feldmann D, Greenwald R (1991) The American College of
Rheumatology criteria for the classification and reporting of osteoarthritis of the
hip. Arthr Rheum 34:505–514
155
156
z
3 Diagnostische Kriterien
3.32 Gonarthrose
(ICD-Nr. M 17.0/17.1)
z Definition
Die Gonarthrose ist ein degenerativer, nichtentzündlich bedingter Destruktionsprozess des Kniegelenkes, der klinisch durch Schmerzen (Anlaufschmerz,
Belastungsschmerz), Bewegungseinschränkungen und Gehbehinderung gekennzeichnet ist und zur Instabilität, Fehlstellung und Begleitsynovitis (aktivierte Arthrose) führen kann. Die primäre Gonarthrose (unklare Ursache)
wird von einer sekundären Gonarthrose z. B. bei Achsfehlstellungen (Genua
vara/valga), nach Traumen (intraartikuläre Frakturen, Bandverletzungen, Meniskusschäden, Knorpelkontusionen), nach Entzündungen, nach aseptischen
Knochennekrosen (M. Ahlbäck), bei metabolischen oder endokrinen Erkrankungen (Chondrokalzinose, Harnsäuregicht, Ochronose, Akromegalie) oder
Hämophilie unterschieden.
Im Vordergrund stehen die biomechanisch erklärbaren, auf dem Boden einer
Achsfehlstellung (Genu varum, Genu valgum) entstandenen Gonarthrosen. Entsprechend den betroffenen Gelenkkompartimenten werden die mediale und laterale femorotibiale sowie die femoropatellare (Retropatellararthrose) von den
Formen getrennt, die alle 3 Gelenkkompartimente betreffen (Pangonarthrose).
z Klassifikation [1]
Klinisch
1. Knieschmerz und
2 a. Krepitation an den meisten Tagen des zurückliegenden Monats und
2 b. Morgensteifigkeit bei aktiver Bewegung unter 30 Minuten;
2 c. Alter von über 37 Jahren oder
3 a. Krepitation und
3 b. Morgensteifigkeit von mindestens 30 Minuten und
3 c. knöcherne Auftreibung oder
4 a. keine Krepitation und
4 b. knöcherne Auftreibung.
Die Sensitivität beträgt 89%, die Spezifität 88%.
Klinisch und radiologisch
1. Knieschmerz an den meisten Tagen des zurückliegenden Monats und
2. Osteophyten oder
3 a. Synovialflüssigkeit typisch für Arthrose (klar, viskös, Zellzahl unter
2000/ll) (wenn nicht vorhanden, (ersatzweise) Alter über 40 Jahre) und
3.32 Gonarthrose
z
3 b. Morgensteifigkeit von mindestens 30 Minuten und
3 c. Krepitation bei aktiver Bewegung.
Die Sensitivität beträgt 94%, die Spezifität 89%.
z Sonstige Symptomatik
z Klinik. Das Kniegelenk ist das am häufigsten arthrotisch veränderte große
Gelenk; Frauen sind deutlich häufiger als Männer betroffen. Oft besteht ein
bilateraler Befund. Der Beginn liegt meist im 5. Lebensjahrzehnt (nach Einsetzen der Menopause). Anfänglich besteht ein Steifigkeitsgefühl, ein
endphasiger Bewegungsschmerz, später ein Belastungsschmerz. Bei aktivierten Arthrosen kommt es zu einer meist deutlichen Ergussbildung, Schwellung und Überwärmung bei starker Schmerzhaftigkeit. In fortgeschrittenen
Stadien treten Schmerzen beim Treppensteigen (Retropatellararthrose), tastbare Krepitation, ein Instabilitätsgefühl, zunehmende Achsenfehlstellungen,
eine Gangunsicherheit, Beugekontrakturen und Bewegungseinschränkungen
auf. Häufig finden sich begleitende Insertionstendinosen (Lig. patellae, Pes
anserinus) sowie Poplitealzysten (Baker-Zysten).
z Röntgenbefunde (s. Kap. 1.3). Osteophyten treten in allen betroffenen Gelenkkompartimenten, der Patella, den Eminentiae intercondylicae, an der
lateralen und medialen Tibia sowie an der Femurrolle auf. Weitere Veränderungen sind subchondrale Sklerosen, eine Gelenkspaltverschmälerung,
die sog. Rauber-Konsole oder Geröllzysten.
z Synovialflüssigkeit. Die Befunde entsprechen denen bei Coxarthrose, oft lassen sich Detritus, gelegentlich Kalziumpyrophosphatdihydratkristalle nachweisen.
z Differenzialdiagnose
Sie betrifft alle anderen Knieaffektionen, wie u. a. Meniskusläsionen, Innenoder Außenbandläsionen, ein femoropatellares Schmerzsyndrom, das Patellaspitzensyndrom, Insertionstendopathien (Pes anserinus u. a.), die Bursitis präpatellaris, die Chondromatose, Morbus Osgood-Schlatter, Gelenktumoren,
Chondromatose, Osteochondrosis dissecans sowie ein Wurzelreizsyndrom L3
bzw. die Meralgia paraesthetica nocturna (periphere Nervenkompression).
z Literatur
1. Altman R, Asch E, Bloch D, Bole G, Borenstein D, Brandt K, Christy W, Cooke
TD, Greenwald R, Hochberg M, Howell D (1986) Development of criteria for the
classification and reporting of osteoarthritis: classification of osteoarthritis of the
knee. Arthr Rheum 29:1039–1049
2. Berrett JP (1990) Correlation of roentgenographic patterns and clinical manifestations of symptomatic idiopathic osteoarthritis of the knee. Clin Orthop 253:179–
183
157
158
z
3 Diagnostische Kriterien
3.33 Rückenschmerzsyndrome
(ICD-Nr. M 54.4, M 54.6)
z Definition und diagnostische Kriterien
Spontane und/oder provozierte Schmerzen in der Rückenregion:
Diagnostische Kriterien im engeren Sinne existieren nicht. Probleme bestehen sowohl in der Definition der Begriffe „Rücken“ wie „Schmerzen“.
Rückenschmerzen werden als „akut“ bezeichnet, wenn sie innerhalb weniger
Stunden bis maximal eines Tages aus wenigstens 6-monatiger Schmerzfreiheit
aufgetreten sind und noch nicht länger als 3 Monate bestehen ([4] Leitlinienclearingbericht ÄZQ).
Rückenschmerzen gelten als „chronisch“, wenn sie „heute“ bestehen und
täglich über einen Zeitraum von wenigstens 3 Monaten spürbar waren. Eine
nichttemporale Definition von „chronisch“ orientiert sich an dem Grad der
„Amplifizierung“ (s. u.) von Rückenschmerzen.
Aus anatomischer Sicht umfasst das dorsum mit zahlreichen Regionen die
gesamte Länge der hinteren Rumpffläche. Im englischen Sprachgebrauch wird
unter dem „tiefen“ Rücken („low back“) die Region zwischen den Unterrändern der 12. Rippen und den Glutealfalten verstanden. Keine der anatomischen
oder klinischen Definitionen wird von medizinischen Laien zuverlässig geteilt.
Ärzte und Patienten müssen sich jeweils darüber verständigen, wo der Rücken
eines Patienten liegt. Hierzu sind vorgegebene Bilder der ärztlichen „region of
interest“ oder spontane Schmerzzeichnungen der Patienten hilfreich (Abb. 1, 2).
In ihrem unteren Intensitätsbereich kann die Abgrenzung von Schmerzen
gegenüber anderen Beschwerden (z. B. Steifigkeitsgefühl) Schwierigkeiten machen. Schmerzen werden nach der International Association of the Study of
Pain (IASP) definiert als ein „unerfreuliches sensorisches und emotionales Erlebnis, das mit tatsächlicher oder potenzieller Gewebeschädigung verbunden
ist oder in entsprechenden Termini beschrieben wird“.
Rückenschmerzen (RS) sollten zuerst als Symptom einer unter der Oberfläche liegenden Störung oder Krankheit aufgefasst und abgeklärt werden – s. u.
„spezifische RS“ [6]. Dazu gehören auch extravertebrale Erkrankungen, die in
den Rücken projizierte Schmerzen verursachen können, wie z. B. eine Nierenbeckenentzündung oder ein Aortenaneurysma.
Allerdings lässt sich in der Mehrzahl der sich dem Primärarzt präsentierenden Fälle weder eine nosologische Diagnose stellen noch ein wesentlicher Pathomechanismus (Entzündung, Infiltration u. a.) oder die irritierte Struktur (Diskus, Muskulatur, Facettengelenk, Nervenwurzel u. a.) angeben. Die RS werden
dann als „unspezifisch“ oder „idiopathisch“ bezeichnet.
Bei einer solchen „Diagnose auf Widerruf“ müssen sie als eigenständiges
Syndrom beschrieben und bewertet werden. Hierbei ist das Konzept der „erweiterten/amplified“ RS hilfreich [7].
3.33 Rückenschmerzsyndrome
Abb. 1. Eine Region of interest-Zeichnung des tiefen Rückens
Abb. 2. Eine Vorlage zu einer freien Schmerzzeichnung
z
159
160
z
3 Diagnostische Kriterien
z Spezifische Rückenschmerzen
Spezifische RS lassen sich mit hinreichender Sicherheit auf eine definierte
Krankheit, einen Pathomechanismus oder wenigstens eine irritierte Struktur
zurückführen, sind also als z. B. diskogen, arthrogen, neurogen einzuordnen.
Die im Einzelfall in Betracht kommenden zugrunde liegenden Störungen sind
zu zahlreich, um hier auch nur aufgezählt zu werden. Eine „hinreichende Sicherheit“ ergibt sich aus einer hohen Spezifität eines diagnostischen Tests bzw. aus
einer Likelihood-Ratio von wenigstens 10. Für viele diagnostische Tests stehen
solche Daten nicht in ausreichender Qualität und Menge zur Verfügung.
Dies gibt dem Ausschluss möglicherweise gefährlicher Erkrankungen eine
hohe Bedeutung. Hierzu kommt es, bei möglichst sensitiven Tests, auf negative
Testergebnisse an.
Warnsignale für möglicherweise gefährliche Erkrankungen
z Alter bei Erstmanifestation über 50 Jahre.
z Anamnestische Hinweise auf rezentes Trauma; bestehende bakterielle, virale
(HIV), idiopathisch-entzündliche, metabolische oder maligne Erkrankung,
Immunsuppression; Drogenabhängigkeit; allgemeines Krankheitsgefühl, Gewichtsverlust.
z Fieber, Blässe, schlechter Allgemeinzustand.
z Spezifische viszerale und/oder neurologische Symptome (s. u. „Notfälle“).
z Systemische Steroidmedikation oder bekannte Osteoporose.
z Besondere Abgrenzung bedarf der entzündliche Rückenschmerz (< 40 LJ
Beginn, nächtliche bzw. morgendlich betont, Besserung bei Bewegung) mit
hohem prädiktiven Wert für eine Erkrankung aus dem Formenkreis der
Spondyloarthritiden.
Röntgenaufnahmen
Diese bedürfen einer besonderen Indikation. Nach den Leitlinien u. a. des
Royal College of Radiologists (London 1993) und der Deutschen Gesellschaft
für Allgemeinmedizin 1 sind Standardaufnahmen der BWS/LWS in einer oder 2
Ebenen routinemäßig weder bei akuten noch bei chronischen RS indiziert. In
weniger als 1% der Fälle sind klinisch relevante Befunde zu erwarten [4].
Mögliche physische, psychische und verhaltensmäßige Nebenwirkungen von
unkritisch verordneten Untersuchungen sind nicht zu vernachlässigen (u. a.
somatische Fixierung von Patient und Arzt). Wirbelsäulenaufnahmen sind eine
der Hauptquellen iatrogener ionisierender Strahlung.
1
Die DEGAM hat ihre Leitlinie „Kreuzschmerzen“ veröffentlicht (www.degam.de). Sie
ist die erste evidenzbasierte und breit konsentierte deutsche Leitlinie zu diesem
Thema. Eine Übersicht über weitere nationale und internationale Leitlinien geben
die Leitlinienclearingberichte „Akuter Rückenschmerz“ und „chronischer Rückenschmerz“ der Ärztlichen Zentralstelle Qualitätssicherung (www.azq.de). Eine nationale Versorgungsleitlinie Kreuzschmerz wird 2007 erscheinen.
3.33 Rückenschmerzsyndrome
z
Daher sind sie bei akuten RS erst nach 4-wöchiger Persistenz, bei Vorliegen
der o. g. Warnsignale aber selbstverständlich sofort angezeigt. Verlaufsröntgenaufnahmen bei chronischen RS sollten dann durchgeführt werden, wenn die
Beschwerden zunehmen, sich der Schmerzcharakter ändert oder sich Zusatzsymptome (z. B. Hinweise auf extravertebrale Erkrankungen) ergeben.
Die konventionelle Skelettszintigrafie und/oder ein modernes Schnittbildverfahren wie die Computertomografie oder Kernspintomografie sind wenigstens dann zu fordern, wenn bei unauffälligen Standardröntgenaufnahmen der
BWS/LWS der dringende Verdacht auf eine maligne Erkrankung oder bakterielle Infektion fortbesteht. Auch bei ausgeprägter neurologischer Symptomatik ist ein CT oder NMR indiziert.
Laboruntersuchungen
Suchtests wie BSG, Blutbild, Elektrophorese sind ohne die o. g. Warnsignale
erst nach 4- bis 8 Wochen indiziert.
z Notfälle
Ein dringliches, sofortiges Handeln erfordern alle Verdachtsfälle auf Caudaequina-Syndrom, bakterielle Spondylodiszitis, maligne Infiltration der Wirbelsäule sowie akuter und symptomatischer Wirbelkörperzusammenbrüche bei
Osteoporose [1].
Weitere Untersuchungsverfahren
Von verschiedenen Seiten werden apparative Verfahren (Ultraschall, Kraftmessungen) propagiert, um reversible oder irreversible Haltungs- oder Funktionsstörungen als Ursache, Risiko- oder Prognosefaktoren von Rückenschmerzen
zu identifizieren und quantifizieren, die sämtlich jedoch nicht ausreichend
evaluiert sind.
z Unspezifische Rückenschmerzen als Syndrom
Bei unspezifischen Rückenschmerzen sind zu erfassen:
z Topografie (s. o.) einschließlich ihrer Ausstrahlung in Leiste, Gesäß, Beine
(mit Differenzierung ob bis oberhalb oder unterhalb des Knies);
z Schmerzintensität (z. B. durch eine numerische Ratingskala zwischen 0 = keine Schmerzen und 10 = unerträgliche Schmerzen);
z zeitliche Verhältnisse: Akuität der Beginnsituation; Dauer der aktuellen Episode; Dauer der gesamten Vorgeschichte, Zahl RS-belasteter Tage im letzten
Jahr, Verlaufsmuster (episodisch, intermittierend, remittierend, persistierend, progredient) und Tagesgang. Manche Patienten berichten von „immer“ oder „fortwährend“ bestehenden RS;
z schmerzmodulierende Faktoren (z. B. besondere Belastungen, Haltungen).
161
162
z
3 Diagnostische Kriterien
RS gehen fast immer mit einer Reihe weiterer Schmerzen, Beschwerden und
Symptome einher. Zu ihnen gehören vorzugsweise:
z Schmerzen in benachbarten (Nacken, Schulter, Hüfte), aber auch entfernten
Regionen (Kopf, Extremitäten . . .); manche Patienten geben Schmerzen
„überall“ an;
z Morgensteifigkeit, Schweregefühle (gestörte Propriozeption);
z unspezifische körperliche Beschwerden (vitale Erschöpfung, Schwäche,
Müdigkeit, Schwindel);
z seelische Gleichgewichtsstörungen (z. B. Angst, depressive Verstimmung, katastrophisierende Kognitionen);
z subjektive Behinderung (Fragebogen zu Aktivitäten des täglichen Lebens,
z. B. Funktionsfragebogen Hannover/Rücken) [5];
z generalisierte Hyperalgesie bzw. Allodynie durch Palpation oder Druckalgometrie im Bereich der „tender points“ nach der Fibromyalgieklassifikation
des American College of Rheumatology;
z Krankheitsverhalten (Arztbesuche, Gebrauch von Analgetika, Sedativa, Hypnotika, Arbeitsunfähigkeitszeiten, laufende/abgeschlossene Rentenverfahren,
sozialrechtliche Verfahren, z. B. um Schwerbehindertenstatus/GdB).
Je mehr dieser Dimensionen durch Befunde besetzt und je stärker sie ausgeprägt sind, desto „amplifizierter“ chronifizierter und prognostisch ungünstiger
sind die unspezifischen RS. Um so dringlicher wird auch die Konsultation von
psychologisch oder psychotherapeutisch Ausgebildeten oder die Einleitung
einer multimodalen-multidisziplinären Therapie, z. B. im Rahmen einer stationären oder ambulanten Rehabilitation.
z Literatur
1. Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft (Hrsg) (2000) Kreuzschmerzen. Therapieempfehlungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, 2. Aufl.
2. Banzer D, Greitemann B, Güttler K, Hankemeier U, Hasenbring M et al (2005)
Leitlinien-Clearingbericht „Chronischer Rückenschmerz“. Bd. 19 der Schriftenreihe
des Ärztlichen Zentrums für Qualität in der Medizin (Hrsg)
3. Bigos S, Bowyer O, Braen G et al (1994) Acute low back problems in adults. Clinical practice guidelines No 14. AHCPR Publication No. 95-0642. Rockville MD:
Agency for Health Care Policy and Research. Public Health Service, U.S. Department of Health and Human Services
4. Brune K, Hasenbring M, Krämer J, Niebling W, Raspe H et al (2001) LeitlinienClearing-Bericht „Akuter Rückenschmerz“. Bd. 7 der Schriftenreihe der Zentralstelle der Deutschen Ärzteschaft zur Qualitätssicherung in der Medizin (Hrsg)
Zuckschwerdt, München
5. Kohlmann T, Raspe H (1996) Der Funktionsfragebogen Hannover zur alltagsnahen
Diagnostik der Funktionsbeeinträchtigung durch Rückenschmerzen (FFbH-R). Die
Rehabilitation 35(1):I–VIII
6. Mau W, Mahrenholtz M, Zeidler H (1994) Kreuzschmerzen – Diagnostik aus internistischer Sicht. Deutsches Ärzteblatt 91:C-441–C-452
7. Raspe H (2002) How epidemiology contributes to the management of spinal disorders. Best Pract Res Clin Rheumatol 16/1:9–21
3.34 Fibromyalgiesyndrom
z
3.34 Fibromyalgiesyndrom
(ICD-Nr. M 79.0)
z Synonyme. Fibromyalgie, generalisierte Fibromyalgie, generalisierte Tendomyopathie.
z Definition
Das Fibromyalgiesyndrom (FMS) gehört zum weiten und heterogenen Spektrum
der weichteilrheumatischen Störungen und Krankheiten (engl.: „soft-tissue
rheumatism“). Es ist gekennzeichnet durch chronische, ausgedehnte, spontane
Schmerzen vorwiegend in der Muskulatur, im Verlauf von Sehnen und Sehnenansätzen. Die Schmerzschwelle auf Druck ist erniedrigt (sekundäre Hyperalgesie, erhöhte Druckschmerzhaftigkeit), welche an einer Vielzahl anatomisch definierter Schmerzpunkte („tender points“) überprüfbar ist. Gelegentlich findet
sich Hypermobilität des Patienten. Häufig assoziiert sind eine Vielzahl vegetativer Funktionsstörungen, Schlafstörungen, Erschöpfungszustände und psychopathologische und neuropsychiatrische Symptome.
z Klassifikation
Beim FMS stellen umschriebene Druckschmerzen ein wesentliches Kriterium
für die Diagnose dar. Über Anzahl und Lokalisation dieser Punkte als diagnostisches Kriterium konnte noch keine endgültige Einigung erzielt werden.
Klassifikationskriterien des ACR [12]
z Anamnese generalisierter Schmerzen
Definition: Schmerzen mit der Lokalisation linke und rechte Körperhälfte,
Ober- und Unterkörper und im Bereich des Achsenskelettes (Halswirbelsäule,
vordere Thoraxwand, Brustwirbelsäule, Lendenwirbelsäule) werden als generalisiert bezeichnet.
Bei dieser Definition wird der Schulter- und Beckengürtelschmerz als
Schmerz der jeweiligen Körperhälfte betrachtet.
z Schmerzen an 11 von 18 definierten „tender points“ auf Fingerdruck mit
einer Kraft von etwa 4 kg.
Definition: Bei digitaler Palpation muss Schmerz in mindestens 11 von 18 der
folgenden „tender points“ (9 auf jeder Körperhälfte) vorhanden sein:
1. Ansätze der subokzipitalen Muskeln,
2. Querfortsätze der Halswirbelsäule C5 bis C7,
3. M. trapezius (Mittelpunkt der Achsel),
4. Supraspinatus (am Ansatz oberhalb der Spina scapulae),
163
164
z
5.
6.
7.
8.
9.
3 Diagnostische Kriterien
Knochen-Knorpel-Grenze der 2. Rippe,
Epicondylus radialis (2 cm distal),
Regio glutaea (oberer äußerer Quadrant),
Trochanter major,
Fettpolster des Kniegelenkes medial, proximal der Gelenklinie.
Bewertung: Für die Klassifikation einer Fibromyalgie müssen beide Kriterien
erfüllt sein. Der Nachweis einer weiteren klinischen Erkrankung schließt die
Diagnose einer Fibromyalgie nicht aus.
Diagnostische Kriterien nach Müller und Lautenschläger [10]:
z spontane Schmerzen in der Muskulatur, im Verlauf von Sehnen und Sehnenansätzen mit typischer stammnaher Lokalisation, die über mindestens
3 Monate in 3 verschiedenen Regionen vorhanden sind,
z Druckschmerzhaftigkeit an mindestens der Hälfte der typischen Schmerzpunkte (Druckdolorimetrie oder digitale Palpation mit ca. 4 kp/cm2, sichtbare Schmerzreaktion),
z Kontrollpunkte ohne solche Schmerzreaktion,
z begleitende vegetative und funktionelle Symptome inkl. Schlafstörungen,
z psychopathologische Symptome,
z normale Befunde wichtiger diagnostischer Maßnahmen.
Bewertung: Für die Diagnose des FMS sollen mindestens je 3 der folgenden
vegetativen Symptome und funktionellen Störungen nachweisbar sein:
Vegetative Symptome:
z kalte Akren (Hände),
z trockener Mund,
z Hyperhidrosis (Hände),
z Dermographismus,
z orthostatische Beschwerden (lage- und lagewechselabhängiger Schwindel),
z respiratorische Arrhythmie,
z Tremor (Hände).
Funktionelle Störungen:
z Schlafstörungen,
z gastrointestinale Beschwerden (Obstipation, Diarrhoe),
z Globusgefühl,
z funktionelle Atembeschwerden,
z Par-(Dys-)ästhesien,
z funktionelle kardiale Beschwerden,
z Dysurie und/oder Dysmenorrhoe.
z Differenzialdiagnose
Die Abgrenzung von anderen generalisierten Schmerzkrankheiten des Weichteilgewebes und besonders zur „anhaltenden somatoformen Schmerzstörung“ nach
F45.4 (ICD-10), ist klinisch oft schwierig. Hilfreich dabei kann die zusätzliche
3.34 Fibromyalgiesyndrom
z
Untersuchung sog. Kontrollpunkte (z. B. Hypothenarmuskulatur, Fingermittelphalanx, dorsovolar, Stirnhöcker u. a.) sein. Abzugrenzen sind weiterhin
entzündliche Muskelerkrankungen (s. Kap. 3.14), endokrinologisch-metabolisch
und medikamentös-toxisch bedingte Myopathien, Myalgien im Rahmen eines
Parkinson- und paraneoplastischen Syndroms sowie bei Virusinfekten und Osteoporose, die Prodromalstadien der Kollagenosen, schließlich das chronische
Müdigkeitssyndrom. Wichtige diagnostische Maßnahmen sollten die internistische, rheumatologische, neurologische und psychiatrische Untersuchung und
den Ausschluss von Drogenmissbrauch oder Nebenwirkungen (chronisch) verabreichter Medikamente beinhalten. Das Krankheitsbild kann parallel zu anderen Erkrankungen oder Störungen, wie Hypermobilität, auftreten. Die Trennung
in eine primäre und sekundäre Form wird heute überwiegend abgelehnt.
z Literatur
1. Crofford LJ, Clauw DJ (2002) Fibromyalgia: where are we a decade after the
American College of Rheumatology classification criteria were developed? Arthr
Rheum 46:1136–1138
2. Ecker-Egle MI, Egle UT (1993) Primäre Fibromyalgie. In: Egle UT, Hoffmann SO
(Hrsg) Der Schmerzkranke. Schattauer, Stuttgart, S 530–543
3. Fitzcharles MA (2000) Is hypermobility a factor in fibromyalgia? J Rheumatol
27:1587–1589
4. Häntzschel H, Boche K (1999) Das Fibromyalgiesyndrom. Fortschritte der Medizin 117:26–31
5. Häntzschel H, Gruber G (1991) Weichteilrheumatismus unter besonderer Berücksichtigung der Generalisierten Tendomyopathie als funktionelles Syndrom. Z
ärztl Fortbildung 85:417–420
6. Hermann JM, Geigges W, Schonecke OW (1996) Fibromyalgie. In: Uexküll T v.
(Hrsg) Psychosomatische Medizin. Urban & Schwarzenberg, München, S 731–736
7. Keel P (1995) Fibromyalgie. Fischer, Stuttgart
8. Keitel W (1999) Das Fibromyalgiesyndrom – außer Kontrolle? Fortschritte der
Medizin 117:32–36
9. Kohl F (2001) Somatoforme Schmerzstörung und Fibromyalgie. Schmerz 14:
192–196
10. Müller W, Lautenschläger I (1990) Die Generalisierte Tendomyopathie (GTM)
-Teil 1: Klinik, Verlauf und Differenzialdiagnose. Z Rheumatol 49:11–21
11. Raspe HH, Häntzschel H, Boche K (1997) Fibromyalgiesyndrom. In: Deutsche
Gesellschaft für Innere Medizin (Hrsg) Rationelle Diagnostik und Therapie in
der Inneren Medizin. Urban & Schwarzenberg, München
12. Wolfe F, Smythe H, Yunus MB, Bennet RM, Bombardier C, Goldenberg DL, Tugwell P, Campbell SM, Abeles M, Clark P (1990) The American College of Rheumatology 1990 criteria for the classification of fibromyalgia: report of a multicenter criteria committee. Arthr Rheum 33:160–172
165
166
z
3 Diagnostische Kriterien
3.35
Osteoporose
(ICD-10: M80.-, M81.-)
z Definition
Die Osteoporose ist eine Systemerkrankung des Skeletts mit verminderter
Knochenmasse, Verschlechterung der Mikroarchitektur des Knochengewebes
und der Folge erhöhter Knochenbrüchigkeit.
z Klassifikation
Validierte internationale Klassifikationskriterien existieren nicht. Eine Stadieneinteilung wurde von der WHO veröffentlicht (s. Tabelle 1).
Wesentliche diagnostische Kriterien sind
z Frakturen bei inadäquatem Trauma,
z signifikante Verminderung der Knochenmasse auf der Grundlage der WHODefinition (DXA T-Wert < –2,5) mit erhöhtem Frakturrisiko,
z evtl. Nachweis einer osteoporosetypischen gestörten Knochenstruktur,
z Fehlen anderer Ursachen der Fraktur (z. B. adäquates Trauma, Malignom)
und/oder der verminderten Knochendichte (z. B. Osteomalazie, Hyperparathyreoidismus; s. Differenzialdiagnose).
Das Vorgehen in der Diagnostik ist in der Leitlinie zur „Prophylaxe, Diagnostik und Therapie der Osteoporose bei Frauen ab der Menopause, bei Männern
ab dem 60. Lebensjahr“ und der „glukokortikoidinduzierten Osteoporose“ beschrieben (www.lutherhaus.de/osteo/leitlinien-dvo/index.php).
Tabelle 1. WHO-Stadieneinteilung der Osteoporose
Grad 0
Osteopenie
Knochenmineralgehalt vermindert
(T-Score: –1 bis –2,5), keine Frakturen
Grad 1
Osteoporose
Knochenmineralgehalt vermindert (T-Score: <–2,5),
keine Frakturen
Grad 2
Manifeste Osteoporose
Knochenmineralgehalt vermindert (T-Score: <–2,5),
1 bis 3 Wirbelkörperfrakturen
Grad 3
Fortgeschrittene Osteoporose
Knochenmineralgehalt vermindert (T-Score: <–2,5),
multiple Wirbelkörperfrakturen, oft auch extraspinale
Frakturen
3.35 Osteoporose
z
Frakturnachweis
Wichtigstes Kriterium der manifesten Osteoporose ist die Fraktur, insbesondere die Wirbelfraktur. Typischerweise kommt es im Bereich der Brustwirbelsäule zu keilförmigen Wirbelkörperverformungen, im Bereich der Lendenwirbelsäule eher zu bikonkaven Eindellungen oder Einbrüchen, den sog. Fischwirbeln. Der Wirbelbruch ist entweder Folge eines einzeitigen heftigen Frakturereignisses oder Resultat mehrzeitiger unterschwelliger mechanischer Einwirkungen. Letzteres wird als Sinterung oder Kriechverformung bezeichnet. Ab
einer im Röntgenbild ausmessbaren Höhenminderung der anterioren, mittleren oder posterioren Wirbelkörperhöhe von 20% oder weniger im Vergleich
zu noch intakten Höhen des gleichen Wirbels oder eines intakten Nachbarwirbels wird von Wirbelfraktur gesprochen. Durch Höhenausmessungen von
BWK 4 bis LWK 5 kann ein Wirbeldeformitätsscore angegeben werden, der
ein Ausmaß des Schweregrades manifester Osteoporosen darstellt.
Weitere typische Osteoporosefrakturen sind die distale Radius- und proximale Femurfraktur. Auch alle anderen Lokalisationen extravertebraler Frakturen können mit der Osteoporose assoziiert sein. Die Anteile von Trauma
und vorbestehender Osteopenie am Frakturgeschehen sind bei extravertebralen Frakturen anamnestisch oft schwer zu trennen.
Nachweis der verminderten Knochendichte
Verschiedene densitometrische Messtechniken sind verfügbar. Das empfohlene
Messverfahren ist Dual-X-Ray-Absorptiometrie (DXA). Empfohlene Messorte
sind die LWS (L1–L4) und der proximale Femur (Gesamtfemurregion „total
hip“); international akzeptiert ist auch der distale Radius. Jeder erniedrigte
Messwert korreliert mit einem statistisch erhöhten Frakturrisiko insgesamt
und speziell mit dem Frakturrisiko am jeweiligen Messort. Die Messgenauigkeit liegt je nach Messprinzip und -gerät heute meistens zwischen 1–3%.
Messwiederholungen im Abstand von weniger als 12 Monaten sind daher nur
in Ausnahmefällen sinnvoll. Das Messergebnis wird bei der Photonenabsorption (DXA, SPA) in g/cm2 angegeben. Die Absolutwerte der Knochendichten für
Osteopenie betragen < 0,970 g/cm2, für Osteoporose < 0,800 g/cm2. Anstelle
von Prozentabweichungen zum mittleren Referenzwert werden zunehmend die
Standardabweichungen von der mittleren Altersnorm (Z-Score) oder vom
Durchschnitt junger Erwachsener (T-Score) zur besseren Vergleichbarkeit benutzt. T-Score-Werte von –2,5 und darunter sind als eindeutig pathologisch
und somit als Kriterium der Osteoporose anzusehen.
Nachweis der gestörten Knochenstruktur
Eine Verschlechterung der Knochengewebsarchitektur, d. h. insbesondere zunehmende Perforationen und Vernetzungsverlust der Spongiosa, kann zurzeit
nur histologisch nachgewiesen werden
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168
z
3 Diagnostische Kriterien
z Risikofaktoren für Osteoporose
Verschiedene allgemeine, krankheits- oder therapiebedingte Faktoren erhöhen
das Risiko für eine Osteoporose und ihrer Folgen. Zum klinischen Risikoprofil
tragen folgende Faktoren bei:
z weibliches Geschlecht,
z Lebensalter,
z atraumatische und niedrigtraumatische Wirbelkörperfrakturen,
z periphere Frakturen nach einem Bagatelltrauma,
z Anamnese einer proximalen Femurfraktur bei Vater oder Mutter,
z multiple Stürze,
z Nikotinkonsum,
z Untergewicht.
Die DVO-Leitlinie 2006 empfiehlt auf der Grundlage eines geschätzten Zehnjahresrisikos von 20% und mehr eine Basisdiagnostik bei folgenden Risikoprofilen:
1. bei 50- bis 60-jährigen Frauen oder 60- bis 70-jährigen Männern mit osteoporosetypischen Wirbelkörperfrakturen, im Einzelfall auch bei peripherer
Fraktur nach Bagatelltrauma,
2. bei 60- bis 70-jährigen Frauen oder 70- bis 80-jährigen Männern mit osteoporosetypischen Wirbelkörperfrakturen oder bei Vorliegen einer peripheren
Fraktur nach Bagatelltrauma, einer proximalen Femurfraktur eines Elternteils, Immobilität, Nikotinkonsum, multiplen Stürzen oder Untergewicht,
3. bei Frauen älter als 70 Jahre oder Männern älter als 80 Jahre.
Zu den wichtigsten Formen einer sekundären Osteoporose zählen endokrine
Störungen wie ein Hyperkortisolismus, ein Hypogonadismus oder ein Hyperparathyreoidismus, die systemische Anwendung von Glukokortikosteroiden, eine höhergradige Niereninsuffizienz, ein Diabetes mellitus Typ I, eine Malassimilation, die Einnahme von Antiepileptika, die Anorexia nervosa und entzündlich-rheumatische Krankheiten wie die rheumatoide Arthritis, die ankylosierende Spondylitis und evtl. andere entzündlich-rheumatische Krankheiten
mit anhaltend hoher Entzündungsaktivität.
Das altersadjustierte Risiko (odds ratio) für eine Osteoporose ist bei postmenopausalen Frauen mit rheumafaktorpositiver rheumatoider Arthritis mit
OR = 3,5 und bei postmenopausalen Frauen mit rheumafaktornegativer rheumatoider Arthritis mit OR = 2,6 deutlich erhöht. Im Alter von 61–70 Jahren
kann bei Frauen mit rheumatoider Arthritis mit oder ohne Langzeitglukokortikoidtherapie im Bereich des Schenkelhalses in 30% bzw. 12%, im Bereich
der Lendenwirbelkörper 37% bzw. 22% eine Osteoporose nachgewiesen
werden. Patienten mit rheumatoider Arthritis weisen ein erhöhtes relatives
Risiko (RR) für Schenkelhalsfrakturen (RR = 2,5) sowie für Beckenfrakturen
(RR = 2,6) auf. Hauptlokalisationen der osteoporotischen Frakturen sind Wirbelsäule, Unterarm, Hüfte und Becken.
Risikofaktoren für Osteoporose und osteoporotische Frakturen bei rheumatoider Arthritis sind: Alter, Geschlecht, niedriger Body-Mass-Index, Schwere-
3.35 Osteoporose
z
grad der Erkrankung, erhöhte Morgensteife, Krankheitsdauer, niedrige Funktionskapazität, verminderte Griffstärke, verminderte körperliche Aktivität,
Muskelschwäche und Muskelatrophie und Langzeitglukokortikoidbehandlung.
Frauen im höheren Lebensalter mit immobilisierender rheumatoider Arthritis
unter Glukokortikoidtherapie sind eine Hochrisikogruppe für Osteoporose und
osteoporotische Frakturen.
Auch bei der ankylosierenden Spondylitis ist die Häufigkeit von verminderter Knochendichte und von Frakturen erhöht.
Bei Patienten mit rheumatoider Arthritis oder Spondylitis ankylosans kann
bei starken Schmerzen im Rahmen der Grundkrankheit eine osteoporotische
Fraktur klinisch unbemerkt bleiben und wird häufig nur zufällig im durchgeführten Röntgenbild nachgewiesen.
Die Langzeitglukokortikosteroidtherapie ist eindeutig ein Risikofaktor für
Frakturen vorwiegend an der Wirbelsäule. Erhöhte Frakturraten finden sich
schon nach 3 Monaten. Eine „sichere“ Schwellendosis, unterhalb der systemisch angewandte Glukokortikosteroide keinen Einfluss auf die Knochendichte
haben, gibt es nach derzeitiger Erkenntnis nicht. Tagesdosen über 7,5 mg sind
bei der rheumatoiden Arthritis und anderen Krankheiten mit einem deutlich
erhöhten Osteoporoserisiko verbunden. Bei der rheumatoiden Arthritis zeigen
jedoch mehrere Studien mit Low-dose-Glukokortikoidtherapie (< 7,5 mg Prednisonäquivalent/Tag) keine Zunahme der Knochendichteminderung. Der Einfluss der kumulativen Steroiddosis wird kontrovers diskutiert.
Die DVO-Leitlinie 2006 zur glukokortikoidinduzierten Osteoporose empfiehlt
eine Basisdiagnostik bei folgenden Situationen:
z systemische Glukokortikoidtherapie über mindestens 3 Monate,
z neu aufgetretene osteoporosetypische Frakturen peripher oder an den Wirbelkörpern,
z bei Vorliegen weiterer Risikofaktoren,
z hohe Krankheitsaktivität,
z sehr niedriges Körpergewicht (BMI < 20) oder eine Gewichtsabnahme von
> 10% seit der letzten Messung,
z hohes Sturzrisiko (2 oder mehr häusliche Stürze im letzten Halbjahr),
z Alter über 70 Jahre,
z stark eingeschränkte Mobilität,
z Postmenopausenstatus/sekundäre Amenorrhö bei Frauen bzw. Hypogonadismus bei Männern.
z Basisdiagnostik
Bei allen Personen, bei denen auf Grund ihres klinischen Risikoprofils eine
hohe Frakturrate zu erwarten ist, wird eine Basisdiagnostik empfohlen
(www.lutherhaus.de/osteo/leitlinien-dvo/index.php).
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3 Diagnostische Kriterien
1. Anamnese und Befunde
– Vorgeschichte/Anamnese der Grundkrankheit einschließlich Glukokortikoidmedikation, Fraktur- und Sturzanamnese,
– aktuelle Beschwerden: neue Rückenschmerzen? Allgemeinzustand? Funktionsbeeinträchtigungen?
– Osteoporoseprophylaxe?
– körperliche Untersuchung, Messen von Körpergröße und -gewicht (BMI).
2. Laboruntersuchung
– Blutbild, Blutsenkung/C-reaktives Protein,
– im Serum: Kalzium, Phosphat, Kreatinin, alkalische Phosphatase, Gamma-GT, TSH; Eiweißelektrophorese
3. Knochendichtemessung
– empfohlene Methode: DXA,
– Messorte: LWS und „total hip“. Für die Beurteilung ist der niedrigste
Messwert der Gesamtareale ausschlaggebend.
Einfache Funktionstests wie der „Timed-up-and-go-Test“ oder der „Chair-raising-Test“ geben einen Anhalt über die Sturzgefährdung.
z Ergänzende Hinweise zur Diagnostik
Konventionelle Röntgendiagnostik
Ziel von Röntgenaufnahmen der Brust-/Lendenwirbelsäule ist der Nachweis
von osteoporotischen Frakturen oder osteoporotischen Wirbelkörperdeformitäten. Die Abnahme der Strahlentransparenz und betonte Grund- und Deckplatten sind unsichere, wenig reproduzierbare und späte Zeichen einer Osteoporose. Empfohlen wird die Röntgenaufnahme in 2 Ebenen bei akuten, neu
aufgetretenen starken und/oder anhaltenden umschriebenen Rückenschmerzen
und bei bisher nicht abgeklärten Rückenschmerzen. Osteoporotische Keiloder Kompressionswirbel werden über die Höhenminderung der vorderen
und/oder mittleren und hinteren Wirbelkörperhöhe morphometrisch definiert.
Röntgenaufnahmen sind in der Osteoporosediagnostik bei noch fehlenden
Frakturen für ein Osteoporosescreening zu wenig sensitiv, sind aber unerlässlich in der Diagnostik und Verlaufskontrolle von osteoporotischen Frakturen,
insbesondere der Wirbelkörper.
Duale Röntgenabsorptiometrie
Messorte bei Frauen bis 75 Jahre (DVO-Leitlinien):
z zuerst Lendenwirbelsäule, bei T-Score >– 2,5 SD zusätzlich Messung des Femur (Gesamtareal).
z Frauen älter als 75 Jahre: zuerst Femur (Gesamtareal). Bei T-Sore >–2,5 SD
zusätzlich Messungen an der LWS.
3.35 Osteoporose
z
Bei Patienten unter Glukokortikoidtherapie und älter als 75 Jahre sollte bei
prävalenten Patientinnen (Patienten mit Behandlung mit 7,5 mg/Tag Prednisolonäquivalent seit mindestens 6 Monaten) bei T-Score am Femur zwischen
–1,0 SD und > –2,5 SD und bei inzidenten Patientinnen (Patienten mit erstmaliger oder nach 1-jähriger Pause erneut eingeleiteter Therapie mit > 7,5 mg/
Tag Prednisolonäquivalent für voraussichtlich wenigstens 6 Monate oder mit
neu aufgetretenen klinisch apparenten Frakturen) mit T-Score am Femur zwischen –1,0 SD > –1,5 SD auch Messungen an der Lendenwirbelsäule durchgeführt werden, um nicht eine Osteoporose an der Lendenwirbelsäule zu übersehen.
Häufig muss eine DXA-Messung an der Lendenwirbelsäule wegen Spondylose, Osteochondrose oder Skoliose der Lendenwirbelsäule im höheren Lebensalter entfallen und auf eine selektive Spongiosamessung der Lendenwirbelkörper mit QCT zurückgegriffen werden.
z Quantitative Computertomografie (QCT). Die QCT-Messung der Wirbelkörperspongiosa hat ihre besondere Bedeutung bei Patienten mit ausgeprägten degenerativer Veränderungen der Wirbelkörper, bei denen eine integrierte DXAKnochendichtemessung wegen degenerativer Ossifikationen falsch erhöhte
Knochendichtewerte liefern würde.
Knochenbiospsie und histologische Beurteilung
Die Knochenbiopsie wird eingesetzt zur weiteren Diagnostik seltener sekundärer Formen der Osteoporose, zur Klassifizierung einer Osteoporose in Highoder Low-turnover-Osteoporose und zur Diagnostik von Osteopathien. Die
Entnahme von morphometrisch auswertbaren Knochenbiopsiezylindern erfolgt bevorzugt durch eine vertikale Hohlfräsenbiopsie des Beckenkamms. Der
25 ´ 4 mm messende, in Formalin oder Carnoy fixierte Knochenzylinder wird
im osteopathologischen Speziallabor unentkalkt in Metakrylat eingebettet. Am
Dünnschnitt erfolgt nach Spezialfärbung z. B. nach Cossa die semiquantitative
Beurteilung bzw. quantitative Auswertung der Knochenstrukturen. Wesentliche
morphometrische Parameter sind: trabekuläre Knochenmasse, trabekulärer
Vernetzungsgrad, Fläche und Volumen der Osteoidoberfläche, Fläche und Tiefe der Resorptionsoberfläche, Zahl und Form der Osteoblasten und Osteoklasten, Zellularität und Volumen des Knochenmarks.
Nach Tetrazyklindoppelmarkierung können in der Fluoreszenzmikroskopie
bei normaler Knochenneubildung und Mineralisation zwei, durch einen messbaren Abstand getrennte Fluoreszenzlinien nachgewiesen werden. Mineralisationsstörungen und fehlende Knochenneubildung liefern klassische pathologische Fluoreszenzbilder mit flächiger Tetrazyklinablagerung oder nur einfacher
oder fehlender Fluoreszenzlinie.
Labormedizinische Diagnostik
Die Labordiagnostik dient vor allem zum Ausschluss verschiedener Formen
der sekundären Osteoporose und von differenzialdiagnostisch in Frage kom-
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z
3 Diagnostische Kriterien
menden Osteopathien, z. B. der Osteomalazie. Erhöhte Parameter des Knochenabbaus (tartratresistente saure Phosphatase (Osteoklasten), freie Pyridinoline oder Deoxypyridinoline, Typ-1-Kollagen, N- oder C-Telopeptide (Knochendegradation)) im Blut und/oder Urin haben sich als unabhängige Risikofaktoren für Frakturen erwiesen. Die mangelnde Standardisierung dieser Parameter unter klinischen Alltagsbedingungen und die fehlende Evaluation im
Kontext anderer Risikofaktoren führt in den Leitlinien noch zu keiner generellen Empfehlung für die Routinediagnostik.
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www.lutherhaus.de/osteo/leitlinien-dvo/index.php
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