13.03.2017 Resilienz und Prävention psychischer Störungen: Was hält die Psyche gesund? Dipl.-Psych. Lisa Lyssenko Prof. Dr. Martin Bohus Vorlesung Resilienz – 2017 Gliederung • Resilienz und Salutogenese – Geschichte der Resilienzforschung – Definition – Schutzfaktoren für die psychische Gesundheit • Prävention und Gesundheitsförderung – Stufen der Prävention – Beispiele Vorlesung Resilienz – 2017 Aaron Antonovsky (1923-1994) Modell der Salutogenese Kontinuum von Gesundheit und Krankheit Generalisierte Widerstandsressourcen Kohärenzsinn Verstehbarkeit Bewältigbarkeit Sinnhaftigkeit [Antonovsky, 1972, 1979] Vorlesung Resilienz – 2017 1 13.03.2017 Emmy Werner (*1929) „Pionierin der Resilienzforschung“ Längsschnittstudie an 698 Kindern auf der Hawaiinsel Kauai über 32 Jahre Ein Drittel der „Hochrisikokinder“ entwickelte sich zu gesunden Erwachsenen [Werner & Smith, 1977] Vorlesung Resilienz – 2017 Definition von Resilienz Psychische Widerstandskraft angesichts belastender Lebensereignisse und chronischem Stress Lateinisch “resilire“: zurückspringen, abprallen Englisch „resilience“: Spannkraft, Elastizität, Strapazierfähigkeit Flexibilität Vorlesung Resilienz – 2017 Anforderungen aus der Umwelt [4] Anforderungen aus der Umwelt Individuum „Entwicklungsgefährdungen“: Risikoindex, in dem organische und psychosoziale Belastungen kombiniert werden potentiell traumatische Ereignisse (PTE) chronische Stressoren Krankheiten [Bengel & Lyssenko, 2012] Vorlesung Resilienz – 2017 2 13.03.2017 Resilienz als Ergebnis Anforderungen aus der Umwelt Schutzfaktoren Was ist ein resilientes Ergebnis? Individuum Belastungsverarbeitung Resilienz Resistenz Regenerierung Rekonfiguration Störung Vorlesung Resilienz – 2017 Identifikation von protektiven Faktoren Protektive Faktoren Anforderungen aus der Umwelt (Epi)genetik Soziale Umwelt Lernerfahrungen Belastungsverarbeitung Denkmuster Emotionale Reaktionen Verhalten Neurobiologische und physiologische Reaktionen Resilienz Störung Vorlesung Resilienz – 2017 Empirisch belegte soziale Schutzfaktoren im Kindes- und Jugendalter Tagesstruktur und familiäre Rituale sichere Bindung „autoritativer“ Erziehungsstil positive Beziehung zu einem Erwachsenen außerhalb der Familie • Kontakt zu prosozialen Gleichaltrigen • Qualität der Bildungsinstitutionen • • • • Vorlesung Resilienz – 2017 3 13.03.2017 Zentrale Schutzfaktoren im Erwachsenenalter Selbstregulations- und Emotionsregulationsfertigkeiten flexible Problemlöse-und Bewältigungsfertigkeiten hohe Selbstwirksamkeitserwartung, internale Kontrollüberzeugung, optimistische Lebenseinstellung Sinnerleben Positive Wahrnehmung der eigenen Person Soziale Eingebundenheit Sport und Bewegung Vorlesung Resilienz – 2017 Merkmale von Schutzfaktoren • Dynamisch: prozesshafte Entwicklung im zeitlichen Verlauf und im Kontext der Mensch-Umwelt-Interaktion. • Zeitlich variabel: Personen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt ihres Lebens relativ resilient sind, können zu anderen Zeitpunkten wesentlich vulnerabler erscheinen. • Situationsspezifisch: verschiedene Reaktionen auf verschiedene Stressoren. • Multidimensional: unterschiedliche Bewältigungsleistung in verschiedenen Lebensbereichen. [Lyssenko, Rottmann & Bengel, 2010] Vorlesung Resilienz – 2017 Prävention psychischer Störungen – Bedeutung 38.2% der europäischen Bevölkerung erkranken pro Jahr [Wittchen et al., 2011, Eur Neuropsychopharm] verantwortlich für 10.9% der DALYs in Europa geschätzte Kosten von € 418 Billionen in Europa jährlich [WHO, 2014] [Gustavsson et al., 2010, Eur Neuropsychopharm] „Mental disorders represent not only an immense psychological, social and economic burden to society, but also increase the risk of physical illnesses. Given the current limitations in effectiveness of treatment modalities for decreasing disability due to mental and behavioural disorders, the only sustainable method for reducing the burden caused by these disorders is prevention.” Vorlesung Resilienz – 2017 4 13.03.2017 Stufen der Prävention in der Medizin • Primärprävention/Universelle Prävention – Nicht selektierte Stichproben • Sekundärprävention – Selektive Prävention (Risikopopulation) – Indizierte Prävention (subsyndromale Symptome) • Tertiärprävention – Rückfallprophylaxe – Verhinderung von Verschlechterung Vorlesung Resilienz – 2017 Primär/Sekundärprävention – Beispiel Achtsam dem Leben und sich selbst begegnen Umgang mit Stolpersteinen Selbstfürsorge Sich auf den Weg machen Werte bewusst machen Soziales Netz pflegen Vorlesung Resilienz – 2017 Lebe Balance: Vermittlung von Schutzfaktoren Achtsamkeitsbasiertes Vorgehen in Anlehnung an ACT und DBT Soziale Netzwerkanalyse, Kommunikationsskills Aufbau gesundheitsförderlicher Verhaltensweisen Schutzfaktor Kursinhalt Verstehbarkeit/ Metakognitive Kompetenz Achtsamkeit, Fähigkeit zu wohlwollender Distanz „Abstand nehmen“ Handhabbarkeit/ Selbstwirksamkeit Problemlösen, situationsangepasstes aktives Bewältigen oder Annehmen der Situation Sinnhaftigkeit Werteorientiertes Handeln Selbstachtung Selbstakzeptanz, Selbstmitgefühl, wohlwollender Begleiter Soziale Unterstützung Soziale Netzwerkanalyse, Kommunikationsskills Vorlesung Resilienz – 2017 5 13.03.2017 Lebe Balance: Soziodemographie und initiale Belastung Soziodemographische Merkmale • 83% weiblich • Ø 49,5 Jahre • 44% Realschulabschluss • 60% verheiratet Initiale Belastung 5,46% 34,14% 33,48% no case mild case 26,86% moderate case severe case Vorlesung Resilienz – 2017 Lebe Balance – Ergebnisse I Vorlesung Resilienz – 2017 Lebe Balance – Ergebnisse II Vorlesung Resilienz – 2017 6 13.03.2017 Lebe Balance – Ergebnisse III NNT=15,58 0,25 19,80% 0,2 0,15 13,40% Kontrollen Lebe Balance 0,1 0,05 0 Beginn 6 Monate 1 Jahr Vorlesung Resilienz – 2017 Indizierte Sekundärprävention bei Depressionen • Meta-Analyse über N = 32 RCTs, vorwiegend kognitivverhaltenstherapeutischer Interventionen • IRR = 0.79 • NNT = 20 [van Zoonen et al., 2014, Int J Epidemiol] Vorlesung Resilienz – 2017 Körperliches Trainings als Sekundärprävention und Therapie • Meta-Analyse über N = 25 RCTs, d = 1,13 • moderate und intensive Belastung effektiver als leichte Belastung • Bessere Ergebnisse unter der Leitung ausgebildeter Sport- oder PhysioTherapeuten [Schuch et al., 2016, J. Psych. Res.] Vorlesung Resilienz – 2017 7 13.03.2017 Einfluss von Sport während Stammzelltransplantation auf Fatigue und Depression [Wiskemann et al., 2011] • Signifikant weniger Fatique (28% vs. 12%) • Signifikant bessere globale Fitness • Signifikant weniger depressive Symptomatik Vorlesung Resilienz – 2017 Einfluss von Sport während Stammzelltransplantation auf Überlebensraten [Wiskemann et al., 2015] 28% 12% Vorlesung Resilienz – 2017 Tertiärprävention bei psychischen Erkrankungen Menschen mit psychischen Erkrankungen haben eine Lebenszeitverkürzung von 13-30 Jahren [de Hert et al., 2011] – Kardiale und Metabolische Erkrankungen (Typ 2) – Rauchen – Bewegungsmangel – Ernährung Vorlesung Resilienz – 2017 8 13.03.2017 Depression und Schlaganfallrisiko Framinghamstudie (Stroke, 2007): n=4120; 8 J follow up; Pat.< 65J relatives Risiko: 4,21 Vorlesung Resilienz – 2017 Wer ist verantwortlich? • Hausarzt? • Psychiater? – Leitlinien (de Hert et al. European Psychiatry, 2009) – „Zu seinen Aufgaben gehört auch die sorgfältige und regelmäßige Dokumentation von Risikoindikatoren wie BMI, Taillenumfang, Nüchternblutzucker oder –blutfetten“ Vorlesung Resilienz – 2017 9